Nördlich des Weltuntergangs - Arto Paasilinna - E-Book

Nördlich des Weltuntergangs E-Book

Arto Paasilinna

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Beschreibung

Sie suchen das Paradies? Es liegt in Nordfinnland. Denn dort ist beim Bau einer Kirche ein autarkes Dorf entstanden, das sich in der krisengeschüttelten Welt zum begehrten Zufluchtsort entwickelt. Weltwirtschaftskrise, der Untergang New Yorks und der Ausbruch des dritten Weltkrieges - im Norden Finnlands lässt man sich nicht aus der Ruhe bringen. Und als die Sonne beginnt aus einer anderen Richtung zu scheinen, feiert man Weihnachten eben in Badehose, und Rudi das Rentier wird zum Flamingo ...

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Inhalt

Cover

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Impressum

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Arto Paasilinna

Nördlich des Weltuntergangs

Roman

Aus dem Finnischen von Regine Pirschel

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © Arto Paasilinna und WSOY, 1992

Die finnische Originalausgabe erschien 1992 unter dem Titel MAAILMAN PARAS KYLÄ bei WSOY, Helsinki, Finnland

Copyright © 2003/2013 für die deutschsprachige Ausgabe: Bastei Lübbe AG, Köln

Aus dem Finnischen von Regine Pirschel

Titelillustration: © shutterstock/pio3, © OK-SANA/ shutterstock.com

Titelgestaltung: FAVORITBUERO, München

E-Book-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-8387-5097-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

1

Asser Toropainen, der alte Kirchenbrandstifter, lag im Sterben. Man feierte die Karwoche, am folgenden Tag war Karfreitag.

Asser war unlängst neunundachtzig geworden. Wie es jetzt aussah, würde er die neunzig nicht lebend erreichen. Was sollte man da machen, auch der härteste Kerl musste irgendwann dran glauben.

Asser lag in der großen grauen Stube seines Hauses im Einöddorf Kalmonmäki im südlichen Kainuu. Die betagte Standuhr tickte in ihrem Gehäuse aus geflammtem Birkenholz und maß die letzten Lebensstunden des Alten. Die weiblichen Familienmitglieder, die alten Schwestern und die Nichte, schlichen nur noch auf Strümpfen durchs Haus. In der Woche zuvor war ein Arzt vom Gesundheitszentrum aus Sotkamo da gewesen, um Assers Blutdruck zu messen. Das Messgerät war zersprungen, was als böses Omen gewertet worden war.

Behutsam hatte man dem Alten klar gemacht, dass dies möglicherweise sein letzter Winter gewesen war. Auch vom Besuch eines Geistlichen war die Rede gewesen. Im Angesicht des Todes sollte sich der Mensch um seine himmlischen Beziehungen kümmern. Einem alten eingefleischten Kommunisten tue es sicher gut, seine Sünden zu bekennen, schon wegen des eigenen Seelenheils.

Asser ächzte in seinem Bett. So genannte Sünden hatte er im Laufe seines Lebens wohl begangen, das ließ sich nicht leugnen. Die Zeiten waren unruhig gewesen, das ganze lange Jahrhundert hindurch. Da war es oft genug heiß hergegangen. Asser hatte an sechs Kriegen teilgenommen. Auf mehrere Kontinente hatte es ihn verschlagen, er war von Murmansk bis Alaska, vom Ladoga bis nach Wladiwostok gereist. Sein grauer Kopf versuchte, die Erinnerungen heraufzuholen. Da waren Bilder und Geräusche: schneebedeckte Steppen, endlose Schienenstränge, rauchende Lagerfeuer, knatternde Gewehrsalven. Kieferflöße, die aneinander krachten, rauschende Wasserfälle, brennende Panzer und qualmende Kirchenruinen. Wolkenkratzer und Ozeandampfer, fallendes Zuckerrohr und Mädchenköpfe, die ins Maisfeld sanken. Gutes und Schlechtes, ein ungestümes Leben, Zeiten des Übermuts, aber auch des schmerzlichen Elends. Ein ständiger Kampf eben, wie es sich für einen eingefleischten Kommunisten gehörte, Aufbegehren gegen Gott, die Geistlichkeit und die Kirche. Das war Asser Toropainen, ein Atheist unserer Zeit, der letzte Kommunist der Welt.

