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Privatdetektivin Lavinia Borowski ist gar nicht begeistert, als die junge Venka Tramann sie um Hilfe bittet. Venka wird verfolgt und fürchtet um ihr Leben. Aus Zeitgründen muss Lavinia den Auftrag ablehnen. Wenige Stunden später ist Venka tot und Lavinia macht sich große Vorwürfe deswegen. Sie lässt alles stehen und liegen, um Venkas Mörder zu finden. Dabei gerät sie selbst in tödliche Gefahr.
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Seitenzahl: 232
Veröffentlichungsjahr: 2023
Schwedenschanze
Buch
Lavinia ist gar nicht begeistert, als die junge Venka Tramann sie um Hilfe bittet. Venka wird verfolgt und fürchtet um ihr Leben. Aus Zeitgründen muss Lavinia den Auftrag ablehnen. Wenige Stunden später ist Venka tot und Lavinia macht sich große Vorwürfe deswegen. Sie lässt alles stehen und liegen, um Venkas Mörder zu finden. Dabei gerät sie selbst in tödliche Gefahr.
Autor
Wilfried Bremermann, geboren 1963 im westfälischen Rahden, schreibt seit über 20 Jahren internationale Thriller. Sein erster regional angehauchter Krimi "Die Babylon-Falle" erschien 2014 und fand große Anerkennung beim Publikum. "Nordpunkt" war der erste Roman der Reihe um die Privatdetektivin Lavinia Borowski, die im Mühlenkreis Minden-Lübbecke ermittelt.
Wilfried Bremermann ist Mitglied im Bundesverband junger Autoren.
Im Internet finden Sie Wilfried Bremermann unter:
www.wilfried-bremermann.de.
Weitere Bücher von Wilfried Bremermann:
Die Hoffmann-Affäre
Der Golf-Zwischenfall
Der Armageddon-Plan
Die Babylon-Falle
Das Arkham-Manuskript
Die virginische Nymphe
Nordpunkt (Lavinias 1. Fall)
Schachtschleuse (Lavinias 2. Fall)
Jakobsberg (Lavinias 3. Fall)
Wilfried Bremermann
Schwedenschanze
Ein Lavinia Borowski Krimi
Tredition
© 2023 Wilfried Bremermann
Website: wilfried-bremermann.de
Umschlag, Illustration: Vorderseite Autor, Rückseite Franck Camhi, FotoliaDruck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: Wilfried Bremermann, An der Beeke 9, 32479 Hille, Germany.
Cover
Halbe Titelseite
Titelblatt
Urheberrechte
Prolog
Teil 1. Lavinia
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Teil 2. Venka
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Epilog
Nachwort
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Prolog
Eine Sekunde, nachdem sie ihre Wohnung betreten hatte, wusste sie, dass sie sterben würde.
Noch bevor ihre Augen den Schrecken erfassten, hatte ihre Nase den fremden Geruch wahrgenommen. Einen Duft, den weder sie noch Venka benutzten. Billiges After Shave, schlichtes Kölnisch Wasser. Die beiden Männer, die dazu gehörten, standen einen Meter von ihr entfernt, sichtbar erst, nachdem sie den Lichtschalter betätigt hatte.
Das Licht enthüllte noch mehr. Die Hand des einen Mannes hielt eine Pistole. Der Lauf zielte auf die Mitte ihres Herzens.
Die Handtasche entglitt ihren Fingern und landete mit einem leisen Puff auf dem Boden. Zwischen ihren Beinen wurde es feucht. Ein stummer Schrei öffnete ihren Mund.
Der zweite Mann hielt den Zeigefinger vor den Mund. „Sch. Kein Mucks, Süße.“
Dann geschah etwas Seltsames. Der zweite Mann hielt plötzlich ein Glas in der Hand und reichte es ihr. „Trink das.“
Das Glas enthielt eine klare Flüssigkeit. Gift? War es das? Sollte sie einen quälenden Gifttod sterben? Aber warum dann die Pistole?
Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, stieß der Mann ihr das Glas vor die Brust. „Trink endlich.“
Ihre Hand zitterte, als sie das Glas nahm. Sie zögerte. Letztlich war es das knarrende Geräusch des Abzugshahns, das sie dazu bewog, das Glas an ihre Lippen zu führen. Ein letztes Zögern, dann schloss sie die Augen und kippte die Flüssigkeit in einem Zug herunter.
Wasser. Es war banales Leitungswasser. Allerdings hatte es einen süßlich bitteren Beigeschmack. Was hatten sie beigemischt? Was würde nun mit ihr geschehen?
„Und jetzt zieh dich aus.“
War es Lethargie oder die schlichte Erkenntnis, dass Widerstand zwecklos war? Sie tat es. Ein kurzer Blick zu den beiden Männern überzeugte sie, dass sie keine Chance hatte. Es waren Schränke. Keiner der beiden unter eins neunzig, mit Oberarmen, die aus den aufgekrempelten Tarnfarbenhemden nur so hervorquollen.
Während sie sich langsam und mit zitternden Händen entkleidete, dachte sie darüber nach, was sie falsch gemacht hatte. Eigentlich war es klar, sie hatte eindeutig zu lange gewartet. Es hätte längst getan werden müssen. Und nun war es zu spät. Die Zeichen waren unmissverständlich gewesen, früh genug, aber sie hatte sie ignoriert. Nein, nicht ignoriert, dachte sie. Ausgeblendet. Ja, das war es. Ausgeblendet aus Angst vor den Konsequenzen. Zu lange. Jetzt hatten die Konsequenzen sie eingeholt, ohne dass sie noch etwas tun konnte. Schon im Bundestag waren alle so komisch gewesen. Diese Blicke. Als ob sie ein Stigma auf der Stirn hätte. Und dann ihr Chef, seine merkwürdigen Andeutungen von Illoyalität und Vertrauensbruch. Ja, die Zeichen waren deutlich gewesen. Warum war sie nicht sofort geflohen?
Sie war aufgeflogen. Illoyalität, Vertrauensbruch - schlichtweg und ohne Schnörkel war es das. Sie würde dafür bezahlen, jetzt, in diesem Moment. Bezahlen für das, was sie herausgefunden hatte. Herausgefunden, was sie zuerst nicht hatte glauben wollen. Weil es unglaublich war. Weil es gefährlich war. Wie war sie da nur hineingeraten? Auf jeden Fall war jetzt alles zu spät. Sie konnte ihre Informationen nicht weitergeben.
Eine seltsame Lethargie befiel sie. Es machte ihr nichts aus, dass sie nackt war. Und es machte ihr irgendwie auch nichts aus zu sterben. Hatte sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden? Oder war es das Zeug im Wasser?
„Leg das um deinen Hals.“
Sie zuckte zusammen. Vor ihren Augen erschien eine Hand. Dieselbe Hand, die vor wenigen Sekunden ein Wasserglas gehalten hatte. Nun umklammerte sie ein dünnes ledernes Band. Ein Halsband? Sie griff danach. Es war nass. Ein flüchtiger Gedanke raste durch ihr träges Gehirn. Leg es um deinen Hals. Nasses Leder. Wenn es trocknete…
Aber sie gehorchte. Ihre Brustwarzen wurden hart, als sie das feuchte Band um ihren Hals legte. Allerdings so ungeschickt, dass es ihren Fingern entglitt und auf den Boden fiel.
„Du blöde Kuh.“ Der Mann mit der Pistole hob die freie Hand zum Schlag, besann sich aber im letzten Moment und ließ die Hand wieder sinken. Sein Partner hob das Band auf und vollendete das, was ihre zitternden Hände nicht geschafft hatten. Im nächsten Moment spürte sie einen kurzen Ruck und ein beklemmendes Gefühl am Hals. Sie würgte.
