Nichts geht über das laut denken mit einem Freunde - Hans-Hermann Höhmann - E-Book

Nichts geht über das laut denken mit einem Freunde E-Book

Hans-Hermann Höhmann

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Beschreibung

Im Anklang an seinen großen Lehrmeister Lessing betitelt Hans-Hermann Höhmann diese Aufsatzsammlung »Laut denken mit einem Freunde«. Das Buch enthält aktuelle Beiträge, in denen sich der Sozialwissenschaftler und Freimaurerforscher mit den Grundzügen des von ihm entwickelten Konzepts einer Humanistischen Freimaurerei auseinandersetzt. Die Weiterführung von Humanismus und Aufklärung bilden für ihn die Grundlage der Praxis der Humanitären Freimaurerei. Deren drei wesentliche Elemente sind Freundschaft und Geselligkeit, ethische und moralische Orientierung, Symbolik und Ritual.

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NICHTS GEHT ÜBER DAS LAUT DENKEN MIT EINEM FREUNDE

Beiträge zur Humanistischen Freimaurerei

HANS-HERMANN HÖHMANN

eBook EPUB: ISBN 978-3-96285-166-8

Print: ISBN 978-3-96285-041-8

Originalausgabe

Copyright © 2021 by Salier Verlag

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Larissa Sharina, Leipzig

Satz und Herstellung: Salier Verlag, Bosestr. 5, 04109 Leipzig

Printed in Germany

www.salierverlag.de

„Freimaurerei gelingt immer da, wo die Spannung zwischen Idee und Gemeinschaft, zwischen Nachdenken und Handeln, zwischen Verstand und Gefühl, zwischen der Geschlossenheit des Bruderbundes und seiner prinzipiellen Offenheit für neue Menschen, neue Ideen und neue Erfahrungen kraftvoll ausgehalten wird.“

— Hans-Hermann Höhmann

Inhalt

Vorbemerkung

I. Zur Konzeption der Humanistischen Freimaurerei

Die „Zweite Freimaurerei“ und die Pflichtbaustellen von Brüdern, Logen und Großlogen

Auf der Suche nach einer „humanistischen“ Freimaurerei für die Gegenwart – Funktionale und inhaltliche Aspekte einer „Philosophie“ der Freimaurerei

Spiritualität, Esoterik, Religion - Wo steht die Humanistische Freimaurerei?

„Der echte Ring vermutlich ging verloren“ ‒ Freimaurerei im Prozess der Differenzierung und das Problem der Regularität

Das „Geheime“ und das „Öffentliche“ in den Diskursen der Freimaurer

Freimaurerei im digitalen Zeitalter Chancen, Gefahren, Herausforderungen

Wieder einmal Lessing - Auf den Spuren eines modernen Denkers

Weisheit, Stärke, Schönheit Freimaurerei und das Konzept Lebenskunst

Alte Pflichten/Neue Pflichten - Ein (fast) vergessenes Dokument von großer Aktualität

Institutionelle und kulturelle Voraussetzungen der „offenen“ Gesellschaft - Die Sicht eines Freimaurers

II. Zum freimaurerischen Ritual

Die Humanitäre Freimaurerei und ihr ritueller Ausdruck Aufklärung und Esoterik im Konflikt?

Der stimmige Klang: Musik im freimaurerischen Ritual

Konzepte, Metaphern, Symbole: Das Gestaltungsdreieck der Freimaurerei

Vom eigenen Tod: Eine maurerische Betrachtung zur Trauerloge

III. In der Gesellschaft

Ethischer Diskurs und moralische Praxis: Die Sicht eines Freimaurers

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - Gesellschaft im Spannungsfeld freimaurerischer Werte

Auf der Flucht – Was geht uns das an? Die Flüchtlingsproblematik und der Weltbund der Humanität

Dem Geheimnis auf der Spur: Entwicklung und Arbeitsfelder der Freimaurerforschung

IV. Freimaurer feiern Feste

Das Feuer weitergeben: Freimaurerei als Zukunftswerkstatt

Freimaurerei – Tradition des Menschlichen

Prof. Dr. Hans-Hermann Höhmann

Editorische Notiz

Anmerkungen

Bücher von Hans-Hermann Höhmann

Vorbemerkung

„Nichts geht über das laut denken mit einem Freunde“, so habe ich diese Veröffentlichung im Anklang an meinen großen Lehrmeister Lessing genannt. Die Schrift enthält Beiträge aus der jüngeren Vergangenheit, in denen ich mich mit den Grundzügen einer Humanistischen Freimaurerei beschäftigt habe. Humanistische Freimaurerei bedeutet für mich eine Freimaurerei, die die Grundzüge von Humanismus und Aufklärung weiterführt, ins Bewusstsein hebt und kritisch reflektiert, um der Praxis der humanitären Freimaurerei der Gegenwart eine tragfähige Grundlage zu bieten. Dabei geht es mir immer wieder um die Reflexion dreier Elemente, die für mich das Wesen der Freimaurerei bestimmen: Freundschaft und Geselligkeit, ethische Grundlage und moralische Orientierung, Symbolik und Ritual. Einen solchen Dreiklang kennt nur die Freimaurerei. Er macht den Reichtum unseres Bundes aus. Er ist das Gut, das es zu bewahren gilt und dessen wir uns nicht zuletzt in Corona-Zeiten nachdrücklich anzunehmen haben.

Die Beiträge sind teilweise im Kontext der freimaurerischen Forschung entstanden, teilweise sind sie auf mein Engagement im Rahmen der Großloge AFuAM zurückzuführen, in der ich seit 2007 das Amt des Redners der Großloge wahrnehmen darf. Natürlich redet ein Redner auch manchmal zu viel, und dann schleichen sich Redundanzen in die Texte, die den Leser gleichsam alte Bekannte begrüßen lassen. All diese Wiederholungen zu eliminieren, hätte bedeutet, den vorliegenden Text völlig neu zu schreiben. Hierfür fehlt mir ganz einfach die Zeit. Auch würden die jeweiligen konkreten Kontexte nicht erkennbar und meine zeitliche und funktionelle Verortung in der Freimaurerei nicht verständlich erkennbar sein. Deshalb habe ich die Beiträge im Wesentlichen in der ursprünglichen Form belassen und Datum und Anlass angegeben, zu dem sie entstanden sind.

Neben grundsätzlichen Fragen, die sich auf die Grundzüge der Humanistischen Freimaurerei beziehen, enthält der Band auch Reflexionen über Zustand und Praxis der Freimaurerei, ausgehend von der Tatsache, dass es neben der „idealen Freimaurerei“, von der wir alle träumen und die wir uns alle wünschen, auch eine „zweite Freimaurerei“ gibt, die uns immer wieder vor Baustellen führt, in denen wir uns mit engagierten Formen „erster Freimaurerei“ zu bewähren haben. Ich versuche deshalb deutlich zu machen, dass es – wie ein Bruder meiner Kölner Loge „Ver Sacrum“ einmal so präzise gesagt hat – daher immer wieder der „Freimaurerei in der Freimaurerei“ bedarf.

Schließlich habe ich immer wieder die Nahtstellen zu Politik und Gesellschaft angesprochen. Dabei stand und steht für mich fest, dass Demokratie und offene Gesellschaft die Rahmenbedingungen unseres Bundes sind und dass der Freimaurer nichts zu tun haben sollte mit Rassismus und völkischem Denken, wie es leider nicht nur in der deutschen Gesellschaft, sondern auch im Freimaurerbund wieder heimisch zu werden droht. Hier gilt es, allen Anfängen nachdrücklich zu wehren.

Mein Dank gilt allen Brüdern, mit denen ich über eine so lange Zeit hinweg „laut mit einem Freunde denken“ konnte und deren Vorstellungen mich bereichert haben, auch wenn ich anderer Auffassung war. Und mein besonderer Dank gilt Bruder Bastian Salier, meinem überaus geschätzten Verleger, der den Text auch als eBook auf eine moderne Art dem Leser nahebringt.

