Nur der Tod bringt Vergebung - Peter Tremayne - E-Book + Hörbuch

Nur der Tod bringt Vergebung Hörbuch

Peter Tremayne

4,5

Beschreibung

Der Auftakt der grandiosen Reihe um Schwester Fidelma.

Im Jahre 664 kämpfen im Königreich Northumbrien die Anhänger der Kirche Roms gegen die Lehren des Kelten Columban von Iona. Um den Kirchenstreit beizulegen, wird in Witebia eine Synode einberufen. Als die Äbtissin Ètain ermordet in ihrer Zelle aufgefunden wird und wenig später zwei weitere Diener Gottes sterben, vermutet man zunächst kirchenpolitische Motive. Schwester Fidelma, eine irische Nonne königlichen Geblüts und gleichzeitig Anwältin bei Gericht in ihrer Heimat, geht diesen Gerüchten nach und macht eine grausige Entdeckung ...

"Tremaynes Keltenkrimis haben weltweit Kultstatus." BuchMarkt.

"Eine brillante und bezaubernde Heldin." Publishers Weekly.

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Zeit:7 Std. 43 min

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Peter Tremayne

Nur der Tod bringt Vergebung

Historischer Kriminalroman

Aus dem Englischen von Irmela Erckenbrecht

Aufbau-Verlag

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Impressum

ISBN E-Pub 978-3-8412-0150-8

ISBN PDF 978-3-8412-2150-6

ISBN Printausgabe 978-3-7466-1916-3

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, 2011

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Die deutsche Übersetzung erschien erstmals 2002 bei Aufbau Taschenbuch, einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Copyright © by Peter Tremayne 1994

Alle Rechte an der Übertragung ins Deutsche bei Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung Henkel/Lemme unter Verwendung einer Buchmalerei aus dem »Book of Kells«

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital - die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

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Inhaltsübersicht

HISTORISCHE ANMERKUNG

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

GLOSSAR

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|5|Für Dorothea

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|7|HISTORISCHE ANMERKUNG

Diese Geschichte spielt im Jahre 664 während der berühmten Synode von Whitby. Die Sitten und Gebräuche dieses »dunklen Zeitalters« mögen vielen Leserinnen und Lesern befremdlich erscheinen. Besonders bemerkenswert ist, daß damals sowohl in der römischen als auch in der später »keltisch« genannten Kirche der Gedanke des Zölibats für Ordensfrauen und -männer längst noch nicht überall verbreitet war. Im Gegenteil, es kam recht häufig vor, daß Männer und Frauen in conhospitae, sogenannten Doppelhäusern, zusammen lebten und ihre Kinder im Dienste Christi gemeinsam aufzogen. St. Hildas Abtei in Whitby, zu jener Zeit Streoneshalh genannt, war eines dieser Doppelhäuser. Selbst Priester und Bischöfe durften damals heiraten. Der Zölibat wurde zwar von Paulus und anderen frühen Kirchenführern ausdrücklich befürwortet, beschränkte sich ursprünglich jedoch nur auf Asketen. Der Anspruch an alle Geistlichen, im Zölibat zu leben, konnte sich nur allmählich durchsetzen. Erst unter Papst Leo IX. (1048 –54) unternahm die römische Kirche den ernsthaften Versuch, auch die Geistlichen im äußersten Westen Europas zum Zölibat zu zwingen.

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|9|Selbst wilde Tiere sind nicht so grausam wie die Christen im Umgang mit ihresgleichen.

Ammianus Marcellinus (ca. 330 –395)

KAPITEL 1

Der Mann war noch nicht lange tot. Das Blut und der Speichel um seine verzerrten Lippen waren noch nicht einmal trocken. Die Leiche hing am Ende eines kräftigen Hanfseils vom Ast einer knorrigen Eiche und schwang im Wind hin und her. Wo das Genick gebrochen war, hatte sich der Kopf in einem seltsamen Winkel zum übrigen Körper verdreht. Die Kleider waren zerrissen, und falls der Mann Sandalen getragen hatte, waren sie von Leichenfledderern entwendet worden. Jedenfalls war von seiner Fußbekleidung nichts mehr zu sehen. Die verkrampften, blutüberkrusteten Hände zeigten, daß der Mann nicht kampflos gestorben war.

