Nur die eine Erde - Fred Hageneder - E-Book

Nur die eine Erde E-Book

Fred Hageneder

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Beschreibung

Die globale Lage steht auf der Kippe Nur die eine Erde erklärt die planetarischen Lebenserhaltungssysteme in ihrer Ganzheit, bietet eine umfassende Gesamtdarstellung der globalen ökologischen Krise und zeigt die uns verbleibenden Optionen auf, um ein zuträgliches Klima und die noch vorhandene Artenvielfalt zu retten, die Verseuchung zu beenden und die Ökosphäre dieses Planeten zu heilen. Auch das Gleichgewicht der menschlichen Gesundheit können wir nicht vom Gleichgewicht des Planeten trennen, denn "die Gesundheit des Menschen beruht auf der Gesundheit des Planeten". Diese Erkenntnis setzt sich immer mehr durch: bei der UN, der WHO und in den kritischen Medien. Es ist also nicht nur unsere Gesundheit, die zusehends schwindet (und das nicht erst seit der Corona-Krise), sondern das ganze Netz der Lebenserhaltungssysteme der Erde. Die Schädigung und Verseuchung der Natur vergiften auch unsere eigenen Körper. Der Zusammenbruch des Klimas und der Verlust der Artenvielfalt bedrohen auch die menschliche Spezies. Doch was ist ein "Planet im Gleichgewicht"? Wie funktioniert das wunderbare Zusammenspiel seiner Lebenserhaltungssysteme? Wie sehr zerstören wir sie? Und was müssen wir schleunigst ändern? Uns sind alle notwendigen Mittel an die Hand gegeben, kollektiv eine grundlegende Heilung einzuleiten. Nur Symptome zu kurieren, reicht nicht mehr aus: Wir müssen die zugrunde liegenden Ursachen angehen, und dazu gehören unsere Gewohnheiten und Wertsysteme. Wir stehen an der entscheidenden Weggabelung, und die Zeit wird knapp. Doch wenn wir schnell und entschieden handeln, erwartet uns eine würdevolle, wirklich nachhaltige gesunde Zukunft.

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Seitenzahl: 543

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Fred Hageneder

Nur dieeine Erde

Globaler Zusammenbruchoder globale Heilung –unsere Wahl

Anmerkung für die Leser von Happy Planet

Während »Happy Planet« als Einführung in die Thematik der globalen ökologischen Krise konzipiert war und im März 2019 – zu Beginn der Klimabewegung in Europa – erschien, stellt dieses Buch eine komplette Gesamtdarstellung dar, mit fast doppelt soviel Inhalt und auf neuestem Stand (Sommer 2021). Der größte Teil der Erweiterungen und Updates betrifft Teil II (insbesondere die Kapitel 9, 10 und 12 bis 14), aber auch die Kapitel 4 und 15.

Bücher haben feste Preise.

1. Auflage 2021

Fred Hageneder

Nur die eine Erde

© Fred Hageneder/Neue Erde GmbH 2021

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlag:

Fotos: Felskante: SC Designs, Erdkugel: NASA & ixpert, beide shutterstock.com

Gestaltung: DesignIsIdentity.com

Satz und Gestaltung:

DesignIsIdentity.com

eISBN 978-3-89060-363-6

ISBN 978-3-89060-796-2

Neue Erde GmbH

Cecilienstr. 29 · 66111 Saarbrücken

Deutschland · Planet Erde · www.neue-erde.de

Für Charlie, Blossom und Myla,

Tula-Rose, Leala und Quinn.

Und für alle, die sich für

diesen schönen Planeten entscheiden.

Inhalt

Einführung

TEIL I: LEBENDIGE ERDE

Planetarische Lebenserhaltungssysteme und ihre Interdependenz

1Gaia verstehen

Gaia-Theorie und Erdsystemwissenschaft | Das Meer | Die Luft | Das Gestein | Die Wälder | Die Unterwelt | Das Salz der Erde

2Ursprünge

Kosmische | Planetarische | Unregelmäßigkeiten

3Die Elemente und Kreisläufe

Die Elemente | Die Kreisläufe | Emiliania huxleyi

4Gemeinschaften und Netzwerke

Die Matrix des Lebens | Mikro-Gesellschaften | Zusammenarbeit | Vernetzung | Abfallwirtschaft

5Feedbacksysteme

6Vielfalt, Komplexität und Fülle

TEIL II: GLOBALE ZERRÜTTUNG

Symptome, Gründe und Ursachen der globalen Auflösung

Planetarische Grenzen | Unsere Sprache zurückgewinnen

7Das sechste Massenaussterben

8Lebensraumzerstörung

Fragmentierung

9Invasive Arten

Massensterben (MMEs) | Pandemien

10Kontamination der Lebenswelt

Plastik | Nano-Müll | Chemie | Genmanipulation | Radioaktivität | Sonar- und Lärmbelastung | Lichtverschmutzung | Mikrowellen | Gesundheit

11Überbevölkerung

Das große Tabu | Migration

12Überkonsum

Wasser | Fischerei | Agrarindustrie | Viehhaltung | Wahnsinniger Warenhandel

13Energie und »Fortschritt«

Weniger ist genug: Degrowth

14Klimazerrüttung

Gründe für Feuerkatastrophen | Smoke and Mirrors: Strategien der Desinformation | Irrglauben und Fakten | Die Kohlenstoffdiskussion | Treibhausgasemissionen der Viehhaltung | Regenerative Landwirtschaft | Elektroautos | Methan | Kipppunkte und »Hothouse Erde« | Der Jetstream | Zusammenfassung | Der Green New Deal | Die UN Sustainable Development Goals | »Entwicklung«

TEIL III: DIE MENSCHLICHE SCHNITTSTELLE

Ethik und Würde in einer Ära der Barbarei

15Warum so wenig so langsam geschieht

Angst und Verleugnung | Der Aufstand

16Anthropozentrismus

Wétiko | Die erste Lüge: »Alles ist Krieg« | Die zweite Lüge: »Der Lauf des Fortschritts« | Die dritte Lüge: »Der Gipfel der Intelligenz«

17Die ökozentrische Weltsicht

Grundprinzipien des Ökozentrismus

18Eine knospende Zukunft

Earth Law: Erdrecht | Ökozid stoppen | Werte | Bildung | Kreislaufwirtschaft | Harmonie | Verantwortung

19Hoffnung, Mut und Kraft finden

Ausklang

Glossar | Quellenangaben | Abbildungsnachweis | Wesentliche Literatur | Über den Autor | Register

»Gesunde Menschen und ein gesunder Planet sind Teil desselben Kontinuums.«

Inger Andersen,Exekutivdirektorin UN Environment Agency, 20201

»Bitte schließen Sie sich mir an und fordern Sie eine gesunde und widerstandsfähige Zukunft gleichermaßen für die Menschen und den Planeten.«

António Guterres,UN-Generalsekretär, 20202

»Es sind dringende und umfassende Maßnahmen erforderlich, um einen gesunden Planeten mit gesunden Menschen zu erreichen.«

UN Global Environment Outlook, 20193

Ich kann meine Hände verlieren und dennoch leben.

Ich kann meine Beine verlieren und dennoch leben.

Ich kann meine Augen verlieren und dennoch leben.

Ich kann meine Haare verlieren, meine Augenbrauen,

Nase, Arme und vieles andere, und dennoch lebe ich.

Aber wenn ich die Luft verliere, sterbe ich.

Wenn ich die Sonne verliere, sterbe ich.

Wenn ich die Erde verliere, sterbe ich.

Wenn ich das Wasser verliere, sterbe ich.

Wenn ich die Pflanzen und Tiere verliere, sterbe ich.

Sie alle sind mehr ein Teil von mir,

notwendiger für jeden meiner Atemzüge,

als mein sogenannter Körper.

Was ist mein wirklicher Körper?

Jack D. Forbes, indianischer Aktivist,Schriftsteller und Wissenschaftler, 19794

Einführung

Die Erde ist ein zusammenhängendes Netz des Lebens. Unsere Spezies ist Teil dieser planetarischen Gemeinschaft, war es schon immer und wird es bis zum Ende sein. Die Gesundheit des Planeten ist unsere Gesundheit.

Schon der griechische Arzt Hippokrates (ca. 460 v.Chr. – ca. 370 v.Chr.) wusste, dass die öffentliche Gesundheit von einer sauberen Umwelt abhängt.5 Gut zwei Jahrtausende später beginnt man dies auch auf Regierungsebene und in der UN zu verstehen. Die Gesundheit von Mensch, Tier, Pflanze und Ökosystem sind untrennbar miteinander verbunden. Wir können uns nicht von allem Leben auf diesem Planeten trennen; keine einzelne Spezies kann für sich allein existieren. Wir sind Teil der Ökosphäre, in der wir leben: was das eine angreift, schadet auch dem anderen.

