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Julia Klöckner

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Beschreibung

»Der Erfolg einer nachhaltigen Integration steht und fällt mit der Frauenfrage.« (Julia Klöckner)

Keine Integration ohne Frauenrechte, unsere Hausordnung steht: Die Frage der Integration von Migranten und vor allem der zahlreichen Männer aus anderen Kulturen wird nur dann funktionieren, wenn Frauenrechte auf diesem Weg nicht geopfert, sondern unmissverständlich verteidigt werden. Einwanderung in Deutschland stellt unsere Wertvorstellungen auf die Probe. Der Umgang mit dem Geschlechterbild vieler partriarchalisch geprägter Zuwanderer ist eine größere Herausforderung für die Integration, als man bisher wahrhaben wollte. Wer Frauenrechte missachtet oder geringschätzt, wird sich niemals nachhaltig integrieren, sondern den Erhalt wichtiger Errungenschaften der Emanzipation sogar für alle Frauen in Deutschland gefährden. Deshalb darf es keine Toleranz gegenüber intoleranten Geschlechterbildern geben. Politische Kompromisse an dieser Stelle demonstrieren nicht Stärke, sondern Schwäche eines aufgeklärten, demokratischen Staates. Deshalb ist Klarheit wichtiger denn je.

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Julia Klöckner

Nicht verhandelbar

Integration nur

mit Frauenrechten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.
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Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, KölnUmschlagmotiv: © SWR4/Torsten SilzISBN 978-3-641-22763-0V003www.gtvh.de

Allen mutigen Frauen

und denen, die sie unterstützen

Die Autorin verzichtet zugunsten einer engagiertenFrauenorganisation auf ein Honorar für dieses Buchprojekt.

INHALT

VORWORT

Nicht nur ein Handschlag

KAPITEL 1

Wer A sagt, muss auch B sagen

KAPITEL 2

Unter Männern

KAPITEL 3

Gesicht zeigen

KAPITEL 4

»Aber ich mach das doch freiwillig«

KAPITEL 5

»Es ist doch nur eine Frau!«

KAPITEL 6

Die Mauerblümchen der Integration

KAPITEL 7

Jeder Macho hat eine Mama

EPILOG

Die Allee der Frauenrechte

Anmerkungen

VORWORT

Nicht nur ein Handschlag

Ein Sonntagmittag im April 2017. Unsere Maschine berührt gegen zwölf Uhr den Boden. Flughafen Niamey, um die 35 Grad Außentemperatur. Niger, das Land, durch das rund 80 Prozent aller Wanderungsbewegungen von Afrikanern verlaufen, die nach Europa kommen wollen. Es ist mein erster Besuch in Niger und Mali. Das Straßenbild ist geprägt von Männern, jung wie alt. Wo sind die Frauen? Sie nehmen nicht teil, jedenfalls nicht so wie die Männer. Nicht am öffentlichen Leben, nicht an der Berufswelt. Als wären sie nicht da. Später treffe ich auf Frauen in privilegierten Positionen, Parlamentsmitglieder. Ich versuche zu verstehen, warum Menschen sich auf den gefährlichen Weg zu uns machen, um auf einen anderen Kontinent zu gelangen, dessen Kultur und Leben so anders und fremd sind.

Und je mehr ich erfahre über mangelnde Arbeitsplätze, Armut, Terrorismus, Klimawandel, Hunger, schlechte Bildung, demografischen Wandel, umso mehr dämmert mir: Die Rolle der Frauen wird über den Fortgang des afrikanischen, aber auch unseres Kontinents entscheiden. Kein Wirtschaftswachstum kann mit der Geburtenrate im Sahel, einer der ärmsten Regionen der Welt, mithalten. Mädchen bekommen mit 13 Jahren ihr erstes Kind, mit 20 haben sie in der Regel schon sechs, sieben Kinder. Was die meisten Mädchen aber nicht haben: Schul- und Ausbildung. Das Gesetz, das Heiraten erst mit 16 erlaubt, ist in Niger gescheitert an der Intervention der muslimischen Religionsführer. Nicht nur die Tradition, auch die Armut treibt Eltern dazu, Mädchen früh zu verheiraten, damit sie finanziell entlastet sind. Faktisch brechen sie dadurch die Schule ab und damit jede Chance auf Bildung und ein selbstbestimmtes Leben. Es gibt kaum ein Land auf dieser Erde, in dem die Rate der Kinderehen höher ist als in diesem Land. Laut Schätzungen des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen sind im Niger über drei Viertel aller Mädchen unter 18 Jahren bereits verheiratet.

