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Wilfried Bremermann

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Beschreibung

Zuerst sieht es nach einem harmlosen Routinefall aus: Die neureiche Eva Wortmann beauftragt Lavinia mit der Beschattung ihres mutmaßlich untreuen Ehemannes. Doch kurze Zeit später ist der Manager tot - ermordet. Hauptverdächtige: Lavinia. Nur mit Mühe kann sie ihre Unschuld beweisen. Nun ist der Fall zu ihrer persönlichen Angelegenheit geworden. Doch je länger sie ermittelt, desto undurchsichtiger wird der Fall. Als sie Spuren verfolgt, die ins Mindener Rotlichtmilieu führen, gerät sie in das tödliche Umfeld des Bordellkönigs Johann Müller.

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Seitenzahl: 241

Veröffentlichungsjahr: 2017

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WILFRIED BREMERMANN

Nordpunkt

Buch

Zuerst sieht es nach einem harmlosen Routinefall aus: Die neureiche Eva Wortmann beauftragt Lavinia mit der Beschattung ihres mutmaßlich untreuen Ehemannes. Doch kurze Zeit später ist der Manager tot - ermordet. Hauptverdächtige: Lavinia. Nur mit Mühe kann sie ihre Unschuld beweisen. Nun ist der Fall zu ihrer persönlichen Angelegenheit geworden. Doch je länger sie ermittelt, desto undurchsichtiger wird der Fall. Als sie Spuren verfolgt, die ins Mindener Rotlichtmilieu führen, gerät sie in das tödliche Umfeld des Bordellkönigs Johann Müller.

Autor

Wilfried Bremermann, geboren 1963 im westfälischen Rahden, schreibt seit fast 20 Jahren internationale Thriller. Sein erster regional angehauchter Krimi "Die Babylon-Falle" erschien 2014 und fand große Anerkennung beim Publikum. "Nordpunkt" ist der erste Roman einer Reihe um die witzige und einzelgängerische Privatdetektivin Lavinia Borowski, die im Mühlenkreis Minden-Lübbecke ermittelt.

Wilfried Bremermann ist Mitglied im SYNDIKAT und im Bundesverband junger Autoren.

Im Internet finden Sie Wilfried Bremermann unter:www.wilfried-bremermann.de.

Weitere Bücher von Wilfried Bremermann:

Die Hoffmann-AffäreDer Golf-ZwischenfallDer Armageddon-PlanDie Babylon-FalleDas Arkham-ManuskriptDie virginische Nymphe

Wilfried Bremermann

Nordpunkt

Ein Lavinia Borowski Krimi

© 2017 Wilfried Bremermann

Umschlag, Illustration: Vorderseite Autor, Rückseite Franck Camhi, Fotolia

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

978-3-7345-8675-0(Paperback)

978-3-7345-8676-7(Hardcover)

978-3-7345-8677-4 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Für Hannelore(1937 – 2016)

1

In dem Moment, als ich meinen Wagen auf den Parkplatz steuerte, wusste ich, dass dieser Tag anders werden würde als die Tage, die ich gewohnt war. Der BMW, der dort thronte, ließ meinen acht Jahre alten Focus wie das Fahrzeug eines Sozialhilfeempfängers aussehen. Er nahm nahezu die gesamte Parkfläche ein und zwang mich, zurückzusetzen und am Randstreifen der Straße zu parken. Eine Frau stieg aus und kam auf mich zu. Ich stieg ebenfalls aus und schloss den Wagen ab.

„Frau Borowski?“

Ich nickte. „Ja.“

„Lavinia Borowski?“

„Immer noch.“

„Ich hatte Sie mir älter vorgestellt.“

„Danke für das Kompliment.“ Ich versuchte höflich zu bleiben und ließ ein schmales Lächeln über meine Lippen wandern.

Die Frau war groß und schlank, flach und steif. Wie ein Model. Um die Augen und die Mundwinkel herum zeichneten sich Andeutungen von Krähenfüßen ab. Die Frau war also mittleren Alters und verbrachte wahrscheinlich täglich mehrere Stunden im Fitnessstudio und auf dem Tennisplatz. Die dunkle Pelzjacke, die sie trug, passte hervorragend zu ihren dunkelbraunen Augen und dem brünett gefärbten Haar, das in Wellen ihr schmales Gesicht umrahmte. Der dunkelrote Lippenstift passte zu ihrer gebräunten Haut, so wie der BMW zu ihrer ganzen Erscheinung passte. Alles passte bei ihr zusammen.

