Notams - Detlef Wolf - E-Book

Notams E-Book

Detlef Wolf

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Beschreibung

NOTAMS - Notices to Airmen - Informationen für Flugzeugführer, also Piloten - oder auch -Pilotinnen, denn selbstverständlich zählen die weiblichen Piloten auch zu den "Airmen". So wie Phil Busher und seine Frau Jennifer. Er: Passagiere, Sie: Fracht. Er: Airbus Drei-fuffzig, Sie: Boeing Triple Seven. Ihr Sohn, Phil Jr., hat das gerade gelernt, die Sache mit dem Fliegen. Und er ist ganz begeistert davon. Ebenso wie ihre Tochter, Tanja. Die will Pilotin werden, ist gerade mal zwanzig, bildhübsch und hoffnungslos verliebt. In einen Airbus. Den A320. Und in so einem findet sich ihr Bruder Phil plötzlich wieder. Ganz vorne. Im Cockpit. Auf dem linken Sitz. Der Pilot ist einem Herzinfarkt erlegen und der Copilot ist, dank einer Panikattacke, zu nichts mehr in der Lage. Also muss Phil Busher Junior ran. Er weiss, dass er das nicht kann, einen Airbus fliegen. Aber was bleibt ihm übrig? Oben bleiben können Sie ja nicht. Versuchen muss er es, denn allen Beteiligten ist klar: Es geht um Leben oder Tod.

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Seitenzahl: 269

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhaltsverzeichnis

Ein Wort zuvor

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Epilog

Glossar

Fliegeralphabet

Ein Wort zuvor

Es gibt keine ‚Flieger-Dynastie‘ namens Busher. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Und wenn doch, dann würde ich die wirklich mal gerne kennenlernen. Ebenso wenig gibt es sie, wie in der zivilen (und zivilisierten) Luftfahrt Geschichten passieren, wie ich sie mir hier ausgedacht habe.

Aber vielleicht könnten sie ja passieren. – Wer will das schon so genau wissen?

Die Airline in dieser Geschichte ist die türkische ‚Troja Air‘. Die gibt’s gar nicht (hab ich jedenfalls so gegoogled). Und das ist auch gut so. Denn so einen Chaotenhaufen will vermutlich niemand am Himmel sehen. Und selbstverständlich sind sie auch nicht repräsentativ für türkische Fluggesellschaften. Denn die sind alles andere als chaotisch. Die sind okay. Jedenfalls meiner Erfahrung nach.

Und schon lange nicht ist diese fiktive ‚Troja Air‘ wie die Deutsche Lufthansa, die auch in dieser Geschichte eine wichtige Rolle spielt. Mit der fühle ich mich verbunden, weil sie mich fünfunddreißig Jahre lang klaglos, pannenfrei und (einigermaßen) komfortabel von A nach B gebracht hat. Und auch wieder zurück.

Die Betriebsabläufe dort mögen nicht so sein, wie ich sie hier beschrieben habe, aber vielleicht könnten sie so sein. Auf keinen Fall aber ist irgendetwas, das ich über diese Gesellschaft geschrieben habe, böse oder negativ gemeint. Dazu bin ich viel zu gerne mit denen geflogen, um denen jetzt eins auswischen zu wollen. Was zudem noch gar nicht mal stimmt.

Naja, und was die Piloten angeht, da ist meine Geschichte so etwas wie eine Hommage an diese Zunft. Namenlos sind diese Leute zwar nicht, denn sie stellen sich jedes Mal vor, ehe sie losfliegen, aber sie sind gesichtslos, weil man sie nur selten einmal zu sehen bekommt.

Leider.

Ich hoffe nur, dass ich das, was sie in den Führerständen ihrer Boeings und Airbusse so treiben, wenigstens einigermaßen richtig wiedergegeben habe. Wenn nicht, mögen sie mir meine Lapsi linguae bitte verzeihen. Weil, ich bin ja kein Pilot. Ich wär vielleicht gern einer geworden, denn die Fliegerei hat mich immer fasziniert, aber, wie sagt man so schön: ‚You can’t win them all‘.

Nun gut, man kann sich seine Begeisterung fürs Fliegen ja trotzdem von der Seele schreiben. Und nichts anderes hab ich versucht.

Also dann: Cleared for take-off…

Raesfeld-Erle, im Juni 2019

Detlef Wolf

PS: Als kleine Hilfe zum Verständnis des Fachchinesisch und des Fliegerkauderwelschs habe ich am Ende des Buches ein Glossar angefügt.

Prolog

Phil hatte keine Tränen mehr. Die waren während der vorangegangenen Nächte in seinem Kopfkissen versickert. Jetzt starrte er mit ausdruckslosem Gesicht auf den Sarg, der das enthielt, was einmal seine Mutter gewesen war und der nun langsam in der offenen Grube versank.

Er erinnerte sich an ihre letzten Worte, die er von ihr vernommen hatte: „Lufthansa-Cargo Eight-six-four-three, Runway Two-six-right, cleared to land.“ Das war ihre Bestätigung der Freigabe zur Landung durch den Towerlotsen in München.

Wie so oft hatte er den Flugfunk abgehört, wie immer eigentlich, wenn einer seiner Eltern kurz vor zuhause ankam. Das war zwar nicht erlaubt, aber er tat es trotzdem. Schließlich wollte er so früh wie möglich wissen, ob auch diesmal alles glatt gegangen war.

