Noch einmal ist alles offen - Cornelia Coenen-Marx - E-Book

Noch einmal ist alles offen E-Book

Cornelia Coenen-Marx

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Beschreibung

Nicht müssen - alles können

Wir haben in den letzten hundert Jahren 10 gesunde Jahre im Alter dazu gewonnen. Diese Jahre mit Freizeitgestaltung zu verbringen, ist für viele Ältere und auch gesellschaftspolitisch fragwürdig. Denn genau hier, bei den Menschen in der ‚Dritten Lebensphase‘, schlummern enorme zivilgesellschaftliche Potenziale. Das lustvolle Entdecken und Leben dieser Potenziale ist für die Autorin nicht möglich ohne spirituelle Motivation und fest im Kontext theologischen Nachdenkens verankert.

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Seitenzahl: 248

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Über dieses Buch

Ich bin so frei

»Wenn sich das, was wir in der ersten Karriere aufgebaut haben, anfühlt, als seien wir rausgewachsen, wird es Zeit, sich an die alten Träume zu erinnern, neuen Träumen Raum zu geben und neuen Sinn zu entdecken.«

Cornelia Coenen-Marx, evangelische Theologin, geboren 1952, war Gründungs-Mitherausgeberin des Magazins »Chrismon«. Sie war im Beirat des Deutschen Freiwilligensurveys sowie in der Jury des Deutschen Engagementpreises und arbeitet u.a. zur Zeit mit dem Institut für Gerontologie in Heidelberg an einem Projekt zum Thema »Hochaltrige und ihre Kirche«. Sie ist Buchautorin und gefragte Vortragsrednerin.

www.seele-und-sorge.de

Gesunde 70-Jährige sind heute kaum weniger leistungsfähig als gesunde 55-Jährige. Das hat Konsequenzen. Wenn wir heute in den Ruhestand gehen, ist das ein wahrer Neuanfang. Von vielem befreit und viel wissend entdecken wir neu, wer wir sein und wie wir leben möchten. Es ist tatsächlich noch einmal alles offen.

Dieses Buch ist ein mitreißender Begleiter auf dem Weg in diese neue Offenheit: ermutigend, lustvoll, aufklärend, augenzwinkernd, sanft poetisch und spirituell anregend.

Cornelia Coenen-Marx

NOCH EINMAL IST ALLES OFFEN

Das Geschenk des Älterwerdens

Kösel

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Aufrichtigkeit ist, wenn man von sich selbst überrascht ist.

Nadine Gordimer

Copyright © 2017 Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlag: Weiss Werkstatt München

Umschlagmotiv: © plainpicture/Rudi Sebastien

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-20757-1V001www.koesel.de

Ich wünsche diesem sehr schönen Buch eine breite Leserschaft. Es wird vielen Leserinnen und Lesern wertvolle spirituelle und psychologische Impulse geben. Doch nicht nur das. Nein, es wird auch unserer Gesellschaft Anstöße geben, Alter neu zu denken.

Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Kruse

Für Michael, der mein Leben teilt – seit vier Jahrzehnten und hoffentlich noch lange.

Cornelia Coenen-Marx

Inhalt

Wesentlich werden – Einleitung

Das Leben neu entdecken

Arbeit neu gestalten – auf dem Weg zur Tätigkeitsgesellschaft

Freiheit neu entdecken – vergessenen Träumen nachgehen

Rollen neu erfinden – Gender- und Generationenfragen

Selbstständigkeit neu definieren – Selbstsorge und Fürsorge im Alter

Netzwerke knüpfen, flicken und pflegen

Begegnungen im Grenzgebiet

Die Freiheit nehm ich mir. Zeit zum Abschiednehmen

An der Schwelle: Krankheit als Initiation

Noch bist du da

Zugehörigkeit gestalten – wo immer wir leben

Netzwerk der Generationen – Großmütter, Familien und Gemeinden

Sorgende Gemeinschaft: Engagement macht stark

Pflege neu denken – Institutionen politisch verändern

Was wir sein können und zu geben haben

»Die Ältesten« in der Rolle des Libero

Dankbarkeit üben: Abschied nehmen und das Glück entdecken

Sichten, teilen, spenden – vom Umgang mit dem Erbe

Dem Göttlichen auf der Spur – Praxis der Spiritualität

Zwischen Ruhestand und Rentnerstress: Dem Leben nachgehen

Was jetzt dran ist und wofür ich mich engagiere

Dank

Nachwort

Literatur und Quellen

Textnachweis

Wesentlich werden – Einleitung

Ist 60 die neue 40? So abwegig ist die Frage nicht, die 2016 auf einer Tagung zum Deutschen Alterssurvey diskutiert wurde. Immerhin 73 Prozent der Befragten ab 60 fühlen sich jünger, als sie es vom kalendarischen Alter her sind – nicht 20 Jahre, aber doch 5,5. Mehr als ein Drittel der 55- bis 69-Jährigen hat keine oder höchstens eine Erkrankung und noch die Hälfte der 70- bis 85-Jährigen fühlen sich trotz der einen oder anderen Krankheit funktional gesund. Das geht mir ähnlich, zudem habe ich mit Erstaunen festgestellt, dass ich noch nie auf den Gedanken gekommen bin, meine Krankheiten zu zählen. Schon ist mit Blick auf die 68er-Generation, die jetzt in Rente geht, von Power Agern die Rede. Mir gefällt der paradoxe Ausdruck »dritte Lebenshälfte« besser. Er macht deutlich, dass es – auch historisch – um etwas ganz Neues, bisher Unbekanntes geht.

