No Way - Regina Mars - E-Book

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Regina Mars

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Beschreibung

Pierre hasst seine neue Schule, auf der jeder sagenhaft reich und unglaublich dumm ist. Vor allem Boris, den Torwart des Fußballclubs, der die Frechheit besitzt, stärker als Pierre zu sein. Um seinen Platz als Nummer Eins wiederherzustellen, schmiedet Pierre einen fiesen Plan ... und merkt zu spät, dass sich hinter Boris´ mitternachtsblauen Augen eine sensiblere Seite versteckt. Als ihm klar wird, was er für Boris empfindet, ist der längst sein Feind. Boris hält Pierre für einen arroganten Dreckskerl, der nur an sich selbst denkt. Er hat Recht. Doch der sexy Torwart hat noch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen als seinem überheblichen Nachhilfelehrer. Kann Pierre ihm helfen? Kann er sich so sehr ändern, dass Boris ihn doch noch respektiert? Oder vielleicht sogar ... liebt?

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2015

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1. Pierre
2. Boris
3. Mein neuer Feind
4. Auf Kaperfahrt
5. Plan B
6. Nicht einfach
7. Eine erschreckende Erkenntnis
8. Eine fürchterliche Fahrt
9. Ein Handel
10. Chaos
11. Abwärts
12. Alles wird gut
13. Doch nicht
14. Regen
15. Feigling
16. Die Rückkehr

Impressum

 

No Way

Text Copyright © 2015 Regina Mars

Alle Rechte am Werk liegen beim Autor.

Regina Mars

c/o Block Services

Stuttgarter Str. 106

70736 Fellbach

 

[email protected]

www.reginamars.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Umschlagbild und Umschlaggestaltung: Regina Haselhorst

Copyright © Regina Haselhorst

www.reginahaselhorst.com

1. Pierre

 

Dass ausgerechnet Pierre Keller ein Stipendium für die St. Buenaventure-Privatschule bekam, weckte dort wenig Begeisterung. Auch er war nicht glücklich. Aber das war er ohnehin nie.

Das riesige weiße Barockgebäude fand er protzig, die erstklassig ausgebildeten Lehrer hielt er für Weicheier und die anderen Schüler, Kinder reicher Geschäftsleute und Adliger, verachtete er. Mit seinen Bikerboots und selbst gestochenen Piercings wirkte er völlig fehl am Platz. Seine Mitschüler trugen, seit sie fünf Jahre alt waren, regelmäßig Anzüge. Sie bekamen zum 18. Geburtstag teure Autos geschenkt. Pierre dagegen musste zwei Stunden in schlecht belüfteten Bussen fahren, um zur Schule zu kommen. Das Einzige, was er mit den restlichen St. Buenaventure-Schülern gemeinsam hatte, war seine Arroganz. Er hatte einen IQ von 170, sah gut aus und wusste das leider auch. In den ersten Monaten führte das zu einigen Problemen. Aber erst an einem sonnigen Herbstnachmittag ging es richtig los.

 

»Pierre wird sterben!«

»Was?« Alan fuhr hoch.

Lydia grinste breit. Hinter ihr rauschten Schüler vorbei und redeten über ihre neuesten Anschaffungen: Uhren von Breitling und Rolex, Kleider von Chanel. Aber Alan achtete nur auf Lydia, die hocherfreut schien.

»Diesmal ist er zu weit gegangen«, sagte sie. »Weißt du, wem er gerade gesagt hat, dass sie nur noch auf der Schule ist, weil sie ihre Mathenoten kauft? Und zwar vor der gesamten Klasse?«

»Wem?«

»Claudia.«

»Caspars Freundin?« Alans Augen wurden riesig. Lydia nickte begeistert. Ihre weißen Zähne blitzten.

»Scheiße«, sagte Alan, »Er muss sich verstecken! Ich fahre ihn sofort nach Hause. Dann braucht er eine Krankschreibung, für mindestens einen Monat! Vielleicht vergisst Caspar bis dahin alles.«

Lydia schüttelte den Kopf. »Never. Letztes Jahr hat Jonas behauptet, das Fußballteam wäre ohne Caspar besser dran. Er bekommt immer noch jeden Tag von ihm aufs Maul. Caspar vergisst nichts.«

Alan ließ den Kopf hängen. Der lichtdurchflutete Gang, in dem sie standen, kam ihm auf einmal trostlos vor. Wie würde er ohne Pierre hier zurechtkommen? Gar nicht, wenn er nicht spontan einen halben Meter zulegte. In Höhe und Breite. Pierre war seine einzige Chance.

