Nothing Left for Us Nothing Left for Us (deutsche Ausgabe von Radio Silence) - Alice Oseman - E-Book + Hörbuch

Nothing Left for Us Nothing Left for Us (deutsche Ausgabe von Radio Silence) Hörbuch

Alice Oseman

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Beschreibung

Das Buch ist bei deiner Buchhandlung vor Ort und bei vielen Online-Buchshops erhältlich! Die deutsche Ausgabe des Erfolgsromans Radio Silence Von der Heartstopper-Autorin Alice Oseman "Hallo. Hoffentlich hört mir jemand zu …" Frances hat nur ein Ziel: Cambridge. Um es auf die Eliteuni zu schaffen, lernt sie Tag und Nacht. Nichts soll ihr im Weg stehen – weder Freunde noch ihre Leidenschaft fürs Zeichnen. Da begegnet Frances Aled, dem schüchternen Genie hinter ihrem Lieblingspodcast. Mit ihm kann sie Zeit verbringen, ohne ständig unter Strom zu stehen. Doch als Aleds Podcast viral geht, droht die Freundschaft zu zerbrechen. Plötzlich muss sich Frances fragen: Was ist ihr im Leben wichtig? Wer will sie wirklich sein? Finde dich selbst in dieser außergewöhnlichen und tiefgründigen Geschichte Mit ihrem Coming of Age-RomanNothing Left for Us erzählt Alice Oseman eine eindrückliche Geschichte über Erfolgsdruck und beschreibt durch den Einsatz von Podcast-, Mail- und Chatnachrichten einfühlsam die Bedeutung von Freundschaft und Selbstfindung. Alice Oseman trifft das Lebensgefühl der jungen Lesenden Mit ihrem feinen Gespür für die Gefühle junger Menschen auf ihrer Suche nach Identität und Selbstbewusstsein begeistert Alice Oseman eine ganze Generation. Graphic Novels aus dem Heartstopper-Universum: Heartstopper Volume 1 Heartstopper Volume 2 Heartstopper Volume 3 Heartstopper Volume 4 Heartstopper Volume 5 Heartstopper Volume 6 - folgt Romane aus dem Heartstopper-Universum: Nick & Charlie This Winter Weitere Jugendbuchromane von Alice Oseman bei Loewe: Loveless Nothing Left for Us (die deutsche Übersetzung von Radio Silence) Solitaire I was Born for This

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Zeit:9 Std. 34 min

Sprecher:Xuan Hy Nguyen

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Inhalt

Universe City: Folge 1 – dunkelblau

Zukunft (plural)

1Sommertrimester  a)

Ich war intelligent

Der Sprecher

Sterben, aber auf eine gute Art

Tu, was du willst

Ich wollte immer schon ein Hobby haben

Eine normale junge Frau

Verschiedene Wagen

Jemand hört zu

Geschafft

1Sommertrimester  b)

Aled Last in meinem Bett

Genau

Schräg

Wir würden Millionen verdienen

Macht

Online

Zeitraffer

#besondereschneeflocke

Peinlich

Logarithmen

Eins noch, bevor es weitergeht

Wir sind da draußen

Daniel Jun

Langweilig

Babar

2Sommerferien  a)

Deine Kunstwerke sind so schön

Engel

Dumme Nuss

Eine wahre Tatsache

Lachen und rennen

Radio

February Friday

Im Großen und Ganzen

Ein Teufelskreis des Bösen

Elektrizitätswerk

Kanye hätte das nicht gefallen

Deckenknäuel

Dunkelblau

2Sommerferien  b)

Die allerschlimmste Folge

5 Sonderbare Dinge, von denen ich besessen bin

Schlaf jetzt

3Herbsttrimester  a)

Verwirrte Kids in Bürokostümen

Touloser

Kunst war enttäuschend?

Raine

So ist sie immer

Im Dunkeln

Berühmt auf Youtube

Lügen ist im Internet leichter

Der Zeitstrudel

Sorry

3Herbsttrimester  b)

Die Kugel

Die Schul-Frances

Winter-Olympionike

(Welt)raum

Hass

Guy Denning

Drück auf Play

Was sollte man sonst tun

Wenig konstruktiv

Alte weiße Männer

Das einzig Besondere

Kinderküsse

Unfassbar müde

Stunden über Stunden

4Weihnachtsferien

Ein Internet-Rätsel

Galaxiendecke

3.54 Uhr

Verbrannt

Verrostete Hände aus dem Norden

Meine Freundin

Schädel

Fuck you all

5Frühlingstrimester  a)

Weißes Rauschen

School sucks.

Why oh why is there work? I don’t – I don’t get it.

Mm.

Look at me. Look at my face.

Does it look like I care about school?

No.

»lonely boy goes to rave«, Teen Suicide

UNIVERSE CITY: Folge 1 – dunkelblau

UniverseCity

109.982Views

Notfall. Komme nicht raus aus Universe City. Schickt Hilfe.

Scrollt runter zur Abschrift>>>

Hallo.

Hoffentlich hört mir jemand zu.

Ich sende diesen Notruf über Funkradio – super altmodisch, ich weiß, aber vielleicht ist das eins der wenigen Kommunikationsmittel, die noch nicht von der City überwacht werden – es ist ein finsterer und verzweifelter Hilferuf.

In Universe City ist nicht alles so, wie es scheint.

Ich kann euch nicht verraten, wer ich bin. Bitte nennt mich … bitte nennt mich einfach Radio. Radio Silence. Schließlich bin ich nur eine Stimme im Radio und vielleicht hört auch niemand zu.

Ich frage mich – falls wirklich niemand meine Stimme hört, ob ich dann überhaupt einen Klang erzeuge?

[…]

ZUKUNFT (PLURAL)

»Hörst du das?«, fragte Carys Last und blieb so ruckartig vor mir stehen, dass ich beinahe mit ihr zusammengestoßen wäre. Wir standen auf dem Bahngleis. Wir waren fünfzehn und wir waren Freundinnen.

»Was?« Ich hörte nur die Musik, die durch einen meiner Kopfhörer dröhnte. Animal Collective vielleicht.

Carys lachte, was nicht oft vorkam. »Du spielst deine Musik zu laut ab«, sagte sie, legte den Finger um das Kopfhörerkabel und zog es zu sich. »Hör mal.«

Wir blieben stehen und lauschten, und ich weiß noch genau, was ich in dem Moment gehört habe: wie der Zug, aus dem wir gerade gestiegen waren, ratternd weiter in die Stadt fuhr. Und wie der Sicherheitsbeamte bei der Ticketkontrolle einem alten Mann erklärte, dass der Schnellzug nach St.Pancras an diesem Tag wegen des Schnees ausfiel. Ich hörte das Verkehrsrauschen in der Ferne, den Wind, der über unseren Köpfen wehte, die Spülung der Bahnhofstoilette sowie die Durchsage: »Auf Gleis eins fährt nun der Zug – nach Ramsgate ein. Die Abfahrt ist um – 8.02Uhr.« Ich hörte, wie jemand Schnee schippte, hörte ein Feuerwehrauto und Carys’ Stimme und …

Dass es brannte.

Wir drehten uns um und blickten auf das verschneite öde Viertel hinterm Bahnhof. Normalerweise konnten wir von hier aus unsere Schule sehen, doch heute war eine Rauchwolke im Weg.

»Wieso haben wir den Qualm vom Zug aus nicht gesehen?«, fragte Carys.

»Ich habe geschlafen«, sagte ich.