Wenn wir unsere landwirtschaftlichen Felder vergiften, vergiften wir auch die Insekten, die Vögel, die Tiere und uns selbst. Wenn wir giftige Stoffe ins Meer kippen, setzen wir alles Leben im Meer dem Leiden und Schaden aus, und genau wie die Fische, die Seeotter, die Robben und die Orcas verenden auch die Menschen an Leber- und Nierenversagen, am Zusammenbruch des Immunsystems und an Krebs. Welche Substanzen auch immer wir in die Luft blasen, sie werden auch von unseren eigenen Lungen aufgenommen. Mikroplastik hat mittlerweile den gesamten Planeten verseucht, und wir finden die Partikel in der Arktis ebenso wie in unseren eigenen Zellen.

Ein Planet. Eine Gesundheit.

Die Menschheit ist völlig abhängig von eben jener Ökosphäre, die sie zersetzt. Doch wir leben und konsumieren deutlich über unsere planetarischen Verhältnisse, wir erschöpfen die »Tragfähigkeit« der Erde. Bevölkerungsdruck, Überkonsum und eine unaufhörliche Müllproduktion zwingen die Lebenserhaltungssysteme des Planeten in die Knie. Die Wasserwege und das Klima sind ernsthaft in Schieflage geraten. Voller Arroganz und Überheblichkeit haben wir Ökozid auf Ökozid getürmt, bis der Verlust der Artenvielfalt zu einer globalen Krise wurde: Das sechste Massenaussterben in der Erdgeschichte ist im Gange. Es ist nicht das erste, aber das erste, das anthropogen, vom Menschen verursacht ist. Und die Geschwindigkeit dieses Artenverlustes ist um Größenordnungen schneller als die jedes anderen in der Naturgeschichte.

Und dennoch: Selbst jetzt, wo wir die untrüglichen Zeichen lesen, dass unser Haus brennt (Öko bedeutet »Haus, Wohnstätte«), scheinen wir nicht aufhören zu können. Im Rausch des unendlichen »Wirtschaftswachstums« eilen wir einem frühen Grab entgegen: nicht nur auf der persönlichen, sondern auch auf der kollektiven Ebene. Indem wir alles für uns selbst wollen, gefährden wir das Wohlergehen zukünftiger Generationen – nicht nur der menschlichen, sondern aller unserer Mitgeschöpfe auf diesem Planeten.

Das nächste Jahrzehnt wird das entscheidendste in der gesamten Geschichte der Menschheit sein. Werden wir das zuträgliche Klima der Erde unwiderruflich zerstören? Werden wir es nicht schaffen, dem sechsten Massenaussterben entgegenzuwirken? Werden wir unsere eigene Art auslöschen? Warum handeln die Regierungen und Führer so langsam? Und was kann jede/r Einzelne tun?

Uns bleiben nur noch wenige Jahre, um unsere Ansichten, unsere Einstellungen und unsere Richtung grundlegend zu ändern. Dieses Buch versucht, Anregungen und nützliche Einsichten zu liefern, um bei diesem Wandel zu helfen. Wir haben die Ansätze und Lösungen (und die notwendigen nachhaltigen Technologien), um mit dem Schlamassel umzugehen, den wir angerichtet haben. Aber wir müssen aufwachen und sie umsetzen.

Dieses Buch beginnt mit dem ganzheitlichen Bild des Planeten. Teil I: Lebendige Erde zeigt, wie ein ursprünglich gesunder Planet funktioniert, wie sich seine Ökosysteme entwickelt haben und wie sie global interagieren. Dies ist eine solide, allgemein verständliche Einführung in die Gaia-Theorie und die Erdsystemwissenschaften. Teil II: Globale Zerrüttung befasst sich damit, wie wir heutzutage die planetarischen Lebenserhaltungssysteme stören und schwächen. Für jeden Bereich (Klimastörung, Massenaussterben, Verschmutzung usw.) gibt es sowohl globale Handlungsmaximen als auch hilfreiche Vorschläge, was jede/r Einzelne von uns tun kann. (Zugegeben: Das Maß persönlichen Wirkens ist lächerlich klein, aber es summiert sich, wenn viele Menschen beginnen, Verantwortung zu übernehmen.)

Doch die Lösung unserer Probleme kann nicht innerhalb der alten Denkweisen gefunden werden, die sie geschaffen haben. Daher befasst sich Teil III: Die menschliche Schnittstelle mit den tief verwurzelten Paradigmen, die uns an unsere wahnhafte Orgie der Zerstörung binden. Die kollektiven Denkweisen der Menschheit, die zugrundeliegenden Weltmodelle, unsere ererbten Werte müssen sich ändern.

Wir müssen umdenken und »umfühlen«, mehr Empathie für andere Lebewesen entwickeln und das Lebendige wieder auf echte und sinnvolle Weise ehren.

Ein schöner, gesunder Planet ist wieder möglich. Lassen Sie uns die richtigen Entscheidungen treffen und alle notwendigen Schritte unternehmen.

Fred Hageneder

Teil I

Lebendige Erde

Planetarische Lebenserhaltungssysteme und ihre Interdependenz

»Komplexe Regulierung und gegenseitige Wechselbeziehungen verbinden alle Tier- und Pflanzenformen mit der sich ständig wandelnden Erde, welche sie trägt, zu einem einzigen großartigen organischen Ganzen.«

Alfred Russel Wallace, Mitbegründer der Evolutionstheorie mit Charles Darwin, 18761

Kapitel 1

Gaia verstehen

Die Erde ist kein Gesteinsklumpen, der mit einigen auf seiner Oberfläche verstreuten Lebewesen durchs All saust. Und Leben erscheint auch nicht »einfach so« auf einem Planeten, der sich zufällig in einer »habitablen« (bewohnbaren) Zone befindet (nicht zu dicht und nicht zu weit von einer Sonne). Und das Leben hat auf der Erde auch nicht bloß »ein paar Nischen« besiedelt.

Es ist ganz anders: In den letzten Jahrzehnten hat die Wissenschaft ein immer klareres Bild gewonnen, wie sehr die Gesamtheit des Lebens (die Biosphäre) aktiv die lebensfreundlichen Bedingungen auf der Erde erhält. »Die Biosphäre befindet sich nicht nur einfach in einer habitablen Zone, sondern sie erschafft sie auch«, sagen die Erdwissenschaftler Eileen Crist und Bruce H. Rinker.1

Über die 3,8 Mrd. Jahre, die das Leben bereits existiert, sind die lebenden (biotischen) und nicht-lebenden (abiotischen) Naturreiche derart hochgradig miteinander verschmolzen, dass »sie eine biogeo-chemische Einheit darstellen, die sich als ein sich selbst regulierendes System verhält.« (Crist und Rinker)2 Mit anderen Worten: Die Organismen gestalten die Umgebungsbedingungen zu ihrem Vorteil. Und erhalten sie auch so. (Dies sind Langzeitwirkungen der planetarischen Evolution, und es ist kein Widerspruch, dass einzelne Arten sich durchaus an gewisse Bedingungen anpassen müssen – entlang der Zeitachse ihrer eigenen Entfaltung.) Um das etwas anschaulicher zu machen:

•Als die Erde jung war, hätte sie all ihr Wasser verloren, wenn nicht Myriaden von Bakterien mit viel Aktivität eingegriffen hätten. Ihr Stoffwechsel setzte freien Sauerstoff frei, und andere Arten entließen Schwefelverbindungen. So konnten die ultraleichten Wasserstoffatome daran gehindert werden, ins All zu entweichen. Ohne Leben gäbe es kein Wasser auf der Erde.

•Landpflanzen und damit auch Landtiere (inklusive der Gattung Mensch) sind abhängig von fruchtbarem Boden. Und solcher existiert nur, weil Bodenbakterien beständig Mineralstoffe aus dem Muttergestein lösen und organisch aufbereiten.

•Wussten Sie, dass 99 Prozent der Atmosphäre von Lebewesen erzeugt wurde? Ein Fünftel der Luft ist Sauerstoff, der per Photosynthese von Pflanzen (auch Algen) ausgeatmet wurde, und vier Fünftel sind Stickstoff, der von Bakterien gereinigt und zur Verfügung gestellt wurde. Ohne Lebewesen wäre die Atmosphäre der Erde ein Gemisch aus giftigen Gasen und zudem kochend heiß. Auf unserer lebenden Erde waren die Bestandteile der Luft vor kurzem noch Teil lebender Zellen.

Bitte beachten Sie, dass in allen drei obengenannten Punkten Bakterien eine wesentliche Rolle spielen; wir kommen noch auf sie zurück. Der letzte Punkt erwähnt die Oberflächentemperatur, und hier haben wir tatsächlich das Musterbeispiel für die Selbstregulierung eines lebenden Planeten.

In dem gigantischen Temperaturspektrum, das im Universum möglich ist – vom absoluten Nullpunkt bis zu Millionen Grad Hitze – ist das Fenster für biologisches Leben äußerst eng: null bis 50°C (mit ein paar Ausnahmen wie thermophilen Bakterien, die bei deutlich höheren Temperaturen in den hydrothermalen Feldern der Tiefsee leben). Da Proteine (Eiweiße) ab 42° gerinnen und Unterkühlung bereits unter 35°C Körpertemperatur einsetzt, haben Menschen und andere Tiere sogar ein noch engeres Fenster. Pflanzen können am besten bei 23°C Photosynthese betreiben, das kommt also als eine optimale Temperatur für das Festland auf den planetarischen Wunschzettel. Und das Ideal für die Ozeane sind 10°C oder etwas darunter, weil dies die effektivste Durchmischung der Oberflächenwasser mit den tieferen Schichten ermöglicht: Die Konvektion wirbelt Nährstoffe aus den unteren Wasserschichten nach oben und trägt Sauerstoff und CO2 aus dem oberen Bereich in die Tiefe. Für Meer und Land zusammen ist die optimale globale Durchschnittstemperatur etwa 15°C. Dies ist die ideale Arbeitstemperatur für den Planeten Erde.

