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Next Life: Das letzte Hemd hat doch Taschen - im Jahr 2150!
Das E-Book Next Life wird angeboten von BookRix und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Science-Fiction, Zukunft, Wiedergeburt, Reinkarnation
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Next Life
13. November 2150
Liebes Tagebuch, ich sitze auf der Untersuchungsbank und schwitze aus allen Poren. Für meinen Geschmack müsste die N-KI das Dschungel-Ambiente bei der Temperatur nicht ganz so ernst nehmen. Die riesigen Blätter um mich herum würden vollkommen genügen. Zumindest ertönt nun kein Audio mehr, das Schafsblöken war echt nervtötend. Vor ein paar Minuten bekam ich das Ergebnis, ein fantastisches – doch jetzt zieht sich das Ganze. Anscheinend will mir der große Damian Black die frohe Kunde persönlich überbringen.
Zum Glück durfte ich dich mit hineinnehmen, weil keiner erkannt hat, was du bist. Vor 15 Jahren bekam ich dich von meiner Großmutter. Ich weiß bis heute nicht, woher sie dich hatte, ein echtes Buch, mit Seiten aus Papier. Seit ich 5 Jahre alt bin schreibe ich auf, was mich bewegt, mit einem Bleistift, der aus dem Buchrücken gezogen wird. Damals malte ich jedes Wort mehr, als dass ich es schrieb, gleich einem Bild. Aber die Privatstunden meiner Oma machten mich bald zu einem akkuraten Handschreiber. Nicht nach ihrer Meinung, ich sehe ihr minimalistisches Kopfschütteln noch heute vor mir.
Ich halte dich an meine Nase, blättere in den dicken Seiten und rieche: Modrig – wunderbar, genauso wie damals in Ur-Opas Keller.
Um Neun Uhr, also vor einer dreiviertel Stunde, legte ich mich mit dem Rücken auf die Untersuchungsbank, lediglich mit einer Unterhose bekleidet – meiner besten. Ich blickte durch die Häuserschluchten einer Metropole. Gerade als ich mich darüber wunderte, verschwanden die Hochhäuser und wurden durch dichtes Dschungel-Grün ersetzt – was ich auch eigentlich gewählt hatte. Wahrlich keine schlechte N-KI, mein Stirnrunzeln hatte genügt, das Programm auf Fehlersuche zu schicken - sollte man aber auch erwarten, bei einer solch reichen Firma wie Next Life. Es wurden typische Urwaldgeräusche eingespielt, naja, nicht durchgängig typische, Vogelgezwitscher, das Plätschern eines Baches, aber eben auch das Blöken eines Schafes. Ein Schaf? Trotz meines erneuten Stirnrunzelns behielt die N-KI das Blöken bei.
Der tellergroße Naevus-Meter brauchte insgesamt fast eine halbe Stunde, in der er eine Handbreit über meinem Bauch schwebte und die Region meines Zwerchfells abscannte - Millimeter für Millimeter. Eigentlich verabscheute ich Untersuchungen dieser Art und hätte mir an meinem 20. Geburtstag sicherlich etwas Besseres vorstellen können. Aber ich war einfach zu gespannt gewesen um auch nur einen einzigen, weiteren Tag warten zu können. Und bevor man 20 ist, darf man sich ja nicht untersuchen lassen. Fast hätte ich dich vergessen, liebes Tagebuch, wenn mir nicht mein Bruder Elian dich hinterhergetragen hätte - damit ich etwas Vertrautes bei mir habe. Der Arme, er darf sich erst in eineinhalb Jahren untersuchen lassen.
Ich unterbrach das Schreiben und biss auf das hintere Ende des Bleistifts, fand mit meinen Schneidezähnen die Kerbe, die sich dort nach und nach gebildet hatte.
