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Dieser Band enthält folgende Romane: Michael allein auf der Welt Die richtige Frau für Papa Jenny und der neue Vater „Wo bekommt man einen Zauberstab? Das möchte ich auch lernen!“ Die Stimme von Jenny Hillersen klang wehmütig. Das zwölfjährige Mädchen hockte, wie schon oft vorher, auf dem kleinen Hocker am Schmökertisch in der Buchhandlung von Björn König, dem sympathischen Mittdreißiger. Der erfolgreiche Buchhändler hatte eine Vorliebe für Kinder, die hier nach Herzenslust in den Büchern lesen durften – und ganz besonders hatte er Jenny ins Herz geschlossen. Das Mädchen las für sein Leben gern, und sie verstand es auch, die Figuren aus den Büchern in ihren Erzählungen lebendig werden zu lassen. Björn machte das Spaß, denn er war der Meinung, dass Bücher die besten Freunde sein konnten. Aus diesem Grunde hatte er in seinem Geschäft überhaupt diese Leseecke eingerichtet, jeder hatte so die Möglichkeit, sich Bücher, die er vielleicht kaufen wollte, erst einmal näher anzusehen. „In den Zauberkästen, die man im Spielwarengeschäft...“ „Ach nee, Herr König, so was meine ich doch nicht“, unterbrach ihn das Mädchen empört. „Ich rede doch nicht von so einem Kinderkram. Das ist doch kein Zaubern. Und außerdem sind das alles nur Tricks, die schummeln doch. Ich will so einen richtigen Zauberstab, mit dem man was tun kann, was...“ Sie brach ab, stocke und drehte dann den Kopf weg. Die braunen warmen Augen des Mannes richteten sich fragend, aber auch verständnisvoll auf die Kleine. Schon längst hatte er bemerkt, dass Jenny offensichtlich daheim Probleme hatte, sie wirkte oft bedrückt und unglücklich. Und das waren dann die Zeiten, in denen sie hier noch länger saß als sonst und die Bücher fast in Rekordzeit verschlang. Doch im Grunde ging ihn das nichts an, er bedauerte nur, dass ein so aufgewecktes und meist auch fröhliches Mädchen wie Jenny darunter leiden mussten, dass ihre Eltern Streit hatten miteinander. „Weißt du“, versuchte Björn sie jetzt zu trösten. „Manchmal hilft es schon, wenn man sich ganz stark etwas wünscht. Dann geht das auch ohne Zauberstab in Erfüllung.“
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Seitenzahl: 327
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Niemand bleibt allein auf der Welt: Liebe & Schicksal Großband 3 Romane 7/2022
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Michael allein auf der Welt
Die richtige Frau für Papa
Jenny und der neue Vater
Dieser Band enthält folgende Romane:
Michael allein auf der Welt
Die richtige Frau für Papa
Jenny und der neue Vater
„Wo bekommt man einen Zauberstab? Das möchte ich auch lernen!“ Die Stimme von Jenny Hillersen klang wehmütig. Das zwölfjährige Mädchen hockte, wie schon oft vorher, auf dem kleinen Hocker am Schmökertisch in der Buchhandlung von Björn König, dem sympathischen Mittdreißiger. Der erfolgreiche Buchhändler hatte eine Vorliebe für Kinder, die hier nach Herzenslust in den Büchern lesen durften – und ganz besonders hatte er Jenny ins Herz geschlossen. Das Mädchen las für sein Leben gern, und sie verstand es auch, die Figuren aus den Büchern in ihren Erzählungen lebendig werden zu lassen.
Björn machte das Spaß, denn er war der Meinung, dass Bücher die besten Freunde sein konnten. Aus diesem Grunde hatte er in seinem Geschäft überhaupt diese Leseecke eingerichtet, jeder hatte so die Möglichkeit, sich Bücher, die er vielleicht kaufen wollte, erst einmal näher anzusehen.
„In den Zauberkästen, die man im Spielwarengeschäft...“
„Ach nee, Herr König, so was meine ich doch nicht“, unterbrach ihn das Mädchen empört. „Ich rede doch nicht von so einem Kinderkram. Das ist doch kein Zaubern. Und außerdem sind das alles nur Tricks, die schummeln doch. Ich will so einen richtigen Zauberstab, mit dem man was tun kann, was...“ Sie brach ab, stocke und drehte dann den Kopf weg.
Die braunen warmen Augen des Mannes richteten sich fragend, aber auch verständnisvoll auf die Kleine. Schon längst hatte er bemerkt, dass Jenny offensichtlich daheim Probleme hatte, sie wirkte oft bedrückt und unglücklich. Und das waren dann die Zeiten, in denen sie hier noch länger saß als sonst und die Bücher fast in Rekordzeit verschlang.
Doch im Grunde ging ihn das nichts an, er bedauerte nur, dass ein so aufgewecktes und meist auch fröhliches Mädchen wie Jenny darunter leiden mussten, dass ihre Eltern Streit hatten miteinander.
„Weißt du“, versuchte Björn sie jetzt zu trösten. „Manchmal hilft es schon, wenn man sich ganz stark etwas wünscht. Dann geht das auch ohne Zauberstab in Erfüllung.“
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Der Umfang dieses E-Book entspricht 90 Taschenbuchseiten.
Die Eltern des zwölfjährigen Michael sind seit einiger Zeit geschieden, worüber dieser gar nicht glücklich ist. Also beschließt er, eine E-Mail an Gott zu schicken, die aber zufällig bei dem Architekten Alexander Gottlieb landet, der Michael und seine Mutter Anita spontan in den Zoo einlädt. Anfangs verstehen sich auch alle sehr gut und Anita und Alexander kommen sich näher. Dann jedoch funkt Anitas eifersüchtiger Ex-Mann Karsten dazwischen und entführt schließlich sogar Michael.
