Nevernight - Die Rache - Jay Kristoff - E-Book
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Nevernight - Die Rache E-Book

Jay Kristoff

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Beschreibung

»Nevernight – Die Rache« ist der Abschlussband zu Jay Kristoffs epischer Fantasy-Trilogie um die Assassinin Mia Corvere. Die Großen Spiele enden mit dem kühnsten Mord in der Geschichte der itreyanischen Republik – nur leider erwischt es den falschen. Der Konsul Julius Scaeva überlebt das Attentat, und seine Macht im Staat ist nun beinahe grenzenlos. Genauso wie sein Hass auf Mia Corvere. Gejagt von den Assassinen der Roten Kirche und den Soldaten der itreyanischen Republik bricht Mia zu ihrer letzten großen Reise auf, um das Geheimnis ihrer Herkunft zu lüften und herauszufinden, wie sie Scaeva besiegen kann. Doch sie muss sich beeilen, denn das nächste Wahrdunkel naht, und Nacht fällt über die Republik. Für LeserInnen von epischer Fantasy und Fans von Sarah J. Maas, V. E. Schwab und Leigh Bardugo, Patrick Rothfuss und Anthony Ryan.

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Seitenzahl: 1014

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Jay Kristoff

Nevernight

Die Rache

Roman

Aus dem australischen Englisch von Kirsten Borchardt

FISCHER E-Books

Für meine Leser

Ohne euch hätte ich es auch nicht geschafft

Tja, und hier sind wir wieder, edle Freunde.

Ich glaube, ich muss mich bei euch entschuldigen. Sowohl für das Ende des zweiten Teils von Mias Geschichte als auch für den aufgewühlten Zustand, in dem ich euch zurückließ. Seid versichert, dass dies nicht wieder vorkommen wird, denn schließlich folgt nun unser letztes gemeinsames Tänzchen. Wie versprochen wurdet ihr Zeuge von Mias Geburt, wurdet Zeuge ihres Lebens. Nun bleibt nur noch ihr Tod.

Aber bevor die Unanständigkeiten und das Gemetzel so richtig losgehen, gestattet mir eine letzte Auffrischung zugunsten all jener, deren Erinnerungsvermögen nicht so verlässlich ist wie das eures Erzählers. Und dann können wir endlich damit loslegen, unser mordlustiges kleines Miststück umzubringen, ja?

Dramatis Personae

Mia Corvere – Assassine der Roten Kirche, Gladiatorin der Falken des Remus und jetzt die berüchtigtste Mörderin der itreyanischen Republik. Mia, Kind einer gescheiterten Rebellion, hat die letzten acht Jahre ihres Lebens damit zugebracht, eine tödliche Vendetta gegen die Männer zu führen, die ihre Familia zerstörten.

Nachdem sie entdeckte, dass die Rote Kirche am Mord an ihrem Vater beteiligt war, sagte sich Mia von den Assassinen los und verkaufte sich selbst an eine Gladiatorenstaffel. Nachdem sie die Großen Spiele von Gottesgrab gewonnen hatte, machte sie in schneller Folge eine Reihe erstaunlicher Entdeckungen:

Ihr kleiner Bruder Jonnen, den sie für tot gehalten hatte, war von ihrem Todfeind, Konsul Julius Scaeva, entführt und als sein Sohn aufgezogen worden.

Jonnen ist tatsächlich Scaevas Sohn. Was bedeutet, dass Mias Mutter Alinne mit dem Mann schlief, der den Mord an ihrem Ehemann veranlasste und sie selbst im Stein der Weisen verrotten ließ.

Wie Mia selbst ist auch Jonnen dunkelinn und besitzt die Fähigkeit, die Schatten zu beherrschen.

Am Ende der Großen Spiele ermordete Mia Großkardinal Francesco Duomo. Anscheinend tötete sie auch Scaeva und brachte ihren Bruder in ihre Gewalt, bevor sie sich mit ihm in eine geflutete Arena voller Sturmdraken stürzte, dem fast sicheren Tod entgegen.

… Bei den Zähnen der Gurgel, das war wirklich ein spannungsgeladenes Finale, was?

 

Herr Freundlich – Mias Vertrauter seit ihrer Kindheit. Er ist – je nachdem, wen man fragt – ein Dämon, Mitreisender oder Vertrauter, und er besitzt die Fähigkeit, die Angst eines Menschen zu verzehren. Er besteht aus Schatten und Sarkasmus. Trotz seines beißenden Humors ist er Mia offensichtlich in tiefer Zuneigung verbunden. Aber lasst ihn das bloß nicht hören.

Er erscheint in Gestalt einer Katze, obwohl sein Äußeres seinem eigentlichen Wesen nicht ganz gerecht wird.

 

Eclipse – ein weiterer Schattendämon. Sie war die Mitreisende von Lord Cassius, dem früheren Herrn der Klingen der Roten Kirche, und sie band sich an Mia, als Cassius starb.

Eclipse erscheint in Gestalt einer Wölfin, und sie und Herr Freundlich kommen genauso gut miteinander zurecht, wie man es Hunden und Katzen gemeinhin nachsagt.

 

Ashlinn Järnheim – eine Akolythin der Roten Kirche vaanianischer Abstammung. Ashlinn verriet die Meister, um ihren Vater Torvar zu rächen, und schaffte es beinahe, die Rote Kirche zu vernichten. Nachdem Mia ihre Pläne durchkreuzt hatte, trat Ashlinn in den Dienst von Kardinal Duomo, der sie mit der Aufgabe betraute, die Karte einer unbekannten Gegend im alten Ysiir zu besorgen – eine Karte, die für die Rote Kirche von entscheidender Bedeutung ist. Da sie selbst befürchtete, verraten zu werden, ließ Ashlinn sich die Karte mit spezieller arkemischer Tinte so auf den Rücken tätowieren, dass sie im Fall ihres Todes spurlos verschwinden würde.

Ashlinn half Mia bei ihrem Plan, die Großen Spiele zu gewinnen, und die beiden verliebten sich schließlich in einander.[1]Nach dem Ende der Spiele wurde Ashlinn von den Meistern der Roten Kirche und dem – sehr lebendigen – Konsul Scaeva überrascht, und sie erfuhr, dass Mia lediglich einen Doppelgänger getötet hatte, erschaffen von der Körperweberin Marielle, und dass Scaeva mit der Roten Kirche paktiert hatte, um seinen Rivalen, Kardinal Duomo, aus dem Weg zu räumen.

Und als ob das alles noch nicht gereicht hätte, enthüllte Scaeva zudem, dass er Mias Vater sei.

Dann wurde Ashlinn von den Assassinen der Roten Kirche angegriffen, aber von einer vertrauten, schattenhaften Gestalt gerettet …

 

Tric – ein Akolyth der Roten Kirche, halb Itreyaner und halb Dweymeri, der früher ebenfalls Mias Geliebter war. Er wurde von Ashlinn Järnheim ermordet, als sie versuchte, die Meister der Roten Kirche in ihre Gewalt zu bringen, und sein Leichnam stürzte vom Stillen Berg tief in den Abgrund.

Tric ist offenbar wieder ins Leben zurückgekehrt, wenn auch in einer dunklen, von Magik erfüllten Gestalt. Er zeigte sich Mia in der Nekropole von Galante, wo er sich ihr zwar nicht offenbarte, ihr aber mehrere kryptische Warnungen mit auf den Weg gab. Später rettete er Ashlinn vor den Angreifern der Roten Kirche.

Wie es ihm gelang, aus dem Reich der Schwarzen Mutter zurückzukehren, oder wieso er ausgerechnet seine Mörderin rettete, darüber kann nur spekuliert werden.

 

Der alte Mercurio – Mias Vertrauter und Mentor, bevor sie in die Rote Kirche eintrat. Mercurio war selbst lange Jahre eine Klinge der Kirche und diente ihr später als Bischof von Gottesgrab. Zwar ist er ein notorisch schlechtgelaunter alter Sack, aber er half Mia bei ihrem Plan, Duomo und Scaeva zu töten, obwohl ihm bewusst war, dass er damit den Zorn der Meister auf sich ziehen würde.

Beim Finale der Großen Spiele wurde er von der Kirche gefangen genommen und in den Stillen Berg gebracht, auf Befehl von …

 

Julius Scaeva – dreimal hintereinander gewählter Konsul der itreyanischen Republik, bekannt als »Senator des Volkes«. Das Amt des Konsuls soll eigentlich stets von zwei Personen ausgefüllt werden, aber seit der Königsmacher-Rebellion vor acht Jahren hat Scaeva die alleinige Führung des Senats übernommen.

Er verlängerte seine Amtszeit und arbeitet seither mit der Roten Kirche daran, sich zum Imperator ernennen zu lassen und mittels einer Notstandsgesetzgebung dauerhaft die Macht über die Republik zu erlangen. Er überwachte die Hinrichtung von Mias Vater und verurteilte seine eigene Geliebte, Mias Mutter, zum Tod im Stein der Weisen, er entführte Mias kleinen Bruder und befahl, Mia selbst in einem Kanal zu ersäufen, obwohl er wusste, dass sie seine Tochter war.

Das Wort »Fotze« erscheint noch viel zu zahm für ihn.

Was uns auf eine andere Person bringt …

 

Drusilla – die Herrin der Klingen in der Roten Kirche, die trotz ihres hohen Alters zu den tödlichsten Assassinen der Republik zählt. Zwar behauptet sie, treu der Schwarzen Mutter Niah zu dienen, im Geheimen arbeitet sie aber daran, Scaeva die Herrschaft über die itreyanische Republik zu verschaffen.