Ortswechsel. Jahre zuvor in Berlin. »Fallen Sie uns aufgeklärten Muslimas nicht in den Rücken.« Sie sagte es ganz eindringlich zu mir, und seither geht mir dieser Satz nicht mehr aus dem Kopf. Er hat mich wachgerüttelt. Jahre ist es her, ich saß damals noch im Bundestag. Organisiert hatten wir ein Treffen mit Frauen, denen Frauenhäuser Zuflucht geboten haben. Die junge Frau, die in einem der Häuser Schutz fand, erzählte nicht viel aus ihrem Leben. Zu groß war wohl die Angst, gefunden und wieder »heimgeholt« zu werden in ein anderes Leben mitten in Deutschland. Ihr Grund für das Verlassen ihres Zuhauses war ganz einfach: Sie hatte beschlossen, ihren Gesichtsschleier, der sie zu einem unsichtbaren Neutrum in der Öffentlichkeit machte, abzulegen. Diese junge Frau wusste, was das bedeutete. Das war kein Aufmüpfigsein eines pubertären Teenagers, der sich weigerte, zur goldenen Hochzeit der Großeltern die weiße Bluse anzuziehen und stattdessen mit Schlabberpulli und Löcherjeans auftauchte. Die Kleidungsfrage entschied über ihr Leben mit oder ohne Familie. Und die junge Muslima wusste, wenn sie sich gegen das Verstecktwerden unter einem Stück Stoff entschied, wird nach ihrer Befreiung aus dem Vollschleier und der Enthüllung ihres Körpers das nächste Verstecken auf sie warten. Das Untertauchen vor ihrer Verwandtschaft, die glaubt, die Familienehre hänge vom »anständigen Verhalten und Bedecken« der Tochter, Schwester oder Cousine ab.

Das sind diese Momente, in denen ich als Politikerin schlucke und ungläubig nachfrage, in einem Deutschland des 21. Jahrhunderts, in dem eine Frau Bundeskanzlerin und eine Frau Bundesverteidigungsministerin ist, in einem Land, in dem Frauen in Führungsetagen der Wirtschaft und Wissenschaft zuhause sind. Gekleidet, wie sie selbst es wollen. Und ich weiß noch, wie ich die junge Muslima fragte, gibt es denn da nicht einen Weg wieder hin? Zurück? Und sie sagte einfach nein. Erschrocken sei sie aber wegen etwas ganz anderem, nämlich dass es in diesem Land so viel Verständnis gäbe für den unterdrückenden Umgang mit Frauen unter dem Deckmantel der Ehre, Kultur und Religion. Ständig berufen sich Macho-Männer auf Respekt und Toleranz für ihr intolerantes Frauenbild. »Ich wollte nicht mehr länger eingesperrt sein in einem offenen Land.« Das war eine Anklage, auch an uns so aufgeklärte und frei lebende Politikerinnen. Und so bleibt mir der Satz dieser jungen, mutigen Frau bis heute tief im Gedächtnis: »Fallen Sie uns aufgeklärten Muslimas nicht in den Rücken.«

Wer Politik gestalten will, tut gut daran, sich unter die Leute zu mischen. Denen zuzuhören, die betroffen sind. Die keine großen Möglichkeiten haben, ohne Hilfe ihr Leben zu verändern. Das gilt für unser Land, aber auch für Afrika. Menschen zu treffen, die einem vermitteln, was ist, und nicht das, was sein soll, erdet, schärft den Blick für diejenigen, für die wir angetreten sind, Politik zu machen. Manchmal hinterlässt es einen aber auch mit einem flauen Gefühl im Bauch oder einem schlechten Gewissen. Nun ist es nicht so, dass wir uns in der Politik nicht mit den Problemen von Frauen oder explizit von Migrantinnen befassen. Genau genommen tun wir das sogar seit sehr vielen Jahren. Immer wieder. Schon damals haben wir uns im Bundestag u.a. in der Gruppe der Frauen mit diesen Fragen beschäftigt. Es ist nicht so, dass manche Probleme nicht schon damals auf dem Tisch lagen. Ich erinnere mich beispielsweise sehr gut daran, dass wir die türkischstämmige Rechtsanwältin und Frauenrechtsaktivistin Seyran Ates eingeladen hatten, um uns von ihrer Arbeit berichten zu lassen und den Widerständen, denen sie ausgesetzt ist. Sie wurde schon damals dafür bedroht, dass sie einfach nur geltendes Recht durchsetzen wollte. Für alle Frauen. Ganz gleich welcher Religion. Auch für die zugewanderten. Oder Necla Kelek, die Soziologin, Autorin und Frauenrechtlerin. Dafür, dass sie Selbstverständliches einforderte und damit ihre Glaubensbrüder herausforderte, brauchte sie Personenschutz. In Deutschland. Es sind seither Jahre vergangen, verändert hat sich zu diesem Thema nicht viel. Sicher, Themen wie Frauenquote, gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, Girls’Days, diskriminierungsfreie Stellenausschreibungen sind stärker ins Bewusstsein gerückt. Mittlerweile kämpfen sogar einige Parteien nicht mehr nur für die gendergerechte Sprache, sondern auch noch für die Sternchenschreibweise, damit man nicht irgendein »Geschlecht« verletzt. Ein Einsatz, der weder mutig noch teuer ist. Aber bei den Grundstandards für Frauen, die in fundamentalistischen, streng gläubigen und patriarchalisch geprägten Familien aufgewachsen sind, da hat sich wenig getan. Weil wir es auch nie parteiübergreifend formuliert und eingefordert haben.