„ Lieber Gott, du weißt, dass ich meistens ganz lieb bin. Na ja, vielleicht nicht immer. Bei Frau Kersting in der Schule habe ich mich aber entschuldigt für die Maus in der Schublade. Und die zweimal Schwänzen hat Mama auch gemerkt, und meine Strafe habe ich bekommen. Ich hoffe doch sehr, dass das jetzt nicht mehr zählt. Weil ich nämlich eine große Bitte an dich habe. Mach doch bitte, dass Mama und Papa sich wieder verstehen, und dass wir wieder eine Familie sind. Weißt du, es ist nicht einfach, denn in der Schule werde ich geärgert, weil Papa weggegangen ist, obwohl der Vater von Andreas auch weggegangen ist. Aber Andreas ist stärker als ich und haut jeden, das kann ich doch nicht. Aber die Eltern von Britta trennen sich auch, und Britta heult dauernd deswegen. Sie ist ein Mädchen, die darf das. Aber ein Junge wie ich heult doch nicht, und schließlich werde ich ja auch jetzt zwölf. Also bitte, lieber Gott, mach ganz einfach, dass Mama und Papa beim nächsten Treffen sich wieder liebhaben, dann sind wir bald wieder eine Familie. Ich habe doch bald Geburtstag, und das ist der einzige Wunsch, den ich habe. Na ja, fast der einzige. Aber für das neue Computerspiel sorgt ja auch Mama. Hoffe ich. Und ich verspreche auch, ich werde immer ganz, ganz lieb sein. Ich will es versuchen, aber vielleicht mache ich ja doch noch was falsch. Aber ich will mich bemühen, großes Ehrenwort. Dein Michael.“
Es machte dem Jungen sichtlich einige Mühe, die passenden Buchstaben auf der Tastatur zu finden, denn er war nicht daran gewöhnt, Texte auf dem Computer zu schreiben, und einige Rechtschreibfehler hatten sich auch eingeschlichen. Trotzdem betrachtete das Kind stolz sein Werk.
Michael Steingruber saß am Computer seiner Mutter und hatte das E-Mail-Programm aufgerufen, wie er es seine Mutter schon oft hatte tun sehen. Eigentlich durfte er das Programm nicht benutzen, Anita hatte ihm das strengstens verboten. Und das, obwohl Michael durchaus mit einigen Programmen besser umgehen konnte als sie selbst. Aber Internetprogramme waren nichts für Kinder, hatte Anita befunden, und ein Verbot ausgesprochen. Doch jetzt fühlte der Junge sich so unglücklich und verzweifelt, dass er sich über die Gebote seiner Mutter hinwegsetzte und diesen Brief an den lieben Gott geschrieben hatte. Das schien ihm einfach der letzte und einzige zu sein, der noch helfen konnte.
Anita und Karsten Steingruber hatten sich vor einiger Zeit getrennt, und mittlerweile waren sie geschieden, was auch schon fast ein Jahr her war. Vorangegangen waren endlose Streitereien und ein erbitterter Kampf um das Sorge- und Besuchsrecht für Michael. Böse Worte waren gefallen, Hass war auf beiden Seiten geschürt worden, und Michael, der gar nicht verstehen konnte, warum seine Eltern sich plötzlich unversöhnlich bekämpften, stand mittendrin. Von ihm wurde unversehens eine Entscheidung verlangt, wem in Zukunft seine Liebe gehören sollte. Natürlich war das zu viel gewesen für den Jungen. Dazu kamen die Hänseleien in der Schule und Michaels eindeutige Unterlegenheit gegenüber anderen Scheidungswaisen. Er war klein, zierlich und regelrecht schmächtig zu nennen, für sein Alter eindeutig körperlich unterentwickelt, auch wenn die geistigen Gaben stärker ausgeprägt waren. Immerhin war er Klassenprimus.
Aber jetzt hatte der Junge nur noch diesen Ausweg gesehen. Zwar wusste er nicht so recht, ob er überhaupt an Gott glauben sollte, weil der es doch zugelassen hatte, dass Mama und Papa sich trennten. Aber sein Religionslehrer, Herr Kohlhans, hatte fest behauptet, dass es ihn gäbe, und dass es in seiner Macht läge zu helfen, wo kein Ausweg mehr war.
Nun gut. Michael überlegte kurz, wie er die E-Mail adressieren sollte und entschied sich dann ganz einfach für: [email protected]. Das würde ganz bestimmt ankommen.
Der Junge löschte noch den Eintrag in der Liste, damit seine Mutter nicht bemerkte, dass er ihr Verbot übertreten hatte, und rief dann eines der Spiele auf.
So saß er dann ein wenig gelangweilt, wie es schien, vor dem Spiel, als seine Mutter hereinkam und ihren Sohn zum Essen rief.
Alexander Gottlieb brütete über einigen Entwürfen für einen etwas schwierigen Kunden. Der achtunddreißigjährige Mann war Architekt, ein guter und vielgefragter Architekt, der eine Menge Aufträge und nur wenig Freizeit hatte. Vieles bei seiner Arbeit ließ sich mittlerweile einfach per Computer vereinfachen und unterstützen, und Alexander war froh über diese Erleichterungen. Jetzt kam er allerdings bei einer Sache nicht weiter und beschloss, erst einmal seine E-Mails abzurufen. Vielleicht würde ihm beim Lesen seiner elektronischen Post ein rettender Einfall kommen.
Das meiste von dem, was er gleich darauf auf dem Bildschirm sah, war aber noch mehr Arbeit, einiges war Werbung, und dann war da noch ein privater Brief. Merkwürdig, der war ja gar nicht für ihn. Sicher ein Fehler im Verteiler, oder doch nicht?
Voller Erstaunen las der Mann den Brief, den der kleine Michael geschrieben hatte, und war gerührt. Das war das Leben, das es außerhalb seiner Arbeit gab, die ihn mittlerweile doch fast auffraß. Und durch einen unglaublichen Zufall war dieses anrührende Schreiben an seine Adresse gelangt, statt als unzustellbar an den Absender zurückzugehen.
Spontan beschloss Alexander, dem Kind zu antworten. Er war zwar nicht der liebe Gott, aber er besaß ein Herz, auch wenn er bisher einfach noch nicht die Zeit gehabt hatte, es an eine Frau zu verschenken.
Alexander Gottlieb sah ausgesprochen gut aus. Dichtes braunes Haar kräuselte sich auf seinem Kopf, wurde an den Schläfen bereits etwas grau, und umrahmte ein männlich markantes Gesicht, in dem leuchtend blaue Augen dem Betrachter sofort auffielen. Seine Stimme klang weich und samtig, konnte aber von unbeugsamer Härte werden, wenn er etwas unbedingt durchsetzen wollte. Seine Kleidung war im allgemeinen leger, doch zu bestimmten Anlässen trug der Mann Anzüge und Hemden, die ihn zu einem männlichen Mannequin hätten machen können, wenn er denn Wert darauf gelegt hätte. Aber das waren Äußerlichkeiten, deren er sich bei Bedarf bediente. Sie hatten für ihn nicht viel Wert. Aber es gab Kunden, denen man damit imponieren konnte.
Alexander war der Schwarm aller seiner Mitarbeiterinnen, aber noch nie war er mit einer ausgegangen oder hatte gesteigertes Interesse, das über die Arbeit hinausging, gezeigt. Ihm wäre nicht einmal in den Sinn gekommen, dass seine Kolleginnen und Mitarbeiterinnen sich für ihn interessieren könnten. Für ihn gab es einfach nur die Arbeit. Und die machte er eindeutig besser als andere, und alles andere interessierte ihn nicht.
