Nimmerzwerg - Christian von Aster - E-Book

Nimmerzwerg E-Book

Christian von Aster

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Beschreibung

»Auch wenn die Zwerge nichts zu lachen haben, der Leser amüsiert sich umso besser.« Carsten Kuhr, Phantastik-News.de Hinter dem Abgrund des Vergessens, wo die Entzwergten ihre Toten in der Pfeife rauchen, entscheidet sich endgültig die Zukunft des Ehernen Volkes. Es offenbart sich nicht weniger als die Wahrheit über das Ableben der Zwergenfrauen und das Abartige Artefakt. Ein letztes Mal hebt der Schicksalszwerg Hammer und Humpen ... Es sieht ganz danach aus, dass das Volk der Zwerge am Ende aller Stollen angelangt ist. Der Große Verwalter des Ehernen Volkes wurde abgesetzt und an seiner statt haben die Schergen des Zwergischen Zwielichts die Macht an sich gerissen. Krugk Trümmerboldt, ihr neuer Oberherrscher, beginnt, das ganze Reich umzugraben, und bald schon schuften die Zwerge als Sklaven in den unterirdischen Gängen – zu ihrer eigenen Sicherheit in Ketten gelegt. Aber damit nicht genug: Die schlimmsten Schrecken stehen stets am Ende einer Legende.

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Seitenzahl: 490

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Christian von Aster

Die große Erzferkelprophezeiung 3

Klett-Cotta

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Hobbit Presse

www.hobbitpresse.de

© 2021 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Birgit Gitschier, Augsburg

unter Verwendung einer Illustration von © Federico Musetti

Gesetzt von C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen

Gedruckt und gebunden von CPI –Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-608-98373-9

E-Book: ISBN 978-3-608-12109-4

Dem Zwerg in uns allen

Für Joachim, Ramona und alle, die in vergessenen Stollen schürfen

PROLOG

Krugk Trümmerboldt saß an der steinernen Tafel in der Höhle des Großen Verwalters und zwirbelte lächelnd seinen frisch polierten Bart. Hinter ihm prasselte in einem grob gefugten Kamin aus makellos weißem Felsgestein jenes Feuer, dem man nachsagte, dass es noch niemals verloschen war und nie verlöschen würde. Auch wenn das nicht ganz stimmte. Aber zum einen klang »niemals« besser als »selten«, und zum anderen symbolisierte besagtes Feuer in seiner vollkommenen Unverlöschlichkeit den flammenden Geist des Ehernen Volkes.

Und eben deshalb saß Trümmerboldt vor dem niemals verlöschenden Feuer, an das der Herr der Zwerge sich von alters her zurückzuziehen pflegte, um sich mit seinen Häuptlingen oder einem guten Humpen Bitterbräu zu beratschlagen.

Die Höhle des Großen Verwalters war reine, in Fels gehauene Tradition. Und eigentlich war es Krugk Trümmerboldt, der nicht hierhergehörte. Er war kaum mehr als das klägliche Überbleibsel absonderlicher Verstrickungen, in deren Verlauf sich die bedingt ehrbare Bruderschaft des behende entwendeten Beutels und das Zwergische Zwielicht1 unter der Führung Felsigk Klammgluths die Macht über das Eherne Imperium erschlichen hatten.

Klammgluth war das Oberhaupt des Zwielichts gewesen. Der Herr aller Halunken, der mit seiner Verschlagenheit und Voraussicht die Angst des Großen Verwalters ausgenutzt und sich mit Hilfe eines tückischen Plans zum Herrn aller Zwerge aufgeschwungen hatte.

Der Große Verwalter, der eigentliche Herrscher des Imperiums, hatte in steter Furcht gelebt, dass sich die Felsen bewegen und die Dinge verändern könnten. Einem Volk, das inmitten von Felsen lebt, sind nämlich Dinge, die sich bewegen, von vornherein suspekt – im tatsächlichen wie im übertragenen Sinne.2 Der Verwalter war der Bewahrer der Tradition gewesen, von den Gottzwergen auserwählt. Seine Aufgabe war es, ihren Willen zu erfüllen und jeder Veränderung Einhalt zu gebieten.

Und diese Tatsache hatte sich Klammgluth zunutze gemacht …

Der Anführer des Zwielichts hatte die Ängste des Verwalters geschürt, sein Misstrauen gegen sein eigenes Volk angefacht, bis dieser schließlich ein verzweifeltes Gesetz nach dem anderen erlassen und mit beinahe jeder Tradition gebrochen hatte, nur um die Macht zu sichern, die ihn eigentlich in die Lage versetzen sollte, besagte Traditionen zu bewahren.

Am Ende hatten ihn die aufgebrachten Zwerge in der goldenen Orakelhöhle, die er selbst hatte errichten lassen, gestürzt. Und nun war der Verwalter in einer abgelegenen Höhle an eine Wand geschmiedet worden, zusammen mit zahllosen anderen Gefangenen, welche die Gemeinschaft der Begnadeten Bewahrer bildeten und in ihrem Verlies sämtliche Geheimnisse der Zwergenheit hüteten.

Kaum dass der Verwalter fortgesperrt war, hatte sich Klammgluth zum Herrn aller Zwerge ausrufen lassen und seinen Gehilfen Krugk Trümmerboldt vorübergehend zu seinem Stellvertreter ernannt. Dann war er zusammen mit Harrm Kiesgrimm, einem weiteren Getreuen, und einem gedungenen Zwergenmörder aufgebrochen, um dem Schicksalszwerg zu folgen, der in den Tiefen der Höhlen nach dem Undenkbaren suchte. Das Undenkbare galt in den Grenzen des Imperiums als größter und mächtigster aller denkbaren Schätze – obwohl niemand wusste, worum es sich dabei genau handelte. Manche munkelten, es müsse der goldene Bart Raffzahn Schmalzls sein. Einige Schürfbrüder behaupteten, es handele sich um das Mysterium des selbstgrabenden Ganges, während die meisten Wurzelmeister überzeugt waren, dass das Undenkbare jede Flüssigkeit in Bier oder zumindest Stein in Gold verwandeln konnte. Manche zogen sogar die Möglichkeit in Betracht, dass es sich bei dem Undenkbaren um ein Bier handelte, das gegen Kopfschmerzen half. Neben insgesamt achtunddreißig legendären Äxten und Hämmern aus mythischen und überwiegend ausgedachten Kriegen vermutete man in dem Undenkbaren schließlich sogar Frauen. Da die Frauen des Ehernen Volkes seit Hunderten von Jahren tot waren, war hier aber wohl eher der Wunsch der Vater des Gedanken. Tatsächlich wusste kaum noch ein Zwerg, wie die Zwergenfrauen überhaupt ausgesehen hatten.

Die nüchternen und trunkenen zwergischen Phantasien, die sich um das Undenkbare rankten, waren jedenfalls so zahllos wie die Lügen über die Heldentaten von Rammstein dem Älteren.

Und den hatte es nicht einmal gegeben.

Was immer das Undenkbare auch war, Felsigk Klammgluth, der frischgehämmerte Herr aller Zwerge, hatte es in seinen Besitz bringen wollen. Etwas haben zu wollen, ohne zu wissen, wofür man es braucht, ist von alters her eine Neigung der Mächtigen.

Und Trümmerboldt zweifelte nicht daran, dass sein Herr Erfolg haben würde. Derlei Zweifel hatten sich in der Vergangenheit als folgenschwer erwiesen. Klammgluth hatte so etwas stets persönlich genommen. Was nicht selten dazu geführt hatte, dass er seine zwölfschwänzige Quallenpeitsche sogar gegen seine treuesten Diener erhoben hatte. Trümmerboldt hatte sie bereits zweimal zu spüren bekommen. Und diese beiden Male hatten völlig ausgereicht, ihn die Unfehlbarkeit seines Herrn erkennen zu lassen.

Felsigk Klammgluth hatte es sogar vermocht, kleine Niederlagen durch erzählerische Ausschmückungen in große Triumphe zu verwandeln. Er konnte also gar nicht scheitern. Und jeden seiner Fehler beging er lediglich, um letzten Endes Nutzen daraus zu ziehen.

Dementsprechend war Krugk Trümmerboldt vollkommen sicher, dass sein Herr Erfolg haben und schon bald mitsamt dem Undenkbaren zurückkehren würde.

Auch wenn es ein wenig länger dauerte.

Tatsächlich war Klammgluth inzwischen bei dem Versuch, das Undenkbare in seine Gewalt zu bringen, ums Leben gekommen. Davon wusste Trümmerboldt jedoch nichts und wartete deshalb frohen Mutes in der Höhle des Verwalters auf seinen Herrn, während er die Privilegien der vorübergehenden Herrschaft genoss. Dabei konzentrierte er sich vor allem auf seine Vorrechte. Zu Beginn jeder Schicht ließ er sich seinen Bart mit Goldwolle glätten, und sein Alltag bestand aus gutem Bier, vortrefflichem Tabak und dem Tragen von Prunkrüstungen. Darüber hinaus tat er sich darin hervor, willkürliche Befehle zu erteilen und Steuern einzutreiben.

Dabei war er zu dem Schluss gekommen, dass die Herrscherei, wenn man die Verpflichtungen einmal beiseite ließ, ein recht angenehmes Unterfangen sein konnte. Und das Volk der Zwerge hatte nach den jüngsten Umwälzungen genug mit sich selbst zu tun, als dass es einen weiteren Herrscher oder seinen Stellvertreter gestürzt hätte.