Als die Frau mir die Hand gab, rutschte ihre Jacke ein Stück am Arm hoch und gab den Blick auf eine mit funkelnden Steinen besetzte Uhr frei. Jetzt begann auch sie zu lächeln. „Entschuldigen Sie, ich war unhöflich. Aber Privatdetektive habe ich mir immer älter vorgestellt.“

Ich roch schweres Parfüm, das so steif war wie seine Trägerin. „Gehen wir lieber ins Büro. Hier draußen frieren wir uns noch den Arsch ab.“

Während ich das sagte, setzte ein leichter Nieselregen ein, der meine Worte bestätigte und den kalten Novembermorgen noch kälter machte. Ich schloss die Tür zu meinem Büro auf und bat die Frau hinein. Kalte Luft schlug uns entgegen. Ich hasse es, kalte Räume zu betreten, aber die Heizung die Nacht über laufen zu lassen, kann ich mir nicht leisten. Ich bot der Frau einen Stuhl an, aktivierte die Heizung und hängte meine Jacke an den Kleiderhaken. Die Frau öffnete ihre Jacke, behielt sie aber an. Die Perlenkette an ihrem Hals klapperte, als sie sich setzte. Ich ging zur Kaffeemaschine und blickte zurück. „Kaffee?“

„Ja, bitte.“

Die Frau musterte das Büro. Im Vergleich zu dem Umfeld, in dem sie sich üblicherweise bewegen würde, wirkte es sicher klein und schäbig. Ein Schreibtisch, ein Drehstuhl, zwei Besucherstühle, ein Aktenschrank, ein PC mit Röhrenmonitor, ein Ficus. Der Baum war das Einzige, was neu war, alles andere war gebraucht gekauft, und der Kredit lief noch. Zwei weitere Räume enthielten die Toilette und ein Feldbett, das ich noch nie gebraucht hatte. Ich hatte es seinerzeit angeschafft, weil ich nach Konsum unzähliger Krimis und Detektivromane davon ausgegangen war, dass man so etwas braucht. Die zweihundert Euro hätte ich sparen können.

Ich nahm hinter meinem Schreibtisch Platz. „Also, Frau ...“

Die Frau richtete ihren Blick auf mich. Ihre Augen verrieten Unsicherheit, die Hände klammerten sich an eine teure Handtasche. Sie saß auf der Stuhlkante, die Füße leicht gespreizt, als wollte sie schon wieder aufstehen. „Oh, Entschuldigung, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Müller-Wortmann, Eva-Maria Müller-Wortmann.“

Sie stockte. Ich forderte sie mit einem Nicken auf fortzufahren.

„Sagen Sie, sind Sie wirklich Detektivin?“

Ich zeigte mit dem Daumen auf meine Zulassung, die in einem Bilderhalter ohne Rahmen an der Wand hinter mir hing. Ich wollte nicht angeben, aber eine Bewegung mit dem Daumen ist praktischer und zeitsparender, als das Papier ständig aus einem Ordner hervorzuholen.

„Ich hatte geglaubt, Detektive müssten älter sein und über mehr Lebenserfahrung verfügen.“

Ich schluckte es stumm hinunter. „Frau Müller-Wortmann, ich gehe davon aus, dass Sie sich auf meiner Website über mich erkundigt haben. Dann werden Sie zweifellos wissen, dass ich fünf Jahre bei der Polizei und zwei Jahre bei einem Sicherheitsdienst gearbeitet habe. Das ist mehr Erfahrung als ein arbeitsloser Maurer hat, der in ein paar Lektionen Fernstudium seine Detektivausbildung genossen hat und auf die Menschheit losgelassen wird.“

Eva Müller-Wortmann ließ nicht erkennen, ob meine Antwort sie beleidigt hatte. „Aber Ihre Homepage sagt nichts über Ihr Alter.“

„Benötigen Sie einen Detektiv oder einen Psychiater?“ Ich beugte mich über den Schreibtisch. „Vergessen wir doch einfach für ein paar Minuten mein Alter.“

„Lavinia. Ich meine, der Name klingt ... Wie soll ich sagen? Altmodisch? Würdevoll?“

„Als meine Eltern meinen Namen aussuchten, sahen sie im Fernsehen einen Bericht über ein Lawinenunglück. Profan, ich weiß. Aber so ist es.“ War es nicht, aber die Leute lieben außergewöhnliche Dinge. In Wirklichkeit wurde eine Münze geworfen. Es gab die Wahl zwischen Lavinia und Virginia; auch meine Eltern liebten das Außergewöhnliche.

„Kommen Sie aus Polen?“

Ich starrte Eva an, meine Brauen wanderten in die Höhe wie ein Fahrstuhl. „Bitte?“

„Ihr Name. Borowski. Das ist doch polnisch, oder?“

Jetzt musste ich lachen. „Ja, das ist polnisch. Ein Großvater von mir mit ungefähr zwanzig Urs vor dem Großvater kam aus Polen. Aber ich bin Deutsche, und ich kann Ihnen versichern, dass ich kein Wort Polnisch spreche. Mögen Sie keine Polen?“

Eva errötete. „Doch, doch, ich ... Ach, es ist doch nur ein Name.“

„Nun gut, Frau Müller-Wortmann, nachdem Sie jetzt meinen Lebenslauf und meinen Stammbaum kennen – was kann ich für Sie tun?“

Eva lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Der Griff um ihre Handtasche wurde fester. „Mein Mann betrügt mich. Das heißt, ich nehme an, er tut es.“

„Verstehe. Und ich soll Ihnen den Beweis liefern, dass es so ist.“

Eva nickte.