»Jetzt ist die Zeit, wesentlich zu werden«, sagt meine Freundin. Sie hat gerade ihren 63. Geburtstag gefeiert. Als Geburtstagsgeschenk hat sie ein Zeitschriftenabo bekommen. Eine Frauenzeitschrift für die Frau ab 60. Das Magazin macht die Lust auf die sogenannte dritte Lebenshälfte, diese geschenkte Zeit, in der wir uns gesund genug fühlen, um noch einmal aufzubrechen. Alter und Gebrechlichkeit scheinen noch weit entfernt. Die Sixties sind interessant geworden, nicht nur für Reiseunternehmen, Architekten und Stadtplaner oder für die Mode- und Kosmetikindustrie. Sondern auch für die Gesellschaft.

Power Ager wie die Rolling-Stones, die mit ihrer Musik noch im Frühjahr 2016 bei ihrem Konzert in Havanna eine halbe Million junger Leute begeisterten, sind selbstbewusst, beweglich und voller Energie. Sie tragen soziale Initiativen und Start-up-Unternehmen. Sie machen sich auf die Reise, arbeiten im Ausland als Au pair oder Seniorenberater. Oder entdecken neue Welten im eigenen Land. Sie engagieren sich in der Flüchtlingsarbeit, lernen Menschen aus anderen Ländern und Milieus kennen oder knüpfen neue Netze in der Nachbarschaft – als »Leih-Omas«, Stadtteilmütter oder Mentoren für Schüler, in Familienzentren und Generationenhäusern. Und beinahe zufällig entstehen neue Freundschaften. »Im Alter neu werden« ist kein frommer Wunsch. Das geht wirklich.

Eine Art Geburt

Im Alter neu werden können – so hat die Evangelische Kirche in Deutschland eine Denkschrift zum Thema Altern genannt, die sie vor einigen Jahren herausgegeben hat (EKD 2010). Es geht darum, wie das Altern gelingen kann. Was ich selbst tun kann, um das Alter aktiv zu gestalten. Wer noch ein Drittel des Lebens vor sich hat, der will nicht nur über Seniorenwohnen und Pflegedienste nachdenken und sich mit Testament und Patientenverfügung auseinandersetzen, der will Energie schöpfen für eine neue, spannende und herausfordernde Lebensphase. Und diese Energie schöpfen manche aus ihrer Spiritualität. Viele denken, Religion habe vor allem mit Tod und Sterben zu tun, und schieben das Thema erst einmal weit weg. Nach dem Motto: Kirche, das ist was für alte Leute, und älter werden wir später. Mag sein, dass die Kirche selbst zu dieser Vorstellung beigetragen hat. Jetzt aber lernt sie von den jungen Alten: Das Alter ist auch eine Art Geburt.

»Kann man denn im Alter noch einmal neu geboren werden?« Diese Frage treibt Nikodemus um (Joh 3,1 dd). Er ist ein hoher jüdischer Würdenträger. Heimlich besucht er Jesus in der Nacht, weil die Frage ihm peinlich ist – und doch nicht loslässt. Und Jesus antwortet: »Ja, man kann im Alter noch einmal neu geboren werden.« Er spricht vom Neuanfang aus dem Geist Gottes. Und tatsächlich ist die Bibel voll von solchen Neuanfängen. Vielleicht kennen Sie die Geschichte von Abraham und Sara (Gen 11,29–31,19) die in hohem Alter aufbrechen in das Gelobte Land und spät noch den ersehnten Sohn zur Welt bringen, so spät, dass Sara schon allein den Gedanken an eine Schwangerschaft lächerlich findet. 127 Jahre soll sie alt geworden sein, ein legendäres Alter. Aber längst nicht mehr so unerreichbar, wie es noch vor wenigen Jahrzehnten schien. Die Zahl der über 100-Jährigen wächst rasant.