Und so aalte Krugk Trümmerboldt sich in der Höhle des Verwalters wie ein Erzwurm in einer Goldader. Er lehnte sich zurück, räkelte sich und betrachtete gedankenverloren die Reliefs über dem umlaufenden Kamin: die Zeichen der großen zwergischen Häuser. Ursprünglich waren es sechs gewesen. Doch nachdem die Stämme Erz, Sand und Feuer entzwergt und hinter den Abgrund des Vergessens verbannt worden waren, gab es bloß noch drei: Fels, Erde und Stahl. Von den übrigen Stämmen waren lediglich gähnende schwarze Löcher im Fels geblieben.

Für einen kurzen Moment spürte Trümmerboldt die Macht dieses Ortes. Hier hatte sich einst der Verwalter mit den Häuptlingen getroffen, vor dem Feuer, das niemals verlosch, unter den Zeichen des Ehernen Volkes, um nachzudenken, zu erschaffen und neue Prophezeiungen zu verkünden. An dieser Tafel hatten der Verwalter und die Häuptlinge die gesamte Geschichte der Zwerge bestimmt.

Trümmerboldt aber interessierte sich nicht für Geschichte.

Und ebenso wenig für Tradition.

Selbst die Götter scherten ihn kaum.

Schließlich hatte er mit keinem von ihnen jemals ein lohnendes Geschäft gemacht.

Einst mochte hier also der Verwalter mit seinen Häuptlingen zusammengekommen sein. Heute kam Trümmerboldt mit seinem Humpen hier zusammen.

Er zog ihn näher zu sich heran und lächelte.

Mit seinem Posten als Statthalter des Ehernen Imperiums würde er sich leicht anfreunden können. Zumal er sich gar nicht so sehr von seiner ursprünglichen Tätigkeit unterschied. Schließlich hatte er schon immer als bester Schutzgolderpresser des Zwergischen Zwielichts gegolten. Und diese Tätigkeit war dem Steuereintreiben nicht unähnlich …

KAPITEL I

In dem der Schicksalszwerg zunächst auf einem Magmasee umherirrt, dann auf gewisse Art gerettet wird, letzten Endes aber lieber darauf verzichtet hätte

Auf einem Floß aus feuerfesten, kupfernen Kampfrüstungen trieb der Schicksalszwerg durch das zähflüssige Magma. Der Schicksalszwerg bestand aus fünf Zwergen, wie sie unter gewöhnlichen Umständen wohl kaum jemals zueinandergefunden hätten, und seine Bestimmung war es, die Zwergenheit vor dem Untergang zu bewahren.

Eine unbedachte Prophezeiung hatte diese fünf zusammengeschmiedet, und im Hochofen des Schicksals waren ihre Geschicke miteinander verschmolzen. Ob sie nun wollten oder nicht. Die meisten von ihnen wollten nicht. Das lag daran, dass sie mit der Rettung der Zwergenheit eigentlich nichts im Sinn hatten. Doch als sich im Zwielicht der Höhlen die große Erzferkelprophezeiung3 zu erfüllen begonnen hatte, jene uralte Vorhersage, die das Ende von Zwerg und Zwergeszwerg, von allem, jedem und dem Rest verhieß, war der Schicksalszwerg geboren worden, um dem Verderben Einhalt zu gebieten.

Und genau das hatte er getan.

Die Prophezeiung besagte, dass, wenn der Zwerg, der kein Bier trinkt, seine Hand dem Zwerg reicht, der das Licht der Gänge mit goldenen Zähnen erblickt hat, und die Immerschwarze zurückkehrt, das Ende gekommen ist von allem, was da ist und geheißen wird das Eherne Imperium. Und diesem Ende hatten sich jene fünf, die einer waren, entgegengestellt. Das Ende schien jedoch eine überaus komplizierte Angelegenheit zu sein und grub sich offenbar notfalls auch mal einen anderen Gang, um ans Ziel zu gelangen. Inzwischen hatte sich ein Teil der Erzferkelprophezeiung jedenfalls bereits bewahrheitet, und das Ende von allem, jedem und dem Rest war weiter auf dem Vormarsch.

Ein Großteil der Mitglieder des Schicksalszwergs war davon alles andere als begeistert. Diese Schicksalszwergsache hatte ihnen bis jetzt nichts als Ärger eingebracht: Bei der ganzen Zwergenretterei waren sie zunächst durch Magie zweihundert Jahre gealtert4 und inzwischen zu allem Überfluss auch noch zu Verstoßenen geworden. Entzwergte, die nicht länger das Privileg genossen, zu dem Volk zu gehören, das zu erretten ihre Bestimmung war.

Mit Prophezeiungen war das allerdings so eine Sache. Wenn die Gottzwerge derlei einmal in die Wand des Schicksals geschlagen hatten, dann brauchte es mehr als einen Meißel, um es wieder auszulöschen.

Und dieser Umstand war den gebeutelten Rettern der Zwergenheit schmerzlich bewusst.

Farrnwart Blechboldt, der Erzferkelbändiger mit dem dunklen Geheimnis,5 wäre am liebsten zu seiner Herde heimgekehrt, Fazzgadt Eisenbart, ein grubenständiger Schürfbruder, hielt jede Art von Prophezeiung für ebenso sinnvoll wie einen Kropf, und der Höchste aller Hohepriester war eigentlich zu alt für derartige Abenteuer. Diese drei hätten deshalb den Humpen des Schicksalszwergs inzwischen mit Freuden an jemand anderen weitergereicht, um ihn nicht selbst leeren zu müssen.

Garstholm Flammrank hingegen, ein ehemaliger Drachenjäger und zuletzt General der Freiwilligen Felswehr, der eigentlich nur aus Tätowierungen und Muskeln bestand, war der Schicksalszwergprophezeiung gegenüber ein wenig offener eingestellt. Sie sorgte immerhin dafür, dass er nicht vor Langeweile sterben würde. Außerdem hoffte er, sobald die Zwerge fertig gerettet waren, eine angemessene Belohnung zu erhalten. Er war bereits einige Jahre länger entzwergt als seine Kameraden und hatte bei der Niederschlagung der Überzwergverschwörung sein Augenlicht eingebüßt. Das jedoch scherte ihn wenig, da ein Zwerg seines Erachtens kaum mehr als einen vollen Bart, zwei gute Ohren und gesunde Hände brauchte.

Der fünfte Zwerg im Schicksalsbunde schließlich hatte einen ganz eigenen Standpunkt, der in Worten nur schwer wiederzugeben ist. Das liegt vor allem daran, dass Lunt Glimmboldt, der Zögling Fazzgadt Eisenbarts, kaum geschlüpft,6 im nächsten Moment schon um zweihundert Jahre gealtert war und somit seine gesamte zwergische Jugend innerhalb weniger Augenblicke durchlebt hatte. Dieser Umstand hatte dazu geführt, dass die Stollen in seinem Kopf ein wenig anders verliefen als bei normalen Zwergen. Sie waren dunkler und verschlungener und mit Sicherheit auch weniger ertragreich. Auf ein Wort zusammengehämmert, ließe sich Glimmboldt wohl am ehesten als schwachsinnig bezeichnen, was ihm in vielerlei Hinsicht auch gerecht wurde. Darüber hinaus war er – was allerdings kaum jemand wusste – ein wesentlicher Bestandteil der großen Erzferkelprophezeiung. Denn er war der Zwerg, der mit goldenen Zähnen geboren worden war. Davon hatte er jedoch nicht die geringste Ahnung, da sein Oheim, Fazzgadt Eisenbart, diese Laune der Natur eilig korrigiert und ihm kurz nach dem Schlüpfen die Zähne herausgebrochen hatte, um mit dem Gold sowohl Gilmmboldt zu schützen als auch einige Ausgaben zu kompensieren. Aus diesem Grund galt Glimmboldt bei den Zwergen lediglich als einer, der ohne Zähne auf die Welt gekommen war, was aber für einen Zwerg nicht minder ungewöhnlich war. Inzwischen trug er ein geschmiedetes Gebiss aus schwarzem Feiertagsstahl und erfreute sich seines Lebens, auch wenn er die rechte Hand nicht von der linken unterscheiden konnte und wahrscheinlich selbst noch in einem Trollkochtopf Freude am warmen Wasser gehabt hätte.

Eine ähnliche Lebenseinstellung vertrat auch einer der beiden Begleiter des Schicksalszwergs, die nicht Teil der Prophezeiung waren. Der Schrauber war der beste Fallensteller des Ehernen Imperiums und der Wächter der kryptischen Kammer gewesen … bis Blechboldts Hammer sich auf seinem Helm ausgetobt hatte. Seitdem schien der Schrauber eher Gemüse als Zwerg zu sein und sorgte dafür, dass Lunt Glimmboldt nicht der einzige Stumpfsinnige in der Runde war.

Der letzte Zwerg auf dem schicksalhaften Floß, das am Grund des Ehernen Imperiums in dem brodelnden Magma dahintrieb, war Bragk Nattergriff, ein legendärer zwergischer Meisterdieb, der bloß noch drei Finger an der rechten Hand hatte und den der Schicksalszwerg vor kurzem aus dem finstersten Kerker des Ehernen Imperiums befreit hatte. Wobei besagter Kerker im Vergleich zu der Fahrt auf dem Magmasee allerdings gar nicht so schlecht abschnitt.

Die Hitze war kaum erträglich, und das Atmen fiel den Zwergen schwer. Außerdem schmerzten ihnen ihre Hinterteile. Die mechanischen kupfernen Kolosse, aus denen ihr Floß bestand, vermochten zwar aufgrund einer speziellen Behandlung ihrer Oberfläche der zerstörerischen Hitze des Magmasees standzuhalten, heiß wurden sie aber dennoch. So heiß, dass die Passagiere des eigentümlichen Floßes ständig in Bewegung bleiben mussten, um sich nicht ernsthaft zu verbrennen.

Was Hitze anbelangte, war das Eherne Volk vergleichsweise zäh. Schließlich wuchsen die Zwerge umgeben von Minen und Schmiedefeuern auf. Mit etwas Übung konnte ein Zwerg, wenn es schnell ging, sogar einen brennenden Schmelzofen von innen reparieren. Zumindest theoretisch.