„Wie kommen Sie darauf, dass er Sie betrügt?“

„Eine Frau spürt so etwas. Sind Sie verheiratet?“

Ich verneinte.

„Nun, dann können Sie es natürlich nicht spüren. Es sind Kleinigkeiten, kaum merkliche Veränderungen. Erst kommen sie abends später als üblich nach Hause. Irgendwann fehlen sie dann auch am Wochenende.“

„Wie lange geht das bei Ihnen schon so?“

„Etwa ein Vierteljahr.“

„Seit diesem Zeitpunkt macht Ihr Mann also Überstunden und arbeitet auch am Wochenende?“

„Wenn Sie es so ausdrücken wollen. Aber wir wissen natürlich beide, was er in Wirklichkeit tut.“

„Sie meinen, er poppt eine andere?“

Eva verzog das Gesicht. „Ich hätte es anders ausgedrückt, aber ja, so kann man es sagen.“

„Wie lange sind Sie verheiratet?“

„Sieben Jahre. Ich weiß, was Sie sagen wollen: das verflixte siebte Jahr.“

„Frau Müller-Wortmann, wie wäre es, wenn Sie mir alles der Reihe nach erzählen würden? Beginnen wir mit dem Anfang. Wie haben Sie Ihren Mann kennen gelernt? Was machen Sie beide beruflich? Wo wohnen Sie? Wo arbeiten Sie? War Ihre Ehe bis zu dem vermuteten Verhältnis Ihres Mannes glücklich? Wenn ich mir ein Bild von Ihrer Ehe machen kann, weiß ich, was getan werden muss.“

Eva lehnte sich noch weiter auf ihrem Stuhl zurück. Es knarzte, und es sah so aus, als würde die Rückenlehne brechen.

„Ich lernte Walter vor acht Jahren kennen. Er war Leiter der Kreditabteilung der Sparkasse. Das ist er übrigens auch heute noch.“

„Welcher Sparkasse?“

„Rahden. Wir wohnen in Preußisch Ströhen.“

Ich machte mir Notizen.

„Ich wollte mich damals als Übersetzerin selbstständig machen. Ich hatte Sprachen studiert, germanische und romanische. Es gibt eine Menge zu übersetzen: Bücher, Geschäftsbriefe für Firmen und Tausende anderer Sachen. Ich merkte schnell, dass damit gutes Geld zu verdienen war. Also kündigte ich bei der Firma, bei der ich damals angestellt war, und eröffnete mein eigenes Büro. Walter bewilligte mir den Kredit dafür. Wir trafen uns drei oder vier Mal in der Sparkasse, dann war der Kredit ausgezahlt und unsere Wege trennten sich wieder. Bis dahin war es also nur eine Geschäftsbeziehung; wir hatten noch nichts Privates miteinander.

Kurze Zeit später begegneten wir uns wieder. Es war im Sommer 2005. Ich machte zwei Wochen Urlaub auf Ibiza. Eines Tages lag ich wie gewöhnlich dösend am Strand, und auf einmal stand er vor mir. Im ersten Moment waren wir beide ein bisschen verlegen.“

Ein verträumtes Lächeln schlich sich auf Evas Lippen, bevor sie fortfuhr. „Ich trug nur ein knappes Bikinihöschen und er eine dünne Badehose, die erahnen ließ, was darunter steckte. Es ist lächerlich, wenn man sich halb nackt gegenübersteht und Sie sagt. Also waren wir schnell beim Du. Die nächsten Tage trafen wir uns regelmäßig, und es dauerte nicht lange, bis wir im Bett landeten. Drei Monate später wurden wir ein Ehepaar.“

„Ich glaube, der Kaffee ist fertig.“ Ich holte die Kanne und schenkte ein. Ich sah zu, wie Eva Milch und Zucker einrührte, und fragte: „Was war vor Walter? Hatten Sie Beziehungen oder Ehen?“

Eva trank einen Schluck und schüttelte den Kopf. „Ans Heiraten hatte ich nie gedacht. Es gab ein paar lose Beziehungen, aber nie etwas Ernstes. Ich liebte meine Unabhängigkeit.“

„Außer bei Walter.“

„Außer bei Walter. Es hat uns einfach überrollt. Vielleicht war es ein Fehler.“

„Nun, immerhin hat Ihre Ehe bisher sieben Jahre gehalten. Hatte Ihr Mann vor Ihrer Ehe Beziehungen?“