Ich nenne das falsch verstandene Toleranz – zu Lasten der betroffenen Frauen. Im Übrigen auch zu Lasten aller Frauen. Denn auch deutsche Frauen begegnen immer wieder ausgewiesenen Machos, die ein komplett anderes Frauenbild leben. Müssen sich das Lehrerinnen, Ärztinnen, Verkäuferinnen im Umgang mit ihnen wirklich gefallen lassen? Ich meine, nein. In meinem Freundeskreis befinden sich Jesidinnen, Migrantinnen, und politisch habe ich einen Beraterkreis aus Männern und Frauen muslimischen Glaubens. Sie sind Betroffene, erzählen mir viel von Familien- und Clanehre, von der Rolle der Mädchen, vom Bruch mit denen, die nicht loslassen konnten, von denen, die nach Deutschland kamen, aber mit dem Herzen und der Kultur immer in ihrer alten Heimat blieben. Sie berichten mir von Strukturen, mittels derer Zwangshochzeiten und Import-Bräute organisiert werden, von Auffassungen, die »Ehrenmorde« und Gewalt gegen Frauen legitimieren. Eine Generation beeinflusst die nächste. Ich bin dankbar für die vielen authentischen Impulse, die sie mir geben aus einer Welt, in die wir nicht wirklich einen Einblick haben oder in die wir zu wenig hineinschauen. Sie haben mich wachgerüttelt und aufgeklärt. Ihr Grundtenor: Ihr regt euch über alles Mögliche auf in dieser Gesellschaft. Ihr macht Gesetze für die unterschiedlichsten kleinsten Minderheiten, kämpft für Frauenquote, gendergerechte Sprache und Toiletten für Transsexuelle, aber ihr nehmt nicht wahr, dass sich hier in unserem Land auf einer anderen Ebene gerade ein Frauen- und Menschenbild verschiebt. Ihr seid tolerant gegenüber intoleranten Fundamentalisten. Wer ihnen zu viel durchgehen lässt, fällt aber den Frauen in den Rücken, die von einer Frauenquote nur träumen können. Ihnen wäre schon geholfen, wenn ihr nicht wegschaut bei der täglichen Unterdrückung, die mit dem Deckmantel der kulturellen Vielfalt und Religionsfreiheit daherkommt. In Wirklichkeit ist es Frauendiskriminierung, Machogehabe, das Gegenteil von Gleichberechtigung.

Frauenrechte in Gefahr? Im Jahr 2018, mitten in Deutschland? Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder man sieht etwas nicht, oder man will es nicht sehen, weil man sich nicht vorstellen kann oder will, dass es solche Zustände tatsächlich noch gibt in einem aufgeklärten Land. Dabei ist es im Grunde klar: Im Grundgesetz haben wir die Gleichberechtigung von Mann und Frau verankert. Wir glauben fest an ein aufgeklärtes Geschlechterbild. Das ist der Grund, warum es immer wieder Sexismusdebatten gibt – sogar Hashtags in sozialen Medien mit dem Namen »Aufschrei«, weil ein Politiker einer Journalistin sagte, sie sei dirndltauglich. Dieser Aufregungs- und Erregungspegel ist aber sehr ungleich verteilt. Wenn Frauen nicht die Hand gereicht wird, weil sie Frauen sind, wenn Mädchen nur mit Schwimm-Burkini in den Schulschwimm­unterricht dürfen – dann ist das auch Sexismus. Aber er wird aus – sagen wir falsch verstandener »politischer Korrektheit« – nicht annähernd thematisiert. Im Gegenteil. Denjenigen, die es zur Sprache bringen, wird nicht selten Ausländer- oder Islamfeindlichkeit vorgeworfen. Dabei ist es aber gerade die Frauenfreundlichkeit, die hier mehr Unterstützung braucht.