»Ich nicht.«

»Du hast nicht drauf geachtet.«

»Tja, anscheinend ist die Schule abgebrannt«, sagte sie und setzte sich auf eine Bank im Wartebereich. »Der Traum der siebenjährigen Carys ist wohl endlich in Erfüllung gegangen.«

Ich starrte noch ein wenig länger hin und setzte mich dann zu ihr.

»Glaubst du, es waren diese Typen?« Ich meinte die anonymen Blogger, die unsere Schule im Laufe des vergangenen Monats verstärkt ins Visier genommen hatten.

Carys zuckte mit den Schultern. »Ist doch eigentlich egal, oder? Das Endergebnis ist dasselbe.«

»Es ist überhaupt nicht egal.« In diesem Augenblick begriff ich erst, was das alles bedeutete. »Das ist doch eine ernste Angelegenheit. Wir müssen auf eine andere Schule gehen. Wie es aussieht, sind der gesamte C- und D-Flügel … weg.« Ich vergrub die Finger in meinem Rock. »Mein Schließfach ist im D-Flügel. Mein GCSE-Skizzenblock für die Abschlussprüfungen ist da drin. Für ein paar Zeichnungen habe ich Tage gebraucht.«

»Oh, scheiße.«

Ich erschauerte. »Wieso machen die so was? Damit haben die jede Menge harte Arbeit zunichtegemacht und so vielen Leuten die Prüfungen und Noten versaut, und damit teilweise ihre Zukunft. Sie haben im wahrsten Sinne des Wortes ihr Leben zerstört.«

Carys wirkte nachdenklich und öffnete den Mund, sagte dann aber doch nichts.

1

SOMMER­TRIMESTER

ICH WAR INTELLIGENT

»Das Glück unserer Schüler liegt uns ebenso am Herzen wie ihr Erfolg«, sagte unsere Schulleiterin Dr.Afolayan während des Elternabends zum Sommertrimester vor vierhundert Eltern und ihren Kindern der Oberstufe. Ich war siebzehn, in der Zwölf und Schülersprecherin, und ich saß hinter der Bühne, weil ich in zwei Minuten meinen Beitrag leisten sollte. Obwohl ich mir keine Rede überlegt hatte, war ich kein bisschen nervös. Ich war eigentlich sogar sehr zufrieden mit mir.

»Wir betrachten es als unsere Pflicht, den jungen Menschen Zugang zu den besten Chancen zu ermöglichen, die die heutige Welt zu bieten hat.«

Letztes Jahr wurde ich zur Schülersprecherin gewählt, weil ich mich auf dem Kampagnenposter mit Doppelkinn präsentiert hatte. Außerdem hatte ich in meiner Wahlrede das Wort »meme« benutzt, womit ich ausdrücken wollte, dass mir die Wahl scheißegal war, obwohl das Gegenteil der Fall war. Aber deshalb haben die Leute mir ihre Stimme gegeben. Keiner kann behaupten, ich würde mein Publikum nicht kennen.

Dennoch wusste ich nicht genau, worüber ich an diesem Elternabend reden sollte. Afolayan sagte bereits alles, was ich mir auf dem Club-Night-Flyer notiert hatte, den ich vor fünf Minuten in der Tasche meines Blazers gefunden hatte.

»Unser Oxbridge-Programm war in diesem Jahr von besonderem Erfolg gekrönt …«

Ich zerknüllte den Flyer und ließ ihn fallen. Improvisation war angesagt.

Da ich bereits Reden aus dem Stegreif gehalten hatte, war es keine große Sache, abgesehen davon, dass es sowieso niemand merken würde. Niemand würde auch nur einen Gedanken daran verschwenden. Ich war bekannt dafür, dass ich gut organisiert war, pünktlich meine Hausarbeiten erledigte, konstant gute Noten hatte und auf die Cambridge University gehen wollte. Meine Lehrer liebten mich und meine Mitschüler beneideten mich.

Ich war intelligent.

Ich war die beste Schülerin meines Jahrgangs.

Ich würde nach Cambridge gehen, einen super Job an Land ziehen und einen Haufen Geld verdienen. Ich würde glücklich werden.

»Im Übrigen denke ich«, sagte Dr.Afolayan, »dass der Lehrkörper einen besonders lauten Applaus für die harte Arbeit verdient hat, die er in diesem Jahr geleistet hat.«

Die Anwesenden klatschten, doch ich sah, wie einige Schüler die Augen verdrehten.

»Und jetzt darf ich Ihnen unsere Schülersprecherin vorstellen: Frances Janvier.«

Sie sprach meinen Nachnamen falsch aus. Daniel Jun, der Schülersprecher, beobachtete mich vom entgegengesetzten Rand der Bühne. Er hasste mich, weil wir beide krasse Streber waren.

»Seit Frances vor einigen Jahren zu uns gestoßen ist, hat sie kontinuierlich hervorragende Leistungen erbracht, und es ist mir eine große Ehre, dass sie alles repräsentiert, wofür wir hier an der Academy stehen. Heute wird sie Ihnen ihre Erfahrungen schildern, die sie im letzten Jahr in der Oberstufe gemacht hat, und Ihnen ihre Zukunftspläne präsentieren.«

DER SPRECHER

»Du willst doch nicht wieder improvisieren, Frances?«, hatte Mum eine Viertelstunde zuvor gefragt. »Letztes Mal hast du am Ende deiner Rede den Daumen gehoben.«

Sie hatte mit mir im Gang vor dem Bühneneingang gewartet.

Meine Mum stand auf Elternabende, vor allem, weil sie die verwirrten Blicke liebte, wenn sie sich als meine Mutter vorstellte. Das rührte daher, dass ich mixed-race bin, während sie weiß ist. Aus unerfindlichen Gründen werde ich von den meisten für eine Spanierin gehalten, weil ich letztes Jahr den Spanischkurs mit privater Nachhilfe gerockt hatte.

Dazu kam, dass Mum sich von den Lehrern immer wieder gern erzählen ließ, was für ein wundervoller Mensch ich war.

Ich hatte mit dem Club-Flyer gewedelt. »Entschuldige mal. Ich bin mega vorbereitet.«

Sie nahm ihn mir aus der Hand und las meine Notizen. »Hier stehen genau drei Stichpunkte und einer davon lautet ›Internet erwähnen‹.«

»Mehr brauche ich nicht. Die Kunst, Blödsinn zu reden, beherrsche ich perfekt.«

»Das ist mir klar.« Mum gab mir den Flyer zurück und lehnte sich an die Wand. »Trotzdem wäre es mir lieb, wenn du nicht wieder volle drei Minuten über Game of Thrones reden würdest.«

»Das wirst du mir nie verzeihen, oder?«

»Nein.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe alle wichtigen Punkte berücksichtigt. Ich bin intelligent, ich werde studieren, blah, blah, blah Noten, Erfolg, Glück. Alles bestens.«

Zeitweise hatte ich das Gefühl, dass sich mein ganzes Leben nur um diese Themen drehte. Schließlich zog ich fast mein gesamtes Selbstbewusstsein aus meiner Intelligenz. Genau genommen bin ich in jederlei Hinsicht eine traurige Gestalt, aber immerhin werde ich zur Uni gehen.

Mum zog eine Augenbraue hoch. »Du machst mich nervös.«

Ich versuchte, nicht mehr darüber nachzudenken, sondern konzentrierte mich lieber auf meine Pläne für den Abend.

Nach der Schule wollte ich nach Hause gehen, mir einen Kaffee machen und ein Stück Kuchen genehmigen, mich oben in meinem Zimmer aufs Bett setzen und mir die neueste Folge von Universe City anhören. Universe City war eine Podcast-Show auf YouTube über einen Studierenden, der einen Anzug trug und als Detektiv einen Ausweg aus einer monsterverseuchten Sci-Fi-Universität suchte. Wer den Podcast produzierte, wusste niemand, aber die Stimme des Sprechers machte mich süchtig nach der Show – sie war so sanft, dass man einschlafen wollte. Auf eine minimal schräge Weise fühlte man sich dabei, als würde einem jemand übers Haar streichen.