»Ich muss ihm doch irgendwie helfen können.«

»Vergiss es.« Lydia zuckte mit den Schultern. »Nicht gegen Caspar.«

»Ist er dir denn völlig egal? Ich dachte, ihr wärt …«

»Zusammen? Das war vor Monaten. Wir sind viel zu jung, um uns zu binden. Das war uns von Anfang an klar.« Die Art, wie sie zu Boden sah, sagte Alan, dass es für sie nicht ganz so klar gewesen war. Lydia strich sich eine helle Strähne aus dem Gesicht. »Außerdem ist der Idiot selbst schuld. Wer Caspars Freundin bloßstellt, blutet. Das weiß doch jeder.«

»Aber Pierre nicht. Er hält sich für unverwundbar! Ich wette, er hat keine Ahnung, wer Caspar ist.«

»Wer ist Caspar?«

Sie fuhren herum. Pierre stand vor ihnen, die Hände in den Hosentaschen, die blonden Haare ungekämmt. Im Hintergrund liefen einzelne Nachzügler durch den Flur. Einige warfen Pierre verstohlene Blicke zu.

»Caspar«, flüsterte Lydia, »ist der letzte Name, den du je hören wirst.«

»Kann’s kaum erwarten.« Pierre sah sich um. Der Flur wurde leerer, aber immer noch stolzierten Jugendliche in 600 Euro-Schuhen durch die blankgeputzten Gänge. »Je eher ich verrecke, desto eher bin ich hier raus.«

»Hier raus. Gutes Stichwort.« Alan grinste hysterisch. Dann packte er Pierre am Arm und zerrte ihn in Richtung des Ausgangs. Lydia eilte hinterher.

»Wir müssen schnell sein«, sagte Alan. »Claudia hat Caspar bestimmt schon angerufen. Wenn wir den Parkplatz vor ihm erreichen …«

Pierre blieb stehen. Alan stolperte und versuchte, ihn weiter zu ziehen. Er hatte keine Chance. Pierre hob eine Augenbraue.

»Claudia? Es geht um Claudia? Das hohle Stück, das immer die Hausaufgaben abschreibt?«

»Genau.« Lydia lächelte süß. »Claudia, die nie lernt und jede Arbeit verbockt. Claudia, die auf mysteriöse Weise trotzdem eine Eins auf ihrem Zeugnis hat. Claudia mit den reichen Eltern, die den Mathelehrer bestechen. Claudia, die du heute öffentlich blamiert hast.«

Pierres Gesicht verzog sich verächtlich. »Ich habe nur bewiesen, dass sie die Aufgabe nicht selbst gemacht hat. Wenn sie zu blöd ist, sich den abgeschriebenen Scheiß auch anzugucken, ist das ihre eigene Schuld.«

»Aber wieso? Warum hast du das getan?« In Alans Augen standen Tränen.

»Mir war langweilig.«

»Claudia«, fuhr Lydia fort, genervt, dass Pierre sie unterbrochen hatte, »ist Caspars Freundin.«

Pierre sah über die Schulter. »Außerdem steht sie hinter uns.«

Alan und Lydia drehten sich um. Am Ende des Flurs lehnte Claudia. Das Handy ans Ohr gepresst, starrte sie zu ihnen herüber. Der Blick, den sie den Dreien durch ihre blonden Locken zuwarf, war giftgetränkt. Pierre lächelte falsch und winkte ihr zu. Claudias Miene verfinsterte sich weiter.

»Scheiße«, sagte Alan. »Wenn sie gerade mit Caspar redet, weiß er, wo du bist.«

»Und was ist das Problem mit diesem Caspar? Wenn er mit ihr zusammen ist, kann er nichts Besonderes sein.« Er deutete mit dem Kopf auf Claudia. Ein Haifischlächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

»Hey, Arschgesicht! Bist du Pierre?«

Caspars Äuglein funkelten unter seiner Glatze. Sein Nacken sprengte fast den Kragen des rotgoldenen St. Buenaventure-Trikots. Die beiden Jungs links und rechts von ihm trugen ebenfalls Fußballuniformen. Die Erde bebte, als Caspar und seine Freunde auf Pierre zustampften.

Pierre kniff die Augen zusammen. Er war selbst nicht mickrig, überragte sogar die meisten anderen. Aber Caspar war mindestens einen halben Kopf größer. Und doppelt so breit. Wie baute man beim Fußball derartige Armmuskeln auf? Und wo waren plötzlich die ganzen Bonzenkinder? Der Flur war wie leergefegt.

»Meine Süße sagt, du hast sie beleidigt. Stimmt das?«, grollte Caspar.

»Petze.« Pierre sah Claudia an.

»Was?« Claudias Augen wurden zu Schlitzen. »Caspi, erledige ihn bitte.«

»Ich mach dich fertig, du Mädchen.« Caspars Stimme hallte durch den Gang. Er beschleunigte. »Da!«

Mit einem Satz war er bei Pierre und rammte ihm seine Faust in den Magen. Pierre flog nach hinten. Sein Körper prallte gegen die Wand. Er wollte sich wegducken, aber Caspar hatte ihn schon vorne am Shirt gepackt. Der nächste Schlag trieb die Luft aus Pierres Lungen. Es tat verdammt weh. Schemenhaft sah er Caspars Faust auf sein Gesicht zuschnellen. Reflexartig riss Pierre die Arme hoch, erwischte Caspar am Handgelenk und der Hieb ging daneben. Der Fußballer heulte wütend auf, als seine Faust in den Beton neben Pierres Kopf donnerte. Und dann noch einmal, als Pierre ihm mit Wucht auf den Fuß trat. Caspar humpelte fluchend zurück.