Es wurde noch enger, als ihr Peiniger seine dicken Finger zwischen das Band und ihren Hals zwängte und sie auf diese Weise ins Schlafzimmer zog. Sie röchelte, ließ es aber geschehen. Kurz vor ihrem Bett geriet sie ins Stolpern. Die Luft blieb ihr weg, als der Hüne sie mitleidlos aufhob. Plötzlich waren seine Finger weg. Sie bekam wieder Luft und hustete. Schwindel ergriff sie. Sie strauchelte erneut und stürzte zu Boden. Bleierne Müdigkeit ergriff Besitz von ihr.
„Nicht auf den Boden, du dumme Nuss. Leg dich aufs Bett.“
Sie schaffte es mit letzter Kraft, sich wundernd, dass die Männer sie nicht einfach ergriffen und auf das Bett warfen. Ihre Sinne schwanden, doch zweierlei nahm sie wahr, bevor das Bewusstsein sie endgültig verließ. Nummer Zwei, der Mann mit dem Wasserglas, zerrte an dem Lederband, das fast schon in ihren Hals schnitt. Dann stellte er sich neben Nummer Eins und sah gemeinsam mit ihm in aller Seelenruhe zu, wie sich die Nacht über ihr Bewusstsein senkte.
„Was meinst du, wie lange wird es dauern, bis das Leder trocken ist und ihr die Luft abschnürt?“
Nummer Eins hob die Schultern. „Keine Ahnung. In den alten Indianerfilmen dauerte das immer Stunden. Aber die Bänder waren größer und die Opfer bei Bewusstsein.“
Sie drehten die Heizung auf, halfen mit einem Föhn nach, den sie auf das Lederband richteten, und warteten zwei Stunden. Dann nahmen sie einen Taschenspiegel, hielten ihr den vor Mund und Nase und begutachteten sorgfältig das Ergebnis. Kein Beschlag. Das hieß, kein Atem. Die Frau war tot.
Nummer Eins bildete eine Faust. Sein hässlicher Mund verzog sich. Dicke Lippen und gelbliche Zähne unternahmen den Versuch eines zufriedenen Grinsens. „Auftrag erledigt. Mach den Dildo fertig.“
Teil 1
Lavinia
1
Der Fall Tramann war für mich zunächst gar kein Fall, sondern die hanebüchene Räuberpistole einer durchgeknallten Sekretärin. Wie hätte ich ahnen können, dass daraus die größte Katastrophe meiner Karriere erwachsen sollte?
Es war ein nebliger Herbstmorgen und ich war unzufrieden. Dafür gab es verschiedene Gründe. Da war zum einen mein neues Büro. Die Einrichtung war noch nicht vollständig. Es fehlten Aktenschränke und weiteres Mobiliar. Lediglich Schreibtisch und Stuhl waren vorhanden. Ihre Möbel kommen in vierzehn Tagen. Nur dass diese vierzehn Tage bereits zwei Monate zurücklagen. Ich arbeitete also umkreist von Akten, die auf dem Teppich verteilt um mich herumlagen wie ein Schutzwall. Das war das eine. Das andere war, dass noch etliche Handwerkerarbeiten zu erledigen waren. Die Elektrik funktionierte nicht einwandfrei. Wenn ich die Kaffeemaschine einschaltete, ging das Licht auf dem Klo aus und solche Spielchen. Und dann war da noch die Heizung, so ein modernes Wärmepumpendings, das ein störrisches Eigenleben führte. An einem Tag war die Bude warm, am anderen schien es, als hätte die Anlage ihre Tätigkeit eingestellt. Unlust oder Streik, weil ich nicht mit ihr sprach – ich wusste es nicht. Aber es war Herbst, das Thermometer zeigte schlappe fünf Grad und ich brauchte die Wärme, verdammt noch mal. Und dies war ein Streiktag. Ich schrieb meine Berichte also mit eingefrorenen Fingern, kalter Nase und noch kälteren Füßen.