Köln, im April 2021

Prof. Dr. Hans-Hermann Höhmann

TEILI

Zur Konzeption der Humanistischen Freimaurerei

Die „Zweite Freimaurerei“ und die Pflichtbaustellen von Brüdern, Logen und Großlogen

Beitrag zur 57. Arbeitstagung der Freimaurerischen Forschungsgesellschaft „Quatuor Coronati“, März 2021

Wir alle tragen ein Bild davon in uns, wie Freimaurerei beschaffen sein sollte:

Heimat soll sie sein für uns Brüder und Schwestern, uns in Freundschaft und Harmonie verbinden, uns zu Selbsterkenntnis, Demut und Bescheidenheit erziehen und uns moralische Orientierung und Lebenssinn vermitteln;über dynamische und kreative Logen soll sie verfügen und von Distrikts- und Großlogen repräsentiert werden, die befähigte Leiter haben und handlungsfähig sind im Inneren des Bundes und draußen in der Gesellschaft;schließlich aber nicht zuletzt sollen in ihr Rituale praktiziert werden, die für uns Brüder und Schwestern als spirituelle Erlebnisräume wirken, in denen wir uns selbst erfahren und unsere Persönlichkeit entwickeln können.

Alle diese Elemente einer guten, einer bereichernden, einer wünschenswerten Freimaurerei existieren nun gewiss nicht nur in unseren Wunschträumen. Kein Bruder Freimaurer zweifelt daran, dass sich die Freimaurerei durch ihre Geschichte hindurch als Gemeinschaft von Wert und Bedeutung bewährt hat und dass sie für viele Menschen soziale Heimat und Vermittlerin von Lebenssinn und moralischer Orientierung war und ist. Und wir alle schätzen diese eigentliche, diese „Erste Freimaurerei“, wie ich sie nenne, diese Freimaurerei, von der wir hoffen, dass sie als eine wahrhaft „Königliche Kunst“ lebt und wirkt.

Aber, meine Brüder und Schwestern, wenn wir offen sind für das Erfassen freimaurerischer Wirklichkeiten, so wie sie nun einmal sind, so erkennen wir doch immer wieder auch Formen einer freimaurerischen Praxis, die uns verstimmen, ja zuweilen regelrecht erzürnen, und die ich die andere, die uneigentliche, die „Zweite Freimaurerei“ nennen möchte. Darunter verstehe ich – zunächst einmal eher vorläufig als analytisch ausgereift – eine Freimaurerei, die im Widerspruch zu den ideellen Grundlagen des Bundes zum Selbstzweck geworden ist, eine Freimaurerei, die nicht als moralisch erzieherische Arbeit am eigenen Ich und als Bemühen um bessere Verhältnisse im Umfeld des Freimaurers in Erscheinung tritt, sondern die vielmehr als freimaurerische Fehlhaltung präsent ist, als Ausleben nicht kritisch hinterfragter Aktionsbedürfnisse, als Ausweiten von Macht und Einfluss sowie als selbstgefällig-narzisstisches Streben nach persönlichem „symbolischem Kapital“, nach hochtrabenden Anreden, nach eigentlich überflüssigen Orden und so weiter und so fort.

Diese „Zweite Freimaurerei“ ist mit Konflikten verbunden, die die Logenatmosphäre vergiften und nicht selten zu Logenspaltungen führen. Sie ist durch Vereinsmeierei und administrativen Leerlauf gekennzeichnet, sie enttäuscht immer wieder wirklich engagierte Brüder und Schwestern, sie führt zu Austritten und „innerer“ Deckung, d. h. schlichtem Fortbleiben aus der Loge, und trägt zu manchen hartnäckigen Stagnationserscheinungen bei, sowohl auf nationaler als auch auf übernationaler Ebene.

Freimaurerische Befindlichkeiten, „Zweite Freimaurerei“, Probleme der Forschung

Die Zeiten, als die Freimaurerei weltweit mehr als 6 Millionen Mitglieder hatte, sind ja längst vorbei, und wir sollten endlich auf unsere liebgewordenen Falschangaben nach innen und außen verzichten. Etwa zweieinhalbmillionen Freimaurer dürften es gegenwärtig noch sein, was allerdings hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, dass die Freimaurerei in den USA seit den späten 1950er Jahren über drei Millionen Mitglieder verloren hat und auch in Kanada, Australien und England beträchtlich geschrumpft ist. Allerdings ist auffällig, dass sich die Freimaurereien der Welt sehr unterschiedlich entwickeln. Sie sind jeweils durch spezifische Stärken und Schwächen gekennzeichnet, und es wäre lohnend, diesen Stärken und Schwächen in einer empirisch angelegten Studie international vergleichend nachzugehen.

Die Weichen in Deutschland stehen nach wie vor eher auf Stagnation als auf Dynamik. Die neueste im Jahrbuch 2021 der VGLvD ausgewiesene Zahl der Freimaurer hierzulande bezieht sich auf den 1.1.2019. Sie beläuft sich auf gut 15.300 und liegt damit um knapp 90 Brüder über dem Stand vom 1.1.2014. Während die Mitgliederzahl für die Großloge AFuAM über die genannten fünf Jahre hinweg um ca. 80 Brüder zugenommen hat, wird für die Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland im gleichen Zeitabschnitt ein Rückgang um ca. 370 Mitglieder ausgewiesen. Die ACGL verzeichnet ein Plus von 285, was wohl zumindest teilweise ein „Asylphänomen“ darstellt.

Eine analytische Aufarbeitung der hinter diesen Zahlen stehenden Entwicklungs- und Strukturprobleme und damit auch von Umfang und Auswirkung der „Zweiten Freimaurerei“ scheint mir dringend erforderlich und sollte häufiger als bisher auch Gegenstand der wissenschaftlichen Arbeit der Forschungsloge „Quatuor Coronati“ sein.

Allerdings ist dies leichter gesagt als getan. Denn eine auf Strukturen und Probleme der Gegenwart konzentrierte Freimaurerforschung steht vor zwei gravierenden Problemen, einem empirischen Problem und einem methodischen.

Der erste Problembereich bezieht sich auf die Schwierigkeiten einer realitätsorientierten Forschung, die gesicherte Informationen über den Status quo der Freimaurerei in Deutschland vermittelt, auf das schlichte, für jedes Beurteilen erforderliche Bescheidwissen über Fakten. Wenn wir ehrlich sind, so müssen wir doch ganz einfach einräumen, dass wir so genau gar nicht wissen, wie die Freimaurerei hierzulande und anderswo eigentlich beschaffen ist. Denn die Freimaurerforschung, die wir betreiben, ist eben nur zum kleineren Teil empirische Gegenwartsforschung und liefert wenig verlässliche Informationen über Struktur und Zustand unseres Bundes. Meistens nähern wir uns deshalb den freimaurerischen Realitäten einfach dadurch an, dass wir sie im Netz unserer Begriffe einfangen und dann eine Freimaurerei für Realität erklären, die es ohne unsere Begrifflichkeiten überhaupt nicht gäbe.

Die gravierenden empirischen Probleme hängen nicht zuletzt mit dem unzureichenden Materialzufluss von der freimaurerischen Basis zusammen. Dieses Material müsste ja vor allem aus den Logen und Großlogen kommen. Doch die Logen sind häufig besorgt, Informationen über Details des Logenlebens und persönliche Befindlichkeiten der Brüder weiterzugeben, und Brüder anderer Logen mischen sich oft auch nicht ein, denn es besteht – neben masonischer Tratschsucht, die es auch gibt – sicher so etwas wie eine maurerische „Familiendiskretion“. Informationen aus Ehrengerichtsverfahren, die ja äußerst aufschlussreich wären im Hinblick auf Fehlverhalten und Konfliktsituationen, stehen – und dies sicher zu Recht – allenfalls sporadisch und anekdotisch zur Verfügung, und auch die Leitungen der Groß- und Distriktslogen verhalten sich eher zurückhaltend beim Zur-Verfügung-Stellen relevanter Informationen und scheinen auch nicht selten wenig an den Ergebnissen empirischer Forschung interessiert zu sein, insbesondere, wenn diese Forschung kritische Akzente aufweist. Möglicherweise schätzt man es „höheren Orts“ ganz einfach nicht, wenn außerhalb der etablierten Leitungskreise fachliche Expertise für die freimaurerische Praxis entsteht, die eingeschliffene Verwaltungsroutinen stört und mit der die zuweilen eingeschränkte Effizienz oberer Leitungstätigkeit kritisierbar würde.