Bis zu diesem Zeitpunkt, da er den Brief von Michael las. Seit langem hatte ihn nichts mehr so angesprochen wie diese Worte, die das Kind aus vollem Herzen und tiefster Verzweiflung geschrieben hatte.
Es kam selten vor, aber Alexander suchte bei der Antwort plötzlich nach Worten. Doch dann beschloss er, ebenfalls aus dem Gefühl heraus zu schreiben, und er lud den Jungen und seine Mutter ein, mit ihm einen Besuch im Zoo zu machen. Er wusste zwar nicht, ob Michael sich überhaupt in der gleichen Stadt befand wie er, denn das ging ja aus der E-Mail nicht hervor, aber auch dafür würde sich bestimmt eine Lösung finden lassen.
Er hätte sein Tun nicht erklären können, wenn ihn jemand gefragt hätte, aber er war sicher, dass er genau das tun musste, was er gerade tat.
„Was ist das denn hier?“, fragte Anita Steingruber erstaunt, als sie ihre Post aus dem Computer sah. Sie war, wie die meisten Benutzer, an unnütze Werbung gewöhnt. Aber dieser Brief schien etwas Persönliches zu sein.
„ Lieber Michael, ich bin leider nicht der liebe Gott, trotzdem ist dein Brief bei mir angekommen. Es tut mir wirklich leid, dass ich so fast gar nichts für dich tun kann. Aber vielleicht kann ich dir einen kleinen Trost anbieten. Ich lebe und arbeite in Mainz, und da wäre es mir eine Freude, wenn du und deine Mutter mich besuchen könntet. Wir könnten zum Beispiel in den Frankfurter Zoo fahren. Das ist sicher nicht das, was du dir gewünscht hattest, aber leider kann ich nicht mehr tun. Mein Name ist Alexander Gottlieb, ich bin Architekt, und wenn es dir Spaß macht, können wir uns auch einige der Hochhäuser ansehen, die ich gebaut habe. Doch die Entscheidung darüber wird sicher bei deiner Mutter liegen. Aber dein Brief hat mir so gefallen, dass ich dich wirklich gerne kennenlernen und einladen möchte.“
Anita las diese Zeilen mit mehr als nur etwas Erstaunen. Da hatte doch Michael, dieser Schlingel, wirklich das E-Mail-Programm benutzt, obwohl es ihm streng verboten war.
Anita suchte die Kopie des Briefes, aber der Junge war schlau genug gewesen, diese zu löschen.
Erst jetzt sah die junge Frau, dass noch ein Anhang von diesem fremden Mann an dem Brief war.
„ Liebe Unbekannte, ich nehme an, Ihr Sohn hat Sie nicht darüber informiert, dass er einen anrührenden Brief an den lieben Gott geschrieben hat. Machen Sie ihm bitte keine Vorwürfe, er ist ein Kind, und wie mir scheint, sehr unglücklich. Es ist sicher schwer, wenn Eltern sich trennen, und dieser Brief von Michael hat mich so angesprochen, dass ich ihm antworten musste. Ich hoffe, Sie empfinden meine Einladung als nicht zu dreist. Aber ich möchte dem Jungen einfach eine Freude machen, und Ihnen vielleicht auch. Es wäre schön, wenn Sie sich entschließen könnten, mir zu antworten und die Einladung anzunehmen. Sollten Sie nicht in der Nähe von Mainz wohnen, wird sich bestimmt auch dafür eine Lösung finden lassen. Nehmen Sie bitte meine Einladung als das, was sie ist, eine Freundlichkeit für Ihr Kind und Sie. Ich will mich nicht aufdrängen, aber ich möchte gerne Ihren Sohn und natürlich auch Sie kennenlernen. Ihr sehr ergebener Alexander Gottlieb.“
Im ersten Moment war Anita einfach nur verblüfft. War das jetzt ein schlechter Scherz? Nein, danach klangen die Worte eigentlich nicht. Es klang ehrlich und bewegt und ganz einfach nett.
Na, da hatte Michael ja was Schönes angerichtet. Aber Anita konnte ihrem Sohn einfach nicht böse sein. Es war so schwer für ein Kind mit dieser ganzen Situation fertig zu werden. Und es mochte eine verrückte Idee gewesen sein an den lieben Gott zu schreiben, aber es zeigte auf jeden Fall, dass der Junge Einfälle hatte – und sehr verzweifelt war.
Bevor sie an den Fremden schrieb, wollte sie jetzt erst einmal mit Michael sprechen.
Sie ging hinüber in das Zimmer des Jungen, wo er über seinen Hausaufgaben brütete.
„Mama, das kann man nicht lernen“, beklagte er sich und deutete auf seine Rechenaufgaben. Anita lächelte. Michael war ein guter Schüler, aber Rechnen lag ihm einfach nicht, obwohl er mühelos am Computer arbeitete. Irgendwie schienen das doch zwei getrennte Welten zu sein. Vielleicht aber lag es auch daran, dass er die Zusammenhänge noch nicht verstand. Es wäre bestimmt gut gewesen, hätte das Kind einen Vater gehabt, der ihm geduldig alles drei- oder viermal erklärte. Aber so musste Anita das tun, obwohl sie in ihrem Beruf als Journalistin selbst stark eingespannt war. Aber der Job bot die Möglichkeit sich intensiv um den Jungen zu kümmern, weil sie viel daheim arbeiten konnte.
Und doch hatte Anita das Gefühl, dass Michael manchmal zu kurz kam. Jetzt legte sie ihrem Sohn die Hand auf den Kopf.
„Hatte ich dir nicht verboten E-Mails zu verschicken, junger Mann?“, fragte sie sanft.
Sofort verspürte sie die Verlegenheit und das Schuldbewusstsein des Kindes.
Doch dann fuhr er auf. „Hat Gott etwa geantwortet?“, fragte er ungläubig.
Anita musste lachen. „Nein, nicht Gott, mein Schatz. Ein wildfremder Mann, Alexander Gottlieb heißt er. Die Mail ist wohl falsch gelaufen und bei ihm angekommen. Er war aber ganz gerührt von deinem Brief und lädt uns beide ein in den Zoo.“
„Ja – aber wieso denn ein fremder Mann?“, fragte Michael verwirrt. „Ich habe doch nicht an diesen Alexander Gottlob geschrieben“, beschwerte er sich.
„Gottlieb“, korrigierte Anita sanft. „Es war wohl ein Zufall, dass dein Brief bei ihm landete. Und er schreibt sehr nett zurück. Aber richtig war das nicht, was du getan hast. Das weißt du, nicht wahr?“ Anita schaute ihren Sohn gespielt streng an, und der senkte schuldbewusst den Kopf.