Allem Anschein nach war es das. Die Landung der riesigen Triple-Seven Frachtmaschine würde kein Problem sein, er hatte zuvor ATIS abgehört, Information Charlie von 22:50 Uhr, die besagte, dass beide Bahnen, 26L&R, trocken und ‚in use‘ waren, der Wind aus 250 Grad kam und eine Stärke von vier Knoten hatte und dass die Sicht mehr als zehn Kilometer betrug.

Ideale Bedingungen.

Es würde also alles glatt gehen, auch wenn seine Mutter das Flugzeug diesmal nicht selbst flog. Sonst hätte er nicht ihre Stimme, sondern die des Ersten Offiziers gehört. Das war vermutlich Thomas Langer. Mit dem war sie schon oft unterwegs gewesen. Phil kannte Thomas. Er und seine Mutter waren ein gutes Team. Er brauchte sich also keine Sorgen zu machen. Beruhigt hatte er den Empfänger abgeschaltet und war ins Bett gegangen.

Drei Stunden später wurde er von der Haustürklingel geweckt. Verwundert darüber, dass seine Mutter offensichtlich ihren Schlüssel vergessen hatte, war er nach unten gelaufen, um ihr die Tür zu öffnen. Es konnte ja nur seine Mutter sein. Wer sonst würde mitten in der Nacht an der Tür klingeln?

Sekunden später wusste er, dass es auch jemand anderes sein konnte.

Draußen standen zwei Polizisten, die bei Phil sofort den Eindruck erweckten, dass sie sie sich äußerst unwohl fühlten. Und weitere zwei Minuten später wusste er, dass sein Eindruck richtig gewesen und auch, warum das so war.

Die Polizisten baten darum, ins Haus kommen zu dürfen und warteten ab, bis Phil sich im Wohnzimmer in einen der Sessel gesetzt hatte. Sie selbst verzichteten darauf, Platz zu nehmen. Im Stehen eröffneten sie Phil, dass seine Mutter einen Unfall gehabt hatte.

Phil konnte es nicht glauben. „Was? … Wie? … Das kann doch gar nicht sein!“, stotterte er. „Bei dem Wetter kann doch bei der Landung gar nichts passieren. Thomas macht das doch nicht zum ersten Mal. Und nach dem Ausrollen hat sie doch sowieso wieder die Kontrolle. Wenn da was schiefgegangen wäre, hätten die mich doch sofort angerufen.“

Verwirrt sah er die Beamten an, die seinen Blick ebenso irritiert erwiderten.

„Was meinst Du?“, fragte einer der beiden.

„Naja, meine Mutter fliegt Frachtflugzeuge. Vor ein paar Stunden ist sie mit einer Ladung Blumen aus Quito nach München zurückgekommen. Das weiß ich, denn kurz vor der Landung hab’ ich sie noch gehört. Und dass die Landung schiefgegangen ist, kann ich mir nicht vorstellen. Das Wetter war ideal, und weil sie sowieso das letzte Flugzeug gewesen waren, das reinkam, hat’s auch keinen Verkehr mehr gegeben. Was soll da also passiert sein?“

Jetzt begriff der Beamte, was der Junge gemeint hatte. Er schüttelte den Kopf. „Nein, nein, Deine Mutter ist nicht mit dem Flugzeug verunglückt. Sie hatte einen Autounfall.“

„Sie hatte WAS?“ Phil konnte es immer noch nicht glauben. Er wusste, dass seine Mutter hinter dem Lenkrad eines Autos ebenso umsichtig war wie hinter dem Steuerhorn eines Flugzeuges. Die baute doch keinen Unfall, niemals!

„Sie hatte keine Chance“, erklärte der Polizist. „Ein Falschfahrer ist frontal in ihren Wagen geprallt. Mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit. Als sie ihn kommen sah, war es schon zu spät. Sie konnte nicht mehr reagieren.“

Der Mann hatte es zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber Phil begriff trotzdem: Seine Mutter war tot.

Er kippte einfach zur Seite weg.

Eine Schrecksekunde lang waren die Polizisten ratlos. Dann reagierten sie. Einer von ihnen zog sein Telefon aus der Tasche und rief den Notarzt, der andere bettete den bewusstlosen Phil auf die Couch. Mit leichten Schlägen auf die Wangen versuchte er, den Jungen wieder zu sich zu bringen.

***

Das alles war jetzt genau eine Woche her.

Der Notarzt hatte Phil schnell wieder auf die Beine gebracht, und der hatte sofort dafür gesorgt, dass sein Vater vorerst nichts von all dem erfuhr. Der war nämlich gerade auf dem Weg von Boston nach München. Als Pilot eines A350. Für die gleiche Gesellschaft, für die auch seine Mutter geflogen war. Er Airbusse, sie Boeings, er Passagiere, sie Fracht.

Am Vormittag um 09:30 Uhr sollte er landen. Wenn er dann nach Hause kam, war es immer noch früh genug, ihn darüber zu informieren, was passiert war. Auch seinen Großeltern wollte er dann erst Bescheid geben. Einzig seine Schwester, die würde er gleich anrufen. Die hielt sich gerade in Phoenix/Arizona auf, und dort war es jetzt früher Abend, er würde sie also höchstwahrscheinlich erreichen.