Genau das würde ich tun, wenn ich nach Hause kam.

»Bist du sicher, dass du zurechtkommst?«, fragte Mum und blickte auf mich hinunter, wie sie es oft tat, bevor ich öffentlich auftrat – häufig also.

»Ich komme zurecht.«

Sie strich meinen Blazerkragen glatt und tippte mit dem Finger auf das silberne Abzeichen, das mich als Schülersprecherin auswies.

»Warum wolltest du noch mal Schülersprecherin werden?«, fragte sie.

Und ich antwortete: »Weil ich großartig darin bin«, dachte aber gleichzeitig: Weil es bei den Unis gut ankommt.

STERBEN, ABER AUF EINE GUTE ART

Nachdem ich meinen Teil gesagt hatte, ging ich von der Bühne und checkte mein Handy, weil ich das den ganzen Nachmittag über nicht getan hatte. Und da sah ich es. Ich sah die Twitternachricht, die mein Leben verändern würde, vermutlich für immer.

Keuchend sank ich auf einen Plastikstuhl und packte Schülersprecher Daniel Jun so fest am Arm, dass er zischte: »Aua! Was?«

»Mir ist gerade etwas Weltbewegendes auf Twitter passiert.«

Daniel, der bis zu dem Wort »Twitter« vage interessiert schien, runzelte die Stirn und riss sich von mir los. Dann rümpfte er die Nase und wandte den Blick ab, als hätte ich etwas unerhört Peinliches getan.

Über Daniel Jun muss man vor allem wissen, dass er wahrscheinlich Selbstmord begehen würde, wenn ihm das bessere Noten einbrächte. Für die meisten Leute wirkten wir wie ein und dieselbe Person – intelligent und auf dem Weg nach Cambridge. Sie sahen in uns nur zwei glänzende Götter der akademischen Welt, die hoch über der Schule schwebten.

Der Unterschied zwischen uns bestand darin, dass ich unsere »Konkurrenz« total witzig fand, während Daniel sich benahm, als kämpften wir mit aller Macht darum, wer der größere Nerd war.

Egal.

Genau genommen waren sogar zwei weltbewegende Dinge geschehen. Das war das erste:

@UniverseCity folgt dir jetzt

Das zweite war eine Direktnachricht an Toulouse, meinen Online-Benutzernamen:

Direktnachrichten > von Radio

◄hi Toulouse! klingt vielleicht schräg, aber ich habe die Universe-City-Fanart gesehen, die du gepostet hast und finde sie so toll

◄dass ich fragen wollte, ob du vielleicht bei der Show mitmachen und Visuals für neue Folgen von Universe City erstellen willst?

◄ich suche schon länger jemanden mit dem richtigen Stil für die Show und deine Sachen finde ich mega.

◄da Universe City kein Geld einbringt, kann ich dir nichts zahlen und wenn du deshalb nein sagst, verstehe ich das natürlich. andererseits habe ich den Eindruck, dass du echt

◄angefixt bist von der Show und denke, dass du vielleicht doch interessiert bist. selbstverständlich würde das alles unter deinem Namen laufen. ich würde dir wirklich gern Geld geben, aber ich hab keins

◄(ich studiere). yeah. sag bescheid ob du bock hast. wenn nicht stehe ich immer noch auf deine zeichnungen. ich meine so richtig. Ok.

◄Radio X

»Na los«, sagte Daniel und verdrehte die Augen. »Was ist passiert?«

»Etwas Unglaubliches«, flüsterte ich.

»Ja, das habe ich kapiert.«

Mit einem Mal begriff ich, dass ich das niemandem erzählen konnte. Vermutlich hatten die anderen noch nie von Universe City gehört, außerdem war Fanart ein schräges Hobby und sie könnten auf die Idee kommen, ich würde heimlich Pornos zeichnen, und dann würden alle meinen Blog auf Tumblr finden und meine superpersönlichen Posts lesen und alles würde furchtbar enden. Streberin und Schülersprecherin Frances Janvier entlarvt als Fandom Freak.

Ich räusperte mich. »Ähm … das interessiert dich bestimmt nicht. Alles gut.«

»Na dann.« Daniel schüttelte den Kopf und wandte sich endgültig ab.

Universe City. Hatte mich erwählt. Als Künstlerin für die Show.

Ich dachte, ich sterbe, aber auf eine gute Art.

»Frances?«, fragte jemand sehr leise. »Geht’s dir nicht gut?«

Als ich den Blick hob, schaute ich Aled Last, Daniels bestem Freund, direkt ins Gesicht.

Aled Last sah immer ein bisschen aus wie ein Kind, das im Supermarkt seine Mutter verloren hatte. Wahrscheinlich hatte es etwas damit zu tun, dass er so jung aussah, weil seine Augen so groß und rund waren und seine Haare babyweich. Er schien sich in seiner Kleidung niemals wohlzufühlen.

Aled ging nicht auf unsere Schule, sondern auf ein Jungengymnasium am anderen Ende der Stadt, und obwohl er nur drei Monate älter war als ich, war er eine Stufe über mir. Die meisten Leute kannten ihn über Daniel. Ich dagegen kannte ihn, weil er gegenüber wohnte und weil ich früher mit seiner Zwillingsschwester befreundet gewesen war. Wir fuhren mit demselben Zug zur Schule, allerdings in verschiedenen Wagen und ohne ein Wort miteinander zu reden.

Nun stand Aled Last neben Daniel und blickte auf mich hinab, während ich nach wie vor auf dem Stuhl hyperventilierte. Er wich ein Stück zurück und schob nach: »Äh, sorry, ich dachte, dir würde gleich schlecht werden.«

Ich gab mir große Mühe, einen Satz herauszubringen, ohne hysterisch zu lachen.

»Alles in Ordnung«, sagte ich, musste dabei jedoch grinsen und sah deshalb wahrscheinlich aus, als wollte ich jemanden ermorden. »Was machst du hier? Daniel unterstützen?«

Gerüchten zufolge waren Aled und Daniel schon ihr Leben lang unzertrennlich, und das, obwohl Daniel ein hochnäsiges, selbstherrliches Arschloch war und Aled vielleicht fünfzig Worte am Tag sagte.

»Äh, nein«, antwortete er wie gewohnt so leise, dass man ihn kaum verstehen konnte. Er wirkte total gestresst. »Dr.Afolayan will, dass ich eine Rede halte. Über die Uni.«

Ich sah ihn verblüfft an. »Du gehst doch nicht einmal auf unsere Schule.«

»Stimmt.«

»Was soll das dann?«

»Es war MrShannons Idee.« MrShannon war Aleds Schulleiter. »Irgendwie geht’s um gute Verbindungen zwischen den beiden Schulen. Eigentlich sollte das ein Freund von mir übernehmen … er war letztes Jahr Schülersprecher … aber er hat so viel um die Ohren … da hat er mich gefragt … tja.«

Aleds Stimme wurde immer leiser, als würde er nicht daran glauben, dass ich wirklich zuhörte, obwohl ich ihn unverwandt ansah.

»Und du hast dich breitschlagen lassen?«, fragte ich.

»Ja.«

»Wieso?«

Aled lachte nur. Er zitterte sichtlich.

»Weil er ein Idiot ist«, sagte Daniel und verschränkte die Arme.

»Genau«, murmelte Aled, immer noch lächelnd.