„Ich wollte doch nur ...“, begann er sich zu verteidigen, aber seine Mutter unterbrach ihn. „Ist schon gut, ich schimpfe ja nicht länger. Aber versprich mir, dass du das nicht wieder tust. Wenn du solche tollen Einfälle hast, sprich bitte erst mit mir darüber, in Ordnung?“
Michael nickte, er war froh, so glimpflich davongekommen zu sein.
„Und jetzt sollten wir uns überlegen, ob wir diesem Mann antworten“, fuhr Anita fort. „Er hat sehr freundlich geschrieben und verdient eigentlich eine ebenso freundliche Antwort. Und stell dir vor, er wohnt ebenfalls in Mainz. Ist das nicht ein Zufall?“
„Und er lädt uns ein? Einfach so?“, forschte Michael noch einmal.
Seine Mutter nickte. „Ja, das ist schon merkwürdig. Aber vielleicht hat der liebe Gott ihn einfach vorgeschickt. Dein Brief muss ja sehr interessant gewesen sein.“
Michael wollte von diesem verfänglichen Thema gerne ablenken.
„Dann sollten wir ganz einfach seine Einladung annehmen“, schlug er praktisch vor.
Karsten Steingruber, der Exehemann von Anita war unglücklich. Nach dem Scheitern seiner Ehe mit Anita hatte er um das Sorgerecht für den Jungen gekämpft, aber verloren. Anita hatte nachweisen können, dass er während der Ehe mehrere Verhältnisse gehabt hatte, während seine Eifersucht seine Frau und den Jungen immer weiter einengte. Das war schließlich so weit gegangen, dass er über jede Minute des Tages Rechenschaft verlangte. Doch Anita wollte sich schließlich nicht länger einengen lassen und hatte ihren Mann vor die Wahl gestellt, entweder zur Vernunft zu kommen oder sich scheiden zu lassen.
Es war zu erbitterten Auseinandersetzungen gekommen, aber selbst jetzt noch, rund ein Jahr nach der Scheidung, verfolgte Karsten das Tun seiner Exfrau und spionierte ihr nach, wovon sie bis jetzt aber nichts wusste.
Und dabei hatte er doch eigentlich eine andere Frau gefunden, die ihn zu lieben schien und mit seinen Eigenarten recht gut zurechtkam. War sie denn für ihn nicht mehr als ein Verhältnis, das er nur bei Bedarf nutzte? Miriam Wolters war eine kluge und hübsche Frau, die ihn wirklich bedingungslos liebte, was er bis jetzt noch nicht gemerkt zu haben schien.
Auch an diesem Tag machte sie Karsten keine Vorwürfe, als sie merkte, dass er wieder nicht zu seiner Arbeit ging, sondern seiner Frau auflauern wollte.
„Kannst du sie nicht endlich in Ruhe lassen?“, fragte sie sanft. „Karsten, es ist doch schon so lange her. Liebst du sie denn immer noch?“
Er schaute sie erstaunt an. „Es ist mein Sohn, um den es hier geht. Aber das verstehst du nicht.“
Miriam schmerzten diese Worte. Sie verstand sehr wohl, wie sie glaubte. Und längst hatte sie beschlossen, dass sie Karsten ein Kind schenken wollte. Vielleicht würde ihn das von seinen verrückten Gedanken abbringen. Nur hatte es bisher noch nicht geklappt, dass sie schwanger wurde. Aber so schnell würde sie nicht aufgeben.
So konnte die Frau den Mann auch jetzt nicht halten. Sie schaute ihm nur traurig hinterher.
Michael war ganz zappelig vor Spannung, als er mit seiner Mutter vor dem Eingang zum Zoo stand, wo sie beide auf Alexander warteten. Anita und er hatten Zeit und Ort ausgemacht. Und Gottlieb hatte zusätzlich geschrieben, dass er einen Stadtführer dabei haben wollte. Lächerlich, natürlich, aber da man sich nicht kannte und beide eine Rose im Knopfloch für noch lächerlicher hielten, war es vielleicht doch besser so.
Nun stand Alexander allerdings schon eine ganze Weile ein wenig verborgen hinter einem Strauch und beobachtete die beiden. Und was er niemals für möglich gehalten hätte, sein Blick war auf Anita gefallen, und auf diesen ersten Blick hin hatte sein Herz gesprochen und angefangen schmerzhaft und aufgeregt zu schlagen.
Was er sah, war eine Frau Anfang der dreißig, die einen noch sehr jugendlichen Eindruck machte. Sanftes braunes Haar fiel locker auf die Schultern, das Gesicht war fein und ebenmäßig, die Lippen voll, und das Lächeln einfach nur bezaubernd. Ihre Kleidung war geschmackvoll und eigenwillig, aber durchaus zu ihr passend. Die Bewegungen zeugten von Kraft und Energie, und doch hatte Alexander das Gefühl, dass diese Frau auch ungeheuer anschmiegsam sein konnte. Ihm kam ein Ausspruch in den Sinn, den er einmal bei einem Auftrag in Amerika aufgeschnappt hatte: Sie sieht aus wie eine Million Dollar.
So musste die Frau sein, die er sich erträumt hatte. Ihr Exmann konnte nur blind oder ein Narr sein, dass er sie hatte gehen lassen.
Jetzt schaute sie etwas ungeduldig auf die Uhr und sagte etwas zu dem Jungen. Michael war schlank und zierlich, klein für sein Alter, aber seine Augen blickten wach und intelligent.
Alexander besann sich darauf, dass er mit den beiden verabredet und schon fünf Minuten über die Zeit war. Er trat aus seinem Versteck hervor und schritt rasch auf Mutter und Sohn zu.
„Frau Steingruber? Michael? Ich bin Alexander Gottlieb.“
Er reichte beiden nacheinander die Hand und spürte fast körperlich, wie Freude die junge Frau erfüllte. Sie schien also auch auf den ersten Blick nicht enttäuscht von ihm zu sein.
Gemeinsam wie eine Familie gingen sie hinein.
Alexander war seit vielen Jahren nicht mehr im Zoo gewesen. Nun erlebte er zum ersten Mal seit seiner Kindheit mit, wie sehr ein Kind sich freuen konnte auf einem gemeinsamen Ausflug. Die großen Raubtiere interessieren Michael weniger, er liebte Reptilien, Spinnen und Schlangen, sehr zum Leidwesen von Anita. Alexander hingegen fand es faszinierend, vor allen Dingen, als er feststellte, dass sich Michael wirklich gut damit auskannte. Er hatte sich schon länger damit beschäftigt und konnte mühelos die Lebens- und Verhaltensweisen der verschiedenen Spezies erklären.
Aber auch die Gespräche zwischen Alexander und Anita waren anregend, weil beide gebildete und belesene Menschen waren, denen es an Gesprächsthemen nicht mangelte.