Es wurde ein langes und teures Telefongespräch. Weil sie beide in Tränen ausgebrochen waren, nachdem Phil ihr die schreckliche Botschaft überbracht hatte. Sie versuchten, miteinander zu reden, aber es wollte ihnen kaum gelingen. Nur, dass sie so schnell wie möglich nach Deutschland kommen würde, konnte sie ihm noch versichern.

Jetzt stand sie neben ihm auf dem Friedhof und hielt seine Hand. Auf der anderen Seite neben ihr stand ihr Vater, der ihre andere Hand genommen hatte. Zum Begräbnis seiner Frau hatte er seine Uniform angelegt. Die gleiche, die sie auch getragen hatte, die eines Flight-Captains. Die Mütze mit der Goldkordel, die sie als einen solchen auswies, lag oben auf dem Sarg.

Phil fragte sich, ob unter den vielen Blumen an den Kränzen und Bouquets auch solche waren, die seine Mutter auf ihrem letzten Flug von Ecuador mitgebracht hatte.

Kapitel 1

Phil war nervös. Zum Frühstück brachte er kaum etwas herunter. Und das, obwohl seine Oma sich soviel Mühe gegeben hatte. Aber das half nicht. Heute war sein erster Schultag in der neuen Schule.

Tausendmal hatte er sich vorgestellt, wie das wohl sein würde, wenn er in die Klasse käme. Wahrscheinlich würden sie ihn alle anstarren wie ein exotisches Tier. Dann würde er Auskunft geben müssen. Wer er war, woher er kam und wieso er plötzlich auf diese Schule ging.

Letzteres wäre wohl am schwierigsten zu erklären.

Unter keinen Umständen wollte er ihr Mitleid. Also konnte er ihnen auch nicht sagen, dass er nach dem Tod seiner Mutter jetzt bei seinen Großeltern lebte, weil sein Vater sich wegen seines Berufes nicht ausreichend um ihn kümmern konnte. Zumal er jetzt auch noch in die USA übersiedelt war. Weil er es, ohne seine Frau, in Deutschland nicht mehr ausgehalten hatte.

Jetzt lebte er in Phoenix/Arizona. Wie seine Tochter. Sie besuchte dort die Flugschule, und er unterrichtete dort. Seine Firma hatte seinem Antrag, nach dorthin versetzt zu werden, begeistert zugestimmt. Phil Busher Senior war ein hervorragender Pilot. Und es war zu erwarten, dass er auch ein ausgezeichneter Pilotenausbilder sein würde.

Phil Busher Junior wollte hingegen in Deutschland bleiben. Aus zahlreichen Aufenthalten kannte er das Leben in den USA. Grandpa und Grandma Busher lebten schließlich dort. Er liebte sie, genauso wie sie ihn, aber trotzdem sagte ihm das Leben dort nicht sonderlich zu. Der Lebensstil in Deutschland gefiel ihm besser. Also übersiedelte er von Bayern ins Westfälische, wo Opa und Oma Kramm lebten.

Uwe Kramm, der Vater seiner Mutter, hatte sich dort zur Ruhe gesetzt, nachdem er seine Karriere als Verkehrsflugzeugführer beendet hatte. Ja, sein Großvater war ebenfalls Pilot gewesen. Phil war in eine Luftfahrerfamilie hineingeboren worden. Großvater, Vater, Mutter, alle waren sie Piloten. Seine Schwester ließ sich gerade dazu ausbilden.

Er selbst wollte das allerdings nicht. Klar, fliegen konnte er schon eine ganze Weile. Er hatte es bei Grandpa Jimmy in Ohio gelernt. Erst Einmotorige, dann Zweimotorige und nach Instrumentenflugregeln. Und es machte ihm einen Riesen-Spaß. Also, mit der Fliegerei wollte er schon etwas zu tun haben, da konnte er gar nicht anders. Das lag wohl an seinen Genen.

Aber statt zum Piloten wollte er sich lieber zum Fluglotsen ausbilden lassen. Diese Arbeit interessierte ihn weit mehr. Stundenlang saß er vor dem Empfänger und hörte den Flugfunk ab. In München waren es die EDDM-Arrivals und -Departures, jetzt die von EDDL, dem Flughafen in Düsseldorf.

Er träumte davon, einmal dort oben, in dem fünfundachtzig Meter hohen Kontrollturm zu sitzen und seinen Vater anzuweisen: „Lufthansa Four-seven-two, behind landing Eurowings Three-nineteen, line-up runway Two-three-left, behind.“ Dann würde sein Vater brav die Landung des A319 der Eurowings abwarten und sich danach mit seinem A350 auf der Landebahn aufstellen. Und sobald der Eurowings-Airbus die Bahn verlassen hatte, würde er sagen: „Lufthansa Four-seven-two, Runway Two-three-left, cleared for take-off, Wind Two-one-zero degrees, Six knots, Tschüss Papa, guten Flug.”

Das wär’s doch, oder?

Aber vorerst war es noch nicht so weit. Vorerst musste er erstmal die Schule fertig machen. Davor, dass er es schaffte, war ihm nicht bange. Allerdings musste er dazu auch seinen neuen Mitschülern gegenübertreten. Und er musste ihnen eine Geschichte über sich auftischen. Nur welche?