»Du musst das nicht tun«, sagte ich. »Ich kann behaupten, du wärst krank geworden und das war’s.«

»Irgendwie muss ich es machen«, sagte er.

»Man muss überhaupt nichts, wenn man nicht will«, sagte ich. Doch ich wusste, dass es nicht stimmte, und Aled wusste es auch, denn er lachte nur und schüttelte den Kopf.

Mehr gab es dazu nicht zu sagen.

Afolayan war auf die Bühne zurückgekehrt. »Und jetzt möchte ich Ihnen Aled Last vorstellen, der zu den wundervollen Schülern der Stufe 13 am Jungengymnasium gehört und im September auf eine der renommiertesten britischen Universitäten wechseln wird. Vorausgesetzt, die Prüfungsergebnisse stimmen!«

Darüber mussten die Eltern lachen. Daniel, Aled und ich lachten nicht mit.

Afolayan und die Zuschauer klatschten, als Aled auf die Bühne kam und ans Mikrofon trat. Obwohl ich es selbst schon tausend Mal getan hatte, machte mein Magen vorher noch immer einen kleinen Salto. Aber Aled dabei zuzusehen, war irgendwie unendlich viel schlimmer.

Vorher hatte ich mich noch nie richtig mit ihm unterhalten. Ich wusste so gut wie nichts über ihn.

»Äh, hi, yeah«, sagte er und hörte sich an, als hätte er bis zu diesem Moment geweint.

»Mir war nicht klar, dass er derart schüchtern ist«, flüsterte ich Daniel zu, der jedoch nichts erwiderte.

»Also, im letzten Jahr hatte ich ein Bewerbungsgespräch …«

Während Daniel und ich zuschauten, wie er sich mehr schlecht als recht mit seiner Rede abmühte, schüttelte Daniel, der genau wie ich ein erprobter Redner war, hin und wieder den Kopf. Einmal sagte er: »Er hätte sich verdammt noch mal weigern sollen.« Da ich nicht wirklich gern dabei zusah, lehnte ich mich während der zweiten Hälfte zurück und las die Twitternachrichten noch weitere fünfzig Mal. Ich versuchte, abzuschalten und mich auf Universe City und die Nachrichten zu konzentrieren. Radio fand meine Kunst gut. Dumme kleine Zeichnungen der Figuren, seltsame Strichzeichnungen, Kritzeleien, die ich um drei Uhr morgens in meinen billigen Skizzenblock gezeichnet hatte, als ich eigentlich meinen Essay für Geschichte hätte schreiben sollen. So etwas wie jetzt war mir im ganzen Leben noch nicht passiert.

Nachdem Aled die Bühne verlassen hatte und zu uns zurückgekehrt war, sagte ich: »Bravo, das war echt gut!«, obwohl wir beide wussten, dass ich schon wieder log.

Als sich unsere Blicke trafen, fielen mir seine dunkelblauen Augenringe auf. Vielleicht war er wie ich eine Nachteule.

»Danke«, sagte er und ging. Und ich dachte, dass ich ihn wahrscheinlich nie wiedersehen würde.

TU, WAS DU WILLST

Mum konnte gerade noch »nette Rede«, sagen, als wir uns an ihrem Auto trafen, und schon erzählte ich ihr alles über die Sache mit Universe City.

Ich hatte schon einmal versucht, ihr die Show ans Herz zu legen, indem ich sie auf dem Weg in einen Urlaub in Cornwall gezwungen hatte, sich die ersten fünf Folgen anzuhören. Aber sie hatte nur gesagt: »Ich kapier’s einfach nicht. Soll das jetzt lustig oder gruselig sein? Und ist Radio Silence ein Mädchen oder ein Junge oder keins von beiden? Wieso geht er oder sie nie zu den Vorlesungen?«

Es war nicht weiter schlimm, schließlich schaute sie noch Glee mit mir.

»Bist du sicher, dass sich da nicht jemand über dich lustig macht?«, fragte Mum stirnrunzelnd, als wir losfuhren. Ich zog die Füße auf den Sitz. »Es hört sich ein bisschen so an, als wollte man deine Sachen klauen, wenn es nicht einmal Geld dafür gibt.«

»Es war der verifizierte Twitter-Account«, entgegnete ich, doch das beruhigte Mum nicht so wie mich. »Radio fand meine Kunst so toll, dass ich mit ins Team soll!«

Mum schwieg und zog die Augenbrauen hoch.

»Bitte freu dich mit mir«, sagte ich und sah sie an.

»Ja, das ist großartig! Super! Ich will nur nicht, dass dir jemand deine Zeichnungen wegnimmt. Sie bedeuten dir so viel.«

»Das ist es nicht! Mein Name wird überall genannt werden.«

»Hast du einen Vertrag abgeschlossen?«

»Mum!«, stöhnte ich entnervt. Es hatte keinen Zweck, es ihr zu erklären. »Ist auch egal, ich muss sowieso absagen.«

»Moment, was? Warum?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Weil ich für so etwas keine Zeit habe. Wenn ich in ein paar Monaten in der 13 bin, muss ich immer lernen und zusätzlich das Bewerbungsgespräch in Cambridge vorbereiten … ausgeschlossen, dass ich für alle wöchentlichen Folgen etwas zeichne.«

Mum zog die Stirn kraus. »Das verstehe ich nicht. Ich dachte, du freust dich total.«

»Das stimmt, diese Nachricht ist unglaublich, und dass meine Zeichnungen so gut ankommen, ist der Wahnsinn, aber ich muss realistisch bleiben …«

»Dir ist schon klar, dass Gelegenheiten wie diese sich nicht jeden Tag ergeben«, sagte Mum. »Ich sehe doch, dass du es unbedingt machen willst.«

»Na ja, ja, aber ich habe immer so viele Hausaufgaben auf und es wird noch mehr Stoff dazukommen und ich muss alles Mögliche wiederholen …«

»Ich finde, du solltest da mitmachen.« Mum blickte geradeaus und ließ das Lenkrad kreisen. »Meiner Meinung nach arbeitest du ohnehin zu viel für die Schule. Pack die Gelegenheit doch ausnahmsweise beim Schopf und tu, was du willst.«

Und was ich tun wollte, war das hier:

Direktnachrichten > mit Radio

◄Hey! Wow … danke! Ich fasse es nicht, dass du meine Zeichnungen magst. Und es wäre mir eine große Ehre, mitzumachen!

◄Hier ist meine E-Mail-Adresse, falls wir uns darüber besser verständigen können: [email protected]. Ich will unbedingt mehr darüber wissen, wie du dir das Design vorstellst!

◄Universe City ist echt meine allerliebste Lieblingsserie. So super, dass du auf mich zugekommen bist!!

◄Hoffentlich höre ich mich nicht zu sehr wie ein durchgeknallter Fan an haha! xx

ICH WOLLTE IMMER SCHON EIN HOBBY HABEN

Ich musste lernen, als ich nach Hause kam. Eigentlich musste ich fast immer lernen, und hätte es auch diesmal beinahe getan, denn wenn ich es nicht machte, fühlte es sich wie Zeitverschwendung an. Das klingt trostlos, ich weiß, und ich wollte auch immer ein Hobby haben, etwas wie Football oder Klavierspielen oder Eislaufen, doch ich war nur in einem gut: im Bestehen von Prüfungen. Was okay war. Ich war nicht undankbar und andersherum wäre es schlimmer gewesen.

An dem Tag, an dem ich vom Erfinder von Universe City eine Twitternachricht bekam, tat ich zu Hause absolut gar nichts für die Schule.

