Not your Cupcake - Annie C. Waye - E-Book

Not your Cupcake E-Book

Annie C. Waye

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Beschreibung

Trey war mein Boss. Und er war Trey. Zwei klare Gründe, warum ich mich in seiner Gegenwart nicht so fühlen sollte.

Ava Edison ist jung, ehrgeizig und dauergestresst. Als frühere Schulstreberin und Programmier-Nerd arbeitet sie auf eine glanzvolle Karriere bei der NASA hin. Doch sie wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, als sich ihr neuer Boss ausgerechnet als Trey Ward entpuppt – der attraktive, arrogante Kerl, der ihr schon die Highschool-Zeit zur Hölle gemacht und ihr den Spitznamen "Cupcake" verpasst hat. Aber das ist lange her: Heute sind sie reife Erwachsene, die trotz ihrer Vorgeschichte professionell zusammenarbeiten können. Oder? Ehe sich Ava versieht, bringt Trey sie einmal mehr durch seine provokante Art um den Verstand – und beschwört neue, andere Gefühle in ihr herauf, die sie auf dem Weg zum Erfolg ganz und gar nicht gebrauchen kann.

***

Leseprobe:

»Du siehst sogar noch aus wie früher.« Er musterte mich, soweit es ihm im Liegen möglich war. »Zugeknöpftes Outfit.« Hallo? Ich hatte in der Bar einen Knopf geöffnet! »Pferdeschwanz, angepisster Gesichtsausdruck …«
Stöhnend richtete ich mich auf. »Ich hab’s kapiert. Du wurdest vom Frosch geküsst und ich nicht.«
Er tat es mir gleich. »Ich glaube nicht, dass das Märchen so geht.« Langsam hob er die Hand – aber nicht, um mich wieder an der Wange zu berühren. Stattdessen wanderte sie bis zu meinem Haargummi.
»Hey!«, beschwerte ich mich halbherzig, wehrte mich aber auch nicht, als er ihn langsam herauszog. Unbeholfen griff ich in meine Haare und kämmte sie mit den Fingern, damit sie nicht völlig geplättet aussahen.
Doch auch sie nahm Trey mir weg – und legte sie mir locker über die Schultern, sodass sie mein Gesicht umrahmten. Obwohl keiner von uns etwas gesagt hatte, nickte er wie zur Bestätigung. »Ja«, murmelte er. »Schon besser.«
Ich wusste nicht, ob mich ein spontaner Schwindelanfall erfasste oder ob Treys Gesicht meinem näher kam – so lange, bis seine Lippen auf meine trafen.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Annie Waye

c/o JCG Media

Freiherr-von-Twickel-Str. 11

48329 Havixbeck

Hersteller-Mail (nur für GPSR-Themen): [email protected]

© 2025 Annie Waye

Alle Rechte vorbehalten.

Coverillustration: Rebecca Harborne

Covergestaltung: Makita Hirt

Lektorat: Kaja Raff

Instagram * TikTok * Newsletter * WhatsApp

1. Kapitel

»Die wollen mich doch verarschen«, flüsterte ich, als die Zusage zum Traineeprogramm der NASA in mein Postfach flatterte. Selbst nach vier Jahren IT-Studium hätte ich nie damit gerechnet. Obwohl ich es natürlich so was von verdient hatte.

»Die wollen mich doch verarschen«, flüsterte ich ein Jahr später wieder, als ich erfuhr, in welcher Zweigstelle sie mich nach Abschluss des Programms einsetzen würden. Nicht im Hauptquartier in Washington, an das ich mein Herz verloren hatte. Nicht im Ames Research Center in Silicon Valley, wo ich bis jetzt beschäftigt gewesen war. Sondern im Service Center in Hancock County, Mississippi. Und ja – es war genauso aufregend, wie es sich anhörte.

Ich, Ava Edison, tauschte den Westen gegen den Osten ein. Die Kernarbeit gegen Hilfsarbeit. Tausend Kollegen gegen hundert. Eine glanzvolle Zukunft gegen eine, in der ich in der Bedeutungslosigkeit versickerte. Womit hatte ich das verdient?

Bis heute hatte ich bei der Programmierung von Robotern geholfen, die später einmal auf dem Titan (dem größten Mond des Saturn!) eingesetzt werden sollten. Ab sofort sollte ich eine Benutzeroberfläche entwerfen, die die Budgetierung im Personalbereich erleichterte. Ganz große Klasse. Konnten die das nicht mit Excel machen?

Damals hatte ich gekreischt vor Freude, jetzt schrie ich in mein Kissen. Damals hatte ich geweint vor Erleichterung, jetzt heulte ich mich nachts in den Schlaf. Damals hatte die Mail bedeutet, dass ich Teil von etwas Großem und Bedeutendem werden würde. Jetzt … hieß es das wohl immer noch. Aber innerhalb dieser großen, bedeutenden Arbeit wäre ich nichts weiter als ein mickriges Zahnrad.

Trotzdem beantwortete ich die Mail sofort mit einer Zusage. Ich hatte nicht jahrelang auf diesen Tag hingearbeitet, nur um jetzt hinzuschmeißen, weil sie offensichtlich keinen der fünfzehn Wünsche berücksichtigen wollten, die ich ihnen in einem dreiseitigen Schreiben erläutert hatte. Und das, obwohl ich bei jeder Abteilung, in der ich bisher gearbeitet hatte, ausnahmslos gute Beurteilungen abgestaubt hatte.

Ja, natürlich. Jeder kannte die NASA, jeder bewunderte unsere Arbeit. Teil davon zu sein, war ein Privileg. Aber das hier war trotzdem eine verdammt bittere Pille, die ich schlucken musste …

Ich musste mich zusammenreißen. Ich, die Superstreberin meines Abschlussjahrgangs an der Highschool, hatte mir geschworen, dass ich es all den blöden Tussis und Kerlen zeigen würde, die mich jahrelang für meine guten Noten gehänselt hatten … und für ein paar andere Dinge. Dass ich ihnen beweisen würde, dass sie es sich mit der falschen Person verscherzt hatten. Und ich könnte das verdammt noch mal auch im SCM in Mississippi! Ich hatte einen Abschluss mit summa cum laude, war wissbegierig, talentiert und hatte Ahnung von dem, was ich tat. Das SCM hatte keinen Plan, was auf es zukam. Ich würde den Laden gehörig aufmischen. Oh ja, diese Versetzung war kein Rückschlag, sondern eine Chance!

Trotzdem bewarb ich mich noch am selben Abend auf alle möglichen Stellen in allen möglichen Zentralen. Nur so zur Sicherheit.

Eine Woche später packte ich meine Siebensachen. Ich, die unscheinbare Dreiundzwanzigjährige mit den straßenköterblonden Haaren und braunen Augen, zog bei Weitem nicht zum ersten Mal in meinem Leben um – aber es war das erste Mal, dass ich mich nicht auf das freute, was kam.

Eigentlich stammte ich aus L. A., der Stadt, in die es jedes Jahr unzählige Menschen verschlug. Was nur die wenigsten wussten, war, dass es für gebürtige Angelinos genau andersherum lief. Viele, die dort geboren wurden, verschwanden bei erstbester Gelegenheit aus der Stadt. Ich wusste, dass sich meine Mitschüler inzwischen in der ganzen Weltgeschichte verteilt hatten – zumindest bei denjenigen, die ich nicht direkt nach dem Abschluss überall blockiert hatte.

Meine Schulzeit war nicht leicht gewesen. Als weibliches Superhirn war Mobbing vorprogrammiert. Und weil Klugheit nichts war, womit man jemanden beleidigen konnte, hatten meine Mitschüler einfach auf allem anderen herumgehackt.