Wenig wissen wir auch über die Einstellungen der Brüder. Gewiss, wir sprechen miteinander und tauschen uns aus. Aber dieser Austausch ist ja in keiner Weise umfassend. Auch gehen wir in unserer Kommunikation oft nicht freundlich miteinander um und haben aus den gegenwärtigen gesellschaftlichen Prozessen und den sozialen Medien eine Sprachkultur – oder präziser Sprachunkultur – in unsere Internetforen übernommen, an der sich wenig Freimaurerisches erkennen lässt. Ein verlässliches Meinungsbild der Bruderschaft fehlt jedenfalls. Ansätze, ein solches zu ermitteln, sind in der Vergangenheit immer wieder gescheitert. Ich selbst hatte im Rahmen eines gemeinsam mit Prof. Bergmann vor etwa 15 Jahren an der soziologischen Fakultät der Universität Bielefeld durchgeführten Forschungsprojekts zur Struktur der deutschen Gegenwartsfreimaurerei mit meinen Projektkollegen einen detaillierten Fragebogen ausgearbeitet, der die Einstellungen der Brüder zur Freimaurerei in vielen Details sichtbar machen sollte, doch eine entsprechende tatsächliche Befragung scheiterte am Einspruch der Großloge AFuAM.

So muss ich mich in meinem Beitrag nicht zuletzt auf 60 Jahre eigener Beobachtung der Freimaurerei als „actor-spectator“ in der Logen- und Großlogenleitung, auf die Ergebnisse meiner bisherigen Forschung und auf viele Gespräche stützen, die ich – gemäß meinem Lieblingsmotto „nichts geht über das laut denken mit einem Freunde“ – in der langen Zeit meiner Freimaurerei bei vielen Logenbesuchen im In- und Ausland geführt habe. Das Resultat eines solchermaßen persönlich angelegten Bemühens hat natürlich einen in hohem Maße subjektiven Charakter.

Der neben der unsicheren empirischen Basis zweite Problembereich der freimaurerischen Gegenwartsforschung hat mit der vorherrschenden Unsicherheit und Unerfahrenheit bezüglich adäquater Forschungsmethoden zu tun. Natürlich steht die ganze Fülle der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Verfügung. Beginnend mit Georg Simmel und Max Weber, über Niklas Luhmann, Jürgen Habermas, Robert Putnam, Pierre Bourdieu und viele andere liegen zahlreiche methodische Entwürfe und Forschungsgrundlagen vor. Es gibt bis jetzt freilich nicht allzu viele Freimaurerforscher, die diese Ansätze aufgegriffen haben, wenn ihre Zahl erfreulicherweise inzwischen auch zunimmt. Ich selbst habe in der Vergangenheit sowohl mit Putnams Sozialkapital- als auch mit Bourdieus Habituskonzept gearbeitet und meine, damit auch ein Stück vorangekommen zu sein. Heute – im Kontext der „Zweiten Freimaurerei“ möchte ich allerdings eine Betrachtung wählen, die weniger die sozialwissenschaftliche Theorie bemüht und sich mehr an der Plausibilität der historischen Erfahrung orientiert, so wie sie insbesondere in den geschichtswissenschaftlichen Arbeiten von Michael Voges, Florian Maurice und Stefan-Ludwig Hoffmann Ausdruck findet. Denn vieles wird von diesen Forschern – oft durchaus verblüffenderweise – für die Anfänge der Freimaurerei so beschrieben und wissenschaftlich erklärt, wie es auch heute noch anzutreffen ist, weil es oft offenbar mehr strukturell bedingt als zeitlich bestimmt gewesen ist.

Also gestatten wir uns zum Aufhellen der Gegenwart ein paar historische Reflexionen:

Kaum hatten die operativen Steinmetze aufgehört, Steine zu bearbeiten und Gebäude zu errichten, kaum waren sie „spekulativ“ geworden, schon wollte und musste man wissen, welche Richtungen und Inhalte die Spekulationen der Gentlemen Masons – zuerst in London und Westminster, später auch auf dem europäischen Kontinent und anderswo in der Welt – nun eigentlich haben sollten. Es fehlte ja für die Gegenwart von damals und für die Zukunft, die man gestalten wollte, an einer klar definierten Bauaufgabe. Es existierte in der Freimaurerei von Anfang an strukturell und programmatisch eine gleichsam „fordernde Leere“ (Michael Voges), die gefüllt werden musste, und je nach ihren unterschiedlichen Motiven und Interessen, je nach der Art und Weise ihrer Reaktion auf die geistigen Impulse der Zeit und auf die unterschiedliche gesellschaftliche und politische Einbettung der Logen, schufen sich die Freimaurer im 18. Jahrhundert ihre unterschiedlichen masonischen Welten. Das Eigentliche in der Freimaurerei – in meiner Begrifflichkeit die „Erste Freimaurerei“ – war dabei nun offenbar so schwer zu bestimmen und so anstrengend zu realisieren, dass sich von Anfang an das Uneigentliche der Freimaurerei in den Vordergrund schob, in meiner Begrifflichkeit eben eine Erscheinungsweise der „Zweiten Freimaurerei“.

Die Loge war für die Brüder Freimaurer – so hat es Florian Maurice anschaulich beschrieben und ich folge ihm darin und übernehme Teile seines Textes1 – eine Welt außerhalb der Welt, aber sie bot – und das gilt ja durchaus bis heute – den Maurern für das, was man für sich in der Welt nicht erhielt, befriedigende Surrogate: Es gab Ämter und Titel, Abzeichen und Patente, Verantwortung und Ansehen, Streitigkeiten und Kabalen. Man war Teil eines Systems von Bedeutungen, das unabhängig von dem der Welt existierte, ihm aber in funktionaler Hinsicht im Wesentlichen entsprach und daher im Ausmaß der Befriedigung, das es gewährte, an dessen Stelle treten konnte. Was immer die Loge an freimaurerischen Inhalten bot, was sie etwa als Ausdruck von Religion und Weltanschauung war, als Sozialform entstand sie vor allem, um den Männern, die sie in sich einband, in einem sich rasch verändernden gesellschaftlichen Umfeld neue Lebensinhalte zu verschaffen. Dies galt sowohl für den im Spätabsolutismus in der gesellschaftlichen Hierarchie absteigenden Adel als auch für das sozial aufsteigende Bürgertum. Beide Gruppierungen fanden in der Freimaurerei einen Raum für mannigfaltige Aktivitäten, und viele suchten diesen Raum nicht primär wegen der Freimaurerei und ihrer Inhalte, sondern wegen eben dieser vielfältigen Möglichkeiten, aktiv zu sein und sich in Szene zu setzen. Die Brüder interessierte vor allem, was ihren Interessen entgegen kam: die Beschaffenheit von Graden, hierarchischen Ordnungen und persönlichen Gratifikationen, die Formen der Herrschaft, die Techniken und Regeln der Verwaltung, die Handhabung der Finanzen usw. und so fort.

Es ist von großem Interesse, dass der Gesichtspunkt, die Freimaurerei nur allzu oft für Zwecke zu instrumentalisieren, die ihren humanistischen Werten eigentlich widersprechen, auch in dem gerade auch in deutscher Sprache erschienenen Buch des englischen Historikers John Dickie (kein Freimaurer) „The Craft. How the Freemasons Made the Modern World“ mit vielen geschichtlichen Belegen – etwa zum Rassismus Albert Pikes und seiner Südstaaten-Freimaurerei – vertreten wird.

Das bedeutet in meiner heutigen Terminologie: Es gab von Anfang an ein hohes Maß an „Zweiter Freimaurerei“. Die „Erste Freimaurerei“, die „wahre“ Freimaurerei, wie man sie oft genannt hat, war zwar eine große Sehnsucht, die in den Diskursen durchaus präsent war, die aber kaum den von subjektiven Interessen gesteuerten Tätigkeitsdrang der Freimaurer – insbesondere der führenden Freimaurer – erklären kann. Dieser in starkem Maße auf die von ihnen gewünschten sozialen Rollen bezogene Tätigkeitsdrang der Maurer bestimmte sicher nicht die Einstellung aller Mitglieder, aber er kann – auch hierin folge ich Florian Maurice – den Schlüssel zum Verständnis des Verhaltens derer liefern, die in den verschiedenen Orden und Großlogen die wesentlichen Rollen spielten und diesen einen Großteil ihrer Zeit und ihres Engagements gewidmet haben.