Als die Erde noch jung war, war ihre eigene Hitze für Lebewesen viel zu hoch. Auch als das magmatische Innere sich abkühlte, blieb die Oberfläche des Planeten aufgrund der Treibhausgase in der Atmosphäre (vorwiegend vulkanisches CO2) noch lange sehr heiß. Aber über Hunderte von Millionen Jahren hat die unermüdliche Arbeit (Photosynthese) von Mikroorganismen und Pflanzen die Atmosphäre allmählich verändert – und mit ihr die Temperaturen, bis sie so waren wie heute. Aber das Überraschende ist dies:

Astrophysiker sagen uns, dass seit das Leben vor 3,8 Mrd. Jahren erschien, der Energieausstoß der Sonne um 25 Prozent zugenommen hat. Wie wir jedoch aus Geologie, Paläontologie und anderen Erdwissenschaften wissen, war das Leben seit seinem Anbeginn ununterbrochen gegenwärtig, was bedeutet, dass die Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche immer nahe an 15° gelegen haben muss.

Die Entdeckung in den 1970ern, dass der Planet eine offensichtliche Fähigkeit zur Selbstregulierung der Temperatur hat, führte zu einem neuen Wissenschaftsbereich: der interdisziplinären Erdsystemwissenschaft (Earth system sciences). Der lebende Planet wird nun als ein verwobenes Netzwerk aus Ökosystemen gesehen, das innewohnende Fähigkeiten zur Selbstregulierung und Selbsterhaltung hat. Dieses Netzwerk wurde Gaia genannt, nach der altgriechischen Urgöttin der Erde. Im naturwissenschaftlichen Kontext ist Gaia mehr als ein Synonym für die Biosphäre. Gaia ist die Gesamtheit der materiellen Erde und aller ihrer Biota (Lebewesen). Dieses »großartige organische Ganze« ist imstande, die Temperatur und die chemischen und physischen Bedingungen der Erdoberfläche im lebensfreundlichen Bereich zu halten. Dafür arbeiten die vernetzten Lebenssysteme der Ökosphäre; die Energie dafür wird vom Sonnenlicht gespendet.3

Gaia-Theorie und Erdsystemwissenschaft

1973 veröffentlichte der britische Wissenschaftler James Lovelock, der seit Jahren für das NASA Mars-Projekt arbeitete, seine erste Studie zum Planeten Erde als komplexen Superorganismus. Die »Gaia-Hypothese« hatte keinen einfachen Start, weil sie verschiedenste Disziplinen wie Biologie, Geologie, Ozeanographie, Paläontologie, Mineralogie, u.v.a. in eine einzige Systemtheorie zusammenführte. In einem Zeitalter, in dem die westliche Wissenschaft äußerst »reduktionistisch« ist, d.h. alles in immer kleinere Teile zerlegt (die Biologie allein hat über dreißig Bereiche), war Lovelocks ganzheitlicher Ansatz, den Planeten Erde zu verstehen, eine gewaltige Provokation – besonders für die Neo-Darwinisten, die u.a. konterten, ein Planet könne sich nicht »entwickeln«, wie es Lebewesen tun.

Dennoch begann mit dem Gaia-Ansatz die Entwicklung der Erdsystemwissenschaft, die heute über dreißig Disziplinen zusammenbringt. Um die Jahrtausendwende reifte die Gaia-Hypothese zur Gaia-Theorie und ist nun allgemein akzeptiert. Besonders erwähnenswert ist die Bedeutung der Gaia-Prinzipien in der sich rasant entwickelnden Klimawissenschaft. Noch 2012 wurden die Computermodelle der Klimatologen zu recht dafür kritisiert, dass sie die Einflüsse der Biota, z.B. des Amazonas-Regenwaldes oder der Meereslebewesen, auf das globale Klima nicht angemessen berücksichtigten.4 Seither hat die Klimatologie (unter dem Druck der Vorboten der Klimazerrüttung) viele der Gaia-Sichtweisen über wechselseitige Erdfunktionskreisläufe übernommen. Die moderne Klimatologie kann man nicht mehr von der Gaia-Perspektive trennen.

Doch es geht nicht nur um Temperatur. Viele physikalische Eigenschaften des Erdsystems bedürfen eines fein abgestimmten Gleichgewichts:

•Temperaturen, Wetter und Klima weltweit;

•der Salzgehalt der Meere;

•der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre;

•das (chemische) Reduktionspotential, bes. der atmosphärischen Gase;

•die Luftelektrizität;

•der Säuregehalt von Luft, Wasser und Böden;

•die Verfügbarkeit von Wasser auf den Kontinenten;

•die Verteilung der Mineralnährstoffe;

•die Stärke der kosmischen Strahlung.

Das Netzwerk der Ökosysteme und ihrer Lebewesen ist eng verflochten (wie die Organe in unseren Körpern), und der planetarische »Stoffwechsel« von Materie und Energie erhält Gaias aktive Regulierung der obengenannten Faktoren. So ist es kein Wunder, dass Gaia auch Superorganismus genannt wurde. In der Wissenschaft ist dieser Begriff für Gaia allerdings umstritten und daher weitgehend wieder verworfen worden, weil nach biologischer Definition ein Organismus fähig sein muss, Nachkommen zu zeugen, so dass sich über Generationen die Art durch Vererbung und Anpassung evolutionär »entwickeln« kann. Es ist natürlich wahr, dass Planeten keine »Nachkommen« haben, aber zweifellos entwickelt sich die Erde eben doch (siehe nächsten Abschnitt).

Für den allgemeinen Sprachgebrauch jedenfalls ist der Begriff schön und praktisch. Gerade so, wie die Zellen unseres Körpers Organe und Gewebe bilden, die zusammenarbeiten und kommunizieren, um den Stoffwechsel des Körpers zu ermöglichen, so bilden die Tiere und Pflanzen Ökosysteme, die zusammenarbeiten und kommunizieren, um den Stoffwechsel der Erde zu ermöglichen. Ameisen- und Bienenstaaten gelten als Superorganismen, der menschliche Körper ist einer, und auch menschliche Gesellschaften sind Superorganismen. Und ebenso Gaia. In all diesen wirken die einzelnen Elemente zusammen und bilden ein Ganzes, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Sowohl die Erde als auch unsere Körper werden von Myriaden von Bakterien bewohnt, deren ständige Aktivität dem Organismus das Lebendigsein ermöglicht.

Und haben indigene Völker nicht schon immer eine organische Sicht der Erde gehabt, Bäche und Flüsse ihre Blutadern genannt, den Wind ihren Atem, die Felsen ihre Knochen? Und genau diese sind die drei Domänen Gaias: das Meer, die Atmosphäre und das Gestein der Erdkruste.

Das Meer

Das Leben kommt aus dem Meer. Und das Meer ist immer noch das reichste Ökosystem der Erde und weist die höchste Artenvielfalt auf. Und überall ermöglicht das Wasser es den Lebewesen zu leben. Wenn sie sich im Sonnenlicht erwärmen, erzeugen die Oberflächenschichten des Meeres riesige Mengen an Wasserdampf, der zu Wolken kondensiert, die schließlich lebensspendenden Regen auf die Kontinente tragen werden (auch wenn der größere Teil wieder ins Meer zurückregnet).

Aber wie feucht die Luft auch sein mag, Wolken säen sich nicht selbst. Es sind die großen Algenfelder, die bestimmte Substanzen freisetzen, die als Kondensationskerne für die Wolkenbildung fungieren. Des weiteren gehören die Meere zu den Hauptakteuren bei der Regulierung des globalen Klimas: Die Ozeane absorbieren atmosphärisches CO2 und sind der wichtigste Kohlenstoffspeicher der Welt, und die weißen Meereswolken haben eine hohe Albedo (Reflektionskraft), die Sonnenenergie wieder ins All zurückschickt und damit den Planeten kühlt (siehe Kapitel 5).