In der Middle School hatte mir meine Mutter immer einen Cupcake mit in die Schule gegeben. Die Jungen in meiner Klasse hatten sich pausenlos darüber lustig gemacht und mir ständig Cupcake hinterhergerufen. Irgendwann war es mir zu peinlich geworden und ich hatte die Cupcakes regelmäßig auf dem Weg zur Schule weggeworfen. Der Spitzname war aber bis zum Tag der Zeugnisvergabe geblieben.

Jetzt war alles anders. Denn im Job war man schließlich nur von reifen, erwachsenen Leuten umgeben. Man war professionell. Zumindest hoffte ich, dass das auch in Mississippi zutraf.

Doch so sehr ich mir einzureden versuchte, dass alles gut werden würde, so sehr versuchte mir das Schicksal erst recht noch eins reinzuwürgen. Erst war mein Flug von San Francisco nach L. A. verspätet, dann der von Los Angeles nach Houston. Und der von Houston nach Gulfport flog erst am nächsten Tag, weshalb ich in einem ranzigen Hotel unterkommen musste. Um Punkt zwei Uhr morgens hämmerte eine Frau mit aller Kraft gegen meine Tür, die sich wohl im Stockwerk irrte, woraufhin ich öffnete und wir die nächsten Minuten damit verbrachten, uns gegenseitig anzuschreien – sie auf Spanisch, ich auf Englisch – ohne die jeweils andere zu verstehen, bis wir schließlich beide in Tränen ausbrachen und ein überforderter Nachtwächter herbeieilte, um die Situation aufzuklären.

Als ich sechzehn Stunden später als geplant endlich in Kiln ankam – dem Ort mit dem klangvollsten Namen, den ich kannte –, wollte ich mich einfach nur auf die Couch in meiner neuen Wohnung werfen, die die NASA für mich organisiert hatte.

Aber nicht mal das war mir vergönnt. Der Vermieter hatte nicht wie vereinbart die Schlüssel unter der Fußmatte deponiert. Ich brauchte geschlagene zwei Stunden, um ihn am Handy zu erreichen, und er weitere zwei Stunden, um herzukommen und mir den verdammten Schlüssel zu geben.

Ich schaffte es nicht mal mehr bis zur Couch. Kaum, dass ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, ließ ich mich einfach zu Boden fallen. Viele persönliche Wertgegenstände musste ich sowieso nicht einräumen, weil mein halbes Gepäck auf einem meiner drei Flüge wohl irgendwie verbummelt worden war und mir jetzt nachgeschickt werden würde, sobald sie es fanden. Falls sie es fanden.

»Die wollen mich doch verarschen«, flüsterte ich und wusste nicht einmal, wen ich damit meinte. Die drei verschiedenen Fluggesellschaften, die mir den Weg bis hierher zur Hölle gemacht hatten? Die Lateinamerikanerin, die nicht mal ein halbherziges Lo siento für mich übrig gehabt hatte? Die Stewardess, die mich den ganzen Flug nach Texas über böse angestarrt hatte, weil ich nach einem Glas Wasser gefragt hatte? Oder die NASA, weil sie ihren mit Abstand am besten qualifizierten Trainee in die Abstellkammer schickten?

Immerhin wusste ich in diesem Moment, dass es überhaupt nicht mehr schlimmer kommen konnte.

Wie sehr ich mich doch irrte.

Obwohl ich mir einredete, dass die neue Stelle wirklich nichts Besonderes war, war ich so nervös, dass ich die halbe Nacht nicht schlafen konnte – auch ganz, ohne dass jemand versuchte, meine Tür einzutreten. Irgendwann gab ich es auf, es weiter versuchen zu wollen, und stand viel zu früh auf. Ich nahm eine heiße Dusche, warf mich in mein schönstes Business-Casual-Outfit – schwarze Stoffhose mit weißer Bluse und Jacke gegen die Ende-März-Temperaturen – und schminkte mich, sodass ich natürlich, aber trotzdem geschminkt aussah.

Eine ganze Weile stand ich vor dem Spiegel und zupfte gefühlt alles an mir zurecht. Ich band meine langen Haare zu einem strengen, aber nicht zu strengen Zopf, wischte an meinem Make-up herum und kämpfte mit dem Kragen meiner Bluse.

Dann schaute ich mir geradewegs in die Augen und manifestierte: »Du bist großartig. Du, Ava Edison, bist einfach spitze! Also geh da raus und zeig dem SCM, wo der Hammer hängt!« Gleichzeitig flüsterte eine Stimme in meinem Inneren: Du, Ava Edison, unterhältst dich mit deinem Spiegelbild. Was stimmt nicht mit dir?

Ich redete mir so lange ein, dass ich toll war, bis ich es selbst einigermaßen glaubte, und machte mich auf den Weg.

Als ich das erste Mal das Innere eines NASA-Gebäudes gesehen hatte, war mir der Atem gestockt. Mich hatte ein schicker, aber schlichter, riesiger Bau mit einem nicht zu übersehenden Firmenlogo erwartet, durch das zu jeder Tageszeit beschäftigte, wichtige Menschen wuselten, die sich mit elementaren Themen auseinandersetzten und alle auf unser großes gemeinsames Ziel hinarbeiteten. Schon vom ersten Moment an war ich von einer Welt in ihren Bann gezogen worden, die mich bis heute nicht mehr losgelassen hatte.

Bis heute – den Montagmorgen, an dem ich mit einem Schlag entzaubert wurde.

Das SCM bestand einfach nur aus einem Bürogebäude. Das war’s. Was brauchte man auch mehr, um die hundert lausigen Mitarbeiter unterzubringen?

Immer schön positiv bleiben, Ava, spornte ich mich an, weil es ja sonst keiner tat.

Ich betrat das Gebäude und meldete mich am Schalter an, woraufhin man mir meine neue Mitarbeiterkarte mit einem Foto aushändigte, auf dem ich so gefroren lächelte, wie es nur jemand konnte, der gerade eben erfahren hatte, dass er ins finsterste Loch des NASA-Universums abgeschoben wurde. Mr Garrison aus der Personalabteilung holte mich ab – ein spindeldürrer, steinalter Brillenträger, der seine Garderobe aus dem letzten Jahrtausend auftrug. Er gab mir einen halbstündigen Rundgang durchs ganze Gebäude, bevor er mich überhaupt in die Nähe meines Arbeitsplatzes ließ – und dann auch nur, um mit mir in ein Büro nach dem anderen zu watscheln und mich unzähligen Kollegen vorzustellen, mit denen ich wahrscheinlich nie mehr Kontakt haben würde als halbherzige Guten-Morgens auf dem Gang um sieben Uhr früh. Nach dem zehnten Händeschütteln erstellte ich ein geistiges Memo, dass ich mir bei erstbester Gelegenheit unbedingt die Hände waschen musste.

»… und damit kommen wir auch schon zu Ihrem Büro«, leitete er die nächste Station ein.

Ich unterdrückte ein erschöpftes Seufzen. Na endlich.

Doch nach wenigen Schritten bereits der zweite Schock – ins durchschnittlich große Büro waren sechs Arbeitsplätze gepfercht worden. Ich erkannte auf den ersten Blick, dass keiner davon mehr als einen Bildschirm besaß. Verdammt, ich war Programmiererin. Wie in aller Welt sollte ich hier arbeiten?

Wir klapperten die vier Männer ab, mit denen ich von nun an zusammenarbeiten würde, und landeten schließlich bei der einzig anderen Frau. Sie musste um die vierzig sein, mit quietschblondem Haar und eindeutig zu viel Rouge im Gesicht.