Ignaz Aurelius Feßler beispielsweise führte im Jahre 1804 sein Wirken in der Loge Royal York auf seinen „Trieb zur Geschäftigkeit“ zurück, „dem sich sonst keine Betätigungsmöglichkeıt bot“. „Niemand“, so fuhr Feßler fort, „konnte und wollte mich brauchen. Ich stiftete daher Mittwochs- und Humanitätsgesellschaften, und weil diese mich nicht genug beschäftigten, war mir die Aufforderung zur Reformation der Loge Royal York zur Freundschaft willkommen.“

Auch Adolph Freiherr Knigge, ebenso in der Freimaurerei wie in verschiedenen anderen geheimen Gesellschaften engagiert, teilt sich in diesem Sinne mit: „Von Jugend auf durch einen unruhigen, spät in mäßige, nützliche Grenzen zu ordnenden Thätigkeits-Trieb angespornt, wurde auch ich früh von der Krankheit unseres Zeitalters, von der Begierde nach geheimen Verbindungen und Orden hingerissen.“ Es war daher sehr treffend, wenn Knigge seinem 1786 erschienenen „Beitrag zur neuesten Geschichte des Freimaurerordens in neun Gesprächen“ ein Wort des römischen Fabeldichters Phaedrus voranstellte, das ins Deutsche übersetzt lautet: „Ein gewisses Völkchen ist beschäftigt, streift ohne Ruhe umher, ist eifrig müßiggängerisch, schuftet wegen nichts, tut viel, ohne wirklich etwas zu tun.“

Es mag also auch einer alten strukturellen Problemlage zuzuschreiben sein, wenn es in der Freimaurerei heutzutage viele Fehlentwicklungen gibt, die wir im Allgemeinen der Gesellschaft „da draußen“ zuschreiben, die aber immer schon zu den prägenden Elementen der inneren Logenbefindlichkeit gehört haben.

In diesem Sinne möchte ich hinweisen auf:

Relativismus im Verhältnis zu traditionellen Werten; masonische Kleinkriminalität, Schmuddeligkeit im Zugriff auf freimaurerisches Vermögen (schon Knigge hatte von „Eingriffen untreuer Schatzmeister in die Cassen“ gesprochen);Verfehlen notwendiger Standards im Umgang miteinander; Ausweitung einer unguten Aggressions-, Konflikts- und Schimpf-Kultur – oder besser Unkultur –, nicht zuletzt in den Foren des Internets;Sich Ausbreiten dessen, was man das „Stammtisch-Syndrom“ nennen könnte: statt redlichem, intellektuell anspruchsvollem Diskurs uninformierte, vorurteilsbehaftete Medien-, Politik- und Politikerschelte und hinneigen zu Tratsch und masonischem Smalltalk, neuerdings immer häufiger durchsetzt mit völkischen Parolen;Erlebnis- (bzw. Unterhaltungs-)orientierte Einstellung: Logen-, Ritual-, Grad- und System-„Hopping“, Freimaurerei à la carte;Unzureichende Sorgfalt bei Auswahl von und im Umgang mit Kandidaten; nicht immer gelungenes Präsentieren von Loge und Freimaurerei im Schaufenster Internet; Einstellung eines: „Wer sich meldet, der wird genommen“; missionarisches Werben bei gleichzeitig geringem freimaurerischem Wissen;Immer mal wieder spannungsreiches Verhältnis zwischen der prinzipiell dreigradigen humanitären Freimaurerei und Systemen, die höhere Grade bearbeiten (wie etwa der AASR). Hier sollte eine strikte Neutralität praktiziert werden. Bruderschaftliche Vereinigungen haben sich in die Praxis der humanitären Logen nicht einzumischen, sollten auf Werbeveranstaltungen («Friedensarbeiten») verzichten und auch nicht das von der Freimaurerischen Ordnung der Großloge verbürgte Recht der Logen in Frage stellen, die Mitgliedschaft in freimaurerischen Vereinigungen, die in anderen als den drei Basisgraden Lehrling, Geselle und Meister arbeiten, für ihre Mitglieder auszuschließen;Schwächen bei den organisatorischen Einheiten des Aufbaus der Freimaurerei, die den Logen übergeordnet sind, den Distrikts-, Provinzial- und Großlogen insbesondere. Hier gibt es gewiss auf der einen Seite Leitungscharisma und eindrucksvolle Gestaltungskraft, auf der anderen Seite aber auch konzeptionelle Irritation und Führungsschwäche. Hin und wieder entstehen gar Ämterkartelle, deren Mitglieder nicht der Versuchung widerstehen, formelle, satzungsgemäße Entscheidungsstrukturen zu umgehen und Großlogenleitung im Stil von „Küchenkabinetten“ zu betreiben.

Pflichtbaustellen von Brüdern, Logen und Großlogen

Wenn wir nun gegen die genannten Schwachstellen, die vorgestellten Erscheinungsformen der „Zweiten Freimaurerei“ vorgehen wollen, so sehe ich sieben Baustellen, auf denen wir uns zu beschäftigen haben. Dabei bezieht sich meine Einschätzung primär auf die humanitäre Freimaurerei, insbesondere, was die Arbeit an der freimaurerischen Konzeption betrifft, doch die meisten der Aufgabenfelder, die ich benenne, haben großlogenübergreifenden Charakter, und wir können uns sicher noch darüber austauschen, was allgemeinen Charakter hat. Die sieben Baustellen oder dringlichkeitshalber Pflichtbaustellen sind – ich benenne sie zunächst, um sie dann ausführlicher zu behandeln:

Der Bruder (entsprechend die Schwester)Die LogeDie Konzeption der FreimaurereiDas RitualDie OrganisationDie AußendarstellungDas Wirken in der Gesellschaft.

Baustelle 1: Der Bruder

Natürlich beginnt alles mit der Arbeit am Menschen. Denn wenn der Meister danach fragt, welche Bausteine wir zum Tempelbau der Humanität benötigen, so erhält er im Ritual meiner Loge die Antwort: „Menschen, Menschen immer neue Menschen.“ Und das bedeutet nicht primär neue Mitglieder, sondern vor allem Brüder und Schwestern, die im Sinne einer moralisch orientierten Ausrichtung innerlich neu werden, die mit „Leidenschaft und Augenmaß“ (Max Weber) am Rauen Stein der eigenen Person arbeiten und sich darum bemühen, einen freimaurerischen Habitus zu entwickeln.

Freimaurerischer Habitus meint ein Bündel menschlicher Eigenschaften, mit dem wir das assoziieren, was wir für die Freimaurerei wesentlich erachten, wie insbesondere

die Fähigkeit zu Selbsterkenntnis, Selbstkritik und Demut;den Verzicht auf Selbstinszenierung und ungezügelten Narzissmus;die Abkehr von Rassismus, Nationalismus und völkischem Denken;das Streben nach Toleranz, Gelassenheit, Mitmenschlichkeit, Interesse füreinander, Offenheit und Gesprächsfähigkeit;die dynamische Balance zwischen der Fähigkeit, Konflikte auszutragen und der Bereitschaft, sie durch Versöhnung zu überwinden;das tätige Sich-Einsetzen für andere im Sinne von Hilfsbereitschaft und wirklich spürbarer Anteilnahme

Ein so beschaffener freimaurerischer Habitus ist – wenn aus „Zweiter“ wieder „Erste“ Freimaurerei werden soll – unverzichtbar. Er ist – bei aller Gebrochenheit – auch eine alte freimaurerische Zielvorstellung. Der Gedanke, dass Freimaurerei vor allem Habitus-Strukturierung bewirken soll, taucht schon früh in der Geschichte des Bundes auf und ist regelmäßiger Bestandteil von Texten und Ritualen.

Als frühes Beispiel möchte ich eine Rede des Londoner Freimaurers Martin Clare von 1735 zitieren. Clare war als Meister v. Stuhl der „Lodge of Friendship“ sowie als Großaufseher und deputierter Großmeister der Londoner Großloge seinerzeit durchaus ein Maurer von Rang.