***

Es kam alles, wie erwartet. Fast. Der Direktor lieferte ihn in seiner neuen Klasse ab, wo ihn alle bestaunten. Er musste sich vorstellen und sagen, woher er kam. Es wurden Fragen gestellt, wie er sie erwartet hatte. Allerdings die Frage, warum er jetzt hier war, die stellte zum Glück niemand. Ob sie es etwa schon wussten? – Egal. Jedenfalls kam er drumherum, ihnen ein Märchen über sich zu erzählen. Gut so, denn es war ihm auch keines eingefallen.

Dann durfte er sich setzen. Seinen Platz konnte er sich selbst aussuchen. Was nicht besonders schwierig war, denn es war überhaupt nur noch ein einziger frei. Ganz am Ende des Hufeisens, in dessen Form die Tische der Schüler aufgestellt waren. Ein schmächtiger, rothaariger Bursche war sein Banknachbar.

„Hi, ich bin Erik“, sagte er, nachdem Phil sich gesetzt hatte und streckte ihm die Hand hin.

Phil griff danach und schüttelte sie kräftig. „Phil“, antwortete er.

„Hab’ ich gehört. Willkommen im Zoo. Ich bin hier der Orang-Utan.

Wegen der roten Haare.“ Er kratzte sich in der Achselhöhle und ahmte die Stimme eines Affen nach.

„Hör auf mit dem Theater, Erik“, schnauzte der Lehrer. „Gib hier gefälligst nicht den Affen!“

Erik kicherte. „Da hörst Du’s.“

Phil grinste sich eins.

Und er musste bald feststellen, dass Erik tatsächlich alles andere war als ein Affe. Er war hellwach, blitzgescheit und wieselflink im Denken und Reagieren. Diese Eigenschaften schienen allerdings einsam zu machen, denn als es zur Pause klingelte, kümmerte sich keiner um ihn. Alle rannten hinaus und ließen ihn links liegen.

Erik schien das gewohnt zu sein, denn er machte keine Anstalten, den anderen hinterherzulaufen. Mit stoischer Ruhe packte er seine Bücher ein. Phil sah ihm dabei zu.

„Was ist, willst Du nicht auch rausgehen?“, fragte er schließlich.

„Warum sollte ich?“, fragte Erik zurück.

„Vielleicht, um ein bisschen mit den anderen zu quatschen?“

„Tjaaa“, machte Erik gedehnt, „ich würd ja schon, aber die nicht.“

„Und wieso nicht?“

„Weil ich hier der Orang-Utan bin. Klein, schmächtig, rothaarig. Sowas mögen die nicht.“

„Orang-Utans sind weder klein noch schmächtig. Sie gehören zu der größten Art der Menschenaffen, die wir kennen“, dozierte Phil. „Rote Haare haben sie allerdings.“

„Siehst Du, darauf kommt’s an“, erwiderte Erik. „Und auf den Affen. Sie halten mich nämlich für einen.“

„Wieso das denn?“

Erik zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ist eben so.“

„Geh‘n wir trotzdem raus?“, fragte Phil.

„Klar, warum nicht? Wenn Du willst.“

„Will ich. Kann ich ‘n bisschen frische Luft schnappen. Und quatschen können wir draußen so gut wie hier drinnen.“

„Wie jetzt, Du willst mit mir quatschen?“ Erik war anscheinend ehrlich erstaunt.

„Klar, warum nicht?“, fragte jetzt Phil zurück.

„Und warum nicht mit den anderen?“

„Haben die mich vielleicht angequatscht, oder warst Du das?“

„Naja, aber…“

„Jetzt quatsch nicht, sondern komm“, unterbrach ihn Phil und grinste dabei.

***

„Wir wissen das übrigens mit Deiner Mutter“, sagte Erik, als er mit Phil an der Haltestelle stand, um auf den Schulbus zu warten. Sie hatten festgestellt, dass sie im gleichen Ort wohnten und daher denselben Bus nehmen mussten. „Der Direx hat’s uns gesagt, bevor Du kamst. Aber er hat auch gesagt, wir sollten Dich möglichst nicht darauf ansprechen.“

„Aber Du tust es trotzdem.“ Einerseits war Phil erleichtert, dass nun keine Gefahr mehr bestand, sich irgendeine Geschichte ausdenken zu müssen, andererseits hatte er aber auch wenig Lust, jetzt und hier mit Erik darüber zu reden. Den er schließlich heute erst kennengelernt hatte.

„Ja, ich tu’s trotzdem“, antwortete Erik. „Ich halte nicht viel davon, die Dinge unter den Teppich zu kehren. Es ist nun mal eine Tatsache. Ich finde es furchtbar, aber ich kann auch nichts daran ändern. Wenn Du willst, können wir darüber reden und wenn nicht, dann eben nicht. Ich will, dass Du das weißt.“

„Du bist ganz schön direkt“, stellte Phil fest.

„Stimmt“, gab Erik zurück. „Wahrscheinlich können die anderen mich deshalb nicht leiden.“

Phil drehte sich zu ihm um und grinste ihn an. „Ich schon.“ Er streckte ihm die Hand hin. „Also, auf gute Freundschaft.“

Erik klatschte ihn ab. „Soll mir recht sein. Ich hoffe nur, Du bereust es nicht.“

„Das werden wir ja sehen.“

Der Bus kam und sie stiegen ein. Die Fahrt dauerte eine knappe halbe Stunde. Derweil saßen die beiden Jungen nebeneinander und schwiegen. Phil, der am Fenster saß, sah hinaus und betrachtete die vorbeiziehende Landschaft. So viel anders als in Moosburg, wo er früher gewohnt hatte, sah es hier auch nicht aus. Wiesen und Felder. Er würde sich hier schon einleben.