»Christie Howard«, stellte sie sich freundlich vor. »Aber du kannst mich Christie nennen!«

Ich zögerte. Soweit ich mitbekommen hatte, sprach sich hier jeder mit dem Nachnamen an – zumindest das hatte ich aus meiner überdimensionalen Vorstellungsrunde mitgenommen. Indem Christie ihre Mitmenschen förmlich dazu zwang, ihren Vornamen zu benutzen, fühlte es sich an, als würde sie sich auf eine niedere Ebene degradieren. Und das war etwas, das ich mir nicht schon an meinem ersten Tag leisten wollte. Am Ende würden sie mich noch zum Kaffeeholen verdonnern, weil ich nur die süße, kleine Ava war und nicht die ernst zu nehmende Miss Edison.

Ich reckte das Kinn. »Edison«, stellte ich mich förmlich vor und schüttelte ihre Hand.

Sie strahlte übers ganze Gesicht. »Freut mich, dich kennenzulernen, Edison!«

Ich stutzte. »Nein, das ist –«

»Ist Mr Ward da?«, fragte Mr Garrison, ehe er mich ansah. »Mr Ward ist Ihr Teamleiter und damit Ihr direkter Ansprechpartner für alle Belange.« Eine schöne Art und Weise auszudrücken, dass er mein Boss war und sich definitiv nicht mit meinen Belangen auseinandersetzen würde.

»Augenblick.« Christie checkte ihren – oder viel eher seinen – Outlook-Kalender. »Er müsste gerade noch hier sein. Hat aber gleich einen Termin.«

Stress und eine Begegnung zwischen Tür und Angel. Nicht die besten Voraussetzungen für ein wichtiges Kennenlernen.

Mr Garrison schien das anders zu sehen. »Dann beeilen wir uns lieber. Er schiebt Sie sicher gerne kurz dazwischen.«

Der Teamleiter besaß ein eigenes Büro, das unmittelbar an unseres angrenzte. Als wir uns zielstrebig der geschlossenen Tür näherten, spürte ich, wie meine Handflächen feucht wurden, und wischte sie hektisch an meiner Hose ab. Ich wollte unbedingt einen guten Eindruck hinterlassen. Denn wenn es eine Person im Leben kleiner Programmierer wie mich gab, die den Schlüssel zu einer schillernden Karriere bei sich trugen, dann war es ihr Manager.

Während Mr Garrison anklopfte, atmete ich tief durch und setzte eine Maske der Selbstsicherheit auf, die ich mit einem gewinnenden Lächeln garnierte. Ich hatte unzählige Rhetorikseminare belegt, um mir meine Schüchternheit abzutrainieren. Was nicht hieß, dass ich auch nur einen Deut selbstbewusster war als früher. Ich war nur besser darin geworden, das zu verschleiern. Und ich konnte mit großem Stolz behaupten, dass schon ein ganzes Jahr vergangen war, seit ich mich zuletzt mit einem erstickten »Hallo Ava, ich bin Edison« vorgestellt hatte.

Eine tiefe Stimme erklang auf der anderen Seite der Tür, und Mr Garrison öffnete. »Guten Morgen. Ich bringe wie versprochen die neue Kollegin mit«, kündigte er mich an, als wir eintraten. Er machte einen Schritt zur Seite und ich war dem prüfenden Blick meines neuen Chefs gnadenlos ausgeliefert. Er konnte nicht viel älter sein als ich, was auf Team-Ebene aber nicht unüblich war. Er war etwas größer als ich und hatte braune Haare, die er sich entgegen der Konvention nicht fein säuberlich nach hinten gestriegelt, sondern zu einer Surferboy-Frisur nach oben gegelt hatte – ein stiller Protest gegen den konservativen Business-Look. Er trug einen dunkelblauen Zweiteiler mit einem weißen Hemd darunter. Seine untere Gesichtshälfte wurde von einem ordentlich getrimmten Vollbart verdunkelt, der sich um ein Paar sinnlicher Lippen –

Augenblick. Das ging zu weit. Immer schön professionell bleiben, Ava.

Der tiefe Blick seiner nussbraunen Augen tat dennoch sein Übriges, um meine Nervosität schneller zum Mond schießen zu lassen als jede NASA-Sonde.

»Mr Ward. Das hier ist –«

»Ava Edison«, machte ich diesmal nicht den Fehler, nur meinen Nachnamen zu sagen. »Hallo.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Edison.« Mr Ward erhob sich von seinem Schreibtisch und kam um ihn herum, um mir die Hand zu geben. Sein Griff war fest. Nicht zerquetschend, aber trotzdem bestimmt. Für eine Sekunde bildete ich mir ein, dass mir sein Gesicht irgendwie bekannt vorkam, doch der Spuk war sofort wieder vorbei. Vielleicht hatte ich ihn schon einmal in einer anderen Zentrale gesehen. Wenn ja, erinnerte er sich wahrscheinlich genauso wenig daran wie ich. »Wie war die Anreise aus San Francisco?«, fragte er, während er sich locker an seinen Schreibtisch lehnte.

»Sehr gut«, antwortete ich, weil er sowieso nichts anderes hören wollte. Mein aufgesetztes Lächeln machte sich allmählich als unangenehmer Zug in meinem Gesicht bemerkbar. »Ich freue mich, hier zu sein.«

In dieser Hinsicht übertrumpfte mich Mr Ward mühelos – anstelle eines höflichen Lächelns grinste er mich bis über beide Ohren an. Der Anblick beschwor eine Mischung aus Erleichterung und Argwohn in mir herauf. War er nur so froh, mich zu sehen? Hatten sie die Stelle hier schon lange besetzen wollen? Oder hatte ich was zwischen den Zähnen?

Ich wechselte zu einem zahnlosen Lächeln. Nur für alle Fälle.

Mr Ward nickte freundlich. »Und mich freut es, eine so fähige Programmiererin für unser Finanzteam gewonnen zu haben.«

Gewonnen – allmählich bekam ich das Gefühl, dass die Personaler die Einstiegspositionen der Trainees einfach ausgewürfelt hatten.

Ein kurzer Piepton drang aus Mr Wards Computer, und er seufzte. »Ich muss mich leider schon wieder verabschieden. Der nächste Termin ruft.«

»Selbstverständlich. Dann zeige ich Ihnen jetzt Ihren Arbeitsplatz«, wand uns Mr Garrison geschickt aus der Affäre.

»Sehr gerne.« Ich lächelte erst ihn, dann Mr Ward an und fragte mich plötzlich, ob meine Grimasse mit der Zeit manische Züge annahm. Mr Garrison stiefelte schon nach draußen, doch ich beschloss, dass ich meinen neuen Boss nicht einfach so stehen lassen wollte. Ich hatte keine Ahnung, wie gut sein erster Eindruck von mir auf einer Skala von eins bis fünf war, aber es schadete nicht, sich noch mehr in Richtung der Fünf vorzuarbeiten, bevor es zu spät war. »Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.«

Mr Wards Lächeln kam hundertmal charmanter rüber als meines. »Ich mich auch.«

Ich hatte mich schon umgedreht und steuerte auf die Tür zu, als er noch etwas hinzufügte: »Cupcake.«

2. Kapitel

Ich wirbelte herum, und das Blut gefror mir in den Adern. »Wie bitte?«, fragte ich, bevor mein Gehirn auch nur das Wort verarbeiten konnte, das gerade vielleicht oder vielleicht auch nicht aus Mr Wards Mund gedrungen war.

Dieser klappte seinen Laptop zusammen und steckte ihn in eine schmale Tasche. »Wird das hier jetzt irgendein Rollenspiel oder stehst du wirklich auf dem Schlauch?« Er machte eine wedelnde Handbewegung an mir vorbei. »Sie kommt gleich nach«, sagte er lauter, und auf einmal war ich mehr als froh, dass Mr Garrison außer Hörweite ging.