Natürlich gibt es auch in anderen Bereichen unserer Gesellschaft noch Defizite. Wir können über Beteiligung von Frauen in der Politik diskutieren, über Frauenquoten in der Wirtschaft, über Lohnunterschiede und die Wahl­freiheit der Frau oder über Gewalt in Familien. Es ist noch viel zu tun, und wir haben schon einen großartigen Weg hingelegt. Wir sind ja auch in Deutschland keine Heiligen in Sachen Frauenrechte. Der Blick in die Geschichte zeigt: Wer vor über hundert Jahren als Mädchen geboren wurde, hatte noch schlechte Karten – beim Wahlrecht, beim Arbeitsvertrag, beim Scheidungsrecht oder beim Eröffnen eines eigenen Kontos. Wir kommen aus schwierigen Zeiten. Vieles haben wir gezielt überwunden. Wir können die Diskriminierung der Frau erst deswegen als solche definieren, weil wir diesen Weg gegangen sind.

Ich bin keine klassische Feministin. Vielleicht liegt das an meinem Geburtsjahr 1972. Mir sind als Mädchen und Frau viele Selbstverständlichkeiten in den Schoß gefallen, die Frauen und Männer vor mir erkämpft haben. Dennoch hat mich eine Feministin beeindruckt: Alice Schwarzer. Meine Generation kann ihr dankbar sein, dass wir nicht mehr sein müssen, wie man es noch vor wenigen Jahrzehnten von Frauen erwartete. Ich habe großen Respekt vor ihrer Leistung. Sie ist sich treu geblieben in der Frauenfrage. Obwohl ihr heute sogar vorgeworfen wird, islamophob zu sein. Nicht sie hat sich geändert in ihrer Sichtweise, sondern die Gruppe der Frauen, die heute unsere Fürsprache braucht, ist eine andere. Und wer Multikulti ohne allgemeingültiges Wertegerüst gutheißt, hat häufig ein Problem, die Augen offen zu halten für Frauen, die in Multikulti-Strukturen leiden. Denn häufig ist die Sichtweise fundamentalistischer Männer alles andere als multi, sondern einfach nur einseitig, machohaft und frauendiskriminierend. Wer Prinzipien hat, macht Frauenrechte aber nicht von der Situation oder Betroffenheit abhängig, sondern ist unbestechlich.

Früher wurde Alice Schwarzer für ihre Standpunkte von rot-grünen Feministinnen gefeiert. Heute werfen sie ihr für ihre gleichen Standpunkte, die sich weniger gegen den deutschen, sondern den fundamentalistisch-arabischen Mann wenden, Ausländerfeindlichkeit vor. Alice Schwarzer ist weder ausländerfeindlich noch islamophob, sie ist sich einfach nur treu geblieben. Das Problem unserer Zeit ist die gespaltene Logik, die wir an den Tag legen. Das Messen mit unterschiedlichem Maß. Das reflexhafte Denken und die Schubladen, in die jede Aussage sofort fachgerecht entsorgt wird. Du sagst was gegen eine bestimmte Ausprägung des Islam, dann bist du Rassist. Das ist eine dankbare Sache, vor allem für diejenigen, die Frauenrechte gerne wieder zurücknehmen wollen. Ich wünsche mir das Engagement, den Verve, den wir damals hatten, als es noch viel zu erkämpfen gab. Einen Schwung ins Horizontale, indem wir weit ausholen und alle in einem Konsens vereinen, dass grundlegende Frauenrechte für alle Frauen gelten – auch für diejenigen, die neu in dieses Land kommen.