Apropos Berichte. Nicht nur das Büro machte mir Sorgen, auch arbeitstechnisch hatte ich Stress. Die Landwirtschaftliche Versicherung machte Druck. Ich hatte für sie einen Fall von Versicherungsbetrug übernommen. Ein Kunde stand im Verdacht, sich durch fingierte Auffahrunfälle ein nicht unerhebliches Zusatzeinkommen verschafft zu haben. Seit zweieinhalb Jahren trat er regelmäßig mit Ansprüchen an Versicherungen heran, weil andere Autofahrer beim Bremsen auf ihn aufgefahren waren. Getreu dem Motto „Wer auffährt, ist schuld“, wurden dem armen Opfer nicht unerhebliche Geldbeträge überwiesen. Es gab mindestens vier solcher Unfälle und in jedem Fall gab es Unklarheiten, um es gelinde auszudrücken, warum unser Freund denn gebremst hatte. Das war das, was ich recherchieren konnte. Wahrscheinlich aber war er mit seinem Geschäftsmodell schon wesentlich länger am Markt. Der Landwirtschaftlichen war er schließlich aufgefallen, weil sie das zweite Mal in drei Monaten in Anspruch genommen worden war. Und so kam ich ins Spiel. Ich hatte mir Akten kommen lassen und war dem Täter auf die Schliche gekommen. Nun lag der Fall beim Gericht und sollte in zwei Tagen verhandelt werden. Von meiner Seite mussten noch letzte rechtssichere Beweise recherchiert und dokumentiert werden, eine Aufgabe, die mich wahrscheinlich noch einige Stunden Schlaf kosten würde.
Das also war meine aktuelle Lage. Und in diese Situation platzte Venka Tramann.
Die Fallakte auf dem Schoß, den Stift in meinen kalten Fingern, saß ich eng zusammengerollt (um nicht zu viel Körperwärme zu verlieren) an meinem Schreibtisch und überlegte die weitere Strategie in dem Versicherungsfall. Meine Gedanken wirbelten durcheinander und ich suchte angestrengt den Fokus, um sie zu kanalisieren. Deshalb hörte ich das Klopfen zunächst nicht. Aber mein Unterbewusstsein registrierte, dass etwas nicht in Ordnung war, und – peng – war meine Gedankenflut in den Windungen meines kalten Hirns zum Stillstand gekommen.
Es klopfte ein zweites Mal, resoluter dieses Mal, so laut und unmissverständlich, dass auch mein Hauptbewusstsein es mitbekam. Die Eingangstür. Jemand begehrte ganz heftig Einlass. Ich konnte mich nicht erinnern, abgeschlossen zu haben. Trotzdem erhob ich mich und ging, verärgert über die Unterbrechung, zur Tür, um nachzusehen, wer mit solcher Vehemenz mein Büro stürmen wollte. Ich kam bis zur Vorderkante des Schreibtischs, als die Tür mir auch schon entgegenkam. Und mit der Tür eine Furie.
„Sie müssen mir helfen!“
Ich will nicht sagen, dass die Frau schrie, aber ein Dezibel mehr und ich hätte mich in Langenhagen oder Jagel vermutet.
Sie war Ende zwanzig, etwas größer als ich. Ihre Kleidung – Chinos, Bluse, Windjacke – entsprach dem Outfit einer ordentlichen Angestellten, vielleicht einer Sekretärin. Lippenstift, Rouge und Eyeliner unterstrichen den Eindruck und zeugten von einem hohen Anspruch der Frau an sich selbst. Das einzige, das den Gesamteindruck störte, waren ihre gehetzten blauen Augen und das blonde, mittellange Haar, das in Strahlen von ihrem Kopf abstand, als wäre sie durch einen Windkanal gelaufen.
„Sie müssen mir helfen“, wiederholte sie, während sie auf mich zu stöckelte. „Ich werde verfolgt.“ Ihr Atem ging stoßweise, als wäre sie den Weg zu mir gelaufen.
Ich blickte nach draußen und konnte kein Auto entdecken, jedenfalls nicht am Straßenrand vor meinem Büro. Ich wandte mich ihr zu. Ihr Parfüm fand den Weg in meine Nase, dezent, weich, teuer. Ich wies auf die beiden Besucherstühle, die vor dem Schreibtisch standen. „Beruhigen Sie sich. Setzen Sie sich doch erst einmal.“ Sitzen, zur Ruhe kommen half in den meisten Fällen.