Die Luft

Mit all ihren Bestandteilen von Lebewesen selbst erzeugt, ist die Atmosphäre eine perfekte Matrix für den Stoff-Austausch – zwischen Lebewesen ebenso wie zwischen Ökosystemen. Gase, Flüssigkeiten und feste Körper können durch dieses Medium miteinander geteilt und transportiert werden. So können die nicht-maritimen Lebewesen Nahrung finden und ihre Abfallstoffe ausscheiden. Und wie die Rinde eines Baumes beschützen die Schichten der Atmosphäre die lebendige Erde vor schädlichen Strahlen aus dem Weltraum: So absorbiert die Ozonschicht 97–99 Prozent der ultravioletten Strahlung. Die Atmosphäre ist eine dynamische, aber empfindliche »Schutzhülle, die vom Leben selbst fortwährend repariert und wiederhergestellt wird«, sagt der australische Ökologe Tim Flannery.5

Das Gestein

Das Mineralreich gibt dem biologischen Leben ein Fundament, Schutz und Nahrung. Mikroorganismen beschleunigen die Verwitterung von Gesteinen erheblich. Die Zersetzung von Basaltgestein z.B. ereignet sich unter Mitwirkung von Mikroorganismen eintausendmal schneller als unter sterilen Bedingungen.6 Wir denken gewöhnlich, dass die Gesteine der Erdkruste durch Vulkanismus und andere geologische Kräfte verändert werden, aber 75 Prozent der Energie, die weltweit Oberflächengestein verändert, wird von Lebewesen aufgebracht: Pflanzen, Flechten und v.a. Bakterien. Die Auswirkungen ihrer mikroskopischen Arbeit am Gestein sind dreimal größer als die sämtlicher Vulkane der Welt.7 Mikroben dringen tief in die Gesteinsschichten ein und zersetzen ihre Umgebung mit Hilfe der Säuren, die sie ausscheiden. Manche der so freigesetzten Mineralstoffe werden noch weiter zu organischen Verbindungen umgebaut, die die Pflanzen dann als Nährstoffe aufnehmen können. So bereiten Mikroorganismen die Grundlage für Mutterboden, eines der großen Kraftwerke des Lebens. Einige Mineralstoffe werden durch den Regen aus dem Boden gewaschen und finden ihren Weg in den Wasserzyklus, wo sie auch den aquatischen Lebewesen als Nahrung dienen können.

Die Wälder

Die Wälder nehmen eine besondere Stellung ein. Sie gehören nicht zu den abiotischen Ur-Reichen wie die Hydro-, die Atmo- und die Lithosphäre (Meer, Luft und Gestein). Sie sind komplexe Ökosysteme, die Myriaden von Lebewesen einen Lebensraum bieten. Tatsächlich haben Wälder, gleich nach den Ozeanen, die größte Artenvielfalt, die höchsten Umsätze an Biomasse (Blätter, Humus) und den stärksten Einfluss auf regionales und globales Klima. Aber zu Beginn war das Land kahl und öde…

Nachdem das Leben das Meer verlassen hatte, konnten sich die Amphibien nur an den Küsten und entlang der Flussläufe ausbreiten. Damit das Leben die Kontinente besiedeln konnte, bedurfte es einer reichen Wasserversorgung im Binnenland, in jeglicher Entfernung vom Meer. Es war ein Wassertransport landeinwärts nötig. Regenwolken sind ja wundervoll, aber nach spätestens 600 km haben sie ihre nasse Fracht abgegeben.8 Wie konnte das Leben weiter landeinwärts vordringen? Die Lösung war eine biologische: die Evolution des Waldes – einer kontinuierlichen Pflanzendecke, die aus möglichst großen Pflanzen (Bäumen) besteht und in engem Wechselspiel mit einer Fülle von Bewohnern reiche ökologische Gemeinschaften wachsen lässt. Wälder sind verantwortlich für die ursprüngliche Ansammlung von Wasser auf den Kontinenten in der geologischen Vergangenheit und auch für deren stetigen Erhalt seither.

Die Unterwelt

Die Erdkruste ist eine (mehr oder weniger) feste Schale um das Erdinnere, welches heißer ist und in ständigem Fluss. Die Schicht unter der Kruste wird Erdmantel genannt. Sie besteht aus Silikatgestein, welches weitgehend fest ist; aber in geologischer Zeit verhält es sich wie eine viskose Flüssigkeit. Die Kruste ist geteilt in eine Anzahl von Platten, die sich langsam mit- oder gegeneinander bewegen. Nebeneffekte dieser Plattenbewegungen sind Erdbeben, Vulkangürtel und Bergketten.

In den »konvergenten« Zonen auf dem Meeresboden, in denen eine Platte unter eine andere abtaucht (Subduktion), werden Basalt- und Sedimentschichten in die Erde zurückgeführt. Hier sinken Basaltgesteine in Tiefen von 400 bis 650 Kilometern, wo sie durch Druck (durch das Gewicht der darüberliegenden Gesteine) und Hitze (durch Nuklearprozesse im Erdinneren) umgeschmiedet werden. Und eines Tages werden sie in den »divergenten« Zonen vulkanischer Aktivität wieder als frischer Basalt erscheinen.9 Wenn sich jedoch eine ozeanische und eine kontinentale Platte treffen, wird die letztere nach oben geschoben (weil kontinentale Platten leichter sind), und es entstehen Gebirge. Am unteren Rand bildet sich neuer kontinentaler Granit. Ohne diesen Prozess würden die Kontinente über mehrere Zehnmillionen Jahre durch Verwitterung vollständig verschwinden.

Bei seiner Entstehung in den divergenten Zonen wird der Meeresboden-Basalt stark mit Wasser durchsetzt. Dadurch ist er später bei der Subduktion überhaupt biegsam genug. Auch die Metamorphose organischer Kalksteinablagerungen schafft ein zusätzliches »Gleitmittel«. Da für diese Prozesse – die eine Voraussetzung dafür sind, Kontinente entstehen zu lassen – große Mengen an Wasser benötigt werden, und weil es ohne das Leben auf der Erde weder Kalksteinablagerungen noch Wasser gäbe, können wir sagen, dass das Leben (zusammen mit der Wärme aus dem Erdinneren) seit jeher zur Entstehung der Kontinente beiträgt. Die kreisförmige Gaia-Dynamik ist: ohne Leben kein Wasser > ohne Wasser keine Plattentektonik > ohne Plattentektonik kein Leben.10

Und indem sie die vulkanische Aktivität und Bildung der Kontinente antreibt, wird durch die Plattentektonik auch Kohlenstoff an die Atmosphäre abgegeben, was verhindert, dass die Erde in einen dauerhaft gefrorenen Zustand eintritt.

Das gesamte Erdsystem einschließlich seiner mächtigen geologischen Prozesse wird zunehmend als den Lebensprozessen innewohnend anerkannt. Der Wissenschaftsjournalist Richard Monastersky schreibt im New Scientist: »Es ist nun klar, dass die einzelnen Regionen (Kruste, Mantel und Kern) in ein mehrkanaliges Gespräch verwickelt sind. Über wichtige Grenzlinien und Tausende von Kilometern hinweg haben diese Bereiche tiefgreifende Auswirkungen aufeinander.« Im selben Artikel sagt der Seismologe Don Anderson: »Man muss die Erde als System behandeln; man kann nicht nur einen Teil davon betrachten.« Und die Evolutionsbiologin Elisabet Sahtouris kommt zu dem Schluss, dass »wir die Biosphäre nicht mehr allein als bedeutungsvolle Einheit betrachten können, sondern von der ganzen Erde sprechen müssen, vom innersten Kern bis zu den sie umgebenden Magnetfeldern, als eine systemische Einheit«.11

Das Salz der Erde

Salze, die durch die Verwitterung von Gesteinen freigesetzt werden, werden von Flüssen transportiert und sammeln sich im Meer an. Die gelösten Mengen sind winzig (daher schmecken wir kein Salz im Süßwasser), es dauert etwa 60 Millionen Jahre, bis die Flüsse der Welt den gesamten Salzgehalt des Weltenmeeres transportiert haben. Im Meerwasser variiert der Salzgehalt zwischen 3,1 und 3,8 Prozent und beträgt durchschnittlich 3,4 Prozent (d.h. 100 Gramm vollständig verdampftes Meerwasser lassen 3,4 Gramm Salz übrig). 90 Prozent des Meersalzes sind Natrium (Na+) und Chlor (Cl–), andere Elemente sind Sulfat (SO42-), Magnesium (Mg2+), Calcium (Ca2+) und Kalium (K+).

Lebende Zellen kontrollieren ihren inneren Salzgehalt mit komplizierten Ionenpumpen in ihren Membranen. Sie müssen ihren inneren osmotischen Druck in Bezug auf ihre Umgebung und ein inneres elektrisches Potential, das ihre Stoffwechselprozesse begünstigt, aufrechterhalten. Der Salzgehalt der Meere von 3,4 Prozent ist einfach perfekt fürs Leben. Die maximale chemische Sättigung von Natrium und Chlor ist zehnmal höher, und wenn der Salzgehalt im Meer 5 Prozent übersteigt, würden die Zellmembranen in Stücke gerissen, und nach dem Verschwinden von Plankton würde alles Leben im Meer sterben. Die geologische Analyse der Sedimentgesteine hat gezeigt, dass sich die Salzkonzentrationen in den Ozeanen in den letzten 570 Millionen Jahren nicht verändert haben, und wir wissen durch die Fossilien auch, dass das Leben in den Ozeanen durchgehend anwesend war. Also, wo bleibt das ganze Salz? Was genau regelt den Salzgehalt der Ozeane?