„Wenn Du willst, kannst Du ja heute Nachmittag mal vorbeikommen“, sagte er zu Erik, als sie ausstiegen. Die Adresse ist…“

„Kenn ich“, unterbrach ihn Erik. „Schließlich wohnst Du da ja jetzt schon ‘n paar Wochen. Sowas spricht sich rum im Dorf. Wann?“

Phil zuckte die Achseln. „Mir egal. Wann Du Lust hast.“

***

Kurz vor vier läutete es an der Haustür. Phil war allein zu Haus, seine Großeltern waren zum Einkaufen in die Stadt gefahren. Er ging hinunter und öffnete. Erik stand vor der Tür.

„Du hattest mich eingeladen, also wundere Dich nicht, dass ich jetzt hier bin“, sagte er.

Phil lachte. „Ich wundere mich ja gar nicht. Im Gegenteil. Schön, dass Du da bist. Komm rein.“

Sie stiegen hinauf auf den Dachboden, den Phils Großvater für ihn hatte ausbauen lassen.

Staunend sah Erik sich um. „Na, das ist ja mal ‘ne Bude. Der Wahnsinn! Und hier wohnst Du?“

„Yep“, antwortete Phil. „Nicht schlecht, oder?“

„Nicht schlecht?“, schnappte Erik. „Der reinste Palast ist das, wenn Du mich fragst.“

„Ich frag Dich aber nicht“, lachte Phil. „Oder doch: Willst Du was trinken?“

„Cola.“

„Okay.“

Während Phil nach unten ging, um das Gewünschte zu holen, sah sich Erik um. Phils Zimmer nahm das gesamte Dachgeschoss ein. Neben dem Üblichen wie Bett, Kleiderschrank, Schreibtisch und reichlich Regalen gab es auch eine Sitzgruppe. Sogar ein eigenes Badezimmer hatte Phil zur Verfügung. Erik wurde ein bisschen neidisch, wenn er an sein eigenes, kleines Zimmer dachte und das Bad, das er sich mit der ganzen Familie teilen musste. Aber sein Vater war eben auch nur ein Schreinermeister und kein ehemaliger Lufthansa-Pilot, der eine Pension bekam, von der sein Vater nur träumen konnte.

Phil kam mit den Getränken zurück.

„Hier“, sagte er und hielt Erik ein volles Glas hin.

„Danke“, antwortete Erik, nahm Phil das Glas ab und trank einen

Schluck. „Du, sag mal, was ist das denn hier?“

Er deutete auf ein Metallgestell, in das etliche elektronische Geräte montiert waren.

Phil grinste. „Das Radio für meine Lieblingssender.“

„Echt? Und welche sind das? Eins-Live vielleicht?“

„Nee, nicht ganz.“ Phil schaltete das Gerät ein.

„KLM-eighteen-fiftyeight, Taxi Papa, Mike, Echo, hold short Runway Two-three-left, report ready”, kam es aus den Lautsprechern.

“Häh?”, machte Erik. “Was is’n das für’n komisches Programm? Eins-Live isses jedenfalls nich.“

„Nee“, lachte Phil kopfschüttelnd. „Eins-Live is das nich. Das war der Departure-Lotse auf dem Tower des Düsseldorfer Flughafens, der der KLM von Düsseldorf nach Amsterdam die Rollfreigabe zur Bahn dreiundzwanzig-links gegeben hat.“

„Aha. Und so ‘nen Quatsch hörst Du Dir an?“

„Naja, also direkt Quatsch is das jetzt nicht wirklich. Ohne diese Rollfreigabe käme der Luftkutscher nicht mal von seiner Position weg, geschweige denn in die Luft. Da würden die Passagiere ganz schön ärgerlich werden, wenn dieser Spruch nicht käme.“

„Und was soll das heißen?“

„Das soll heißen, dass es dem Piloten von Flug eins-acht-fünf-acht jetzt erlaubt ist, von seiner Parkposition aus über die Rollwege P wie ‚Papa‘, M wie ‚Mike‘ und E wie ‚Echo‘ zur Startbahn dreiundzwanzig-links zu rollen und dort anzuhalten. Außerdem soll er verkünden, wann er mit dem Überprüfen seiner Flight Controls und dem Programmieren seiner Abflugroute fertig ist, damit ihm der Lotse die Startfreigabe erteilen kann, sobald die Bahn frei ist.“

„Soso. Sehr interessant. Und sowas Langweiliges findest Du gut?“

„Find ich. Interessant ist es nämlich tatsächlich und langweilig kein bisschen. Jetzt ist es ja noch ruhig, aber wart’s mal ab, in einer Stunde, wenn der Verkehr so richtig losgeht, ist da der Teufel los. Dann kannst Du vielleicht was erleben.“

„Tolles Erlebnis. Du sitzt hier gemütlich in Deinem Sessel und hörst Dir dieses Kauderwelsch an. Was soll daran spannend sein?“