Die Geschichte von Sara ist also gar nicht so verrückt. Es gibt sie, die alternden Frauen, die im Aufbruch noch einmal jung werden. Einem Traum geht Sara nach mit ihrem Abraham. Nachts unter dem Sternenhimmel hat Gott ihm versprochen, dass sie eine neue, eine bessere Zukunft finden würden und dass ihre Nachkommen so zahlreich sein würden wie die Sterne am Himmel. Dieses Glitzern und Leuchten und Aufblitzen eines neuen Lebens – das hat Sara nie vergessen. Selbstverständlich ist es nicht, dass einer seinen Träumen folgt. Sich auf den Weg macht Schritt für Schritt. Man muss davon ausgehen, dass es Ansprüche ans eigene Leben gibt, die über den eigenen Horizont hinausgehen. Dass es ein Letztes oder Erstes, etwas Absolutes gibt, dem zu folgen sich lohnt, auch wenn es ein schwerer Weg wird wie damals Abrahams und Saras Weg durch die Wüste. Denn auf ihre bisherige Lebenserfahrung, die Kenntnis der vertrauten Landschaften und Stimmen, konnten sie sich nicht verlassen. Fremdheitserfahrungen prägten den Weg, Misstrauen und die Angst, allein gelassen zu werden, zu versagen und sich lächerlich zu machen. Sara und Abraham sind trotzdem immer weitergegangen. Sie haben dem Unwahrscheinlichen eine Chance gegeben. Sie haben Gott eine Chance gegeben.

Raum geben – Spiritualität hilft

Es ist kein Zufall, dass viele beim Start in die dritte Lebensphase eine Reise unternehmen. Auch vorher schon nutzen ja manche ein Sabbatical für eine lange Segeltour oder die Entdeckung einer unbekannten Kultur. Ein Buchhändlerpaar überlässt die Buchhandlung ihrem Mitarbeiterteam, andere vermieten ihr Haus oder stellen sogar die Möbel unter. Die Mails werden nur alle ein oder zwei Wochen gecheckt. »Wenn man sich mehr vom Leben wünscht, reicht es nicht, davon zu träumen, man muss seine Wünsche immer wieder laut aussprechen und den Mut haben, sich von ein paar Verpflichtungen zu trennen«, sagt die Buchhändlerin Renate Klaus (Donna 12/25, S. 63).

Das gilt auch für die, die ein Buch schreiben. Die sich nicht nur äußerlich, sondern vor allem innerlich auf die Reise begeben und sich die Freiheit nehmen. In der ersten Lebenshälfte geht es noch darum, ein Heim und eine Familie aufzubauen, ein sicheres Fundament für das Leben. Jetzt muss ich nicht mehr effizient sein wie im Beruf oder funktionieren wie in der Familie. Jetzt besteht die Herausforderung darin, das alles loszulassen und noch einmal frei zu werden. Wer jetzt noch einmal neu startet, will eine andere Produktivität entdecken. Ein neues Lebenstempo, eine andere Kultur, eine Kunst vielleicht, die er bisher nicht beherrscht hat. Vielleicht auch sich einsetzen, damit es anderen gut geht. Wesentlich werden – aber nicht einfach auf den bekannten Kern schrumpfen, sondern einem neuen Samen Raum zum Leben geben. Und dabei kann die Religion, kann Spiritualität helfen. Lars Tornstam, der in Schweden Untersuchungen zur Spiritualität älterer Menschen durchgeführt hat, spricht von Ego-Transzendenz oder auch von Gero-, also Alters-Transzendenz (Tornstam 2005). Er meint: Das Alter bietet die Chance, sich selbst zu überschreiten. Transzendenz hat nicht nur mit dem Jenseits zu tun; vielmehr geht es darum, sich grundsätzlich offen zu halten für ganz neue Möglichkeiten.

Dazu gehört natürlich auch die bewusste Auseinandersetzung mit meiner eigenen Begrenztheit und Endlichkeit, und zwar nicht erst am Ende des Lebens: Denn wenn ich Angst habe, mich zu verlieren, kann ich weder lieben noch Kinder in die Welt setzen noch überhaupt etwas Neues beginnen. Und am Ende auch nicht sterben. Das Thema Sterblichkeit geht also immer mit. Wer die Frage nach dem Ende einfach in die sogenannte vierte Lebensphase verschiebt, tut sich selbst nichts Gutes. Zu erkennen: Mein Leben ist endlich und sinnvoll. Mein Leben ist begrenzt und erfüllt, das lässt uns wesentlich werden. Das ist der wirkliche Gewinn des Alterns. Und das gilt am Ende auch für die vierte Lebensphase, die so genannte Hochaltrigkeit. Eine Studie der Universität Heidelberg (Kruse 2014) zeigt: Bei mehr als Dreiviertel der Befragten zwischen 80 und 99 steht die Todesnähe nicht im Vordergrund. Die meisten freuen sich, wenn sie sich noch für andere Menschen engagieren können, und sie beschäftigen sich intensiv mit den Lebenswegen der nachfolgenden Generation, der Enkel und Urenkel zum Beispiel. Unser Zukunftssinn hängt aber nicht davon ab, ob wir eigene Kinder in die Welt gebracht haben so wie Sara, die spät noch Mutter wurde. Es können auch Freunde und Wahlverwandte sein, mit denen wir uns verbunden wissen.