Ihr Blick streifte gehetzt umher, als suche sie im Büro nach ihren Verfolgern. Erst als sie sicher war, dass mein Büro sauber war, setzte sie sich. Ich tat dasselbe.
„So“, sagte ich, „jetzt noch mal von vorn. Wer verfolgt Sie?“
„Ich weiß es nicht. Männer. Zwei, glaube ich.“
„Und warum werden Sie verfolgt?“
„Ich weiß zu viel.“
Ich runzelte die Stirn. Erst wusste sie nichts, dann wusste sie zu viel. „Zu viel wovon?“
„Es geht um meinen Job. Ich habe etwas mitbekommen, was ich nicht hätte wissen dürfen.“
Watergate in Hille? Meine Runzeln wurden tiefer. „Ein Dienstgeheimnis?“
Es kam ein lautes, empörtes „Nein! Ein Verbrechen.“
„Ein Verbrechen?“ Mein Interesse wuchs. „Sie sind also auf der Arbeit Zeugin eines Verbrechens geworden?“
„Nein, so einfach ist das nicht. Es geht um mehr. Um viel mehr.“
„Für wen arbeiten Sie, Frau …“
Sie schüttelte ihr Haar, wie um es auf die Antwort vorzubereiten. „Tramann. Venka Tramann. Und ich arbeite für Robert Hallmann.“
Bei dem Namen klingelte was bei mir, doch wie so oft, wenn man Namen in völlig anderem Zusammenhang hört, kam ich nicht auf die Lösung.
Venka schien meine Unwissenheit zu erkennen. „Sie wissen schon, Robert Hallmann, der Bundestagsabgeordnete.“
Jetzt, wo sie es sagte… Robert Hallmann, der heimische CDU-Abgeordnete für den Bundestag. Na klar, ich kannte ihn aus der Zeitung. Ein sympathischer Zeitgenosse, der – zumindest in den Medien – sehr engagiert für den Mühlenkreis auftrat. Ich hatte ihn nicht gewählt, weil ich es nicht so mit seiner Partei hatte, aber er schien einen gu ten Job zu machen.
Ich wurde neugierig. „Und was genau ist vorgefallen?“
Venka rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her. „Ich weiß es nicht. Da sind mehrere Dinge. Irgendwas geht da vor. Hallmann ist in letzter Zeit so anders. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Schwermütig oder so, als würde ihn etwas bedrücken. Er ist auch nicht mehr so nett. Ständig raunzt er Bea und mich an. Vielleicht, weil Bea was aufgedeckt hat. Und jetzt ist Bea tot.“
„Bea?“
„Meine Kollegin. Meine Freundin. Wir sind… waren beide Hallmanns Sekretärinnen, eine in Berlin, eine in Minden. Wir wechselten uns mit den Einsatzorten immer ab. Und jetzt ist Bea tot. Sie wurde ermordet, ich spüre es.“
„Ermordet?“ Meine Ohren wurden größer. „Warum glauben Sie, dass sie ermordet wurde?“
„Wegen Hallmann. Wegen seiner Geschäfte. Da läuft was Illegales. Ich spüre es. Irgendwas mit Grundstücken.“
„Noch mal zum Mitschreiben. Sie glauben, Ihr Chef ist in dunkle Machenschaften verstrickt. Ihre Kollegin hat das herausbekommen und wurde deshalb von Hallmann ermordet.“
„Nicht von Hallmann. Von seinen Tschakos. Und jetzt sind sie hinter mir her.“
„Frau Tramann, wenn das stimmt, was Sie sagen…“ Was ich allerdings nicht recht glaubte, es klang doch zu sehr nach Fernsehkrimi. „…dann sollten Sie zur Polizei gehen. Die werden Ihnen helfen.“
Beim Wort Polizei wurden Venkas Augen feucht. „Die Polizei.“ Wie sie es sagte, klang es verzweifelt, beinahe so, als hätte sie schon aufgegeben. „Bei denen war ich schon. Die glauben mir nicht. Die halten mich für durchgeknallt.“
Na ja, der Gedanke war mir auch gekommen.