Die Herrin der Klingen hegt eine Abneigung gegen Mia, seit ihre damalige Schülerin bei der Akolythenprüfung scheiterte. Es steht nicht zu vermuten, dass Mia seitdem in Drusillas Gunst gestiegen ist.

 

Solis – der Verehrte Vater und Shahiid der Lieder, Meister der Kampfkunst und der griesgrämigste Mensch der Welt. Er ist blind, lässt aber beim Fechten keinerlei Behinderung erkennen. Solis war einst Gefangener im Stein der Weisen und wurde zum einzigen Überlebenden einer brutalen Auslese, die als »Abstieg« bekannt ist und bei der die Gefangenen sich gegenseitig umbringen, da dem letzten Überlebenden die Freiheit winkt. Sein Sieg trug ihm den Namen Solis ein, der in der Sprache des Alten Ysiir »Der Letzte« bedeutet.

Mia brachte ihm bei ihrem ersten Fechtkampf im Stillen Berg eine Wunde im Gesicht bei. Er schlug ihr dafür den Arm ab. Seine Narbe behielt er, ebenso wie den Groll auf das Mädchen, das sie ihm beigebracht hatte.

 

Spinnentod – Shahiide des Saals der Wahrheiten und Herrin der Gifte. Mia war eine von Spinnentods begabtesten Akolythinnen, aber die Shahiide hatte ihr bereits die Gunst entzogen, noch bevor Mia beschloss, die Lehren der Kirche zu verraten.

Falls sie euch je ein Glas Goldwein anbietet, würde ich euch unbedingt dazu raten, es abzulehnen.

 

Mauser – Meister des Diebstahls und Shahiid der Taschen. Ein charmanter Kerl mit dem Gesicht eines jungen Mannes, den Augen eines alten und einem Faible für Damenunterwäsche.

Vor ihrem Verrat hatte Mauser nichts gegen Mia, aber man kann davon ausgehen, dass sie dank ihrer jüngsten Schweinereien inzwischen von seiner Geschenkeliste für das Große Zinsfest gestrichen worden ist.

 

Aalea – Meisterin der Geheimnisse und Shahiide der Masken. Die Zahl der Morde, die auf das Konto dieser verführerischen Schönheit gehen, wird nur durch die Zahl der Kerben an ihrer Bettkante übertroffen.

Sie mochte Mia vor ihrem Verrat tatsächlich sehr gern, aber wer sich seine Position als Meisterin der Roten Kirche erhalten will, kann sich keine Sentimentalitäten leisten.

 

Marielle – eine der beiden Albino-Sorcerii, die der Roten Kirche dienen. Marielle ist Meisterin des Körperwebens, einer Form uralter Magik, die im untergegangenen Imperium von Ysiir praktiziert wurde. Sie kann Haut und Muskeln formen wie Ton, aber der Preis, den sie für diese Fähigkeit zahlt, ist hoch – ihr eigener Körper ist schrecklich deformiert, und es steht außerhalb ihrer Macht, etwas daran zu ändern.

Ebenso wie ihr Äußeres verstört die Tatsache, dass sie ihrem Bruder Marius ein wenig zu sehr zugetan ist.

 

Marius – der zweite Sorcerii, der im Stillen Berg dient. Marius ist ein Blutbeschwörer, der mit dem menschlichen Vitus arbeitet – er kann unter Zuhilfenahme von Blut Nachrichten übermitteln, es allein durch die Kraft seiner Gedanken manipulieren und Menschen und Objekte aus organischen Stoffen mittels der Blutbäder in den Kapellen der Roten Kirche über weite Strecken transportieren. Dank Marielles Künsten ist er unvergleichlich attraktiv.

Er tötete Ashlinns Bruder Osrik während des Luminatii-Angriffs auf den Berg, und er steht in Mias Schuld, da sie ihm das Leben rettete.

 

Aelius – der Chronist des Stillen Berges. Aelius ist der Meister des großen Athenaeums der Roten Kirche, einer riesigen und stetig wachsenden Bibliothek aus Büchern, die entweder zerstört wurden, im Laufe der Zeit verlorengingen oder überhaupt niemals geschrieben wurden. Er liegt im Streit mit den riesigen fleischfressenden »Bücherwürmern«, die im Dunkel zwischen den Regalreihen unterwegs sind, und seine Aufgaben werden zusätzlich durch den Umstand erschwert, dass er, wie alles andere in der Bibliothek der Schwarzen Mutter, tot ist.

Aber auch Tote brauchen etwas, wofür sie leben können …

 

Naev – eine Gehilfin der Roten Kirche, die Versorgungskarawanen für die Rote Kirche durch die Wisperwüste Ysiirs führt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten wurden sie und Mia Freundinnen und Vertraute.

Naev wurde von der Weberin Marielle aus Eifersucht entstellt, da sie eine Affäre mit ihrem Bruder Marius hatte. Aber nachdem Mia den Angriff der Luminatii auf den Stillen Berg hatte vereiteln können, erklärte sich Marielle als Gefälligkeit gegenüber ihrer Retterin bereit, Naevs Schönheit wiederherzustellen.

Naev trägt weiterhin einen Schleier und verbirgt damit nicht nur ihr Gesicht, sondern auch ihre Gefühle.

 

Husch – eine Klinge der Roten Kirche. Husch gilt als stumm und kommuniziert in einer Art Zeichensprache, die Lautlos genannt wird.

Obwohl er und Mia gemeinsam als Akolythen im Stillen Berg lebten und er ihr bei den Prüfungen half, steht er treu zu den Meistern. Er versuchte, Ashlinn auf Geheiß der Kirche zu fangen, was jedoch von Tric verhindert wurde.

 

Francesco Duomo – Großkardinal der Kirche des Lichts und mächtigster Mann in der Priesterschaft des Ewigsehenden. Auch wenn es den Eindruck erweckte, als stünde er mit Julius Scaeva im Bunde, waren Kardinal und Konsul tatsächlich Erzfeinde. Gemeinsam mit Scaeva und dem Justicus Marcus Remus fällte Duomo die Urteile gegen die Drahtzieher der gescheiterten Königsmacher-Rebellion, zu denen auch Mias Vater Darius zählte.

Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Mia die Entscheidung des Kardinals persönlich nahm – und ihm schließlich vor hunderttausend schreienden Menschen den Bart so heftig stutzte, dass der Schnitt bis auf den Knochen ging.

 

Alinne Corvere – Mias Mutter, eine beeindruckende Politikerin, der es beinahe gelungen wäre, die itreyanische Republik zu zerstören. Ihre Ehe mit dem Justicus Darius gründete sich, wie sich herausstellte, auf Freundschaft und politischem Kalkül; Alinne war gleichzeitig die Geliebte von Julius Scaeva, dem sie zwei Kinder gebar, Mia und Jonnen.

Trotz ihrer Beziehung zeigte Scaeva keinerlei Skrupel, sie nach der gescheiterten Rebellion ihres Mannes fallenzulassen. Alinne wurde im Stein der Weisen eingekerkert und starb elendig in geistiger Umnachtung.

Mia hat erst vor kurzem erfahren, dass sie nicht die Lichtgestalt war, für die sie ihre Mutter früher immer hielt.

 

Darius »Königsmacher« Corvere – der Mann, den Mia »Vater« nannte. Als Justicus der Luminatii-Legion schuf Darius mit seinem Geliebten, dem General Gaius Maxinus Antonius, ein Bündnis zu dem Zweck, Antonius zum König von Itreya krönen zu lassen.

Beide Männer wurden jedoch mit Unterstützung der Roten Kirche am Abend vor der entscheidenden Schlacht gefangen genommen, und Darius wurde Seite an Seite mit Antonius gehängt.

 

Jonnen Corvere – Mias kleiner Bruder. Nachdem sie zunächst glaubte, dass er ebenso wie seine Mutter im Stein der Weisen zugrunde gegangen sei, erfuhr Mia vor kurzem, dass der Junge als Scaevas leiblicher Sohn unter dem Namen »Lucius« aufwuchs – Scaevas Ehefrau Liviana ist offenbar nicht in der Lage, Kinder zu gebären.

Jonnen hat keine Ahnung von seiner wahren Abstammung und war zurzeit seiner Entführung noch zu klein, um sich an seinen echten Namen oder an seine Schwester zu erinnern.

 

Furian – der Ungefällte und Champion der Remus-Staffel. Furian war dunkelinn wie Mia und konnte die Schatten nach seinem Willen formen. Er hatte jedoch keinen Mitreisenden und weigerte sich, seine Gabe zu erforschen, da er sie für abartig hielt.

Mia tötete Furian auf dem Höhepunkt der Großen Spiele. Im Augenblick seines Todes hatte sie eine kurze Vision, in der eine große, leuchtende Kugel am nächtlichen Himmel stand, und sie hörte die Worte: Die vielen waren eins. Und werden es wieder sein.

Nach dieser phantastischen Erscheinung erkannte Mia, dass ihr Schatten dunkel genug für vier geworden war.

 

Sidonius – ein ehemaliger Luminatii-Soldat, der unter Darius Corvere diente. Sid wurde unehrenhaft aus der Legion entlassen, nachdem er sich geweigert hatte, an General Antonius’ geplanter Rebellion gegen den Senat teilzunehmen. Er wurde als Sklave verkauft und schließlich vom Haus Remus erworben, für das er als Gladiatii im Venatus Magni kämpfte.

Als Mia zur gleichen Staffel stieß, entdeckte Sidonius ihre wahre Identität und nahm die junge Klinge wie ein älterer Bruder unter seine Fittiche.