»Kommt mir bloß nicht mit einem salbadernden Priester ..., aber schafft einen Notar her. Das Testament muss ins Reine geschrieben werden.«

Der Notar wurde geholt, das Testament auf den letzten Stand gebracht und gleichzeitig die Asser-Toropainen-Kirchenstiftung gegründet. Der Sterbende kritzelte seinen Namen unter die Papiere. Er beauftragte den Notar, seinen Enkel aufzuspüren und ihn zu bitten, den Großvater zu besuchen. Er müsse mit ihm einen bestimmten Punkt aus dem Testament besprechen.

Der Karfreitag brach an, ein grauer und trüber Tag. Schneeregen fiel. Durch den schwarzen Fichtenwald am Rande des Dorfes flatterten Raben. Im Radio wurde der Gottesdienst übertragen. Der Pastor fand harte Worte für den gewaltsamen Tod Jesu vor zweitausend Jahren, sodass der Eindruck entstand, die Finnen wären schuld an der besagten Gräueltat. Asser befahl den Frauen, das Radio auszuschalten. Er hatte wahrhaftig auch ohne die Kreuzigung genug Sorgen, sein Ableben machte ihm weidlich zu schaffen.

Gegen Mittag trat sein höchst lebendiger Enkel Eemeli Toropainen in die Stube, ein kräftiger Mann von fünfundvierzig Jahren, ehemals Direktor der Nordischen Holz-Haus AG. Die mittelgroße Firma, die Blockhäuser hergestellt hatte, war infolge der Rezession ein halbes Jahr zuvor in Konkurs gegangen. Eemeli schlug seine nasse Fellmütze am Türrahmen ab, dass die Tropfen nach allen Seiten spritzten, dann trat er ans Bett, um seinen Großvater zu begrüßen.

»Nanu, Opa! Dein letztes Stündlein hat geschlagen?«

»Das behaupten jedenfalls die Weiber.«

Eemeli Toropainen schüttelte dem Alten eine Weile die Hand, dann sank dieser wieder in seine Kissen. Darauf förderte der Enkel aus den Tiefen seines Pelzes eine Cognacflasche zutage und flößte dem Alten einen Schluck ein. Asser musste husten.

»Danke, Junge.«

Die Männer sahen einander gerührt an. Eemeli klopfte seinem Großvater die Kissen auf. Der Alte war nur noch Haut und Knochen. Früher war er ein Kerl von einem Mann gewesen, ein Draufgänger, ein tüchtiger Arbeiter und umtriebiger Geschäftsmann, viel unterwegs, hatte sein Leben lang ständig unter Dampf gestanden. Was das Alter doch aus dem Menschen machte!

»Der Notar erzählte, dass du eine kirchliche Stiftung gegründet hast. Bist du auf einmal fromm geworden, oder was ist passiert?«, fragte Eemeli.

Der Großvater kommandierte die Frauen hinaus, er sagte, er habe mit Eemeli etwas unter vier Augen zu besprechen. Als sich die Schwestern und die Nichte widerstrebend entfernt hatten, holte der Alte die Dokumente unter dem Kopfkissen hervor.

»Lies.«

Eemeli überflog die Papiere. Es handelte sich um die ordnungsgemäß aufgesetzte Gründungsurkunde einer Stiftung und ein Testament, in dem der Stiftung achthundert Hektar Land und gut zwei Millionen Finnmark Vermögen vermacht wurden sowie Wertpapiere von etwa einer Million. Dabei wurden die nächsten Angehörigen, die beiden Schwestern und die Nichte, ebenfalls mit angemessenen Geldsummen bedacht.

Aus der Zweckbestimmung der Stiftung ging hervor, dass diese die Aufgabe hatte, mindestens eine (1) Holzkirche zu erbauen und zu unterhalten.

Eemeli Toropainen, der ehemalige Direktor der Nordischen Holz-Haus AG, ahnte, dass sein Großvater ihn mit der praktischen Umsetzung der Stiftungsziele beauftragen wollte. Er betrachtete den künftigen Toten mit mitfühlenden Blicken. Da lag ein alter Kirchenbrandstifter, ein leidenschaftlicher und aktiver Kommunist, der mehrere Erdteile bereist hatte. Jetzt waren seine Kräfte verbraucht. Das Leben des Menschen war kurz, es dauerte höchstens kümmerliche hundert Jahre. Diese Vergänglichkeit bewies sich nun am Beispiel Asser Toropainens.