Schon seit ich denken kann, war mir folgende Frage immer wieder durch den Kopf gegangen: War ich am Ende meines letzten Lebens zu Next Life gegangen? Und wenn ja, wie reich war ich gewesen? Die Untersuchung kostete nur 20 Einheiten, per Gerichtsbeschluss festgelegt, damit jede Person ihre Chance hatte. Fast alle aus meinem Bekanntenkreis ließen sich testen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit für einen Treffer in der Muttermal-Datenbank sehr gering war. Next Life gab es zwar seit fast hundert Jahren in nahezu allen Metropolen des Planeten, aber seit der gleichen Zeit gab es immer weniger Menschen mit richtig vielen Einheiten und richtig viele mit wenig Einheiten. Manche sogar mit äußerst wenigen, so wie unsere Familie. Zu Beginn gab es nur eine Filiale in Neu-Kanada, in Nobothere, dem Geburtsort von Vintus Black, dem Entdecker des Muttermal-Codes. Er hatte herausgefunden, dass es in allen Reinkarnationen einer Seele einen etwa 10 Quadratzentimeter großen Körperbereich gab, der gleichblieb. Das 10. Chakra, im Bereich des Zwerchfells, auch Seelen-Chakra genannt. Die Anordnung, Größe und Beschaffenheit der Muttermale auf der Haut darüber glichen einem unverwechselbaren Fingerabdruck, von dem man sämtliche, bisherige Inkarnationen ablesen konnte. Vintus Black wurde fast hundert Jahre alt und gab die Firmengeschäfte kurz vor seinem Tod an seinen Enkel Damian ab, der hier in Berlin lebte. Zuletzt gab es vereinzelt Gerüchte, Next Life würde in finanziellen Schwierigkeiten stecken. Ich konnte das nicht recht glauben und falls es doch stimmte, war es höchste Zeit, noch schnell seine Einheiten abzugreifen. Ein bisschen hoffte ich ja auch, Damian Black persönlich kennenzulernen.
Seit es Next Life gab, schaute manch gieriger Verwandter nach dem Tod eines Angehörigen dumm aus der Wäsche – wenn der Verstorbene sich sein Vermögen lieber selbst vermachte. Für das nächste Leben. Für dieses Erbe an sich selbst - eigentlich kam es eher einer Vermögensverwaltung gleich - verlangte Next Life schlappe 15000 Einheiten Gebühr. Der Großvater eines Freundes hatte sein Vermögen diplomatisch aufgeteilt, die eine Hälfte über Next Life, die andere Hälfte hatten die Hinterbliebenen als herkömmliches Erbe bekommen. Erben zog sich also als leidiges Thema weiter durch die Jahrhunderte. Selbst wenn man in seinem nächsten Leben nicht als Mensch auf der Erde wiedergeboren wurde, erhielt man seinen Besitz, sobald dies wieder der Fall war. Auf anderen Planeten gab es bisher keine Filialen von Next Life, wahrscheinlich aus rechtlichen Gründen.
Liebes Tagebuch, am Ende der Untersuchung verharrte der Naevus-Meter kurz über meinem Bauch und flog dann zur Seite, um mit einem kurzen Piep in einer der beiden rechteckigen Einbuchtungen in der Wand anzudocken. Mitten in die Regenwaldgeräusche hinein ertönte eine leise, geschlechtlich nicht zuzuordnende Computerstimme:
„ Bist du Mensch Cassian Classen, geboren am 13. November 2130?“
Als ich nickte, sprach die Stimmer weiter.
„ Hier die Auswertung des Naevus-Scans:“
Während der verstreichenden Sekunden spürte ich meinen Herzschlag im Hals.
„ Cassian Classen, du warst in deiner letzten Inkarnation ein Ruumiiton namens Baant auf dem Planeten Sincuerpo. Dein erstes Leben dort. Ohne Anrecht auf ein Next-Life-Erbe.“
Ich hatte sogar schon von diesem Planeten im Sonnensystem von Alpha Centauri gehört, auf dem ausschließlich körperlose Wesen wohnten. Dort würde Next Life sicherlich keine Filiale eröffnen. Auch mein Großonkel hatte bei seinem Scan herausgefunden, dass er im vorherigen Leben ein Ruumiiton gewesen war und davor ein bettelarmer Zen-Priester auf der Erde, der natürlich niemals zu Next Life gegangen war.
„ Cassian Classen, in der vorletzten Inkarnation warst du ein Mensch namens Berenike Achtzehnter.“
Mein Puls nahm weiter an Fahrt auf.
„ Du vertraglichtest dich mit Next Life am 29. Juli 2072 und verstarbst am 03. Dezember 2072. Dein erstes Leben auf dem Planeten Erde.“
Gewellt! Ebenso wie bei Baant klingelte auch bei Berenike Achtzehnter nichts in meinem Kopf. Was normal war, es erinnerten sich die wenigsten Menschen an ihre vorherigen Leben – so leider auch ich.
„ Cassian Classen, du erhältst für dieses Leben folgendes Next-Life-Erbe:“
Wieder eine Pause – das Pochen in meiner linken Halsseite schmerzte nun regelrecht. Musste Next Life das wirklich so dramatisch machen?
„ 930.317.000 Einheiten und ein Anwesen in Nobothere im aktuellen Wert von 7.800.400 Einheiten.“
Liebes Tagebuch, dies war der Moment, in dem ich mir dachte, dass es nicht besser kommen konnte. Kam es auch nicht. Ich wartete. Aber auf was wartete die N-KI? Das fehlerhafte Schafs-Blöken ging mir nun mächtig auf die Nerven.