Die Zeit verging wie im Flug, und irgendwann schaute Alexander auf die Uhr und stellte fest, dass er eigentlich schon längst wieder zurück im Büro sein wollte. Doch es hätte ihm gar nicht gepasst, diese wunderbare Gesellschaft zu verlassen. Er fühlte sich wohl und stellte erstaunt fest, dass es doch noch mehr gab als nur die Arbeit. Also verschob er seinen Aufbruch und lud die beiden auch noch zum Abendessen ein.
Der Abend verlief harmonisch und angenehm, und irgendwann spät fuhr Alexander die zwei nach Hause. Am nächsten Tag hatte Michael schulfrei, so dass der späte Zeitpunkt nicht so schlimm war.
Auch Anita bedauerte es sehr, dass dieser Abend zu Ende ging. Schon seit langem hatte sie nicht mehr so angeregte Gespräche geführt, und sich vor allen Dingen so sicher gefühlt wie in der Nähe dieses Mannes. Ein wenig belustigt stellte sie bei sich selbst fest, dass er nicht nur unverschämt gut aussah, sondern auch Charme und Intelligenz besaß, so dass selbst Diskussionen über kontroverse Themen zu einem Genuss werden konnten.
Michael hatte sich schon ganz herzlich bei Alexander bedankt, fand das alles toll und geil, sehr zum Leidwesen seiner Mutter, die eine solche Ausdrucksweise nicht guthieß. Aber Alexander hatte beglückt festgestellt, dass ihm das Lob des Jungen ungeheuer viel bedeutete.
Michael war schon aus dem Auto gesprungen und stand jetzt wartend in der offenen Haustür, während Anita und Alexander sich noch verabschiedeten.
„Sie haben Michael und mir eine sehr große Freude mit diesem Tag bereitet. Und ich gebe zu, ich habe mich lange nicht mehr so gut unterhalten.“
„Mir geht es ähnlich“, sagte er leise. „Ich hatte schon fast vergessen, dass es ein Leben außerhalb der Arbeit gibt. Und – Anita – ich würde Sie sehr gerne wiedersehen. Und natürlich auch Michael“, setzte er rasch hinzu.
Die junge Frau lächelte. Sie hatte sehr wohl gespürt, dass Michael diesen noch so fremden Mann mochte und ihn, was sie nicht geglaubt hätte, als möglichen Partner akzeptierte. Natürlich war das alles nicht mehr als Zukunftsmusik und vielleicht auch nicht mehr als ein schöner Wunschtraum. Aber Tatsache blieb, dass Michaels Brief den Anfang einer Lawine ausgelöst zu haben schien, von der bis jetzt noch niemand sagen konnte, ob sie weiterlief oder nicht doch plötzlich stoppen würde. Das würde die Zeit erweisen, man musste einfach abwarten.
Jetzt aber freute sich Anita darüber, dass Alexander sie wiedersehen wollte.
„Ich rufe Sie morgen an“, versprach der Mann. „Sobald ich weiß, wann mein Terminkalender mir ein wenig Luft dazu lässt.“
Anita lächelte verständnisvoll. „Mir geht es ähnlich. Lassen Sie uns morgen darüber abstimmen, welche Termine wir frei haben.“
Mit einem letzten Blick von beiden, in dem eine Verheißung und ein Versprechen lagen, stieg Anita aus dem Wagen und ging zu Michael, der jetzt langsam ungeduldig wurde.
Ein letztes Winken, dann fuhr der Wagen davon, und Anita starrte ihm sinnend hinterher.
„Was hast du da wohl angerichtet, mein Sohn?“, fragte sie leise, ohne eine Antwort zu erwarten, aber Michael schaute sie erstaunt an.
„War das denn kein schöner Tag, Mama? Und hast du gesehen, er ekelt sich gar nicht vor Spinnen und Schlangen. Und beim nächsten Mal will er mir wirklich eines der großen Hochhäuser zeigen, die er gebaut hat.“
Anita schmunzelte. Beim nächsten Mal! Es war irgendwie klar für Michael, dass es ein nächstes Mal geben würde. Er hatte also Alexander wirklich sofort ins Herz geschlossen. Es gab also doch noch seltsame Wege, die das Schicksal ging.
„Jetzt aber ab ins Bett, junger Mann. Eigentlich müsstest du längst schlafen“, bestimmte sie.
Michael war so müde und erschöpft, dass er widerspruchslos gehorchte.
Anita hatte noch einige Minuten still im Wohnzimmer gesessen und über den vergangenen Tag nachgedacht. Schließlich aber entschied sie sich, endlich ins Bett zu gehen und war auf dem Weg ins Badezimmer, als es an der Haustür klingelte. Etwas unwillig blickte sie auf. Wer mochte das sein, um diese Zeit? Oder – und dann glitt ein Lächeln auf ihre Züge – hatte Alexander etwas vergessen? Wollte er ihr vielleicht noch etwas sagen?
Rasch öffnete sie die Tür, auch um zu verhindern, dass die Klingel noch einmal anschlug und Michael weckte.
Aber dann war ihr Erstaunen doch sehr groß, als sie ihren Exmann Karsten dort stehen sah.
„Was willst du denn hier? Weißt du eigentlich, wie spät es ist?“, fragte sie fast empört.
Aber Karsten hielt sich nicht mit langen Vorreden auf. „Wer ist der Kerl, mit dem du dich triffst?“, wollte er barsch wissen.
Anita war durchaus nicht der Meinung, dass es ihn etwas anginge. „Das ist meine Sache“, erwiderte sie also kühl. „Wir beide sind geschieden. Kannst du dich erinnern?“
Karstens Gesicht war bleich, und seine Stimme klang brüchig. Anita kannte diese Anzeichen, er war unendlich wütend und würde gleich mit Sicherheit laut werden.
„Ich will nicht, dass du mit irgendeinem dahergelaufenen Kerl losziehst und meinen Jungen in schlechte Gesellschaft bringst!“, brüllte er plötzlich.
Das ging Anita jetzt zu weit. „Ich bin dir keine Rechenschaft darüber schuldig, was ich tu. Von dir verlange ich schließlich auch keine Auskunft, mit wem du gerade liiert bist. Und ich bringe schon gar nicht Michael in schlechte Gesellschaft. Die hatte er an dir wahrhaftig genug“, konnte sie sich eine Spitze nicht verkneifen. „Im Übrigen geht dich das alles gar nichts an. Außerdem, woher weißt du eigentlich davon? Beobachtest du mich etwa? Dazu hast du kein Recht, und das werde ich mir auch nicht bieten lassen.“
„Und was willst du dagegen unternehmen?“, höhnte er. „Ich nehme mir ganz einfach das Recht herauszufinden, ob es meinem Sohn gut geht.“
„Deinem Sohn?“, wiederholte sie fast nachdenklich. „Du hast doch auch nicht darüber nachgedacht, ob es deinem Sohn gut geht, als du mich am laufenden Meter betrogen hast. Warst du vielleicht der Ansicht, das Kind bekommt nichts davon mit? Michael hat viel zu sehr unter deiner Untreue und deiner unbegründeten Eifersucht gelitten, als dass ich es wagen würde, ihm wehzutun. Und nun willst du bitte gehen, ich möchte schlafen.“
„Du schmeißt mich hinaus?“, fragte er fassungslos.