„Du musst Dir nur mal die Situation vor Augen führen. Stell Dir vor, da kommt ein Flugzeug nach dem anderen rein und ebenso viele wollen auch wieder raus. Beide Bahnen sind in Betrieb, aber man kann immer nur abwechselnd starten oder landen. Nie auf beiden Bahnen parallel, weil sie zu dicht zusammenliegen. Es herrscht ein Scheiß-Wetter, beide Bahnen sind nass, der Wind kommt aus zweihundertneunzig Grad, also fast senkrecht zur Landerichtung, mit Stärke drei, in Böen bis sechs, so dass die Vögel ganz schön zur Seite gewedelt werden, wenn der Pilot nicht aufpasst. Und zu allem Überfluss setzt einer von denen auch noch ‘n ‚Pan-Pan‘-Call ab, weil irgend so’n Oppa hinten in der Kabine wegen des bockigen Landeanflugs ‘n Herzanfall gekriegt hat. Also ab mit der ganzen Rasselbande in die Warteschleifen, damit der Typ mit seinem kranken Oppa an Bord bevorzugt landen kann. Und prompt kommt danach der nächste und meldet Minimum-Treibstoff, womit die ganze Sortiererei von vorne losgeht. Wobei sich natürlich alle sicher sein müssen, dass sie sich gegenseitig nicht ins Gehege kommen und eventuell einer in den anderen reindonnert. Also, da wird’s dann schon ganz schön spannend, sag ich Dir.“

Erik sah seinen neuen Freund mit großen Augen an. „Hört sich ja fast so an, als würdest Du was davon verstehen?“

„Ich bemüh mich“, antwortete Phil. „Schließlich will ich später sowas ja mal selbst machen.“

„Was willst Du machen?“

„Na, Flugzeuge sortieren. Ich würd gern Fluglotse werden.“

„Ja, wie jetzt, so ‘nen Stress willst Du Dir antun?“

„Wieso nicht? Ich stelle mir vor, dass es ein schönes Gefühl sein muss, wenn Du die, die runterwollen, alle brav auf ihren Parkpositionen abgeliefert hast und die, die wegwollen, alle planmäßig am Himmel verschwunden sind.“

„Also, ich danke schön. Mir ist die ganze Fliegerei sowieso ziemlich suspekt. Ich fahr lieber mit ’m Auto. Das ist mir sicherer.“

„Stimmt ga-ran-tiert nicht!“, setzte Phil dagegen.

Erschrocken sah Erik ihn an. Es wurde ihm bewusst, was er da gesagt hatte.

„Entschuldige, das hätt ich mir jetzt besser verkneifen sollen.“

Phil gab ihm einen Klaps auf die Schulter. „Hättest Du. Weil’s nämlich total falsch ist. Aber, mach Dir nix draus. Ich nehm’s Dir nicht übel. Weil viele Leute so denken. Dadurch wird’s aber nicht richtiger.“

„Aber man hört doch immer wieder von Flugzeugabstürzen.“

„Ja klar. Weil sowas natürlich spektakulär ist. Und weil’s nur ziemlich selten passiert. Autounfälle passieren dagegen jeden Tag, wer weiß, wie oft. Nur, da regt sich dann kaum einer drüber auf. Von den Betroffenen mal abgesehen.“

Erik sprang auf und legte Phil die Hand auf die Schulter. „Es tut mir leid, Phil.“

Phil lächelte ihn an. „Schon gut, Erik. Vergiss es einfach.“ Er ließ sich auf die Couch fallen und zog Erik neben sich. „Bist Du überhaupt schonmal geflogen?“

„Ja, klar“, antwortete Erik, „nach Malle und so. Aber noch nicht oft.“

„Das mein ich nicht. Da gibt’s ja kaum einen, der das noch nicht gemacht hat. Das ist ja auch gar kein richtiges Fliegen. Du steigst hier ein, setzt Dich hin, kriegst was zu trinken und eventuell auch was Kleines zu essen, liest die Zeitung oder guckst der Stewardess auf den knackigen Arsch und am Ende steigst Du da wieder aus. Das ist doch langweilig. Nein, ich meine: Selbst fliegen. Du stehst auf der Bahn, schiebst den Gashebel nach vorne, der Vogel fängt an zu rollen, wird immer schneller, bei Vr ziehst Du am Steuerhorn, der Vogel hebt ab, und Du bist in der Luft. Alles wird kleiner und kleiner da unten, wie auf einer Modelleisenbahn, Du stößt in die Wolken, nichts als Grau um Dich rum. Aber nur für kurze Zeit, dann bist Du durch. Über Dir der strahlend blaue Himmel, und die Sonne scheint so wunderbar, dass Du’s gar nicht fassen kannst. Das ist ein Gefühl, sag ich Dir, das glaubst Du gar nicht.“

„Hört sich ja fast so an, als ob Du das schonmal gemacht hättest?“ Phil winkte ab. „Ach, und wie oft. Und es ist jedes Mal wahnsinnig aufregend.“

„Du kannst fliegen?“ Erik sah ihn ungläubig an.

Phil nickte. „Kann ich. Grandpa Jimmy hat’s mir beigebracht. Heimlich. Papa und Mama wollten das nicht, aber wir haben’s trotzdem gemacht. Weißt Du, wir sind eine Fliegerfamilie. Opa Kramm war Pilot. Also, er ist es immer noch, aber er verdient sein Geld nicht mehr damit. Er hat vor ewigen Zeiten auf der Super-Constellation angefangen und ist dann Kapitän auf der Sieben-Null-Sieben gewesen. Zuletzt hat er die Sieben-Vier-Sieben geflogen, also den Jumbo-Jet.