Er hat die Manieren eines Ziegenbocks und den Mut eines Löwen.

 

Die Falken des Remus – Klingensängerin, Bryn, Wogenreiter, Metzger, Felix und Albanus – sind allesamt Gladiatii der Remus-Staffel und waren bei den Spielen Mias Freunde und Verbündete. Während sie den Eindruck erweckte, ihre Staffel betrogen und sämtlich ermordet zu haben, gelang es Mia, den Gladiatii stattdessen die Flucht aus Gottesgrab zu ermöglichen.

Gegenwärtig sind sie irgendwo in Itreya unterwegs, vermutlich ziemlich betrunken.

 

Aa – Oberhaupt des itreyanischen Pantheons, Vater des Lichts, auch der Ewigsehende genannt. Die drei Sonnen – bekannt als Saan (Sehend), Saai (Wissend) und Shiih (Beobachtend) – gelten als seine Augen, und tatsächlich ist meist mindestens eine am Himmel zu sehen. Das führt dazu, dass eine echte Nacht, auch Wahrdunkel genannt, nur alle zweieinhalb Jahre für eine Woche eintritt. Zurzeit unserer Erzählung herrscht gerade Wahrlicht – die Zeit, in der alle drei Sonnen am Himmel leuchten, die sich aber bereits wieder dem Ende nähert.

Wahrdunkel rückt näher, edle Freunde.

 

Tsana – die Herrscherin des Feuers, jene, die unsere Sünden hinfortbrennt, die Reine, die Schutzgöttin der Frauen und der Krieger und die erstgeborene Tochter von Aa und Niah.

 

Keph – die Herrscherin der Erde, jene, die ewig schläft, die Esse, Schutzgöttin der Träumer und Narren und die Zweitgeborene von Aa und Niah.

 

Trelene – die Herrscherin der Meere, jene, die einmal die Welt trinken wird, das Schicksal, Schutzgöttin der Seeleute und Halunken, die drittgeborene Tochter von Aa und Niah und Zwillingsschwester von Nalipse.

 

Nalipse – Herrscherin der Stürme, jene, die sich erinnert, die Gnadenreiche, Schutzgöttin der Heiler und Anführer, Viertgeborene von Aa und Niah und Zwillingsschwester von Trelene.

 

Niah – die Gurgel, Mutter der Nacht und Unsere hohe Frau gesegneten Mordes. Als Schwesterweib des Aa herrscht Niah über ein lichtloses Gebiet im Jenseits, das als der Abgrund bekannt ist. Ursprünglich übernahmen sie und Aa die Herrschaft über den Himmel zu gleichen Teilen. Doch dann widersetzte sich Niah dem Gebot ihres Gatten, nur Töchter zu gebären, und schenkte Aa einen Sohn.

Zur Strafe wurde sie von ihrem Geliebten vom Himmel verbannt und darf nur alle paar Jahre für kurze Zeit zurückkehren.

Und was geschah eigentlich mit ihrem Sohn?

Nun, edle Freunde, ich denke, jetzt ist es an der Zeit für einige Antworten.

Wenn überall Blut ist,

ist Blut das Einzige.

WAHLSPRUCH DER FAMILIA CORVERE

Erstes BuchDas Dunkel im Innern

1Bruder

Acht Jahre Gift und Mord und Scheiße.

Acht Jahre Blut und Schweiß und Tod.

Acht Jahre.

Tief war sie gestürzt, den kleinen Bruder in den Armen, die Finger klebrig und rot. Über ihr das Licht der drei Sonnen, brennend und blendend. Unter ihr das Wasser der gefluteten Arena, rot vor Blut. Der Mob tobte, verstört und wütend über den Mord an seinem Großkardinal, seinem geliebten Konsul, die beide von der Hand des gefeierten Champions gefällt worden waren. Die größten Spiele in der Geschichte Gottesgrabs gingen mit den kühnsten Morden in der Geschichte der Republik zu Ende. In der Arena herrschte das Chaos. Aber inmitten all dessen, inmitten der Schreie, des Gebrülls, der Wut, kannte Mia Corvere nur den Triumph.

Nach acht Jahren.

Nach acht verdammten Jahren.

Mutter.

Vater.

Ich habe es geschafft.

Ich habe sie für euch getötet.

Sie traf hart auf die Wasseroberfläche auf, und alles, was sie sah und hörte, ging unter, als das Wasser sie umschloss. Salz brannte in ihren Augen. Der Atem brannte in ihren Lungen. Noch immer dröhnte das Gebrüll der Zuschauer in ihren Ohren. Ihr kleiner Bruder Jonnen zappelte, schlug um sich und wand sich in ihren Armen wie ein Fisch auf dem Trockenen. Sie spürte die schlangenhaften Schatten der Sturmdraken, die ihr durch die Dämmernis entgegenschossen. Mit toten Augen und einem Lächeln wie Rasiermesser.

Das Wahrlicht war so hell, selbst hier unter der Wasseroberfläche. Aber trotz der schrecklichen Sonnen oben am Himmel, trotz der Brutalität, mit der der Ewigsehende auf sie hinunterstarrte, waren ihre eigenen Schatten bei ihr. Jetzt dunkel genug für vier. Und Mia hielt auf den Ausfluss im Boden der Arena zu – auf die große Öffnung, aus der all das Salz und das Wasser herausströmte

 

  und sie

 

      trat

 

        in die

 

           Schatten

 

               in ihrem Innern.

 

Nach dem Schattenschritt war ihr schwindlig und elend, und sie spürte noch immer das blendende Licht der Sonnen am Himmel über ihr. Mia sank mit ihrer Rüstung wie ein Stein in die Tiefe, hinabgezogen von dem schwarzen Stahl und den durchweichten Falkenflügeln. Dabei zog sie Jonnen mit sich hinab und kam schließlich mit einem dumpfen Klonk auf dem Boden der Ausflussröhre auf. Jetzt blieben ihr nur wenige Augenblicke und der Atem in ihren Lungen. Und sie hatte nicht damit gerechnet, ein zappelndes Kind festhalten zu müssen.

Mühsam kämpfte sie sich mit dem Jungen ein Stück in die Röhre hinein, und tatsächlich war hier eine Luftblase, ganz wie Ashlinn gesagt hatte. Wild nach Atem ringend, tauchte sie auf und zog ihren kleinen Bruder mit sich. Der Junge spuckte Wasser, heulte, sträubte sich in ihren Armen und schlug nach ihrem Gesicht.

»Lass mich gehen!«, schrie er.

»Hör auf damit!«, keuchte Mia.

»Lass mich gehen!«

»Jonnen, hör auf, bitte!«

Schließlich umklammerte sie den Jungen so fest, dass er nicht mehr nach ihr schlagen konnte. Seine Schreie schallten von dem gewölbten Eisen über ihrem Kopf zurück. Mit ihrer freien Hand machte sie sich an den Schnallen und Riemen ihrer Rüstung zu schaffen, löste sie und zog sich die einzelnen Teile aus. Legte die Haut der Gladiatii ab, der Assassine, der Tochter der Rache, streifte sich die letzten acht Jahre von den Knochen. Es hatte sich gelohnt. Alles. Duomo war tot. Scaeva war tot. Und Jonnen, ihr Blut, der kleine Junge, von dem sie gedacht hatte, dass er schon lange tot und begraben war …

Mein kleiner Bruder lebt.

Der Junge trat um sich, wehrte sich, biss. Keine Tränen für seinen ermordeten Vater, nur Wut, wallend und rot. Mia hatte geglaubt, dass er schon vor Jahren gestorben war – verzehrt vom Stein der Weisen, der auch ihre Mutter und ihr letztes bisschen Hoffnung verschlungen hatte. Aber falls sie noch irgendwelche Zweifel gehabt hatte, dass er ein Corvere war, der Sohn ihrer Mutter, dann legten sie sich angesichts der glühenden Wut, die er jetzt zeigte.

»Jonnen, hör mir zu!«

»Ich heiße Lucius!«, kreischte er. Das Eisen um sie herum warf seine Worte als Echo zurück.

»Lucius, von mir aus, hör zu!«

»Nein!«, schrie er. »Du hast meinen V-vater umgebracht! Du hast ihn umgebracht!«

Mitleid wallte in Mia auf, aber sie biss die Zähne zusammen und schottete ihr Herz dagegen ab.

»Es tut mir leid, Jonnen. Aber dein Vater …« Sie schüttelte den Kopf, holte tief Luft. »Hör zu, wir müssen raus aus diesem Rohr, bevor sie die Arena wieder leerpumpen. Die Sturmdraken schwimmen auf diesem Weg zurück ins Meer, verstehst du?«[2]

»Lass sie doch kommen, ich hoffe, sie fressen dich!«

»… OH, ICH MAG IHN …«

»… wieso überrascht mich das nicht …«

Der Junge wandte sich um zu den dunklen Formen, die neben ihnen an der Wand Gestalt annahmen, und die Luft wurde plötzlich kalt. Eine Katze aus Schatten und eine ebensolche Wölfin starrten ihn mit ihren Nicht-Augen an. Herr Freundlichs Schwanz zuckte von einer Seite zur anderen, während er das Kind prüfend betrachtete. Eclipse neigte den Kopf und zitterte leicht. Jonnen verstummte kurz und starrte mit weit aufgerissenen, dunklen Augen zuerst Mias Mitreisende an, dann die junge Frau, die ihn festhielt.

»Du hörst sie auch …«, hauchte er.