Ich widerstand dem Drang, die Tür zu schließen, kam mir jedoch gleichzeitig so vor, als würden sich Dutzende Blicke in meinen Rücken bohren. Meine Gedanken rasten, kamen aber nur träge voran. Was meinte er mit auf dem Schlauch stehen? Und hatte er mich gerade wirklich –

Er konnte doch nicht –

Oder –

Meine Kehle wurde trocken. »Kennen …«, krächzte ich, »wir … uns?«

Das Internet. Das Internet musste schuld daran sein. Hatte irgendjemand von damals ein Meme aus mir gemacht, ohne dass ich Wind davon bekommen hatte? War ich insgeheim weltweit als Witzfigur benannt? Wurde irgendein uncharmantes Foto von mir regelmäßig mit semi-lustigen Sprüchen unterlegt und hatte mich damit direkt in die unterste NASA-Schublade katapultiert?

Schon stellte ich mir vor, wie die oberste Geschäftsführung eine ganze Pinnwand mit Cupcake-Memes zugekleistert hatte, über die sie sich in ihrem Morgenritual täglich fünf Minuten lustig machte und ein paar Dartpfeile auf sie warf, bevor sie dazu überging, die Welt zu verändern –

Mein Gedankengang zerriss, als mein Chef belustigt schnaubte. Lässigen Schrittes kam er auf mich zu. »Wie viele Trey Wards kennst du?«

Mein Herz erbebte in meiner Brust, und auch wenn die Meme-Theorie damit vorerst wegfiel, war die Alternative kein bisschen besser. Wenngleich weder der Vor- noch der Nachname von Trey Ward besonders selten waren, war die Antwort glasklar: Ich kannte genau einen, der so hieß. Es war der letzte Mensch, den ich hier erwartet hatte – und der allerletzte, den ich gerade sehen wollte.

»Trey«, flüsterte ich, und dann, bevor ich es verhindern konnte: »Ach du Scheiße.«

Binnen eines Sekundenbruchteils zog mein ganzes Leben an mir vorbei – zumindest die elendig langen Jahre von der sechsten Klasse bis zum Highschool-Abschluss, die ich allesamt mit diesem Mann verbracht und den ich trotzdem nicht auf den ersten Blick wiedererkannt hatte.

Er lächelte schief. »So sieht man sich wieder.«

Mein Mund öffnete sich, aber mir blieb die Spucke weg. Das war nicht Trey Ward. Es konnte nicht Trey Ward sein!

Der Trey Ward, der in der Highschool keine Gelegenheit ausgelassen hatte, mich in den Wahnsinn zu treiben, war schmächtig und einen Kopf kleiner als ich, trug eine Brille und einen Topf-Haarschnitt – womit er immer noch beliebter gewesen war als ich, aber was soll’s. Dieser Trey Ward sah aus, als wäre er dem Cover der Business Insider entsprungen. Und obwohl sein Zweiteiler viel Platz für Vorstellungskraft ließ, könnte ich schwören, dass dieser Mann schon mal ein Fitnessstudio von innen gesehen hatte. Das war nie und nimmer dieselbe Person …

… und doch konnte ich die Gesichtszüge des jungen Trey Ward jetzt deutlich in meinem Gegenüber erkennen, wo sie sich hinter seinem Bart versteckten.

Er war es. Und ich konnte es einfach nicht fassen. Hatte ihn nach dem Abschluss eine gute Fee besucht und ihm einen Wachstumsschub und noch dazu dieses Aussehen verpasst? Hatte er sich von Kopf bis Fuß umoperieren lassen? Sich wie Frankensteins Monster aus zehn anderen gut aussehenden Männern neu zusammensetzen lassen?

Oder war er wirklich einfach nur eine Rose, die spät erblüht war? Meine Mutter hatte das mein halbes Leben lang zu mir gesagt, wann immer ich mich über mein Aussehen beklagt hatte. Früher war er eine Drei und ich eine Fünf gewesen, jetzt war er eine Neun und ich … immer noch eine Fünf. Meine Mutter hatte schon vor ein paar Jahren aufgehört, mir die Rosen-Metapher aufzuschwatzen, weil sogar sie inzwischen kapiert hatte, dass ich doch nur Unkraut war, das sich ins Blumenbeet gezwängt hatte.

»Was …« Ich stockte. »Was machst du hier?«, stellte ich die absolut blödeste Frage, die mir in diesem Moment einfallen konnte.

Trey runzelte die Stirn. »Ich schmeiße den Laden, schätze ich.« Er schnaubte belustigt. »Hey, wer hätte gedacht, dass die Klassenstreberin von früher mal für mich arbeiten würde?«

In diesem Moment wurde mir klar, dass seine Metamorphose zum Schmetterling das absolut Letzte war, was mich gerade stören sollte. »Ich arbeite nicht für dich«, stieß ich mit zusammengepressten Kiefern hervor. »Sondern für die NASA. Du bist nur zufällig –« Ich verstummte, weil ich es einfach nicht aussprechen konnte.

»Dein Teamleiter«, rammte er mir den Dolch selbst in die Brust. »Läuft auf dasselbe hinaus, findest du nicht?« Er gab mir keine Gelegenheit, zu antworten. »Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest.« Er zwinkerte mir zu. »Die Pflicht ruft.«

Betreten ließ ich mich von ihm aus seinem Büro schieben, ehe er verschwand – nicht ohne ein lockeres »Wir sehen uns, Cupcake«, das bestimmt mehr meiner neuen Kollegen hörten, als mir lieb war. Während er wie der Herr der Lage, der er auch war, seines Weges ging, spürte ich, wie mir das Blut aus dem ganzen Körper in den Schädel stieg.

Die nächsten Stunden erlebte ich wie in Trance. Nach einer Arbeitsplatzeinweisung, die völlig überflüssig war, weil das hier im Gegensatz zum HQ in Washington, D.C. ein Kinderspielplatz war, und einer kurzen IT-Einführung, die ich nicht brauchte, weil ich schon seit einem Jahr für die NASA arbeitete, wurde ich an meinem Tisch allein gelassen, um mich erst mal zurechtzufinden.

Diese Zeit brauchte ich auch. Aber nicht, um mich auf meine anstehenden Aufgaben zu konzentrieren. Ich konnte an nichts anderes als Trey denken und die Versagerin, die ich war. Ich musste ständig den Drang unterdrücken, meine Hände in meinem Gesicht zu verbergen, weil ich mich einfach nur schämte. Nachdem ich einmal auf die Toilette gegangen war, vermied ich es außerdem, mein Spiegelbild anzublicken, dem ich heute Morgen noch vorgelogen hatte, dass ich toll war. Weil ich mir nicht einmal mehr selbst in die Augen sehen konnte.

Trey war ein mittelmäßiger Schüler gewesen, der mehr Zeit damit verbracht hatte, auf erfolgsorientierten Mitschülern wie mir herumzuhacken, als in seine eigene Zukunft zu investieren. Und doch saß er jetzt hier auf dem Chefsessel und ich auf einem klapprigen Drehstuhl, der jedes Mal knarzte, wenn ich mein Gewicht darauf verlagerte. Er hatte mich überholt. Wie in aller Welt hatte er mich überholen können?

Ich konnte mich kaum auf die Mails konzentrieren, die sich schon in den letzten zwei Tagen bei mir angehäuft hatten. Viele bezogen sich noch auf meine alte Position, weshalb ich sie getrost löschen konnte – nicht ohne dem Team, der Arbeit und der Stadt hinterherzutrauern, die ich zurückgelassen hatte. Andere waren Einladungen für Sammeltermine für Team- und Abteilungsmeetings, Jours fixes und alle möglichen anderen Veranstaltungen, die ich blindlings eine nach der anderen annahm, um endlich Ordnung in mein Postfach zu bringen.

Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich auf den Bildschirm starrte, ohne zu blinzeln, und mir über versemmelte Lebensentscheidungen den Kopf zerbrach. In der Highschool hatte ich gedacht: Jetzt wird alles anders! Nope.