Mama war eine Boeing-Pilotin. Genau wie ihr Vater. Sie hat die Triple-Seven geflogen. Den Frachter allerdings. Sie hatte es mehr mit der Frachtfliegerei als mit Passagieren zu tun. Papa fliegt den A-Dreifuffzig. Also, er hat ihn geflogen. Im Moment nicht so sehr. Weil er im Moment in Phoenix/Arizona als Fluglehrer arbeitet. Um junge Piloten auszubilden. Meine Schwester, zum Beispiel. Die will nämlich auch Pilotin werden. Nächstes Jahr ist sie fertig. Dann fängt sie an als First Officer. Auf Airbus oder Boeing, das weiß sie noch nicht.

Na, und Grandpa Jimmy fliegt natürlich auch. Allerdings nur kleine Flugzeuge und nur so zum Spaß. Der ist Ingenieur von Beruf. Und wo? Natürlich dort, wo Flugzeugteile gebaut werden. Bei General Electric in Cincinnati, wo sie die GE90-Triebwerke herstellen. Die, die unter den Flügeln der Triple-Seven hängen, wie meine Mutter sie geflogen hat.

Du siehst also: Bei uns dreht sich alles um die Fliegerei.“

„Ist ja der Wahnsinn! Und Du kannst wirklich echt fliegen?“

„Sag ich doch. Wenn Du willst, nehm‘ ich Dich gern mal mit. Natürlich nur, wenn Du nicht zu viel Schiss hast. Es soll ja Spaß machen und kein Horrortrip werden.“

Kapitel 2

Vorerst wurde jedoch nichts aus dem Abenteuer, das Phil seinem neuen Klassenkameraden vorgeschlagen hatte. Statt sich im Luftraum über seiner neuen Heimat zurechtzufinden, musste er das zunächst mal an der fremden Schule und in seiner Klasse.

Das Verhältnis zu den Mitschülern war schnell klargestellt. Phil hatte sich mit Erik abgegeben, also war er für fast alle anderen unten durch. Mit Erik hatte man einfach nichts zu tun. Punktum! Dieser Orang-Utan im Taschenformat war ein Streber, ein Schwätzer, ein Schwächling, ein Weichei, eben ein Arsch – so die Anderen. Und wenn sich mit dem einer abgab, dann war er das eben auch.

Vom Format her passte Phil ja fast zu Erik. Er hatte lange Zottelhaare, genau wie Erik. Die waren zwar nicht rot, aber trotzdem. Er war ein dürres Klappergestell, genau wie Erik. Zwar nicht so kleinwüchsig, aber trotzdem. Einzig die riesigen, dunklen Augen, die hatten schon was. Fanden jedenfalls die Mädchen. Die von Erik waren zwar auch groß, aber nur, weil er eine dicke Brille davorsitzen hatte, mit der er aussah wie eine Eule. Außerdem waren sie wässrig-blau. Die hatten gar nix, fanden die Mädchen. Naja, und die Jungs fanden, mit diesem Spargeltarzan würde man wohl kaum was anfangen können. Sportlich gesehen. Was die Lehrer herausfanden, ließ sich auch schnell zusammenfassen. In Mathe und den Naturwissenschaften war Phil ein As. Ebenso in Erdkunde. In Deutsch und Geschichte dagegen eine glatte Fehlbesetzung. Schon dieser behäbige, bayerische Zungenschlag war doch eine Zumutung.

Englisch wiederum sprach er fließend. Allerdings das amerikanische. Was seinem Englischlehrer, der während seiner Studienzeit einige Semester in Oxford verbracht hatte, ein Gräuel war. Der Kerl sagte ‚däncing‘ statt ‚dancing‘ und ‚iether‘ statt ‚either‘. Und dann die Grammatik, unmöglich! „You ain’t see noth’n yet“, behauptete er, wenn er ausdrücken wollte: „…that you have not seen anything like that so far”. Ansonsten legte er beim Sprechen so ein Tempo vor, dass man sogar als gestandener Anglistiker ins Schleudern kam.

Französisch sprach er überhaupt nicht, gar nicht zu reden vom Lateinischen. Dafür aber Spanisch. Das knatterte er herunter wie ein Maschinengewehr. Was ihm allerdings nichts nützte, denn Spanisch wurde an dieser Schule nicht unterrichtet.

Was seine Klassenkameraden über seine sportlichen Talente vermuteten, erwies sich als zutreffend. Im Großen und Ganzen jedenfalls. Das Hallenturnen an den Geräten war eine Katastrophe. Auch die Leistungen in den allermeisten Disziplinen der Leichtathletik waren nicht nennenswert. Ganz zu schweigen von den Mannschaftssportarten. Wer so einen wie den im Team hatte, brauchte sich über eine Niederlage nicht zu wundern. Er war lediglich ein guter Läufer. Kein Wunder, so wie der Kerl gestrickt zu sein schien, würde er wohl oft genug Gelegenheit haben, sich im Davonlaufen zu üben. Je schneller, desto besser.

