Nightflyers - Die Dunkelheit zwischen den Sternen - George R.R. Martin - E-Book

Nightflyers - Die Dunkelheit zwischen den Sternen E-Book

George R.R. Martin

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Beschreibung

Die Buchvorlage der spektakulären Netflix-Serie

Melantha Jhirl ist eine Kämpferin, und sie soll acht Wissenschaftler auf einer gewagten Expedition beschützen. An Bord des Raumschiffs Nightflyer brechen sie auf, um die rätselhafte Rasse der Volcryn zu erforschen. Doch sie sind nicht allein an Bord! Als der Telepath des Teams eine seltsame Präsenz an Bord spürt, ist es bereits zu spät. Das Wesen ermordet Malantha Jhirls Schützlinge. Sie ist die einzige, die es aufhalten kann – doch dafür muss sie selbst am Leben bleiben …

Mit fünfzehn Illustrationen des mehrfach ausgezeichneten Illustators David Palumbo.

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Seitenzahl: 219

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Autor

George Raymond Richard Martin wurde 1948 in New Jersey geboren. Sein Bestseller-Epos Das Lied von Eis und Feuer wurde als die vielfach ausgezeichnete Fernsehserie Game of Thrones verfilmt. George R. R. Martin wurde u. a. sechsmal der Hugo Award, zweimal der Nebula Award, dreimal der World Fantasy Award (u. a. für sein Lebenswerk und besondere Verdienste um die Fantasy) und dreimal der Locus Poll Award verliehen. 2013 errang er den ersten Platz beim Deutschen Phantastik Preis für den Besten Internationalen Roman. Er lebt heute mit seiner Frau in New Mexico.

Science-Fiction von George R. R. Martin bei Penhaligon:

Die Flamme erlischt

Planetenjäger

Sturm über Windhaven

Wild-Cards-Romane und -Anthologien, herausgegeben von George R. R. Martin, bei Penhaligon:

WILD CARDS. Die erste Generation

Vier Asse

Der Schwarm

Der Astronom

WILD CARDS. Die zweite Generation

Das Spiel der Spiele

Der Sieger der Verlierer

Der höchste Einsatz

WILD CARDS. Jokertown

Die Cops von Jokertown

weitere Bände in Vorbereitung

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GEORGE R. R. MARTIN

NIGHTFLYERS

Die Dunkelheit zwischen den Sternen

ROMAN

Deutsch von Maike Hallmann

Die Originalausgabe erschien 1980 unter dem Titel »Nightflyers« in der Anthologie »Binary Star 5« bei Bantam / Dell, New York.

Dieser Kurzroman ist außerdem in der Anthologie »Traumlieder 2. Erzählungen« im Heyne-Verlag erschienen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright der Originalausgabe © 1980 by George R. R. Martin

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2018 by Penhaligon in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: © Isabelle Hirtz, Inkcraft, nach einer Originalvorlage von David G. Stevenson

Umschlagillustration vorne: © Larry Rostant

Umschlagillustration hinten: © David Palumbo

Illustrationen: © 2018 by David Palumbo

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-24300-5 V002

www.penhaligon.de

Als Jesus von Nazareth sterbend am Kreuz hing, passierten die Volcryn den Schauplatz seiner Todesqualen in weniger als einem Lichtjahr Entfernung auf ihrem Weg in die Ferne.

Als die Feuerstürme auf der Erde wüteten, segelten die Volcryn nahe Alt-Poseidon mit seinen namenlosen, unbefischten Meeren. Als die Entwicklung des interstellaren Antriebs den Staatenbund der Erde in das Bundesimperium verwandelte, waren die Volcryn in die Randbezirke des Hrangan-Systems eingedrungen. Die Hranganer erfuhren nie etwas davon. Wie wir waren sie Kinder einer der kleinen, hellen Welten, die um weit verstreute Sonnen kreisen, und sie scherten sich kaum um das, was sich durch die Leere dazwischen bewegte, und noch weniger wussten sie überhaupt davon.

Der tausendjährige Krieg entbrannte, und die Volcryn glitten hindurch, unwissend, unberührt, sicher und geborgen dort, wo niemals Feuer brennen. Später wurde das Bundesimperium zerschmettert und ausgelöscht, die Hranganer verschwanden beim großen Zusammenbruch in der Dunkelheit, aber für die Volcryn änderte sich nichts.