Eine naheliegende Antwort ist die Plattentektonik. Die riesigen Mengen an Wasser, die vom Basalt aufgenommen und in den oberen Bereich des Erdmantels zurückgeschmolzen werden, sind natürlich Salzwasser. Aber alle Versuche, den stetigen Salzgehalt der Ozeane allein »auf der Grundlage von Chemie und Physik« nachzubilden, sind weltweit gescheitert.12 Es gibt aber eine andere Dynamik, und wiederum werden wir zu den Lebewesen und zur Bildung von Salzebenen in Lagunen und Meeresbecken geführt. In Lagunen und abgeschlossenen Meeresbecken in wärmeren Regionen verdunstet Meerwasser. Auf diese Weise bilden sich mächtige Salzablagerungen. Dichte Matten einiger Bakterienarten bilden einen organischen Film über dem Salz; so ist es nicht mehr wasserlöslich, und die zurückkehrende Flut kann die Salzablagerung nicht auflösen. Große sogenannte Evaporitvorkommen von Salzgestein (Halit) gibt es in den USA, Kanada, Pakistan und Großbritannien. Darüber hinaus sind Salze auch in den Schalen toter Meerestierchen eingeschlossen und gelangen mit deren Absinken in die Sedimente des Meeresbodens. Und Algen setzen Chlormethan in die Atmosphäre frei (vgl. Schwefelkreislauf, Kapitel 3).

Doch ein wesentlicher Teil der Entsalzung geschieht durch Bakterien im Sedimentschlamm. Die geringe Größe der Bakterien lässt uns ihre ökologische Bedeutung falsch einschätzen. Zum einen ist da ihre schiere Anzahl: »Ein tausendstel Liter Sedimentschlamm kann bis zu 100 Millionen salzpumpende Bakterien enthalten.« Und zweitens ihre riesige kollektive Oberfläche: Obwohl Bakterien nur 10–40 Prozent der Biomasse im Meerwasser ausmachen, »stellen sie aufgrund ihres hohen Oberflächen-Volumen-Verhältnisses 70–90 Prozent der biologisch aktiven Oberfläche dar« (Hinkle).13

Flannery resümiert die Situation des Lebens auf der Erde: »Wir können uns die Erdkruste als eine Art Anker vorstellen, wie die Bodenschale einer Auster, die sich das Leben selbst schuf, um sich in ihr zu verankern. Analog können wir uns die Atmosphäre als einen Seidenkokon vorstellen, den sich das Leben spann, um sich zu schützen und zu ernähren.«14 So schafft sich das Leben einen Raum zwischen dem tödlichen (radioaktiven) Feuer des Planeteninneren und den tödlichen kosmischen Strahlen.

Kapitel 2

Ursprünge

Kosmisch

Der Blick auf den Ursprung unseres Planeten im Makrokosmos hilft uns, die Beziehung der Erde zum Universum und ihre Rolle als selbstorganisierende und sich entwickelnde Einheit zu verstehen.

Mit dem Urknall soll vor etwa 15 Milliarden Jahren die Existenz des Universums begonnen haben. Energie und Materie sowie Raum und Zeit erschienen aus dem Nichts (oder aus einer anderen Dimension) in einem Moment der Schöpfung. Nach der Initialzündung kondensierte die Urenergie zu Elektronen, Protonen und Neutronen, und mit weiterer Abkühlung verschmolzen diese Partikel zu Wasserstoffatomen.

Der Urknall produzierte keines der schwereren Elemente. Sie wurden viel später geschmiedet, als Sterne geboren wurden. Deren Schwerkraft begann, Wasserstoffkerne zu Helium zu verschmelzen. Dieser Prozess setzt große Mengen an Energie frei, teils als sichtbares Licht. Das Universum erstrahlte mit der Brillanz der Sterne, und in den ersten paar Milliarden Jahren entstanden keine anderen Elemente. Aber als die Sterne alterten, wuchsen Druck und Hitze in den größten, und es bildeten sich schwerere Elemente. Kohlenstoffatome entstehen (immer noch), wenn Gruppen von drei Heliumkernen fusionieren. Als die Sterne noch weiter alterten, entstanden aus der Verschmelzung von Kohlenstoff dichtere Elemente wie Natrium, Magnesium, Sauerstoff und Eisen. Nur die größten Sterne schufen noch schwerere Elemente als das Eisen.

Schließlich sterben Sterne, indem sie zuerst zusammenbrechen und dann explodieren. Diese Explosionen (Supernovae) schicken riesige Mengen von Wasserstoff und den anderen frühen Elementen – inzwischen auch Schwefel und Phosphor – in den interstellaren Raum. Einige der elementaren Wolken, die sich aus diesen langsam gebildeten neuen Sternen ergeben, führen zu neuen Supernova-Explosionen und neu synthetisierten Elementen. Vor etwa 4,5 Milliarden Jahren entstand unser Sonnensystem aus dem gravitationalen Kollaps einer riesigen interstellaren Molekülwolke. Alles auf der Erde besteht aus Wasserstoffatomen, die so alt wie das Universum sein könnten, und aus schwereren Elementen, die in sterbenden Sternen (oft mehr als einer Generation) geschmiedet wurden. Felsen, Wasser, Luft, Bäume, Menschen, Vögel, Delphine, Pilze – wir sind alle aus Sternenstaub.

Planetarisch

Von Anfang an umkreist unser Heimatplanet die Sonne in genau der richtigen Entfernung für gütige Wärme- und Strahlungswerte. Er hat genau die richtige Größe und damit Schwerkraft, um das Weltenmeer und die schützende Atmosphäre zu halten. Die Konfiguration und Größen (Massen) der anderen Planeten im Sonnensystem sind so gut abgestimmt, dass ihre Gravitationskräfte die Erdumlaufbahn um die Sonne stabilisieren; wenn eine der Massen der anderen Planeten auch nur etwas anders wäre, könnte die Erdumlaufbahn unter enormen Unregelmäßigkeiten leiden.

Noch ein weiterer glücklicher Umstand kam hinzu, als ein marsgroßer Körper gegen die junge Erde schmetterte und unseren Mond von ihr abspaltete. Der Mond ist für die Erde und ihre Lebensvielfalt von entscheidender Bedeutung, denn ohne das zusätzliche Schwerefeld des Mondes würde die Erdachse chaotisch wackeln. Auch unsere Position in der Galaxie ist perfekt abgestimmt: Die Außenbereiche eines der Spiralarme der Galaxie sind sicher vor den lebensfeindlichen Gammastrahlen, die beim Zusammenbruch von Riesensternen im Zentrum der Milchstraße entstehen.

War es reines Glück, dass sich alle richtigen Bedingungen so einstellten, jede von ihnen gegen jede Wahrscheinlichkeit? Wartete die Materie auf die richtigen Bedingungen, um einen sich entwickelnden, selbstregulierenden Planeten mit einer Vielzahl von Lebensformen hervorzubringen? Mit den Worten des Ökologen Stephan Harding: »Die Materie ist bestrebt, sich in die Fülle des Lebenszustandes zu entfalten.«1

Als die Erde noch jung war, war sie ein ganz anderer Planet als der, den wir heute kennen. Die Ausgasungen der Vulkane führten zu chemischen Reaktionen mit Wasser, in denen der hochreaktive Sauerstoff den Wassermolekülen entrissen wurde. So stiegen die Wasserstoffatome durch die Atmosphäre auf und verließen – da Wasserstoff das leichteste Atom überhaupt ist – das Gravitationsfeld der Erde für immer. Über ein bis zwei Milliarden Jahre hätte die Erde ihr ganzes Wasser verloren – wie ihre Nachbarn Venus und Mars – und wäre unwiderruflich ein toter Planet geworden.

An diesem Punkt begannen Gaias selbstregulierende Kräfte, sich zu zeigen: Das Leben erschien auf der Erde und veränderte die Entwicklung des Planeten. Es entstanden zwei Gruppen von Bakterien, die in der Lage waren, den Wasserstoff der Erde zu binden: Eine Gruppe konnte Energie gewinnen, indem sie Schwefelwasserstoff in der Nähe des Meeresbodens freisetzte.2 Eine andere Gruppe erfand die Photosynthese, indem sie Sauerstoff aus CO2 nahm und für die Bildung neuer H2O-Atome (Wasser) zur Verfügung stellte.3 So konnte das Wasser der Erde gerettet werden.4

Als nächstes musste das Meer gereinigt werden. Die frühen Ozeane waren ein giftiges Gebräu, das u.a. hohe Konzentrationen von Metallen wie Eisen, Chrom, Kupfer, Blei und Zink enthielt. Mikroorganismen begannen, Metalle als Katalysatoren zu verwenden, was ihren Stoffwechsel beschleunigte. Wenn sie starben, deponierten ihre Körper winzige Mengen an Metallen auf dem Meeresboden. Auf lange Sicht reinigte dies die Ozeane von den gelösten Metallen und bildete Sedimente mit Metallerzablagerungen. Auf ähnliche Weise schufen Mikroorganismen Mineralöl- und Gasreserven (fossile Brennstoffe).5

Freier Sauerstoff war sehr selten, als die Erde noch jung war; er war nur ein Spurenelement in der Atmosphäre. Photosynthetisierende Bakterien und später ihre Nachfolger, die Algen und Pflanzen, brachten den Sauerstoffgehalt der Luft von nahezu Null auf den heutigen Wert von 21 Prozent. Als sich nennenswerte Mengen von Sauerstoff in der Luft ansammelten, begann ein ganz neues Kapitel der Erdgeschichte. Zuerst oxidierte der rastlose Sauerstoff das Methan, das zuvor die Atmosphäre dominiert hatte. Die Sauerstoffzunahme löste (durch die Freisetzung zuvor seltener Nährstoffe) die Entwicklung von immer komplexeren Landpflanzen aus. Die wiederum erzeugten immer mehr Sauerstoff – besonders bemerkenswert sind die riesigen Wälder der Karbonzeit (vor ca. 360–300 Mio. Jahren). Sobald die Luft mindestens 10 Prozent Sauerstoff enthielt, konnten sich größere Tiere entwickeln.