Pierre grinste. Endlich hatte er den Platz, den er brauchte. Mit zwei raschen Schlägen bearbeitete er Caspars Kinn. Es war butterweich. Pierre ballte die Fäuste und wartete auf einen neuen Angriff. Aber Caspar grunzte nur verwundert und fiel um wie ein Baum.

Der Aufprall hallte durch den Flur. Ängstliche Gesichter lugten um die Ecken. Natürlich waren Caspars Mannschaftskameraden sofort zur Stelle und griffen an. Pierre trat dem Ersten in den Magen und boxte dem Zweiten aufs Brustbein, bevor sie auch nur einen Treffer landen konnten. Benommen sahen sie ihm nach, als er, flankiert von Lydia und Alan, den Gang hinunterging und verschwand.

 

Als Caspar eine Viertelstunde später wieder zu sich kam, lag er im Krankenzimmer der Schule. Claudia thronte auf einem Stuhl neben seinem Bett.

»Hat … hat er …« Caspars Stimme war so spröde, wie sein Kopf sich anfühlte.

»Ja, er hat dich total fertiggemacht«, sagte Claudia in ihrer nörgeligsten Tonlage. »Vielen Dank für die Blamage.«

»Dieser asoziale Abschaum! Warum haben die so einen an die Schule gelassen?« Das kam vom Nebenbett, auf dem die Schulkrankenschwester gerade Bernard verband.

»Weil er ein Klugscheißer ist. Und ein Angeber. Und der Rektor glaubt, dass er superschlau ist.« Caspars Wut war zurückgekehrt.

»Ja toll, und was machst du jetzt? Wollt ihr mit dem ganzen Verein über ihn herfallen?« Claudia warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

»Nein, wir haben schließlich Ehre.« Caspar legte eine dramatische Pause ein. »Boris übernimmt ihn.«

Das zauberte ein Lächeln auf die Gesichter der anderen. Claudia sprach zuerst aus, was alle dachten.

»Das kommt doch aufs Gleiche raus.«

 

Die Nacht brach herein und vor der Villa von Alans Eltern gingen die Lichter an. Sie erhellten den Park und funkelten auf dem Wasser des Weihers. Alles war friedlich. Bis auf das Gartenhaus, in dem Pierre und Alan mit ihrer Band »Le Brot« probten. Einige Enten schraken auf, als Mikes Gitarre erklang und spätestens bei Pierres Gesangseinlage entschlossen sie sich zu fliehen. Pierres Stimme war sehr gefühlvoll. Am besten drückte sie die Gefühle Hass und Verachtung aus.

Mike war ein muskulöser Typ mit leicht fettenden Haaren und einer kurzen Zündschnur. Pierre kannte ihn aus seiner alten Schule. Er hätte ihn nicht als Freund bezeichnet (sondern als Trottel). Aber sie waren vor zwei Jahren aus derselben Band geflogen und hatten beschlossen, eine bessere zu gründen. Mikes Freundin Michelle spielte Schlagzeug. Meist überließ sie ihm das Reden. Man sah dem zierlichen Mädchen mit den sanften Augen kein bisschen an, was für einen Lärm sie mit ihrem Instrument produzieren konnte. Alan passte nicht so richtig zu ihnen, aber da er passabel Bass spielte, wurde er akzeptiert. Wie immer gab es, kaum dass sie angefangen hatten, Ärger.

»Gut genug, gut genug. Das reicht dicke. Wir sollten noch was Anderes machen«, verkündete Mike und rieb sich die Hände.

»Was denn?« Alan klang misstrauisch.

»Ich habe einen Song geschrieben. Hört euch das mal an.« Mike kramte einen Zettel aus seiner linken Hosentasche und begann, abzulesen.

»Gestern war es wie immer.

Aber heute ist es total anders.

Weil, du bist nicht mehr da.

Wo bist du, Bitch?

Bei ihm?

Dabei war ich doch so gut zu dir.«

Er stemmte die Hände in die Hüften und sah in die Runde.

»Langweilig!«, rief Pierre.

»Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass wir keine Lovesongs spielen.« Alans Tonfall war beschwichtigend.

»Geeinigt?«, fuhr Mike ihn an. »Das hat Pierre so bestimmt. Wir anderen hatten ja nichts zu melden! Wie immer!« Er wirbelte herum und fixierte Michelle. »Was hältst du von meinem Song? Du kannst entscheiden, ob wir ihn spielen. Schließlich hab ich ihn für dich geschrieben.«

Erwartungsvoll sah er seine Freundin an. Sie warf Pierre einen nervösen Seitenblick zu und murmelte: »Also, ich find’s nett, aber wenn Pierre nicht will …«

Eine pochende Ader erschien auf Mikes Schläfe.