Abrahams und Saras Kraft zum Aufbruch war so stark, dass sie nicht zurück wollten in die alte Heimat. Als Sara starb, kaufte Abraham ihr ein Grab im neuen Land. Es war das erste eigene Stück Boden, auf das die Kinder und Enkel ihre Füße setzten. Manche Juden verstehen das Grab in Hebron noch immer als Eingang zum Paradies. Tatsächlich wurde Saras und Abrahams Traum von einem neuen Anfang Realität für viele, die nach ihnen kamen. Sarah hatte ihr Ziel erreicht. Es ist gar nicht mehr so selbstverständlich, von einem Lebensziel zu sprechen, auch wenn wir beruflich pausenlos Etappenziele formulieren. Aber als Reise verstehen viele das Leben noch immer.

Gutes erwartet uns. Auf dem Weg ins Unbekannte ist es gut, sich darauf zu verlassen und sich einfach aus der Erfahrung der Gottesnähe führen zu lassen. Wie Abraham und Sara, die sich im Alter noch einmal aufmachten, um ihrer Hoffnung zu folgen. Ohne zu wissen, wo das Gelobte Land lag. Auf ihrem Weg durch die Wüste haben sie reichlich Angst und Zweifel erlebt. Ob Sara in solchen Situationen zu den Sternen gesehen hat? Oder lieber in das Gesicht ihres Sohnes? Manches, was jetzt noch unglaublich scheint, hat vielleicht morgen schon Hand und Fuß. Wie das möglich ist, darum geht es in diesem Buch.

Das Leben neu entdecken

Arbeit neu gestalten – auf dem Weg zur Tätigkeitsgesellschaft

»Arbeitest du noch?« Als ich zum ersten Mal mit diesem Satz konfrontiert war, wurde mir bewusst, dass ich über meinen Ruhestand noch gar nicht nachgedacht hatte. Arbeit gehört für mich einfach dazu. Sie hat für mich mit Energie und Lebenslust, mit interessanten Begegnungen und neuen Entdeckungen zu tun. Immerhin: Bei der Planung meines 60. Geburtstags wurde mir klar, dass in dem neuen Jahrzehnt das Ende der Erwerbsarbeit anstand. Mehr als ein Berufswechsel, jedenfalls kein »Weiter so«! Aber nach amtlicher Rechnung lagen ja noch fünfeinhalb Jahre vor mir, und zudem war ich mir sicher, es würde sich ein neuer Rahmen finden für mein Engagement und für meine Interessen. Als Autorin vielleicht oder als Beraterin, als Selbstständige oder Ehrenamtliche. Anders kannte ich es nicht von Eltern und Großeltern, die bis zum Lebensende aktiv waren.

»Was würden Sie tun, wenn Sie kein Geld damit verdienen müssten?«, wurde ich in einem beruflichen Übergang von einer Headhunterin gefragt. Die Antwort war für mich vollkommen klar: schreiben, Reden halten, Menschen beraten. Als ich kurz nach meinem 60. Geburtstag krank wurde und länger aussetzen musste, kam mir dieser Impuls wieder in den Sinn. Und ich konnte darauf zurückgreifen. Ich muss also zugeben, dass ich auf dem Weg über die Schwelle zum neuen Jahrzehnt etwas übersehen hatte: Der Stil, in dem ich arbeitete, der Rahmen meiner Arbeit passten nicht mehr. Gerade weil ich meine Aufgaben liebte, hatte ich mich schon länger übernommen. Und gerade weil ich gern in Netzwerken arbeite, hatte ich mich zu sehr »einspannen« lassen. Auch viele Jahre Eustress bleiben nicht in den Kleidern stecken. Und der Wunsch nach »Entschleunigung«, den ich schon länger spürte, hatte offenbar auch etwas mit meinem Alter zu tun, mit diesen 60 plus.

Als ich dann aus dem EKD-Kirchenamt in die Freiberuflichkeit wechselte, holte sie mich wieder ein, die Frage, ob ich noch »arbeite«. »Oder sind Sie schon im Ruhestand?« Die Briefe, Anrufe, Mails, die ich rund um das Ausscheiden aus dem Amt bekam, haben mich bei aller Freude nachdenklich gemacht. Vom »Unruhestand« habe ich gelesen, aber auch von ganz außergewöhnlichen Projekten und alten Träumen – und auch davon, dass Zeit sei, endlich die Freiheit zu genießen. Ohne Stechuhr, Mails und Gremiensitzungen. Aber anscheinend müsse man heute ja noch im Alter aktiv bleiben, schrieben manche, warum nicht einfach lesen und Orgel spielen und das Leben feiern? Der Schritt aus dem Dienst, der Eintritt in die Rente rufen ganz offenbar die unterschiedlichsten Bilder in uns wach: von der Erwerbsarbeit, aber auch vom Alter. Eigentlich lag eine Fülle von Diskussionsbeiträgen zum Thema »Arbeit im Alter« auf meinem Schreibtisch. Dabei scheint ja erst mal alles klar und eindeutig geregelt: Wer 65 wird, oder auch erst 63, wer jedenfalls 40 Jahre erwerbstätig war, kann in den »wohlverdienten Ruhestand« gehen und die Rente genießen.