Ich ließ mich aufs Bett fallen, schaltete meinen Laptop an und ging direkt auf meinen Tumblr-Blog, in dem ich all meine Zeichnungen postete. Ich scrollte nach unten. Was hatte der Creator darin nur gesehen? Meine Sachen waren der letzte Mist, Kritzeleien, um abzuschalten und einschlafen zu können und um wenigstens für fünf Minuten die Aufsätze für Geschichte, die Kursarbeit für Kunst und die Reden als Schülersprecherin zu vergessen.

Dann sah ich bei Twitter und in meinen E-Mails nach, ob der Creator schon geantwortet hatte – vergeblich.

Ich liebte Universe City.

Vielleicht war das ja mein Hobby, Zeichnen für Universe City.

Obwohl es sich nicht wie ein Hobby anfühlte. Eher wie ein schmutziges Geheimnis.

Außerdem war das mit dem Zeichnen sowieso sinnlos, schließlich konnte ich die Bilder nicht verkaufen oder auch nur meinen Freundinnen zeigen. Nach Cambridge würden sie mich mit Sicherheit nicht bringen.

Ich scrollte weiter, Monate zurück, bis ins letzte Jahr und das davor, ich scrollte durch die Zeit. Alles hatte ich gezeichnet, einfach alles, die Figuren, den Sprecher Radio Silence und Radios verschiedene Sidekicks. Ich hatte das Setting gezeichnet, die finstere und staubige Sci-Fi-Universität, Universe City. Auch die Bösen mit ihren Waffen und die Monster, Radios Lunar Bike und Radios Anzüge. Ich hatte das Dunkelblaue Gebäude gezeichnet und die Verlassene Straße, sogar February Friday. Ich hatte echt alles gezeichnet.

Warum tat ich das?

Wieso war ich so?

Ehrlich gesagt, war es das Einzige, was mir Spaß machte. Das Einzige, was ich, außer den guten Noten, gut konnte.

Nein – Moment, das wäre wirklich zu traurig. Und eigenartig.

Es half mir lediglich, einzuschlafen.

Vielleicht.

Keine Ahnung.

Ich klappte den Laptop zu und ging nach unten, um mir etwas zu essen zu holen und nicht länger darüber nachzudenken.

EINE NORMALE JUNGE FRAU

»Also dann«, sagte ich, als wir einige Tage später um neun Uhr abends bei Wetherspoon’s vorfuhren. »Ich melde mich ab, um mich volllaufen zu lassen, Drogen zu nehmen und jede Menge Sex zu haben.«

»Oh«, sagte Mum mit ihrem typischen verhaltenen Lächeln. »Okay, alles klar. Meine Tochter ist ganz schön wild geworden.«

»Wenn du es genau wissen willst, ist das zu hundert Prozent meine echte Persönlichkeit.« Ich öffnete die Wagentür, sprang auf den Bürgersteig und rief: »Mach dir keine Sorgen, dass ich sterben könnte!«

»Und du verpass nicht den letzten Zug!«

Es war der letzte Schultag vor den Studientagen zu Hause und ich wollte mit meinen Freundinnen im Johnny Richard’s feiern, einem Club in der Stadt. Da ich noch nie einen Club von innen gesehen hatte, war ich im wahrsten Sinne des Wortes verängstigt, doch andererseits hatte ich mit dieser Freundinnengruppe letztens so wenig Zeit verbracht, dass sie mich vielleicht nicht mehr als »richtige Freundin« betrachten würden, wenn ich auch diesmal nicht mitkam. Dann wäre das alltägliche Miteinander allmählich peinlich geworden. Ich hatte keine Vorstellung von dem, was mich erwarten würde, außer betrunkenen Jungs in pastellfarbenen Hemden, oder dass Maya und Raine mich überreden wollten, auf peinliche Art und Weise zu Skrillex zu tanzen.

Mum fuhr weg.

Ich ging über die Straße und spähte durch die Tür ins Spoons, wo meine Freundinnen trinkend und lachend in der hintersten Ecke saßen. Sie waren alle total nett, aber sie machten mich nervös. Nicht, dass sie gemein zu mir gewesen wären, aber sie hatten ein klares Bild von mir – Frances aus der Schule, Schülersprecherin, langweilige Streberin, Lernmaschine. Womit sie gar nicht so unrecht hatten.

Ich ging zur Bar und bestellte mir einen doppelten Wodka und eine Limo. Obwohl ich für den Notfall einen gefälschten dabeihatte, wollte der Barkeeper meinen Ausweis nicht sehen – erstaunlich, weil ich meistens für eine Dreizehnjährige gehalten wurde.

Dann kämpfte ich mich durch die dicht gedrängte Menge aus Typen und anderen Leuten mit ihren Feierabenddrinks – die mich noch nervöser machten – zu meinen Freundinnen durch.

Ernsthaft, ich sollte langsam aufhören, mich davor zu fürchten, eine normale junge Frau zu sein.

»Was? Blowjobs?« Lorraine Sengupta, die alle nur Raine nannten, saß neben mir. »Kannst du vergessen. Jungs sind schwach. Danach wollen sie einen nicht mal mehr küssen.«

Maya, die Lauteste in der Gruppe und infolgedessen die Anführerin, lehnte mit beiden Ellbogen auf dem Tisch. Vor ihr standen drei leere Gläser. »Ach komm, die können doch nicht alle gleich sein.«

»Aber genug von ihnen, deshalb gehen sie mir buchstäblich am Arsch vorbei. Lohnt sich einfach nicht, fyi.«

Raine sagte tatsächlich die Buchstaben »fyi«. Das meinte sie anscheinend nicht ironisch und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.

Die Unterhaltung hatte mit meinem Leben so was von gar nichts zu tun, dass ich in den nächsten zehn Minuten so tat, als würde ich texten.

Radio hatte weder auf meine Twitternachricht reagiert noch gemailt. Seit vier Tagen.

»Nö, ich glaube nicht an Paare, die eng umschlungen einschlafen«, sagte Raine. Mittlerweile sprachen sie über etwas anderes. »Das halte ich für ein Gerücht der Massenmedien.«

»Oh, hey, Daniel!«

Mayas Stimme riss mich von meinem Handy los. Daniel Jun und Aled Last gingen an unserem Tisch vorbei. Daniel trug ein schlichtes graues T-Shirt und Jeans. In dem einen Jahr, seit ich ihn kannte, hatte er noch nie irgendetwas Gemustertes getragen. Aleds Kleidung sah ähnlich aus – als hätte Daniel sie ausgesucht.

Daniel schaute zu uns und fing kurz meinen Blick auf, bevor er Maya antwortete: »Hi, was geht?«

Sie unterhielten sich, während Aled stumm hinter Daniel stehen blieb, leicht gebückt, als wollte er sich am liebsten unsichtbar machen. Ich fing auch seinen Blick auf, doch er schaute schnell weg.

Raine beugte sich im Laufe des Gesprächs zu mir. »Wer ist dieser weiße Junge?«, murmelte sie.

»Aled Last? Er geht aufs Jungengymnasium.«

»Ach, dann ist er Carys Lasts Zwillingsbruder?«

»Ja.«

»Warst du nicht früher mit ihr befreundet?«

»Äh …«

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte.

»Schon irgendwie«, erwiderte ich. »Wir haben im Zug gequatscht. Hin und wieder.«

Vermutlich redete ich von allen in der Gruppe am meisten mit Raine. Sie zog mich nicht wie alle anderen ständig damit auf, was für eine elende Streberin ich war. Wenn ich mich mehr wie ich selbst verhalten hätte, wären wir vielleicht richtig gut befreundet gewesen, denn wir hatten den gleichen Humor. Da sie nicht Schülersprecherin war, durfte sie so cool und merkwürdig drauf sein, wie sie wollte. Außerdem hatte sie die rechte Kopfseite rasiert, sodass niemand sonderlich überrascht war, wenn sie etwas Ungewöhnliches tat.