Wir brauchen als Aufnahmegesellschaft für uns eine Grundübereinstimmung, einen Common Sense, dass wir alle das Gleiche wollen. Dass wir in Sachen Frauenrechte nicht in Frage stellen, was erreicht wurde, und jetzt viel Kraft einsetzen müssen, dass die anderen das auch erreichen. In anderen Politikbereichen tun wir das doch auch. Bei der Bildung sind wir uns beispielsweise einig, dass die Schulpflicht gilt, egal woher ein Kind kommt und warum es hier ist. Für die Kinder verlangen wir das. Wir sagen nicht, weil du Ausländer bist, gibt es für dich nur Bildung light. Warum akzeptieren wir also »Frauenrechte light«? Ich will, dass wir auch den Frauen den Raum und die Zuwendung geben, die sie verdienen. Wir können nicht auf der einen Seite Gender*Sternchen und Equal Pay Day diskutieren und auf der anderen Seite akzeptieren, dass Mädchen unterdrückt werden. Wir knicken ein vor einer ominösen »kulturellen Vielfalt«, die doch vielen nur als Entschuldigung für die Verweigerung elementarer Frauenrechte gilt. Und das Problem betrifft nicht nur die aktuelle Zuwanderung in unserem Land, sondern viele, die schon lange da sind. Wo unterstützen wir diese Frauen, die bereits seit Jahren in unserem Land leben und dennoch auf zahlreiche Rechte verzichten müssen?

Wo sind diese Frauen von damals, um jetzt zu protestieren, wenn Mädchen keine Ausbildung beginnen, nicht am Schwimmunterricht teilnehmen, nicht selbst entscheiden dürfen, wie und mit wem sie ihr Leben gestalten wollen? Wo sind sie alle, die sonst bei jedem falschen Wort laut »Sexismus« rufen, aber schweigen, wenn junge Mädchen gegen ihren Willen verheiratet werden? Sonst reden wir gerade in der Frauenpolitik und gerade wenn es um das Thema Emanzipation geht, immer, wirklich immer, über die »Teilhabe am gesellschaftlichen Leben«. Schon Simone de Beauvoir stritt dafür, und wir tun es immer noch. Teilhabe am Arbeitsmarkt. Teilhabe an Vorstandsposten. Teilhabe an der Politik, um mitreden zu dürfen. Wo aber ist die Teilhabe an unserer Gesellschaft für die Mädchen, die ohne Verhüllung nicht aus dem Haus dürfen, weil ihre Brüder darüber wachen? Die ohne Vollverschleierung nicht mal bis zum Supermarkt um die Ecke kommen, weil sonst ein Ehemann mit »Ehrenmord« droht? Allein, dass wir solche Begriffe immer noch transportieren, dulden oder gar selbst benutzen, ist nicht banal. Es hat nichts mit Ehre zu tun, wenn eine Frau getötet wird, weil sie die Rechte nutzt, die dieses Land ihr garantiert. Oder jedenfalls garantieren sollte.

Statt Teilhabe erleben wir leider, dass sich nicht wenige im Land Burkinis und Nikabs, Kopftücher und verweigerte Handschläge für Frauen schönreden oder gar Verständnis haben, denn es sind ja angeblich nur »kulturelle Unterschiede«. Es nutzt den Falschen, dass wir hier zwei unterschiedliche Ebenen gelten lassen. Verständnis haben. Kompromisse machen. Jeder Kompromiss ist hier ein Einknicken, eine Schwäche, die nicht mit Dialogbereitschaft beantwortet wird, sondern mit der nächsten Grenzverschiebung zulasten der Frauen.

Die früheren Forderungen nach Teilhabe an Bildung, nach dem Recht auf einen eigenen Beruf, ein eigenes Konto, auf Selbstbestimmung, auf körperliche Unversehrtheit verjähren nicht, sie sind hochaktuell und müssen permanent wiederholt werden. Und es ist eben nicht konsequent, wenn wir einerseits an den Schulen Prävention gegen sexuelle Übergriffe lehren, aber dulden, wenn junge Frauen durch ihre Eltern verheiratet werden. Und sogar für Kinderehen von Flüchtlingen gibt es in unserem Land immer noch Menschen mit ganz viel Verständnis. Da werden sie zu Verbündeten von Männern mit einem Frauenbild, das wir früher bekämpft haben. Unter dem Deckmantel der Vielfalt und des Verständnisses wird eher Anti-Vielfalt akzeptiert. Die Männer aus patriarchalen Verhältnissen haben gewiss keinen Sinn für Vielfalt. Bei ihnen gilt die Spielregel für Mädchen und Frauen: Du nimmst nicht teil, weil du kein Junge bist. Oder nur unter unseren Bedingungen. Nur nach unseren Regeln. Wo ist die gesellschaftliche Teilhabe dieser Frauen und Mädchen? Wo sind wir, dass wir ihnen Rückhalt geben? Stattdessen müssen uns Betroffene belehren, wir mögen ihnen doch wenigstens nicht noch in den Rücken fallen, wenn wir sie schon alleine lassen mit diesem Problem.