„Bitte, Frau Borowski, Sie sind meine einzige Hoffnung. Hallmanns Männer sind hinter mir her. Wenn sie mich kaltgestellt haben, kann niemand mehr Hallmann aufhalten.“
Ja, sie war verzweifelt. Zeit, ihr etwas entgegenzukommen. „Hören Sie, was Sie brauchen, hört sich nach einem Personenschützer an. Ein Bodyguard. Dafür bin ich nicht ausgebildet. Ich bin Privatdetektivin. Um was genau geht es hier eigentlich?“
Venka sah auf ihre Uhr und plötzlich veränderte sich ihre Haltung. Ihr Gesichtsausdruck wurde abweisend, als erwachten Widerstand und Kampfgeist. „Ich habe keine Zeit mehr“, sagte sie mit fester Stimme. „Helfen Sie mir oder nicht?“
„Nun“, sagte ich zögernd, „ich bin gerade etwas im Stress. Momentan habe ich wirklich keine Zeit für einen neuen Fall. Aber ab übermorgen hätte ich Zeit für Sie.“
„Übermorgen bin ich tot.“ Damit stand sie auf, ging zur Tür und verließ mich ohne ein Wort des Abschieds.
Als sie fort war, dachte ich einige Zeit darüber nach, ob an ihrer Geschichte etwas dran war. Hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte ich das Unheil, das sich über unseren Köpfen zusammenbraute, vielleicht verhindern können.
2
Neunzig Minuten später wurde Venka erneut in mein Bewusstsein gerückt. Ich saß auf der Toilette und verrichtete mein kleines Geschäft, als ich einen Wagen kommen hörte. Das Klofenster geht zur Straße hinaus, deswegen war ich sicher, dass das Fahrzeug vor meinem Büro parkte. Genervt von der zu erwartenden neuerlichen Unterbrechung meiner Arbeit beendete ich mein Geschäft. Ich schaffte es noch, meine Hände zu waschen, als zwei Männer die Tür aufstießen und auf mich zugestürmt kamen wie Mitglieder eines Sonderkommandos. Mein Unmut wandelte sich in Besorgnis. Solches Auftreten kannte ich. Es war nie gut für mich ausgegangen.
Mit einem hastigen Schritt wich ich zur Wand zurück, ich wollte wenigstens den Rücken frei haben. Die Kerle stürmten weiter. Zehn Zentimeter vor meiner Nasenspitze blieben sie stehen. Mein Blick wanderte unruhig vom einen zum anderen. Beide waren etwa eins neunzig groß, brachten schätzungsweise neunzig Kilo pure Muskeln auf die Waage und gingen zum Lachen in den Keller. Sie trugen eine Art Kampfanzug, Overalls in grauer Tarnfarbe, wie Militärfans sie überall kaufen konnten. Die Ärmel hatten sie hochgekrempelt wie Soldaten, wenn Sommer befohlen war. Eichendicke Oberarme warteten auf ihren Einsatzbefehl.
Stahlblaue Augen fixierten mich. Im Geiste ging ich sämtliche Verteidigungsstellungen durch, die ich vom Boxen her kannte. Doch das war nur pro forma. Wenn die Brutalinskis angriffen, hatten meine eins vierundsechzig nicht den Hauch einer Chance.
Der linke hielt plötzlich ein Foto in der Hand. Keine Ahnung, wo er das so schnell hergeholt hatte, ich hatte keine Bewegung gesehen.
„Wo ist sie?“ Seine Stimme erinnerte mich an Bruce Willis, wenn er im Kampfmodus war.
Ich konnte nicht anders, meine Augen wanderten automatisch zu dem Foto. Ich versuchte, meine Gesichtszüge im Griff zu behalten, dennoch hatte ich das Gefühl, dass meine Brauen vielleicht doch um ein oder zwei Millimeter nach oben gingen. Das Bild zeigte Venka. Ein Porträtfoto, auf dem sie mit starrem Ausdruck in die Kamera schaute. Möglicherweise ein Passfoto.