Was dieser Phil sonst noch konnte, das wussten sie nicht. Er sprach darüber nicht, und sie fragten ihn auch nicht. Überhaupt, was war das denn für ein Name, den er da hatte: ‚Phil Busher Jr.‘ So hieß man doch nicht! Jedenfalls nicht hier in Deutschland.

Alles in allem: Den Typ konnte man mal vergessen. Der war eine totale Fehlakquisition für die Klasse.

***

Phil nahm es zur Kenntnis, aber es belastete ihn nicht weiter. Er besuchte die Schule, weil er die Notwendigkeit erkannte, und er erledigte seine Hausaufgaben, weil das einfach dazugehörte. Die verbleibende Zeit verbrachte er auf dem nahegelegenen Flugplatz. Zusammen mit seinem Opa. Klar, dass der sich dorthin orientiert hatte, nachdem er aus dem Berufsleben ausgeschieden war. Einmal Flieger, immer Flieger, beförderte er jetzt nicht mehr Passagiere von A nach B, sondern brachte jungen Leuten das Fliegen bei, nachdem er Mitglied im ansässigen Fliegerclub geworden war.

Auch Phil hatte seinen Mitgliedsantrag ausgefüllt, gleich beim ersten Mal, als sein Opa ihn dorthin mitgenommen hatte. Und eine Runde über die Gegend hatten sie auch sofort gedreht. Das Wetter war ausgezeichnet gewesen, die Gelegenheit hatten sie sich nicht entgehen lassen.

Die erste Runde flog der Opa, die weiteren drehte Phil selbst.

Er musste dringend Flugstunden sammeln, damit er seine Lizenz nicht verlor. Seit dem Tod seiner Mutter war er nicht mehr geflogen, also wurde es jetzt langsam höchste Zeit. Natürlich landete er das kleine Flugzeug auch. Nach Sichtflugregeln. Was bei dem herrlichen Wetter ja auch kein Problem war.

Phil meldete sich beim Kontrollturm auf der Tower-Frequenz, 119.205 MHz, holte sich seine Landefreigabe für die Bahn 29, flog brav seine Platzrunde, fädelte sich auf dem Anflugkurs ein und setzte das Flugzeug präzise auf die zwölfhundert Meter lange und dreißig Meter breite Asphaltpiste. Er schaffte es, bei Taxiway ‚Delta‘ rauszukommen und rollte dann über ‚Alfa‘ und ‚Foxtrott‘ zum Hangar.

„Das waren jetzt aber nicht Sie, der da geflogen ist“, meinte der Techniker, der das Flugzeug übernahm, nachdem sie ausgestiegen waren.

Uwe Kramm schüttelte lachend den Kopf. „Nee, war ich nicht.“ Er zeigte auf Phil, der neben ihm stand. „Das war der hier, mein Enkel.“

Der Mann sah den Jungen erstaunt an. „Wie, der kann fliegen?“

„Kann er. Und darf er auch. Er hat eine Privatpilotenlizenz für mehrmotorige Flugzeuge, mit Zusatz für kontrollierten Sichtflug und Instrumentenflugberechtigung. Also, wenn Sie mal jemanden brauchen, der Sie ganz schnell irgendwohin fliegt, der hier kann das.“

„Aber hier, bei uns, hat er das nicht gelernt.“

„Das allerdings nicht. Sein anderer Großvater hat ihm das kürzlich beigebracht. Der fliegt nämlich auch. So wie unsere gesamte Sippschaft.

Allerdings nicht hier, sondern drüben, in Ohio.“

„Das glaub ich ja jetzt nicht“, sagte der Mechaniker.

Uwe Kramm klopfte dem Mann auf die Schulter. „Das müssen Sie auch nicht. Sie ham’s ja gesehen.“

Phil stand schweigend dabei. Ihm war das ein bisschen peinlich, wie sein Opa mit den angeblichen Flugkünsten seines Enkels angab. Gut, er hatte zwar den Schein in der Tasche, der ihm das Fliegen erlaubte, aber so ganz sicher war er sich dabei noch nicht. Er wusste genau, dass er dazu noch eine ganze Menge Übung brauchte.

Anscheinend wusste sein Opa das auch, denn der wandte sich jetzt wieder an ihn: „Willst Du noch eine Runde drehen?“

Phil sah ihn überrascht an. „Geht das denn?“

„Warum denn nicht?“, antwortete der Großvater. Er drehte sich zu dem Mechaniker um und deutete auf das Flugzeug, neben dem sie standen. „Machen Sie sie ihm nochmal fertig?“

Der Mechaniker nickte. „Klar. Dauert aber ‘n Moment.“

„Kein Problem. Wir gehen inzwischen was trinken.“

***

Das Flugplatzrestaurant hatte geöffnet und war ziemlich gut besucht an diesem schönen, sonnigen Tag. Die Beiden sahen sich kurz nach einem freien Tisch um und setzten sich. Uwe Kramm schien hier gut bekannt zu sein, denn als die Bedienung herübersah, gab er ihr nur ein Zeichen mit zwei ausgestreckten Fingern. Sie nickte und kam gleich darauf mit zwei Gläsern Cola an den Tisch.

„Hallo, Herr Kramm“, sagte sie und sah Phil an. „Ein neuer Schüler?“ Kramm schüttelte den Kopf. „Nein. Mein Enkel, Phil. Der kann’s schon.“