Raine nickte. »Alles klar.«

Aled trank einen Schluck aus dem Glas, das er in der Hand hielt, und ließ den Blick ausdruckslos durch den Raum schweifen. Anscheinend fühlte er sich sehr unwohl.

»Frances, bist du bereit für Johnny R?« Eine meiner Freundinnen beugte sich über den Tisch und sah mich mit einem Haifischgrinsen an.

Wie gesagt, meine Freundinnen waren nicht gemein zu mir, aber sie behandelten mich, als hätte ich so gut wie keine Erfahrung und wäre grundsätzlich nur vom Lernen besessen.

Das stimmte auch und war insofern berechtigt.

»Äh, ja, bestimmt«, sagte ich.

Zwei Typen kamen auf Aled zu und unterhielten sich mit ihm. Sie waren groß und strahlten eine gewisse Aura der Macht aus, was wohl daran lag, dass der Junge rechts von Aled – mit olivfarbener Haut und einem karierten Hemd – fast das ganze letzte Schuljahr Schülersprecher am Jungengymnasium gewesen war, und der andere auf der linken Seite – eher gedrungen und mit Undercut – ebendort früher Kapitän der Rugbymannschaft war. Als ich in der Zwölf an einem Tag der offenen Tür an ihrer Schule teilgenommen hatte, hatten sie beide etwas vorgetragen.

Aled lächelte sie an und ich konnte nur hoffen, dass er außer Daniel noch andere Freunde hatte. Ich versuchte, hier und da einen Gesprächsfetzen aufzuschnappen. »Ja, Dan hat mich diesmal doch überredet!«, sagte Aled und der Schülersprecher meinte: »Wenn du keine Lust auf Johnny’s hast, musst du nicht. Wir gehen wahrscheinlich schon eher nach Hause.« Bei diesen Worten sah er den Rugbykapitän an, der zustimmend nickte und sagte: »Ja, sag Bescheid, wenn wir dich mitnehmen sollen, Mann! Ich bin mit dem Auto da.« Ehrlich gesagt, wünschte ich, das könnte ich auch machen, einfach nach Hause gehen, wann ich wollte, doch das ging nicht, weil ich zu viel Schiss hatte, das zu tun, was ich wollte.

»Es ist ganz schön schmierig«, sagte eine andere Freundin und zog meine Aufmerksamkeit auf sich.

»Ich habe ein schlechtes Gewissen!«, sagte wieder eine andere. »Frances ist so unschuldig! Es fühlt sich an, als würden wir dich beschmutzen, wenn wir dich in die Clubs zerren und dich zwingen, etwas zu trinken.«

»Aber sie hat einen freien Abend verdient!«

»Ich will die betrunkene Frances sehen.«

»Meinst du, du wirst dann weinerlich?«

»Nein, ich glaube, betrunken wird sie lustig. Sicherlich hat sie eine geheime Seite, die wir gar nicht an ihr kennen.«

Was sollte ich dazu sagen?

Raine stupste mich an. »Keine Sorge. Wenn dich irgendein Widerling anmacht, kippe ich ihm aus Versehen meinen Drink aufs Hemd.«

Jemand lachte. »Das macht sie wirklich, es wäre nicht das erste Mal.«

Ich lachte mit und wünschte, ich hätte den Mut, etwas Lustiges zu sagen, aber das ging nicht, weil ich in Gegenwart meiner Freundinnen nicht lustig war. Sondern langweilig.

Nachdem ich meinen Drink ausgetrunken hatte, schaute ich mich um und fragte mich, wo Daniel und Aled hingegangen waren.

Mir war ein wenig komisch zumute, weil Raine über Carys gesprochen hatte und ich mich immer komisch fühlte, wenn jemand Carys erwähnte, weil ich ungern an sie dachte.

Carys Last lief von zu Hause weg, als sie in der Elf und ich in der Zehn war. Niemand wusste warum und niemand interessierte sich sonderlich dafür, da sie nur wenige Freunde hatte. Genau genommen gar keine. Außer mir.

VERSCHIEDENE WAGEN

Ich lernte Carys Last im Zug auf dem Weg zur Schule kennen, als wir fünfzehn waren.

Es war 7.14Uhr und ich saß auf ihrem Platz.

Sie blickte auf mich herab wie eine Bibliothekarin von einem hoch gelegenen Tresen. Ihr Haar war platinblond mit einem derart dichten, langen Pony, dass ihre Augen verborgen blieben. In der Sonne wirkte ihr Umriss wie eine himmlische Erscheinung.

»Oh«, sagte sie. »Hallo, mein kleiner Zugkumpel, du sitzt auf meinem Platz.«

Es hört sich gemein an, aber so war es nicht gemeint.

Es war merkwürdig, weil wir uns schon tausendmal gesehen hatten. Jeden Morgen saßen wir am Dorfbahnhof, Aled nicht zu vergessen, und waren abends die Letzten, die ausstiegen. So lief das, seit ich aufs Gymnasium gekommen war, doch wir hatten noch nie ein Wort miteinander gesprochen. So sind die Menschen wohl.

Ihre Stimme klang ganz anders als in meiner Vorstellung. Sie hatte diesen überheblichen Londoner Akzent, der jedoch eher charmant als nervig war. Außerdem sprach sie langsam und leise, als wäre sie ein wenig high. Es ist vielleicht auch nicht ganz unwichtig zu erwähnen, dass ich zu diesem Zeitpunkt deutlich kleiner war als sie. Sie sah aus wie eine majestätische Elfe, ich wie ein Kobold.

Plötzlich kapierte ich, dass sie recht hatte und ich tatsächlich auf ihrem Platz saß. Keine Ahnung, warum. Normalerweise fuhr ich in einem ganz anderen Wagen mit.

»Oh Gott, tut mir leid, ich setz mich gleich …«

»Was? Oh nein, ich meinte nicht, dass du dich woanders hinsetzen sollst, wow, sorry. Das muss sich ja wirklich schrecklich angehört haben.« Sie nahm den Platz gegenüber.

Carys Last lächelte nicht und verspürte offenbar auch nicht das Bedürfnis, so wie ich, peinlich berührt zu lächeln. Das beeindruckte mich sehr.

Aled war nicht bei ihr, was mir damals nicht seltsam vorkam. Nach diesem Vorfall bemerkte ich, dass sie in verschiedenen Wagen zur Schule fuhren, aber auch das fand ich nicht weiter auffällig. Ich kannte ihn nicht, also interessierte es mich nicht.

»Sitzt du nicht normalerweise im hintersten Wagen?«, fragte sie mich, als wäre sie ein Geschäftsmann mittleren Alters.

»Ähm, ja.«

Sie zog die Augenbrauen hoch.

»Und du wohnst im Dorf, oder?«, fragte sie weiter.

»Ja.«

»Gegenüber von uns?«

»Ich glaub schon.«

Carys nickte nur. Es war sonderbar, wie sie im Laufe unseres Gesprächs kein bisschen das Gesicht verzog, während alle, die ich kannte, einen permanent anlächelten. Ihre Haltung ließ sie deutlich älter und gleichzeitig bewundernswert elegant erscheinen.

Als sie die Hände auf den Tisch legte, sah ich, dass sie überall winzige Brandnarben hatte.

»Ich mag deinen Pulli«, sagte sie.

Mein Pulli, den ich unter dem Schulblazer trug, war mit einem Computer bedruckt, der ein trauriges Gesicht machte.