In einer Ausstellung über die sozialen Sicherungssysteme, die ich vor einiger Zeit gesehen habe, fand ich dazu Folgendes:

»Die soziale Absicherung soll bewirken, dass wir keine Angst vor dem Alter, vor Verarmung und Pflegebedürftigkeit haben müssen. Solange wir gesund und fit sind, können wir im Alter noch viel Positives erleben und auch noch viel tun; für unsere Familie, für unser Umfeld, die Gemeinschaft. Irgendwann werden wir von Gebenden zu Nehmenden. Das ist für viele nicht leicht. In einer solidarischen Gesellschaft können wir uns darauf verlassen, dass für unser Alter gesorgt ist.«

Nächstenliebe, Gallneukirchen 2015

Fast hätte ich den Ausstellungsmacherinnen geschrieben, denn es gab da einen Satz, der mich erheblich ärgerte. Der Satz hieß: »Irgendwann werden wir von Gebenden zu Nehmenden.« Aus persönlichem Erleben weiß ich genauso gut wie aus soziologischen Studien: Diese Erfahrung ist nicht dem Alter vorbehalten! Der Satz zeichnet das Bild einer Erwerbsgesellschaft, die das Geben den Starken und Fitten, eben den Erwerbsfähigen, vorbehält und das Nehmen entsprechend den Kindern, Kranken und Alten. Dabei wissen wir, dass wir auch in den mittleren Jahren nicht nur geben, sondern auch oft nehmen, das Glück, das Kinder geben, aber auch die Unterstützung, die Ältere, Eltern vielleicht oder auch andere, schenken. Und umgekehrt: Der Beitrag, den wir leisten, wenn wir älter sind, ist in Familie, Freundeskreis und Nachbarschaft oft völlig selbstverständlich, wird aber kaum thematisiert.

Nur noch Freizeit?

Ganz offenbar stimmt unser Bild vom Altern nicht mehr. Statistisch gesehen haben wir in den letzten hundert Jahren 10 gesunde Jahre dazugewonnen. Gesunde 70-Jährige sind heute kaum weniger leistungsfähig als gesunde 55-Jährige. Und drei Viertel aller Befragten ab 60 Jahren fühlen sich jünger, als sie es vom chronologischen Alter her sind und zwar im Durchschnitt 5,5 Jahre. Das hat Konsequenzen für die Gestaltung unseres persönlichen Lebens, aber auch für die Sicherungssysteme und unsere Vorstellung vom Arbeiten. Die Vorstellung, die nächsten zwanzig Jahre mit Freizeitgestaltung zu verbringen, finde ich nicht nur persönlich schwierig – sie ist auch gesellschaftspolitisch fragwürdig. Das lässt sich nicht allein mit der Rentenmathematik fassen. Aber die spielt natürlich auch eine Rolle.

Regelmäßig wird uns vorgerechnet, dass immer weniger aktive Arbeitnehmer immer mehr Rentner »finanzieren« müssen. Deswegen gibt es nicht nur in Deutschland heftige Debatten über das Renteneintrittsalter. Insbesondere von Seiten der Gewerkschaften wird immer wieder Protest gegen die Rente mit 67 eingelegt, mit dem Argument, dass kaum jemand diese Altersgrenze faktisch erreicht, sodass es sich im Ergebnis um eine Rentenkürzung handele. Das stimmt, aber vielleicht stimmt etwas nicht mit den Arbeitsplätzen, auf denen Menschen so früh aussortiert werden? Wer wahrnimmt, wie viele Ältere es genießen, weiterhin in Aufgaben eingebunden zu sein, muss sich fragen, wie unsere Arbeitswelt besser auf die unterschiedlichen Lebensabschnitte reagieren kann, statt Menschen weiterhin in starre Konzepte von Zeitstrukturen und Lebensaltern zu zwingen.

Dabei wächst für die meisten Menschen der Druck. Höhere Stückzahlen werden erwartet, mehr Kundenbesuche, wachsende Fallzahlen, mehr gefahrene Kilometer, kürzere Liegezeiten, mehr Umsätze. Das gilt für die Industrie wie für die Sozialwirtschaft. Und auch die Dauer der Tages- und Wochenarbeitszeit steigt wieder. Wir erleben eine Ausweitung der Betriebs- und Ladenöffnungszeiten bis hin zum Rund-um-die-Uhr-Betrieb in Fabriken, in Büros oder Call-Centern und natürlich auch in Krankenhäusern und Altenheimen. Und die Debatte um den arbeitsfreien Sonntag ist längst nicht ausgestanden. Die elektronische Vernetzung verkürzt die Reaktionszeiten und »just in time« wird zur Erwartungshaltung nicht nur in der Logistik, sondern auch bei Mails. Moderne Arbeitnehmer sollen flexibel, mobil und jederzeit verfügbar sein. Alle Aufgaben sollen möglichst »zeitnah« gelöst werden.