Durch die riesigen Wälder der Karbonzeit schossen die Sauerstoffproduktion und die Kohlenstoffgewinnung quasi über das Ziel hinaus: Ein Sauerstoffgehalt von etwa 30 Prozent und sinkende CO2-Werte (aufgrund der Absorption durch die Megaflora) führten zu einer riesigen – durch die Prozesse der Erde selbst erzeugten – Eiszeit. Die erste Abkühlung vergrößerte die Gletscher und polaren Eiskappen, und ihre vermehrte Albedo (Reflektion von Sonnenenergie) führte zu positiven Rückkopplungen (siehe Kap. 5), die die Erde weiter abkühlten. Auf dem Höhepunkt dieser Eiszeit6 war die Welt 10 Grad kälter. Gaia brauchte mehrere zehn Millionen Jahre, um zu einem ausgeglichenen Klima und ausgeglichenen Sauerstoff- und Kohlenstoffgehalten zurückzukehren. Das geschah nie wieder; alle späteren Eiszeiten hatten astronomische Ursachen (siehe Kasten).

Unregelmäßigkeiten

Einige der astronomischen Unregelmäßigkeiten der Bewegung der Erde um die Sonne haben auch Auswirkungen auf das Klima der Erde:

•Die Gestalt der Erdumlaufbahn oszilliert zwischen eiförmig und kreisförmig, in einem Rhythmus von etwa 100.000 Jahren (Exzentrizität).

•Die Erdachse steht in einem Winkel zur Bahnebene; er schwankt zwischen 22,1 und 24,5° im 41.000-Jahres-Zyklus (Schiefe der Ekliptik). Wir sind derzeit bei 23°44‘.

•Die Spitze der Erdachse pendelt ein wenig (Präzession), so dass ihre Projektion in einem Zyklus von 25.770 Jahren um den Tierkreis wandert; derzeit zeigt der Nordpol auf den Nordstern (Polaris).

Diese Schwankungen bestimmen die Verteilung der Sonnenenergie auf dem Planeten. Die Exzentrizität wird als Haupttreiber für den Rhythmus der Eis- und Warmzeiten angesehen.7

Abb. 1. Die Unregelmäßigkeiten der Erdumlaufbahn

Kapitel 3

Die Elemente und Kreisläufe

Die Elemente

Der Blick auf die Grundlagen unseres Planeten im Mikrokosmos hilft uns, die Beziehung der Erde zur Materie und ihre Rolle als selbstorganisierende und sich entwickelnde Einheit zu verstehen.

Biotische (biologische) und abiotische (nicht-biologische) Wesen bestehen gleichermaßen aus komplexen Molekülen, die aus den chemischen Elementen des Universums gebildet werden. Die kleinsten Einheiten der chemischen Elemente sind die Atome. (Die Quantenphysik können wir hier ignorieren.) Es ist weithin bekannt, dass Atome vor allem leerer Raum sind (99,99 Prozent), und dass diese »Bausteine der Materie« nicht aus Materie bestehen, sondern aus Energie, aus positiver und negativer Ladung. Nach dem gängigen Atommodell haben die meisten Atome von Natur aus nicht den vollen Satz an Elektronen in ihrer Außenbahn. Und sie tun alles, was sie können, um es zu vervollständigen. Das können sie nicht allein, so dass sie miteinander interagieren und dabei Moleküle und immer komplexere Molekularstrukturen bilden. So sind schon früh in der Schöpfung die Würfel zugunsten von Kommunikation und Vernetzung gefallen.

Aristoteles sagte, dass das Universum von zwei mysteriösen Kräften regiert wird – Anziehung und Abstoßung. Das gesamte materielle Universum, die gesamte Physik, Chemie und Biologie wären ohne diesen grundlegenden Tanz der Gegensätze nicht möglich. Und Atome, wie auch Menschen, versuchen ständig, Erfüllung zu finden. Wir müssen sie nicht unbedingt als tote, mechanische Einheiten betrachten; sie haben einige eigentümliche Eigenschaften. Natürlich verhalten sie sich immer exakt gleich, wenn sie auf eine bestimmte physikalische oder chemische Situation treffen. Egal, wo im Universum, sie folgen immer den Gesetzen der Physik (vermutet man zumindest). Aber nichts existiert in völliger Isolation, alles hängt von den Beziehungen zu allem anderen ab. Und bei Atomen geht es sehr stark um Beziehungen. Verschiedene Beziehungen offenbaren ihre unterschiedlichen Seiten, die für uns oft erstaunlich und nur dann vorhersehbar sind, wenn man weiß, was kommt.

Nehmen wir zum Beispiel Wasserstoff und Sauerstoff. Wasserstoff ist das Zeug, das die Sonne zum Brennen bringt, mit einer Hitze von 5.500°C an der Oberfläche und Millionen von Grad im Kern. Und Sauerstoff ist ein so gefährliches Reaktionsgas, dass, wenn wir nur 4 Prozent mehr davon in der Atmosphäre hätten, die gesamte Erdoberfläche in Flammen aufgehen würde. Und was ist das Ergebnis, wenn diese beiden wilden, ursprünglichen Feuergeister kombiniert werden – zwei Wasserstoff- und ein Sauerstoffatom? Kühles, weiches, lebensspendendes Wasser! Wenn das keine Überraschung ist, was dann?

Es gibt sechs Elemente, die für das Leben essentiell wichtig sind. Es sind Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Phosphor und Schwefel.

Dem Kohlenstoff (C) fehlen nicht weniger als vier Elektronen in der äußeren Elektronenhülle, was ihn zu einem »hochkooperativen und intensiv sozialem Wesen« macht, wie der Ökologe Stephan Harding sagt.1 Kohlenstoff bildet komplexe Strukturen mit Sauerstoff, Stickstoff, Phosphor und anderen Atomen. Daraus bestehen die DNA und Proteine, womit Kohlenstoff zur chemischen Grundlage des Lebens gehört. Darüber hinaus verspeisen wir Kohlenhydrate (Zucker, Stärke und Zellulose im Gemüse) und kleiden uns in sie (Baumwolle, Leinen, Hanf). Bäume haben eine Kohlenstoff-Architektur, die Hälfte des Gewichts von getrocknetem Holz ist reiner Kohlenstoff. 18,5 Prozent des Gewichts des menschlichen Körpers sind Kohlenstoff.

Kohlenstoff ist in zwei der wichtigsten Treibhausgase enthalten: Kohlendioxid (CO2) und Methan (CH4). Das dritte ist Wasserdampf. Sie beeinflussen das globale Klima, das Pflanzenwachstum und damit die Sauerstoffproduktion.

Wasserstoff (H) ist das kleinste und einfachste Atom, das es gibt; es hat nur ein Elektron. Ein Wasserstoffatom kann sich entweder mit einem zweiten verbinden und ihre Elektronen als Wasserstoffmolekül (H2) teilen. Oder es kann sein einziges Elektron für immer an einen anderen Wasserstoff abgeben: Dann wird der Spender zu einem positiv geladenen Ion (H+) und der Empfänger ein negativ geladenes Ion (H-). »Wasserstoff ist ein luftiges, leichtsinniges Wesen, das nichts lieber hätte, als unserem Planeten ganz zu entkommen und zu seinen Ursprüngen im All zurückzukehren.« (Harding2) Die Erde würde ihr ganzes Wasser verlieren, wenn es nicht die unzähligen Lebewesen gäbe, die genügend Sauerstoff liefern, um zu verhindern, dass Wasserstoff entweicht. Ohne Wasser gäbe es kein Leben – und ohne Leben gäbe es kein Wasser.

Abb. 2: Das Wasserstoffatom und seine Ionen

Stickstoff (N) ist sterngeboren und ebenfalls von Anfang an Teil der Erde. Die stabilsten chemischen Beziehungen geht er mit sich selbst ein. Wenn zwei Stickstoffatome verbunden sind, ist es quasi »für immer«, und es ist viel Energie notwendig, sie wieder zu spalten. Stickstoff (N2) ist sehr unreaktiv. Wenn der Mensch es spalten will, um Kunstdünger herzustellen, bedarf es einer Temperatur von 500 °C und eines Drucks, der 1000 mal höher ist als der normale Atmosphärendruck. Aber Bodenbakterien erfüllen die gleiche Aufgabe mühelos, bei »Raumtemperatur« und ohne die Gewässer, die Lebenswelt zu verseuchen.