Das eigentliche Problem war freilich der Funkenflug. Im Ofen und auch auf dem Magmasee. Immer wieder fingen die Bärte der Zwerge Feuer. Was sie nun schon länger als eine Schicht davor bewahrte, einzuschlafen und vom Floß zu fallen. Und in der Schicht davor hatten sie auch nicht geschlafen. Die Stimmung war dementsprechend gedrückt. Außerdem kam noch hinzu, dass sie Glimmboldt und den Schrauber ständig hatten zurückhalten müssen, wenn diese vergnügt glucksend ihre Hände nach den Drachenquappen ausgestreckt hatten, die durch das rotglühende flüssige Gestein huschten. Wieder und wieder hatten sich die beiden schwachsinnigen Zwerge die Finger verbrannt, und doch hatten sie stets aufs Neue nach den Kreaturen gegriffen, die sich im Magma tummelten. Zumindest bis die anderen es leid gewesen waren und Glimmboldt wie auch den Schrauber mit den beiden einzigen verbliebenen Seilen an den goldenen Altar gefesselt hatten. Der goldene Altar, den sie aus der kryptischen Kammer gestohlen hatten, hatte das Herz des Undenkbaren gebildet. Und in der kristallenen Vitrine auf seinem Sockel befand sich die letzte Hoffnung der Zwergenheit: das Abartige Artefakt. Die Zwerge wussten zwar weder, worum es sich bei dem Artefakt handelte, noch wie sie es aus der Vitrine herausholen konnten, geschweige denn, wie es ihr Volk retten sollte. Aber zumindest hatten sie es in ihren Besitz gebracht.

Im Augenblick blieb ihnen auch wenig Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Nun, da die beiden Schwachsinnigen endlich Ruhe gaben, versuchten sich die anderen ganz auf die Fahrt zu konzentrieren, während ihnen der Schweiß über die Gesichter lief.

Seit Beginn ihrer Irrfahrt versuchten sie mit Hilfe der Arme der kupfernen Kolosse, die sie als Ruder verwendeten, vergleichsweise erfolglos dem Floß eine Richtung zu geben. Am Ende aber unterlagen sie immer wieder der Strömung des Magmasees, die ihnen zäh und rotglühend unerbittlich ihren Willen aufzwang.

Verbissen kämpften Fazzgadt und Blechboldt dagegen an, stemmten die Ruder in die wabernde Glut, aus der gierige Funken aufstiegen, um Jagd auf ihre Bärte zu machen.

Doch ganz gleich, in welche Richtung sie ihr Floß auch lenkten, da war nichts als die Ahnung eines riesigen Gewölbes um sie herum, das keinerlei Begrenzung zu besitzen schien und nur etwa bis auf zwei Bart Höhe von dem zäh umherschwappenden, glimmenden Magma beleuchtet wurde. Darüber lag Dunkelheit. Undurchdringliche, schwärzeste Dunkelheit. Einzig der Widerhall ihrer Stimmen ließ sie von Zeit zu Zeit erahnen, wie viel Dunkelheit tatsächlich um sie herum war …

Bragk Nattergriff, der zwergische Meisterdieb, hatte vor einer Weile eine kleine metallene Sanduhr hervorgezogen, die er nun, da der Sand durchgelaufen war, ein weiteres Mal umdrehte.

»Eine ganze Schicht. Eine ganze Schicht treiben wir nun schon in dieser grässlichen Glut. Ich könnte Kiesel kotzen!«, sagte Nattergriff an den Hohepriester gewandt, der nachdenklich in die Finsternis der Höhle starrte. Der Meisterdieb verlagerte das Gewicht. »Mein Hinterteil brennt wie Feuer, und meine Stiefel sind beinahe durchgeglüht. Also, was soll das sein, Priester? Wieder mal Bestimmung?«

Der Hohepriester antwortete lange Zeit nicht.

»Sie muss verdammt groß sein, diese Höhle, wenn wir nach all der Zeit immer noch nirgendwo angekommen sind«, hallte seine Stimme schließlich durch das glutschwangere Dunkel.

»Vielleicht liegt es auch an der Strömung«, gab Farrnwart Blechboldt zu bedenken, der neben Fazzgadt Eisenbart am Ruder stand, und deutete auf die wirbelnden, glühenden Magmaschlieren um sie herum.

»Seien wir ehrlich«, meldete sich Garstholm Flammrank, der blinde General, zu Wort, der neben den beiden gefesselten Kiesköpfen am goldenen Altar saß. »Wer immer dieses Floß für diesen See entworfen haben mag, er war selbst nie hier. Wir sind seine Versuchskäfer, und wenn ihr mich fragt, so habe ich meine Zweifel, ob wir das Ganze überleben werden. Ich glaube, es war ein Fehler, überhaupt loszufahren.« Er senkte den Kopf, sodass die Falten seiner roten Augenbinde unheimliche Schatten auf sein Gesicht warfen.

»Und was wäre die Alternative gewesen?«, ließ sich Blechboldt vernehmen. »Uns ein Leben lang vor den Anhängern des Zwielichts verstecken? Uns andere Namen zulegen und die Bärte färben, um inmitten einer neuen Ordnung zu leben, die uns nach dem Leben trachtet?«

»Wenn ich mir aussuchen könnte, ob ich bei lebendigem Leib gekocht werde oder mich lieber verstecken will, dann fällt mir die Wahl nicht schwer, Ferkelbändiger«, entgegnete Flammrank leise.

Der Hohepriester schüttelte müde den Kopf.

»Aber das kann nicht sein, Flammrank. Die Gottzwerge sind auf unserer Seite! Es muss Bestimmung sein …«

Flammrank lächelte, sodass sich das rote Tuch über seinen Augen spannte.

»Ich fürchte, Weißbart, deine Gottzwerge waren auch noch nie hier unten …«

Die Zwerge ließen schweigend die Blicke schweifen. Womöglich hatte Flammrank recht. Um sie herum war nichts als brodelndes, zähes Magma, flüssiges Feuer, das gierig an ihrem Floß emporleckte und sie, wie es schien, nur allzu gern verschlungen hätte.

Kein Ufer, kein Steinstrand.

Vereinzelt ragten Säulen aus dem glühenden See auf, die irgendwo, hoch über ihnen, eine im Dunkel verborgene Decke stützten. Die Zwerge waren an zahllosen dieser Säulen vorbeigetrieben, zeitweise durch niedrige Passagen, in denen sie die Köpfe hatten einziehen müssen. Nur um kurz darauf in noch weiträumigere Bereiche der Höhle zu gelangen.

Kein Zwerg kannte diesen See. Es gab weder Karten, noch wurde er in Geschichten erwähnt. An diesem Ort war noch niemand jemals gewesen. Denn niemand, der nicht in die kryptische Kammer eingedrungen war, das Undenkbare vollbracht und das gesamte Eherne Volk gegen sich aufgebracht hatte, hätte einen Grund gehabt, hier zu sein. Der Magmasee, auf dem sie all ihren Bemühungen zum Trotz ziellos dahintrieben, lag im Abgrund des Vergessens. Irgendwo hoch über ihnen befand sich die Brücke der Verbannung, über die verstoßene Zwerge den Abgrund überquerten, um in die Gefilde der Entzwergten zu gelangen und den Rest ihres Daseins abseits des Ehernen Imperiums zu fristen. Die Brücke der Verbannung war ein Konstrukt der Strafe und der Ächtung, drei Gang lang, ein tränenschwangeres Geflecht aus Stahl, Seilen und Schmach. Jeder Schritt darauf war Schmerz im Gemüt jener Zwerge, die nicht länger Zwerge sein durften.

Auf der einen Seite lag das Imperium, auf der anderen die Welt der Entzwergten, deren Bewohner einander Gerüchten zufolge gegenseitig auffraßen, die Bärte ihrer Toten rauchten und weder Gesetz noch Vernunft kannten.

Über den Abgrund des Vergessens hinweg verband jene Brücke zwei vollkommen unterschiedliche Welten. Und am Fuße des Abgrunds lagen jene von flüssigem Gestein durchspülten Höhlen, die noch nie ein Zwerg erkundet hatte.

Der Schicksalszwerg hatte sein Floß am steinernen Ufer des Ehernen Imperiums in das Magma geschoben, mit dem Ziel, hinüber in die Welt der gesetzlosen Totenraucher zu gelangen. Er und seine beiden Begleiter hatten sich vom Imperium abgewandt und sich durch ihr Tun selbst entzwergt.

Wären sie in das Eherne Imperium zurückgekehrt, hätten die Schergen des Zwergischen Zwielichts sie gejagt. Denn das Zwielicht, die Gemeinschaft der zwergischen Halunken, hatte die Macht im Imperium an sich gerissen. Zwei seiner Anführer hatten sie zwar besiegt, doch ein weiterer herrschte noch immer über das Eherne Volk. Ihm unterstanden drei zwergische Geheimdienste, und er würde den Tod seiner Kameraden gewiss rächen wollen. Da konnte sich der Schicksalszwerg ebenso gut von den Entzwergten erschlagen und rauchen lassen.

Trolle und Echsenmenschen mieden die Nähe des Magmasees, so wie jeder vernünftige Zwerg es wohl auch getan hätte.

Doch vernünftig waren sie nicht mehr.

Sie waren zwei Schwachsinnige, der Schicksalszwerg und ein legendärer zwergischer Meisterdieb. Und damit war das Floß voll. Für Vernunft war da kein Platz.

Fehlende Vernunft war im Augenblick allerdings das geringste ihrer Probleme. Und selbst ihre schmerzenden Hinterteile fielen kaum ins Gewicht, angesichts der Tatsache, dass noch immer kein Ende ihrer Irrfahrt in Sicht war.