„Die innerliche, geistige Höflichkeit drückt sich im allgemeinen im äußerlichen Benehmen aus … aber der wesentlichere Teil der Höflichkeit liegt tiefer als das Äußere und ist jenes allgemeine Wohlwollen, jene anständige Hochachtung und persönliche Wertschätzung für jedermann, die uns warnt, in unserem Benehmen anderen gegenüber Geringschätzung, Missachtung oder Nachlässigkeit zu zeigen ... Dieser Teil der Höflichkeit ist, mit einem Worte gesagt, eine geistige Gesinnung, die im Benehmen sichtbar wird.“

Eine schöne Beschreibung von Freimaurerei, meine Brüder und Schwestern, der wir gern zustimmen und die wir habituell in uns festmachen sollten: Freimaurerei ist eine geistige Gesinnung, die im Benehmen sichtbar wird.

Ein Letztes noch zum Kontext Habitus. Habitus als Inbegriff von Wahrnehmen, Denken, Entscheiden und Handeln ist eine langfristig gewachsene Kategorie. Habitus ist nur schwer veränderbar. Für die Auswahl neuer Mitglieder ließe sich infolgedessen überspitzt formuliert empfehlen, nur den, der habituell bereits erkennbar Freimaurer ist, zum Bruder Freimaurer aufzunehmen! Auf alle Fälle gilt es, bei der Auswahl von Kandidaten die folgende Feststellung Pierre Bourdieus zu beherzigen: „Wer den Habitus einer Person kennt, der spürt oder weiß intuitiv, welches Verhalten dieser Person versperrt ist.“ Auf die Loge angewendet, hieße dies: Um zu wissen, was die Loge von einem neuen Mitglied nicht erwarten kann, muss sie seinen Habitus kennen und bei ihrer Aufnahmeentscheidung beachten, sonst bleiben die Erwartungen auf beiden Seiten unerfüllt und Enttäuschung ist programmiert. Daraus folgt: Mitgliederauswahl ist notwendigerweise ein langer, qualitätsorientierter Prozess – und kein „Hoppla, jetzt erhöhen wir mal schnell unsere Mitgliederzahl“.

Baustelle 2: Die Loge

Die Loge ist das Zentrum der freimaurerischen Praxis. Eine in sozialer, ethisch-moralischer und ritueller Hinsicht harmonisch und kreativ wirkende Loge ist Grundvoraussetzung einer gelingenden Freimaurerei. Deshalb ist das Bemühen um eine wirksame „Logenbaukunst“ für die Loge eine conditio sine qua non. Für weitere Überlegungen dazu möchte ich fünf Formen der Logenpraxis unterscheiden, die vielfach sicherlich auch schon erfolgreich umgesetzt werden, die jedoch weiteres Nachdenken lohnen:

die soziale Praxis, die in der Pflege von Freundschaft und Geselligkeit besteht;die kulturelle Praxis, die gleichsam als Beitrag zur Säule der Schönheit auf gemeinsames ästhetisches Erleben angelegt ist;die diskursethische Praxis, die nach den Inhalten der Freimaurerei, nach Werten und Orientierungen des Freimaurers und nach den humanitären Herausforderungen der Gegenwart fragt;die karitative Praxis, die darin besteht, finanziell zu helfen, vielleicht aber auch einmal gemeinsam etwas Praktisch-Konkretes in Angriff zu nehmen;schließlich die rituelle Praxis, die darin besteht, das Ritual auf nachdrückliche Weise gemeinsam als spirituellen Erfahrungsraum zu erleben.

All diese Formen der Logenpraxis gehören zusammen, wenn das Logenleben interessant und attraktiv sein soll. Denn es gehört ja auch zur Realität der Loge, dass sie in Konkurrenz steht zu vielen anderen Formen der Unterhaltung. Vor allem aber muss die Loge eine Kultur des persönlichen Ausgleichs und der menschlichen Offenheit entwickeln. Die erforderliche Atmosphäre der Freundschaft kann leicht gestört werden, wenn Egoismus und Rechthaberei sich ausbreiten, und schnell erfolgt dann der Umschlag von „Erster“ in „Zweite“ Freimaurerei. Um diese zu verhindern, ist auch eine wirksame, auf Integration und Förderung von Freundschaft angelegte Kultur der Bürgschaftsübernahme erforderlich. Gerade bei der heutzutage dominierenden Rekrutierung neuer Mitglieder über das Internet, bedarf es verantwortungsbewusster Bürgen, die sich schon eine Zeitlang vor der Aufnahme um den Suchenden kümmern, damit die Bruderschaft der Loge – ich habe ja schon darauf hingewiesen, wie wichtig dies ist – den Habitus des Suchenden rechtzeitig gründlich kennenlernt.

Ein letzter Gesichtspunkt zur Baustelle Loge: Kommunikation zwischen Männer- und Frauenlogen. Meines Erachtens ist dafür prinzipiell ein guter Zustand erreicht: Wir erkennen uns freimaurerisch an, d. h., wir stehen als Freimaurer und Freimaurerinnen auf der gleichen initiatischen Grundlage und wir kooperieren auf vielfältige Weise miteinander. Aber es herrscht viel Ängstlichkeit im Hinblick auf die Frage, wie weit wir dabei gehen sollen. Meine Auffassung ist diese: Die Männerlogen und Frauenlogen in Deutschland wollen Männer- und Frauenlogen bleiben und keine gemischten Logen sein, und es gibt gute Gründe für diese Einstellung. Das heißt, dass die Initiationsräume, die Aufnahmen, Beförderungen und Erhebungen, nach wie vor zu trennen sind. Tempelarbeiten sonstiger Art, Festarbeiten etwa, könnten aus meiner Sicht dagegen durchaus gemeinsam durchgeführt werden, auch mit maurerischer Bekleidung. Ich weiß, dass ich mit dieser Auffassung einen Stein ins Wasser werfe und vielleicht ein Regencape benötige, um mich gegen die Spritzer der Verärgerung zu schützen, aber nur am Ufer stehen und träumen, wäre m. E. in dieser, wie in vielen anderen Fragen der deutschen Gegenwartsfreimaurerei, keine adäquate Haltung.

Baustelle 3: Das Konzept

Was ist der Inhalt der Freimaurerei? Er ist nicht einheitlich für alle Großlogen und daher stets eine Herausforderung zur Toleranz. In der Geschichte des Bundes hat es, wie wir ja schon sahen, immer zahlreiche konkurrierende Inhalte gegeben, und die Einheit des Bundes, die daneben schon immer Ideal und Ziel des Strebens gewesen ist, bestand stets mehr in der Vorstellung als in der Realität. Dies gilt ja auch für die deutsche Freimaurerei der Gegenwart, in der humanitäre und christliche Formen nebeneinander stehen und sich zusätzlich die liberal-laizistische Freimaurerei des Grand Orient de France auszubreiten versucht, was unlängst zu einer m. E. übertriebenen und überflüssigen Aufgeregtheit in der deutschen Bruderschaft geführt hat.

Jede Form von Freimaurerei ist für die Entwicklung ihres Konzepts verantwortlich.Das Konzept der humanitären Freimaurerei, mit dem ich mich stets besonders beschäftigt habe, versteht sich in der Tradition des Humanismus und der Aufklärung. In ihm sind die Logen Wertegemeinschaften und weder Glaubensgemeinschaften noch esoterische Zirkel.