Es gibt leider viele Beispiele aufzuzählen, nehmen wir nur einmal exemplarisch dieses aus meinem Heimatland Rheinland-Pfalz: Hier existiert tatsächlich ein Faltblatt für Schulen, in dem von Regierungsseite der Burkini für den Schwimmunterricht an unseren Schulen zu legitimer Badekleidung erklärt wird.1 Wir haben nämlich Verständnis für den kulturellen Unterschied. Wie erkläre ich dem 15-jährigen Mädchen, das sich vielleicht gerade gegen den Druck der eigenen Familie und gegen den Druck seiner ganzen »Community« den ersten Badeanzug erkämpft hat, dass wir jetzt ihrem Vater Recht geben. Dem Vater, der darauf drängt, dass sie entweder im Burkini oder gar nicht am Schwimmunterricht teilnehmen soll. Wir lassen sie im Stich.

Wer in diesem Land solche Dinge kritisiert, wird schnell in eine politisch rechte Ecke gedrängt. Man kann die Uhr danach stellen, dass sich auf Knopfdruck jemand zu Wort meldet, der nicht nur sofort Verständnis aufbringt für jeden kulturellen Auswuchs fremder Kulturen, sondern gleichzeitig mit anprangert, dass es rassistisch sei, so wenig Verständnis für die fremde Kultur aufzubringen. Nach Köln – schlimm genug, dass jeder im Land sofort weiß, was damit gemeint ist, wenn wir von »nach Köln« reden – haben wir uns zunächst wochenlang lieber mit der Frage beschäftigt, ob man sagen darf, dass die Täter nichtdeutscher Herkunft waren, anstatt entsetzt zu sein, was diese Männer getan hatten. Es existiert in diesem Bereich nahezu eine Umkehrung von Tätern und Richtern. Nicht diejenige werden verurteilt, die Frauen bedrängen, sondern diejenigen, die das anprangern.

Und das treiben nicht nur Konservative voran. Sondern durchaus Linke. Rot-Grüne. Damals, als es um die Rechte der Frauen in Deutschland ging, waren es gerade diese Kräfte, die hier kämpften. Mit großen Verdiensten. Und ich gehe auch kritisch mit meiner Partei ins Gericht. Als es damals um den Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe ging, da waren Männer aus meiner Partei Bremser. Ich bin mir sicher, das würden sie sich unter einer Angela Merkel heute nicht mehr erlauben können. Aber wo sind die rot-grünen Feministinnen jetzt? Warum kämpfen sie nicht heute mit der gleichen Leidenschaft wie damals? Ist das nicht der wahre Rassismus, dass uns jetzt diese Frauen egal sind, weil sie »nur« Migrantinnen sind? Würden wir bei unseren Töchtern auch so zusehen? Oder sind uns diese wichtiger? Heute erleben wir stattdessen, wie das Engagement für diese Frauen nicht nur ausbleibt, sondern gar ins Lächerliche gezogen wird. Im vergangenen Jahr titulierte mich der Grünen-Politiker Jürgen Trittin öffentlich bei Twitter als »BurkaJulia«2 wegen meines Einsatzes gegen den Gesichtsschleier auf unseren Straßen, hinter denen Frauen – nicht Männer! – zu gesichtslosen Wesen degradiert werden. Diesen Frauen wird eingeredet, ihr Anblick sei nichts für die Öffentlichkeit. Von Teilhabe kann hier wirklich keine Rede sein, von Kommunikation auch nicht. Stattdessen machten sich gerade linke Männer über meine Empörung lustig, wenn mir fundamentalistisch-gläubige Männer öffentlich den Handschlag verweigern, einfach nur, weil ich eine Frau bin. Das regte den grünen Politiker offenbar eher zu Spott statt zum Nachdenken an. Ich bin schon zu lange im politischen Geschäft, um mich darüber noch aufzuregen. Genau genommen ist es sogar ein dankbares Beispiel dafür, wie ein Vertreter einer Partei, die sich auch aus der Frauenbewegung heraus gegründet hat, sich heute wegduckt, wenn es offenbar die »falschen« Opfer sind.