Allmählich nämlich begann es in ihren Bäuchen zu rumoren, und die Müdigkeit ergriff von ihnen Besitz. Es war nur eine Frage der Zeit, bis einem von ihnen die Augen zufielen und er das Gleichgewicht verlor. Alles, was sie tun konnten, war, sich gegenseitig wach zu halten und zu hoffen, dass das Ganze irgendeinen Sinn hatte.

»Axtbruch und Hammerfäule noch eins. Seht ihr diese Säule dort?« Fazzgadts Ausruf ließ die Gefährten emporschrecken. Ihre Blicke folgten seinem Fingerzeig und richteten sich auf die Säule, die ihr eigentümliches Floß in diesem Moment passierte. Trotz der wabernden Glut konnten sie sie deutlich erkennen – abgesehen freilich von Flammrank. Und sie konnten auch die kreuzförmige Kerbe im Stein sehen. Fazzgadts Blick verfinsterte sich.

»Dieses Zeichen habe ich mit meiner Axt in die Säule gehauen, als wir das letzte Mal hier vorbeigekommen sind. Dieses vermaledeite Stück Fels war mir damals schon bekannt vorgekommen.«

»Und was bedeutet das?«, fragte Blechboldt stirnrunzelnd.

Fazzgadt hob an, es ihm zu erklären, doch der General nahm ihm das Wort aus dem Mund: »Dass die Strömung stärker ist als unsere Ruder. Und wir nichts dagegen tun können.«

Er ließ den Kopf hängen und lächelte matt.

Ohne das Ruder loszulassen, starrte Blechboldt ihn ungläubig an.

»Mit anderen Worten, wir werden hier so lange treiben, bis wir gar sind?«, fragte er.

Der blinde General nickte müde.

Der Hohepriester aber sprang auf, blickte wild von einem zum anderen und schrie, dass es zigfach aus der Finsternis widerhallte: »Nein! Niemals! Die Gottzwerge …«

Fazzgadts tiefe, raue Stimme schnitt ihm entschieden das Wort ab: »Wenn du mir noch einmal irgendetwas von deinen Gottzwergen erzählst, alter Mann, dann werde ich dir den Bart frittieren!«

»Du willst mir drohen?« Der Hohepriester baute sich vor ihm auf. Eine lächerliche Geste, wenn man bedachte, dass ein tausendjähriger Zwerg, der in seinem Leben noch keine Schicht lang einen Hammer geschwungen hatte, sich hier mit einem trainierten Schürfbruder anlegen wollte. Fazzgadt legte das Ruder beiseite und trat so dicht an den Priester heran, dass ihre Bärte sich berührten.

»Oh nein, Weißbart, ich will dir nicht drohen, ich will dir wehtun!« Seine Augen funkelten böse im roten Widerschein des Magma. Bevor der Hohepriester jedoch Angst vor der eigenen Courage bekommen konnte, meldete sich in seltsam ruhigem Ton Flammrank zu Wort: »Nun gut. Gehen wir also davon aus, dass wir verloren sind. Wir sind sicher nicht die Ersten, denen das passiert, aber wir haben weder Tabak noch Bier, um diesen Umstand etwas angenehmer zu gestalten. Und genau da liegt das Problem.«

Der Hohepriester wandte sich dem blinden General zu und trat dabei beiläufig einen Schritt von Fazzgadt weg. Er holte tief Luft und seufzte dann: »Ich denke, wir sollten beten.«

Mit einem großen Satz war Fazzgadt wieder bei ihm und packte ihn wütend am Schlafittchen.

»Du kriegst gleich ein paar gebetet, Priester!«, schrie er. »Erst bringst du uns mit dieser ganzen Prophezeierei in diese Lage und dann wird gebetet? Nicht mit mir!«

Die Stimmung auf dem glühend heißen Floß, das ziellos auf dem Magmasee dahintrieb, wurde immer ungemütlicher. Themen wie Götter und Rettung waren problematisch, und es gab tatsächlich weder etwas zu rauchen noch zu trinken. Infolgedessen wuchs die Bereitschaft, sich gegenseitig von Bord zu schubsen, stetig. Da gab plötzlich Lunt Glimmboldt, einer der beiden Zurückgebliebenen, die nichts Problematisches an ihrer hoffnungslosen Lage erkennen konnten, ein lautes, freudiges Glucksen von sich.

Zunächst glaubten die Zwerge, er hätte lediglich eine weitere springende Drachenquappe gesehen. Als Glimmboldt aber keine Ruhe gab, ließen die streitenden Zwerge schließlich voneinander ab und verschoben das Frittieren von Bärten und Versenken von Fäusten bis auf Weiteres, um zu schauen, was den Dünnbärtigen in eine solche Aufregung versetzt hatte. Sie blickten angestrengt in die Dunkelheit, konnten jedoch nichts erkennen.

»Da ist etwas …«, sagte Blechboldt plötzlich.

Fazzgadt schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Was sollte denn da sein?«

»Aber ich hab es doch gesehen!«, erwiderte der Ferkelbändiger beharrlich.

Nun war er es, den Fazzgadt wütend anfunkelte. Drohend hob Fazzgadt den Zeigefinger und drückte ihn Blechboldt auf die breite Nase.

»Hör zu, Ferkelfreund, wenn ich mit dem Priester fertig bin, kann ich meinen Hammer gern auch noch …«

»Beim Heiligen Hammer, er hat recht!«

Der Hohepriester hatte seine geschliffenen Augengläser zurechtgerückt und war an den Bug getreten.

Und dann sahen sie es alle.

Dieses Mal handelte es sich nicht um Drachenquappen.

Es war etwas anderes, etwas ungleich Größeres.

In der Ferne zeichneten sich über dem wabernden roten Magma vier riesige, weißglühende Augen ab.

Langsam nahm Fazzgadt den Zeigefinger aus dem Gesicht des Ferkelbändigers und deutete stattdessen auf das gewaltige Untier in der Dunkelheit.

»Was, zum Teufel, ist das?«

»Ich … ich weiß es nicht«, stammelte Blechboldt, der mit offenem Bart neben ihm stand.

Hinter ihnen erklang Garstholm Flammranks fragende Stimme.

»Was seht ihr?«

»Was immer es ist, es hat vier Augen und ist verdammt groß«, gab der Ferkelbändiger ihm über die Schulter hinweg zur Antwort, ohne den Blick von den leuchtenden Punkten abzuwenden, die ganz langsam größer zu werden schienen.

»Vier Augen?«, fragte der General argwöhnisch. »Und sie gehören tatsächlich zu einer Kreatur?«

»Es sieht zumindest so aus, als würden sie sich an einem Körper befinden. Aber dieses Geschöpf muss gewaltig sein …«, erwiderte Fazzgadt.

»Das ist vollkommen unmöglich«, murmelte Flammrank. »Wir haben die Drachenbarriere noch nicht passiert. Wie sollte er sie überwunden haben? Das kann er nicht. Nein, das geht nicht. Es muss …«

Der Hohepriester wandte den Blick von dem näher kommenden Geschöpf ab und ging zu dem General am Altar hinüber. »Du weißt, was das ist?«

Flammrank hob den Kopf.

»Es gibt nur einen Drachen mit vier Augen, Priester. Einen einzigen. Den grässlichen Grantelgreif. Und das ist alles andere als gut. Wie groß ist er?«

Der Hohepriester blickte wieder auf den Magmasee hinaus und versuchte die Größe des noch immer weit entfernten Dings abzuschätzen.

»Seine Augen liegen bestimmt zwei Zwerg auseinander.«

»Zwei Zwerg. Das heißt, er ist ausgewachsen …«

Nun kamen auch Blechboldt und Fazzgadt zu dem General und dem Hohepriester hinüber. Flammrank war früher einmal Drachenjäger gewesen. Er wusste, wovon er sprach. Und womöglich war dieses Wissen das Einzige, was sie jetzt noch retten konnte.

»Ein ausgewachsener Grantelgreif? Aber was bedeutet das, Flammrank?«

Blechboldt beugte sich zu dem Drachenjäger hinab. Der lachte nur leise auf und schüttelte müde den Kopf.

»Nun, liebe Freunde und Mitprophezeite, es bedeutet vor allem, dass uns der Tod schneller ereilen wird als beim Verhungern. Allerdings spielt der Grantelgreif mit seiner Beute. Er bricht ihr jeden Knochen im Leib und frisst als Erstes die Haut. Aber ich nehme an, dass ich euch wohl nicht mehr darüber erzählen muss.«

Fazzgadt, Blechboldt und der Hohepriester schluckten, während Glimmboldt und der Schrauber weiterhin fröhlich vor sich hinglucksten. Der blinde General senkte die Stimme: »Das Klügste wäre, einfach von Bord zu springen …«

Fazzgadt konnte den Blick nicht von dem nahenden Ungeheuer abwenden. Dichte schwarze Rauchschwaden waberten um die leuchtenden Augen des Geschöpfes herum über die glutrote Magmaoberfläche. »Da scheint eine ganze Menge Rauch zu sein …«, sagte er.

Flammranks Finger krallten sich schmerzhaft in Fazzgadts Arm.

»Rauch?«, rief er entsetzt. »Bei der Hohen Höhle, das bedeutet, dass er in der Brunft ist! Und dass er seine Weibchen beeindrucken will …«

Nattergriff, der sich inzwischen ebenfalls zu ihnen gesellt hatte, hob die Brauen und erwiderte: »Weibchen beeindrucken. Das klingt nach Arbeit.«

»Wie steht es mit Kämpfen?«, erkundigte sich Fazzgadt. »Können wir dieses Untier nicht besiegen?«

Der General lachte auf. »Haben wir eine Flammspießballista? Sprengkäferkanonen? Kämpfen würde alles nur noch schlimmer machen. Glaubt mir, es wäre wirklich besser, wenn wir einfach über Bord springen würden …«

Die Zwerge blickten den ehemaligen Drachenjäger zweifelnd an. Aber wenn jemand etwas von Drachen verstand, war es doch wohl er, oder? Und wenn er tatsächlich recht hatte, dann war es vielleicht wirklich das Klügste, sich schlimmeres Leid zu ersparen.