Doch nicht die Tatsache, daß ein Mann erhängt worden war, hatte die kleine Gruppe von Reisenden dazu gebracht, bei der alten Eiche haltzumachen. Seitdem sie von Rheged ins Königreich Northumbrien gekommen waren, hatten sie schon zahlreiche Hinrichtungen und andere grausame Bestrafungen gesehen. Offenbar wandten die dort wohnenden Angeln und Sachsen strenge Strafen auf all jene an, die ihre Gesetze übertraten – von den grausigsten Formen der Verstümmelung bis zur Hinrichtung unter den qualvollsten Umständen, wobei das bloße Erhängen noch als menschlichster Weg erschien. Nein, es war nicht der Anblick eines |10|weiteren an einem Baum aufgeknüpften Unglücklichen, der sie beunruhigt hatte. Daß sie ihre Pferde und Maultiere so plötzlich zum Stehen brachten, hatte einen anderen Grund.

Die kleine Reisegesellschaft bestand aus vier Männern und zwei Frauen. Sie alle trugen geistliche Gewänder aus ungefärbter Wolle, und die Häupter der Männer waren vorne kahlgeschoren – eine Tonsur, die sie als Brüder der Kirche Columbans von der heiligen Insel Iona auswies. Wie auf Kommando hatten sie alle im gleichen Augenblick angehalten, saßen aufrecht in ihren Sätteln und starrten beklommen auf den Leichnam des Mannes, auf seine ängstlich aufgerissenen Augen und seine in einem letzten verzweifelten Ringen nach Luft herausgestreckte schwarze Zunge. In den Mienen der Reisenden spiegelten sich Entsetzen und tiefe Besorgnis.

Der Grund dafür war nicht schwer zu erraten: Auf dem Haupt des Toten war ebenfalls die Tonsur Columbans zu erkennen. Und was von seiner Kleidung übriggeblieben war, deutete auf die Kutte eines Mönches hin, obgleich sowohl das Kruzifix als auch der Ledergürtel und die Ledertasche fehlten, die jeder peregrinus pro Christo trug.

Der Anführer ritt auf seinem Maultier noch ein Stück näher und sah mit aschfahlem Gesicht zu dem Toten auf.

Auch eine der beiden Frauen löste sich von der Gruppe und führte ihr Reittier noch dichter an die Eiche heran, um den Toten mit ruhigem Blick zu betrachten.

Sie reiste zu Pferde, was darauf hinwies, daß sie keine gewöhnliche Ordensschwester war. In ihren blassen Gesichtszügen war keine Angst, sondern eine eigentümliche Mischung aus Abscheu und Neugier zu erkennen. Sie war noch jung, hochgewachsen und von anmutiger Gestalt, eine Tatsache, |11|die ihr schlichtes Gewand kaum zu verbergen vermochte. Ein paar widerspenstige Strähnen roten Haares lugten unter ihrer Kopfbedeckung hervor. Ihr blasses Gesicht war fein geschnitten, und ihre Augen blitzten hell. Es war schwer zu sagen, ob sie blau oder grün waren, denn sie schienen sich mit jeder Gemütslage zu verändern.

»Kommt fort, Schwester Fidelma«, murmelte ihr männlicher Begleiter sichtlich bewegt. »Das ist kein schicklicher Anblick für Euch.«

Die junge Frau sah ihn verärgert an.

»Für wen sollte dieser Anblick wohl schicklich sein, Bruder Taran?« gab sie zurück. Dann führte sie ihr Pferd noch näher an die Leiche heran und sagte: »Unser Bruder ist noch nicht lange tot. Wer könnte diese abscheuliche Tat begangen haben? Diebe?«

Bruder Taran schüttelte den Kopf.