Was nun deutlich gemacht werden muss, und worüber weder innerhalb der humanitären Freimaurerei noch in der sie umgebenden Gesellschaft Zweifel bestehen sollten, sind die Prinzipien, die Humanismus und Aufklärung für die Gegenwart begründen. Mir scheinen dabei die folgenden, in sieben Thesen zusammengefassten Grundsätzefür die Freimaurerei von besonderer Bedeutung:

Leben, Wohlergehen, Freiheit und Glück jedes einzelnen Menschen sind Ziel und Maßstab des individuellen wie des gesellschaftlichen Handelns.Anerkennung der Menschenwürde erfordert Toleranz, Demokratie und soziale Gerechtigkeit sowie den unbedingten Verzicht auf Rassismus und völkisches Denken;Ausrichtung von Denken und Handeln am Maßstab der Redlichkeit, Vernunft und Wahrheitssuche ist Grundelement jeder menschlichen Orientierung.Förderung der schöpferischen Kräfte des Menschen ist Grundlage dafür, dass die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit und an den vielfältigen Baustellen in der Gesellschaft vorangebracht werden kann.Friede mit der Natur und nachhaltiger Umgang mit ihren Ressourcen sind Bedingungen menschlichen Daseins in industriegesellschaftlichen Verhältnissen.Wertschätzung von Reichtum und Vielfalt der Kulturen der Welt und Orientierung an der alten freimaurerischen Hoffnung, „dass das menschliche Geschlecht eine Bruderkette werde“, sind Grundlagen einer stabilen internationalen Friedensordnung.Und schließlich: Auch heute hat das Prinzip Aufklärung zu gelten, verbunden freilich mit der Einsicht, dass nur eine reflektierte Vernunft und eine selbst-kritische Aufklärung als tragfähige Grundlagen menschlicher Lebensführung und sozialer Gestaltungsprozesse tauglich sind. Wissen und Vernunft dürfen nicht rein instrumentell zum Wirken kommen, sie sind mit Verantwortung zu verbinden.

Diese sieben Orientierungen, die mehr pragmatischen als systematischen Charakter besitzen, die den Charakter von Themen tragen für eigene diskursive Variationen, bestimmen nun freilich nur den Rahmen für freimaurerisches Denken und Handeln. Diesen Rahmen gilt es im Diskurs der Brüder zu füllen, und auch hierzu mag das von Lessing empfohlene „laut denken mit einem Freunde“ für den Maurer von heute eine vorzügliche Methode sein.

Was meine Begrifflichkeit der „Ersten“ und der „Zweiten“ Freimaurerei betrifft, so wäre es nun freilich abwegig, alle anderen Konzepte als das humanitäre als einer uneigentlichen, einer „Zweiten“ Freimaurerei zugehörig zu betrachten. Es ist aber erforderlich, das eigene Verständnis von Freimaurerei klar von anderen abzugrenzen und auf den hierzulande oft anzutreffenden „masonischen Mischmasch“ zu verzichten, der auf eine in Deutschland chronische, aber verfehlte Einheitssehnsucht zurückzuführen ist. Und es ist weiter erforderlich, damit aufzuhören, gegen die jeweils andere Form der Freimaurerei vorschnell mit dem Vorwurf der Irregularität vorzugehen. Freimaurerei lebt von der Freiheit der Gedanken. Sie braucht Spielräume für Weiterentwicklung. Gewiss benötigt Freimaurerei gleichzeitig feste Grundlagen, aber diese Grundlagen müssen von den Brüdern und Schwestern durch Diskurs und Konsens und nicht durch übergestülpte Regeln bestimmt werden. Formen der Denunziation wegen angeblicher Irregularität, auf die wir in der deutschen Gegenwartsfreimaurerei gelegentlich stoßen, auch in der Praxis der VGLvD, sind durch und durch unerfreulich und spielen sicher hinüber in bedenkliche Formen einer „Zweiten Freimaurerei“.

Baustelle 4: Das Ritual

Die Logen der Freimaurer bieten einen auf Symbole und Rituale gegründeten spiri­tuellen Wahrnehmungs-, Handlungs- und Erfahrungsraum, in dem die Ziele und Ideen des Freimaurerbundes im Bewusstsein und im Habitus der Brüder ver­ankert werden. Das Ritual ist keineswegs die ganze Freimaurerei, doch es ist das, was Freimaurerei von anderen Bünden mit humanitärer Einstellung unterscheidbar macht. Auf der Grundlage der jeweiligen Form von Freimaurerei und daher durchaus auf verschiedene Weise lehrt das Ritual durch Symbole, Metaphern und rituelle Handlungen und rundet so die soziale und diskurs-ethische Praxis der Loge durch eine die Gesamtperson des Bruders erfassende und verändernde spirituelle Dimension ab. Initiationen, performatives Sprechen und Handeln sowie mimetisches Lernen sind hierbei die wesentlichen Elemente.

Das Ritual lässt die Werte des Bundes, die wechselseitigen Beziehungen der Brüder sowie die Chancen für die eigene innere Entwicklung sinnlich und emotional erfahren.

Das Ritual öffnet das Bewusstsein des Maurers für ein Wahrnehmen bisher verborgen gebliebener Schichten der Persönlichkeit. Dadurch vermittelt es nicht nur Denkanstöße, sondern es wird auch zum Medium der Selbsterfahrung und der Selbstentwicklung.

Allerdings: Das Ritual besitzt keinen Offenbarungscharakter, es vermittelt keine Heilslehren und es hat keine magische Qualität. Zuletzt und ganz deutlich: Das Ritual begründet keine Religion und es sollte auch keine ersatzreligiösen Funktionen übernehmen. Ihr betont säkularer Charakter bedeutet vielmehr, dass sich eine humanistisch orientierte Freimaurerei sowohl gegenüber der christlich-gnostischen Tradition des Bundes als auch gegenüber hermetisch-esoterischen Mythen skeptisch verhält. Einer christlichen Freimaurerei ist die in meiner Sicht unverzichtbare Eigenschaft verloren gegangen, Brücken zwischen den Menschen unterschiedlicher Religion und Weltanschauung zu bauen, und was die Esoterik betrifft, so können freimaurerische Rituale zwar auch in der Humanistischen Freimaurerei esoterisch verstanden werden und die Freimaurerei kann Ort esoterischer Diskurse sein. Die Beschäftigung mit Esoterik als einer Denktradition und überlieferten religiösen Sichtweise bedeutet aber nicht, dass die Verheißung einer Entschlüsselung geheimer Codes und „verlorener Symbole“ im Mittelpunkt der Freimaurerei und ihrer Rituale stehen dürfte. Mit einer Freimaurerei à la Dan Brown und den damit verbundenen obskuren Bilderwelten ginge jeder Anspruch auf Ernsthaftigkeit verloren.

Wie die freimaurerische Konzeption hat auch das Ritual feste Grundlagen, die mit der Tradition der jeweiligen Großloge verbunden sind. Doch sollte auch das Ritual offen für Weiterentwicklungen sein. Dabei hätten – meiner Auffassung nach – den Logen mehr Gestaltungsspielräume zuzukommen. Die Großloge sollte endlich einen umfassenden Ritualdiskurs initiieren und sich mit Ritualkontrollen zurückhalten.

Wenn wir von „Zweiter Freimaurerei“ im Hinblick auf das Ritual sprechen wollen, so müssen wir vor allem an die Ritualpraxis denken. Denn diese entspricht nicht immer den Anforderungen der Wirksamkeit des Rituals. Das Ritual ist spiritueller Erfahrungsraum, das Ritual trennt uns von der profanen Umwelt, das Ritual ist aber auch ein Fließen, das uns trägt, und das gestört wird, wenn seine Elemente – wie Sprechen, Schweigen, Sich-Bewegen und Musik – nicht sorgfältig aufeinander abgestimmt werden.

Deshalb gilt es, das Ritual einerseits leicht zu nehmen, damit es schweben kann, es andererseits aber auch ernst zu nehmen und immer wieder einzuüben, damit die rituelle Atmosphäre mit ihrer ganzen Nachdrücklichkeit ungestört erhalten bleibt.

Baustelle 5: Organisation

Die Organisation der Loge ist wichtig und steht zu Recht ja auch im Zentrum vieler logenübergreifender Seminare. Deshalb bedarf es an dieser Stelle nicht vieler weiterer Worte. Wichtig ist nur, immer wieder einzusehen, dass Organisation nicht zum Selbstzweck werden darf. Bei der historischen Hinführung zur „Zweiten Freimaurerei“ im ersten Teil meines Beitrags konnte gezeigt werden, wie leicht sich das persönliche Interesse vor die freimaurerischen Inhalte schiebt. Persönliche Spannungen und Zerwürfnisse in der Loge werden oft nicht durch Lösung der Konflikte und Versöhnung beendet, sondern durch die Spaltung der Loge und die Gründung neuer Bauhütten. Ganz wesentlich ist deshalb, dass der Freimaurer lernt, dass es Wichtigeres gibt in der Loge als die Rolle, die er selbst darin spielt, und dass er seinen Mitbrüdern schon zugestehen muss, dass diese auch einmal einen anderen Bruder als Meister vom Stuhl für geeigneter halten als ihn selbst.