»Ich bin wie du«, sagte Mia und nickte. »Wir sind gleich.«

Der Junge sah sie an, und vielleicht empfand er dieselbe Übelkeit, denselben Hunger wie sie. Mia erwiderte seinen Blick, und Tränen traten in ihre Augen. All die weiten Wege, all die Jahre …

»Du erinnerst dich nicht an mich«, flüsterte sie mit zitternder Stimme. »Du warst noch ganz klein, als sie dich geholt haben. Aber ich erinnere mich an dich.«

Für einen kurzen Augenblick drohten sie ihre Gefühle zu überwältigen. Die Tränen brannten in ihren Wimpern, ein Schluchzer blockierte ihre Kehle. Sie erinnerte sich an den kleinen Jungen, der in Windeln auf dem Bett ihrer Mutter gelegen hatte, an der Wende, als ihr Vater starb. Wie er mit seinen großen, dunklen Augen zu ihr emporgesehen hatte. Wie sie ihn darum beneidet hatte, dass er zu klein war, um zu wissen, dass ihr Vater dahingegangen war und mit ihm ihre ganze Welt.

Aber er war gar nicht Jonnens Vater, oder?

Mia schüttelte den Kopf und blinzelte die verhassten Tränen weg.

O Mutter, wie konntest du nur …

Als sie nun wieder den Jungen ansah, versagte ihr beinahe die Stimme. Sie musste sich dazu zwingen, den Mund zu öffnen, Atem zu holen, mit den Lippen die Worte zu formen, die in ihrer Brust brannten. Er hatte dieselben flintsteinschwarzen Augen wie sie, dasselbe tintenschwarze Haar. Sie konnte ihre Mutter in ihm so deutlich erkennen. Aber hinter ihrem Bild war da etwas in der Form von Jonnens kleiner Nase, an der Linie seiner kindlich-runden Wangen …

Sie konnte auch ihn erkennen.

Scaeva.

»Ich heiße Mia«, brachte sie endlich heraus. »Ich bin deine Schwester.«

»Ich habe keine Schwester«, stieß der Junge hervor.

»Jonn…« Mia unterbrach sich. Fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und schmeckte Salz. »Lucius, wir müssen hier weg. Ich werde dir alles erklären, das schwöre ich. Aber hier ist es zu gefährlich …«

»… ALLES WIRD GUT WERDEN, MEIN KLEINER …«

»… ganz ruhig atmen …«

Mia beobachtete ihre Dämonen dabei, wie sie in den Schatten des Jungen glitten und seine Angst verzehrten, so wie sie es immer für sie getan hatten. Aber während die Panik in Jonnens Augen abnahm, wuchs seine Wut nur noch mehr, und die angespannten Muskeln seiner kleinen Arme pressten sich plötzlich gegen ihre. Er wand sich hin und her und bäumte sich auf, konnte eine Hand ihrem Griff entwinden und krallte nach ihrem Gesicht.

»Lass mich los!«, schrie er.

Mia zischte, als sein Daumen ihr Auge erwischte, und schlug ihm die Hand mit einem Fauchen beiseite.

»Hör auf!«, fuhr sie ihn an. Zorn flackerte in ihr auf.

»Lass los!«

»Wenn du es nicht selbst tust, dann werde ich dafür sorgen, dass du stillhältst!«

Mia schubste den Jungen hart gegen die Wand des Rohrs und drückte ihm die Arme an den Körper, während er um sich trat und spuckte. Sie konnte seine Wut verstehen, aber jetzt war keine Zeit, um Rücksicht auf verletzte Gefühle zu nehmen. Mit der freien Hand machte sie sich wieder an den verbliebenen Schnallen ihrer Rüstung zu schaffen. Sie streifte die langen Lederriemen ab, die ihren Brustpanzer und die Schulterstücke hielten, und ließ sie auf den Boden der Röhre sinken. Die Stiefel behielt sie an, auch den nietenbeschlagenen Lederrock und das fadenscheinige, blutbefleckte Hemd. Mit den Riemen band sie ihrem Bruder die Handgelenke und die Knöchel zusammen wie einem Schwein, das zur Schlachtbank transportiert wurde.

»Befreie mich so-ffll-ggmm!«

Jonnens Proteste wurden erstickt, als Mia ihn mit einem weiteren Lederstück knebelte. Dann nahm sie den Jungen auf den Arm, drückte ihn an sich und sah ihm fest in die Augen.

»Wir müssen tauchen«, sagte sie. »Wenn ich du wäre, würde ich keine Luft fürs Rumschreien verschwenden.«

Dunkle Augen bohrten sich in ihre, schimmernd vor Hass. Aber der Junge schien vernünftig genug, um ihr endlich zu gehorchen; er holte tief Luft.

Mia zog sie in die Tiefe und schwamm um ihr Leben.

 

Eine halbe Stunde später tauchten sie in saphirblauem Wasser wieder auf und hörten als Erstes die läutenden Glocken.

Mit Jonnen im Arm war Mia durch die riesigen Wassertanks unter der Arena getaucht, durch die hallende Dunkelheit der Mekwerk-Rohre geschwommen, hatte überall, wo sich die Gelegenheit bot, Luft geholt und dann endlich ein paar hundert Fuß nördlich des Schwertarmhafens das Meer erreicht. Ihr Bruder hatte ihr die ganze Zeit über böse Blicke zugeworfen – mehr konnte er dank der Fesseln um Handgelenke, Fußknöchel und Mund nicht tun.

Mia fand es schrecklich, ihr eigen Fleisch und Blut derart zusammenschnüren zu müssen, aber sie wusste sich nicht anders zu helfen. Sie hätte ihn nicht dort auf dem Siegersockel zurücklassen können, neben den erkaltenden Leichen Duomos und Scaevas. Sie hätte ihn überhaupt nicht zurücklassen können. Aber bei all ihren schönen Plänen, die sie mit Ashlinn und Mercurio geschmiedet hatte, war nie vorgesehen gewesen, dass sie sich auf der Flucht mit einem Neunjährigen abplagte, der gerade den Mord an seinem Vater hatte mit ansehen müssen.

Seinem Vater.

Der Gedanke schwamm hinter ihren Augen, zu dunkel und zu schwer, als dass sie ihn länger hätte ansehen mögen. Sie schob ihn beiseite und konzentrierte sich darauf, sie beide in flacheres Wasser zu bringen. Ash und Mercurio warteten auf einer schnellen Galeere namens Sirenenlied auf sie, die am Schwertarmkai festgemacht hatte. Je schneller sie aus Gottesgrab herauskamen, desto besser. Die Nachricht von Scaevas Ermordung würde sich wie ein Lauffeuer in der Metropole verbreiten, und falls sie es nicht ohnehin schon erfahren hatten, würden die Mitglieder der Roten Kirche schon bald wissen, dass ihr reichster und einflussreichster Patron tot war. Ein Sturm aus Messern und Scheiße würde schon bald auf Mia herabregnen.

Während sie zu den Schwertarmkais hinüberschwamm, erkannte sie bereits, dass auf den Straßen der Metropole Chaos herrschte. Die Kathedralen der Stadt aus Brücken und Gebein läuteten die Totenglocken. Aus den Tavernen und den Mietshäusern strömten Menschen, verwirrt, erzürnt und verängstigt, während sich das Gerücht von Scaevas Ermordung in der Stadt ausbreitete wie Blut im Wasser. Legionäre waren überall, Rüstungen schimmerten im schrecklichen Licht der Sonnen.

Bei all dem Durcheinander beachtete niemand das heruntergekommene, blutende Sklavenmädchen, das mit einem gefesselten Jungen im Arm langsam zum Ufer paddelte. Indem sie sich vorsichtig einen Weg zwischen den Gondeln und Dingis suchte, die an den Stegen des Schwertarmhafens auf den Wellen tanzten, erreichte Mia schließlich die Schatten unter einer langen hölzernen Promenade.

»Ich werde uns hier kurz verstecken«, raunte sie ihrem Bruder zu. »Du wirst eine Weile nichts sehen können, aber du musst jetzt tapfer sein.«

Der Junge starrte sie unter den dunklen Locken, die ihm in die Stirn fielen, schweigend an. Mia streckte die Finger aus und wob ihren Schattenumhang um ihre und Jonnens Schultern. Bei dem strahlenden Wahrlicht um sie herum, bei dem brennenden, grellen Licht der Sonnen kostete sie das viel Kraft. Aber selbst jetzt, da sich ihre Mitreisenden ihrem Bruder angeschlossen hatten, war der Schatten unter Mia noch doppelt so tief wie vor Furians Tod. Ihr Griff um das Dunkel fühlte sich stärker an. Fester. Enger.

Sie erinnerte sich an die Vision, die sich ihr offenbart hatte, als sie den Ungefällten vor den Augen der bewundernden Menge erschlug. Vom Himmel über ihr, nicht grell und blendend, sondern pechschwarz und voller Sterne. Und von der blassen, perfekten Kugel, die hoch über ihr leuchtete.

Wie eine Sonne, aber dann auch wieder … nicht.

»DIE VIELEN WAREN EINS. UND WERDEN ES WIEDER SEIN.«

Das oder etwas Ähnliches hatte die Stimme gesagt, die sie gehört hatte. Ein Echo der Botschaft des essefernen Geistes mit den grabbeinernen Klingen, der ihr in der Nekropole von Galante die Haut gerettet hatte.

Mia wusste mit diesen Worten nichts anzufangen. Sie hatte niemals einen Mentor gehabt, der ihr hätte zeigen können, was es bedeutete, dunkelinn zu sein. Nie hatte sie eine Antwort auf das Rätsel ihres Daseins gefunden. Sie wusste es nicht. Konnte es nicht wissen. Aber eines wusste sie so sicher wie ihren eigenen Namen: Seit dem Augenblick, da Furian von ihrer Hand gestorben war, floss eine neue Kraft durch ihre Adern.