Sie blickten einander an. Es war ein stummer, trauriger Blick, ein Abschied. Vom Schicksalszwerg, dem Meisterdieb, dem schwachsinnigen Schrauber und von diesem Teil der Welt, voller Verzweiflung darüber, dass sie nach all den überstandenen Abenteuern, nach all den unglaublichen Geschehnissen nun auf diese Weise in die Hohe Höhle7 einziehen sollten. Schweren Herzens machten sie sich auf das nahende Ende gefasst. Fazzgadt band Glimmboldt los, umarmte ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter, bereit, seinen letzten Schritt an der Seite seines Zöglings zu machen. Der Hohepriester nickte Fazzgadt matt zu und legte seinerseits dem Drachenjäger die Hand auf die Schulter, während Nattergriff mit gesenktem Bart die Hand des Schraubers ergriff, den sie inzwischen ebenfalls losgebunden hatten. Schließlich gesellte sich auch Blechboldt schweigend zu ihnen. Und dann traten sie alle zusammen langsam an den Rand des Floßes heran, das sich leicht zu neigen begann.

Und während sich die gegenüberliegende Seite des Floßes aus dem rotglühenden Magma hob, herrschte für zwei kurze Schläge Stille zwischen den bärtigen Gefährten.

Schließlich war es der Hohepriester, der einige letzte Worte sprach. Bedeutungsschwanger hallte seine brüchige Stimme durch die Finsternis: »Hammergefährten, Axtbrüder, gemeinsam haben wir Stollen durchquert, die kein Zwerg vor uns je gesehen hat. Wir haben dem Überzwerg getrotzt,8 das Undenkbare vollbracht9 und uns unseren Schluck aus dem Humpen der Gottzwerge verdient! Bedauerlicherweise dürfen wir unsere Bärte wohl recht bald mit jenem trefflichen Trunk benetzen. Denn die Götter wollen uns an ihrer Seite haben, sodass wir …«

In diesem Moment versetzte ihm Fazzgadt einen so harten Stoß in die Rippen, dass dem Priester die Luft wegblieb und er verstummte. »Du sollst mir mit deinem bröselblöden Göttergeseier aufhören, Alter!«, zischte er wütend. »Wir werden in die Hohe Höhle einziehen. So weit in Ordnung. Da muss ich mir vorher nicht noch einen Kiesel an den Bart quatschen lassen!«

Der Hohepriester richtete sich hustend auf und schlug hastig einige Funken aus, die im Begriff standen, seinen Bart in Flammen aufgehen zu lassen. »Du solltest etwas mehr Respekt zeigen, Fazzgadt Eisenbart! Denn ich bin ebenso Teil der Prophezeiung wie du! Das Schicksal hat uns zu einem Zwerg geschmiedet, der …«

In Fazzgadts Augen glomm ein böses Funkeln. »Ich habe Respekt in meinem rechten Stiefel, Alter! Willst du ihn spüren?«

Blechboldt schüttelte traurig den Kopf und starrte in das brodelnde Magma hinab. »Ich weiß nicht, ob wir die letzten Schläge unseres Daseins im Zwist verbringen sollten.«

»Ja, warum denn nicht?«, schrie Fazzgadt. »Mit diesem alten Kieselkasper hat schließlich alles angefangen! Schicksalszwerg. Dass ich nicht lache. Er geht vor, wir wackeln wie ein Haufen linkischer Lavalemminge10 hinterher, und am Ende beißen wir alle in den Fels, während er von seinen Gottzwergen faselt!«

In diesem Moment mischte sich Bragk Nattergriff in das Gespräch ein: »Ohne euch unterbrechen zu wollen, aber bevor wir den letzten Schritt tun, hätte ich noch eine Frage an unseren Drachenjäger.«

»Stell nur deine Frage, Meisterdieb«, sagte Flammrank kraftlos. »Auch wenn es wahrscheinlich deine letzte ist.«

Nattergriff holte tief Luft. »Sag, hat so ein grässlicher Grantelgreif Segel?«

Im selben Moment waren Zwist, Gottzwerge und jedes mögliche Verderben vergessen! Alle folgten mit den Blicken dem Fingerzeig des Meisterdiebs. Und wahrhaftig: Vor ihnen ragten im dunstigen Schimmer des zähfließenden Magmas drei riesige metallene Segel aus dem tiefschwarzen Rauch auf, die im Widerschein des Sees matt funkelten. Sie gehörten zu einem kolossalen eisernen Ungetüm, das von gewaltigen Nieten zusammengehalten wurde, welche die Größe von Zwergenschädeln haben mussten – ein mächtiges, bauchiges Gefährt, das sich mit rotglühendem Rumpf durch den Magmasee schob.

Es erinnerte an die Schiffe, mit denen das Eherne Volk die unterirdischen Flüsse zu befahren pflegte. Allerdings nur entfernt. Denn es war viel größer, um einiges finsterer und weitaus stählerner …

Und dann erkannten die Zwerge auch, was die Augen des vermeintlichen Grantelgreif in Wirklichkeit waren: Laternen. Diese wiederum erinnerten an die klassischen Grubenlaternen des Imperiums, waren jedoch ebenfalls um einiges größer und bestanden mit Sicherheit aus einem anderen Metall. Einem, das, ebenso wie der Rumpf, der grauenhaften Hitze des flüssigen Gesteins zu trotzen vermochte. Vier riesige Grubenlaternen befanden sich an der Vorderseite des Ungetüms, während aus zwei mächtigen Schloten auf seiner Rückseite unablässig Rauch hervorquoll, der sich in dunklen Wolken um das unwirkliche Gefährt legte.

Was immer es war, es war kein Drache, der ihnen die Haut abziehen und irgendwelche Knochen brechen würde! Es war eine Maschine, von Zwergenhand erschaffen und von Zwergenhand bedient.

»Das ist … das ist wirklich unglaublich!« Staunend beobachtete Blechboldt, wie das riesige metallene Ungetüm immer größer wurde.

»Was denn? Was geht hier vor sich?«, fragte Flammrank und drehte unruhig den Kopf hin und her.

Fazzgadt kicherte schwach. »Dein Drache. Er ist eine Maschine …«

Daraufhin begannen die Zwerge laut zu rufen und auf und ab zu springen, um die Besatzung des ehernen Kolosses auf sich aufmerksam zu machen. Wenig später änderte das metallene Ungetüm tatsächlich seinen Kurs und begann, auf die kleine Gruppe zuzuhalten.

Der Schweiß des Hohepriesters mischte sich mit Tränen der Dankbarkeit. »Die Götter haben uns …«, setzte er an, verstummte jedoch sogleich wieder, als Fazzgadt mahnend einen Zeigefinger hob.

»Nein, verdammt noch eins. Keine Götter. Ein für alle Mal. Oder du wirst deinen Bart fressen, das verspreche ich dir!«

Der Hohepriester lächelte. »Was auch immer du sagst, Fazzgadt. Es ist und bleibt Bestimmung!«

Dem hatte nun selbst Fazzgadt nichts mehr entgegenzusetzen. So oft, wie sie dem Herzsteindieb11 inzwischen schon aus dem Sack gesprungen waren, ging da tatsächlich etwas nicht mit rechten Dingen zu …

Das eiserne Schiff kam weiter auf sie zu. Bei näherem Hinsehen erkannten sie, dass sein dunkler Rumpf aus dem gleichen Stahl zu bestehen schien wie die Handschuhe, mit denen die Zwerge traditionellerweise ihre Steinkastanien aus dem Feuer holten. Ein Metall, das auch der schlimmsten Hitze zu trotzen vermochte. Doch es war selten, und in dieser Masse hatte keiner von ihnen es jemals gesehen.

Doch woraus auch immer es bestand, wo immer es herkam, was immer es war, es bedeutete Rettung.

Über dem glühenden Rumpf und vor den beiden riesigen Schloten erhoben sich an mächtigen Masten drei aus dunklem, gluttrotzendem Blech gehämmerte, starre Segel, die knarrend dem Sog der warmen Luft folgten.

Das Geräusch schmerzte den Zwergen in den Ohren. Und doch war es ihnen eine helle Freude, es zu hören! Das Geräusch schwoll immer weiter an und mischte sich mit einem dumpfen, rhythmischen Stampfen, dem Wüten der Maschine im Inneren des Kolosses, die ihn unablässig vorantrieb, selbst jetzt, da er gegen die Strömung beidrehte und auf das Floß des Schicksalszwergs zuhielt.

Das Schiff schob zähflüssige Wellen vor sich her. Dumpf glucksend schwappte das Magma gegen das kupferne Floß und brachte es auf beängstigende Weise ins Schwanken. Während das dreimastige Ungetüm näher kam, bäumte sich das Floß immer stärker auf, und die Zwerge mussten sich an dem goldenen Altar festklammern, um nicht den Halt zu verlieren.

Schließlich schlug der Rumpf des stählernen Giganten gegen das Floß. Von oben wurden einige Seile herabgeworfen. Sie bestanden aus Finsterfrickelflechte, der auch die schlimmste Hitze kaum etwas anzuhaben vermochte. Und dann erschienen hoch über den Gefährten an der Reling des Schiffes einige bärbeißige Zwergengesichter. Es waren hässliche Gesichter mit wirren Bärten. Die Gefährten aber waren sich auch ohne Worte einig: Wenn man die Wahl zwischen dem Tod und ungepflegten Zwergen hatte, umarmte man mit Freuden selbst den stinkendsten Schürfbruder.