„Um diese Zeit“, erklärte sie kühl, „lasse ich normalerweise nicht mal mehr jemanden herein. Also muss ich auch niemanden hinauswerfen. Ich wünsche dir eine gute Nacht, Karsten.“ Sprach es und schloss die Tür.
Der Mann blieb ungläubig noch eine Weile draußen stehen, ballte dann aber eine Faust und schüttelte sie.
„Das wird dir noch leid tun!“, waren seine letzten Worte, die er gegen die geschlossene Tür brüllte, laut genug, dass auch andere Hausbewohner sie hören konnten, falls sie noch auf waren. Aber das interessierte ihn nicht. Dann ging auch er.
Anita wartete am folgenden Tag voller Ungeduld auf den Anruf von Alexander, und zu ihrer Freude musste sie nicht lange warten, denn schon am Vormittag meldete er sich.
„Wie geht es Ihnen?“, fragte er sanft.
Anita hatte nicht vor, ihm von der hässlichen Auseinandersetzung am Abend vorher zu erzählen, so vertraut waren sie denn doch nicht miteinander, dass es ihn etwas anging. Und so antwortete sie ausweichend. „Gut, danke. Und Ihnen?“
Ein leises Lachen kam als Antwort. „Sie werden es vielleicht kaum glauben, Anita. Ich brenne vor Ungeduld Sie wiederzusehen.“
Heiße Röte schoss in das Gesicht der jungen Frau, und sie war froh, dass er sie nicht sehen konnte.
„Ich freue mich auch darauf, Sie wiederzusehen“, sagte sie dann leise und fast verlegen.
„Dann lassen Sie uns doch ganz einfach mal prüfen, was unsere Terminkalender sagen.“
Es dauerte gar nicht lange, bis die zwei einen passenden Termin ausfindig gemacht hatten, allerdings stellte Anita dann fest, dass es sich ausgerechnet um den Besuchstag von Karsten handelte, an dem Michael nicht dabei sein würde.
„Nun, ich hoffe doch sehr, dass Sie keine Angst haben mit mir allein zu sein“, sagte Alexander ein wenig spöttisch und war erfreut darüber, wie sie reagierte
„Ich dachte nur – ich meine“, begann sie ein wenig zögernd, „dass wir Michael erst gegen Abend dabei haben werden.“
„Eine gute Möglichkeit, dass wir beide uns besser kennenlernen“, war seine Antwort, und Anita spürte, wie ihr Herz einen raschen Schlag schneller wurde.
Sie wechselten noch einige unverbindliche Worte und legten dann auf, beide von dem gleichen Gedanken erfüllt: Noch eine ganze Woche bis zum Wiedersehen.
„Karsten, was hast du vor?“, fragte Miriam etwas verwirrt, als sie erstaunt bemerkte, dass der Mann eine Tasche mit Kleidung packte. „Du willst doch nicht etwa verreisen? Ich denke, du hast heute deinen Besuchstag bei deinem Sohn?“
„Ich muss danach geschäftlich weg“, sagte er wegwerfend und kümmerte sich nicht weiter um die Frau.
Miriam kam das Ganze etwas merkwürdig vor, aber dennoch hatte sie keinen Grund, misstrauisch zu sein, es war nicht ungewöhnlich, dass er auf Dienstreisen ging.
Karsten hatte nicht vor, Miriam noch etwas zu sagen. Sie war immer eine gute und verständnisvolle Geliebte, sicher, aber für mehr sah er sie immer noch nicht an. Dass ihre Liebe zu ihm tief und bedingungslos war, hatte er einfach nicht gemerkt. Und so verabschiedete er sich auch ganz normal von ihr und fuhr los, um seinen Sohn abzuholen.
Michael wartete schon auf seinen Vater und erzählte ihm, ohne dass der nachfragen musste, freudestrahlend von dem Besuch im Zoo mit Alexander. Hätte Karsten noch irgendwelche Zweifel gehabt, dass das, was er jetzt tun wollte, richtig war, so wären diese durch das Gespräch ausgeräumt gewesen.
Sein Sohn, und ein anderer Mann! Das konnte nicht sein, nein, das durfte nicht sein.
„Hättest du Lust, heute mit mir eine ganz tolle Reise zu unternehmen?“, fragte er Michael, und der nickte begeistert.
„Na, dann los“, sagte Karsten entschlossen und startete den Wagen.
Alexander und Anita verlebten einen wunderschönen unbeschwerten Tag im Odenwald. Ein Bekannter von Alexander hatte ihm den Schlüssel zu einer kleinen Jagdhütte gegeben. Und hier, sehr abseits gelegen und von keinerlei Spaziergängern gestört, verbrachten die beiden den Tag. Vorräte in Form von Konserven waren mehr als genug da, die Hütte war gemütlich, und nach einem langen Spaziergang kochten die zwei gemeinsam am Herd ein Essen. Es gab einen Stromgenerator und Gasflaschen für den Herd, und das Paar fühlte sich wie allein auf weiter Welt. Sie führten lange Gespräche, sprangen von einem Thema zum anderen, und schließlich kam der Augenblick, vor dem sie beide ein wenig gebangt hatten.
Sie hatten sich nach dem Essen ein wenig träge auf einem gemütlichen Sofa niedergelassen, vorher ein Feuer im Kamin angezündet, weil es doch ein wenig kühl hier draußen war, und plötzlich stockte der Redefluss der beiden. Alexander drehte sich zur Seite, schaute Anita tief in die Augen und zog sie dann an sich. Die Frau ließ es geschehen, ohne sich zu wehren, und beide versanken in einem tiefen, ersten Kuss.
Doch schließlich löste sich der Mann und hielt Anita an beiden Schultern sanft fest. „Ich wollte dich nicht überrumpeln“, sagte er leise. „Aber ich wäre ein Narr gewesen, hätte ich diese Gelegenheit ausgelassen.“
Sie lächelte, sprach aber kein Wort, sondern schaute ihn nur mit funkelnden Augen an und zog ihn wieder an sich. Und das war eine Aufforderung, der Alexander nicht widerstehen konnte.