»Ach ja, wenn Pierre nicht will! Dann natürlich nicht! Wär ja auch was, wenn es einmal nicht nach Pierres Schnauze geht! Wieso nennen wir uns nicht gleich »Pierres Band«?«

»Fänd ich super.« Pierre legte den Kopf schief.

Mike schrie frustriert auf und warf den Zettel zu Boden. Dann stiefelte er davon, die Tür des Gartenhauses hinter sich zuknallend. Alan guckte hoffnungsvoll zu Michelle herüber. Die bewegte sich aber nicht. Mit gesenktem Blick inspizierte sie ihre Fingernägel. Alan seufzte.

»Nächstes Mal geht aber einer von euch«, murrte er, dann lief er hinter Mike her. Wie jedes Mal. Die Tür schloss sich hinter ihm und Michelle blickte Pierre scheu an.

»Er meint es nicht so«, sagte sie.

»Ich weiß«, antwortete Pierre. Er schlenderte zu ihr und nahm neben ihr auf dem Boden Platz. Michelle atmete scharf ein, als sich ihre Oberarme berührten. Sie nagte an ihrer Unterlippe. Pierre nahm einen Zipfel ihres Rocks zwischen die Finger.

»Nettes Muster«, sagte er.

»Bitte …« Sie griff nach seiner Hand und schob sie weg.

»Bitte was?« Er lächelte.

»Ich bin mit Mike zusammen.«

»Das macht nichts«, murmelte er in ihr Ohr. Ihre Wangen röteten sich. Er konnte die Gänsehaut auf ihren nackten Beinen erkennen. Sacht legte er seine Finger auf ihren Oberschenkel. Michelle spürte wohl ihren Widerstand bröckeln und startete einen letzten, verzweifelten Versuch.

»Sie kommen gleich zurück. Sie werden uns sehen.«

»Keine Angst,« Pierre spürte, wie sie unter seiner Hand feucht wurde, »Ich beeile mich.«

 

Als Alan mit dem beruhigten Mike zurückkam, schraubte Pierre in einer Ecke an seinem Mikro herum. Michelle saß am anderen Ende des Raums am Schlagzeug. Ihre Wangen leuchteten immer noch.

2. Boris

 

Der Vormittag verlief ereignislos. In der dritten Stunde flog Pierre aus dem Unterricht, obwohl er seinen Lehrer in perfektem Französisch beleidigt hatte. Später prügelte er sich mit zwei Jungs aus dem Basketballverein. Er kam ohne blaue Flecken davon. Als die Pausenglocke endlich klingelte, musste er ein Gähnen unterdrücken. Die Sonne hing bereits tief am Himmel. Die Rotbuchen leuchteten. Ihre Blätter rauschten im Wind, als Pierre und Alan zum Parkplatz gingen. Alan räusperte sich.

»Soll ich dich ein Stück mitnehmen? Ich fahre in die Stadt.«

»Ne, passt schon.« Pierre blinzelte ins Licht. »Ich dachte, du triffst Lydia.«

»Na ja, nicht so richtig. Ihre Eltern treffen meine Eltern. Und wir sind halt dabei.« Alan guckte ein wenig traurig. »Sie würde sich nie mit mir allein treffen.«

»Wieso denn nicht?« Pierre wandte den Kopf, als etwas seine Aufmerksamkeit erregte. Zehn Meter vor ihnen lehnte Caspar an Alans Auto. Und um ihn herum standen alle zwanzig Mitglieder des Fußballclubs, jeder mit dem gleichen schadenfrohen Grinsen im Gesicht. Pierre streckte sich ausführlich, dann gähnte er.

»Okay, kommt her.« Er lächelte. »Aber wenn ihr verloren habt, will ich keinen heulen sehen.«

Das Grinsen verließ ihre Gesichter. Als Pierre auf sie zuging, verschwanden alle hinter Caspar. Pierre war schon fast bei ihnen angekommen, als jemand vor die Fußballer trat. Die Sonne verdunkelte sich. Vor Pierre stand der größte Junge, den er je gesehen hatte. Zwei Meter hoch und mit noch breiteren Schultern als Caspar. Er hatte schwarze Haare, einen Gesichtsausdruck wie eine heranziehende Gewitterfront und trug die Uniform des Fußballclubs. Dieser Gigant wandte sich zu Caspar um.

»Ist er das?«, donnerte er. Ach nein, es wirkte nur wie ein Donnern. In Wahrheit sprach er ganz normal. Seine Stimme war so tief, dass jedes Wort wie eine Drohung klang.

Caspar nickte eifrig. »Ja, das ist er. Mach ihn fertig.«

»Ah, du hast also Angst vor mir und schickst deinen Lover vor.« Pierre schüttelte missbilligend den Kopf. »Mutig.«

»Mach ihn fertig!« Caspars Tonfall wurde schriller. Der Rest des Fußballclubs fing ebenfalls an, den Großen anzufeuern.