Immerhin waren es Zwerge. Sie trugen zwar keine Helme, sondern schmutzige lederne Kopftücher, aber sie waren ihresgleichen. Auch wenn sie noch so finster dreinblickten.

Die Geretteten griffen nach den Seilen, knoteten sich daran fest und begannen zu klettern. Fazzgadt half Glimmboldt, Nattergriff dem Schrauber und Blechboldt schließlich griff dem blinden General unter die Arme.

Mühsam kämpften sie sich an der Außenwand des Schiffes empor, wobei sie sich auf dem Weg nach oben immer wieder Hände und Füße an dem glühend heißen Metall verbrannten.

Als sie dann endlich über die Reling stiegen, halfen die Umstehenden ihnen mit kräftigen Händen. Dabei blieben die Mienen ihrer Retter jedoch weiterhin finster. Ihre Gesichter waren hitzegegerbt, und der Schweiß rann ihnen in die schmutzigen Bärte, die eigentümlich glänzten. Wahrscheinlich waren sie mit irgendetwas eingerieben worden, um sie vor dem Funkenflug zu schützen. Einige ihrer Retter verbargen ihre Bärte sogar unter feuerfesten Schutzhüllen aus Finsterfrickelflechte.

Und dann erblickten die Gefährten das Stammeszeichen ihrer Retter. Statt der Zeichen der entzwergten Stämme Erz, Sand oder Feuer trugen sie ein Amulett mit einem flammenden Anker darauf. Dies war eine andere Welt. Mit anderen Zeichen und Gesetzen. Daran würden sich die Geretteten gewöhnen müssen. Hier waren es ihre Zeichen, die merkwürdig waren. Sie waren es, die von der anderen Seite kamen. Sie spürten die Blicke der fremden Zwerge auf den Stammeszeichen ruhen, die sie auf der Brust trugen: Fels, Erde und Stahl. Im Ehernen Imperium hätte das etwas bedeutet. Hier aber galten die ehrbaren Stämme nichts … Unsicher ließen die Geretteten ihre Blicke über die Gruppe der finster dreinschauenden Flammenankerzwerge schweifen. Schließlich war es Blechboldt, der das unangenehme Schweigen durchbrach. Lachend begann er, einen Retter nach dem anderen zu umarmen.

»Beim Heiligen Amboss, wir sind froh, dass ihr uns gefunden habt! Wir dachten schon, unser letztes Stündlein hätte geschlagen …« Blechboldt hielt inne, als er ein merkwürdiges Geräusch hörte. Ein helles, metallenes, rhythmisches Klacken, welches das dumpfe Wummern der Antriebsmaschine ebenso übertönte wie das Knarren der blechernen Segel. Und es schien sich ihnen über das Deck des Schiffes zu nähern. Einer nach dem anderen traten ihre Retter auseinander, um eine Gasse für einen Zwerg zu bilden, bei dessen Anblick es dem Schicksalszwerg und sogar den beiden Schwachsinnigen kalt den Rücken hinunterlief.

Er war vergleichsweise klein. Seine langen schwarzen Augenbrauen waren in seinen Bart eingeflochten, er trug massive silberne Ohrringe, und der sichtbare Teil seines Gesichtes war von einem einzigen wirren Narbenmuster überzogen. Sein linkes Auge wurde von einer dunklen Lederklappe verdeckt.

Auf dem Kopf trug er einen eigentümlichen rostfleckigen Helm mit drei Zacken, und er war in eine Art schwarzen Grubenmantel mit allerlei metallenen Verzierungen gehüllt. Auf seiner Schulter hockte eine fette Ratte und starrte dem Schicksalszwerg stumpfsinnig entgegen. Anstelle seiner rechten Hand besaß der Zwerg einen rostigen Haken, der über ein Gewinde an einem metallenen Sockel mit seinem Unterarm verbunden war. Der Haken konnte offenbar gegen einige weitere Werkzeuge ausgetauscht werden, die am breiten Gürtel des Zwergs baumelten. Neben einem Hammerkopf erkannten die Gefährten eine dreifingrige Klaue und eine bartlange Klinge. Die Linke hielt der Zwerg hinter seinem Rücken versteckt, während er langsam auf die Geretteten zugeschritten kam.

Sein rechtes Bein war der Ursprung des klackenden Geräusches. Es war eine metallene Prothese, die unterhalb des Knies mit einigen martialisch anmutenden rostigen Schrauben befestigt war.

»Willkommen auf der Sturmgluth …« Der Zwerg lächelte die Gefährten offenherzig an und enthüllte dabei Zähne, die komplett aus Silber zu bestehen schienen. Dann streckte er gebieterisch die linke Hand aus und bekam im nächsten Augenblick von einem der Schiffszwerge eine langstielige brennende Knochenpfeife gereicht. »Mein Name, Zwerge, ist Tihf Schwartzbarth. Ihr aber dürft mich Käpt’n nennen.«

Lächelnd nahm er einen tiefen Zug aus seiner Pfeife und musterte die Gefährten. »Noch nicht lange hier unten, was?«

Der Höchste der Hohen trat einen Schritt vor: »Ich, Käpt’n, bin der Hohepriester des Ehernen Volkes und wurde gemeinsam mit meinen Gefährten von den wirren Stollen des Schicksals an diesen Ort verschlagen …«

Doch Tihf Schwartzbarth schien ihm nicht zugehört zu haben. »Und dann auch noch über den Magmasee …«

Er trat an die Reling und nickte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Dann fiel sein Blick auf das kupferne Floß, und seine Augen verengten sich.

Der Allerhöchste gab den Versuch nicht auf, den Kapitän der Sturmgluth zu beeindrucken: »Dies, Zwerg, ist nichts Geringeres als das Abartige Artefakt! Gemäß dem Willen der Götter haben wir das Undenkbare vollbracht und …«

Schwartzbarth hob die Hand und gebot dem Höchsten zu schweigen.

»So, so … Das Abartige Artefakt …«

Dann gab er seinen Leuten ein Zeichen. Sofort begannen sie, an den Seilen hinabzuklettern. Geräuschvoll spie Schwartzbarth einen großen Klumpen Zwergenrotz in die rote Glut hinab.

Der Hohepriester wollte mit seiner Rede fortfahren, doch der Kapitän ließ ihn noch immer nicht zu Wort kommen.

»Ihr hättet ja auch einfach die Brücke nehmen können, wie jeder anständige Entzwergte …«

Der Hohepriester, der inzwischen begriffen hatte, dass es Schwartzbarth nicht interessierte, was er zu sagen hatte, schwieg beleidigt.

Das leise Quietschen einiger Seilwinden war zu hören, während die Besatzung der Sturmgluth den Altar heraufzog. Tihf Schwartzbarth nickte zufrieden, als der massive goldene Quader über den Rand der Reling gehoben wurde.

Dann wandte er sich wieder den Gefährten zu.

»Aber glaubt mir, auch wir sind froh, euch gefunden zu haben …« Er lächelte freundlich, zwinkerte ihnen zu und paffte zufrieden eine kleine Rauchwolke in ihre Richtung. Dann nickte er seinen Leuten zu, und der Schicksalszwerg und seine beiden Begleiter wurden gepackt und in Ketten gelegt. »Trolle zahlen nämlich gut für Grubensklaven.«

Finster lachend drehte sich Kapitän Schwartzbarth um und ging klackend über das metallene Deck davon. Die Ratte auf seiner Schulter schaute sich noch einmal um und bedachte die Zwerge mit einem mürrischen Blick, während diese von einem Dutzend Flammenankerzwerge zur Laderaumluke der Sturmgluth geschleppt wurden.

Über ihren Köpfen zog indessen ein fetter brauner Käfer von der Größe einer Zwergenfaust seine Kreise, dessen dunkle Facettenaugen unablässig auf das Geschehen gerichtet waren. Es handelte sich um einen Glutschwirrling,12 der in dieser Region eigentlich nicht vorkam. Das aber war nicht die einzige Besonderheit dieses speziellen Vertreters seiner Art. Wenn irgendein Zwerg genauer hingesehen hätte, hätte er eine leichte Trübung der Facettenaugen und einige ausgefranste Löcher im Panzer des Insekts erkennen können, die, ebenso wie der Zustand des dritten Flügelpaares, darauf hindeuteten, dass das Tier längst tot war. Den Käfer allerdings schien das nicht weiter zu scheren. Er flog unermüdlich im Kreis und beobachtete aus sicherer Entfernung, wie die Mannschaft der Sturmgluth dem Schicksalszwerg und seinen Begleitern Waffen und Besitz abnahm und sie dann, unbeeindruckt von ihren lautstarken Protesten, in den Laderaum hinabstieß.

INTERMEZZO

Die Zwerge kamen zu Trümmerboldt, wie sie einst zum Großen Verwalter gekommen waren.

Sie kamen und störten ihn. Ständig. Während er sich die Fußnägel vergolden ließ, während der Haarspalter seinen Bart toupierte oder er seine Schlagringe polierte. Seine Untertanen stellten ihm Fragen, wollten, dass er Recht sprach, Entscheidungen fällte und sie an seiner Weisheit teilhaben ließ. Doch Trümmerboldt hatte keine Antworten. Er verstand deutlich mehr von Unrecht als von Recht, und seine Weisheit reichte bei Weitem nicht aus, um sie mit irgendjemandem zu teilen.

Wenn die Zwerge also zu ihm kamen, tat er zunächst, was er immer getan hatte. Er drohte ihnen mit seinem Hammer, falls sie es wagen sollten, ein weiteres Mal bei ihm vorzusprechen. Und obwohl einige wenige Probleme auf diese Weise tatsächlich aus den Gängen verschwanden, regte sich unter dem Ehernen Volk, das gerade erst einen Herrscher gestürzt hatte, bald schon wieder ein gewisser Unmut.