„ Audio aus!“
Keine Reaktion. Das Schaf schien mich mit jedem Blöken zu verhöhnen. Ich stützte mich auf die Ellenbogen, hob meinen Oberkörper und blickte nach rechts zur milchglasigen Schiebetür.
„ Was jetzt?“, rief ich in Richtung Schiebetür – auch wenn dort wohl nicht die Mikros der N-KI zu verorten waren, „muss ich mein Erbe noch bestätigen?“
Ich setzte mich vollends auf, drehte mich und ließ die nackten Beine nach unten baumeln. In solchen Momenten vermisste ich eine menschliche Gestalt. Und meine Anziehsachen, die im Umkleidezimmer vor dem Untersuchungsraum lagen.
„ Bin ich fertig?“, übertönte ich das Schaf, „Bericht!“
„ Bitte hab einen Moment Geduld, Cassian Classen.“
Beim nächsten Schafsgeräusch schrie ich „Audio aus!“ – und die Geräusche verstummten.
„ Bitte gedulde dich, Cassian Classen“, teilte die Computerstimme mit und machte eine kurze Pause, „… in 28 Minuten wird sich Damian Black persönlich um dich kümmern.“
Damian Black? Höchstpersönlich? Gewellt! Da lohnte sich das Warten. Aber die Zeit wollte ich nutzen, liebes Tagebuch.
Ich stand von der Untersuchungsbank auf und lief zum weißen Metallhocker in der Ecke des Raumes, auf dem du lagst - weil ich dich als Talisman mit hineinnehmen durfte, weil die Empfangsperson dich nicht identifizieren konnte.
Oh, ich muss aufhören und später weiterschreiben, ich glaube, Damian Black kommt! Ich verstecke dich lieber in der leeren Einbuchtung, neben dem Naevus-Meter.
Liebes Tagebuch, Damian Black war da, und jetzt sitze ich hier und zittere, trotz der Wärme im Raum, zucke am ganzen Leib und kann dich kaum ruhig halten. Was für ein Albtraum. Mir bleibt eine halbe Stunde Bedenkzeit - die ich nicht benötige! Ein Hohn, ein sadistischer Akt. Ich werde jetzt schreiben und dich anschließend wieder verstecken. Die Einbuchtung in der Wand, in die ich dich zuvor geschoben hatte, war staubig. Sie wurde wohl nicht benutzt – hoffentlich! Also, die Tür glitt auf und tatsächlich trat Damian Black in den Untersuchungsraum. Er trug einen grauen Anzug mit grünem Kragenknopf.
Hier das Gespräch mit Black, so gut ich mich erinnern kann:
„ Gesundheit mit dir, Cassian“, sagte Black.
„ Und mit dir, Damian Black“, sagte ich, nachdem ich den Atem eine Zeit lang angehalten hatte.
Auch wenn Black keinen Nachnamen benutzte, behielt ich die Form bei. Das Gespräch wurde sicherlich aufgezeichnet.
„ Du kennst mich“, sagte Black, „schön.“
Jetzt ließ er sogar Vor- und Nachnamen weg. Diese Jovialität beunruhigte mich allerdings weniger als das Wort schön, welches er auf eigenartige Weise betonte, zögernd. Im Nachhinein weiß ich, dass er mich einfach nur quälen wollte.
„ Wer kennt dich nicht, Damian Black?“, fragte ich, und schob noch mutig hinterher: „Bist du bei vielen Next-Life-Erben persönlich anwesend?“
Das Gelächter von Black klang wie eine Reihe ausgestoßener Kampflaute. Eigentlich galt Lachen in der Öffentlichkeit als unangemessen, aber für Multi-Milliardäre galten wohl eigene Gesetze.
„ Nein, Cassian, nur bei denen, die doch nichts erben…“, sagte Black und schob nach einer künstlerischen Pause hinterher: „…letzten Endes.“
Ich sah in sein glattes, bleiches Gesicht und suchte vergeblich nach den Spuren eines vorausgegangenen Witzes. Kein Zucken der Mundwinkel, kein Blitzen in den Augen - schade, schlecht gelaufen! Bevor ich meine Gänsehaut sah, spürte ich sie auf den nackten Oberschenkeln.
„ Was soll das bedeuten?“, fragte ich mit ein wenig zu schriller Stimme. Viel zu schrill, der ach so große Damian Black im feinen Zwirn, stehend vor mir und ich, Cassian Classen, sitzend, in Unterhosen. Meinen Besten.