Sehr viel später fuhren sie nach Hause, um rechtzeitig wieder da zu sein, wenn Karsten Michael zurückbrachte. Sie wollten dann noch gemütlich essen gehen, damit auch Michael etwas von Alexander hatte. Anita fürchtete sich auch nicht mehr davor, dass Karsten Alexander sehen könnte, sie hatte ein Anrecht auf ein eigenes Leben, fand sie.
Aber die Zeit verging, und Karstens Auto tauchte nicht auf. Eigentlich hatte er um achtzehn Uhr mit dem Jungen zurück sein sollen, mittlerweile war es aber schon neunzehn Uhr dreißig.
Kurz nach zwanzig Uhr hielt Anita es nicht mehr aus und rief unter Karstens Telefonnummer an, wo sich Miriam meldete. Sie klang ein wenig unsicher, und Anita wurde misstrauisch.
„Gibt es da etwas, dass Sie wissen und mir vielleicht sagen sollten?“, fragte sie hartnäckig nach, als sie auf ihre Frage nach Karsten nur eine ausweichende Antwort bekommen hatte.
Miriam zögerte, es kam ihr wie Verrat vor, aber dann erzählte sie Anita doch, dass Karsten eine Reisetasche mit Kleidung mitgenommen hatte.
Anita erschrak. „Und er ist bis jetzt nicht zurückgekommen und hat sich auch bei Ihnen nicht gemeldet?“, fragte sie noch einmal nach.
Miriam verneinte, und in Anita kroch eisiger Schreck hoch.
Sie legte mit zitternden Fingern den Hörer auf und erzählte Alexander, was geschehen war. Er nahm sie fest in den Arm.
„Er hat dem Jungen sicher nichts getan“, versuchte er zu trösten. „Nach allem, was du mir erzählst hast, liebt er den Jungen doch.“
„Ja, das tut er“, bestätigte Anita. „Aber ich glaube, er hat ihn entführt.“
Die Polizei hatte zunächst versucht abzuwiegeln, Anita sollte noch ein wenig warten, vielleicht würde sich Karsten doch bald melden. Aber sie hatte darauf bestanden, dass die Beamten sofort etwas unternahmen, und Alexander hatte sie unterstützt. Auch er machte sich Sorgen um Michael, den er doch kaum kannte, aber sofort ins Herz geschlossen hatte. Und nun tat es ihm unendlich weh, dass die Mutter des Jungen verzweifelt und den Tränen nah in ein Gespräch mit einer abweisenden und misstrauischen Polizistin verwickelt war. Aber Anita behielt mit bewundernswerter Beherrschung den Kopf oben und die Tränen verborgen.
Die Polizistin stellte eine Unmenge scheinbar sinnloser Fragen, und ein Kollege hielt alle Antworten schriftlich fest.
Mittlerweile ging es auf zweiundzwanzig Uhr zu, und zwischenzeitlich waren auch zwei Polizisten auf dem Weg zu Miriam, um auch ihre Aussage zu Protokoll zu nehmen.
Es sah nun wirklich alles danach aus, als hätte Karsten den Jungen entführt und keineswegs die Absicht ihn wieder zu Hause abzuliefern.
„Hat Ihr Exgatte schon einmal versucht, den Jungen zu entführen?“, fragte die Polizistin jetzt.
„Nein.“
„Gab es Probleme mit der Besuchsregelung? War Ihrem Mann die Zeit zu wenig?“
„Nein, bisher nicht. Aber ...“ Anita stockte, und Alexander spitzte die Ohren.
„Jaa?“, machte die Polizistin.
Anita rang ein wenig hilflos die Hände. „Er schien in letzter Zeit erneut Zeichen von Eifersucht zu zeigen. Jedenfalls hat er mich und das Kind beobachtet. Und in der vorigen Woche kam er noch abends spät, klingelte und machte mir Vorhaltungen.“
„Wann war das genau?“
Anita erzählte es.
„Und aus welchem Grund?“
Jetzt fand Anita, dass die Fragerei weit genug ging. Sie hatte sich weder vor ihrem Exmann noch vor der Polizei zu verantworten. Was in ihrem Privatleben vorging, war auch ihre Privatsache.
„Er hat keinen Grund außer dem, dass er beobachtet hatte, wie wir ausgegangen sind“, sagte sie also bestimmt. „Und wenn ich mit jemandem ausgehe, ist das mein Leben und nicht seines.“
Die Polizistin warf einen Seitenblick zu Alexander hinüber. „Ist Ihr Exgatte eifersüchtig auf Herrn Gottlieb?“
„Es sieht zumindest so aus“, meinte Anita spröde.
„Sind da noch andere Männer in Ihrem Leben?“
„Ich finde, jetzt gehen Sie entschieden zu weit“, fuhr Anita zornig auf, und auch Alexander fand es an der Zeit sich einzumischen.
„Sie benehmen sich, als wäre Frau Steingruber ein Täter und nicht ein Opfer“, warf er dazwischen.
Die Polizistin musterte ihn kühl. „Sie müssen die Art der Befragung schon mir überlassen. Ich mache so etwas nicht zum ersten Mal.“
„Wenn Sie in dieser Form weitermachen, aber sicher zum letzten Mal“, konterte Alexander eiskalt. „Ihre Art der Befragung verdient eine Dienstaufsichtsbeschwerde.“
Noch bevor das Wortgefecht weitergehen und womöglich eskalieren konnte, klingelte plötzlich das Telefon. Für einen Augenblick erstarrten alle Personen wie zur Salzsäule. Als erste regte sich dann die Polizistin und wandte sich an Anita.
„Schnell, haben Sie einen zweiten Apparat, wo man mithören könnte?“
Anita nickte und deutete auf das Schlafzimmer, der Mann verschwand, und die Polizistin nickte. „Nehmen Sie das Gespräch an. Vielleicht ist es ja Ihr Exgatte. Es gibt immer noch viele Möglichkeiten, warum er mit dem Kind noch nicht hier ist. Rasch jetzt.“
Das Telefon klingelte mit hartnäckiger Ungeduld immer weiter, und Anitas Finger zitterten, als sie den Hörer jetzt aufnahm. Alexander warf ihr einen beruhigenden Blick zu, und sie tastete nach seiner Hand, bevor sie sich meldete.
„Anita? Ich bin es, Karsten.“ Seine Stimme klang wie aus weiter Ferne. „Ich wollte dir nur sagen, dass du nicht darauf warten musst, Michael zurückzubekommen.“
„Wo ist Michael? Geht es ihm gut? Was hast du mit ihm gemacht?“ Anitas Stimme überschlug sich fast, und der Griff, mit dem sie Alexanders Hand hielt, war schmerzhaft.
„Reg dich bloß nicht auf. Uns geht es gut. Aber augenscheinlich hast du jemanden gefunden, den du mehr liebst als Michael. Und das kann und werde ich nicht mit ansehen. Das Kind wird bei mir bleiben.“
„Das kannst du nicht tun. Bring mir Michael zurück!“, flehte sie.