Das alles macht es älteren Arbeitnehmern nicht leicht, die Leistung zu erbringen, die von ihnen erwartet wird. Denn Mobilität und Flexibilität nehmen nun einmal mit dem Alter deutlich ab. Und auch dem Druck sind viele weniger gewachsen oder einfach nicht mehr bereit, sich dem auszusetzen. Andererseits: Noch nie in der Geschichte sind Menschen so gesund alt geworden, noch nie war die Breite der Bevölkerung so gut ausgebildet, so kompetent und selbstständig wie heute, noch nie gab es auch so viele Möglichkeiten, sich selbst zu vernetzen und gut zu organisieren. Ich hoffe auf eine Arbeitsgesellschaft, die diese Veränderungen ernst nimmt.

Erwerbsarbeit ist nicht alles

»Unser Leben währet siebzig Jahre und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig, und was daran köstlich scheint, das ist Mühe und Arbeit gewesen«, heißt es in der Bibel (Psalm 19). Im Vergleich zu der Zeit, als dieser Psalm entstand, hat sich unsere Wirklichkeit sehr geändert: Die Lebenserwartung einer gut ausgebildeten Frau beträgt inzwischen durchschnittlich 85 Jahre. Rechnet man Ausbildung und Studium bis zum 25. Lebensjahr und den Eintritt ins Rentenalter mit 63 Jahren, so bleiben insgesamt 47 Jahre erwerbsfrei. Allerdings nicht arbeitsfrei. Sie hat Kinder erzogen und ihre Hausaufgaben begleitet, sie hat den Haushalt geführt und Angehörige gepflegt, ihre Eltern, vielleicht zuletzt auch ihren Mann. Erwerbsarbeit war dabei nur eine mehr oder weniger große Episode. Und was lange Zeit nur für Frauen galt, das gilt heute auch für Männer. Ausbildungszeiten, Praktika, Arbeitslosigkeit, Erziehungszeiten und Pflegezeiten – unsere Arbeitsbiografien werden diskontinuierlicher. Das statistische Bundesamt geht heute schon davon aus, dass die Zahl der informellen Arbeitsstunden die der Erwerbsarbeitsstunden bei weitem übersteigt.

Vielleicht ist das der Grund, warum Frauen sich traditionell mit dem Renteneintritt leichter tun, während manche Ehemänner in das bekannte »Loch« fallen: Die »informellen« Arbeitsstunden in Familie, Freundschaft oder Gemeinde enden nicht mit der Erwerbsarbeit, der Alltagsrhythmus bleibt. Da stört es höchstens, wenn der eigene Mann seine Freude am Einkaufen oder Kochen entdeckt. Vor 20/30 Jahren habe ich sie als Gemeindepfarrerin noch kennen gelernt, die Ehekrisen der Paare beim Renteneintritt, der plötzlich die ganze Rollenverteilung noch einmal in Frage stellen konnte. War es richtig gewesen, dass sie beruflich zurückstreckte und sich um die Familie kümmerte, während er »mit der Firma verheiratet« war? Finanziell sicher nicht, schon gar nicht in einer so unsicheren Arbeitswelt, sagen die Jungen, weil sie sehen, dass Altersarmut vor allem Frauen trifft, trotz Ehegattensplitting, Mitversicherung und Witwenrente. Denn unsere Arbeitsgesellschaft baut darauf, dass jeder und jede Erwerbsfähige auch erwerbstätig ist. Von Hartz IV bis zur europäischen Arbeitsmarktpolitik gilt: Es kommt darauf an, arbeitsfähig zu bleiben und die eigene Arbeitskraft gut verkaufen zu können. Dafür nehmen Menschen vieles in Kauf. Nicht nur aus finanziellen Gründen. Denn Arbeit ist Selbstverwirklichung und kann Anerkennung bringen, sie verbindet uns mit anderen Menschen. Genau deshalb fürchten sich viele vor dem Verlust an sozialen Netzen und Ansehen, der noch immer mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verbunden ist. Wer von einer Teilhabe an der Arbeitswelt ausgeschlossen ist – gleich in welchem Lebensalter – erlebt das sehr oft als gravierendes Defizit.