»Wir sind in einem wilden Land, Schwester, und dies hier ist erst meine zweite Mission nach Northumbrien. Nicht mehr als dreißig Jahre ist es her, daß wir dieser gottverlassenen Einöde das Wort Christi brachten. Man trifft noch immer viele Heiden, die vor der Geistlichkeit wenig Achtung haben. Laßt uns schnellstens weiterreiten. Wer auch immer diese Tat begangen hat, hält sich vielleicht noch in der Nähe auf. Bis zur Abtei von Streoneshalh kann es jetzt nicht mehr weit sein, und wir sollten auf jeden Fall dort ankommen, ehe die Sonne hinter den Bergen versinkt.«

Er zitterte leicht.

Die junge Frau runzelte verärgert die Stirn.

»Ihr würdet tatsächlich weiterreiten und einen unserer Glaubensbrüder so zurücklassen? Ohne Segen und Begräbnis?«

|12|Bruder Taran zuckte die Achseln. Die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Schwester Fidelma wandte sich zu den anderen um.

»Ich brauche ein Messer, um das Seil durchzuschneiden«, erklärte sie. »Wir müssen für die Seele unseres Bruders beten und dafür sorgen, daß er ein christliches Begräbnis bekommt.«

Die anderen warfen sich unbehagliche Blicke zu.

»Vielleicht hat Bruder Taran recht«, gab das zweite weibliche Mitglied der Gruppe zu bedenken. Es war ein großes, grobknochiges Mädchen, das schwer und unbeholfen auf seinem Reittier saß. »Schließlich kennt er dieses Land ebensogut wie ich. Habe ich nicht jahrelang als versklavte Geisel in Northumbrien leben müssen? Sicherlich wären wir gut beraten, wenn wir unverzüglich weiterreiten und uns in den Schutz der Abtei von Streoneshalh begeben würden. Wir können Äbtissin Hilda von der Greueltat berichten. Sie wird am besten wissen, was zu tun ist.«

Schwester Fidelma stöhnte gereizt auf.

»Wir sollten doch zuallererst an die Seele unseres verstorbenen Bruders denken, Schwester Gwid«, gab sie zurück. Dann wandte sie sich an die anderen. »Hat denn niemand ein Messer?«

Zögernd kam einer der Männer näher und reichte ihr ein kleines Messer.

Schwester Fidelma nahm es, stieg von ihrem Pferd und ging zu der Stelle, wo das Seil an einen niedrigeren Ast gebunden war. Sie hatte das Messer schon angehoben, als ein schriller Schrei sie innehalten und herumfahren ließ.

Aus dem Wald auf der anderen Seite des Weges kam ein halbes Dutzend Männer. Angeführt wurden sie von einem |13|Mann auf einem Pferd – einem kräftigen Krieger mit langem, zotteligem Haar, das unter einem polierten Bronzehelm herausquoll und in einen dichten schwarzen Bart überging. Er trug einen glänzenden Brustharnisch, und seine Körperhaltung zeugte davon, daß er es gewohnt war, Befehle zu geben. Seine Gefolgsleute trugen verschiedene Waffen, die meisten Knüppel oder Pfeil und Bogen.

Schwester Fidelma hatte keine Ahnung, was der Mann ihr zurief, aber offenbar war es ein Befehl, und allem Anschein nach wollte er sie von ihrem Vorhaben abbringen.

Sie wandte sich zu Bruder Taran um, der dem Fremden ängstlich entgegenblickte.

»Wer sind diese Leute?«

»Es sind Sachsen, Schwester.«

»Das sehe ich selbst. Aber meine Kenntnisse des Sächsischen sind unvollkommen. Ihr müßt mit ihnen sprechen und sie fragen, wer sie sind und was sie über diesen Mord wissen.«

Bruder Taran rief dem Anführer der Männer ein paar holprige Brocken in einer fremden Sprache entgegen. Der kräftige Mann mit Helm grinste und spuckte aus, ehe er einen Schwall unverständlicher Laute von sich gab.

»Er sagt, sein Name sei Wulfric von Frihop, er sei ein Than des Unterkönigs von Deira, und dies sei sein Land. Seine Halle liege auf der anderen Seite des Waldes«, übersetzte Bruder Taran stockend.

»Fragt ihn, was das hier zu bedeuten hat«, sagte Schwester Fidelma in kaltem, gebieterischem Ton und zeigte auf den immer noch am Seil baumelnden Toten.