Ich schaute an mir herunter, weil ich vergessen hatte, was ich angezogen hatte. Es war Anfang Januar und eiskalt, deshalb trug ich einen zweiten Pulli über meinem Schulpullover. Dieser hier zählte zu den vielen Teilen in meinem Kleiderschrank, die ich gekauft, aber nie in Gegenwart meiner Freundinnen getragen hatte, weil ich fürchtete, ausgelacht zu werden. Meine persönlichen Modevorlieben ließ ich zu Hause.

»E-echt?«, stammelte ich und befürchtete, ich hätte mich verhört.

Carys kicherte. »Ja?«

»Danke«, sagte ich mit einem leichten Kopfschütteln, schaute auf meine Hände und schließlich aus dem Fenster. Mit einem Ruck fuhr der Zug an und verließ den Bahnhof.

»Also, warum sitzt du heute in diesem Wagen?«, fragte Carys.

Ich sah sie erneut an, diesmal richtig. Zuvor war sie einfach ein Mädchen mit blond gefärbtem Haar gewesen, das jeden Morgen am anderen Ende unseres Dorfbahnhofs gesessen hatte. Doch jetzt sprachen wir miteinander und sie saß mir gegenüber – sie hatte Make-up aufgetragen, obwohl sie noch nicht in der Oberstufe war und damit gegen die Schulregeln verstieß. Sie war groß und sanft und irgendwie stark und wie konnte sie so nett sein, ohne zu lächeln? Man hätte meinen können, dass sie im Notfall jemanden umbringen könnte; sie sah so aus, als wüsste sie immer genau, was sie tat. Aus unerfindlichen Gründen wusste ich bereits, dass dies nicht unsere letzte Unterhaltung sein würde. Gott, ich hatte ja keine Ahnung, was noch alles geschehen würde.

»Weiß ich auch nicht«, antwortete ich.

JEMAND HÖRT ZU

Eine weitere Stunde verging, bevor es akzeptabel schien, ins Johnny R zu gehen, während ich mich zur Ruhe zwang und dem Impuls widerstand, meine Mum über Facebook zu bitten, mich abzuholen. Das wäre echt öde gewesen. Ich wusste, wie öde ich war, aber das sollte sonst niemand erfahren.

Als wir aufstanden, um ins Johnny R zu gehen, war mir ein bisschen schwindelig, und meine Beine fühlten sich an, als wären sie aus Wackelpudding, aber ich hörte dennoch, wie Raine sagte: »Das ist hübsch.« Sie zeigte auf mein Top, ein simples Chiffonshirt, das ich gewählt hatte, weil es aussah wie etwas, das Maya tragen würde.

Aled hatte ich mittlerweile fast vollkommen vergessen, doch als wir auf der Straße waren, klingelte mein Handy. Ich holte es heraus und schaute aufs Display. Daniel Jun rief mich an.

Daniel Jun hatte meine Nummer nur, weil wir als Schülersprecher zahlreiche Schulveranstaltungen managten. Er hatte mich noch nie angerufen und mir höchstens vier, fünf Nachrichten geschickt, in denen es um banale Angelegenheiten in der Schule ging wie zum Beispiel »Wer baut den Kuchenstand auf, du oder ich?« oder »Du sammelst an der Tür die Tickets ein und ich bringe die Leute vom Schultor ins Gebäude«. Wenn man noch dazu bedachte, dass Daniel mich nicht leiden konnte, hatte ich keinen Schimmer, wieso er mich anrufen sollte.

Doch ich war betrunken. Deshalb ging ich ran.

Frances: Hallo?

Daniel: (gedämpfte Stimmen und lauter Dubstep)

F: Hallo? Daniel?

D: Hallo? (Gelächter) Klappe! Sei still! – hallo?

F: Daniel? Wieso rufst du mich an?

D: (Gelächter) (noch mehr Dubstep)

F: Daniel?

D: (legt auf)

Ich blickte auf mein Handy.

»Okay«, sagte ich laut, aber keiner hörte mich.

Als eine Gruppe junger Männer sich an mir vorbeidrängelte, kam ich vom Bürgersteig ab und lief auf der Straße weiter. Ich wollte nicht hier sein. Ich musste lernen, Essayfragen überarbeiten, Mathenotizen aufschreiben, meine Nachricht von Radio wieder und wieder lesen und ein paar Ideen für die Videos aufs Papier bringen – ein Berg von Arbeit wartete auf mich und es war, ehrlich gesagt, eine einzige Zeitverschwendung, dass ich hier war.

Mein Handy klingelte schon wieder.

F: Daniel, ich schwöre –

Aled: Frances? Bist du das, Frances?

F: Aled?

A: Franceeeees! (Dubstep)

Ich kannte Aled eigentlich gar nicht. Bis zu dieser Woche hatte ich kaum mit ihm geredet.

Wieso …

Was?

F: Äh, wieso hast du mich angerufen?

A: Oh … Dan wollte dir einen Telefonstreich spielen, glaube ich … keine Ahnung, ob es funktioniert hat …

F: … Okay.

A: …

F: Wo bist du? Ist Daniel bei dir?

A: Oh, wir sind im Johnny’s … voll komisch, weil ich nicht mal weiß, wer Johnny ist … Dan ist … (Gelächter, gedämpfte Stimmen)

F: … alles okay bei dir?

A: Bestens … tut mir leid … Daniel hat dich noch mal angerufen und mir das Handy in die Hand gedrückt … ich weiß echt nicht so ganz, was hier läuft. Oder warum ich mit dir rede! Haha …

Ich ging ein bisschen schneller, um meine Freundinnen nicht vollends aus den Augen zu verlieren.

F: Aled, wenn Daniel bei dir ist, dann lege ich jetzt auf …

A: Ja, sorry … äh … yeah.

Er tat mir echt leid und ich verstand nicht, warum er mit Daniel befreundet war. Schubste Daniel ihn wirklich so herum, wie er es mit vielen Leuten machte?

F: Geht schon.

A: Mir gefällt’s hier nicht so richtig.

Ich runzelte die Stirn.

A: Frances?

F: Ja?

A: Mir gefällt’s hier nicht so richtig.

F: … Wo?

A: Findest du es gut hier?

F: Wo denn?

Einen Augenblick blieb es still – na ja, bis auf die blecherne Tanzmusik und die Stimmen und das Gelächter.

F: Aled, bitte sag mir, ob Daniel bei dir ist, damit ich weiter mit den anderen den Abend verbringen kann, ohne mir Sorgen um dich zu machen.

A: Keine Ahnung, wo Daniel ist …

F: Soll ich kommen und dich nach Hause bringen oder so?

A: Hey … weißt du was … du hörst dich an wie im Radio …

Meine Gedanken schweiften sofort zu Universe City und Radio Silence.

F: Gott, du bist total betrunken.

A: (lacht) Hallo. Hoffentlich hört mir jemand zu …

Er legte auf. Seine letzten Worte zogen mir den Boden unter den Füßen weg.

»Hallo. Hoffentlich hört mir jemand zu«, sagte ich leise.

Diesen Worten hatte ich in den vergangenen zwei Jahren immer wieder gelauscht, hatte sie in Sprechblasen und an die Wand über meinem Bett gezeichnet. Die Worte hatte ich eine Männer- und eine Frauenstimme sagen hören, alle paar Wochen abwechselnd, aber immer mit diesem klassischen, blechernen Ton wie aus einem Funkgerät im Zweiten Weltkrieg.

Jede Folge von Universe City wurde mit diesen Worten eröffnet:

»Hallo. Hoffentlich hört mir jemand zu.«

GESCHAFFT

Der Türsteher hinterfragte den Führerschein nicht, den ich ihm vorlegte und der Raines großer Schwester Rita gehörte – und das, obwohl Rita Inderin war und kurze glatte Haare hatte. Ich hätte nicht gedacht, dass jemand ein indisches Mädchen mit einem britisch-äthiopischen Mädchen verwechseln könnte, aber ja.