Als Schlüsselelement in Proteinen und DNA ist Stickstoff lebenswichtig, vor allem für Tiere: Während Pflanzen im wesentlichen Kohlenstoffstrukturen sind, zeichnen sich Tiere wie wir durch eine Stickstoffarchitektur aus.

78 Prozent der Erdatmosphäre besteht aus Stickstoff.

Sauerstoff (O) ist ein hoch reaktiver Stoff. Weil er sich so vehement mit allem verbindet, war er auch so selten in der Atmosphäre der frühen Erde. Vor über 3,5 Mrd. Jahren begannen Cyanobakterien durch Photosynthese freien Sauerstoff zu produzieren. Das konnte den Sauerstoffverbrauch durch tektonische und vulkanische Aktivität zwar lange Zeit nicht kompensieren, aber schließlich trug die unermüdliche Aktivität der Mikroorganismen Früchte, und der freie Sauerstoff nahm zu.

Unser gesamter Säugetier-Stoffwechsel hängt vom Sauerstoff ab: Er wird als oxidativer Stoffwechsel bezeichnet, weil unser Körper die zugeführten Lebensmittel mit Sauerstoff verbrennt und daraus Energie gewinnt. Doch dabei ist Sauerstoff eine ständige Gefahr, denn als Nebeneffekt sind unsere Zellen den toxischen Auswirkungen von freien Sauerstoff-Radikalen ausgesetzt. Von unseren fernen bakteriellen Vorfahren haben wir jedoch eine Reihe von Taktiken geerbt (Antioxidantien), um mit diesen Radikalen umzugehen. Aber der Preis ist hoch: Der oxidative Stress der Zellen gilt als ein Schlüsselfaktor der Alterung. Von Sauerstoff zu leben ist, wie mit dem Feuer zu spielen…

Von allen Elementen steht besonders Sauerstoff mit der Entflammbarkeit in Verbindung. Bei weniger als 15 Prozent Sauerstoff in der Luft würde nichts brennen (aber wir würden es nicht bemerken, weil unser Gehirn sich abgeschaltet hätte), aber bei 25 Prozent entzündet sich die reine Luft, und selbst das feuchte Holz und die nassen Blätter eines tropischen Regenwaldes würden verbrennen.3

Phosphor (P) ist für Lebewesen absolut unentbehrlich. Es wird nicht nur im Aufbau von DNA und RNA sowie für den Energietransport in der Photosynthese benötigt, sondern verbindet sich auch mit Kohlenstoff und Stickstoff zu dem ATP-Molekül, das der wichtigste Träger für den Energieaustausch im Körper ist. In der Ökosphäre kommt der Phosphor durch Bodenbakterien in Umlauf, die Phosphatgesteine abbauen. Diese Gesteine wurden vor Millionen von Jahren von marinen Mikroorganismen geschaffen und bilden immer noch eine Lebensgrundlage für die gesamte Ökosphäre.

Schwefel (S) ist ein wesentlicher Bestandteil aller lebenden Zellen. In Pflanzen und Tieren ist Schwefel in bestimmten Aminosäuren und in allen Polypeptiden, Proteinen und Enzymen, die sie enthalten, sowie in Vitaminen und Antioxidantien enthalten. Überraschenderweise ist Schwefel das siebt- oder achthäufigste Element im menschlichen Körper (bezogen auf das Gewicht); ein 70 kg schwerer Mensch beherbergt etwa 140 g Schwefel. Im Stoffwechsel der Erde kommt Schwefel in seiner reinen Form oder als Sulfid- und Sulfatmineral natürlich und reichlich vor.

Viele andere Elemente sind für die Biosphäre entscheidend. Nach den sechs oben beschriebenen Big Playern gibt es drei, die in geringerem Umfang auftreten, aber nicht weniger wichtig für uns und alle Tiere sind:

Calcium (Ca) ist für die Gesundheit der Muskeln, des Kreislaufs und des Verdauungssystems von entscheidender Bedeutung. Es unterstützt die Synthese und Funktion von Blutzellen, reguliert die Muskelkontraktion, die Nervenleitung und die Blutgerinnung. Das Ca2+-Ion bildet stabile Verbindungen mit vielen organischen Verbindungen, insbesondere Proteinen. Calcium spielt eine besondere Rolle bei der Bildung und Erhaltung von Zähnen und Knochen.

Obwohl Calcium lebenswichtig ist, ist es im freien Ionenzustand hochgiftig. Bereits in den frühen Ozeanen begannen Bakterien und mikroskopische Algen, die gefährlichen Calcium-Ionen in unlösliches Calciumcarbonat (CaCO3) umzuwandeln, um Schalen für sich selbst herzustellen. Dadurch wurde nicht nur der gefährliche Calciumspiegel in den Zellen auf das Nötigste gesenkt, sondern auch der Schutz des Organismus an der Außenfläche erheblich erhöht. Später übernahmen höhere Tiere (auch Menschenarten) den gleichen Trick der »Zellhygiene«, indem sie das Calcium in Knochen und Zähne einbauten.

Eisen (Fe) ist das zentrale Atom im Häm-Molekül, das im Hämoglobin (dem Sauerstoffträger in unseren roten Blutkörperchen) und anderen Häm-Proteinen vorkommt, die am Transport von Gasen, am Aufbau von Enzymen und am Transfer von Elektronen beteiligt sind. Eisen ist auch in bestimmten Molekülen enthalten, die Cofaktoren genannt werden und die Enzyme bei biochemischen Umwandlungen unterstützen. Im Stoffwechsel von Gaia ist Eisen als Bestandteil verschiedener Gesteine wichtig, zum Beispiel Hämatit (Fe2O3) und Magnetit (Fe3O4). Überraschenderweise können Lebewesen Magnetit produzieren, winzige Mengen davon finden sich in Bakterien, Insekten, Vögeln, Reptilien, Fischen und Säugetieren, die es für die geomagnetisch unterstützte Navigation verwenden.4 Magnetit wurde auch in verschiedenen Teilen des menschlichen Gehirns gefunden.5

Silizium (Si) neigt dazu, lange Ketten mit anderen Siliziumatomen zu bilden und sich mit Sauerstoff zu verbinden, zum Beispiel im Silikat-Ion (SiO4). Sie verbinden sich wiederum zu Siliziumdioxid (SiO2), das in den hochgeordneten Spiralstrukturen von Quarzkristallen vorkommt. Quarz ist das zweithäufigste Mineral in der Erdkruste und gehört zum Granit-Urgestein der Kontinente. Der menschliche Körper benötigt Silizium für die Herstellung von Elastin (ein hochelastisches Protein für die Blutgefäße) und Kollagen (ein Protein für die Geweberegeneration), weswegen Silizium als gesundheitsfördernd für Nägel, Haare, Knochen und Haut bekannt ist.

Die Kreisläufe

Der Kohlenstoffkreislauf

Als die Erde noch jung war, kamen gigantische Mengen von Kohlenstoff durch die Aktivität von Vulkanen und die Verwitterung von vulkanischem Gestein in die Atmosphäre. Die Meere absorbieren einen großen Teil dieses Kohlendioxids (CO2), und Flüsse tragen weitere Kohlenstoffverbindungen (aus dem Abbau von Gesteinen) zu den Meeren. Der kontinuierliche Kohlenstoffeintrag wird durch Meereslebewesen ausgeglichen, insbesondere Plankton, Algen (wie Emiliania, siehe Kasten am Ende dieses Kapitels) und Korallen, die bei ihrem Absterben große Mengen an Calciumcarbonat (CaCO3, besser bekannt als Kreide) auf dem Meeresboden ablagern. Dort werden ihre Körper Teil der Bodenschichten, die sich im Laufe der Zeit zu Sedimentgestein verdichten: Kalkstein und Kreidegestein (wie die weißen Klippen von Rügen) sind organisch und stammen von Meereslebewesen.

An Land filtern Bäume und Pflanzen große Mengen an CO2 aus der Luft, spalten die Moleküle, geben den Sauerstoff frei und nutzen den Kohlenstoff, um Zuckerverbindungen zu bilden. Diese können die aufgenommene Sonnenenergie transportieren und speichern. Die Pflanzen benutzen es für ihre eigenen Körperfunktionen, und wenn sie sterben, teilen sie es mit anderen Lebensformen.

Da CO2 ein primäres Treibhausgas (THG) ist, spielen die Biota (Wälder und Landvegetation, Plankton, Algen, Korallen, aber auch Weich- und Krustentiere) durch ihren Beitrag zur Schaffung von Kohlenstofflagerstätten eine große Rolle bei Gaias Management des globalen Klimas. Aufgrund ihrer Mikroflora sind die Ozeane die weltweit größten CO2-Speicher.