„Er war einmal verheiratet. Aber das war lange vor unserer Zeit. Walter ist zehn Jahre älter als ich.“

„Gut, Sie heirateten also. Verzeihen Sie bitte die Frage, aber sie ist absolut wichtig: War Ihre Ehe glücklich?“

„Absolut. Wir unternahmen viel zusammen. Wir hatten regelmäßig Verkehr. Vielleicht war es hilfreich, dass jeder von uns seinen Job hat und tagsüber beschäftigt ist. Wenn man sich nur am Feierabend und an den Wochenenden sieht, hält das die Beziehung am Laufen.“

„Sie sagten, vor etwa drei Monaten hätte die Veränderung begonnen. Was änderte sich?“

„Sehen Sie, der Posten eines Abteilungsleiters bringt es mit sich, dass man viel Arbeit hat und die eine oder andere Überstunde ableisten muss. Walter hat aber immer aufgepasst, dass es im Rahmen blieb. Doch seit einem Vierteljahr ufert es aus. Er ist kaum vor acht zu Haus. Selbst am Wochenende geht er ins Büro; das hat er früher nie getan.“

„Ist er wirklich im Büro?“

„Ja. Meistens, jedenfalls. Denken Sie nicht, dass ich nicht schon einige Kontrollanrufe gemacht hätte.“

„Und die Frau, mit der er Sie betrügt? Haben Sie sie schon einmal gesehen?“

„Nein, das ist ja das Verrückte.“ Ihre Augen wurden rot und wässrig. „Zwei Mal habe ich ihn sogar schon im Büro überrascht. Samstags. Fehlanzeige. Er war immer allein.“

„Sind Sie sicher, dass eine Frau dahinter steckt?“

„Frau Borowski, bleiben Sie realistisch. Was soll es denn sonst sein?“

„Nun, Frau Müller-Wortmann, wenn ich Sie mir so betrachte: Sie sind eine attraktive Frau, und Sie sagten, Sie haben regelmäßig Sex mit Ihrem Mann ...“

„Nach sieben Jahren ist der Lack ab. Walter kennt mich in- und auswendig. Männer brauchen Abwechslung. Midlife-Crisis.“

„Wie alt ist Walter?“

„Neunundvierzig.“

„Demnach sind Sie neununddreißig.“

„Woher wissen Sie das?“

„Sie sagten vorhin, Sie wären zehn Jahre jünger als Ihr Mann.“

„Richtig“, sagte Eva leise und errötete.

„Also, Frau Müller-Wortmann, fassen wir zusammen. Sie gehen davon aus, dass Ihr Mann Sie betrügt, weil er seit einem Vierteljahr lieber ins Büro geht als seine Freizeit mit Ihnen zu verbringen. Und Sie möchten, dass ich Ihnen den Beweis dafür liefere.“

„Ja.“

„Hatten Sie und Walter in den letzten drei Monaten Sex?“

Wieder errötete Eva. „Nur zwei Mal. Und beide Male kam es nicht zum Höhepunkt. Ich spürte, dass Walter abgelenkt war. Kann wohl auch nicht anders sein, wenn er mit einem anderen Flittchen rummacht.“

„Gut. Die übliche Vorgehensweise ist, dass ich Ihren Mann observiere. Es würde mir helfen, wenn Sie ein Foto von ihm hätten und mir etwas über seine Gewohnheiten erzählen könnten.“

Eva begann, in ihrer Handtasche zu kramen. Wenige Sekunden später hielt sie ein Foto in der Hand. „Ich habe mir gedacht, dass Sie eins brauchen.“

Ich nahm das Bild und betrachtete es. Es zeigte einen Endvierziger mit beginnender Stirnglatze an einem Schreibtisch. Die Büroeinrichtung ließ vermuten, dass es in der Sparkasse aufgenommen worden war. Das Haar war noch dunkel, jedoch zeigten sich erste graue Stellen. Blaue Augen blickten freundlich aus einem intelligenten Gesicht. Obwohl das Bild unterhalb des Herzens aufhörte, ließ sich erkennen, dass der Mann schlank war. Auf Frauen, die auf reifere Männer standen, konnte er durchaus attraktiv wirken.

„Das Bild wurde vor einem Jahr in der Sparkasse anlässlich seines Jubiläums aufgenommen“, sagte Eva.

„Ich nehme an, dass die Stadtsparkasse ihre Kreditabteilung in ihrem Hauptgebäude in Rahden hat.“

Eva nickte.