Irgendwie war sie … mehr als zuvor.

Die Welt erlosch, als sie ihren Schattenumhang um sich zog. Jonnen kniff die Augen zusammen, um in der Dämmernis hinter dem Mantel etwas erkennen zu können, und warf ihr misstrauische Blicke zu, aber wenigstens hatte er aufgehört zu zappeln. Mia folgte den Richtungsangaben, die ihr Herr Freundlich und Eclipse zuflüsterten, und kletterte langsam eine muschelbewachsene Leiter zum eigentlichen Steg empor, Jonnen noch immer unter einem Arm. Und dort, im Schatten eines Plattbodenschiffs, setzte sie sich auf den Boden, tropfnass, die Arme um ihren Bruder geschlungen, und wartete.

Herr Freundlich nahm im Schatten zu Jonnens Füßen Gestalt an und leckte sich eine durchsichtige Pfote. Eclipse trat aus dem Schatten des Jungen und hob sich schwarz vor dem Rumpf des Schiffes ab.

»… ICH KOMME WIEDER …«, knurrte die Nicht-Wölfin.

»… du fehlst uns jetzt schon …«, gähnte die Nicht-Katze.

»… OB DIR DEINE ZUNGE WOHL AUCH FEHLEN WIRD, WENN ICH SIE DIR AUS DEM MAUL REISSE …?«

»Schluss jetzt, ihr beide«, zischte Mia. »Beeil dich, Eclipse.«

»… GANZ, WIE DU BEFIEHLST …«

Der Schattenwolf huschte davon, über die Spalten zwischen den Stegplanken und über die Hafenmauer.

» … ich hasse diese töle …«, seufzte Herr Freundlich.

»Ja, hast du schon erwähnt«, brummte Mia. »So ungefähr tausendmal.«

»… nicht öfter …?«

Trotz ihrer Erschöpfung verzogen sich Mias Lippen zu einem Lächeln.

Herr Freundlich fuhr mit seiner sinnlosen Pfotensäuberung fort, und Mia saß lange Zeit da und hielt ihren Bruder fest, während ihre Muskeln schmerzten, das Salzwasser in ihren Wunden biss und die Sonnen auf sie niederbrannten. Sie war müde, zerschlagen und blutete aus einem Dutzend Wunden, die sie sich bei den Kämpfen in der Arena zugezogen hatte. Das Adrenalin ihres Sieges schwächte sich allmählich ab und wich einer tiefen Müdigkeit, die bis in ihre Knochen drang. An dieser Wende hatte sie bereits zwei große Schlachten geschlagen, ihren Gladiatii-Kameraden von der Remus-Staffel die Flucht aus der Sklaverei ermöglicht, Dutzende von Menschen getötet, darunter Duomo und Scaeva, und den größten Wettstreit in der Geschichte der Republik gewonnen. Ihre Pläne waren allesamt aufgegangen.

Allmählich breitete sich eine Leere in ihr aus, die das Hochgefühl beiseitedrängte. Eine Erschöpfung, die ihr die Hände zittern ließ. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als ein weiches Bett und einen Zigarillo, um dann einen Schluck Albari-Goldwein und Ashlinns Lippen zu schmecken. Zu spüren, wie ihre Körper aufeinandertrafen, und dann tausend Jahre lang zu schlafen. Aber unter alldem, unter der Sehnsucht und der Müdigkeit und dem Schmerz, war sie vor allem eines, wenn sie auf ihren Bruder hinunterblickte …

Hungrig.

Es war ein ähnliches Gefühl wie damals in Gegenwart von Lord Cassius. Oder Furian. Sie hatte es bereits gespürt, als sie auf dem Sockel in der Mitte der Arena stand und den Jungen auf den Schultern seines Vaters sitzen sah. Sie spürte es auch jetzt, als sie ihn betrachtete – die Sehnsucht eines Puzzles, das ein Stück von sich selbst sucht.

Aber was bedeutet das?, fragte sie sich.

Und fühlt Jonnen genauso?

»… ich habe ein mieses gefühl, mia …«

Herr Freundlichs Flüstern ließ sie aufmerken. Die Schattenkatze tat nicht mehr länger so, als ob sie sich die Pfoten leckte, sondern sah aus Jonnens Schatten zur Stadt aus Brücken und Gebein hinüber.

»Was hätten wir zu fürchten?«, raunte sie. »Was getan ist, ist getan. Und wenn ich es recht betrachte, sind wir nicht einmal zu übel auf den Arsch gefallen.«

»… nun, du sitzt auf deinem …«

»Du hast nicht mal einen.«

Herr Freundlich betrachtete den Jungen, dem er sich angeschlossen hatte.

»… außer, dass wir offenbar unerwartetes gepäck aufgesammelt haben …«

Jonnen gab hinter seinem Knebel etwas Unverständliches von sich. Mia zweifelte nicht daran, dass es etwas Unflätiges gewesen war, sah aber weiter die Schattenkatze an.

»Du machst dir zu viele Sorgen«, meinte sie.

»… und du dir zu wenige …«

»Und wessen Schuld ist das? Du bist doch derjenige, der meine Ängste verschlingt.«

Der Dämon neigte den Kopf, verzichtete jedoch auf eine Antwort. Mia wartete schweigend und beobachtete hinter ihrem Schattenschleier die Stadt. Die Geräusche drangen gedämpft durch den Umhang, die Farben waren auf verwischte Flecke aus stumpfem Weiß und Terrakotta beschränkt. Aber sie hörte noch immer läutende Glocken, hastige Schritte, panikerfüllte Rufe.

»Der Konsul und der Kardinal erschlagen!«

»Assassine!«, schrie jemand. »Assassine!«

Mia sah auf Jonnen hinab und erkannte, dass er sie mit unverhohlenem Hass anstarrte. Und sie las seine Gedanken, als hätte er sie ausgesprochen.

Du hast meinen Vater ermordet.

»Er hat unsere Mutter ins Gefängnis geworfen, Jonnen«, sagte Mia dem Jungen. »Er hat sie elendiglich im Stein der Weisen verrecken lassen. Er hat meinen Vater getötet und viele hundert weitere Menschen. Erinnerst du dich nicht daran, wie ich auf dem Siegersockel stand und er dich mir entgegenwarf, um seine eigene erbärmliche Haut zu retten?« Sie schüttelte den Kopf und seufzte. »Es tut mir leid. Ich weiß, es ist schwer zu verstehen. Aber Julius Scaeva war ein Ungeheuer.«

Plötzlich bäumte sich der Junge auf und schlug ihr brutal die Stirn gegen das Kinn. Mia biss sich auf die Zunge, fluchte, packte ihren Bruder und drückte ihn fest an sich, während er sich erneut wild hin und her warf. Er zerrte an seinen mit Wasser vollgesogenen Fesseln und schürfte sich bei seinen Befreiungsversuchen die Haut auf. Aber er mochte noch so wütend toben, er war doch nur ein neunjähriger Junge. Mia hielt ihn einfach fest, bis ihn die Kräfte verließen, bis seine erstickten Schreie verstummten und er endlich mit einem leisen, wütenden Aufschluchzen in sich zusammensank.

Sie schluckte das Blut von ihrer Zunge hinunter und nahm ihn in ihre Arme.

»Irgendwann einmal wirst du es verstehen«, raunte sie. »Ich liebe dich, Jonnen.«

Er zappelte noch einmal kurz und hielt dann still. In der unbehaglichen Stille spürte Mia, wie es ihr kalt über den Rücken lief. Sie bekam eine Gänsehaut, und ihr Schatten wurde dunkler, als sie ein tiefes Grollen aus den Planken unter ihren Füßen hörte.

» … SIE SIND NICHT DA …«, verkündete Eclipse.

Mia blinzelte, und ihr Magen machte einen kleinen Satz. Dann kniff sie die Augen gegen das grelle Licht zusammen und sah zu dem dunkel verschwommenen Fleck der Sirenenlied hinüber, die ein paar Stege weiter sanft auf den Wellen schaukelte.

»Bist du sicher?«, fragte sie.

»… ICH HABE VOM BUG BIS ZUM HECK ALLES ABGESUCHT. MERCURIO UND ASHLINN SIND NICHT AN BORD …«

Mia schluckte und schmeckte dabei immer noch Salz auf der Zunge. Ihr Plan sah vor, dass Ash und ihr alter Lehrer sich in der Kapelle von Gottesgrab treffen, ihre Sachen packen, sich dann zum Hafen begeben und Mia auf dem Schiff erwarten sollten. Bei der Zeit, die sie gebraucht hatte, um von der Arena ins Meer und wieder an Land zu schwimmen …

»Sie müssten längst hier sein«, flüsterte sie.

»… pssst …«, raunte es zu ihren Füßen. »… hörst du das …?«

»Was denn?«

»… wie jemand richtig heftig … auf den arsch fällt …?«

Mia verzog den Mund und schob sich das nasse Haar über die Schulter. Ihr Herz schlug schneller, ihre Gedanken rasten. Es war einfach nicht möglich, dass sich Mercurio und Ash derart verspäteten – wo doch ihrer aller Leben auf dem Spiel stand.