Als Kleronomas mit seinem Forschungsschiff von Avalon aufbrach, kamen die Volcryn auf weniger als zehn Lichtjahre an ihn heran. Kleronomas entdeckte vieles, aber die Volcryn entdeckte er nicht. Nicht damals und nicht, ein ganzes Leben später, bei seiner Rückkehr nach Avalon.

Als ich drei Jahre alt war, war Kleronomas längst Staub, so fern und tot wie Jesus von Nazareth, und die Volcryn befanden sich nahe Daronne. Zu jener Zeit wurden die feinsinnigen Crey eigenartig, saßen da und starrten mit leuchtendem, flackerndem Blick zu den Sternen empor.

Als ich erwachsen war, hatten die Volcryn Tara hinter sich gelassen, befanden sich inzwischen außerhalb der Reichweite selbst der Crey, noch immer auf dem Weg immer weiter aus der Galaxis hinaus.

Und heute bin ich alt und werde immer älter, und bald werden die Volcryn Tempters Schleier durchstoßen, der wie schwarzer Nebel zwischen den Sternen schwebt. Und wir folgen ihnen, folgen ihnen durch das schwarze Nichts, wo niemand ist, durch die Leere, durch das immerwährende Schweigen jagen wir sie, meine Nightflyer und ich.

Langsam arbeiteten sie sich durch die durchsichtige Röhre, die Orbitalstation und Schiff verband, zogen sich mit den Händen durch die Schwerelosigkeit.

Melantha Jhirl, die Einzige von ihnen, die sich in der Schwerelosigkeit geschickt und ohne sichtliches Unbehagen bewegte, hielt kurz inne und betrachtete den gescheckten Ball unter ihnen – Avalon, majestätische Weiten aus Jade und Bernstein. Sie lächelte und glitt rasch und anmutig an ihren Begleitern vorbei die Röhre entlang. Sie alle hatten bereits Sternenschiffe bestiegen, aber nie auf diesem Weg. Die meisten Schiffe dockten direkt an der Station an – das Schiff, das Karoly d’Branin für diese Mission gechartert hatte, war dafür zu groß und zu eigenwillig geformt. Es ragte hoch auf, drei eierförmige Gebilde hintereinander, darunter im rechten Winkel zwei größere Kugeln, zwischen denen der zylinderförmige Antrieb untergebracht war. Alles war durch lange Röhren miteinander verbunden. Das Schiff war weiß und schmucklos.

Melantha Jhirl kam als Erste durch die Luftschleuse. Die anderen strampelten nach und nach hinterher, bis endlich alle an Bord waren; fünf Frauen und vier Männer, allesamt Wissenschaftler, ihre Persönlichkeiten so unterschiedlich wie ihre Spezialgebiete. Als Letzter kam der junge, zerbrechlich wirkende Telepath Thale Lasamer an Bord. Er warf den anderen, die sich unterhielten und darauf warteten, dass es weiterging, nervöse Blicke zu. »Jemand beobachtet uns«, sagte er.

Das Außenschott hatte sich hinter ihnen geschlossen, die Röhre zur Orbitalstation war fort, und die Tür ins Innere des Schiffs glitt auf. »Willkommen auf meiner Nightflyer«, erklang eine sanfte Stimme.

Doch es war niemand da.

Melantha Jhirl trat in den Gang. »Hallo«, sagte sie und schaute sich fragend um. Karoly d’Branin folgte ihr.

»Hallo«, antwortete die sanfte Stimme. Sie kam aus einem Lautsprecher unterhalb eines dunklen Bildschirms. »Ich bin Royd Eris, Kapitän der Nightflyer. Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Karoly, und heiße auch die anderen herzlich willkommen.«

»Wo stecken Sie?«, verlangte jemand zu wissen.

»In meinem Quartier, das die Hälfte des an die lebenserhaltenden Systeme angeschlossenen Sektors einnimmt«, antwortete Royd Eris’ Stimme liebenswürdig. »In der anderen Hälfte finden Sie eine Kombination aus Speisesaal, Bibliothek und Küche, zwei sanitäre Anlagen, eine Doppelkabine und eine kleinere Einzelkabine. Wer dort nicht unterkommt, wird mit einem Schlafnetz in den Frachträumen vorliebnehmen müssen, fürchte ich. Die Nightflyer ist als Frachter konzipiert, nicht als Passagierschiff. Wie dem auch sei – ich habe alle notwendigen Gänge und Schleusen geöffnet, für Luft, Wasser und Beheizung ist gesorgt. Ich dachte mir, so werden Sie es wohnlicher finden. Ihre Ausrüstung und Ihr Computersystem sind bereits in den Frachträumen untergebracht, aber ich versichere Ihnen, es steht noch ausreichend Platz zur Verfügung. Am besten, Sie richten sich ein und treffen sich dann im Aufenthaltsraum zum Essen.«

»Gesellen Sie sich zu uns?«, erkundigte sich die missmutige, stets leicht verkniffene Psi-Expertin Agatha Marij-Black.