»Stopf ihm das Maul, Boris!«

»Tret ihm in die Eier!«

Pierre lächelte abschätzig. »Versuch’s ruhig, Boris.«

Boris antwortete nicht, er wartete. Seine Miene zeigte keinerlei Regung. Pierre war unbeeindruckt. Gegen größere Gegner zu kämpfen war nichts Neues für ihn. Der Schlüssel zum Sieg war Tempo. Diese Brocken waren immer langsam. Ohne Warnung stürmte er auf Boris zu.

Die Faust des Großen erwischte ihn kalt, viel zu schnell und genau am Kinn. In einer Sekunde raste Pierre noch nach vorn, in der nächsten explodierte das Universum hinter seinen Augen. Der Schlag schleuderte ihn rückwärts. Als er auf den Kiesboden knallte, setzte der Schmerz ein. Er versuchte sofort, sich aufzurichten, war aber wie gelähmt. Das Johlen des Fußballclubs klang in seinen Ohren, als wären sie unter Wasser. Erst jetzt bemerkte Pierre die kleine Menschenmenge, die sich auf dem Parkplatz gebildet hatte. Die Schüler drehten sich und verschwammen vor seinen Augen.

Alans besorgtes Gesicht tauchte über ihm auf. Pierre wandte den Kopf. Caspar sah mit ehrfurchtsvollem Blick zu Boris.

»Boris! Guter Schlag, Mann!« entfuhr es seinen Lippen, in einem Ton, der sonst nur zwölfjährige Mädchen benutzten, die von ihren Lieblingsstars redeten. Boris nickte ungerührt und sprach zur ganzen Mannschaft, die ihn bewundernd anstarrte.

»Das Training fängt an. Abmarsch!«

Pierre quälte sich hoch.

»Moment mal, Boris. Wir sind noch nicht fertig!« Er straffte sich und ballte die Fäuste. Ein Flüstern ging durch die Menge. Boris’ Gesicht zeigte einen Hauch von Verwunderung. Dann glitt es in seinen ursprünglichen Zustand zurück. Er zuckte mit den Achseln.

»Wenn du meinst.«

 

»Au …« Pierre quälte sich vom Bett der Krankenstation hoch.

Wie jeder Raum der Schule war sie hell und blitzsauber. So makellos, dass alle Schürfwunden, Beulen und blauen Flecken auffielen wie Kratzer im Lack eines Porsche. Pierre hatte eine Menge davon, wie er feststellte. Sein Gesicht brannte.

Alan reichte ihm ein Kühlkissen und Pierre drückte es vorsichtig an sein pochendes Kinn. Die Kälte half. Pierre schloss die Augen und ballte seine Hand zur Faust. So eine Scheiße. Er hatte nicht einen Schlag landen können. Nicht einen. Und alle hatten zugeschaut.

Pierre sprang auf und trat gegen die Liege, einmal, zweimal, bis die Metallstangen sich bogen. Alan setzte gerade an, etwas zu sagen, als die Tür aufflog und Lydia hereinsprang. Als sie Pierre sah, prustete sie los.

»Es stimmt also! Boris hat dich verprügelt! Das ist so groß!«

Ihre Schadenfreude gab Pierre den Rest. Er stürmte auf die Tür zu. Alan holte ihn ein.

»Was tust du?« Er schnappte sich Pierres Arm und hielt ihn fest.

»Was wohl? Ich finde dieses Arschloch und prügel die Scheiße aus ihm raus.«

»Bist du verrückt? Du hast es eben auch nicht geschafft; wie willst du ihn jetzt besiegen?« Alans Augen waren riesig.

»Vergiss es«, rief Lydia fröhlich. »Boris ist viel stärker als du.«

»Ist er nicht!« Pierre blieb stehen. »Moment mal. Du kennst diesen Boris?«

Alan und Lydia sahen ihn an. Sie kniffen die Augen zusammen, so, als wären sie nicht sicher, ob er einen Witz machte.

»Du kennst ihn auch.« Alan ließ Pierres Arm los. »Er ist in deinem Englischkurs. Ist er dir nie aufgefallen?«

»Das kann nicht sein. Dieses Zweimetervieh hätte ich gesehen.«

»Tja, du bist halt zu egozentrisch.« Lydia grinste wieder.

»Außerdem schläft er meistens.« Alan kratzte sich am Hinterkopf. »Echt jetzt? Du hast ihn nicht bemerkt?«

Pierre legte den Kopf schief. Eine schwammige Erinnerung tauchte auf. Da war ein Typ mit dunklen Haaren in der Reihe neben ihm, der tatsächlich immer schlief. Oder? Sein Blick verfinsterte sich. »Egal. Der Wichser stirbt.«

Alan sprang ihm in den Weg. »Lass ihn in Ruhe. Ehrlich. Du willst Boris Andersen nicht zum Feind haben.«

Lydia nickte. »Alan hat Recht. Er ist dir über. Und du kennst seine Familie nicht.«

»Was ist mit seiner Familie?«, fragte Pierre.

»Hast du noch nicht von den Andersens gehört? Sie haben die neue Sporthalle gestiftet«, sagte Alan.