»So, du willst also eine Kirche bauen lassen. Meinetwegen, dann ziehen wir sie halt hoch.«

Asser Toropainen holte unter seinen Kissen einen schweren Bildband hervor. Seine Hände zitterten, das Buch wäre ihm beinah entglitten. Eemeli nahm es entgegen, es war von Esa Santakari, hieß Die Volksbauleute und ihre Holzkirchen und stellte in Wort und Bild alte bäuerliche Holzkirchen vor. Harmonische, schlichte Bauwerke, graue Balkenwände, ruhige Schindeldächer, auf den Eingangsstufen rührende Opferstöcke mit Schlitzen für den Münzeinwurf.

Eemeli Toropoainen blätterte staunend in dem Buch. Die Kirche von Kiiminki sah zum Beispiel recht ansehnlich aus. Die von Yläne hingegen, erbaut von Mikael Piimänen, wirkte irgendwie schroff, es mochte an der Form des Dachfirstes liegen. Die Deckenmalereien in der Kirche von Keuruu veranlassten Eemeli zu der Überlegung, ob er rändern lernen sollte.

Eemeli klappte das Buch zu. Die angebotene Aufgabe reizte ihn, gar keine Frage. Aber was steckte dahinter? War der Alte senil, der frühere Kirchenfeind fromm geworden? Asser hatte in jungen Jahren und zu Revolutionszeiten tatsächlich zahlreiche Kirchen in Brand gesteckt, in verschiedenen Teilen des Landes und der Welt. Er hatte sich an Gott für den Hunger und die Not der armen Leute rächen wollen. Und jetzt, kurz vor dem Tod, gründete er eine Stiftung für den Bau einer Kirche?

»Darf ich mir die Frage erlauben, ob du verrückt geworden bist?«

Der Großvater wurde ein wenig verlegen. Noch nie hatte jemand an seinem Verstand gezweifelt. Er erklärte mit dünner Stimme, dass er mit Gott reinen Tisch machen wolle, da er zufällig einiges an Geld habe beiseite legen können. Er glaube zwar nicht an Gott und auch nicht an Jesus Christus, aber irgendwie scheine es ihm angemessen, eine Kirche errichten zu lassen. Aus reinem Jux habe er sich die Sache ausgedacht.

»Sozusagen zur Erinnerung. Und du als Fachmann für Holz und Balken kriegst zur Abwechslung mal wieder Arbeit.«

Asser führte weiter aus, dass seines Wissens für ein derartiges Bauvorhaben keine allgemeine oder offizielle Begründung notwendig sei. Die Menschen bauten Kuhställe, Schulen, Fabriken, warum dann nicht auch Kirchen? Aus der Sicht eines Sterbenden war es egal, was gebaut wurde. Wenn er im Dorf eine Furnierholzfabrik errichten ließe, würde sie vermutlich bald nach seinem Tod Pleite machen. Was hatte das für einen Zweck? »Eine Kirche macht nicht Pleite.«

»Aber wenn jemand kommt und deine Kirche in Brand steckt?«

»Dann kannst du nichts machen. Du kassierst die Versicherungssumme und baust eine neue.«

Eemeli Toropainen kam auf die Einzelheiten zu sprechen. Er wollte wissen, welche Art von Kirche sich der Großvater vorstellte. Wo sollte sie gebaut werden, für welche Gemeinde war sie gedacht, und wer sollte als Pastor eingestellt werden?

Der Großvater verwies auf die Gründungsurkunde der Stiftung. Dort stand kurz und knapp, dass der Leiter der Stiftung, also Eemeli Toropainen, den Standort der Kirche nach eigenem Gutdünken auswählen konnte. Eemeli konnte den Tempel notfalls auf Tahiti errichten, wenn er Lust dazu hatte. Eine Kirchgemeinde zu gründen war nicht unbedingt erforderlich. Was den Pastor anging, war überhaupt nichts erwähnt. Der bloße Kirchenbau genügte.

»Such dir aus diesem Buch ein geeignetes Modell aus. Die modernen Kästen gefallen mir nicht, sie sehen nicht nach Kirchen aus.«

In dem Moment kamen die Frauen herein, um Asser Milchsuppe zu bringen. Sein Magen war so schwach, dass an kräftigeres Essen nicht zu denken war. Eemeli setzte sich an den Tisch und vertiefte sich in den Bildband. Unter andächtigem Schweigen bekam der Alte seine Suppe eingeflößt. Hinter dem Ofen saß die Hausmaus mit runden Ohren und blauem Fell und beobachtete den Vorgang. Sie beabsichtigte, in Assers Pelzdecke zu schlüpfen, wenn der Alte erst tot wäre. Mäuse haben eine feine Witterung für den Tod.