„ Das bedeutet, dass du Next Life die Einheiten aus deinem letzten Leben vermachen wirst. Im Gegenzug darfst du das Anwesen in Nobothere behalten, und…“
Während er kurz zögerte, wartete ich gebannt auf seine nächsten Worte. Würde ich etwa nur einen Anteil von den 930 Millionen Einheiten bekommen?!
„… dein Leben“, vollendete Black seinen Satz.
Das Anwesen und mein… Leben?!
„ Was?“, fragte ich ihn, und wenn ich meine Stimme zuvor als schrill bezeichnet hatte, so war sie jetzt nur noch brüchig.
„ Risikospekulationen, Cassian, wir haben uns ein wenig die Finger verbrannt. Oder vielleicht auch die ganze Hand.“
Ja und? Ich wüsste nicht, dass das mein Problem war.
„ Und aus dieser Hand“, fuhr Damian fort, „können wir nicht so einfach eine knappe Milliarde Einheiten geben.“
Sein Kragenknopf hatte das gleiche Grün wie die langen Blätter neben ihm – kein Colour Blocking. Was dachte ich da für einen Mist? Ich musste meine Sinne beisammenhalten.
„ Ich habe Rechte“, hauchte ich, obwohl ich eigentlich laut werden wollte. Ich zeigte in Richtung meines Zwerchfells, auf meinen Muttermal-Code.
„ Ja, das stimmt, du hast das Recht zu entscheiden“, sagte Black und blickte mich von oben bis unten an, „deinen Körper kleiden etwa zwei Quadratmeter Haut.“
Die Gänsehaut breitete sich über meine Oberschenkel, meinen Oberkörper, meine Arme aus.
„ Folgender Deal: Du gibst uns fünf Prozent deiner Haut“, fuhr Black fort und zeigte nun ebenfalls auf mein Zwerchfell, „oder hundert. Deine Wahl.“
„ Hundert…?“, fragte ich.
Black machte mit seiner Hand ein Kreuzzeichen in die Luft und nickte.
Die würden mich – töten? Plötzlich beneidete ich meinen Bruder, der nicht hier sein musste, in diesem heißen Raum, zusammen mit diesem kalten Mann. „Du hast eine halbe Stunde Bedenkzeit“, sagte Black, „dann sind wir bereit für die OP - wenn du bereit bist, Cassian Classen.“
Ich wollte von der Bank aufspringen. Aufstehen, zumindest, schaffte es aber nicht einmal, meine Arme vollends durchzustrecken, bevor Damian Black den Raum verließ.
Die Tür schloss sich mit einem Zischen hinter ihm. Zuletzt hatte er mich doch noch beim vollen Namen genannt. Welch noble Geste.
Liebes Tagebuch, die halbe Stunde Bedenkzeit ist nun fast vorbei. Ich lasse mich nicht operieren. Die nehmen mir nicht die Haut, auch kein kleines Stück. Und schon gar nicht lasse ich mir die vielen Millionen Einheiten, die mir zustehen, stehlen. Nicht von diesem Typen und seiner Firma! Die werden mich nicht umbringen, sicherlich nicht, die bluffen nur. Mein Bruder Elian weiß, wo ich bin. Ich muss jetzt aufhören, zu schreiben. Und dich verstecken. Sie kommen. --- Elian Classen betrat den Gerichtssaal am 16. November 2150, drei Tage nach dem Verschwinden seines Bruders Cassian.
Die Richterin vereidigte ihn auf das Große Werk, beide ganz in Schwarz. Dann begann sie ohne Umschweife:
„ Elian Classen, ich habe mir die Akten zum angeblichen Verschwinden deines Bruders Cassian zu Gemüte geführt.“
Elian nickte zögerlich, da ihm das Wort Gemüte fremd war.
„ Ich habe mir die Akten durchgesehen“, erläuterte die Richterin, „du wünschst also eine richterlich angeordnete Durchsuchung der Berliner Firmenräume von Next Life?“
Er nickte und sagte:
„ Verschwunden ist er wirklich, Richterin. Nicht nur angeblich.“
„ Richterin Marthe Leichtenberg, wenn ich bitten darf“, sagte sie und fuhr fort:
„ Durch die Durchsuchung erhoffst du dir etwas über den Verbleib deines Bruders oder zumindest seines sogenannten Tagebuchs in Erfahrung zu bringen, Elian Classen?“ fragte die Richterin und sprach dabei das Wort Tagebuch bewusst so aus, als stamme es nicht von diesem Planeten.
Elian nickte mehrmals.
„ Was erhoffst du dir von dem Tagebuch, Elian Classen?