»Und die Renovierung der Mensa.« fiel Lydia ein.

»Und die halbe Bibliothek.«

»Sie haben also Geld. Na und?« Pierre schnaubte. »Wer hat das nicht an dieser beschissenen Bonzenschule?«

»Sie haben nicht nur Geld.« Eine Falte erschien auf Alans Stirn. »Sie haben Macht. Man geht ihnen besser aus dem Weg. Jeder hier weiß das und du solltest dich auch daran halten.«

»Ich habe keine Angst vor ihm.« Pierre verschränkte die Arme.

 

Trotzdem fuhr er nach Hause. Als Pierre aus dem Bus sprang, war die Sonne bereits untergegangen. Er trottete durch die grauen Häuserschluchten und bemerkte kaum, dass die Straßenlaternen angingen. Ihr Licht flackerte trübe, als Pierre gegen jede Glasflasche und jedes verschrottete Sofa trat, das ihm vor die Füße kam.

Das Schloss seiner Haustür war schon lange kaputt. Man musste sich nur im richtigen Winkel dagegen werfen und stand im Flur. Das Licht war ebenfalls hinüber. Pierre schleppte sich im Dunkeln fünf Stockwerke hoch, bis er endlich vor seiner Wohnungstür stand. Er holte kurz Luft, bereitete sich darauf vor, gleich seiner Mutter zu begegnen und drehte den Schlüssel um. Aber sie war nicht da.

Nur der schale Zigarettengeruch erinnerte an sie. Pierre atmete aus. Es war kalt. Er schlurfte in die Küche und suchte etwas zu essen. Der Kühlschrank war leer bis auf eine Scheibe Toastbrot.

Sie lebten seit fast zwei Jahren in diesem Drecksloch. Es war nicht schlechter als ihre früheren Wohnungen. Nur einmal hatte es ausgesehen, als würde ihr Glück sich wenden. Aber daran wollte er jetzt nicht denken. Lieber an den Arschtritt, den er Boris morgen verpassen würde. Pierre seufzte. Nein, würde er nicht. Lydia hatte Recht damit, dass Boris zu stark für ihn war. Er musste sich anders rächen. Boris bloßstellen. Seine Freundin knallen. Hatte Boris eine Freundin? Okay, als Erstes musste Pierre sich gründlich über ihn informieren.

Pierre steckte den Kopf in das Zimmer seiner Mutter. Sie war tatsächlich weg. Er wühlte sich durch ihre schmutzige Bettwäsche, bis er ihren Laptop und eine halb volle Packung Zigaretten fand. Immerhin. Mit seiner Beute setzte er sich auf das Sofa im Wohnzimmer. Er zündete sich eine Zigarette an, und als der Rauch seine Lunge füllte, wurde ihm ein wenig wärmer. Der Rechner brauchte ewig, um hochzufahren. Pierre war bei seiner zweiten Zigarette, als er endlich anfangen konnte.

Wie hieß das Arschloch? Er tippte »Boris Andersen« ein und wartete erneut. Viel gab es nicht. Ein offizielles Foto des Fußballclubs, auf dem Boris schlecht gelaunt neben Caspar stand. Der nächste Link führte zu einem Spielbericht.

»Bader kommt nach einer verlängerten Ecke am zweiten Pfosten zum Abschluss, aber Andersen hält überragend«, las Pierre laut vor. »Ohne den Ausnahmetorwart wäre die Mannschaft von St. Buenaventure nur Mittelklasse.« Er grunzte verächtlich.

Auf Facebook war Boris anscheinend nicht, was Pierre nicht überraschte. Der wirkte so sozial wie ein Stück Torf.

Dann fand Pierre die Website der Reederei Andersen International. Andersen International hatte 107.000 Mitarbeiter in 87 Ländern, 1720 Containerschiffe und hatte seinen CO2-Ausstoß in den letzten sieben Jahren um 12 Prozent reduziert. Der Geschäftsführer hieß Gregor Andersen. Er sah aus wie Boris, nur 30 Jahre älter. Pierre betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. Der Mann machte einen bedrohlichen Eindruck. Die Zornesfalten zwischen seinen mächtigen Brauen wirkten wie Gebirge und seine breiten Schultern sprengten fast den teuren Anzug. Es gab mehr Fotos von ihm als von seinem Sohn. Eins fand Pierre auf der Liste der 100 reichsten Deutschen. Er drückte seine Zigarette aus.

»Egal. Ich mach’s trotzdem«, sagte er in Richtung des Bildschirms. Was immer »es« auch sein würde.

3. Mein neuer Feind

 

Die Feuerwehr fuhr mit laut aufgedrehten Sirenen an seinem Fenster vorbei und Pierre wachte auf. Verschlafen rieb er seinen Hinterkopf. Er glaubte, etwas Wichtiges geträumt zu haben, aber die Erinnerung war geflüchtet, sobald er die Augen aufgeschlagen hatte. Mürrisch warf er einen Blick in den Raum. Das Wohnzimmer sah mit jedem Tag schlimmer aus. Graue Staubschichten klebten auf dem fettigen Tisch, Kleider lagen überall verstreut und neben der Tür zum Flur stapelten sich die Mülltüten. Auf dem Weg zur Küche warf er einen Blick ins Zimmer seiner Mutter. Ihr Bett war leer.