„Gut. Ich kenne das Gebäude. Wann hat Walter in der Regel Feierabend?“

„Die Sparkasse schließt um halb fünf, aber Walter bleibt meist bis sechs.“

„Wo parkt er sein Auto?“

„Auf dem Sparkassenparkplatz. Die Angestellten dürfen allerdings nicht direkt an der Sparkasse parken, weil der Bereich den Kunden vorbehalten ist, sondern müssen den etwas entfernter liegenden Parkplatz hinter Ortgies benutzen.“

„Gibt es mehrere Ausgänge?“

„Die Mitarbeiter benutzen den Personaleingang, der auf den Parkplatz geht.“

„Wo liegt das Büro Ihres Mannes?“

„Im ersten Stock, auch zur Parkplatzseite.“

„Was für einen Wagen fährt er?“

„Einen schwarzen Jaguar. Das Kennzeichen ist MI – WW 1.“

„Sagen Sie, wie viel verdienen Sie beide eigentlich?“

„Warum wollen Sie das wissen?“ Dann ging ihr ein Licht auf. Sie blickte an sich herunter und sagte: „Ach, die Nerzjacke. Nun, mein Übersetzungsbüro läuft ganz gut. Aber eigentlich ist es nur Beschäftigungstherapie für mich. Sollten Walter und ich uns trennen, hätte ich ein finanzielles Problem.“

Schon klar. „Und Walter?“

Eva zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Um unsere Finanzen kümmert er sich. Er ist der Banker. Sein Einkommen ist gut, aber bis vor kurzem haben wir bescheiden mittelständisch gelebt.“

„Bis vor kurzem?“

„Dann machte Walter eine Erbschaft. Eine entfernte Tante hat ihm ein kleines Vermögen hinterlassen.“

„Wie klein?“

Wieder hob sie die Schultern. „Ich weiß es nicht, aber es war bestimmt sechsstellig. Jedenfalls können wir uns seitdem richtig etwas leisten.“

„Tiere, zum Beispiel? Wie Nerze und Jaguare? Gut, Frau Müller-Wortmann, ich nehme den Auftrag an. Geben Sie mir bitte Ihre Anschrift und die Telefonnummer, unter der ich Sie jederzeit erreichen kann.“

Eva gab mir ihre Karte und ich erledigte den Papierkram. Nachdem sie eine zweite Tasse Kaffee getrunken hatte, stand Eva auf und verabschiedete sich.

Ich erhob mich ebenfalls. „Sagen Sie, nur so aus Neugier: Wie sind Sie auf meine Person gestoßen?“

Eva grinste. „Ihr Name war der interessanteste im Telefonbuch.“

Danke, Laviniaseite. Ich sah ihr zu, wie sie in den BMW stieg. Dann fiel mir noch etwas ein. „Eine Frage noch, Frau Müller-Wortmann. Die Erbschaft Ihres Mannes, wann war das noch gleich?“

„Vor drei Monaten.“

2

Ich schloss das Büro ab, fuhr nach Hause und tauschte Jeans und Pullover gegen Kostüm und Bluse. Eine halbe Stunde später war ich in Rahden. Als ich auf den Parkplatz der Sparkasse bog, begann es zu regnen. Ich schnappte mir meine dunkle Aktenmappe aus Lederimitat und lief in das Gebäude, lediglich benetzt von ein paar Regentropfen.

„Guten Tag. Mein Name ist Borowski. Ich habe einen Termin bei Herrn Wortmann.“

Das Mädchen am Schalter lächelte freundlich und zeigte mir den Weg. Ich musste nicht lange warten. Nach nicht einmal fünf Minuten öffnete sich die Tür und Walter Wortmann bat mich herein. Er war groß, beinahe eins neunzig, und kräftig. Ein durchtrainierter Beschützertyp. Sein Büro war so schwer wie seine Geschäfte: ein schwerer Eichenschreibtisch, schwere Sessel, schwere Aktenschränke aus Massivholz. Das einzig Leichte in dem Zimmer war das Foto auf dem Schreibtisch, das Eva in einem luftigen Sommerkleid zeigte. Wortmann lächelte höflich und gab mir die Hand. „Bitte, Frau Borowski, nehmen Sie Platz.“

Er wartete, bis ich auf einem der Besuchersessel Platz genommen hatte, und setzte sich mir gegenüber. Ich achtete darauf, dass mein Rock beim Sitzen nach oben verrutschte und den Blick auf meine Schenkel freigab. Meine Bluse war so weit geöffnet, dass der Ansatz meiner Brüste gut zu sehen war. Dennoch widmete Wortmann meinen Reizen keinen Blick. Er sah mir in die Augen. Streng geschäftlich. Das Gespräch konnte beginnen.

„Herr Wortmann“, sagte ich, „ich bin Ihnen dankbar, dass Sie so kurzfristig einen Termin für mich einräumen konnten.“

Wortmann lächelte höflich. Gepflegte weiße Zähne strahlten aus seinem geöffneten Mund. „Flexibilität zeichnet erfolgreiche Geschäftsleute aus, nicht wahr? Kaffee?“

Ich winkte ab.