»In gewisser Weise«, sagte Royd Eris, »in gewisser Weise.«

Der Geist erschien, als sie beim Essen saßen.

Den Aufenthaltsraum hatten sie ohne Schwierigkeiten gefunden, nachdem sie die Schlafnetze aufgehängt und ihre persönlichen Besitztümer untergebracht hatten. Es war der größte Raum in diesem Sektor. An einem Ende befand sich die voll ausgestattete und mit Vorräten reich bestückte Küche, am anderen fanden sie mehrere gemütliche Sessel vor, zwei Lesegeräte, einen Holotank und eine Wand voller Bücher, Aufnahmebänder und Kristalldatenchips. In der Mitte befand sich ein Tisch mit zehn Gedecken.

Dampfend wartete eine leichte Mahlzeit auf sie. Die Wissenschaftler machten es sich am Tisch gemütlich, lachten und unterhielten sich, jetzt in sehr viel besserer Stimmung als bei ihrer Ankunft.

Der Schwerkraftsimulator des Schiffs war eingeschaltet, was sehr zu ihrer Behaglichkeit beitrug; die Unannehmlichkeiten ihres schwerelosen Übergangs waren bald vergessen.

Schließlich waren alle Plätze belegt bis auf den am Kopf der Tafel.

Dort erschien der Geist.

Alle Gespräche verstummten.

»Hallo«, sagte die Erscheinung, das schimmernde Abbild eines schlanken jungen Mannes mit hellen Augen und weißem Haar. Seine Kleidung war zwanzig Jahre hinter der Zeit zurück; ein weites pastellblaues Hemd, das sich an den Handgelenken ballonartig weitete, dazu eine weiße Hose mit integrierten Stiefeln. Sie konnten durch ihn hindurchsehen, und seine Augen schienen sie gar nicht wahrzunehmen.

»Ein Hologramm«, sagte Alys Northwind, die kleine, stämmige Xenotechnikerin.

»Royd, Royd, ich verstehe das nicht«, sagte Karoly d’Branin und starrte den Geist an. »Was soll das? Warum eine Projektion? Werden Sie sich nicht persönlich zu uns gesellen?«

Der Geist lächelte schwach und hob einen Arm, um auf die Wand zu deuten. »Mein Quartier liegt auf der anderen Seite dieser Wand«, erklärte er. »Bedauerlicherweise gibt es keine Verbindungsschleuse zwischen den beiden Hälften dieses Bereichs. Ich verbringe einen Großteil meiner Zeit allein und lege großen Wert auf meine Privatsphäre. Ich hoffe, Sie alle verstehen und respektieren dieses Bedürfnis. Dessen ungeachtet werde ich Ihnen ein aufmerksamer Gastgeber sein. Hier im Aufenthaltsraum kann meine Projektion Ihnen Gesellschaft leisten. Überall sonst im Schiff können Sie, wenn Sie irgendetwas brauchen, über das Kommunikationssystem mit mir Kontakt aufnehmen. Bitte – setzen Sie Ihr Mahl fort und nehmen Sie Ihre Unterhaltungen wieder auf. Ich höre Ihnen mit Freuden zu. Es ist lange her, dass ich Passagiere an Bord hatte.«

Sie gaben ihr Bestes. Aber der Geist am Kopf der Tafel dämpfte die Stimmung merklich, und den Rest ihrer Mahlzeit verzehrten sie hastig und schweigsam.

Seit die Nightflyer in den interstellaren Raum eingetreten war, beobachtete Royd Eris seine Passagiere.

Schon nach wenigen Tagen hatten sich die Wissenschaftler an die körperlose Stimme aus den Lautsprechern und die holografische Erscheinung im Aufenthaltsraum gewöhnt, aber nur Melantha Jhirl und Karoly d’Branin verhielten sich ihm gegenüber wirklich ungezwungen. Das spürbare Unbehagen der anderen hätte sich sicher noch verstärkt, wenn sie gewusst hätten, dass er sie nie aus den Augen ließ. Immer und überall beobachtete er sie. Selbst in den sanitären Anlagen hatte er Augen und Ohren.