Die Frauen wischten dem Alten den Mund ab, dann gingen sie, damit er sich ausruhen konnte. Eemeli blätterte interessiert, gelegentlich auch aufgeregt in dem Buch. Wenn er etwas Interessantes entdeckte, rief er zum Bett hinüber, dass er vielleicht die Kirche von Keuruu als Vorbild nehmen könnte. Und wie dachte der Großvater über die Kirche von Petäjävesi? Oder über die von Pietarsaari, Houtskari und Paltamo? Aus dem Bett ertönte zustimmendes Knurren. Alle waren geeignet.

Nach einer guten Stunde hatte Eemeli Toropainen das Buch von Anfang bis Ende durchgeblättert und war zu dem Ergebnis gekommen, die Kirche von Kuortane als Modell zu wählen.

Ein gewisser Antti Hakola hatte den Bau im Jahre 1777 errichtet. Aus der Bildunterschrift ging hervor, dass dieses das ehrgeizigste Werk des berühmten Mannes war. Der Saal hatte tausendzweihundert Sitzplätze, also nicht gerade wenig. Von der Anlage her handelte es sich um die erste an den Wänden voll abgekantete Kreuzkirche, sodass ihr Grundriss sage und schreibe vierundzwanzig Ecken oder Winkel enthielt.

»Hols der Teufel, das ist mal eine schmucke Kirche!«

Begeistert trat Eemeli ans Bett seines Großvaters, um ihm die Entdeckung vorzustellen. So schön sollte auch sein Bau werden. Falls dem Großvater noch ein paar Lebenstage blieben, könnten sie gemeinsam hinfahren und an Ort und Stelle Maß nehmen. Vielleicht gleich am nächsten Morgen? Eemeli legte dem Alten die aufgeschlagene Seite vor, damit er seine endgültige Wahl treffen konnte.

Da blieb die alte Standuhr stehen. Die schlaffe Hand des Großvaters sank herab und glitt über den Bettrand. Sein Blick richtete sich in die Ferne, die Augen trübten sich. Asser Toropainen war tot.

2

Asser Toropainen wurde eine Woche später auf dem Friedhof von Sotkamo beigesetzt. Es fiel Schneeregen. Ein melancholischer Gaul zog den Sarg zum Friedhof, mit gesenktem Kopf und in sich gekehrt trottete das Tier dahin.

Eemeli Toropainen hatte entschieden, dass der Tote nicht mit einem Leichenauto zum Friedhof gefahren werden sollte, Asser war schließlich ein Mann vom alten Schlag gewesen. Eemeli hatte sich das Pferd geliehen, es war gewaschen und gestriegelt, die Deichsel schwarz geteert und der Klöppel der Schlittenglocke zum Zeichen der Trauer mit Moos umwickelt worden.

Der Sarg war aus finnischer Kiefer mit hohem Kernholzprozent gefertigt. Darin befand sich ein zweiter Sarg, ein luftdichtes Gehäuse aus verzinktem Stahlblech, das für den langen Schlaf des Toten eingerichtet war. Der Leichnam war einbalsamiert worden, denn Assers letzte Ruhestätte würde nicht der Friedhof von Sotkamo sein, sondern sein eigener, wenn der erst einmal fertig war. Da der Alte beschlossen hatte, dass nach seinem Tod eine Kirche gebaut werden sollte, folgte daraus automatisch, dass auch ein Friedhof angelegt wurde. Der Gedanke, dass Asser später in seine eigene Erde umgebettet würde, war natürlich. Das bedingte, dass der Tote für die neue Beerdigung in leidlichem Zustand sein musste, und für diesen Zweck war der Zinksarg am besten geeignet.

Eemeli Toropainen hatte ihn in der Sargfabrik von Punkalaidun, die als Großhandelsunternehmen die Beerdigungsinstitute belieferte, bestellen lassen. Von dort war außer dem Zinksarg auch der äußere Kiefernholzsarg geliefert worden, dazu eine Transportkiste, in der beide verpackt waren. Dem Verstorbenen waren somit drei Kisten zugedacht, von denen zwei ins Grab gesenkt wurden, die dritte, die Transportkiste, hatte Eemeli dem Gebrauchtwarenlager der Kommune für die Aufbewahrung von Kleingegenständen geschenkt.