Und Krugk Trümmerboldt spürte das sehr wohl.

Er hatte lang genug Zwerge verprügelt, um zu erkennen, wenn einer unzufrieden war. Und er ärgerte sich. Über die Unzufriedenheit der Zwerge und darüber, dass sie überhaupt zu ihm kamen. Schließlich war er nur der Stellvertreter des neuen Herrschers der Zwerge. Wenn Felsigk Klammgluth zurückkehrte, würde er ihm das Hammerzepter mit Freuden überlassen. Bedauerlicherweise schien Klammgluth sich mit der Wiederkehr etwas schwer zu tun. Er war nun schon länger als eine Schicht fort und hatte nicht einmal einen Felsläufer13 geschickt, um von seinen Fortschritten zu berichten.

Trümmerboldt hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Er, dem es die meiste Zeit über schwerfiel, sich selbst zu beherrschen, musste nun irrtümlicherweise ein ganzes Volk beherrschen. Und dann noch ein unzufriedenes. Dem kargen Maß seiner Weisheit zum Trotz wusste er, dass sich Unzufriedenheit und steuerzahlende Zwerge nicht gut miteinander vertrugen. Also hatte er sich schließlich dazu entschlossen, seinen Hammer fortzustecken und stattdessen den gesamtzwergischen Alkoholpegel zu heben. Fortan gab es, wann immer im Inneren der Gänge Probleme zutage gefördert wurden, ein Fass Freibier für jeden Betroffenen. Die Folge war zunächst ein nicht unerheblicher Anstieg der Zahl der Probleme und bald darauf auch der Schürf- und Grubenunfälle. Und natürlich betrunkene Steuerzahler, Zwerge, die sich am Ende der Schicht lieber in ihrer Höhle betranken, als lästige Audienzen bei ihrem Herrscher zu erbitten.

Erfahrungsgemäß würden sich die Zwerge aber über kurz oder lang an die größere Alkoholmenge gewöhnen.

Zwerge gewöhnten sich an alles, was mit Alkohol zu tun hatte.

Dann wären zwei Fässer pro Problem nötig.

Später womöglich sogar drei.

Und irgendwann würde es einfach zu teuer werden, das Eherne Volk am Bierhahn zu säugen. Krugk Trümmerboldt, der provisorische Herrscher der Zwerge, würde Hilfe brauchen, wenn er die Macht über die Zwerge bewahren und sie irgendwann einmal unversehrt seinem Herrn zurückgeben wollte. Denn gegenwärtig war diese Macht das Einzige, was ihm geblieben war. Er konnte sich weder auf den Rückhalt durch das Zwergische Zwielicht noch auf die Sicherheit des alten Schutzgolderpressergeschäftes verlassen. Der Anonymität des Zwergischen Zwielichts war er in der Schicht entwachsen, als Felsigk Klammgluth und Harrm Kiesgrimm losgezogen waren, um das Undenkbare denkbar zu machen. Seitdem stand er im hellen Schein der Leuchtkäfer, sichtbar für jeden Zwerg, der uneingeschränkte Herrscher des Ehernen Volkes. Sein Bart war öffentlich geworden, und an jedem Haar zupfte ein Untertan …

Krugk Trümmerboldt konnte nicht mehr zurück.

Und es schauderte ihn bei dem Gedanken, weiter voranzuschreiten.

Wehmütig betrachtete Trümmerboldt seine vergoldeten Fußnägel. Er war wahrhaft aus den Schatten getreten. Die Tage des Zwergischen Zwielichts waren gezählt. Sein Anführer war verschwunden, und alles, was geblieben war, waren die Geheimdienste des einstigen Verwalters, der schwarze, der schwärzere und der tiefschwarze Menhir, in denen inzwischen alle zwergischen Halunken des gegenwärtigen Zeitalters organisiert waren. Für den Fall, dass Klammgluth nicht zurückkehrte, hatte sich Trümmerboldt schon beinahe damit abgefunden, den Platz des Großen Verwalters einzunehmen und Herr der gesamten Zwergenheit zu sein. Allerdings gedachte er, dies nach seinen eigenen Regeln zu tun. Einfach und unkompliziert. So wie er seinen Geschäften seit eh und je nachzugehen pflegte. Um sich aber auf dem schwarzen Thron der Herrschaft zu halten, würde er eisernen Willen, einen Plan und Verbündete brauchen. Denn irgendwann würde sein Volk anfangen zu zweifeln. Und am Ende dieser Zweifel würde Trümmerboldt nicht etwa im Dunkel des Zwielichts, sondern mit blauen Flecken in den Verliesen von Vorrngarth verschwinden oder bei den Entzwergten landen. Er hatte gesehen, was dem letzten Großen Verwalter widerfahren war, nachdem Klammgluth, der Anführer des Zwergischen Zwielichts, seinen Plan in die Tat umgesetzt hatte. Das Eherne Volk hatte nicht einmal eine Schicht gebraucht, um seinen Herrscher vom Thron in den Kerker zu bringen. Jetzt hing der Verwalter an irgendeiner Wand in einem lichtlosen Verlies und würde dort hängen, bis sein Bart den Boden berührte. Da er jedoch gut vier Zwerg über dem Boden hing, würde das noch ein halbes Zeitalter dauern. Dies entsprach dem härtesten Urteil innerhalb des zwergischen Rechtssystems.14 Gewöhnliche Übeltäter pflegte man etwa einen halben Zwerg über dem Boden festzuschmieden oder nach Vorrngarth zu schicken. Sofern man ihrer habhaft wurde. Die meisten Mitglieder des Zwergischen Zwielichts waren in der Regel zu gerissen, als dass sie jemals den harten Hammer des Rechts zu spüren bekommen hätten. Krugk Trümmerboldt hatte die verschlungenen Gänge des Schicksals als Schurke betreten, um sie als Herrscher zu verlassen. Und auch wenn er die Sprache des Schicksals nicht verstand, so verstand er doch die des Goldes. Und da diese Sprache jener der Herrschaft ähnelte, traute er sich zu, als Übersetzer zwischen Göttern und Zwergen zu vermitteln.

Denn dies war die Aufgabe der zwergischen Herrscher seit den Tagen, da der erste Verwalter den Ewigen Schmied unter den Tisch getrunken hatte. Für gewöhnlich erfüllten die Verwalter diese Aufgabe im Namen der Götter und mit dem Segen des Einzigen, Wahren und Wunderbaren, des Klotzenden unter den Kleckernden, des Höchsten aller zwergischen Priester. Der jedoch war unlängst vom letzten Großen Verwalter abgeschafft und jedweder Einzigartigkeit, Wunderbarkeit und Wahrheit beraubt worden. Genau genommen hatte der Verwalter sogar seinen Tod befohlen. Der ehemals Einzigartige war mitsamt dem Rest des Schicksalszwergs aus dem Imperium geflohen und würde Trümmerboldts Herrschaftsstatus deswegen kaum bestätigen können. An seiner statt hatte der vorhergehende Verwalter einige Orakeldeuter beschäftigt, die eine Zeitlang aus Bierschaum die Zukunft gelesen hatten. Irgendwann waren aber auch sie in irgendeinen Kerker geworfen worden. Die Schaumdeuter würden Trümmerboldts Position als Herrscher also ebenso wenig festigen können.

Die Auswahl an göttlichen Verbündeten war spärlich geworden.

Und wenn er es sich recht überlegte, dann war kaum etwas im Ehernen Imperium noch so, wie es einmal gewesen war.

Die Dinge veränderten sich mit einer derartigen Geschwindigkeit, dass es schwerfiel, den Überblick zu behalten. Besonders, wenn die eigenen Fähigkeiten darauf beschränkt waren, Zwergen Schläge anzudrohen.

Die Regeln und Traditionen des Ehernen Volkes, die seit den Tagen des Ewigen Schmieds wie friedliche Felsen im Halbdunkel der Höhlen geruht hatten, waren zu rollenden Steinen geworden, die unkontrolliert durch die Gänge polterten.

Ein Stein aber ruhte noch immer dort, wo die Götter ihn einst im Einvernehmen mit dem ersten Verwalter aufgestellt hatten: die Hohe Höhle. Und ebenso ihr Wächter, der ehrwürdige Harrm Blutklump, der das letzte Heilige Amt des Ehernen Imperiums innehatte. Gerüchten zufolge hatte er mit den Göttern selbst getrunken und war unsterblich.

Nachdem der Höchste der Hohen quasi entzwergt und die übrige Priesterschaft in die Felsverliese geworfen worden war, stellte Blutklump die letzte Verbindung des Ehernen Volkes mit seinen Göttern dar. Er, der Wächter der Hohen Höhle, der den Gottzwergen beim Schmieden der Zeitalter über die Schulter gesehen hatte, würde Trümmerboldt den Weg weisen, ihm den Willen der Götter offenbaren und ihn zu einem Herrscher machen, zu dem die Zwergenheit aufblicken konnte.

Auch wenn er es wahrscheinlich nicht freiwillig tun würde.