„ Ich hoffe auf einen Hinweis bezüglich Cassians Verbleib. Er wollte an diesem, seinem 20. Geburtstag den letzten Eintrag tätigen. Cassian hatte damit im Alter von 5 Jahren begonnen, seit ihm unsere Großmutter das Tagebuch geschenkt und die Kunst der Handschrift gelehrt hatte.“
„ Bist du sicher, dass er es am 13. November dieses Jahres mit sich geführt hat, Elian Classen?“
„ Ja, das bin ich, Richterin Marthe Lichtenberg, er hatte es vor drei Tagen dabei, ich habe es ihm extra noch vor seinem Aufbruch gebracht. Er wollte es später veröffentlichen, als richtiges Buch. Das war schon immer sein Traum gewesen.“
Marthe sah ihn für einige Sekunden mit hoch gezogenen Augenbrauen an, fuhr aber schließlich fort:
„ Wir dürfen nicht vergessen, dass die Anschuldigungen die hoch angesehene Person Damian Black betreffen“, dozierte die Richterin.
„ Hoch angesehen, ja“, sagte Elian, „und vor allem hoch einflussreich.“
„ Bei einer etwaigen Durchsuchung der Firmenräume“, fuhr Marthe Leichtenberg in erhöhter Lautstärke fort, senkte dann aber die Stimme wieder, „für die ich zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei Anlass sehe, bestünde die Gefahr, dass wir der Rufschädigung bezichtigt werden.“
„ Und trotzdem hoffe ich, dass die stets gerechte Justitia Augen und Ohren weit offen hat“, sagte Elian.
„ Elian Classen“, rief die Richterin, „ich bitte dich inständig, das Gericht zu würdigen!“
„ Genau das tue ich, Richterin Marthe Leichtenberg.“
„ Ich sehe leider folgende Fakten“, fuhr die Richterin fort: „Ein Cassian Classen hat die Berliner Filiale Next Life niemals betreten, auch nicht am 13. November dieses Jahres. Das beweisen Visusaufnahmen, welche uns die Firmen-Vorstehenden freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben.“
„ Kommt dir das nicht seltsam vor, Richterin Marthe Leichtenberg?“, fragte Elian, „vertraust du den Aufnahmen denn mehr als mir, Cassians Bruder? Next Life ist für sein Verschwinden verantwortlich, ganz sicher! Wenn ich dürfte, würde ich ja selbst hingehen und mich dort umsehen.“
„ Untersteh dich!“, sagte die Richterin. „Kannst du denn zum heutigen Termin weitere Beweise oder neue Erkenntnisse vorbringen, Elian Classen?“
Cassians Bruder schüttelte den Kopf, den Blick gesenkt.
„ Dann muss ich deinen Antrag auf Hausdurchsuchung von Next Life leider ablehnen, Elian Classen.“
Sie schlug mit den Knöcheln ihrer Faust auf Das Werk.
Elian blieb für einige Augenblicke regungslos sitzen. Seine Gesichtsfarbe glich dem Weiß der Wände.
„ Und ich hoffte, du wärst anders, Richterin Marthe Leichtenberg“ sagte er, stand auf und verließ den Gerichtssaal, ohne sie noch einmal anzusehen.
„ Das war ich einmal“, murmelte Marthe, doch das hörte Elian nicht mehr. --- Mit ihren Augen sucht sie den Raum nach einem möglichen Versteck ab.
Trägt nur ihre Unterwäsche, der N-KI-Chip in ihrem Unterarm wurde deaktiviert. Als der Naevus-Meter in der Wand andockt, sieht sie, dass es daneben eine zweite Einbuchtung gibt. Sie setzt sich auf der Untersuchungsbank auf, schwenkt ihre Beine über die Kante und steht auf. Als sie in die Einbuchtung greift, fühlt sie einen rechteckigen, etwa 2 Zentimeter dicken Gegenstand zwischen ihren Fingern. Sie zieht ihn heraus und hält ein Buch in ihren Händen. Zurück auf der Bank schlägt sie es auf und liest. Bei der Stelle mit dem falschen Geräusch befiehlt sie der N-KI: „Ich möchte Regenwald!“ Der Palmenstrand, den sie zuvor gewählt hat, verschwindet und wird durch Dschungelgrün ersetzt. Sie hört Vögel zwitschern, einen Bach plätschern und – ein Schaf blöken.
Richterin Marthe Leichtenberg blickt in das Tagebuch, schließt es und umgreift das Beweismittel fest mit ihren Fingern.
„ Justitia hat Augen und Ohren wieder weit offen, Gebrüder Classen.“
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