Nina Caprez - Dominik Osswald - E-Book

Nina Caprez E-Book

Dominik Osswald

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Beschreibung

Frau Caprez, warum tun Sie sich das an? So lautet die meistgestellte Frage von Journalisten an Nina Caprez, eine der weltbesten Kletterinnen. Sie ist dort am glücklichsten, wo andere nur schon beim Hinsehen Angst kriegen: an abweisenden Felswänden, hunderte Meter über dem Boden. "Ich tu mir überhaupt nichts an. Ein Antun ist es sicher nicht, eher ein Urtrieb, und der beginnt schon bei kleinen Kindern, die überall hochsteigen." So lautet die Antwort von Nina.

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Sportkletterin.

Höhlenforscherin.

Wahlfranzösin.

 

Nina Caprez

von Dominik Osswald

 

 

 

 

 

 

kurz & bündig Verlag | Frankfurt a. M. | Basel

Zum Buch

Nina Caprez. Sportkletterin. Höhlenforscherin. Wahlfranzösin.

Frau Caprez, warum tun Sie sich das an? So lautet die meistgestellte Frage von Journalisten an Nina Caprez, eine der weltbesten Kletterinnen. Sie ist dort am glücklichsten, wo andere nur schon beim Hinsehen Angst kriegen: an abweisenden Felswänden, hunderte Meter über dem Boden.

»Ich tu mir überhaupt nichts an. Ein Antun ist es sicher nicht, eher ein Urtrieb, und der beginnt schon bei kleinen Kindern, die überall hochsteigen.« So lautet die Antwort von Nina.

Zum Autor: Dominik Osswald

Dominik Osswald studierte Erdwissenschaften, arbeitete dann kurz als Geologe und ist seither Quereinsteiger als freischaffender Journalist. Bergsteiger ist er schon länger. Oft schreibt er über alpine Themen aus naheliegenden Gründen, auch wenn er eine Abneigung gegen Leute hat, die Berge ihr Büro nennen.

 

»When people say, It can’t be done, or You don’t have

what it takes, it makes the task all the more interesting.«

Lynn Hill

Vorwort: Eine Frage der Optik

»Wasserfälle schießen von den Flanken, als hätten die Berge Rohrbruch erlitten.«

Das schrieb ich vor drei Jahren, als ich zum ersten Mal ins Prättigau fuhr, um mich mit Nina Caprez für einen Zeitungsartikel zu treffen. Wir redeten eigentlich nur übers Klettern – die Bühne, auf der Nina bekannt wurde. Ich war losgeschickt worden, das Bild einer wagemutigen Sportlerin zu zeichnen. Ich zeichnete es. Wir sprachen von Mut, Adrenalin, Durchbeißen, Risiko, Erfolg, Karriere. Die Fotografin baute einen Schirm auf und wies Nina an, über die Schulter zu schauen und die Rückenmuskeln anzuspannen. »Eine der besten Kletterinnen der Welt« lautete der Aufhänger, und der Titel meines Textes: »Tanz in der Vertikalen.«

Als ich Ende Dezember 2018 wieder in das Tal einbiege, ist das Wetter auch mies, doch von Rohrbruch zu schreiben wäre übertrieben. Anfang des Jahres war ich mit Nina auf einer Reise, danach mehrere Male bei ihr zuhause. Ich wollte herausfinden, wer Nina wirklich ist – abseits des Begriffs »eine der besten Kletterinnen der Welt«. Wie lebt jemand, dessen Lebensinhalt sich um Felswände dreht? Und was hat das mit dem Leben am Boden zu tun?

»Klettern bedeutet für mich die absolute Fokussierung

auf den Moment. Man ist mit seinen Gedanken völlig absorbiert

und nur bei der nächsten Bewegung, dem nächsten Griff.«

»Klettern bedeutet für mich die absolute Fokussierung auf den Moment. Man ist mit seinen Gedanken völlig absorbiert und nur bei der nächsten Bewegung, dem nächsten Griff . Man weiß genau, was man zu tun hat, stellt nichts in Frage. Die Richtung ist klar: Es geht nach oben. Doch führt man die Bewegung falsch aus, fällt man«, sagt Nina.