Der sächsische Krieger ritt näher und musterte Bruder Taran mit einem neugierigen Stirnrunzeln. Dann verzog sich |14|sein bärtiges Gesicht zu einem bösartigen Grinsen. Seine engstehenden Augen und sein verschlagener Blick erinnerten Fidelma an einen listigen Fuchs. Er nickte grinsend, während Taran zögernd sprach, und antwortete dann, wobei er wieder kräftig auf den Boden spuckte, als wollte er damit seinen Worten Nachdruck verleihen.

»Es bedeutet, daß der Bruder hingerichtet wurde«, übersetzte Taran.

»Hingerichtet?« Fidelma zog die Augenbrauen zusammen. »Nach welchem Gesetz wagt es dieser Mann, einen Mönch aus Iona hinzurichten?«

»Nicht aus Iona. Der Mönch war ein Northumbrier aus einem Kloster auf der Insel Farne«, kam die Antwort.

Schwester Fidelma biß sich auf die Unterlippe. Sie wußte, daß Colmán, der Bischof von Northumbrien, auch der Abt von Lindisfarne war und die Abtei die Hauptstütze der Kirche in diesem Königreich bildete.

»Und sein Name? Wie war der Name des Bruders?« wollte Fidelma wissen. »Und welches Verbrechen soll er begangen haben?«

Wulfric zuckte mit den Schultern.

»Nach seinem Namen habe ich ihn nicht gefragt.«

»Nach welchem Gesetz wurde er hingerichtet?« fragte sie weiter und versuchte, die in ihr aufsteigende Wut in den Griff zu bekommen.

Wulfric, der Krieger, lenkte sein Pferd näher an die junge Ordensschwester heran und beugte sich vom Sattel aus tief zu ihr hinunter. Sie rümpfte die Nase, als sie seinen schlechten Atem roch und die schwarzen Zähne hinter seinen grinsenden Lippen sah. Es beeindruckte ihn offenbar, daß diese junge Frau keine Angst vor ihm und seinen Kriegern hatte. |15|Einen Augenblick lang ließ er beide Hände auf dem Knauf seines Sattels ruhen und betrachtete sie nachdenklich. Dann deutete er grinsend auf die Leiche.

»Das Gesetz besagt, daß ein Mann, der einen Höherstehenden beleidigt, dafür mit dem Leben bezahlen muß.«

»Einen Höherstehenden beleidigt?«

Wulfric nickte.

»Der Mönch«, übersetzte Taran mit zitternder Stimme weiter, »ist gegen Mittag in Wulfrics Dorf gekommen und hat um gastfreundliche Aufnahme gebeten. Wulfric, ein guter Christ« – hatte Wulfric das tatsächlich gesagt, oder war das nur Tarans Übersetzung? –, »gewährte ihm Obdach und eine Mahlzeit. Der Met floß reichlich in der Banketthalle, als der Streit ausbrach.«

»Welcher Streit?«

»Es scheint, daß Alhfrith, Wulfrics König . . .«

»Alhfrith?« unterbrach ihn Fidelma. »Ich dachte, Oswiu sei der König von Northumbrien?«

»Alhfrith ist Oswius Sohn und Unterkönig von Deira. Das ist der südliche Teil von Northumbrien, in dem wir uns jetzt befinden.«

Fidelma bedeutete Taran, mit seiner Übersetzung fortzufahren.

»Dieser Alhfrith hat sich zu einem Anhänger Roms bekehren lassen und viele Mönche aus dem Kloster von Ripon vertrieben, weil sie sich den Lehren und der Liturgie Roms nicht unterwerfen wollten. Offenbar hat einer von Wulfrics Männern unseren Bruder in eine Debatte über die jeweiligen Vorzüge der Lehren Roms und Columbans verwickelt. Aus dem Gespräch wurde ein Streit, der Streit wurde immer hitziger, und schließlich hat sich der Mönch zu unbedachten |16|Worten hinreißen lassen. Diese Worte wurden wohl als beleidigend empfunden.«

Schwester Fidelma starrte den Gefolgsmann des Königs ungläubig an. »Und dafür wurde der Mann hingerichtet? Für ein paar Worte?«

Wulfric strich gelassen über seinen Bart und lachte, als Taran ihm die Frage stellte.