Problematisch zum Stichwort Baustelle Organisation ist nicht zuletzt die Struktur der VGLvD. Was 1958 zu ihrer Gründung geführt hat, ist immer noch ungeklärt. Vermutlich war es ein starker internationaler Druck, mehr von schwedischer als von englischer Seite, und der Ehrgeiz einiger AFuAM-Brüder, Spitzenpositionen in der neuen Ordnung einzunehmen. Jedenfalls entspricht die Struktur der VGLvD nicht den Anforderungen, die „eigentlich“ an eine Großloge zu stellen sind: Sie hat kaum Brüder als unmittelbare Mitglieder, sie verfügt über kein Ritual im eigentlichen Sinn und sie hat mit dem Konvent eine Vertretung der Bruderschaft, die über keinerlei nennenswerte Vollmachten verfügt und einen rein akklamatorischen Charakter besitzt. Die Stimmverteilung im Senat entspricht nicht den Mitgliederstärken der Großlogen und die Senatsmitglieder können sich gegenseitig blockieren. Bruder Jens Oberheide hat die VGLvD einmal als Vernunftehe gekennzeichnet. Ich würde eher von einer „Unvernunft-Ehe“ sprechen, die nicht erforderlich ist, um das zu erreichen, was gewiss wünschenswert ist: das Zusammenwirken der deutschen Freimaurer an der Logenbasis der Freimaurerei, denn das können die Logen ganz gut selbst. Da die VGLvD aber kaum aufzulösen ist, muss alles getan werden, um ihr Wirken so bescheiden und vernünftig wie möglich zu gestalten. Und hierzu brauchten wir wirklich einmal einen klärenden, bruderschaftsweiten Diskurs. Bei diesem Diskurs sollte auch erörtert werden, warum die Zusammenarbeit der Großlogen stets vorwiegend repräsentativ und oft feierlich hohl ist und in keiner Weise konzeptionell weiterhilft. Ich habe es beispielsweise als recht peinlich empfunden, dass die weitaus beste Ansprache beim Jubiläumstreffen der deutschen Freimaurer 2017 im Sprengelmuseum in Hannover von einem profanen Politiker, Prof. Rolf Wernstedt, ehemaliger niedersächsischer Kultusminister und Präsident des Niedersächsischen Landtages gehalten wurde, während die Beiträge der freimaurerischen Würdenträger arg enttäuschten.

Baustelle 6: Die Außendarstellung

Die Darstellung der Freimaurerei in der Öffentlichkeit ist gerade in und nach der Corona-Krise von großer Bedeutung für unseren Bund. Die Probleme der Zeit erfordern eine „neue Ernsthaftigkeit“, die wir im Inneren entwickeln und in der Gesellschaft verdeutlichen müssen. Dabei haben wir von den Freimaurer-Images oder Außenbewertungen der Freimaurerei auszugehen, mit denen wir es heutzutage zu tun haben, um uns dann zu fragen, auf welche Weise die Freimaurer darauf reagieren sollten.

Vielleicht lassen sich für diese Images acht wichtige Vertreter-Gruppen unterscheiden:

Da sind erstens die Anhänger alter und neuer Verschwörungsmythen, die das „Objekt ihrer Begierde“ – die bösen Freimaurer und ihre Bundesgenossen – keinesfalls verlieren wollen, mit denen man kaum diskutieren kann, um die herum jedoch Aufklärung seitens der Freimaurerei erforderlich ist.Da sind zweitens die nicht wenigen Menschen, die auf irgendeine Weise immer noch Denkvorstellungen und Befürchtungen des Volksaberglaubens anhängen, woraus dann eine diffuse Abwehrhaltung und Berührungsangst gegenüber der Freimaurerei resultiert. Ich erzähle dazu gern eine selbsterfundene Anekdote: Ein Wohltätigkeitsbuffet des Rotary-Clubs? „Prächtig, da gehen wir hin.“ Eine ebenso wohltätige Reibekuchenbude der Freimaurer? „Nein danke, lieber nicht, man kann schließlich nicht wissen, was die da alles hineinbacken.“ Da gilt es für die Freimaurer nur, mit schlichter bürgerlicher Normalität zu überzeugen.Da sind drittens die Kirchen, die – wie die katholische – entweder wissen, aber nicht mögen, wie die Freimaurerei es mit der Religion hält, oder die es – wie die evangelische – bei allem Wohlwollen doch noch etwas genauer wissen will: Hier sollte die Freimaurerei auf redlich-seriöse Weise gesprächsbereit sein, zuvor allerdings das Verhältnis zwischen Freimaurerei und Religion in ihren eigenen Kolonnen sorgfältig klären.Da ist viertens die Wissenschaft, die sich mehr und mehr mit der Freimaurerei beschäftigt und die Unterstützung verdient, wie und wo immer Freimaurer dazu in der Lage sind. Die externe Freimaurerforschung ist das Gewissen der Freimaurerei, weil sie hilft, Eigenverdunkelungen zu überwinden und sich selbst besser zu erkennen.Da sind fünftens die Vertreter der Politik, des Staates und der Kommunen, die der Freimaurerei meist wohlgesinnt sind und deren redliche und offene Gesprächspartner Großlogen und Logen zu sein haben.Da sind sechstens die Medien, in denen angemessen vertreten zu sein, Freimaurer sich auf seriöse Weise bemühen sollten, wobei im Hinblick auf die Welt der bunten und bewegten Bilder Zurückhaltung am Platze ist. Arkandisziplin heute sollte nicht zuletzt bedeuten, sich in der Öffentlichkeit nicht lächerlich zu machen.Da ist siebtens die intellektuelle, die kulturelle Öffentlichkeit, die Öffentlichkeit gesellschaftlich relevanter Diskurse. Hier sollten sich die Freimaurer um gehaltvolle Präsenz bemühen. Wenn sie etwas zu sagen haben, dann sollten sie es auch sagen, denn besser, als die Stimmen anderer zu prämieren, wäre es, mit eigener Stimme im gesellschaftlichen Diskurs vernehmbar zu sein.Schließlich und achtens ist da so etwas wie die Gesellschaft im Allgemeinen, die u. a. aus den Menschen zusammengesetzt ist, die in die Logen kommen und fragen, wer die Freimaurer sind und was sie zu sagen haben, und die vielleicht in den Logen als zukünftige Brüder mittun wollen.

Nicht zuletzt in der Kommunikation mit diesen Menschen käme es darauf an, sich der eigenen maurerischen Identitäten klarer bewusst zu werden und ein deutliches Bild davon zu vermitteln, was Freimaurerei ist und was sie nicht ist. Gerade die „Suchenden“ müssen rechtzeitig erkennen können, dass es unterschiedliche Formen und Verständnisse von Freimaurerei gibt, die der Redlichkeit halber nicht verwischt werden und nicht erst nach der Aufnahme sichtbar werden dürfen.

Letztlich noch etwas, was für mich von besonderer Wichtigkeit ist: Jede Definition und jede öffentliche Darstellung der Freimaurerei, die vom Ritual ausgeht, muss in die Irre führen. Ritualpräsentationen in der Öffentlichkeit, die freimaurerische Bilderwelten zur Schau stellen ohne den Kontext von Freundschaft und Geselligkeit, von Ethik und Moral in den Vordergrund zu stellen, verfälschen den Charakter des Freimaurerbundes – jedenfalls aus der Sicht eines Freimaurers, der sich in der Tradition von Humanismus und Aufklärung versteht. Das freimaurerische Ritual ist Bestandteil eines Gesamtsystems, das es in sich aufgenommen hat, um Freundschaft und Moral im Menschen habituell zu verankern. Es ist Menschenwerk, es ist nicht mit göttlicher Offenbarungskraft ausgestattet, es ist nicht Element einer Ersatzreligion, trage sie christlichen, trage sie esoterischen Charakter. Aus einem solchen Verständnis ergibt sich: Erst eine klare und vernünftige Gesamtdarstellung der Freimaurerei erlaubt es, sinnvoll über das Ritual in der Öffentlichkeit zu sprechen, wobei auf die Präsentation missverständlicher Bilderwelten und – was die Brüder Freimaurer betrifft – auf schurzbekleidete Auftritte in der Öffentlichkeit – soweit es immer geht – verzichtet werden sollte. Der Freimaurer muss einsehen, dass zwischen öffentlicher Präsenz und Enthüllungssucht ebenso Grenzen vorhanden sind wie zwischen Selbstrespekt und Narzissmus. Diese Grenzen dürfen im Interesse einer gedeihlichen Entwicklung unseres Bundes nicht überschritten werden.