Als sie im Jahr 2011 die Route »Silbergeier« im Rätikon kletterte, gingen Bilder davon durch die Medien. Nina wurde auf einen Schlag einem breiteren Publikum bekannt. Eine junge, hübsche Frau, die sich in Felswände begibt, um mit einem Lächeln auf dem Gesicht der Leere unter sich zu trotzen. Das interessierte, weil es kontrastreich war. Vielleicht spielte auch Unverständnis mit, weil man das Risiko unnötig herausgefordert vermutete. Doch die Exponiertheit hoch über dem Boden ist Ninas Optik auf das Leben. Sie empfindet Glück, wenn sie sich klein vorkommt, verloren, unbedeutend. Prioritäten, Sorgen, Ziele … Was ist wirklich wichtig im Leben? In einer Felswand ist alles anders. Im Libanon auch.

Kapitel 1: Abseits des »klassischen Schweizer Wegs«

Beirut, Libanon, 22. Mai 2018

Ein Nachtflugverbot scheint die libanesische Metropole am Mittelmeer nicht zu kennen, wer von Europa nach Beirut fliegt, kommt spät an. Es ist drei Uhr morgens, als mein Flugzeug landet. Nina wartet schon. »Welcome to Beirut«, begrüßt sie mich gähnend, hievt mein Gepäck in das Mietauto, das unübersehbar von einem langen Kletterwochenende zeugt: Wasserflaschen, Seile, Kletterfinken, Melonen liegen wild durcheinander.

Nina zu treffen ist gar nicht so einfach – ständig ist sie unterwegs, überall in der Welt. Bei der Suche nach Terminen schrieb sie schließlich Anfang 2018: »Komm mit in den Libanon. Ich gehe im Mai hin, ich begleite dort ein Projekt, da klettern wir mit Flüchtlingen.« Es sei ihr wichtig, dass sie von ihrem privilegierten Leben als Profikletterin auch etwas zurückgeben könne, das über Vorträge oder spektakuläre Bilder für Sponsoren hinausgeht. Here we are …

Seit vier Tagen weilt Nina im Libanon. Unsere nächtliche Fahrt führt uns aus der pulsierenden Hauptstadt ins immer dunkler werdende Hinterland, vorbei an bunt beleuchteten Betonmischern, die mühselig in einer Karawane die steile Straße hochschleichen. Der Verkehr wirkt anarchisch, doch es gelten unausgesprochene Regeln des Sich-Durchsetzens: Beharren und wenn immer möglich hupen und überholen. Nina nennt es so: »go with the flow«, ihr Fahrstil ist zügig und selbstbewusst. Manchmal hebt sie den linken Oberschenkel an, wenn sie freie Hände braucht, und hält so das Auto auf Kurs. Sylvan Esso tönt aus den Boxen: »Maybe in a fire or crash off a ravine. People would weep, ›How tragic, so early‹. I was gonna die young.«

Nach einer Dreiviertelstunde gelangen wir auf eine Anhöhe und blicken in eine dunkle Ebene hinunter. Schwache Lichter säumen die Straße. Die Lastwagen haben wir hinter uns gelassen, der Himmel ist dunkelblau und am Horizont schon leicht hell. Vor uns erstreckt sich die Bekaa-Ebene am Fuße eines dunklen Hügelzugs, dahinter liegt Syrien. In der fried­lichen Nacht lässt sich nichts vom Krieg erahnen, der sich jenseits der Hügel abspielt.