Er schaute zu, wie sie arbeiteten, aßen, schliefen und kopulierten; unermüdlich lauschte er ihren Gesprächen. Binnen einer Woche kannte er sie, alle neun, mitsamt ihren schmutzigen kleinen Geheimnissen.

Die Kybernetikerin Lommie Thorne unterhielt sich mit ihren Computern und schien sie menschlicher Gesellschaft vorzuziehen. Ihr Verstand arbeitete schnell und effektiv, sie hatte bewegliche, ausdrucksvolle Gesichtszüge und einen knabenhaften Körperbau. Die meisten ihrer Kollegen fanden sie offenbar anziehend, aber sie schätzte es nicht, berührt zu werden. Sie paarte sich nur einmal, mit Melantha Jhirl. Lommie Thorne trug Oberteile aus geschmeidigen gewebten Metallfäden und hatte am linken Handgelenk ein Implantat, über das sie sich direkt mit dem Computer verbinden konnte.

Der Xenobiologe Rojan Christopheris war streitlustig und mürrisch, seine Verachtung für die Kollegen verhehlte er kaum, und er trank zu viel. Er war groß und hässlich und ging immer leicht gebeugt.

Die beiden Linguisten, Dannel und Lindran, traten vor den anderen als Paar auf, hielten ständig Händchen und einander den Rücken frei. Wenn sie allein waren, stritten sie erbittert miteinander. Lindran hatte einen bissigen Humor und traf Dannel bevorzugt dort, wo es wirklich wehtat, indem sie scheinbar scherzhaft über seine fachliche Kompetenz spottete. Sie hatten ein reges Sexleben, alle beide, aber nicht miteinander.

Agatha Marij-Black, die Psi-Expertin, war eine Hypochonderin mit starken Neigungen zur Depression, die sich in der Enge der Nightflyer verstärkten.

Die Xenotechnikerin Alys Northwind aß ständig und wusch sich nie. Ihre kurzen Fingernägel hatten stets tiefschwarze Ränder, und in den ersten zwei Wochen wechselte sie nicht ein einziges Mal ihren Overall – sie streifte ihn nur ab, wenn sie mit jemandem in die Kiste stieg, und zog ihn gleich danach wieder an.

Royd Eris beobachtete sie alle, er studierte sie, lebte mit ihnen und durch sie. Nicht einmal die, die ihn am meisten abstießen, vernachlässigte er. Aber nach den ersten zwei Wochen, seit sich die Nightflyer im mächtigen Dahinströmen des interstellaren Flugs verloren hatte, widmete er sich zweien seiner Gäste mit besonderer Aufmerksamkeit.

»Vor allem interessiert mich das Warum«, erklärte ihm Karoly d’Branin in der zweiten Woche in einer Pseudonacht.

Royds durchscheinender Geist saß dicht neben d’Branin im gedämpften Licht des Aufenthaltsraums, er sah ihm dabei zu, wie er heiße Zartbitterschokolade trank. Alle anderen schliefen. Auf einem Sternenschiff haben Begriffe wie Tag und Nacht keine Bedeutung, aber die Nightflyer simulierte die gewohnten Zyklen, und die meisten Passagiere richteten sich danach. Der gute alte d’Branin, Administrator, Allround-Talent und Missionsleiter, richtete sich nach seinem eigenen Rhythmus, zog die Arbeit dem Schlaf vor und ließ keine Gelegenheit ungenutzt, über seine größte Leidenschaft zu sprechen: seine Jagd auf die Volcryn.

»Das Ob ist ebenso wichtig wie das Warum, Karoly«, gab Royd zu bedenken. »Wie können Sie sicher sein, dass Ihre Volcryn wirklich existieren?«

»Ich bin sicher«, erwiderte Karoly d’Branin und zwinkerte ihm zu. Er war klein und drahtig, das eisengraue Haar stets sorgfältig frisiert, die Kleidung peinlich sauber, aber seine raumgreifenden Gesten und die Überschwänglichkeit standen in scharfem Kontrast zu diesem seriösen Erscheinungsbild. »Das reicht mir. Wenn alle anderen ebenso überzeugt wären wie ich, wären wir jetzt mit einer ganzen Flotte Forschungsschiffe unterwegs statt mit Ihrer kleinen Nightflyer.« Er nippte an der heißen Schokolade und seufzte zufrieden. »Kennen Sie die Nor T’alush, Royd?«