Einen Versuch war es wert. „Kenne ich nicht.“ Ich hatte den Satz kaum beendet, da landete die Faust des rechten bereits in meiner Magengrube. Das halb verdaute Frühstück spritzte auf die Stiefel des Angreifers, was mich in diesem Augenblick allerdings nicht befriedigte.
„Falsche Antwort.“ Der linke Typ – ich suchte nach einem passenden Namen für ihn und fand Sly ganz nett - hielt das Foto noch näher an mein Gesicht. „Noch einmal. Wo ist sie?“
Ich blieb tapfer. Und dumm. „Ich kenne die Frau nicht.“
Ehe ich mich versah, lag ich auf dem Boden. Ein Paar Kampfstiefel fixierte mich, das andere trat zu. Mein Blick verschwamm. Meine Synapsen meldeten Explosionen in der Bauchhöhle, zwischen den Beinen, in meinen Brüsten und in meiner Niere. Noch einmal kam etwas aus meinem Magen, landete dieses Mal aber nicht auf Kampfstiefeln, sondern auf meiner Bluse.
Sly beugte sich zu mir herab und hielt sein Sprechorgan dicht an mein Ohr, als wollte er es abknabbern. Ich roch seinen Atem. Frisches Pfefferminz.
„Hör gut zu. Ich sag's dir ein letztes Mal. Wir wissen, dass Venka Tramann bei dir war. Ich könnte aus dir herauspressen, was sie dir erzählt hat. Glaub mir, ich kenne Fragetechniken, denen bisher keiner widerstanden hat. Aber für den Moment reicht mir zu wissen, wo sie ist.“
Ich war nicht scharf darauf, seine Fragetechniken kennenzulernen, und überlegte zwischen zwei Schmerzschüben, ob es Zweck hatte, weiterhin zu leugnen, Venka zu kennen. Meine Organe waren dagegen, und sie brauchten auch nicht lange, mein Gehirn zu überzeugen. Also denn…
Ich sah Sly in die Augen, versuchte zu erkennen, ob er meine Antwort akzeptieren würde. Doch ich konnte keine Regung erkennen. Wahrscheinlich feilte er sich gelangweilt die Fingernägel, wenn er Menschen folterte.
„Ich weiß es nicht, wirklich.“ War das meine Stimme? Ich konnte sie kaum verstehen. Offenbar hatten die Tritte auch Synapsen lädiert, die man zum Sprechen braucht.
Der rechte Typ – ich nannte ihn Arnold - setzte zur nächsten Trittorgie an. Irgendwie brachte ich die Kraft auf, den Arm in Abwehrstellung zu bringen. „Nein, warte. Sie war hier, okay. Sie erzählte mir eine wilde Geschichte. Kaum möglich, dass sie stimmt. Ich sagte ihr, dass ich augenblicklich keine Zeit für einen neuen Auftrag habe. Daraufhin ist sie abgerauscht. Sie hat mir nicht gesagt, wohin. Ich weiß nicht einmal, ob sie mit einem Auto hier war, ich habe jedenfalls keins gesehen.“
Sly gab Arnold ein Zeichen, woraufhin Arnold von mir abließ und militärisch exakt zu meinem Schreibtisch marschierte. Es dauerte keine Minute, da hatte er alle Papiere durch und der Boden einen neuen Teppich. Während der ganzen Durchsuchung blieb Slys Fuß auf meiner Brust.
Arnold sah Sly an. Kein Wort, nur eine fragende Geste. Hieß wohl „Und jetzt?“ Sly sagte: „Jetzt durchsuchst du sie.“ Damit gab er mich frei und überließ mich dem anderen. Arnold kniete nieder und begann mich abzutasten, langsam und systematisch. Meine Intimbereiche berührte er kaum, es ging ihm nur um mögliche Verstecke in meinen Klamotten. Ein Profi.
Als er fertig war, folgte ein weiterer fragender Blick in Richtung Sly, der offenbar der Boss war. „Zieh sie aus“, war die Antwort.