Nicht alt, sondern anders

Arbeit tut dem Selbstbewusstsein gut, sie schenkt uns Verantwortung und lässt uns an unseren Aufgaben wachsen. Vielleicht ist das der wichtigste Grund, warum immer mehr Menschen trotz Rente weiterarbeiten. Ein zusätzliches Einkommen hilft zudem, den Lebensstandard beizubehalten. Altersarmut ist aber offenbar nicht der wichtigste Beweggrund, weiter aktiv und erwerbstätig zu sein, denn die Erwerbstätigkeit trotz Rente ist über alle Einkommensstufen verteilt. In einer Studie des Wiesbadener Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung haben immerhin 47 Prozent der Befragten angegeben, sie würden nach Erreichen des Rentenalters gern weiterarbeiten bei deutlich reduzierter Arbeitszeit. Und der Alterssurvey der Bundesregierung zeigt für 2014 bereits 11 Prozent Rentner, die erwerbstätig sind und zwar keinesfalls nur aus finanziellen Gründen. Die Zahl derer, die mit 60 aufhören wollen zu arbeiten, geht seit 1996 kontinuierlich zurück. Wie gut es Menschen tut, im Arbeitsprozess zu bleiben, zeigt Caitrin Lynchs Buch über die Nadelfabrik »Vita Needle«, das 2016 unter dem Titel Geht’s noch? Die Rentner-GmbH erschien (Lynch 2016). Vita Needle stellt seit einigen Jahren gezielt ältere Arbeitnehmer ein. Das Geschäftsmodell basiert darauf, dass der Staat die Anteile der Renten- und Krankenversicherung für die älteren Arbeitnehmer übernimmt, während das Unternehmen lediglich die anteiligen Lohnkosten nach dem Mindestlohn zahlt. Zum allgemeinen Erstaunen stellte sich heraus, dass die Produktivität des Unternehmens mit dem Alter seiner Mitarbeiter nicht fiel, sondern stieg. Die Älteren lieferten hochwertige Arbeit, hatten Spaß am Job und waren motiviert und zudem besonders loyal ihrem Arbeitgeber gegenüber. Arbeit ist für sie ganz offenbar keine Last, sondern verbunden mit dem guten Gefühl, gebraucht zu werden. Das Unternehmen achtet darauf, dass die jeweiligen Arbeitsplätze den gesundheitlichen und zeitlichen Möglichkeiten der Mitarbeitenden flexibel angepasst werden. In diesem Buch findet sich ein Interview mit Alen Lewis, einem 84-jährigen Amerikaner, der bei Vita Needle arbeitet und sich weigert, in ein Altenzentrum zu gehen. Er könnte sich anstecken, meint er. Und auf die Frage, womit denn, ist die Antwort: »Mit dem Alter.« Denn Alter, meint er, werde einem beigebracht. Ganz so, wie einem Mädchen das Puppenspielen beigebracht werde. »Man ist umgeben von alten Leuten, und so lernt man, dass man so werden wird. Das muss man aber gar nicht.« Und auf den Hinweis, dass er doch auch bei Vita Needle mit alten Leuten zusammen arbeitet, sagt er: »Die sind nicht alt, die sind anders.«

Alen Lewis hat Recht: Alter ist auch eine soziale Konstruktion, ganz ähnlich wie das Geschlecht. Dazu gehört auch die Vorstellung, wer »wohlverdient« in Rente gehe, »müsse« nun nicht mehr arbeiten. Aber nicht nur das Alter hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant verändert; auch die Altersbilder müssen sich ändern. Man könnte sagen: Das Alter veraltet! Bis in die 60er-Jahre hat man den Ruhestand ja tatsächlich als Feierabend begriffen, er war Erholung von einem aktiven Arbeitsleben. In den 70ern dann, der großen Zeit des Wohlfahrtsstaats, wurde die Rente zur Belohnung für ein aktives Leben, also mit Freizeit und Reisen. Heute aber ist die nachberufliche Phase eine Zeit, den eigenen Interessen und Motiven nachzugehen, eigene Aufgaben souverän zu gestalten. Darum ist es wichtig, rechtzeitig zu überlegen, was denn gute Arbeit ist, also Arbeit, die Spaß macht und Sinn gibt, die das Selbstbewusstsein stärkt und wirklich gebraucht wird. Ganz unabhängig von der Frage, ob sie bezahlt wird oder nicht.

Veränderte Berufsbiografien

Denn tatsächlich ändert sich ja nicht nur die dritte Lebensphase; auch unsere Arbeitsgesellschaft ändert sich rapide. Ja, es gibt den wachsenden Druck, immer mehr in immer kürzerer Zeit zu produzieren. Dabei hat der Stress am Arbeitsplatz in den letzten Jahren wieder zugenommen. Auch das zeigt der jüngste Alterssurvey. Einerseits ist zwar das Renteneintrittsalter gestiegen, andererseits gelingt aber immer weniger Erwerbstätigen ein nahtloser Übergang in die Rente: Zwischen 1996 und 2014 ist ihr Anteil von 62 auf 46 Prozent zurückgegangen. Viel häufiger sind Übergänge aus der Arbeitslosigkeit oder aus der Altersteilzeit.