Ich sagte bereits, ich erhebe nicht den Anspruch, eine klassische Feministin zu sein. Neuerdings muss ich es aber werden, denn ich will die Standards halten, die Selbstverständlichkeit, mit der auch ich in unserem Land Frau sein darf. Mit der ich Politik machen darf und selbst entscheide, mit wem ich wo lebe. Ob ich heirate, ob ich einen Beruf habe oder ob ich mich scheiden lassen möchte. Oder auch einfach nur, was ich morgen anziehe und wie kurz oder lang mein Rock ist.

Ich will nicht, dass diese Debatte an die politischen Ränder nach links und rechts abrutscht. Diese Debatte gehört – offen und klar angesprochen – in die Mitte der Gesellschaft. Wie sieht Gleichberechtigung aus in einer sich wandelnden Gesellschaft, 2018 in Deutschland? Wie sieht die Gleichberechtigung aus, angesichts von Hunderttausenden von jungen Männern, die in unserem Land leben und von Frauenrechten noch nie gehört haben und in Ländern sozialisiert wurden, wo es als legitim gilt, Frauen zu schlagen und zu »züchtigen«, wenn sie nicht gehorchen? Und wie wird es in 20 Jahren in unserem Land aussehen? Wir müssen darüber in der Mitte der Gesellschaft und des Parteienspektrums reden, denn sonst tun es andere. Und ich jedenfalls möchte den Diskurs über Rechte und Freiheit der Frau weder den politischen Rechten, noch den islamischen Radikalen, aber auch nicht den feministisch Ignoranten überlassen.

Und deswegen reden wir nicht einfach nur über einen verweigerten Handschlag, über ein paar Nikabs im Straßenbild oder ein paar Mädchen, die regelmäßig krank sind, wenn Schwimmen auf dem Stundenplan steht. Es ist nämlich nicht nur ein Handschlag. Es steckt vielmehr ein inakzeptables Denken dahinter. Ein Weltbild, wonach eine Frau es nicht wert sei, dass man ihr die Hand reicht oder überhaupt mit ihr spricht. Dass sie nicht gleichwertig sei. Es ist nicht nur ein Burkini im Schwimmbad, sondern die Denkweise, dass der Anblick eines Frauenkörpers unsittlich sei und Männer provozieren könnte, übergriffig zu werden. Es ist auch eine Beleidigung der normal tickenden Männer, als ob sie sich nicht im Griff hätten. Damit sind wir nur noch einen kleinen Schritt davon entfernt, dass eine Frau wieder selbst schuld an einer Vergewaltigung sei, wenn sie doch Haut gezeigt hat. Es ist nicht nur ein Stück Stoff, sondern ein politisches Symbol. Deswegen verbrennen es in Syrien tapfere Frauen nach der Befreiung vom Terror der IS-Milizen. Aber während in anderen Ländern Frauen ihr Leben riskieren, diskutieren wir ernsthaft bis in die Feuilletons etablierter Zeitungen, ob so ein Gesichtsschleier nicht auch ein Symbol eines neuen muslimischen Feminismus sein könnte.

Wir leben in Zeiten, in denen alle über Integration reden, aber kaum jemand definieren will, was wir dafür einfordern. Wir reden über Integration und meinen immer, was wir als deutsche Gesellschaft noch mehr tun müssen, damit es gelingt. Wir reden aber zu wenig darüber, was wir vor allem den Männern abverlangen können und müssen, die dauerhaft in unserem Land leben wollen. Der Erfolg einer nachhaltigen Integration lässt sich nicht von der Frauenfrage abkoppeln.

Ob nun Europa oder Afrika – der Wohlstand und die Entwicklung einer Gesellschaft hängt immer auch von der Teilhabe und Selbstbestimmung der Frauen ab. Gesellschaften, die glauben, auf die Talente der Frauen verzichten zu können, halten im globalen Wettbewerb nicht mit. Männlich geprägte Gesellschaften sind weder gerechter noch klüger. Ich bin mir sicher: Die Zukunft Afrikas hängt von den Frauen ab und der Integrationserfolg in Deutschland auch.

Entweder Integration gelingt mit den Frauenrechten oder gar nicht. Schritte aufeinander zuzugehen, wenn unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, darf nicht bedeuten, dass wir Errungenschaften aufgeben. Politik ist gewohnt, Kompromisse zu machen. Jede Abstimmung im Parlament, jede Koalitionsverhandlung, jeder Runde Tisch auf kommunaler Ebene ringt immer nach Kompromissen.