Auf dem College hatte ich gedacht: Jetzt wird definitiv alles anders! Nope.

Auf dem Weg hierher hatte ich gedacht: Jetzt wird ganz bestimmt alles anders! Und jetzt saß ich in demselben Büro wie der gottverdammte Trey Ward. Hätte ich meinem sechzehnjährigen Ich, das sich eine bessere Zukunft gewünscht hatte, davon erzählt, hätte es mir wahrscheinlich eine schallende Ohrfeige verpasst. Du hattest eine Aufgabe!

Nach all den Jahren des Studiums, der Arbeit und des Bluts, des Schweißes und der Tränen, die ich vergossen hatte, um bei der NASA genommen zu werden …

… war ich trotzdem immer noch einfach nur Cupcake.

Was lernen wir daraus? Ich hätte die Cupcakes damals genauso gut weiterfuttern können. Sie waren der Hammer gewesen.

»Alles in Ordnung, Edison?«, fragte Christie quer durch das Büro.

Ach ja, und das Leben ist scheiße.

Um mich abzulenken, studierte ich die Beschreibung des Projekts, das ich in meinen ersten Wochen hier angehen sollte. Und verlor jegliche Hoffnung, als mir klar wurde, dass ich niemals Wochendafür brauchen würde. Schon jetzt spürte ich das pure Boreout in mir aufsteigen. Noch dazu besaß ich nur einen Bildschirm zusätzlich zu meinem Laptop – keine Arbeitsgrundlage für richtige Programmierer. Allerdings hätten sie für diese Aufgabe auch keinen ›richtigen‹ Programmierer gebraucht.

Mein Herz blutete, als ich an den ersten Mini-Roboter dachte, den ich während des Trainee-Jahres mitprogrammiert hatte. Aber ich würde aus eigener Kraft zurück auf die Karriereleiter klettern – bis nach ganz oben! Meine Bewerbungen quer durch die NASA-Zentralen fruchteten schon jetzt. Ich hatte diese Woche jeden Tag einen Skype-Termin bei einem anderen Team. Es würde nicht lange dauern, bis ich wieder von hier verschwinden würde.

Trey Ward tauchte so unerwartet und bedrohlich neben mir auf wie ein Gewitter. Ein verdammt gut aussehendes Gewitter, das diesen Segen überhaupt nicht verdient hatte. »Bereit für unser Lunch-Date, Cupcake?«

Quietschend machte ich auf meinem Stuhl einen Satz von ihm weg und konnte wahrscheinlich froh sein, dass das ganze Ding nicht umkippte. »W-was?« Ich verfluchte mich selbst dafür zu stottern. Das war nicht das professionelle Auftreten, das ich in den letzten zwölf Monaten perfektioniert hatte. Ich realisierte, was er mit auf dem Schlauch stehen gemeint hatte, als mir erst im zweiten Moment klar wurde, dass die Betonung auf dem Mittagessen und nicht auf dem Date lag.

Mit gespielter Enttäuschung schüttelte Trey den Kopf. »Hast du in Silicon Valley etwa auch immer Termine gemacht, zu denen du nicht gekommen bist?«

»Ähm.« Mein Blick zuckte kurz zu meinem Bildschirm, auf dem nur rein zufällig der Kalender geöffnet war. Für halb zwei war tatsächlich ein Termin geblockt. Der Name: Lunch-Date. Der Gesprächspartner: Trey Ward.

Verdammt.

Trey grinste. »Kein Wunder, dass sie dich hierhin abgeschoben haben.«

»A-abgeschoben?«, wiederholte ich. Sofort glaubte ich, dass sich mehrere Köpfe nach mir umdrehten.

Er zuckte die Achseln. »Na, hierhin, ins SCM.« Ein Funkeln trat in seine Augen. »Du bist doch sicher nicht freiwillig hier, oder?«

Mein Magen krampfte sich zusammen. Natürlich kannte er meinen Lebenslauf. Natürlich wusste er, dass ich direkt aus San Francisco hergekommen war. Und natürlich war ihm klar, dass mir alles hier gegen den Strich ging.

Mein Gesicht begann zu prickeln. Was würden die Kollegen von mir denken, wenn sie erfuhren, dass ich absolut keine Lust gehabt hatte, hierherzukommen? Und wie oft wollte Trey mich an meinem ersten Tag noch bloßstellen?

»Tatsächlich«, sagte ich betont laut, »ist alles genau so gelaufen, wie ich es mir gewünscht habe.« Wenn man mal vergaß, dass das SCM nicht mal auf dem letzten Rang meiner Wunschliste gestanden hatte. »Wollen wir?«, fragte ich, bevor er noch eins drauflegen konnte, und sperrte meinen Bildschirm. »Ich sterbe vor Hunger.« Das stimmte nicht. Der Stress und der Ärger lagen mir wie ein Stein im Magen. Ich wollte nur, dass wir endlich aus der Hörweite meiner neuen Kollegen verschwanden.

»Macht es dir immer noch so großen Spaß, mich zu blamieren?«, fauchte ich, als wir auf den Gang hinaustraten. »Was soll das hier überhaupt werden, wenn es fertig ist?«

Abwehrend hob er die Hände. »Ich gehe mit jedem neuen Kollegen essen«, verteidigte er sich, als wäre das mein Problem. »Das ist Teil des Onboardings im SCM.«

»Klar doch.«

Anstatt einer riesigen Kantine gab es hier nur eine lausige Mensa, in der genau zwei warme Gerichte angeboten wurden. Da das Fleisch irgendwie verkocht aussah, entschied ich mich für die vegetarische Variante – eine Reispfanne – und schaffte es, Trey beim Schlangestehen die ganze Zeit über nicht in die Augen zu blicken.

Er war vor mir dran. »Ich übernehme das Essen der Dame«, sagte er an die Kassiererin gewandt.

Ich straffte die Schultern. Wollte er mir jetzt auch noch unter die Nase reiben, dass er mehr verdiente als ich? »Kommt nicht infrage!«

Abschätzig musterte er mich. »Hast du überhaupt schon Geld auf deine neue Karte geladen?«, fragte er, während er seine eigene an den Scanner vor der Kasse hielt.

Ich stockte. »Oh.«

»Na also.«

Wir suchten uns einen Platz in der Ecke des Raumes, in der das allgegenwärtige Stimmengemurmel nicht allzu laut in meinen Ohren dröhnte.

»Also«, säuselte Trey, »wie läuft dein erster Tag so weit?«

Ich kniff die Augen zusammen. »Lass den Quatsch.« Das Letzte, wozu ich mich heute herablassen würde, war billiger Small Talk mit ihm. »Sag schon: Mit wie vielen Leuten hast du auf dem Weg zu dieser Stelle geschlafen?«

Er blinzelte. »Unzähligen.«

Ich stutzte, und aus irgendeinem Grund stieg mir die Schamesröte in den Kopf. »Was?«

»… aber den Job haben mir allein meine Qualifikationen verschafft«, fügte er amüsiert hinzu.

Ich schnaubte. »Und welche Qualifikationen sollen das sein?« Trey war einer derjenigen, die ich am Tag meines Abschlusses auf allen Plattformen blockiert hatte. Ich hätte ihm maximal Christies Position als Sekretär zugetraut, aber doch nie und nimmer den Manager-Thron!

»Ich war bei der Navy.«

Abwartend sah ich ihn an. »Und?« Als würde das alles erklären.

»Und habe parallel BWL studiert.«

Ich verdrehte die Augen. »Natürlich hast du –« Ich stockte, als mir nachträglich auffiel, dass sein Tonfall vollkommen ernst gewesen war. »Wirklich?« Ich stellte mir vor, wie Trey mit nacktem Oberkörper auf einem Schiff über dicke Uni-Bücher gebeugt saß und –

Moment, wo kam der nackte Oberkörper her?