Der Zinksarg war teuer gewesen, er hatte fast siebentausend Mark gekostet, dafür war er aber auch anständig gearbeitet. Die Nähte waren sauber geschweißt und absolut dicht. Nachdem Assers Leiche in den Sarg gebettet worden war, war der Deckel fest zugeschweißt worden. Über dem Gesicht befand sich im Deckel ein kleines quadratisches Fenster, durch das Asser hindurchblickte. Die Glasscheibe war mit Silikonkleber und Nieten in dem Blechgehäuse befestigt. Man durfte annehmen, dass zumindest während der ersten Jahrzehnte keine Zugluft hindurchdringen würde. Selbst wenn der Tote lange in seinem provisorischen Grab auf Sotkamos Friedhof liegen müsste, bekämen die Leichenmaden so keine Gelegenheit, sich an der sündigen sterblichen Hülle des alten Kirchenbrandstifters gütlich zu tun, das Gehäuse aus Zinkblech würde sie fern halten. Und auch die Leichenflüssigkeiten der Nachbargräber konnten nicht eindringen.

Den Wallach interessierte die gefundene Lösung nicht. Ihm war es zuwider, den schweren Schlitten durch Sotkamos Straßen zu ziehen, denn die Kufen schleiften stellenweise über den blanken Asphalt. Auf den Kieswegen musste er seine ganze Pferdestärke aufbieten, um die Last fortzubewegen. Er hätte am liebsten eine Ruhepause eingelegt, aber Eemeli Toropainen, der in seinem dunklen Wolfspelz neben dem Schlitten einherschritt, ließ die Zügel nicht locker und zwang ihn, die schwere Fuhre weiterzuziehen.

Am Straßenrand hatten sich einige neugierige Zuschauer versammelt, um den Trauerzug zu beobachten, der von dem dampfenden stämmigen Wallach angeführt wurde, den Schluss bildete ein halbes Dutzend blank polierter PKWs. Die Leute raunten sich zu, dass Asser Toropainen, der alte Kirchenbrandstifter, nun endlich das Zeitliche gesegnet hatte.

»Eine neue Ära bricht an ..., das alte Jahrhundert wird in den Schoß der Erde gebettet«, konstatierte ein einheimischer Schriftsteller, als er, hinter der Gardine verborgen, von seinem Arbeitszimmer aus das Geschehen verfolgte.

Der Leichnam wurde direkt zum Grab gebracht. Dort segnete ihn ein blasser Hilfspastor, dem Eemeli Toropainen kurze und knappe Anweisungen gegeben hatte:

»Ich erwarte keine lange Rede und erst recht keinen Gesang, denn dies ist nur ein provisorisches Begräbnis. Wir werden später gründlicher trauern, wenn Asser auf seinem eigenen Friedhof beigesetzt wird.«

Am Testament hatte niemand etwas auszusetzen, denn es waren keine unmittelbaren Nachkommen da, die in Streit geraten konnten. Die bescheidenen Schwestern und die brave Nichte begnügten sich dankbar mit dem Geld, das sie erhielten. Die Asser-Toropainen-Kirchenstiftung trat ohne viel Aufhebens in Kraft.

Zwei Wochen später lief Eemeli Toropainen auf Skiern durch das Moor Pöllösensuo südlich von Sotkamo. Über seiner Schulter hing eine Tasche voller Flurkarten. Er hatte sich einen Überblick über den Nachlass verschafft und festgestellt, dass sich der Landbesitz des Großvaters bis in die Provinzen Oulu, Pohjois-Karjala und Kuopio ausdehnte. Der größte Teil befand sich in der Provinz Oulu, und zwar auf dem Gebiet der Gemeinde Sotkamo in Kainuu, insgesamt etwa fünfhundert Hektar. Ferner hatte der Alte ein paar hundert Hektar Waldfläche in der Nähe von Valtimo in Pohjois-Karjala gekauft, außerdem einen kleinen Flecken Land in Sonkajärvi in der Provinz Kuopio. Hinsichtlich der Hektarzahl hätte man den Landbesitz bedeutend nennen können, doch waren große Gebiete davon kahl geschlagen, und es lag auch viel Brachland dazwischen.

All diese Ländereien hatte Eemeli im letzten Schnee des Winters bereits auf Skiern abgelaufen. Er hatte den Zustand des Waldes geprüft, hatte das Gelände unter dem Aspekt des Kirchenbaus begutachtet und nach einem entsprechenden Standort Ausschau gehalten.