Zugleich aber wachsen die Chancen auf mehr Zeitsouveränität und Selbstbestimmung. Immer mehr Firmen ermöglichen Homeoffice und mobile Arbeitszeitkonten, immer öfter gibt es weder feste Bürozeiten noch Stechuhr. Und in Dienstleistung, IT und der Kreativbranche wächst die Zahl der Solo-Selbstständigen, die sich selbst ihre Netzwerke schaffen. Schon vor einigen Jahren hat ein Buch mit dem Titel »Die Vier-Stunden-Woche« (Ferris 2008) Aufsehen erregt – und es gibt sie, die Blogger und Internet-Verkäufer, die diesem Ziel näher gekommen sind. Prekäre Jobs, werden viele sagen und an die selbstständigen Reinigungskräfte und Altenpflegerinnen erinnern, die sich längst auch über das Netz vermarkten und kaum von ihrer Arbeit leben können. Und dennoch: Vielleicht haben auch diejenigen Recht, die daraus schließen, dass unsere Vorstellungen von Erwerbsarbeit sich ändern müssen, dass unsere Berufsbiografien flexibler werden müssen und zwar von der Ausbildung bis zum Renteneintritt. Das könnte auch denen nutzen, die im Alter gern weiter erwerbstätig sind. »Früher war klar: Kinder lernen, Erwachsene arbeiten, und die Alten ruhen sich aus. Das ist passé«, sagt Ursula Staudinger, die Alternsforscherin aus New York. »Wir brauchen eine Lösung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch von Weiterlernen und Beruf, und das wird sich auf die Gesundheit im Alter auswirken.«

Auch weil die Belegschaften älter, weiblicher und bunter werden, brauchen wir eine buntere Arbeitswelt – eine neue Rhythmisierung der Erwerbsbiografien, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, dazu alternsgerechte Bildungs- und Arbeitszeitangebote, einen besseren Wissenstransfer zwischen den Generationen und ein gutes betriebliches Gesundheitsmanagement. Gerade Age-Management ist eine zentrale und noch zu wenig beachtete Herausforderung für Arbeitgeber wie für die Politik. Es genügt nicht, über das Renteneintrittsalter zu diskutieren, es geht um eine neue Flexibilität auch auf der Arbeitgeberseite. Mehr und mehr Unternehmen bieten inzwischen mit CSR-Programmen und Corporate Volunteering oder Senior Expert Service Programme an, die den Übergang von der Erwerbstätigkeit in das bürgerschaftliche Engagement gestalten helfen. Engagiert und gleitend in den Ruhestand ist die Devise. Es geht nicht mehr um das oft angstbesetzte Überschreiten einer starren Schwelle, sondern um einen langsamen und möglichst passgenau gestalteten Prozess zwischen den Arbeitnehmer/innen und dem Betrieb, so wie es für uns alle um einen Brückenschlag in die Tätigkeitsgesellschaft geht.

»Wir wissen aus der Forschung, dass es wichtig ist, im Leben mehrere Dinge zu haben, für die man sich interessiert«, sagt Ursula Staudinger (Brigitte WIR, 4/2016). »Wer sich aktiv bemüht, Veränderungen in der Welt mitzukriegen, wird den Anschluss nicht verlieren.« Auch sie verweist auf das Internet, das auch bei abnehmender Mobilität Kontakte erlaubt. Und worauf freut die 57-Jährige sich am meisten, wenn sie an ihr Rentenalter denkt? Vielleicht ist das auch für sie noch weit weg – so wie für mich, bevor ich 60 wurde? Immerhin hat sie erst vor drei Jahren ihren Arbeitsplatz gewechselt und ist nach Amerika gegangen. Eben. Für eine Professur in Amerika gibt es kein Rentenalter, sagt sie. Sie hofft, »so lange gesund zu bleiben, mental und körperlich, dass es mir gelingt, meine Arbeit bis an mein Lebensende mit Freizeit zu kombinieren«.

Weitermacher – Anknüpfer – Befreite

Wie macht man das in Deutschland, wenn man weder Ärztin noch Rechtsanwalt oder Lehrstuhlinhaberin ist? In Psychologie heute erschien im August 2016 eine Untersuchung zu diesem Thema. Dort fand ich auch den Befund, dass Frauen sich oft leichter tun als Männer, weil sie eben nicht nur Erwerbsarbeit als Arbeit betrachten. Insgesamt aber zeigen sich drei Wege: Es gibt die »Weitermacher«, die als Seniorberater, Freiberufliche oder Honorarkräfte oder auch ehrenamtlich weiter in ihrem Arbeitsfeld unterwegs sind. Mit ihrer Erfahrung sind sie gefragt, solange sie nah genug dran bleiben an den innovativen Entwicklungen im Feld. Und dann gibt es die Anknüpfer, die aus ihren bisherigen Kompetenzen etwas Neues entwickeln. Wir kennen das von Sportlerkarrieren: vom Spieler zum Manager oder zum Sportartikelhersteller. Und schließlich die Befreiten, die froh sind, endlich raus zu kommen aus einem Job, den sie als entfremdet erlebt haben. Sie finden ihr Glück vielleicht jetzt in einem Ehrenamt, im Sportverein oder in der Hospizarbeit oder sie nehmen sich Zeit für die Familie. Andere gestalten einen traumhaften Garten. Und sie arbeiten alle.

Besonders beeindruckt hat mich die Selbstverständlichkeit, mit der die frühere FDP-Politikerin Irmgard Schwaetzer 2013 nach ihrer Wahl zur Präses der EKD