Der Name war ihm unbekannt, aber seine Datenbanken lieferten ihm schnell Antwort. »Eine fremde Rasse am anderen Ende der Galaxis, noch hinter den Welten der Fyndii und der Damoosh. Möglicherweise nur eine Legende.«

D’Branin kicherte. »Nein, nein, nein! Ihre Datenbanken sind nicht auf dem neuesten Stand, mein Bester, Sie müssen sie bei Ihrem nächsten Besuch auf Avalon dringend aktualisieren. Nein, die Nor T’alush sind keine Legende, es gibt sie wirklich, wenngleich sie in der Tat sehr weit entfernt leben. Es existieren kaum Informationen über sie, aber es kann als gesichert gelten, dass es sie gibt, auch wenn Sie und ich wohl nie einem von ihnen begegnen werden. Mit ihnen hat alles angefangen.«

»Erzählen Sie mir mehr«, bat ihn Royd. »Ihre Arbeit interessiert mich sehr, Karoly.«

»Ich habe damals einen Datensatz in die Datenbanken der Akademie eingespeist, der nach einer Reise von zwanzig Standardjahren von Dam Tullian aus eintraf. Ein Teil dieser Daten betraf die Gebräuche der Nor T’alush. Ich habe keine Ahnung, wie lange es gedauert haben mag, bis diese Informationen Dam Tullian erreicht haben, und woher sie überhaupt stammten, aber das spielt keine Rolle – Gebräuche sind zeitlos, und das Material war höchst aufschlussreich. Wussten Sie, dass ich mein erstes Universitätsexamen in Xenomythologie gemacht habe?«

»Nein, das war mir nicht bekannt. Bitte, fahren Sie fort.«

»Ich fand die Geschichte über die Volcryn in den Mythen der Nor T’alush. Sie flößte mir Ehrfurcht ein: intelligente Kreaturen, die von einem geheimnisvollen Punkt mitten im Herzen der Galaxis aufbrechen und sich stetig weiter auf ihren Rand zubewegen, bis sie irgendwann in den intergalaktischen Raum vordringen. Auf dieser Reise verlassen sie niemals den interstellaren Raum, landen auf keinem Planeten, kommen nicht ein einziges Mal näher als ein Lichtjahr an eine Sonne heran.« D’Branins graue Augen funkelten, und beim Sprechen breitete er hingerissen die Arme aus, als wollte er die gesamte Galaxis umfassen. »Und all das ohne interstellaren Antrieb, Royd, und darin liegt das eigentliche Wunder dieser Geschichte! Sie reisen in Schiffen, die nur einen Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit erreichen! Dieser Umstand ist es, der mich so in seinen Bann schlägt. Wie sehr müssen sich meine Volcryn von uns unterscheiden – weise und geduldig, langlebig und mit dem Fokus auf weite Zeiträume, nicht verzehrt von dieser schrecklichen Eile wie geringere Völker. Stellen Sie sich nur vor, wie alt diese Volcryn-Schiffe sein müssen!«

»Alt«, stimmte Royd zu. »Karoly, Sie sprachen von Schiffen. Mehr als eins?«

»O ja«, sagte d’Branin. »Den Mythen der Nor T’alush zufolge tauchten zuerst nur ein oder zwei auf, an den äußersten Grenzen ihres Handelsraums, aber ihnen folgten weitere. Hunderte, jedes davon allein, ohne Begleitung, immer weiter hinaus, immer weiter. Sie alle flogen in die gleiche Richtung. Fünfzehntausend Standardjahre lang zogen sie an den Nor T’alush vorüber, und dann waren sie fort. Der Mythos besagt, das letzte Volcryn-Schiff sei vor dreitausend Jahren verschwunden.«

»Vor achtzehntausend Jahren also«, rechnete Royd zusammen. »Gibt es die Nor T’alush denn schon so lange?«

»Zumindest reisen sie nicht schon so lange durchs All, nein«, antwortete d’Branin lächelnd. »Ihrer eigenen Geschichtsschreibung zufolge existiert die Kultur der Nor T’alush seit etwa der Hälfte dieser Zeit. Das hat mir eine Weile sehr zu schaffen gemacht. Es schien, als würde dieser Umstand die Geschichte der Volcryn eindeutig ins Reich der Legenden verweisen. Eine wunderbare Legende, sicherlich, aber eben nicht mehr.