Aber Kompromisse haben ihre Grenzen, wenn es um Prinzipien geht. Und deswegen ist es falsch, wenn die ehemalige Integrationsbeauftrage der Bundesregierung und Sozialdemokratin Aydan Özoguz formuliert, Integration müsse jeden Tag neu ausgehandelt werden. Denn über wesentliche Standards müssen und sollten wir in unserem Land gar nicht mehr diskutieren. Manche Spielregeln sind bereits mühsam ausgehandelt und über Jahrzehnte verteidigt worden, bis sie zu Selbstverständlichkeiten heranreifen konnten. Das dürfen wir in der Verantwortung für die kommenden Generationen von Mädchen und Frauen nicht mehr aufs Spiel setzen. Die Hausordnung steht. Wir teilen sie freundlich, aber bestimmt mit. Denn Frauenrechte gelten für alle Frauen in Deutschland und sind nicht verhandelbar.

KAPITEL 1

Wer A sagt, muss auch B sagen

Für die vergangene Familien-Weihnachtsfeier im Weingut meines Bruders in Guldental hatte ich die wenig staatstragende Aufgabe übertragen bekommen, für das Dessert zu sorgen. Mehr wurde mir kulinarisch offenbar nicht zugetraut, dafür kamen meine geschichteten Himbeeren mit Sahne und Baiser dann sehr gut an. Ich nehme es mit Humor. Wären wir in den 50er-Jahren, würden Frauen wie ich aber vermutlich als nicht heiratstauglich gelten. Nachtisch reichte da nicht aus. Zu wenig Hausfrau, zu viel Politik und zu viel eigene Meinung. Auf der Kommode neben meinem Esstisch zuhause thront schon lange zur Beruhigung oder eher zur Belustigung meiner Gäste der historische Bestseller »Das Reich der Hausfrau – Ein praktischer Lehrkurs der rationellen Hauswirtschaft, Kochkunst und Ernährungskunde«. Gefunden in einem Antiquariat, geschrieben in altdeutscher Schrift. Er verspricht zahlreiche praktische Anleitungen in Text und Bild zur Führung des perfekten, mustergültigen Haushaltes. Und natürlich alle Rezepte für eine glückliche Ehe, in Form von Fleischrezepten, Fisch, Pudding, Soßen, Kalten Platten und nicht zu vernachlässigen: die Likörbereitung. Ein großartiges Fundstück.

Es gehört zu den Errungenschaften der Frauenbewegung, dass wir solche »Standard-Bücher« heutzutage mit Humor, als historische Ausstellungsstücke oder als Briefbeschwerer nehmen können, aber nicht mehr als Hochzeitsgeschenk von der Schwiegermutter überreicht bekommen. Wenn wir heute eine Kochschürze anziehen, dann, weil wir es gern tun, nicht weil uns nichts anderes übrig bleibt. Die Waschmittelwerbung mit sauberer Wäsche als höchstes Glücksgefühl wird uns nicht mehr als Lebensinhalt präsentiert, sondern mit Männern an der Waschmaschine. Gut so. Denn bis vor Kurzem, also vor rund einem halben Jahrhundert, galten viele der heutigen Selbstverständlichkeiten noch gar nicht als selbstverständlich bei uns. Bis zur Reform des Ehe- und Familienrechtes 1977 war die Frage der hausfraulichen Pflichten leider nicht so witzig wie in der Retrospektive, sondern gesetzlich geregelt. Mit dem Tag der Eheschließung war Frau nämlich gesetzlich »zur Führung des Haushalts verpflichtet«, und ihre Berufstätigkeit konnte vom Ehemann kommentarlos gekündigt werden, wenn er der Meinung war, dass sie »ihre familiären Verpflichtungen vernachlässige«. Wenn man das heute jungen Mädchen erzählt, glauben sie, wir berichten aus einer Zeit irgendwann kurz nach Christi Geburt, tatsächlich ist es gerade einmal 40 Jahre her.

»Alles, was Röcke trägt, hat in der Politik nichts verloren«, dies Zitat schiebt man Otto von Bismarck in den Mund. Heute erleben wir Frauen in der Politik, die gut demonstrieren, wer die Hosen anhat, selbst wenn sie Rock tragen. Selbstverständlich ist die Beteiligung von Frauen in der Politik dennoch nicht, auch wenn wir mit Angela Merkel seit vielen Jahren erfolgreich von einer Frau regiert werden.