„Also gut, was kann ich für Sie tun, Frau Borowski?“

Ich öffnete meine Aktenmappe und entnahm ihr einen Stapel Papiere, die ich vor Wortmann auf den Tisch legte. „Ich möchte mich als Privatdetektivin selbstständig machen.“

Eine Stunde später war ich wieder auf dem Parkplatz der Sparkasse. Der Regen war in einen heftigen Schauer übergegangen. Als ich mein Auto erreichte, war ich nass bis auf die Haut. Ich startete den Motor und drehte die Heizung auf. Die Scheiben beschlugen dennoch. Ich zog eine Jacke über und wartete, bis der Wagen warm genug war. Zwischendurch betätigte ich den Scheibenwischer und wischte die Innenseite der Scheiben mit einem Tuch. Als sie klar genug waren, schaltete ich den Motor wieder aus. Im Nu war die Scheibe von außen wieder verschleiert. Ich holte das Handy aus der Handtasche. Während ich wählte, sah ich zu, wie die Tropfen aus meinem Haar fielen und Sitz und Armaturen benetzten. Eva war sofort am Apparat.

„Frau Müller-Wortmann, ich war gerade bei Ihrem Mann.“

„Sie haben ihn besucht? In der Sparkasse?“ Evas Stimme klang nervös.

„Mich interessierte die Lage seines Büros. Außerdem schien es mir wichtig, ihn persönlich kennenzulernen. Ich habe ein Kreditgespräch vorgetäuscht.“

„Waren Sie erfolgreich?“ Evas Stimme enthielt eine Spur zu viel Sarkasmus.

„Er hat abgelehnt. Damit hatte ich gerechnet. Wie auch immer, er schien mir nicht ganz bei der Sache. Er hörte mir nicht richtig zu und blickte ständig zur Uhr.“

„Wahrscheinlich hat er ein Date mit seinem Flittchen.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob es eine andere Frau gibt. Sehen Sie, Männer wie Walter, in mittlerem Alter, sexuell noch aktiv, schauen für gewöhnlich allem nach, was zwei Höcker hat, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Ich verstehe Sie durchaus, Frau Borowski.“ Die Stimme war jetzt schnippisch.

„Ich bin Ihrem Mann gegenüber ziemlich offenherzig aufgetreten: offene Bluse, hochgeschobener Rock. Jeder andere Mann hätte mich mit seinen Augen ausgezogen. Nicht jedoch Walter. Glauben Sie mir, ich habe ihn genau beobachtet. Nicht eine Sekunde richtete er seinen Blick auf meinen Busen oder meine Beine.“

„Wollen Sie mir erzählen, Walter sei in Wirklichkeit frigide?“

„So weit würde ich nicht gehen. Tatsache ist jedenfalls, dass er mich nicht als Frau wahrgenommen hat. Das schließt natürlich nicht aus, dass er eine Geliebte hat. Aber da ist irgendetwas anderes. Etwas, das ihn beschäftigt. Das ihn belastet. Er musste sich regelrecht auf unser Gespräch konzentrieren, seine Gedanken wurden immer wieder abgelenkt.“

„Selbstverständlich. Von dem Flittchen. Hören Sie, Frau Borowski, ich habe Sie nicht engagiert, damit Sie meinen Mann entlasten. Sie sollen Beweise finden, dass ich recht habe.“

„Natürlich. Wenn es Beweise gibt, werde ich sie finden. Ich möchte nur nicht, dass Sie enttäuscht sind, wenn es gar keine andere Frau gibt und Walter in Wahrheit ganz andere Probleme hat.“

„Auch für einen solchen Beweis wäre ich Ihnen selbstredend dankbar. Leider spricht er nicht mit mir über seine Sorgen. Jedenfalls nicht mehr seit seiner Erbschaft.“

„Nun gut, Frau Müller-Wortmann. Ich stehe hier noch vor der Sparkasse und beobachte das Büro Ihres Mannes. Wenn er rauskommt, werde ich ihm nachfahren. Vielleicht wissen wir in ein paar Stunden mehr.“

Ich wartete. Ab und an betätigte ich den Scheibenwischer, um durch die Wassermassen, die auf den Focus fielen, etwas erkennen zu können. Jede Viertelstunde schaltete ich zudem die Heizung an. Trotzdem war ich durchgefroren bis auf die Knochen, als Walter Wortmann nach einer Stunde durch den Personaleingang der Sparkasse nach draußen marschierte.

„18.05 Uhr. W. verlässt die Sparkasse und geht zu seinem Auto.“ Ich legte das Diktiergerät beiseite und überprüfte zum tausendsten Mal die Kamera. Ich schoss ein Foto und betrachtete das Ergebnis. Es war zufriedenstellend.

Unterdessen hatte Wortmann einen Schirm aufgespannt und lief in großen Schritten über den Parkplatz. Ich sah zu, wie er in seinen Wagen stieg, und startete den Focus.