Letztlich hat es mir aber keine Ruhe gelassen. Wann immer ich Zeit dafür fand, habe ich meine Nachforschungen fortgesetzt und die Informationen mit anderen fremden Kosmologien abgeglichen, um herauszufinden, ob dieser ganz bestimmte Mythos auch bei anderen Rassen auftaucht, nicht nur bei den Nor T’alush. Ich habe gehofft, aus solchen Berichten Rückschlüsse ziehen zu können, es kam mir vielversprechend vor.

Die Ergebnisse meiner Suche verblüfften mich. Bei den Hranganern oder den von ihnen versklavten Rassen fand ich nichts, aber das ist naheliegend, denn die Hranganer befinden sich außerhalb des von Menschen bewohnten Bereichs der Galaxis, und um sie zu erreichen, hätten die Volcryn diesen Bereich erst einmal durchqueren müssen. Aber als ich dann innerhalb des menschlichen Siedlungsbereichs nachforschte, fand ich überall Hinweise.« D’Branin beugte sich vor. »Ah, Royd, die Geschichten, die Geschichten!«

»Erzählen Sie sie mir«, bat Royd.

»Die Fyndii nennen sie iy-wivii, was übersetzt etwa so viel heißt wie freie Horde oder auch dunkle Horde. Jede Fyndii-Horde erzählt die gleiche Geschichte, nur die Geistesstummen glauben nicht daran. Die Schiffe sollen unermesslich riesig sein, weit größer als alles, was in ihrer oder unserer Geschichtsschreibung jemals bezeugt wurde. Es heißt, es seien Kriegsschiffe. Es wird von einer verschollenen Fyndii-Horde berichtet, dreihundert Schiffe unter rala-fyn, die bei einer Begegnung mit einem Schiff der iy-wivii sämtlich zerstört wurden. Das trug sich vor vielen Tausend Jahren zu, deshalb sind die Einzelheiten natürlich verloren gegangen.

Die Damoosh erzählen etwas anderes, aber sie betrachten es nicht als Geschichte, sondern als unzweifelhafte Wahrheit – und die Damoosh sind bekanntlich die älteste Rasse, der wir bisher überhaupt begegnet sind. Meine Volcryn heißen bei ihnen die aus der Leere. Wunderbare Geschichten, Royd, wunderbar! Schiffe wie große, düstere Städte, lautlos, stumm, die einem langsameren Rhythmus folgen als das restliche Universum. Den Legenden der Damoosh zufolge sind die Volcryn Flüchtlinge eines unvorstellbaren Kriegs tief im Herzen der Galaxis, der sich zu Anbeginn aller Zeiten ereignete. Sie ließen die Welten und Sterne zurück, die sie hervorgebracht hatten, und suchten in der Leere dazwischen nach wahrem Frieden.

Bei den Gethsoiden von Aath findet sich eine ähnliche Geschichte, aber laut ihrer Legende löschte jener Krieg alles Leben in unserer Galaxis aus, und die Volcryn sind eine Art Götter, die auf den Welten, an denen sie vorüberkommen, neues Leben säen. Andere Rassen betrachten sie als göttliche Boten oder auch als Schatten, die aus der Hölle geflohen sind und uns alle vor unaussprechlichen Schrecken warnen, die bald aus dem Innersten der Galaxis hervorbrechen werden.«

»Ihre Geschichten sind widersprüchlich, Karoly.«

»Ja, ja, das sind sie natürlich, aber sie alle stimmen in den Kernpunkten überein – die Volcryn befinden sich auf dem Weg aus dieser Galaxis hinaus, treiben weit unter Lichtgeschwindigkeit in ihren uralten, unzerstörbaren Schiffen an der vergänglichen Pracht unserer kurzlebigen Reiche vorbei. Darum geht es, um nichts anderes! Der Rest ist Firlefanz, Ausschmückung; bald werden wir wissen, was davon stimmt. Ich habe auch die spärlichen Daten über Völker mit einbezogen, deren Existenz nicht als gesichert gilt, deren Heimatwelten in noch weiterer Ferne liegen als die der Nor T’alush – Zivilisationen und Völker, die ihrerseits als legendär gelten –, und wo immer ich etwas fand, fand ich auch stets die Volcryn-Geschichte.«

»Die Legende der Legenden«, bemerkte Royd. Der breite Mund der Projektion verzog sich zu einem Lächeln.