»Vor einem Jahr bin ich ins Juniormanagement eingestiegen«, fuhr er fort, »und jetzt bin ich hier, mit vierundzwanzig in der unteren Chefetage des SCM.« Erwartungsvoll sah er mich an. »Nicht schlecht, was?«

Ich spürte einen Stich in meiner Brust. Ich hatte mich so über die Aufnahme ins Traineeprogramm gefreut. Und Trey hatte diese Phase schlichtweg übersprungen.

Frustriert stopfte ich mir zwei Löffel Reis in den Schlund. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, ohne gehässig zu klingen, weshalb ich es einfach bleiben ließ.

Obwohl ich Trey seit fünf Jahren nicht gesehen hatte, schien er in mir wie in einem Buch lesen zu können. Er schaffte es, sogar dann neckisch auszusehen, wenn er sich ein Stück Fleisch in den Mund schob. »Hab dich nicht so, Cupcake.«

Mein Puls schoss in die Höhe, und sofort fühlte ich mich beobachtet und belauscht. »Hör auf, mich so zu nennen!«, zischte ich. »Was ist überhaupt aus deiner Brille geworden … Brillenschlange?«, würgte ich irgendwie hervor. »Hast du dir etwa die Augen lasern lassen? Ich dachte, das machen nur alte Frauen.«

»Nö«, antwortete er gelassen. »Ich hatte doch nie eine große Sehschwäche. Die Brille hab ich nur für die Schule gebraucht, aber ich sehe auch so hervorragend.« Er lächelte. »Zufrieden, Cupc–«

»Wag es ja nicht!« Ich setzte mich kerzengerade hin. »Das hier ist jetzt ein professionelles Umfeld!«

Er grunzte belustigt. »Und du bist jetzt …« Hilflos zuckte er mit den Schultern, während sich ein breites Grinsen in sein Gesicht stahl. »… ein professioneller Cupcake.« Er lachte leise, als hätte er gerade etwas unglaublich Witziges gesagt – und nicht, als würde er eine uralte Mobbing-Story wieder aufleben lassen.

Ich atmete tief durch. »Danke für die Einladung, aber ich esse im Büro weiter.«

Ich ergriff mein Tablett und wollte aufstehen, als plötzlich Treys Hand vorschoss und sich auf meine legte. »Ach, komm schon!«

Hastig zog ich meinen Arm weg, war jedoch so überfordert, dass ich sitzen blieb. Meine Haut begann zu kribbeln, so wie es mir ständig passierte, wenn jemand gut Aussehendes mich berührte … was nicht besonders oft geschah.

Trey lächelte. »Ich hab dich doch nur auf den Arm genommen.« Er legte den Kopf schief. »Sag bloß, du bist immer noch so ein Sensibelchen wie früher.«

»Ich bin kein Sensibelchen«, knurrte ich und klang dabei unglaublich sensibel.

Er seufzte. »Nach allem, was sie dir in der Schule reingewürgt haben, hast du ausgerechnet ein Problem mit Cupcake?«

Ich biss die Zähne zusammen. »Ich habe mit allem ein Problem, was ihr mir an den Kopf geworfen habt«, korrigierte ich ihn. »Auch mit Cupcake.«

»Ich glaube, du hast das in den völlig falschen Hals gekriegt.« Er musterte mich, und auf einmal fühlte ich mich unwohl in meiner Haut. »Wir haben das nicht böse gemeint. Es war irgendwie süß.«

Ich stutzte. »Süß?«

Trey nickte nachdenklich. »Ja. Du warst Cupcake … mit ihrem Cupcake.« Er lächelte leicht, als wäre das die schönste Erinnerung, die er mit der Middle School verband.

Für mich war es die furchtbarste. Deshalb glaubte ich ihm kein Wort.

»Aber das ist lange her«, sagte er plötzlich. »Wir sind jetzt Kollegen.« Er streckte mir eine Hand hin. »Und ich glaube, dass wir gut zusammenarbeiten werden.« Er schenkte mir einen tiefen Blick, bei dem ich mich gerne selbst wie Kaugummipapier zusammengeknüllt hätte, um ihm zu entgehen. »Ava.«

Es fühlte sich gut an, endlich meinen richtigen Namen aus seinem Mund zu hören. Und doch konnte ich das schelmische Funkeln in seinen Augen nicht ignorieren. Es nicht aus meiner Wahrnehmung vertreiben, obwohl ich es mir so sehr wünschte. Denn das hatte ich in der Schule so oft getan und es jedes Mal bitter bereut. Immer dann, wenn mir einer der Jungen ein vermeintliches Friedensangebot gemacht hatte, nur um mich bei der nächsten Gelegenheit wieder vor der versammelten Mannschaft zu blamieren.

Trey hatte sich kein bisschen verändert. Wenn ich blieb, würde er mir das Leben einmal mehr zur Hölle machen.

Und doch lächelte ich ihn an. »Das glaube ich auch.« Ich nahm seine Hand, schüttelte sie kurz und dankte meinem Rhetorik-Trainer dafür, dass er mich in der Königsdisziplin unterrichtet hatte. Nichts an meinem Äußeren wies auch nur ansatzweise darauf hin, was ich dachte.

Treys Hand fühlte sich rau an und ich malte mir unwillkürlich aus, wie er auf stürmischer See an dicken Tauen zog, die Segel ausklappte oder was auch immer sie in der Ausbildung auf diesen Schiffen machten. Wenigstens hatte er in meiner Vorstellung diesmal mehr an. Das änderte jedoch nichts daran, dass ich mir wünschte, er wäre immer noch auf einem Schiff weit weg von hier, wo man ihm offenbar nicht mal in vier Jahren Disziplin beigebracht hatte.

Ich war wütend, aber ich würde ihm das nicht zeigen. Denn im Gegensatz zu ihm war ich erwachsen geworden. Außerdem würde ich sowieso nicht mehr Zeit als nötig im SCM verbringen. Ich wäre weg von hier, bevor Trey noch mal Cupcake sagen könnte.

Das war zumindest der Plan.

3. Kapitel

 

Das Erste, was ich tat, nachdem ich zu Hause angekommen war, war, in mein Kissen zu schreien. Gleich danach rief ich meine Freundin Jada an. Nach unserem Highschool-Abschluss hatten wir beide in Washington studiert und sie noch einen Master dran gehängt.

Auf der Couch sitzend startete ich FaceTime, und mein Herz begann vor Aufregung schneller zu schlagen. Sie würde nicht glauben, was mir heute passiert war – weil ein Teil von mir es selbst auch immer noch nicht glaubte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ging sie endlich ran, und ihr hübsches Gesicht erschien auf meinem Bildschirm. Jada hatte lange, glänzende schwarze Haare und braune Augen. Mit ihrem dunklen Teint konnte sie jede Art von Make-up tragen, was sie auch immer mit den buntesten Farben auf ihren Augenlidern heraushängen ließ. Zwischen ihren Schlüsselbeinen blitzte deutlich der Kreuzanhänger an einer Kette hervor, die sie schon in der Schule nie abgenommen hatte – wütende wöchentliche Wortgefechte mit unserer Sportlehrerin inklusive.

»Ava?«, fragte sie und wirkte dabei eher irritiert als erfreut, mich zu sehen. Ihre glatten Gesichtszüge wurden durch eine leichte Falte zwischen ihren Augenbrauen verzerrt.

Ich schnappte nach Luft und fiel gleich mit der Tür ins Haus. »Ich muss dir unbedingt was erzählen!«

Jada schnaubte. »Ernsthaft?«

Ich stockte. »Was?« Ich hatte doch noch gar nicht angefangen. Das war nicht gerade die Reaktion, die ich erwartet hatte. Normalerweise stürzte sich Jada auf jedes pikante Detail in meinem Leben und schlachtete es hoffnungslos aus.