Wortmann war nicht zimperlich. Der Jaguar preschte mit überhöhter Geschwindigkeit durch die dunkle Stadt. Doppelt so schnell wie erlaubt erreichte er die B 239. Die Fahrt ging Richtung Norden. Nach Preußisch Ströhen, wo die Wortmanns wohnten. Meine Tachonadel zeigte hundertfünfzig. Der Focus stieß an seine Grenzen. Dass ich den Anschluss nicht verlor, verdankte ich allein dem dünnen Verkehr. In Ströhen verlor ich dennoch den Überblick. Es ging durch dunkle Seitenstraßen und Feldwege, vorbei an Bauernhöfen und Viehweiden. Kühe glotzten mir mit glühenden Augen nach. Menschen waren nicht draußen; Dunkelheit, Kälte und Regen fesselten sie an ihre Häuser.

Mir wurde klar, dass Walter nicht nach Hause fuhr. Der Ort lag längst hinter uns. In einem unscheinbaren Nebenweg in der Nähe eines bebauten Platzes hielt der Jaguar schließlich. Ich fuhr vorbei und folgte dem weiteren Verlauf der Straße. Im Rückspiegel sah ich, dass Wortmann ausstieg. Ein paar Hundert Meter hinter dem Jaguar hielt ich an, löschte das Licht und verließ die trockene Wärme des Fords.

Irgendwo hinter einer Kilometer dicken Wolkendecke hatte sich der Mond versteckt. Es war stockfinster, als ich den Weg zurücklief, eine Taschenlampe in der Hand, Kamera, Diktiergerät und Notizbuch in der Jacke. Der Regen brauchte keine dreißig Sekunden, um mich bis auf die Haut zu durchtränken. Ich fror.

Nach zweihundert Metern löschte ich die Lampe. Die Straße verlief schnurgerade und war auch im Dunkeln gut zu gehen. In Höhe des Jaguars blieb ich stehen. Das Donnern des Regens auf dem harten Asphalt übertönte alle Geräusche. Ich wandte mich nach rechts, dorthin, wo Wortmann Minuten zuvor gegangen war.

Der Boden unter meinen Füßen änderte sich und ich geriet ins Straucheln. Im letzten Moment fing ich mich. Leise fluchend setzte ich meinen Weg fort. Es wurde matschig. Die Taschenlampe einzusetzen, wagte ich nicht. Wortmann konnte überall stehen und mein Licht sehen.

Dafür ging ein anderes Licht an. Ich warf mich zu Boden. Im nächsten Moment sah ich, dass ich vor einem Gebäude lag, aus dessen Fenster das Licht nach draußen fiel. Der schmale Lichtschein erhellte einen winzigen Streifen des Platzes, auf dem ich lag, endete aber weit vor meiner lang ausgebreiteten Gestalt. Schnell sprang ich auf und lief auf das Gebäude zu, sorgfältig darauf achtend, nicht in den Bereich des Lichts zu geraten.

Vorsichtig umrundete ich das Gebäude, das aus Holz zu bestehen schien. Die Eingangstür stand offen, als erwarte Wortmann Besuch. Durch eines der Fenster warf ich einen Blick hinein. Im Licht einer Wandlampe, die Wortmann eingeschaltet hatte, erkannte ich eine Einrichtung, die nach Gastronomie aussah: Tische, Stühle, eine Theke. Die Fenster waren mit bunten Gardinen umrahmt, die aber nicht vorgezogen waren.

Wortmann stand in der Mitte des Raumes und zündete Teelichte an, die auf den Tischen standen. Dann wandte er sich um und kam direkt auf das Fenster zu, hinter dem ich stand. Ich duckte mich. Als ich hochblickte, sah ich, dass Wortmann nur den Vorhang zugezogen hatte. Ich richtete mich auf und atmete auf. Wie ich erkennen konnte, war er nicht ganz gründlich gewesen. Ein kleiner Spalt war geblieben, durch den ich hineinsehen und beobachten konnte, wie er die weiteren Fenster verdunkelte. Der Lichtschein auf dem Platz erlosch, als das letzte Fenster zugezogen war.

Danach passierte eine Weile gar nichts. Wortmann nahm auf einem der Stühle Platz und steckte sich eine Zigarette an. Hin und wieder warf er einen Blick auf seine Uhr, als wartete er auf etwas. Ich sah zu und wartete ebenfalls. Der Dachüberstand bot Schutz vor dem Regen, nicht viel, aber genug, um nicht ständig weiteren kalten Güssen ausgesetzt zu sein. Die Kälte blieb. Ab und an bewegte ich meine Füße, aber meinen Platz verlassen konnte ich nicht. Es war offenkundig, dass an diesem Abend noch etwas geschehen würde.

Ich war überrascht, dass nur zehn Minuten vergangen waren, als ich durch den plätschernden Regen hindurch Motorengeräusche hörte. Ich spannte mich. Jenseits des Platzes, auf der befestigten Straße, entdeckte ich die Scheinwerfer eines Autos, das hinter dem Jaguar parkte. Gleich danach kam ein weiteres Fahrzeug. Die Lichter erloschen. Autotüren klapperten. Und dann kamen Personen auf mich zu.