Ich wehrte mich nicht. Wie auch? Mein Körper war gelähmt, nachdem er als Trittsack missbraucht worden war. Und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass der Anblick einer nackten Frau nicht den geringsten Eindruck auf sie machen würde. Es gab ein Ziel, von dem sie sich nicht ablenken ließen.
Meine Einschätzung war richtig. Es passierte nichts. Sie drehten mich hin und her. Sie sahen, dass ich nichts an meinem Körper versteckt hielt, und entspannten sich. Arnold hob meine Klamotten auf und warf sie mir auf den Bauch.
„Also gut, Detektivin“, sagte Sly, „für den Moment wollen wir dir glauben. Zieh dich an und sorg dafür, dass du uns nicht noch mal über den Weg läufst. Denn wenn wir herausfinden, dass du doch mehr weißt, als du gesagt hast, besuchen wir dich wieder. Und nach diesem Besuch wirst du wissen, aus wie vielen Einzelteilen ein menschlicher Körper besteht.“
3
Nachdem sie abgezogen waren, blieb ich am Boden liegen. Nicht dass ich faul gewesen oder in Selbstmitleid versunken wäre. Ich konnte nicht aufstehen. Meine Muskeln gehorchten mir nicht. Sobald ich einen Arm oder ein Bein heben wollte, durchzog mich ein elektrischer Schlag und zwang mich in Fötalstellung. So lag ich also hinter meinem Schreibtisch, Arme und Beine angezogen, den Schmerz aus mir heraus stöhnend, meine Kleider an mich gepresst, und hoffte, dass in diesem Moment niemand zur Tür hereinkam. Mein Körper sandte keine hoffnungsvollen Signale aus. Wahrscheinlich hatte ich innere Blutungen. Möglicherweise lag bei dem einen oder anderen Organ eine Quetschung oder eine Ruptur vor. Ganz gewiss aber hatten die Rippen etwas abbekommen. Nichts Neues – ich war in meinem Leben öfter überfallen und zusammengeschlagen worden -, trotzdem tat es scheußlich weh und ein Krankenhausaufenthalt war wohl unumgänglich.
Welche Ironie des Schicksals, dachte ich zwischen zwei Schmerzwellen. Ich hatte Venkas Bitte um Hilfe abgelehnt, weil ich meinen aktuellen Auftrag und das fette Honorar nicht verlieren wollte. Nun würde ich ihn doch verlieren, gerade weil ich Venka abgewiesen hatte und deshalb im Krankenhaus landen würde.
Venka. Hatte ich ihr am Ende Unrecht getan? Es bestand ja nun kein Zweifel mehr, dass sie verfolgt wurde. Sly und Arnold waren der lebende Beweis. Aber hätte ich Venka beschützen können? Ihre Verfolger waren ausgebildete Kämpfer – Söldner, Soldaten, Spezialkommando, was auch immer. Hätten wir gegen sie eine Chance? Was war Venkas Geheimnis? War ihr Chef wirklich in etwas Schlimmes verwickelt? Hatte er Sly und Arnold beauftragt? Ich wusste es nicht. Ich wusste mittlerweile nur, dass irgendwem ihre Ergreifung so wichtig war, dass jeder, der ihm in die Quere kam, gnadenlos beiseite gefegt wurde. Lavinia Borowski zum Beispiel. Aber was sollte ich tun? Was konnte ich tun? Die Sache auf sich beruhen lasen? Vorteil: Klein-Vinnie würde überleben. Nachteil: Venka würde möglicherweise sterben.
Und damit war die Entscheidung gefallen. Ich würde mir nie verzeihen, wenn Venka meinetwegen den Löffel abgab. Ich musste ihr helfen. Nur gab es da zwei Probleme: Ich musste sie finden, und ich musste meine Innereien durchchecken lassen. Und eigentlich musste ich die Geschichte mit der Landwirtschaftlichen abschließen. Zwar würde mich der drohende Honorarausfall nicht ins Armenhaus bringen, aber wehtun würde er schon. Wenn ich allerdings Venka schnell fand…