Nach wenigen Stunden Schlaf werden wir von Beat Baggenstos empfangen. Er ist der Gründer der Hilfsorganisation ClimbAID, die hier zwischen Flüchtlingscamps und Obstplantagen ein Haus bezogen hat. Davor steht ein Lieferwagen, der zur Kletterwand umfunktioniert wurde, der »Rolling Rock«. Damit sucht ClimbAID die Flüchtlingscamps auf, aber auch libanesische Dörfer entlang der syrischen Grenze – beiderorts ließ der Syrienkrieg Kinder ohne Beschäftigung und ohne Perspektiven zurück.

Auf die Frage, was Beat mit ClimbAID im Libanon bewirken will, sagt er: »Ich will etwas beisteuern, das mir selber auch viel bedeutet im Leben. Klettern hat mir sehr geholfen, zu meinem inneren Frieden zu finden.« Dann verschwindet er hinter dem Laptop, wo er komplizierte Pläne einer Achsaufhängung studiert und auf der ganzen Welt nach Ersatz telefoniert – die Achse des »Rolling Rock« war nur Tage vor unserer Ankunft gebrochen. Das Projekt könnte schon wieder vorbei sein, bevor es richtig begonnen hat.

Nina ist nach 2017 zum zweiten Mal für zehn Tage im Libanon, um sich ClimbAID anzuschließen. »Die Idee hat mich von Anfang an überzeugt, weil ich darin die Chance sehe, dem Klettern eine andere Bedeutung zu geben. Es ist nicht nur ein Sport, der Abenteuerlust befriedigt. Klettern kann mehr.«

Auf einem Spaziergang erkunden wir die Umgebung. Die Bekaa-Ebene ist fruchtbares Land, wir streifen durch Äcker mit Weizen, auch Hanf wird hier angebaut. Die Sonne brennt, es ist windig, die Hisbollah-Fahnen flattern: Auf gelbem Hintergrund stemmt eine grüne Faust eine Kalaschnikow in die Höhe. Wir kommen an Häusern vorbei, die offenbar nie fertig gebaut wurden: mehrstöckige Betongebäude mit fehlenden Wänden.

Auf den Flachdächern, von wo man den Fernblick in die Ebene hat, stehen Wassertanks. Armierungseisen ragen in den Himmel, als sollte noch etwas kommen. Die Behausungen der syrischen Flüchtlinge sind dürftig: Holzlatten spannen UNHCR-­Planen auf, beschwert von alten Pneus. Das Land ist gezeichnet von Konflikten. Im Syrienkrieg gefallene Hisbollah-Kämpfer werden auf Postern am Straßenrand gewürdigt. Transparente mit Anführer Hassan Nasrallah, der drohend seinen Finger hebt, hüllen ganze Hausfassaden ein. Es wirkt, als hätte man hier anderes im Sinn als Klettern. Ich bin gespannt.

»So unbedeutend es aussehen mag, sich eine Felswand

hochzu­kämpfen – was ich dabei empfand, konnte ich

mit nichts anderem verglei­chen.

Und ich sagte mir: Egal, was andere sagen oder von mir

denken – wenn sich etwas so richtig anfühlt, dann ist es das,

was ich verfolgen will.«

Vor einem Haus sitzt eine Großmutter mit ihren Enkeln und drei jungen Frauen im Schatten. Sie begrüßen uns, rücken Stühle heran und wollen, dass wir uns setzen. Sie sprechen so wenig Englisch wie wir Arabisch, doch mit Händen und Füßen kommt eine Art Konversation zustande. Nina ist gut darin. Ob sie verheiratet sei, wollen die jungen Frauen wissen, sie sind um die zwanzig Jahre alt, im heiratsfähigen Alter – das Thema kommt sofort zur Sprache.

Nina verneint.

Wie alt sie denn sei?

31 Jahre.

Die jungen Frauen wundern sich. In diesem Alter hat man Familie, gestikulieren sie.