Baustelle 7: Das Wirken in der Gesellschaft

Beim Wirken in der Gesellschaft, das in und nach der Corona-Krise an Bedeutung gewonnen hat, gibt es eine doppelte Verantwortung: die des einzelnen Freimaurers und die der Freimaurerei als Gruppe.

Einfach im Prinzip, wenn auch mühsam in der Durchführung, ist die Sache für die einzelnen Mitglieder des Bundes. Der einzelne Freimaurer kann und soll sich engagieren, wo und wie es seiner an frei­maurerischen Wertvorstellungen orientierten konkreten sozialen und politischen Philosophie entspricht. Denn wie immer wir uns dem Sittengesetz, dem Leben, dem Frieden, der Gerechtigkeit und der Toleranz verpflichtet fühlen, wir unterscheiden uns in der konkreten Festlegung. Sich festlegen, parteiisch sein, kann folglich in vielen politischen Bereichen immer nur der einzelne Freimaurer. Das Freimaurerische dabei ist dann das Ethos, das er mitbringt, die Fähigkeit zum Dialog, das Wissen um die Perspektivität der individuellen Überzeugung, die Pflicht zu wohlgemessenem, wohlproportio­niertem Denken und Handeln, die Bereitschaft, sich immer wieder aus eigenen Vorurteilen herauszudenken.

Was bleibt der Freimaurerei als Gruppe, was bleibt etwa einer Loge oder der Großloge?

Es bleibt zunächst die gemeinsame Aktion da, wo alle Brüder übereinstimmen, weil die Werte unseres Bundes so gründlich in Frage gestellt werden, dass es keinen „Bund der Ungleichgesinnten“ mehr geben darf, was vor allem für den Einsatz für Demokratie, „Offene Gesellschaft“ und umfassende Toleranz gilt. Es bleibt die Loge als Forum für das Gespräch der Brüder über Probleme der Gesellschaft, über ethische und soziale Fragen. Es bleibt das Gespräch mit der Öffentlichkeit. Insbesondere kann und soll sich die lebendige Loge einbringen in das Leben ihrer Stadt. Sie kann zum Forum toleranter Auseinandersetzung um die Lösung örtlicher Probleme werden. Sie kann Plattform sein für das Benennen menschlicher Missstände und für die Suche nach konstruktiven Ansätzen, diese Missstände zu überwinden.

Logen können sich als Gruppen engagierter Bürger, aber auch selbst manch brennender sozialer Probleme annehmen. Die Zahl der Aufgaben ist Legion. Eine neue und akute ist die Eingliederung der zu uns kommenden und bei uns bleibenden Migranten aus anderen Ländern. Hier zu helfen, hier Toleranz einzufordern, wäre eine Aufgabe, die den Brü­dern das Gefühl gemeinsamer Verantwortung vermittelt und zudem der Öffentlichkeit zeigt, dass Freimaurer nicht nur schöne Lieder und Reden, nicht nur gehaltvolle Diskurse, sondern auch praktische Hilfe anzubieten haben. Ehrenamtliches Engagement in der Gesellschaft ist nicht nur vonnöten, sondern auch möglich.

Zum Schluss: Freimaurerei kann vieles sein und ist auch in der Geschichte des Bundes vieles gewesen. Freimaurer können sich allein für Geselligkeit und Brauchtumspflege, für Königliche Kunst als Spiel entscheiden – dann allerdings dürfen sie nicht gleichzeitig mit klingendem Spiel unter den Bannern von Toleranz, Humanität und Brüderlichkeit paradieren.

Freimaurer können den Sinn ihres Bundes vorrangig in der Welt des Rituellen suchen und durch die Hierarchie der Grade klettern – dann allerdings hätten sie sich davor zu hüten, dem Typus der esoterischen Sekte allzu nahe zu kommen.

Es steht den Freimaurern auch offen, den oft zu weiten Mantel ihrer ethischen Ansprüche zu verkleinern – dann freilich droht biedermännische Bedeutungslosigkeit.

Freimaurer können sich aber auch darum bemühen, durch mehr konzeptionelles Profil und eine überzeugende Praxis in diesen weiten Mantel selbstgesetzter Ansprüche hineinzuwachsen.

Auf alle Fälle müssen Freimaurer redlich sein und sagen, was sie sind und was sie wollen. Und sie müssen ihre Baustellen erkennen und an die Arbeit gehen. Dabei gilt es auch, Impulse und Kritik von außen aufzunehmen und für eine dynamische Weiterentwicklung des Freimaurerbundes zu nutzen. Die Freimaurerei braucht intellektuelle Auseinandersetzung wie die Luft zum Atmen. Gern wird in den Logen gesagt, Tradition hieße nicht, Asche zu bewahren, sondern Feuer weiterzugeben. Feuer aber entsteht durch Reibung, und Reibung entsteht an den Schnittstellen, an denen die inneren Entwicklungen der Freimaurerei auf die Herausforderungen durch die Gesellschaft stoßen.

Auf der Suche nach einer „humanistischen“ Freimaurerei für die Gegenwart – Funktionale und inhaltliche Aspekte einer „Philosophie“ der Freimaurerei

Vortrag, gehalten auf der 43. Arbeitstagung der Freimaurerischen Forschungsgesellschaft„Quatuor Coronati“, Frankfurt am Main, 9. März 2013

Die „fordernde Leere“ der Freimaurerei

Am Beginn der Philosophie – so heißt es – steht das Staunen, und mit einem Staunen beginnt auch das Nachdenken über die Freimaurerei. Denn nicht nur für ihre Umwelt in Kirche, Kultur und Gesellschaft, sondern auch für die eigenen Jünger stellte die Freimaurerei von Anfang an ein Geheimnis dar, das es zu entschlüsseln galt. Wo kam sie her? Was war ihre Aufgabe? Wel­che war ihre richtige Form? Welchen Inhalt sollten ihre Rituale haben? Aus sich selbst heraus konnte die Freimaurerei diese Fragen nicht beantworten, war sie doch von Anfang an inhaltlich und formal weitgehend unbestimmt und befand sie sich doch seit Beginn in einem raschen Prozess der Differenzierung. Gewiss: Der Bund wies und weist durch seine Geschichte hindurch eine Reihe von zentralen Merkmalen auf, die ihn als Freimaurerei konstituieren und von anderen Assoziationen unter­scheidbar machen.1

Zu diesen Merkmalen freimaurerischer Grundstruktur gehören insbesondere

die abgeschlossene, durch verschwiegene Rituale geschützte, in der Regel männerbündi­sche Gruppe;derinitiatische Charakter des Bundes mit der Praxis der von Gradstufe zu Gradstufe füh­renden Übergangsriten;die Bausymboliksowie ein Kanon von Werten, der um unterschiedliche, teils hermetisch-esoterische, teils christlich-gnostische, teils aufklärerisch-humanistische Begrifflichkeiten wie Er­kenntnis, Gottesfürchtigkeit, Menschenliebe, Brüderlichkeit, Vernunft und Toleranz kreist, auf „Einübung“ dieser Werte im verschwiegenen Milieu der Loge setzt und die Logengruppe hierdurch als positive innere Gegenwelt zu den verschiedenen „profa­nen“ äußeren Welten konstituiert und abgrenzt.

Was aber die Herkunftder Freimaurerei, die Ausgestaltung der Rituale, die organisatori­schen Strukturen des Bundes, seine Gradhierarchien sowie seine konkreten Aufgaben und Zwecke betraf, so