»Es muss ihnen etwas passiert sein …«

»… ICH KÖNNTE IN DER KAPELLE NACHSCHAUEN UND DIR DANN BERICHT ERSTATTEN …?«

»Nein. Wenn sie … ich meine, sie beide …« Mia kaute an ihrer Lippe und rappelte sich dann trotz ihrer Erschöpfung auf. »Wir gehen zusammen.«

»… mit unserem neu erworbenen gepäck …?«

»Wir können ihn nicht einfach hierlassen, Herr Freundlich«, fuhr Mia ihn an.

Die Nicht-Katze seufzte.

»… es fällt jemand sogar richtig schmerzhaft auf den arsch, würde ich sagen …«

Mia sah auf ihren Bruder hinab. Der Junge wirkte zumindest für den Augenblick beruhigt, schmollend, zitternd, schweigsam. Er war klatschnass, die dunklen Augen voller Zorn. Aber da Herr Freundlich noch in seinem Schatten reiste, hatte er zumindest keine Angst. Und so stand Mia auf, zog Jonnen hoch und warf ihn sich mit schmerzverzerrter Grimasse über die Schulter. Er war so schwer wie ein Sack Backsteine, und seine knochigen Ellenbogen und Knie bohrten sich überall an den verkehrten Stellen in ihren Bauch und Rücken. Aber nach dem monatelangen Training in der Remus-Staffel war Mia hart wie ein Sargnagel, und sie war sich sicher, dass sie ihn trotz ihrer Verletzungen eine ganze Weile würde tragen können. Unter ihrem Schattenumhang machte sich das ungleiche Quartett auf, ertastete sich den Weg über den Steg und die belebte Promenade, während unter ihnen die sanften Wellen schmatzten.

Mia folgte den geflüsterten Anweisungen ihrer Mitreisenden und umging die Patrouillen der Legionäre und Luminatii, bis sie schließlich die Straßen jenseits des Hafens erreichte. Die Muskeln in ihren Schultern protestierten stöhnend gegen das Gewicht ihres Bruders, als sie verstohlen durch das Labyrinth der schmutzigen kleinen Gässchen eilte. Ihr Puls hämmerte in ihren Adern, ihr Magen vollführte langsame, kalte Überschläge. Eclipse schlich ihnen voran. Herr Freundlich begleitete noch immer Jonnen. Und ohne ihre Mitreisenden musste Mia ganz allein die beängstigenden Gedanken aushalten, was Mercurio und Ash betraf. Was konnte ihnen zugestoßen sein?

Luminatii?

Die Rote Kirche?

Was war da schiefgegangen?

Bei der Göttin, wenn ihnen wegen mir etwas passiert ist …

Der kleine Trupp zwängte sich durch schmale Durchgänge und überquerte kleine Brücken und Kanäle, bis er endlich den schmiedeeisernen Zaun erreichte, der die Nekropole der Stadt einfasste. Mias Stiefel machten auf dem Kies kaum ein Geräusch; sie hielt eine Hand vor sich ausgestreckt und tastete sich blind voran. Eclipses leises Flüstern, beinahe unhörbar über dem Läuten der Kathedralenglocken, führte sie durch die schiefen Tore zu den Häusern der Gottesgraber Toten, vorbei an langen Reihen großer Mausoleen und modriger Gräber. In einer von Unkraut überwachsenen Ecke des ältesten Teils der Nekropole trat sie durch eine Tür, die ein geschnitztes Relief aus menschlichen Schädeln zeigte. Dahinter wartete ein Gang, der zu den Knochenackern führte.

Es war süß und herrlich, aus dem Licht der schrecklichen Sonnen herauszukommen. Ihr brannte der Schweiß in den Wunden. Mia warf den Schattenumhang ab und ließ Jonnen von ihrer Schulter gleiten. Er war nur klein, aber, bei der Göttin, leicht war er nicht, und ihre Beine und ihr Rückgrat weinten beinahe vor Erleichterung, als sie ihn auf dem Boden der Kapelle absetzte.

»Ich werde dir jetzt die Füße losmachen«, sagte sie warnend. »Aber wenn du abzuhauen versuchst, fessele ich sie dir nächstes Mal noch fester.«

Der Junge gab hinter seinem Knebel keinen Ton von sich, sondern sah schweigend zu, wie sie sich hinkniete und den Riemen löste, der um seine Knöchel geschlungen war. Sie konnte das Misstrauen in seinen schwarzen Augen sehen, aber zumindest versuchte er nicht sofort, ihr zu entwischen. Mia zog ihm den Riemen durch die Handfesseln, stand auf und ging los, und der Junge musste ihr folgen wie ein schmollendes Hündchen an der Leine.

Still schritt sie durch die gewundenen Tunnel aus Oberschenkelknochen und Rippen, den Überbleibseln der Namenlosen, die sich kein eigenes Grab hatten leisten können. Nach der Betätigung eines verborgenen Hebels öffnete sich eine Geheimtür in einem Stapel verstaubter Knochen, und dann endlich glitt sie in die Kapelle der Roten Kirche, die sich dahinter verbarg.

Leise folgte sie den gewundenen Gängen, die an den Skeletten lang Verblichener vorüberführten. Jonnen stolperte hinter ihr her und starrte die vielen Knochen um sie herum mit großen Augen an. Aber auch hier, umgeben von den Toten, verharrte Herr Freundlich eingerollt in seinem Schatten und hielt die schlimmste Angst in Schach, während sie sich weiter ins Innere der Kapelle hineinwagten.

Die Flure waren dunkel.

Still.

Leer.

Irgendwie verkehrt.

Mia spürte es beinahe sofort. Es lag in der Luft. Der leichte Geruch von Blut war in einer Kapelle der Hohen Frau gesegneten Mordes nicht weiter ungewöhnlich. Das noch gut wahrnehmbare Aroma einer Grabsteinbombe und verbrannten Pergaments hingegen schon.

In der Kapelle war es viel zu still.

Misstrauen war ihre zweite Natur, daher zog Mia Jonnen enger an sich und wirkte wieder den Schattenumhang um ihre Schultern. Dann schlich sie beinahe blind weiter. Jonnens Atem schien in der Stille viel zu laut, und ihre Hand, die seine Leine umklammert hielt, glänzte vor Schweiß.

In einem knochengesäumten Korridor blieb Mia stehen, und die Härchen in ihrem Nacken richteten sich auf. Sie wusste es, noch bevor sie Eclipses warnendes Knurren hörte.

»… HINTER DIR …«

Der Dolch blitzte in der Dunkelheit auf, silbern schimmernd, schwarz vor Gift. Mia fuhr herum, das feuchte Haar zuckte wie ein langes schwarzes Band hinter ihr her, und ihr Rückgrat formte einen perfekten Bogen. Die Klinge segelte an ihrem Kinn vorbei und verfehlte sie nur um Haaresbreite. Mit der freien Hand kam sie auf dem Boden auf, dann federte sie mit wild schlagendem Herzen wieder in den Stand.

Ihr Verstand raste, verwirrt runzelte sie die Stirn. Unter ihrem Schattenumhang war sie beinahe blind, sicher – aber die Welt hätte auch ihr gegenüber blind sein sollen.

Blind.

O Göttin.

Er trat aus dem Dunkel, und trotz seines massigen Körpers machte er keinerlei Geräusch. Seine graue Lederkleidung spannte sich straff über den breiten Schultern. An seinem Gürtel hing die stets leere Scheide, in deren dunkles Leder ein Muster aus konzentrischen Kreisen geprägt war, die an Augen erinnerten. Sechsunddreißig kleine Narben waren in seinen Unterarm geritzt – eine für jedes Leben, das er im Namen der Roten Kirche beendet hatte. Seine Augen waren milchig weiß, aber Mia sah, dass seine Augenbrauen gänzlich verschwunden waren. Die früher einmal blonden Haarstoppeln waren schwarz gekräuselt, als seien sie versengt worden, und die vier Spitzen, in die sein Bart auslief, waren nur noch verkohlte Stummel.

»Solis.«

Sein Gesicht war von wabernden Schatten umgeben, die blinden Augen sahen zur Decke. Er zog zwei kurze, zweischneidige Klingen aus den Scheiden auf seinem Rücken, beide dunkel vor Gift. Und obwohl Mia unter ihrem Umhang steckte, sprach er sie direkt an.

»Du verräterische Fotze«, knurrte er.

Mia griff mit der freien Hand nach dem grabbeinernen Dolch. Und ihr sank das Herz, als ihr klarwurde, dass sie ihn in der Brust von Konsul Scaeva hatte stecken lassen.

»Ach du Scheiße«, flüsterte sie.

2Knochenacker

Der Verehrte Vater der Roten Kirche trat vor, die Klingen erhoben.

»Ich hatte mich gefragt, ob du dumm genug sein würdest, hierher zurückzukehren«, zischte er.

Mia packte den Riemen, an dem sie ihren Bruder festhielt, mit schwitzigen Fingern fester. Dann spürte sie eine Bewegung, sah hastig über ihre Schulter und entdeckte einen schlanken Jungen mit erstaunlich blauen Augen, der aus den Schatten der Nekropole trat. Er war totenbleich und in ein versengtes schwarzes Wams gekleidet. Zwei Messer schimmerten in seinen Händen, die Klingen schwarz vor Gift.

Husch.

»Na?«, schnauzte Solis. »Hast du nichts zu sagen?«

Mia blieb stumm und fragte sich, wie es Solis überhaupt gelungen war, sie unter ihrem Schattenumhang wahrzunehmen. Allein durch Gehör? Durch den Geruch von Schweiß und Blut? Aber wie auch immer, sie war erschöpft, unbewaffnet, verletzt – und nicht in der Verfassung zu kämpfen. Herr Freundlich spürte die Angst, die sich kalt in ihrem Bauch ausbreitete, und er glitt aus dem Schatten des Jungen in ihren eigenen. Und als der Dämon das Dunkel zu seinen Füßen verließ, trat der kleine Jonnen Mia hart gegen das Schienbein und entriss seine Hände ihrem schweißnassen Griff.