Zuvor hatte er sich an zwei Bischöfe gewandt, nämlich die von Oulu und Kuopio, und sich beiläufig erkundigt, ob irgendwo eine neue Kirche gebraucht wurde. Er hatte erfahren, dass in beiden Bistümern kein Mangel an Gotteshäusern herrschte. Man hatte mit den vorhandenen Gebäuden genug zu tun, sie standen teilweise sogar leer, denn die Gemeinden waren arm und konnten die hohen Instandhaltungskosten nicht aufbringen. Beide Bistümer erklärten sich jedoch bereit, bares Geld entgegenzunehmen, falls die neu gegründete Stiftung Anlageprobleme hätte. Pfarrhäuser mussten renoviert und Friedhofszäune ausgebessert werden. Eemeli hatte darauf kühl erklärt, dass die Asser-Toropainen-Kirchenstiftung nicht an einer Bezuschussung dieser Art interessiert sei. Laut Testament sollte das Geld für die Neuerrichtung einer Kirche verwendet werden, und damit basta.

Eemeli Toropainen war in vielen Einöddörfern und ihrem Hinterland gewesen. Drei Gemeinden hatte er auf diese Weise kennen gelernt und dabei ausgezeichnete Kirchenstandorte entdeckt. Etwa in Valtimo in der Nähe des Nationalparks Tiilikkajärvi oder in der Provinz Kuopio am Ufer des Hukkalampi-Sees. Beide Standorte gehörten zu Asser Toropainens Boden- und Waldbesitz, sodass auch ausreichend Bauholz zur Verfügung stand.

Jetzt war Eemeli ins Moor Pöllösensuo von Kainuu gekommen, und er glitt auf seinen Skiern auf das Eis des nahen Ukonjärvi-Sees hinunter, einen Einödsee mit steilen Ufern, der knapp einen Kilometer breit und vier Kilometer lang war und sich von Nordost nach Südost erstreckte. Eemeli lief über die Eisfläche zum nordöstlichen Zipfel des Sees, denn dort erhob sich ein Hügel, der dicht mit prächtigen Kiefern bestanden war. Das Ufer des Sees war unbewohnt, auch waren weit und breit keine Eisangler zu sehen. Ein angenehmer Frühlingswind strich über das Gesicht des Skiläufers, und eine ganz eigentümliche Andacht bemächtigte sich seiner. In diesem Naturtempel herrschte genau die Ruhe, nach der sich ein vom schnellen Lebensrhythmus gestresstes Menschenkind sehnte. Kurz bevor Eemeli den nordöstlichen Zipfel des Sees erreichte, überquerte er eine Wolfsspur. Welch ein Naturparadies!

Als Eemeli auf dem Hügel angekommen war, drehte er sich um, er ließ den Blick über den See und die verschneiten Ufer wandern und horchte auf das Rauschen des Waldes. Hundertjährige Kiefern standen dicht an dicht. Die Frühlingssonne hatte den Schnee unter ihnen bereits an einigen Stellen weggetaut. Eemeli sah, dass der Untergrund ungefrorener Sandboden war.

Einen besseren Platz für die Kirche konnte er sich nicht wünschen. Er überzeugte sich anhand der Flurkarten, dass der See und sein Umland auch wirklich zu Assers Besitz gehörten. Dann zündete er sich eine Zigarre an und sprach feierlich:

»Teufel noch mal. Hier werde ich die Kirche hinstellen.«

3

Eemeli Toropainen maß mithilfe des Küsters die Kirche von Kuortane aus. Er hatte ein Zwanzig-Meter-Maßband und die Baupläne, die er im Museum für Baukunst gefunden hatte, mitgebracht.

Eemeli überprüfte die Abmessungen der Kirche: Die Grundform ergab in Ost-West-Richtung eine Länge von 35,93 Metern, in Nord-Süd-Richtung 36,02 Meter. Der Saal war geräumig und offen, auch von den hintersten Bänken konnte man die Kanzel und fast von jedem Platz den Altar sehen.

Von außen betrachtet, wirkte die Kirche trotz ihrer Vieleckigkeit weich, was durch die Walmdächer und den aufgesetzten Dachreiter, der in einer schindelbedeckten Zwiebel auslief, noch betont wurde. Ein gut proportioniertes Bauwerk, das sich nach Eemelis Meinung ausgezeichnet als Vorbild für sein eigenes Projekt eignete.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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