Vorwurfsvoll hob sie eine Braue. »Schätzchen«, brummte sie, »wir hatten zwei Monate lang Funkstille und jetzt musst du dringend mit mir reden?«

Ich riss die Augen auf. »Zwei … Monate?« Ich setzte mich aufrechter hin – mein Sofa war das unbequemste Möbelstück, das je entworfen worden war. Es kam mir so vor, als wäre mein letzter Anruf bei Jada erst ein paar Tage her …

»Ja«, grunzte sie. »Als ich dir zuletzt geschrieben hab, hast du geantwortet, du bist beschäftigt und meldest dich später.«

»Äh.« Verlegen räusperte ich mich. Da klingelte was. »Und hier bin ich!«

Ausdruckslos starrte sie mich an.

Eine Welle der Schuld schlug über mir zusammen. Jada war meine beste Freundin. Wir hatten schon immer über alles sprechen können. Aber in den letzten Wochen hatte mich die Arbeit so sehr vereinnahmt, dass ich einfach keinen Kopf für etwas anderes gehabt hatte. Jetzt mit meiner Boreout-gefährdeten Stelle beim SCM liefen die Dinge anders. »Also, ähm … Naaa, wie geht’s dir so?«, fragte ich zaghaft und mit einem Grinsen, das zum Weglaufen sein musste.

Jada seufzte. »Was willst du, Ava?«

Ich zögerte, doch falsche Entschuldigungen waren wahrscheinlich das Letzte, was sie gerade hören wollte. Also gut, dann eben zum eigentlichen Tagesordnungspunkt eins. »Ich arbeite mit Trey Ward zusammen«, sprudelte es aus mir heraus, »und er ist verdammt noch mal mein Boss!«

Jadas Gesichtszüge entgleisten. »Ach du Scheiße«, hauchte sie. »Was hast du angestellt, um den Herrn so zu erzürnen?«

Mein Herz verkrampfte sich in meiner Brust. »N-nichts! Glaube ich zumindest.« Okay, das letzte Mal, dass ich in die Kirche gegangen war, war schon Ewigkeiten her. Jahre, um genau zu sein. Hatte ich es mir wirklich mit dem alten Mann im Himmel verscherzt? Allmählich kam mir das wie die einzig mögliche Erklärung vor. »Sie haben mich von San Francisco nach Mississippi versetzt. Nach Mississippi!«

Jada blinzelte. »Stand das nicht auf deiner Wunschliste?«, fragte sie, während sie das Handy mit zu ihrer Küchenzeile nahm.

»Das Stennis Space Center stand auf der Liste«, korrigierte ich sie. »Das ist auch in Mississippi. Aber sie haben mich ins Service Center gesteckt.«

»Oh.« Ihre Miene verhärtete sich. »Klingt spannend.«

»Unglaublich spannend«, murrte ich – und musste beim bloßen Gedanken daran stöhnen. »Ich hab mir in der Schule geschworen, allen zu zeigen, was ich draufhabe! Dass ich bei unserem ersten Klassentreffen nach dem Abschluss so berühmt und erfolgreich wäre, dass sich unsere Ex-Mitschüler wie Dominosteine auf den Boden fallen lassen werden, weil sie mich so verehren!«

Jadas Brauen schossen in die Höhe. »Haben sie dein Ego heute auf den Mond geschossen oder war das schon immer so?«

»Und jetzt« – ich ballte die freie Hand zur Faust – »ist er einfach da und macht mir alles kaputt!«

Jada schenkte mir einen zweifelnden Blick. »Glaubst du nicht, dass du vielleicht ein klitzekleines bisschen überreagierst?« Sie lehnte das Handy irgendwo an, um sich einen Kaffee zu machen. »Und es ist nur Trey Ward. Könnte schlimmer sein.«

»Nur Trey Ward?«, fragte ich entrüstet. »Hast du schon wieder vergessen, wie oft er mich früher auf die Palme gebracht hat?«

»Ehrlich gesagt ja«, gab sie nüchtern zurück.

Was für eine Freundin bist du eigentlich?, wollte ich sagen, ehe mir einfiel, dass ich diejenige war, die sich zwei Monate nicht gemeldet hatte.

»Das ist schon fünf Jahre her, Süße. Du bist dreiundzwanzig und eine reife, erwachsene, selbstbewusste Frau. Komm drüber weg.«

Ich biss mir auf die Unterlippe. »Er hat diesen Erfolg trotzdem nicht verdient. Und weißt du, wie er aussieht?«

»Potthässlich?«, brummte sie. »Ich versteh nicht, warum du so einen Aufruhr –«

»Nope«, unterbrach ich sie. »Der Frosch wurde zwischenzeitlich geküsst.«

Mit der Tasse in der Hand hielt Jada inne und starrte mich an. »Waaaaas?«

Bebend atmete ich ein. »Er ist jetzt eine Neun, Jada. Eine Neun.« Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals. »Und ich bin immer noch eine Fünf.«

Heftig schüttelte sie den Kopf. »Du warst noch nie eine Fünf!«, entgegnete Jada. »Sondern eine …« Nachdenklich kratzte sie sich an der Schläfe. »Na ja, dein Streber-Image hat schon einiges angerichtet. Vielleicht … eine knappe Sechs.«

Ich schob mir eine Haarsträhne hinters Ohr. »Danke«, murmelte ich. »Sehr aufmunternd.« Immerhin war sie ehrlich.

»Du hattest nie Pickel.« Sie zuckte die Achseln. »Und du hast nen geilen Hintern.«

Ich runzelte die Stirn. »Früher haben mich doch alle Fettarsch genannt!«

Jada lachte. »Und glaub mir, jetzt würden dieselben Kerle alles darum geben, eine Handvoll davon abzubekommen. Ich wette, auch Trey.«

Ich erschauderte, während eine seltsame Hitze meine Magengrube hinaufstieg. Insbesondere dann, als ich mir seine Hand vorstellte, die ich heute mehrere Male gespürt hatte, wie sie sich langsam einen Weg meinen Oberschenkel hinauf bahnte …

Ich gab ein würgendes Geräusch von mir, einfach nur, weil ich nicht wusste, wie ich mit diesem Kopfkino umgehen sollte. »Warum sagst du so etwas?«

»Warum nicht?«, gab sie zurück und goss Kaffee in ihre Tasse ein. »Er ist eine Neun, ihr kennt euch von früher, Arbeitsplatzaffären sind heiß …« Sie bog ihre freie Hand wie eine Tatze nach unten. »Schnapp ihn dir, Tiger.«

Ich verzog das Gesicht. »Spinnst du? Wenn ich nur an ihn denke, dann …« Ich brach ab, bevor mir wieder sein nackter Oberkörper in den Sinn kommen konnte. »Er hat sich nie für irgendetwas Mühe geben müssen«, holte ich aus und konzentrierte mich ganz auf meinen Ärger. »Ihm ist immer alles zugeflogen. Erst der Abschluss und jetzt diese Stelle. Das ist einfach nicht fair!«

Jada seufzte. »Ihr Weißen macht mich fertig.«

»Das hat doch nichts mit –« Ich verstummte, als mir mein Handy eine neue Mail anzeigte. »Oh mein Gott«, hauchte ich.

»Was?«

»Ich hab mich vom SCM wegbeworben«, sagte ich gehetzt, während ich die dazugehörige App öffnete. »Ehrlich gesagt hab ich mich überall hinbeworben und –«

Meine Schultern sackten herab, als der Mailtext eingeblendet wurde. Es war eine Absage. Und das, obwohl die Abteilung es nach meiner Online-Bewerbung unglaublich eilig gehabt hatte, mit mir zu skypen.