»Dieser Mann hat den Than von Frihop beleidigt. Dafür wurde er hingerichtet. Gemeine Leute dürfen nicht ungestraft einen so edlen Mann beleidigen. Das ist das Gesetz. Und außerdem schreibt das Gesetz vor, daß der Mann von heute an noch einen Mond hier hängen muß.«

Zorn spiegelte sich in der Miene der jungen Ordensschwester. Sie wußte wenig über das sächsische Gesetz, und ihrem Eindruck nach war es in höchstem Maße ungerecht. Allerdings war sie klug genug, ihre Empörung nicht zu zeigen. Sie wandte sich um, schwang sich auf den Rücken ihres Pferdes und sah den Krieger an.

»Höre, Wulfric, ich bin auf dem Weg nach Streoneshalh, wo ich auch König Oswiu von Northumbrien treffen werde. Ich werde Oswiu wissen lassen, wie Ihr diesen Diener Gottes behandelt habt, einen heiligen Mann, der unter dem besonderen Schutz des christlichen Königs Eures Landes steht.«

Falls diese Worte dazu gedacht gewesen waren, Wulfric einzuschüchtern, hatten sie ihre Wirkung verfehlt.

Der sächsische Krieger warf den Kopf zurück und brach in brüllendes Gelächter aus.

Schwester Fidelma hatte jedoch mit wachsamem Blick nicht nur Wulfric, sondern auch seine Gefährten im Auge behalten. Während des Wortwechsels hatten sie immer wieder gespannt zu ihrem Führer geschaut, und es war klar, daß sie |17|nur auf seinen Befehl warteten, um sich auf die Reisenden zu stürzen. Deshalb schien ihr Zurückhaltung ratsam. Gefolgt von einem sichtlich erleichterten Bruder Taran und ihren anderen Reisegefährten, lenkte sie ihr Pferd zurück auf den Weg, ließ es jedoch absichtlich im Schritt gehen. Eile würde Angst verraten, und Angst war das letzte, was man einem Rüpel wie Wulfric in einer solchen Lage zeigen durfte.

Zu ihrer Überraschung wurden sie nicht aufgehalten. Wulfric und seine Männer blieben einfach stehen und sahen ihnen nach und wechselten lachend ein paar Worte. Nachdem sie genug Abstand zwischen sich und Wulfrics Bande an der alten Eiche gelegt hatten, wandte sich Fidelma kopfschüttelnd an Taran.

»Dies ist tatsächlich ein wildes, von Heiden bevölkertes Land. Und ich dachte, Northumbrien sei befriedet und würde von Oswiu regiert?«

Es war Schwester Gwid, die Fidelma antwortete. Wie Bruder Taran stammte sie von den Cruthin im Norden ab, die viele auch Pikten nannten. Da Schwester Gwid jedoch mehrere Jahre als Gefangene hier verbracht hatte, kannte sie sich mit den Eigenheiten und der Sprache Northumbriens aus.

»Ihr habt noch viel über dieses Land zu lernen, Schwester Fidelma«, begann sie.

Die Herablassung in ihrer Stimme schwand, als Fidelma sie mit funkelnden Augen ansah. »Ach ja? Dann sagt es mir.« Ihre Stimme war so kalt und klar wie das kristallene Wasser eines reißenden Bergbachs.

»Nun«, fuhr Gwid in deutlich bescheidenerem Tonfall fort, »Northumbrien wurde einst von den Angeln besiedelt. Sie unterscheiden sich kaum von den Sachsen im Süden des |18|Landes, haben die gleiche Sprache und verehrten die gleichen befremdlichen Götter, bis unsere Missionare ihnen das Wort des einzigen, wahren Gottes brachten. Aber es wurden zwei Königreiche gegründet, Bernicia im Norden und Deira im Süden. Erst vor sechzig Jahren wurden sie zu dem Königreich vereint, das jetzt Oswiu regiert. Und Oswiu hat seinen Sohn Alhfrith zum Unterkönig von Deira ernannt. Ist es nicht so, Bruder Taran?«

Bruder Taran nickte verdrießlich.