Ich zog mich weiter in die Dunkelheit hinter der Hütte zurück. Gleich darauf ging die Tür auf. Im Schein des herausfallenden Lichts waren die Personen aus den Autos erkennbar, eine Frau und zwei Männer, wobei einer von ihnen so fett war, dass er für zwei durchgehen konnte. Einige Schritte hinter ihnen ging ein weiterer Mann. Als alle in dem Gebäude waren, schloss sich die Tür. Ich schlich an meinen Platz hinter dem Fenster zurück. Vorsichtig legte ich ein Ohr an die Glasscheibe, doch durch das kalte Isolierglas war nur dumpfes Gemurmel zu vernehmen. Ich holte die Kamera hervor, überzeugte mich, dass das Blitzlicht ausgeschaltet war, und schoss ein halbes Dutzend Fotos.

Nachdem die Begrüßung gelaufen war, nahmen die Männer auf den Stühlen an dem Tisch, an dem Wortmann gesessen hatte, Platz. Die Frau blieb stehen. Dann verstummte das Gemurmel in der Hütte. Ich betrachtete die Frau eingehender. Was ich sah, war eigentlich noch keine Frau, sondern vielmehr ein Mädchen im Übergang von der Pubertät zum Erwachsenwerden. Sie war nicht groß, keine eins siebzig, von hagerer Gestalt, blond, und sie zitterte. Sie trug einen billigen Minirock, eine billige bunte Bluse und billige Pumps, die sie jetzt von ihren schlanken Füßen streifte. Ihr Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Neugier und Angst. Ich brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, dass es wirklich Angst war. Die Kleine zitterte demnach nicht nur vor Kälte.

Nach den Schuhen folgten die Bluse und der Rock. Das Mädchen trug keine Unterwäsche. Ich machte weitere Fotos. Noch während ich damit beschäftigt war, begann das Mädchen sich im Kreis zu drehen. Es reckte die Arme in die Höhe und stellte sich auf die Zehenspitzen. Danach lief es zwei Mal in der Hütte auf und ab und blieb schließlich vor dem Kleiderhaufen auf dem Boden stehen. Einen Moment sah es zu den Männern hinüber. Als diese sich nicht rührten, zog es sich wieder an.

Während der gesamten Vorstellung hatten die Männer mit ausdruckslosen Gesichtern zugesehen. Wo ich Spaß und Amüsement erwartet hätte, zeigte sich eher Langeweile. Demnach handelte es sich wohl nicht um einen Junggesellenabschied. Von meinem Platz am Fenster konnte ich nur drei der vier Männer sehen, die zugezogene Gardine verdeckte den vierten. Wortmanns Gesicht war so ausdruckslos wie das seiner Freunde, wenngleich sich auch der Schatten eines Widerwillens darin zeigte.

Der Mann neben Wortmann war jünger als er. Seine schlanke Gestalt steckte in einem teuren Anzug. Auf der linken Wange prangte eine drei Zentimeter lange Narbe, die sich senkrecht vom Wangenknochen Richtung Unterkiefer schlängelte und seinem freundlichen Gesicht den Eindruck von Verletzlichkeit aufstempelte.

Einen Stuhl weiter saß der Dicke, den ich für einen Bodyguard hielt. Sein feistes Gesicht und die schwabbelige Gestalt, die aus dem zu engen Anzug herausquoll wie Babykacke aus der Pampers, gaben ihm das Aussehen von Jabba the Hutt. Ein elegantes Hemd und eine teure Krawatte sowie die längste Zigarre der Welt lenkten gnädiger Weise von seinem hässlichen Patriziergesicht und dem speckigen Schädel Marke polierte Platte ab.

Ich zoomte jedes der drei Gesichter heran und porträtierte sie für meine Klientin. Bei dem vierten Mann war es mir nicht möglich, weil er sich immer noch außerhalb des für mich sichtbaren Bereichs befand.

Dann begannen die Männer wieder zu reden. Ich sah ihre Lippen sprechende Bewegungen machen, aber die Isolierscheibe und der Regen verhinderten zuverlässig das Verstehen. Die Männer diskutierten, während das Mädchen unbeteiligt im Raum stand. Schließlich wurde die Diskussion lauter. Ich hörte die Stimmen, ohne die Worte zu verstehen, und sah erregte Gesichter. Offenkundig gab es einen Streit. Wortmann hatte sich von seinem Platz erhoben. Der Dicke mit der Zigarre deutete mit dem Arm auf ihn, gestikulierte wild und schrie ihn an. Der Mann mit der Narbe stand ebenfalls auf, sagte etwas und entfernte sich. Im selben Moment ging die Tür auf.