Aber was alldem noch die Krone aufsetzte, war die Anrede:

 

Sehr geehrter Herr Ava,

 

Euer Ernst? Die hatten doch mit mir telefoniert! Sie hatten mich gesehen! Wie zur Hölle kamen sie jetzt auch noch darauf, dass Edison mein Vorname war?

»Okay«, brummte ich. »Gott hat wirklich ein Problem mit mir.«

»Nun schieb nicht gleich all deine Probleme auf den Herrn!«, schalt mich Jada, obwohl sie vorhin genau dasselbe angedeutet hatte. »Das wird schon. Und wenn du mal dein RBF absetzen würdest, vielleicht sogar früher als später.«

»W–« Ich war mir nicht sicher, ob ich mich verhört hatte. »Mein was?«

Als ich wieder zu Jada wechselte, verdrehte sie gerade die Augen. »Dein RBF. Dein Resting Bitch Face.«

Meine Kinnlade klappte herunter. »Ich hab doch überhaupt kein –« Ich verstummte und vergrößerte stattdessen das Live-Bild, das Jada von mir zu sehen bekam, um mich selbst davon zu überzeugen. Tatsächlich: Ich hatte die Stirn gerunzelt, und meine Mundwinkel zeigten streng nach unten. Verdammt.

»Du siehst aus wie eine Lehrerin, der man Kaugummi in die Haare geklebt hat«, fuhr Jada ungerührt fort. »Zeit, dir den Stock aus dem Arsch zu ziehen und dir zu holen, was dir zusteht!« Auch wenn ihre Worte auf demütigende Weise motivierend klangen, irritierte mich ihr verheißungsvolles Lächeln.

»Sprichst du jetzt von einer besseren Stelle«, fragte ich gedehnt, »oder von Trey?«

Jada schenkte mir ein hämisches Grinsen. »Allein, dass du das gefragt hast, beweist doch, dass Trey Ward eine Option für dich ist.«

Verdattert riss ich die Augen auf. »Aber –«

»Und wenn du sowieso bald wieder versetzt wirst«, ergänzte sie, »ist gegen ein kleines Techtelmechtel überhaupt nichts einzuwenden, oder?«

Mein Griff versteifte sich um mein Handy. Ich hatte mich einfach nur auskotzen wollen, und jetzt verdrehte Jada total die Tatsachen! »O doch! Bei der NASA ist so was strikt verboten! In jeder Hinsicht!«

Sie schnaubte. »Na und? Erfährt doch niemand was davon.« Ein Zucken ging durch ihren Mundwinkel. »Es bleibt euer gemeinsames kleines, schmutziges –«

»Ich bin nicht so drauf!«, unterbrach ich sie.

Sie stöhnte. »Und vielleicht ist genau das das Problem!«

Ich stutzte. »Dass ich nicht mit meinen Vorgesetzten schlafe?«

Jada setzte sich zurück an ihren Tisch, auf dem sich wahrscheinlich unzählige Politologie-Bücher häuften, und lehnte mich gegen den nächstbesten Widerstand. »Du musst mal locker werden! Vielleicht kommt dir nicht alles zugeflogen, aber das ist kein Grund, griesgrämig zu werden. Lebe den Tag, Süße. Ist auch besser fürs Herz.«

Kraftlos ließ ich meinen Kopf an der Sofalehne nach hinten sacken. »Danke, Dr. Jones«, sagte ich trocken. »Ich fühle mich gleich viel besser.«

Zwanzig Minuten später hatten mich nicht einmal Jadas Erzählungen vom Studium, heißen Kommilitonen und noch heißeren Professoren ablenken können. Nachdem wir aufgelegt hatten, scrollte ich aus lauter Frust über die Absage durch die Stellenanzeigen der NASA in allen Staaten – und fand die perfekte Stelle.

Das Space Flight Center in Greenbelt, Maryland, suchte nach einem IT-Experten, der Erfahrung mit den Programmiersprachen Python (meine Lieblingssprache, noch vor Englisch) und C (wenn es unbedingt sein musste) hatte, mindestens ein Jahr Arbeitserfahrung mitbrachte (check!) und ab sofort verfügbar wäre (aber so was von!). Zwischen den Zeilen erkannte ich, dass es dabei wohl um die Entwicklung des neuen Rovers für die Agenda Mars 2030 ging. Die Stelle war gerade erst ausgeschrieben worden, und ich bildete mir ein, dass ich bessere Chancen hätte, wenn ich mich sofort bewarb, bevor mir jemand mit besseren Qualifikationen zuvorkam.

Das war meine Chance. Das war verdammt noch mal meine Chance, nicht nur von hier wegzukommen, sondern auch, einen Sprung auf der Karriereleiter zu machen, die ich beim ersten Mal verfehlt hatte.

Erst auf den zweiten Blick sah ich, dass es sich nur um eine befristete Stelle handelte. Ich sollte in einem größeren Projekt mitarbeiten, das von Mitte April bis Mitte Juli laufen und somit innerhalb von drei Monaten abgeschlossen sein musste. Ich bewarb mich trotzdem, denn ich war mir sicher, wenn ich mein Bestes gab, würde das auch entlohnt werden – zum Beispiel mit einer Festanstellung.

Ich nahm die Bewerbung sofort in Angriff. Ich wollte, dass sie so perfekt war wie möglich, weshalb ich meinen ganzen Abend und mehr investierte, um meinen Lebenslauf zu aktualisieren und mein Anschreiben so umzuschreiben, dass es aufgeschlossen, aber nicht verzweifelt, und qualifiziert, aber nicht angeberisch klang.

Ich schlief in dieser Nacht nur vier Stunden. Doch die waren den Lichtblick, vom SCM und von Trey Ward wegzukommen, allemal wert.

 

 

Am Dienstag verbrachte ich ein Drittel meiner Zeit mit meiner eigentlichen Arbeit, ein weiteres mit geheimen Bewerbungen für andere Dienststellen und das letzte damit, finster in der Gegend herumzustarren und mein Leben zu verfluchen. Ich hatte Jada meine Arbeitsmailadresse gegeben, damit wir uns unterhalten konnten, ohne dass ich sichtbar mit dem Handy hantieren musste. Aber ihre Antworten ließen viel zu lange auf sich warten.

Zwischendrin unterhielt ich mich mit Christie, die mittlerweile so fest davon überzeugt war, Edison wäre mein Vorname, dass ich mich nicht mehr traute, sie zu korrigieren. Obwohl sie eine typisch-herzliche Sekretärin war, hatte ich nicht das Gefühl, mit ihr warmzuwerden. Sie erzählte mir von ihren fünf Katzen und acht Geschwistern oder ihren acht Katzen und fünf Geschwistern – ich war mir im Nachhinein nicht mehr ganz sicher – und schwärmte davon, was für ein guter Teamleiter Trey sei und wie aufregend es doch sein müsse, dass wir beide uns von früher kannten.

Ja, es war aufregend. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Nach einer Mittagspause, die ich aus Angst, Trey zu begegnen, nicht in der Mensa, sondern draußen vor der Tür verbracht hatte, war ich keine zehn Minuten wieder am Platz, als er auch schon aus seinem Büro geschlendert kam.

»Ava.« Sein Glück, dass er mich mit meinem richtigen Namen ansprach. »Hast du eine Sekunde für mich?«

Ich zwang mir ein Lächeln auf. »Für dich doch immer, Chef.«

Ein Zucken durch seine Mundwinkel. Natürlich labte er sich an meinem Leid. »Christie hat mir gesagt, du hättest Schwierigkeiten, dich in unseren Intranet-Bereich einzuloggen.«

Mein Lächeln verblasste sofort. Diese alte Tratschtante! »Hat sie das?« Die Worte kamen schroffer raus, als sie sollten.