»Jonnen!«, schrie sie.

Der Junge wandte sich um und rannte los. Mia griff nach ihm, streckte die Hand aus und versuchte, ihn noch festzuhalten. Solis hob seine Klingen, senkte den Kopf und griff an.

Mia wich seitlich aus, und die Klinge des Shahiids pfiff an ihrer Wange vorüber, während Husch sich ihr von hinten näherte. Mit einer schnellen Drehung warf sie ihren Schattenumhang ab, wirkte die Schatten und schlang sie nun um Huschs Füße. Er stolperte, fiel hin, und Mia duckte sich unter dem nächsten weit ausholenden Schlag, den Solis gegen sie führte. Ein schneller Blick in den kühlen, dunklen Korridor hinter dem Shahiid zeigte ihr, dass Jonnen den Weg zurücklief, den sie gekommen waren. Und mit zusammengebissenen Zähnen

 

               trat sie

 

      in die Düsternis

 

             hinter Solis Rücken

 

 und rannte hinter ihrem fliehenden Bruder her.

»Jonnen, bleib stehen!«

Eclipse knurrte warnend, und Mia warf sich zur Seite, als einer von Solis’ kurzen Dolchen aus der Schwärze auf sie zuflog. Er bohrte sich in die Knochenwand, die vor ihr aufragte, und blieb zitternd in einem lang schon verblichenen Schädel stecken, während sie eine scharfe Kurve nahm. Mia packte die Waffe, als sie daran vorüberkam, riss sie aus dem Gebein und umklammerte sie fest mit der Linken, während sie weiterlief.

So schnell er mit seinen kurzen Beinen auch rannte, Jonnen war schnell eingeholt. Als Mia hinter ihm durch den Korridor gestürmt kam, warf er einen Blick über seine Schulter und sprintete noch einmal richtig los. Seine Hände waren noch immer gefesselt, aber es war ihm gelungen, den Knebel aus seinem Mund zu ziehen, und daher brüllte er laut, als sie ihn packte und ihn sich unter den Arm klemmte.

»Lass mich los!«, schrie er und zappelte wütend.

»Jonnen, sei still!«, zischte Mia.

»Lass mich los!«

»… magst du ihn immer noch …?«, flüsterte Herr Freundlich aus Mias Schatten.

»… MIT JEDEM AUGENBLICK EIN BISSCHEN WENIGER …«, gab Eclipse zurück, die die Vorhut übernahm.

»… tja, dann weißt du jetzt, was ich dir gegenüber empfinde …«

»Haltet die Klappe, ihr zwei!«, keuchte Mia.

Sie stieß gegen eine Knochenwand und stolperte um die nächste Ecke, Solis und Husch dicht auf den Fersen. Mit einem Tritt stieß sie die Tür zur Grabkammer auf, schoss die bröckelnden Stufen der Treppe hinauf und tauchte wieder ins scheußlich gleißende Licht der drei brennenden Sonnen. Obwohl Herr Freundlich sich an ihrer Angst gütlich tat, drohte ihr das Herz aus der Brust zu springen.

Die ganze Wende hatte sie schon um ihr Leben kämpfen müssen, und jetzt war sie nicht in der Verfassung, gegen eine bewaffnete Klinge der Roten Kirche anzutreten, schon gar nicht gegen den Shahiid der Lieder. Auch mit abgesengten Augenbrauen war Solis einer der tödlichsten Männer der Welt. Das letzte Mal, dass sie gegeneinander angetreten waren, hatte er ihr den Arm am Ellenbogen glatt durchtrennt. Und Husch war auch kein Leichtgewicht; die Verbundenheit, die zwischen ihm und Mia zu ihrer Akolythenzeit einmal bestanden haben mochte, war lange schon vergangen. In seinen Augen war sie eine Verräterin, die einen langsamen und qualvollen Tod verdiente.

Aber wie beim Abgrund hat Solis mich überhaupt sehen können?

Mia schritt durch die Schatten, um sich ein wenig Vorsprung zu verschaffen, aber dank der drei Sonnen, die am Himmel brannten, und der Erschöpfung nach den Großen Spielen schaffte sie nicht mehr als ein Dutzend Fuß. Dann stieß sie sich das Schienbein an einem Grabstein, stolperte und wäre beinahe gestürzt. Vielleicht hätte sie sich den Umhang wieder überwerfen können, aber Solis schien sie auch darunter wahrzunehmen. Sie war einfach zu müde, um das alles noch zu schaffen, um den sich sträubenden Jungen in Schach zu halten, um ausreichend Abstand zu ihren Verfolgern zu wahren, um das Dunkel zu wirken. Mit wildem Blick suchte sie verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit.

Kurz entschlossen sprang sie auf eine niedrige Marmorgruft und machte einen Satz über den schmiedeeisernen Zaun der Nekropole. Auf der anderen Seite kam sie hart auf, keuchte und wäre beinahe wieder gestürzt. Jetzt befand sie sich auf dem Hof einer großen, dem Aa geweihten Kapelle, die neben den Häusern der Toten errichtet worden war. Hinter dem Kirchhof entdeckte sie eine breite und belebte kopfsteingepflasterte Straße, gesäumt von hohen Mietshäusern mit bepflanzten Blumenkästen vor den Fenstern. Die Kapelle selbst war aus Sandstein und Glas, und die drei Sonnen am Glockenturm spiegelten die drei Sonnen am Himmel wider.

Schwarze Mutter, sie waren so hell, so heiß, so …

»… MIA, PASS AUF …!«

Ein Dolch flog aus Huschs ausgestreckter Hand pfeifend auf ihren Rücken zu. Sie fuhr mit einem Schrei herum, und die Klinge strich lediglich durch eine Strähne ihres langen, dunklen Haars, bevor sie an ihrer vernarbten Wange vorbeizischte – nahe genug, damit sie das Gift daran riechen konnte. Es war eindeutig Rictus – eine schnell wirksame, lähmende Substanz. Ein ordentlicher Kratzer würde genügen, um sie so hilflos zu machen wie ein Wickelkind.

Sie wollen mich lebendig haben, erkannte sie.

»Lass mich los, du Schurkin!«, brüllte ihr Bruder, der wieder um sich schlug.

»Jonnen, bitte …«

»Ich heiße Lucius!«

Der Junge bäumte sich unter Mias Arm auf und trat um sich, immer noch verzweifelt bemüht, sich ihrem Griff zu entwinden. Schließlich gelang es ihm, eine Hand aus der feuchten Lederschlinge um seine Handgelenke zu ziehen, und mit einem Ruck schlug er Mia ins Gesicht. Und als wären die Sonnen am Himmel ausgelöscht, wurde die ganze Welt plötzlich schwarz.

Sie stolperte in der unerwarteten Finsternis. Ihr Stiefel blieb an einer geborstenen Steinplatte hängen, und es zog ihr die Beine weg. Mia biss die Zähne zusammen, als sie auf den Boden aufkam, zischte vor Schmerz, als sie sich die Knie und Hände blutig schürfte. Auch ihr Bruder fiel hin und schrie auf, als er wenig elegant über den Kies rutschte.

Er stand wieder auf. Der Junge, den sie so lange für tot gehalten hatte. Der Junge, den sie gerade erst aus den Fängen eines Mannes gerissen hatte, den er hätte hassen sollen.

»Die Assassine!«, schrie er. »Die Assassine ist hier!«

Und so schnell er konnte, rannte er auf die Straße hinaus.

Mia blinzelte heftig und schüttelte den Kopf – sie konnte Jonnen rufen hören, während er von ihr wegrannte, aber sie sah überhaupt nichts. Mit einem Schlag erkannte sie, dass ihr Bruder es irgendwie fertigbekommen hatte, ihr Schatten über die Augen zu wirken. Es war ein Trick, den sie nie gelernt und nie ausprobiert hatte, und sie hätte die Kreativität des Jungen bewundert, hätte er sich nicht gerade als ein so anstrengendes kleines Arschloch erwiesen.

Aber sie konnte mit Schatten ebenso wirken wie er, und der Tod war ihr dicht auf den Fersen. Mia krümmte die Finger zu Klauen und riss sich die Dunkelheit von den Augen, als der Verehrte Vater und sein schweigender Begleiter ebenfalls über den Eisenzaun in den Kirchhof sprangen.

Mia rappelte sich hastig auf und blinzelte mehrmals, während ihr Sehvermögen zurückkehrte. Ihre Arme fühlten sich so mürbe an wie Fensterkitt. Ihre Beine zitterten. Als sie sich zu Solis und Husch umdrehte, war sie kaum in der Lage, den eroberten Dolch zu heben. Ihr Schatten zuckte um ihre langen Lederstiefel, während die beiden sich aufteilten, um sie von zwei Seiten in die Zange zu nehmen.

»Ruft die Wachen!«, schrie Jonnen auf der Straße. »Assassine!«

Die Bürger blieben stehen und versuchten mit verwunderten Blicken herauszufinden, was der Aufruhr zu bedeuten hatte. Ein Priester des Aa trat aus der Kapellentür, in die heiligen Messgewänder gehüllt. Ein Kader itreyanischer Legionäre kam die Straße herauf und wandte sich ebenfalls nach dem schreienden Jungen um. Aber Mia blieb keine Zeit, das alles in sich aufzunehmen.