Nina hebt die Schultern, was so viel zu bedeuten scheint wie: »Es kommt, wie es muss.« Die jungen Frauen machen es ihr gleich, vermutlich ohne dasselbe zu meinen, doch alle lachen.

Stets mehr gestikulierend als redend, geht das Gespräch voran. Kinder kommen dazu und geben Nina zu bedeuten, dass sie wieder klettern kommen werden. Bereits ein Jahr zuvor hat sich Nina ClimbAID angeschlossen, seither kennt man sie hier. »Sie haben das nicht vergessen«, stellt Nina fast ein bisschen überrascht fest. »Klettern verbindet. Es ist eben kein Sport, bei dem man gegeneinander antritt, sondern es fördert die Gemeinsamkeit.« Das sei es gewesen, was sie von Anfang an so fasziniert habe, nicht das Adrenalin, die Höhe oder die Bewegungen – sondern, dass man ein sportliches Ziel hat, das man nur gemeinsam erreicht, und Erfolg sich nicht durch Konkurrenz definiert. »Außerdem sieht die Welt von oben ganz anders aus.«

Mit dreizehn Jahren schließt sich Nina einem Kletterlager des Schweizer Alpenclubs in Südfrankreich an. Zum ersten Mal klettert sie an einem Seil. Bei Anfängern ist es normalerweise so, dass sie von oben gesichert werden und jederzeit ins Seil sitzen können. Doch Nina will auf Anhieb vorsteigen, was nicht nur eine große Portion Mut verlangt, weil man weit ins Seil fallen kann, sondern auch eines fortgeschrittenen Wissens bedarf. Man muss den Fels lesen und antizipieren können, um zu wissen, wo man Halt findet oder sich erholen kann. Und vor allem muss man wissen, wie man wieder runterkommt, wenn man einmal oben ist. Oft ist am Ende einer Felswand nichts anderes als ein Ring angebracht, durch den man das Seil fädeln muss. Dazu muss man sich vom Seil lösen und sich danach wieder anbinden. Das Prozedere ist nicht ganz einfach und vor allem nicht ungefährlich: Lässt man etwa das Seil fallen, hängt man in der Wand, kann weder vor noch zurück und muss sich bergen lassen. Und schon gar nicht darf man runterfallen.

Als blutige Anfängerin weiß Nina jedenfalls nicht viel mit dem Ring anzufangen, als sie das Ende der Wand erreicht und sich zwanzig Meter über dem Boden erst Gedanken zu machen beginnt, wie sie wieder runterkommen soll. Es bleibt ihr nichts anderes übrig, als auszuharren, bis ein Bergführer hochkommt und sie erlöst – im Nachhinein keine große Sache und doch ein Schlüsselerlebnis zum Auftakt ihrer Kletterkarriere.

Sie erkennt, dass Felswände nicht wie Bäume sind, auf denen man jederzeit zurückklettern kann oder ein Absturz lediglich mit einem gebrochenen Arm endet. »Eigentlich war es völlig harmlos. Aber es zeigte mir die anderen Gesetzmäßigkeiten in der Vertikalen auf«, sagt sie. »Man kann da nicht einfach drauflos machen, sondern muss vorausdenken. Das flößte mir Respekt ein, aber mehr noch Faszination.«

Nina und ihren Geschwistern erschließt sich eine neue Welt, jene abseits der Wanderwege: Sie kraxeln die steilen Wiesen und Geröllfelder im Prättigau hoch und runter, klettern auf Felsblöcke oder lernen den Pulverschnee abseits der Skipisten kennen. »Das Gelände dort draußen ist eine gute Schule. Da lernst du erst richtig, auf den Füßen zu stehen«, sagt Nina. Jedes Wochenende schwärmen sie aus: im Winter auf Skitouren, im Sommer zum Bergsteigen und Klettern.

»In der Vertikalen kann man nicht einfach drauflos machen,

sondern muss vorausdenken. Das flößte mir Respekt ein,

aber noch mehr Faszination.«