»Ein Fluch auf Oswiu und sein Haus!« rief er verbittert aus. »Als Oswald, Oswius Bruder, König war, führte er die Northumbrier in einen Krieg gegen unser Land. Ich war damals noch ein Kind. Meinen Vater, der ein Häuptling der Gododdin war, haben sie erschlagen und meine Mutter vor den Augen des Sterbenden niedergestochen. Ich hasse sie alle!«

Fidelma hob die Augenbrauen.

»Und doch seid Ihr ein Bruder Christi und der Nächstenliebe verpflichtet. Ihr solltet keinen Haß im Herzen tragen.«

Taran seufzte. »Ihr habt recht, Schwester. Manchmal ist unser Glauben ein strenger Zuchtmeister.«

»Und ich dachte immer«, fuhr Fidelma unbeirrt fort, »Oswiu sei in Iona erzogen worden und folge der Liturgie der Kirche Columcilles? Wie kann sein Sohn dann ein Gefolgsmann Roms und ein Feind unserer Sache sein?«

»Die Northumbrier nennen den heiligen Columcille ›Columban‹«, warf Schwester Gwid in besserwisserischem Tonfall ein, »weil sie den Namen leichter aussprechen können.«

Es war Bruder Taran, der Fidelmas Frage beantwortete.

»Ich glaube, daß Alhfrith mit seinem Vater, der ein zweites Mal geheiratet hat, in Feindschaft lebt. Alhfrith fürchtet, |19|sein Vater könnte ihn zugunsten von Ecgfrith, dem Sohn seiner zweiten Frau, enterben.«

Fidelma seufzte tief.

»Diese sächsischen Erbgesetze sind mir ohnehin ein Buch mit sieben Siegeln. Ich habe gehört, sie setzen den erstgeborenen Sohn als Erben ein, anstatt wie wir durch freie Wahl den Würdigsten der Familie zu bestimmen.«

In dem Augenblick stieß Schwester Gwid einen Schrei aus und deutete auf den fernen Horizont.

»Das Meer! Ich kann das Meer sehen! Und das schwarze Gebäude dort drüben am Horizont – das muß Streoneshalh sein.«

Schwester Fidelma brachte ihr Pferd zum Stehen und spähte mit zusammengekniffenen Augen in die Ferne.

»Was meint Ihr, Bruder Taran? Ihr kennt Euch in diesem Teil des Landes am besten aus.«

Erleichterung stand Taran ins Gesicht geschrieben.

»Schwester Gwid hat recht. Das ist die Abtei der Gesegneten Hilda, der Base König Oswius – Streoneshalh, das Ziel unserer Reise.«

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KAPITEL 2

Der Aufschrei einer rauhen, verzweifelten Stimme ließ die Äbtissin erschrocken zusammenfahren. Sie hob die Augen von dem reich bebilderten Pergament, das sie an ihrem Tisch studiert hatte, und runzelte verärgert die Stirn.

Sie saß in ihrem dunklen, mit Steinplatten ausgelegten Gemach, das von einigen Talglichtern in bronzenen Wandhaltern nur spärlich erleuchtet wurde. Es war Tag, aber das einzige hohe Fenster ließ wenig Licht herein, und trotz einiger |20|farbenfroher Wandbehänge, die einen Teil des Mauerwerks bedeckten, wirkte der Raum kalt und karg. Auch das im großen Kamin schwelende Feuer verbreitete nicht viel Wärme.

Einen Augenblick lang verharrte die Äbtissin reglos. Ihr mageres, kantiges Gesicht mit der hohen Stirn legte sich in tiefe Falten, und ihre dunklen Augen, in denen die Pupillen kaum zu erkennen waren, funkelten zornig, während sie den Kopf zur Seite neigte, um dem Geschrei zu lauschen. Sie zog den kunstvoll gewebten Wollumhang fester um die Schultern und ließ eine Hand über das aufwendig gearbeitete goldene Kruzifix gleiten, das sie an einer Kette aus winzigen Elfenbeinperlen um den Hals trug. Ihre Kleidung und ihr Schmuck zeugten davon, daß sie eine wohlhabende Frau von hoher Stellung war.

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