Als er kurz darauf in den Bus stieg, hatte Pierre nichts als einen Kaffee im Magen.

Kein Wunder, dass ich so schmächtig bin, dachte er. So musste mich ein Typ wie Boris ja fertigmachen. Aber das kriegt er zurück.

Zum ersten Mal freute Pierre sich, zumindest ein bisschen, auf St. Buenaventure. Während der Bus über Schlaglöcher holperte, grinste er vor sich hin.

In der Schule trug er dieselbe gelangweilte Miene zur Schau wie jeden Tag. Vor allem in dem Englischkurs, den er mit Boris zusammen hatte. Boris war tatsächlich der Typ am Nebentisch. Die gesamte Doppelstunde lag der Torwart da, den Kopf auf den Armen, und pennte. Das gab Pierre die Zeit, ihn ausgiebig zu betrachten. Boris trug sein Fußballtrikot, genau wie gestern. Er wirkte selbst schlafend so gefährlich, dass sich niemand traute, ihn zu wecken.

 

In der Pause traf Pierre Alan und Lydia in der Cafeteria. Der Raum war vor Kurzem neu eingerichtet worden, mit dunklen, gemütlichen Holztischen und Bildern mit Goldrahmen an den Wänden. Das warme Licht, das durch die Barockfenster fiel und Muster auf den Teppich zeichnete, bot einen hübschen Kontrast zu Pierres Gesichtsausdruck.

»Sagt mir alles, was ihr über ihn wisst.«

»Über wen?«, fragte Lydia unschuldig.

Pierre sah sie kühl an. »Alan?«

»Hm, ja, ich war mit Boris in der Grundschule. In derselben Klasse.«

Pierre und Lydia hoben die Augenbrauen.

»Aber wir haben nicht so viel zusammen gespielt. Meistens war er mit den Älteren unterwegs. Er war damals schon riesig. Auf das letzte Klassenfoto hat er nicht gepasst. Sein Kopf ist oben halb abgeschnitten. Die Kindergärtnerin war ganz verzweifelt, als sie das gesehen hat.« Alan kratzte an seinem Nasenflügel. »Ach ja, und sein Bruder war mal kurz mit meiner Cousine zusammen.«

Pierre und Lydia schauten gespannt auf.

»Aber nur einen Monat oder so. Das ist lange her«

Sie sanken zurück in ihre Stühle. Pierre legte den Kopf schief.

»Boris hat einen Bruder?«

Alan schüttelte den Kopf. »Zwei Brüder.«

»Lass mich raten: Iwan und Sergej?«

»Nein, äh, Juri und Wladimir.«

»Gehören sie zur Russenmafia?« Pierres Zeigefinger trommelte auf die Tischplatte. Wurde es jetzt endlich interessant?

»Das würde mich nicht wundern. Aber eigentlich ist nur ihre Mutter Russin, oder?«, fragte Alan Lydia. Die zuckte mit den Schultern und betrachtete ihre Fingernägel. Pierre griff nach seinem Rucksack.

»Okay. Mal sehen, was in seiner Schulakte steht.« Er zog einen prall gefüllten Ordner hervor.

»Du hast seine Akte geklaut?«, flüsterte Alan. »Bist du irre?«

»Ich geb sie ja zurück.« Pierre blätterte durch die Seiten. »Also … bei den Noten sieht’s schlecht aus. Da wird sein Vater ordentlich nachgeholfen haben, damit er in die nächste Klasse kommt. Mitgliedschaft im Fußballclub, mehrere Ermahnungen wegen Schlägereien auf dem Schulgelände, meist in Begleitung seines Freundes Caspar. Aber nicht genug, um ihn rauszuwerfen.« Pierre klappte den Ordner zu und legte die Füße auf den Tisch. »Das bringt uns nicht weiter.«

»Uns? Mir ist der Typ scheißegal«, murrte Lydia. »Nur weil du einmal im Leben was aufs Maul kriegst, benimmst du dich wie ein Kleinkind.«

Pierre ignorierte sie. »Was ist mit Mädchen? Hat er eine Freundin?«

»Ich glaube nicht. Hat er eine?«, fragte Alan Lydia.

»Nein, davon hätte ich gehört. War er überhaupt mal mit einer zusammen?«

Die beiden überlegten kurz. Alan kratzte sich am Kinn.

»Nicht, dass ich wüsste. Er hängt immer nur mit den Fußballern rum.«

»Dabei sieht er doch ziemlich gut aus«, sagte Lydia. »Und ist reich. Selbst für Buenaventure«,

»Findest du echt, dass er gut aussieht?«, fragte Alan mürrisch.