Bei Johnny’s zahlte man vor dreiundzwanzig Uhr keinen Eintritt. Eine gute Nachricht für mich, weil ich es hasste, Geld für etwas auszugeben, das ich eigentlich gar nicht tun wollte.

Ich folgte meinen Freundinnen in den Club.

Es war genau wie erwartet.

Betrunkene. Grelle Lichter. Laute Musik. Klischees.

»Kommst du mit, noch was trinken?«, schrie Raine mir aus einer Entfernung von fünfzehn Zentimetern zu.

Ich schüttelte den Kopf. »Mir ist ein bisschen schlecht.«

Als Maya das hörte, lachte sie. »Ach, Frances! Du bist so süß! Komm schon, noch einen kleinen Shot!«

»Ich glaub, ich geh mal eben zur Toilette.«

Doch Maya redete schon mit jemand anderem.

»Soll ich mitkommen?«, fragte Raine.

»Nein, nein, geht schon.«

»Okay.« Raine legte mir die Hand auf den Arm und zeigte vage aufs andere Ende des Raums. »Das Klo ist dahinten! Danach treffen wir uns an der Bar, ja?«

Ich nickte.

Ich hatte absolut nicht vor, zur Toilette zu gehen.

Raine winkte mir zu und ging.

Ich wollte Aled Last finden.

Sobald meine Freundinnen an der Bar waren und nicht mehr auf mich achteten, ging ich nach oben. Auf dieser Etage spielten sie Indierock und außerdem war es sehr viel leiser, was mich beruhigte, denn Dubstep löste allmählich eine Art Panik in mir aus, als wäre es die Titelmelodie eines Actionfilms und ich hätte zehn Sekunden, bevor irgendetwas explodierte.

Und dann stand ich quasi direkt vor Aled Last.

Ich wollte ihn eigentlich erst gar nicht suchen, doch seit er Universe City zitiert hatte … das konnte ja kein Zufall sein, oder? Der Wortlaut war genau derselbe. Wort für Wort, dazu mit der richtigen Betonung, dem gehauchten H in »Hoffentlich« und dem leichten Zögern zwischen »mich« und »jemand« sowie dem hörbaren Lächeln nach dem zweiten Punkt.

Hörte er sich den Podcast etwa auch an?

Ich hatte noch nie jemanden getroffen, der auch nur davon gehört hatte.

Eigentlich war es ein Wunder, dass sie Aled nicht längst rausgeschmissen hatten, denn er war bewusstlos. Oder er schlief. Er saß auf eine Weise auf dem Boden an die Wand gelehnt, die eindeutig bewies, dass jemand ihn dort platziert hatte. Daniel vermutlich. Das erstaunte mich, weil Daniel Aled normalerweise beschützte. Hatte ich jedenfalls gehört. Vielleicht war es auch andersherum.

Ich ging vor Aled in die Hocke. Die Wand hinter ihm war nass vom Kondenswasser. Ich schüttelte seinen Arm und rief, um die Musik zu übertönen: »Aled?«

Ich schüttelte ihn noch mal. Er sah nett aus im Schlaf, während die Clubscheinwerfer rot und orange über sein Gesicht flackerten. Er sah aus wie ein Kind.

»Sei nicht tot. Das würde mir den Tag verderben.«

Ruckartig wurde er wach, schoss von der Wand weg nach vorn und stieß voll gegen meine Stirn.

Es tat so weh, dass ich außer einem leisen »Verdammte Sch…« nichts sagen konnte, während mir eine Träne aus dem linken Auge lief.

Ich rollte mich zusammen, um dem Schmerz auszuweichen, und Aled schrie: »Frances Janvier!«

Und er sprach meinen Nachnamen immerhin richtig aus.

»Habe ich dich gerade ins Gesicht geschlagen?«, fuhr er fort.

»Das ist untertrieben«, schrie ich zurück und richtete mich wieder auf.

Ich dachte, er würde lachen, doch er hatte die Augen aufgerissen und war eindeutig immer noch ziemlich betrunken. Dann sagte er nur: »Oh Gott, das tut mir schrecklich leid.« Und da er betrunken war, legte er einfach seine Hand auf meine Stirn und tätschelte sie ein wenig, als wollte er den Schmerz fortzaubern.

»Es tut mir schrecklich leid«, wiederholte er sichtlich besorgt. »Weinst du? Oh, wow, es klingt wie bei Wendy in Peter Pan.« Sein Blick verschwamm kurz, bevor er mich erneut ansah. »Mensch, warum weinst du?«

»Tue ich nicht …«, sagte ich. »Na ja, innerlich vielleicht.«

Da fing er an zu lachen und es war irgendwie so ansteckend, dass ich mitlachte. Aled lehnte beim Lachen den Kopf an die Wand und eine Hand vor den Mund. Er war so betrunken, der Schmerz pochte in meinem Kopf und der Club war dermaßen ekelhaft, doch einige Sekunden lang war alles unfassbar lustig.

Danach packte Aled meine Jeansjacke, nahm meine Schulter als Stütze und kam auf die Beine. Sofort schlug er mit der Hand an der Wand auf, weil er sonst umgefallen wäre. Ich stand auch auf, unsicher, was ich jetzt tun sollte. Ich wusste nicht einmal, wie Aled in diesen Zustand gekommen war. Andererseits wusste ich ohnehin nicht viel über ihn. Im Übrigen gab es keinen Grund, warum ich mich um ihn kümmern sollte.

»Hast du Dan gesehen?«, fragte er, ließ seine Hand zurück auf meine Schulter fallen und beugte sich mit zusammengekniffenen Augen vor.

»Wen – oh, Daniel.« Meines Wissens wurde er von allen Daniel genannt. »Nein, leider nicht.«

»Oh …« Er senkte den Blick auf seine Schuhe und wirkte wieder wie ein Kind, mit seinen langen Haaren, die eher zu einem Vierzehnjährigen gepasst hätten, und in Jeans und Pulli, die merkwürdig an ihm aussahen. Er sah einfach aus wie … keine Ahnung, wie.

Und ich wollte ihn wegen Universe City fragen.

»Komm, wir gehen kurz raus«, sagte ich, doch Aled hatte mich wohl nicht gehört. Also legte ich einen Arm um seine Schulter und schleppte ihn durch die Menge, durch die tiefen Bässe, den Schweiß und die Leute, bis zur Treppe.

»Aled!«

Ich blieb ruckartig stehen, während Aled sich weiterhin fast vollständig auf mich stützte, und drehte mich um. Daniel zwängte sich mit einem vollen Wasserbecher in der Hand zwischen den Tanzenden hindurch.

»Oh«, sagte er und sah mich an wie einen Stapel schmutziger Teller. »Ich wusste nicht, dass du heute ausgehst.«

Hatte er einen Schaden? »Du hast mich höchstpersönlich angerufen, Daniel.«

»Weil Aled mit dir reden wollte.«

»Aled hat gesagt, du wolltest mir einen Streich spielen.«

»Wieso sollte ich so etwas tun? Ich bin doch keine zwölf mehr.«

»Okay, und wieso sollte Aled mit mir reden wollen? Wir kennen uns überhaupt nicht.«

»Woher zum Teufel soll ich das wissen?«

»Weil du sein bester Freund bist und heute Abend mit ihm abhängst?«

Dazu sagte Daniel nichts.

»Oder scheinbar auch nicht«, fuhr ich fort. »Ich habe Aled gerade vom Fußboden aufgesammelt.«