Solis schlug nach ihrer Kehle, seine Klinge so schnell, dass sie nur verschwommen wahrzunehmen war. Verzweifelt griff sie nach dem Schatten des Shahiids, wand ihn um seine eigenen Füße und ließ ihn straucheln, bevor er sie erreichen konnte. Solis fauchte vor Zorn, als sein Schlag danebenging. Husch warf wieder ein Messer, und Mia stieß einen Schrei aus, während sie es mit dem Dolch abwehrte und in einem Funkenregen davonsegeln ließ. Und dann griff sie den stillen Jungen an, bemüht, sich zumindest eines Gegners zu entledigen, bevor Solis sich aus ihrem Schattenwirken befreien konnte.

Husch zog ein Rapier aus seinem Gürtel und parierte ihren Angriff, Stahl auf Stahl. Mia kannte den Jungen seit ihrer Akolythenzeit in den Hallen des Stillen Berges. Sie wusste, woher er kam, was er gewesen war, bevor er in die Kirche eintrat, wieso er niemals sprach. Es war nicht so, dass ihm die Zunge dazu gefehlt hätte, nein – es war, weil die Besitzer des Freudenhauses, an das er als Kind verkauft worden war, ihm alle Zähne hatten ziehen lassen, damit er ihren Kunden besser zu Diensten sein konnte.

Mia hatte mit zehn Jahren begonnen, an den Waffen zu trainieren. Husch hatte da noch auf allen vieren auf seidenen Laken gekniet. Beide waren von Solis ausgebildet worden, sicher, und der Junge hatte gezeigt, dass er im Umgang mit einer Klinge kein Novize war. Aber in den letzten neun Monaten hatte Mia noch einen anderen Meister gehabt, Arkades, den Löwen von Itreya; einer der größten Fechter der Welt hatte sie in der Kampfkunst der Gladiatii ausgebildet und dabei nicht mit der Peitsche gespart. Und auch wenn sie erschöpft, grün und blau geschlagen und blutig sein mochte – ihre Muskeln waren immer noch hart, ihre Hände hatten einen festen Griff, und sie war Stunde um Stunde im brennenden Licht der Sonnen zu Bestform geschliffen worden.

»Wachen!«, schrie Jonnen wieder. »Sie ist hier!«

Mia setzte zu einem tiefen Schlag an, zwang Husch zum Wegducken und vollführte sofort den nächsten Schlag aus der Hinterhand. Der Junge wich ihr wie ein Tänzer aus. Mia hob die Klinge, deutete den nächsten Hieb an. Aber mit einem gut berechneten Stiefeltritt wirbelte sie eine Zehenspitze voller Sand empor – ein alter Gladiatii-Trick – und schleuderte sie Husch ins Gesicht.

Husch taumelte rückwärts, und Mias Klinge fuhr ihm quer über die Brust; um ganz bis auf die Rippen durchzudringen, fehlten nur wenige Zoll. Sein Wams und die Haut teilten sich wie Wasser, aber der Junge gab noch immer keinen Ton von sich. Er stolperte, presste sich die Hand auf die Wunde, und Mia hob die Klinge für den Todesstoß.

»… MIA …!«

Keuchend fuhr sie herum und konnte den Schlag, der ihr den Kopf hätte spalten sollen, gerade eben noch abwehren. Solis hatte seine Stiefel abgestreift und sie umfangen von den Ranken seines eigenen Schattens stehen lassen, um Mia barfuß anzugreifen. Er prallte mit ihr zusammen und schleuderte sie durch die Luft. Bei ihrer harten Landung rissen ihr die Steine die Haut am Hintern und an den Oberschenkeln auf. Mit einem lästerlichen Fluch auf den Lippen rappelte sie sich wieder auf und parierte den Hagel aus Schlägen, den Solis auf sie niedergehen ließ. Mia konterte, schweißgetränkt und verzweifelt, ihr langes Haar klebte auf der Haut, und Herr Freundlich und Eclipse taten ihr Bestes, um ihre Angst zu verzehren.

»Wachen!«

Jetzt stand sie keiner neu ernannten Klinge der Kirche mehr gegenüber, o nein. Ihr Gegner war der tödlichste Krieger der Gemeinschaft. Bei ihm würden ihr die billigen Tricks nichts nützen, die sie in der Arena gelernt hatte. Hier halfen nur echte Fechtkunst, Stahl und der reine Wille.

Sie wehrte sich gegen Solis, ihre Klingen schlugen klappernd aufeinander, und über ihnen brannten die Sonnen. Seine weißen Augen hatte er zu schmalen Schlitzen verengt, und er fixierte einen Punkt irgendwo im leeren Raum über ihrer linken Schulter. Dennoch bewegte sich der Blinde, als ob er jeden ihrer Schläge weit im Voraus kommen sah. Er drängte sie zurück. Kämpfte sie nieder. Machte sie müde.

Inzwischen hatte sich eine Menschenmenge vor den Toren der Kapelle versammelt, angezogen von Jonnens Geschrei wie Fliegen von einem Leichnam. Der Junge stand mitten auf dem Pflaster und winkte dem Kader Legionäre, der jetzt auf sie zumarschiert kam. Mia war müde, schwach und stand einer Überzahl an Gegnern gegenüber – ihr blieben nur wenige Augenblicke, bevor sich diese Situation in einen echten Haufen Scheiße verwandeln würde.

»Wo sind Ashlinn und Mercurio?«, verlangte sie zu wissen.

Solis’ Klinge fuhr an ihrem Kinn vorüber, und er lächelte. »Wenn du deinen alten Meister lebend wiedersehen willst, Mädchen, dann solltest du dein Eisen fallen lassen und mit mir kommen.«

Mias Augen verengten sich, während sie einen Schlag gegen die Knie ihres Gegners führte.

»Nenn mich nicht Mädchen. Jedenfalls nicht, wenn es so klingt wie ein Schimpfwort.«

Solis lachte und holte zu einem Gegenschlag aus, der ihr beinahe den Kopf weggerissen hätte. Sie sprang beiseite, die schweißnassen Ponyfransen hingen ihr in die Augen.

»Vielleicht hörst du nur das, was du hören willst, Mädchen.«

»Ja, ja, lach du nur«, stieß sie keuchend hervor. »Aber was werdet ihr ohne euren geliebten Scaeva machen? Wenn die anderen Patrone erfahren, dass der Retter der Scheißrepublik unter der Hand einer eurer eigenen Klingen gestorben ist?«

Solis neigte den Kopf und lächelte nur noch breiter, und Mia wurde klamm ums Herz.

»Ist er das?«

»Haltet ein! Im Namen des Lichts!«

Die Legionäre stürmten durch die Tore der Kapelle, ein Schwarm schimmernder Rüstungen und blutroter Helmbüsche. Husch lag auf den Knien; das Rictus an Mias Klinge machte ihn lethargisch und fühllos. Mia und Solis blieben stehen, die Klingen noch erhoben, während die Legionäre über den Kirchhof ausschwärmten. Der Zenturio, der sie anführte, war gebaut wie ein Kleiderschrank, und unter seinem glänzenden Helm sahen buschige Augenbrauen und ein dichter Bart hervor.

»Legt Eure Waffen nieder, Bürger!«, bellte er.

Mia warf schwer atmend einen Blick auf den Zenturio, auf die Soldaten, die sie umzingelten und die mit ihren Armbrüsten direkt auf sie zielten. Jonnen drängte sich an den Männern vorbei, deutete auf sie und brüllte aus vollem Hals:

»Das ist sie! Tötet sie! Sofort!«

»Zurück, Kleiner!«, fuhr ihn der Hauptmann an.

Jonnen warf dem Mann einen finsteren Blick zu und richtete sich zu voller Größe auf.[3]

»Ich bin Lucius Atticus Scaeva«, zischte er. »Der erstgeborene Sohn von Konsul Julius Maximillianus Scaeva. Diese Sklavin hat meinen Vater ermordet, und ich befehle euch, sie zu töten!«

Solis neigte leicht den Kopf, als ob er den Jungen jetzt erst richtig wahrnahm. Der Zenturio hob eine Augenbraue und betrachtete den kleinen Markgeborenensohn von Kopf bis Fuß. Trotz seines heruntergekommenen Äußeren, dem dreckigen Gesicht und den durchweichten Gewändern war es unübersehbar, dass er in leuchtenden Purpur gekleidet war – die Farbe des itreyanischen Adels. Und außerdem trug er das Drei-Sonnen-Wappen der Luminatii-Legion auf der Brust.

»Tötet sie!«, brüllte der Junge und stampfte mit dem Fuß auf.

Die Armbrustschützen legten den Finger auf den Abzug. Der Zenturio sah Mia an und holte Luft für den nächsten Befehl:

»Senkt …«

Ein kühler Hauch breitete sich über die gesamte Szenerie – die Legionäre, die Assassinen, die Menge, die sich auf der anliegenden Straße zusammengefunden hatte. Trotz der gleißenden Hitze überfiel Mia eine Gänsehaut. Eine vertraute Gestalt erhob sich hinter den Soldaten, angetan mit Mantel und Kapuze, mit grabbeinernen Zwillingsschwertern in den tintenschwarzen Händen. Mia erkannte sie sofort wieder – es war dieselbe, die ihr in der Nekropole von Galante das Leben gerettet hatte. Und von der diese kryptische Botschaft stammte.

SUCHE DIE KRONE DES MONDES.

Das Gesicht blieb unter der Kapuze verborgen. Mias Atem stieg in weißen Wolken vor ihren Lippen auf, und trotz der Hitze stellte sie fest, dass sie vor Kälte zitterte.