»Ganz genau«, stimmte d’Branin zu. »An diesem Punkt meiner Forschungen bat ich Experten hinzu, Spezialisten vom Institut für Forschung über nichtmenschliche Intelligenz. Wir arbeiteten zwei Jahre lang gemeinsam an meinem Projekt. Alles war da, mitten in den Datenbanken und Bibliotheken der Akademie. Niemand hat sich je dafür interessiert oder sich gar die Mühe gemacht, das Puzzle zusammenzusetzen.

Die Volcryn haben den Raumsektor, der heute zum menschlichen Einflussgebiet zählt, fast so lange durchflogen, wie die menschliche Geschichtsschreibung zurückreicht, lange bevor wir überhaupt daran denken konnten, ins All aufzubrechen. Während wir das Gefüge des Weltraums krümmen, um die Relativität der Zeit auszunutzen, steuerten sie ihre Schiffe geradewegs durch das Herz unserer angeblichen Zivilisation, an dicht bevölkerten Welten vorbei und konstant mit Unterlichtgeschwindigkeit, auf den Rand der Galaxis zu und auf die Dunkelheit zwischen den Galaxien. Fabelhaft, Royd, einfach fabelhaft.«

»Fabelhaft«, stimmte Royd ihm zu.

In einem Zug leerte Karoly d’Branin seine heiße Schokolade und streckte die Hand aus, um Royd am Arm zu berühren, aber seine Hand glitt durch lichtdurchflutetes Nichts. Nach kurzem Stutzen lachte er über sich selbst. »Ach, meine Volcryn. Ich gerate ins Schwärmen, Royd. Ich bin ihnen so nah. Seit gut zehn Jahren denke ich kaum noch an etwas anderes, und binnen Monatsfrist werde ich sie endlich einholen, werde ihre Pracht und Herrlichkeit mit meinen eigenen, müden Augen schauen. Und dann, dann, wenn ich mich nur mit ihnen verständigen kann, wenn meine Leute denn überhaupt in der Lage sind, die Kommunikation mit einem so großartigen, so fremden Volk aufzunehmen – ich hege ernstliche Hoffnungen, Royd, dass ich dann endlich erfahre, warum.«

Royd Eris’ geisterhafte Erscheinung mit ihren ruhigen, durchsichtigen Augen lächelte ihm zu.

Auf Reisen mit einem Sternenschiff werden die Passagiere schnell unruhig, und die beengten Verhältnisse auf der Nightflyer beschleunigten dieses Phänomen. Am Ende der zweiten Woche bekamen die Mutmaßungen einen ernsteren Unterton.

»Wer ist dieser Royd Eris nun eigentlich?«, fragte der Xenobiologe Rojan Christopheris eines Abends, als er mit dreien seiner Kollegen Karten spielte. »Warum lässt er sich nicht blicken? Warum schottet er sich derart gegen uns ab?«

»Frag ihn doch«, schlug Dannel vor, der Linguist.

»Was, wenn er irgendein Krimineller ist?«, erkundigte sich Christopheris. »Was wissen wir denn schon über ihn? Gar nichts. D’Branin hat ihn engagiert, und dass d’Branin ein seniler alter Idiot ist, wissen wir alle.«

»Du bist dran«, sagte Lommie Thorne.

Christopheris warf eine Karte auf den Tisch. »Setback«, erklärte er, »du wirst wohl neue Karten ziehen müssen.« Er grinste. »Was diesen Eris betrifft – wer sagt, dass er nicht vorhat, uns alle umzulegen?«

»Zweifellos, um sich unsere unermesslichen Reichtümer anzueignen«, spottete Lindran, die Linguistin. Sie legte eine Karte auf die, die Christopheris eben gespielt hatte. »Ricochet«, sagte sie sanft. Sie lächelte. So wie Royd Eris, der ihnen zuschaute.

Melantha Jhirl zu beobachten war eine wahre Freude.

Jung, gesund und lebhaft, verfügte sie über eine Ausstrahlung, die die anderen blass wirken ließ. Sie war in jeder nur erdenklichen Hinsicht groß; sie überragte jeden an Bord um mindestens einen Kopf, ein kraftstrotzendes, vollbusiges, langbeiniges Geschöpf, unter dessen schimmernder kohlschwarzer Haut geschmeidige Muskeln spielten. Auch ihr Appetit war gewaltig. Sie vertilgte doppelt so viel wie ihre Kollegen, sprach reichlich dem Alkohol zu, ohne je auch nur angetrunken zu wirken, und trainierte täglich mehrere Stunden an den Geräten, die sie mit an Bord gebracht und in einem der Frachträume aufgebaut hatte. Bei Anbruch der dritten Woche hatte sie es mit allen vier Männern an Bord getrieben und mit zwei der anderen Frauen. Auch im Bett war sie höchst unternehmungslustig und laugte die meisten ihrer Gefährten völlig aus. Royd beobachtete sie mit wachsendem Interesse.