KAPITEL II

In dem die Tätigkeit der Magmapiraten umrissen wird, ein Zwerg Gottkraut raucht und einige Zwerge den Bart verlieren

Magmapiraten?«

Der Hohepriester, der mit schweren Ketten an den Schrauber gefesselt war, blickte sein Gegenüber ungläubig an. Vor ihm hockte ein abgerissener Zwerg, dessen Kleider in Fetzen herabhingen und dessen Augen von dunklen Ringen umgeben waren. Die rostigen Ketten, mit denen er gefesselt war, führten zu einem weiteren Zwerg, der schnarchend neben ihm auf dem Boden lag. Der Schicksalszwerg befand sich mit einem guten Dutzend Gefangener, von denen immer zwei aneinandergekettet waren, im Laderaum des stählernen Schiffes. Keiner von ihnen trug ein Stammeszeichen, und ihre Bärte waren bis aufs Kinn gestutzt. Sie boten einen jämmerlichen Anblick. Ein bedrückendes Beispiel für die verlorene Würde der Entzwergten. Selbst die finsteren Gesellen an Deck waren mehr Zwerg als dieser traurige Haufen. Der Gefangene sprach leise, beinahe im Flüsterton, offenbar aus Furcht vor den Flammenankerzwergen.

Blechboldt, der an den stumpfsinnigen Glimmboldt gekettet war, betrachtete verwundert das nackte Kinn des Gefangenen. Es wirkte noch immer befremdlich. Schließlich war der Bart der Sitz der zwergischen Seele, und ein Zwerg ohne Bart hatte etwas Widernatürliches an sich. Der Gefangene spürte seinen Blick und wandte sich ihm zu. »Sie schneiden uns die Bärte ab, um unseren Willen zu brechen und damit wir kein Essen und keine Waffen darin verstecken können. Sie nehmen uns unsere Würde und machen uns zu Trollsklaven …«

Erschrocken fuhr Blechboldt zusammen. Bei dem Gedanken daran, sich in den Händen derart skrupelloser Bartabschneider zu befinden, lief es ihm kalt den Rücken hinab. Vorsichtig blickte er sich um.

Im Laderaum war es beinahe vollkommen dunkel. Nur durch einige Öffnungen in der Bordwand drang der spärliche Widerschein der wabernden roten Glut des Magmasees herein. Und über allem lag der dichte Rauch von den rumorenden Maschinen der Sturmgluth. Der Gefangene hustete leise.

»Und was tun diese Magmapiraten?«, fragte der blinde General, der an den dösenden Fazzgadt gekettet war.

»Handel treiben«, erwiderte der Gefangene. »Hauptsächlich mit Trollen und Echsen. Uns verkaufen sie an die Trolle und Dracheneier an die Echsenmenschen.«

Der Hohepriester schüttelte den Kopf. »Sie verkaufen Zwerge an Trolle?«

Der Gefesselte bedeutete ihm, leiser zu sprechen, und fuhr im Flüsterton fort: »Sie scheren sich nicht um die Gesetze des Imperiums. Sie lauern uns auf und verfolgen uns. Wir sind Flammsteinfischer. Ich war unser Bootsführer. Zwei Zwerge meiner Mannschaft sind im See verglüht, als sie uns fingen. Aber Schwartzbarth kümmert das nicht. Er wird einen guten Preis für uns bekommen.«

»Entzwergte, die mit Unzwergen Handel treiben …«, hauchte der Hohepriester. »Beim Großen Geröll, das scheint mir wahrlich eine wüste Welt zu sein.«

Der Flammsteinfischer nickte.

»Aber zumindest wagen sie sich nicht bis zu unseren Siedlungen vor. Sie fürchten die Blitzkanonen, mit denen unser Ufer geschützt ist. Darum fangen sie uns draußen auf dem See …«

Ketten rasselten, als Flammrank etwas näher an den Gefangenen heranrückte.

»Warte, Zwerg, du sagst, sie verkaufen Dracheneier an die Echsen?«

Verwirrt betrachtete der bartlose Gefangene die rote Augenbinde des blinden Generals.

»Ja.«

»Aber weshalb sollten sie das tun?«, fragte Flammrank mit scharfer Stimme.

Der Gefangene zögerte kurz, offensichtlich verwundert darüber, wie wenig die Neuankömmlinge über die Welt der Entzwergten wussten. Dann antwortete er vorsichtig: »Die … die Echsen fressen sie. Sie glauben, dadurch die Macht der Drachen erlangen zu können.«

Den Drachenjäger schien die Vorstellung, dass Kreaturen, die ebenso wie die Zwerge aus Eiern schlüpften, noch vor ihrer Geburt aus dem Leben gerissen wurden, maßlos zu erzürnen. Der blinde Zwerg riss die Fäuste hoch und zerrte wütend an seinen Ketten, sodass der an ihn gefesselte Fazzgadt aus seinem Schlummer emporschrak. Schlaftrunken blickte er sich um, sah seine Kameraden und die übrigen Gefangenen an und seufzte.

»Ich habe von Frauen geträumt …«, sagte er.

»Und? Wie haben sie ausgesehen?«, fragte einer der Flammsteinfischer neugierig.

»Es war dunkel«, murmelte Fazzgadt und senkte den Kopf. Doch einen Moment später hob er ihn wieder und blickte den Höchsten der Hohen an. »Olmtreiber! Du hast uns hier runtergebracht. Wegen dir werden uns diese Magmaratten an die Stinkschädel verschachern!«

Der Hohepriester blickte sich zögernd um. Fazzgadts Vorhaltungen waren ihm sichtlich unangenehm.

»Aber du bist alt genug, dass du etwas über die Frauen wissen musst«, fuhr Fazzgadt fort. »Du hast sie gesehen und gekannt! Los, Alter, erhelle uns unsere letzten Schichten mit ein paar Frauengeschichten!«

Die Blicke aller Anwesenden richteten sich auf den Hohepriester. Ein Murmeln breitete sich unter den Gefangenen aus, und sie kamen interessiert näher gerückt. Sie wollten hören, wie die Frauen ihres Volkes gewesen waren. Die Weibzwerge, die für die meisten von ihnen bloß eine Legende waren.

Der Hohepriester sank ein wenig in sich zusammen und murmelte kleinlaut: »Um ehrlich zu sein … das Orakelgeschäft ist kein einfaches. Man ist eigentlich immer beschäftigt und … außerdem habe ich mich nie so sehr für Frauen interessiert.«

Unmut machte sich unter den Gefangenen breit. Fazzgadt richtete sich auf und schleppte seine Kette zum Allerüberhöchsten hinüber.

»Nicht einmal das willst du mir also gönnen!«, murrte er. »Du schleifst mich und meinen Zögling durch die Höhlen, lässt uns entzwergen, verprügeln und an Trolle verkaufen und bist nicht einmal bereit …«

In diesem Moment öffnete sich über ihnen knarrend die eiserne Luke. Rost rieselte von der Einfassung herab, eine Eisenleiter wurde herabgelassen und dann erschien eine Lampe, deren bleiches Licht mit einem Schlag den gesamten Laderaum erhellte.

Sein Anblick wurde allerdings auch bei Licht nicht angenehmer. Stahl und Rost, Ketten und Gefangene. Dicht aneinandergedrängt hockten die Gefährten da, Glimmboldt, der Ferkelbändiger, Flammrank und Fazzgadt, der drohend über dem Hohepriester stand, und in einiger Entfernung von ihnen der Meisterdieb, der an einen schlafenden Flammsteinfischer gekettet war und gerade im Begriff stand, ihm seine Ohrringe zu stehlen.

Nach der Lampe erschien ein Zwerg in der Luke, der in ein Gewand aus Finsterfrickelflechte gehüllt war. Darüber trug er eine martialische Rüstung und zwei Äxte im Gürtel und hatte allem Anschein nach nur noch ein Ohr. Mürrisch schaute er in den Laderaum hinab.

Der Gefangene flüsterte dem Hohepriester zu: »Das ist Thorf Glimmspan, die rechte Hand des Kapitäns.«

Der Hohepriester nickte stumm.

Glimmspan hob die Hand und deutete direkt auf ihn.

»Den da nach oben zum Kapitän.«

Zwei finster dreinschauende Zwerge stiegen hastig in den Laderaum hinab, lösten die Ketten des Höchsten und packten ihn. Nachdem sie den Schrauber an die Wand gefesselt hatten, zerrten sie den Hohepriester zur Leiter hinüber und schoben ihn die Sprossen empor. Von oben griffen einige kräftige behaarte Arme nach ihm und dann verschwand der weißbärtige Tausendjährige durch die Luke.

Gleich darauf beugte sich der Einohrige noch einmal hinab.

Er grinste böse und deutete erneut in Richtung der neuen Gefangenen.

»Und denen dort den Bart ab.«

Tihf Schwartzbarth hatte den goldenen Altar in seine Kabine wuchten lassen und hockte nun bereits seit einer halben Schicht im kalten weißen Licht einiger geschmiedeter Wandlampen nachdenklich davor. Weshalb, fragte er sich immer wieder, sollte eine Handvoll Zwerge freiwillig den sicheren Schoß des Imperiums gegen die Welt der Entzwergten eintauschen? Und wenn sie das Imperium schon verließen, warum taten sie es dann nicht wie jeder anständige Geächtete über die Brücke der Verbannung? Der Magmasee war ein ungastlicher, gefährlicher Ort. Nicht nur der Strömung wegen. Die Entzwergten wagten sich nur auf den See hinaus, um inmitten des Magmas nach Flammsteinen zu fischen. Und er, der selbst unter den Geächteten noch geächtet war, hatte sich diesen Ort als sein Territorium erwählt. Er kannte den Magmasee wie seinen eigenen Tabaksbeutel, wusste, an welchem Felsen er das Steuer herumreißen musste, wo die üppigsten Flammsteingründe waren und an welchen Magmaschnellen man den Fischern am besten auflauern konnte. Er kannte das Magma so gut, dass er beinahe ein Teil davon war, und seine Mannschaft munkelte gar, dass tatsächlich flüssiges Gestein durch seine Adern strömte.

Er, Tihf Schwartzbarth, der Kapitän der Sturmgluth, war der uneingeschränkte Herrscher des Magmasees, und dieses Schiff war sein Palast. Der See gehörte ihm und damit auch alles, was darauf herumtrieb.