„Du hattest deine Chance, meine liebe Exfrau. Jetzt bleibt er bei mir.“
Abrupt legte er auf, und Anita hielt noch eine Weile den Hörer in der Hand und starrte ihn fassungslos an, als könnte sie nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Dann glitt ihr Blick auf die Polizistin.
„Das kann er doch nicht tun“, flüsterte sie tonlos.
Alexander schaute sie an und sah den grenzenlosen Schmerz in ihren Augen. Er zog sie an sich.
„Damit kommt er nicht durch“, flüsterte er. „Wir holen dir Michael zurück. Bitte Anita, du musst jetzt stark bleiben. Du wirst Michael nicht helfen, wenn du zusammenbrichst.“
Unmerklich strafften sich ihre Schultern, und die Frau löste sich von Alexander. „Ich breche nicht zusammen“, sagte sie mit fester Stimme, und mit einem fast grimmigen Lächeln fügte sie hinzu: „Aber auch mir wird es doch gestattet sein, ein wenig Schwäche zu zeigen.“
Beide Polizisten schienen sich wortlos verständigt zu haben, und der Mann telefonierte mittlerweile schon mit dem Revier.
Das Verhalten der Frau hatte sich geändert, sie schien jetzt besorgt. „Brauchen Sie einen Arzt, Frau Steingruber?“, erkundigte sie sich, aber Anita schüttelte den Kopf.
„Nein, alles was ich brauche, ist mein Sohn. Bringen Sie ihn mir zurück.“
„Willst du mich nicht nach Hause fahren“, erkundigte sich Michael, als es auf den Abend zuging und Karsten keine Anstalten machte zu drehen und nach Mainz zurückzufahren.
„Ich habe mit deiner Mutter gesprochen“, log Karsten, ohne rot zu werden. „Und sie möchte dich gerne ein paar Tage loswerden. Da ist doch dieser neue Mann, du kennst ihn ja, und die beiden ...“ Er hatte bewusst eine harte Ausdrucksweise gewählt, um dem Kind gleich klarzumachen, dass Anita nichts mehr von ihm wissen wollte.
Michael starrte seinen Vater ungläubig an. „Das würde Mama nie sagen. Und Alexander ist so nett.“
„Nun, scheinbar findet deine Mutter Alexander so nett, dass sie dich im Augenblick einfach nicht brauchen kann.“
Michael biss sich auf die Lippen. Konnte das denn wahr sein? Das hätte seine Mutter ihm doch sicher gesagt. Aber andererseits hatte sein Vater ihn noch nie belogen.
„Und wohin fahren wir jetzt? Und was ist mit der Schule?“, erkundigte er sich dann kleinlaut.
„Nun, wir machen eine Art Ferien, außerplanmäßig“, sagte Karsten improvisierend. „Wir fahren mal hierhin, mal dorthin.“
Am Abend mietete er ein Zimmer in einer Raststätte, blieb bei Michael, bis er eingeschlafen war, und telefonierte dann mit Anita. Er war sicher, dass niemand das Gespräch würde zurückverfolgen können, weil Anita noch immer denken sollte, dass er sich aus irgendwelchen Gründen verspätet hatte. Dass die Polizei längst alarmiert war und dieses Gespräch mithörte, konnte er nicht wissen.
Am nächsten Morgen kaufte er für den Jungen ein paar neue Kleidungsstücke, und dann ging es weiter, bis weit hinter München in die Berge hinauf. Michael war ausgesprochen ruhig und kleinlaut, aber er stellte keine Fragen mehr. Sein Vater kam ihm sehr merkwürdig vor, und in seinem Kopf begannen die Gedanken zu rotieren. Das alles verwirrte ihn, und er wusste nicht mehr, was er denken sollte.
Karsten hatte keine Ahnung, was er seinem Kind antat, und er wäre sehr verwundert gewesen, hätte man ihn jetzt darauf angesprochen. In seinem verwirrten Geist hatte sich der Gedanke festgesetzt, dass er Michael vor Schaden und anderen Männern bewahren musste.
„Jede Polizeidienststelle im ganzen Land ist alarmiert, alle Grenzbehörden wissen Bescheid, und selbst im Fernsehen ist die Suchmeldung gelaufen. Wir müssen Geduld haben“, versuchte der Kommissar der Kriminalpolizei Anita zu beruhigen. „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Ihr Mann ...“
„Mein Exmann“, unterbrach sie ihn hart.
Kein Lächeln zeigte sich im Gesicht des Beamten. „Also gut, bis Ihr Exmann aufgegriffen wird und Sie Ihr Kind wieder in die Arme schließen können.“
Es war jetzt schon der dritte Tag des Dramas, an dem Anita um ihr Kind bangte, und sie ging mutlos wieder hinaus und fuhr wie in Trance nach Hause.
Sie hatte sich in diesen Tagen immer enger an Alexander angeschlossen. Der hatte kurzerhand seine Arbeit vernachlässigt, um ständig bei ihr sein zu können und sie in rührender Weise zu umsorgen.
Anita hatte diese fast unmerkliche Hilfestellung zunächst gar nicht bemerkt, bis ihr dann aber plötzlich doch aufgegangen war, dass sie gar nicht allein war. Sie lehnte sich gern an die starke Schulter des Mannes, der einfach nur da war, ohne Forderungen zu stellen, der sie beschützte und behütete, und zum ersten Mal seit langer Zeit vertraute sie wieder einem Mann.
Für Alexander hingegen war es ein vollkommen neues Gefühl. Noch niemals hatte er so stark für eine Frau empfunden, oder war bereit gewesen ihren Schmerz und ihr Leid mitzutragen.
Und auch er bangte um den Jungen, ohne dessen total verrückten Einfall er Anita ja auch nicht gefunden hätte. Auch er wollte Michael zurück haben und wünschte sich, in Zukunft für diese beiden Menschen verantwortlich sein zu dürfen.
Es war merkwürdig, diese Notlage verband Anita und Alexander mehr als es jede Art des normalen Kennenlernens getan hätte. Es gab keine Schranken zwischen ihnen, und die Masken der Höflichkeit und Zurückhaltung, die sonst zwischen zwei Menschen, die sich nur wenig kannten, vorherrschten, gab es hier nicht. Grenzenlose Offenheit war es, die die beiden verband, und sie verstanden sich blind. Beide erkannten voller Erstaunen, dass sie sich liebten. Es war so, als hätte es immer so sein müssen.
„Wenn dies hier vorbei ist, Liebste“, sagte Alexander am Abend leise zu ihr, „dann nehme ich euch, und wir drei machen einen langen gemütlichen Urlaub. Dort, wo uns niemand kennt und niemand stört.“