»Ich bin ein verbessertes Modell«, erklärte sie ihm einmal, während sie am Barren trainierte. Ihre nackte Haut glänzte vor Schweiß, das lange schwarze Haar hatte sie mit einem Haarnetz gezähmt.

»Verbessert?«, fragte er. In den Frachträumen war die Projektion seiner holografischen Erscheinung aus technischen Gründen nicht möglich, aber Melantha hatte ihn über das Kommunikationssystem gebeten, sie während des Trainings zu unterhalten, ohne zu ahnen, dass er ihr ohnehin zugeschaut und gelauscht hätte.

Sie verharrte mitten im Handstand, hoch aufgerichtet und nur von den starken Muskeln ihrer Arme und ihres Rückens in der Balance gehalten. »Verändert, Kapitän«, sagte sie – diese Anrede hatte sie sich angewöhnt. »Ich wurde auf Prometheus in die Elite hineingeboren, das Kind zweier genetischer Magier. Verbessert, Kapitän. Ich setze doppelt so viel Energie um wie Sie. Ein effizienterer Stoffwechsel, ein kräftigerer und robusterer Körper, und meine Lebenserwartung ist anderthalbmal so hoch wie die eines normalen Menschen. Meine Leute haben sich beim Versuch, die Menschheit von Grund auf zu überholen, einige furchtbare Fehler geleistet, aber wenn es um kleinere Verbesserungen geht, wissen sie, was sie tun.«

Sie trainierte weiter, schnell und mühelos, und sagte nichts mehr, bis sie fertig war. Dann sprang sie vom Barren, stand schwer atmend da, verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte grinsend den Kopf. »Jetzt kennen Sie meine Lebensgeschichte, Kapitän«, sagte sie, zog das Netz vom Kopf und schüttelte die Haare aus.

»Sicher gibt es über Sie noch mehr zu erzählen«, sagte die Stimme aus der Kommunikationseinheit.

Sie lachte. »Ja, klar. Soll ich Ihnen erzählen, wie ich abtrünnig wurde und nach Avalon gegangen bin, wieso und weshalb ich das tat und in welche Schwierigkeiten ich meine Familie auf Prometheus damit gebracht habe? Oder interessieren Sie sich mehr für meine außerordentlichen Leistungen auf dem Feld nichtmenschlicher Kulturwissenschaft – soll ich Ihnen darüber etwas erzählen?«

»Ein andermal gern«, sagte Royd höflich. »Was für einen Kristall tragen Sie da?«

Normalerweise hing der Stein zwischen ihren Brüsten, sie hatte ihn beim Umziehen vor dem Training abgelegt. Jetzt hob sie ihn auf und hängte ihn wieder um; ein kleiner grüner Edelstein mit filigranen schwarzen Einschlüssen, der an einer silbernen Kette baumelte. Als er ihre Haut berührte, schloss Melantha kurz die Augen und öffnete sie wieder, lächelnd. »Er ist lebendig«, verriet sie ihm. »Haben Sie noch nie einen solchen Stein gesehen? Ein Flüsterjuwel, Kapitän. Ein Resonanzkristall, in den von einem Esper psionisch eine bestimmte Erinnerung oder eine Empfindung eingeätzt wird. Die Berührung bringt das, was in ihm eingeschlossen ist, für einen Augenblick zurück.«

»Das grundlegende Prinzip ist mir bekannt«, sagte Royd, »aber diese Anwendung ist mir neu. Dann bewahrt Ihr Kristall eine wichtige Erinnerung? Vielleicht an Ihre Familie?«

Melantha Jhirl schnappte sich ein Handtuch und trocknete sich ab. »Meiner bewahrt die Erinnerung an ein besonders erinnerungswürdiges Erlebnis beim Sex, Kapitän. Er erregt mich. Jedenfalls hat er es einmal getan – Flüsterjuwelen lassen mit der Zeit nach, und seine Wirkung ist nicht mehr so intensiv, wie sie einmal war. Aber manchmal, meistens nach dem Sex oder intensivem Training, ist er wieder ganz lebendig, genau wie damals.«

»Oh«, sagte Royd. »Dann hat er Sie gerade erregt? Gehen Sie jetzt fort, um mit jemandem zu kopulieren?«