»Moment!« Lydia schenkte ihm keine Beachtung. »Allegra war mal in ihn verliebt. In der Zehnten. Aber als sie ihn gefragt hat, meinte er, er hätte keine Zeit für Mädchen.«

»Was, Allegra? Und er hat Nein gesagt? Was ist sein Problem?«

Pierre konnte Alans Entsetzen verstehen. Allegra war die Schulschönheit. Sie hatte Kupferhaare, einen Kirschmund und den vermutlich wohlgeformtesten Arsch der Stadt. Unvorstellbar, dass ein Mann sie nicht wollte. Es sei denn …

»Das ist es!«

Die anderen fuhren zu Pierre herum. »Was?«

»Versteht ihr nicht?« Ein diabolisches Grinsen machte sich auf Pierres Gesicht breit. »Keine Freundin, kein Interesse an Mädchen. Unser Freund Boris ist schwul.«

»Was, der?« Lydia klang fasziniert.

»Nanana, ich würde keine übereilten Schlüsse ziehen«, sagte Alan. »Immerhin ist er im Fußballclub und es gibt keine schwulen Fußballspieler.«

»Ich werd’s euch beweisen. Und dann werde ich ihn vor der ganzen Schule outen.«

»Pierre,« versuchte Alan es wieder. »Du verrennst dich da in was. Wo willst du hin?«

»Ich muss ein Eis kaufen. Englisch geht gleich weiter.«

»Was?«

 

Kaum hatte der Unterricht wieder angefangen, hing Boris auf seinem Pult und schlief. Pierre musste ihm erst ein benutztes Taschentuch und einen Radiergummi an den Kopf werfen, damit er aufwachte. Boris blinzelte und drehte sich um. Pierre zwinkerte ihm zu. Dann ließ er sein Shirt über eine Schulter rutschen und begann mit halb geschlossenen Augen, an seinem Eis zu lecken. Pierre stülpte seine Lippen darüber, nahm es tief in den Mund und zog es langsam wieder heraus.

Boris guckte entsetzt und wandte den Blick ab.

Pierre sank zurück in seinen Sitz. Enttäuschend. Aber er weigerte sich, aufzugeben. Vielleicht war Boris nur schüchtern. Oder dumm. Und sollte er tatsächlich nicht schwul sein, gab es bereits einen Plan B. Der Sportunterricht war perfekt dafür.

Als Pierre die Umkleide betrat, schlugen ihm Gelächter und Dampfschwaden entgegen. Durch die stickigen Wolken sah er sich um. Sportler mit Grasflecken an den Knien brüllten sich Schweinereien zu. Anscheinend war das Fußballtraining gerade beendet. Von der Decke tropfte Wasser auf Pierres Schulter, als er über die nassen Fliesen schlich.

Endlich entdeckte er Boris. Glücklicherweise war der völlig nackt. Und sah in die andere Richtung. Während er sich abtrocknete, holte Pierre unauffällig sein Handy hervor, gerade genug, um ein Foto zu schießen, dann ließ er es wieder in seine Tasche gleiten. Seine Mundwinkel kräuselten sich. Plan B war schon zur Hälfte durchgeführt. Allerdings war Plan B weder elegant noch originell. Boris zu outen hatte viel mehr Potential. Also schlenderte Pierre zu ihm rüber, als Boris sich gerade die Schuhe anzog. Als Pierre sich neben ihn auf die Bank setzte, sah er auf.

»Was willst du?«, grollte er.

»Boris«, Pierre sah ihm tief in die Augen, »was glaubst du? Von einem hübschen Kerl wie dir kann ich doch nur eins wollen.« Mit diesen Worten legte er die Hand auf Boris’ Knie und wanderte damit langsam aufwärts. Er kam nicht weit.

 

Pierre landete im Kies vor der Umkleide, schlug mit dem Rücken auf und blieb erst mal so liegen. Die Tür, durch die Boris ihn geworfen hatte, schwang hin und her. Als Pierre aufblickte, sah er Lydia über sich stehen. Ihr Gesichtsausdruck war verwundert, der Slip unter ihrem kurzen Rock schwarz mit roten Punkten. Sie beugte sich zu ihm herunter.

»Was ist passiert?«

»Eh … Boris hat mich aus der Umkleide geschmissen, weil ich seinen Oberschenkel gestreichelt habe?« Er richtete sich mühsam auf.

»Heißt das, er ist nicht schwul?«

»Hm.« Pierre zögerte. Er gab ungern Niederlagen zu. Das musste er auch selten. »Nein, wahrscheinlich nicht. Oder er tarnt sich sehr gut. Ist ja egal, es gibt tausend andere Wege, ihn fertigzumachen.«

»Gut, aber kannst du das auf morgen verschieben?« Sie lächelte. »Meine Eltern sind heute beide auf Geschäftsreise und ich bin ganz allein.« Ihre Augen blitzten, als sie ihn durch ihre Ponyfransen hindurch anguckte. Pierre grinste. Sie drehte sich um und stolzierte geschmeidig los. Pierre wollte ihr gerade folgen, als sein Handy klingelte.

»Ja?

---ENDE DER LESEPROBE---