Aber auch ein Planet, der nur von Pflanzen bevölkert ist, könnte nicht lange leben. In wenigen Millionen Jahren würden die Pflanzen das CO2 in der Atmosphäre auf ein gefährlich niedriges Niveau absenken und durch den Verzehr der Decke, die die Erde warm hält, den Planeten in einen dauerhaft gefrorenen Zustand versetzen (Snowball Earth genannt).6 Hier kommen wir Menschen und andere Tiere ins Spiel, und noch mehr die »Fermentierer«, die Aasfresser der Bakterienwelt, die von der ausgeschiedenen Materie oder den Leichen der »Primärproduzenten« (die sich durch Photosynthese ernähren) leben. Alle »Verbraucher« (Menschen, Tiere, Bakterien) verwenden organische Substanzen von Pflanzen und anderen Primärproduzenten wie Algen und Bakterien, und geben einen Teil des Kohlenstoffs wieder an die Atmosphäre ab. So findet der Kohlenstoffkreislauf sein Gleichgewicht.

Abb. 3. Der natürliche Kohlenstoffkreislauf

1 Vulkanische Aktivität setzt CO2 in die Atmosphäre frei. 2 Landpflanzen nehmen CO2 auf, Kohlenstoff wird in ihren Körpern gebunden und im Boden gespeichert. 3 Flüsse transportieren Kohlenstoffverbindungen ins Meer. 4 Ein großer Teil des vulkanischen CO2 wird vom Meer aufgenommen. 5 Algen und andere Meeresbewohner fixieren Kohlenstoff entweder durch Photosynthese oder durch die Bildung von Schalen, die Kohlenstoff mit Kalzium (CaCO3) verbinden. 6 Myriaden von toten Muscheln sinken auf den Meeresboden, und diese Ablagerungen verdichten sich schließlich zu Sedimentgestein. 7 (nicht dargestellt) Menschen und andere Allesfresser geben einen Teil des Kohlenstoffs an die Atmosphäre zurück, indem sie CO2 ausatmen und Methan (CH4) emittieren. 8 (nicht dargestellt) Mit der Bewegung der tektonischen Platten werden die Sedimentgesteine zurück in das flüssige Magma des Erdmantels transportiert, wo sie recycelt werden. Vielleicht erblickt ein Kohlenstoffatom nach 300 Millionen Jahren wieder das Licht der Welt, wenn ein Vulkanausbruch es aus der Tiefe saugt.

Der Wasserkreislauf

Der Wasserkreislauf schenkt uns allen Leben. Wie wunderbar ist es, dass das Regenwasser seinen Weg zu den Flüssen findet, die es ins Meer bringen, wo es wieder verdunstet und Regenwolken bildet, die uns durch die Gnade der Seewinde wieder lebendigen Regen bringen.

Weniger bekannt ist jedoch die Rolle, die Biome (Gemeinschaften von Pflanzen und Tieren) im Wasserkreislauf spielen. Wasserdampf allein bildet kaum Wolken, er braucht Kondensationskerne, um die Wolkenbildung zu starten. Staubpartikel in der Luft können dabei helfen, aber in erster Linie sind es Algen und Waldbäume, die bestimmte Substanzen freisetzen, die als Kondensationskerne fungieren. Bäume setzen Chemikalien frei, die als Terpene bezeichnet werden und die Wolkenbildung aktiv beschleunigen. Die Partikel, die z.B. in Kiefernwäldern freigesetzt werden, verdoppeln die Wolkendichte in 1.000 m Höhe. Diese Wolken werden lebensspendenden Regen zu anderen Orten tragen, und auf ihrem Weg reflektieren die weißen Wolken Sonnenlicht (ein Effekt namens Albedo) und kühlen die Erde.

Aber Bäume sind nicht nur aktive Wolkenmacher, sie produzieren auch die Feuchtigkeit. Bäume pumpen so viel Wasser aus dem Boden und verdunsten es durch ihre Blätter, dass die Luft über den Wäldern mit Feuchtigkeit gesättigt ist. Neue Wolken können sich bilden – nicht meer-, sondern waldgeboren – und weiter ins Landesinnere treiben. Auf diese Weise recycelt der Amazonas-Regenwald den Regen aus dem Küstengürtel fünf- bis sechsmal, bis er die etwa 4.000 Kilometer entfernten Hänge der Anden auf der anderen Seite des Kontinents erreicht. Der Amazonas-Regenwald erzeugt etwa doppelt so viel Wasserdampf wie der benachbarte Atlantik. Wälder sind Regenmacher. Und die Wolken, die sie erzeugen, sind ein wesentlicher Bestandteil des globalen Kühlsystems.7

Außerdem geben die meisten Algen und auch Korallenriffe DMS ab, eine Schwefelverbindung, die bei der Aussaat von Wolken hilft (siehe unten: Schwefelkreislauf).

Der Stickstoffkreislauf

Atmosphärischer Stickstoff muss in eine Form gebracht werden, die die Pflanzen aufnehmen können. Der größte Teil dieser Aufgabe wird von freilebenden oder symbiotischen »stickstofffixierenden« Bakterien vollbracht, die ihn mit Wasserstoff zu Ammoniak (NH3) kombinieren. Zwei Gruppen von Nitrifikationsbakterien wiederum produzieren nacheinander Nitrite (NO2-) und Nitrate (NO3-) und gewährleisten so eine konstante Zufuhr von N an alle Pflanzen und Tiere. Pflanzen können über ihre Wurzelhaare Nitrate oder Ammonium aus dem Boden aufnehmen. Tiere beziehen ihren Stickstoff aus Pflanzen. Tierische Ausscheidungen und sterbende Pflanzen und Tiere führen N in den Boden zurück, wo Pilze und Bakterien das organische N in Ammonium (NH4+) umwandeln. Nitrifizierende Bakterien verwandeln Ammonium wieder in (Nitrite, dann) Nitrate, die von den Pflanzen wieder aufgenommen werden können. Oder es gelangt in die liebevollen »Hände« von denitrifizierenden Bakterien, die Nitrate in N2 umwandeln und Stickstoff zurück in die Atmosphäre abgeben können. Die Oxidation führt auch N aus Nitraten und Ammoniak in die Atmosphäre zurück. (Dies soll Ihnen nur ein Gefühl dafür geben, wieviel los ist in einem gesunden fruchtbaren Boden.)

Im Meer ist der Stickstoffkreislauf ebenso wichtig. Während der gesamte Zyklus ähnlich ist, sind die Spieler andere. So ist z.B. die Position der Pflanzen durch Phytoplankton besetzt, und die Stickstofffixierung erfolgt v.a. durch Cyanobakterien.

Das mag Ihnen alles unwesentlich klein erscheinen, aber der gesamte Stickstoffumtausch im Stoffwechsel der Erde beträgt etwa 500 Mio. Tonnen pro Jahr (zum Vergleich: Der Umsatz von Kohlenstoff ist über 800 Mal so groß).8

Aus Gaias Sicht muss der Stickstoff-Anteil der Luft bei 78 Prozent gehalten werden. Sein kollektives Gewicht erhält den Luftdruck, der eine Basisgröße für alle physiologischen Vorgänge auf der Erde ist. Und es dient quasi als Verdünnungsmittel, damit die Konzentrationen anderer Gase nicht zu hoch werden.

Der Sauerstoffkreislauf

Da Sauerstoff solch ein hochreaktives Gas ist, wäre er ständig »verbraucht« und in der Atmosphäre sehr selten – wie damals, als die Erde jung war. Aber das Pflanzenreich (Wälder und Algen) und die Cyanobakterienkolonien der Meere halten den Sauerstoffgehalt der Luft dauerhaft bei etwa 21 Prozent. Nur so geht es der Tierwelt gut. Heute produziert allein der Amazonas-Regenwald etwa 20 Prozent des weltweiten Sauerstoffs, die Algen im Weltmeer 40 Prozent. Umgekehrt zum Kohlenstoffkreislauf sind es die Tiere (auch der Mensch), die einen Großteil des vom Pflanzenreich gelieferten Sauerstoffs verbrauchen und so an der Schaffung eines globalen Gleichgewichts mitwirken. Durch den Sauerstoff ist der Himmel blau und klar, und die Erde sieht aus dem All wie eine schöne blaue Perle aus.

Der Phosphorkreislauf

Phosphor, der »Lichtträger« (von altgriech. phōsphóros), ist von zentraler Bedeutung für das Leben. Er findet sich sowohl im Energiespeichermolekül ATP als auch in der DNA. Seine natürliche Quelle ist die Verwitterung von Gesteinen, und seine Reise durch die Lebenswelten endet auf dem Meeresboden, wo er Teil von Sedimenten wird, die schließlich wieder in das Magma des Erdinneren eingehen. Hunderte von Millionen Jahren später kann Phosphor wieder an der Oberfläche auftauchen, in neu aufsteigendem Gestein der Kontinentalplatten. Bodenbakterien stellen Phosphate für die Biota an Land zur Verfügung, wo sie für einige Zeit zirkulieren können. Phosphor ist jedoch selten, und seine Knappheit begrenzt oft das Pflanzenwachstum.

Die Phosphate, die von den Flüssen zum Meer transportiert werden, sind die einzige ursprüngliche Quelle für marinen Phosphor. In weit vom Festland entfernten Meeresregionen ist Phosphor sehr selten, aber selbst in landnäheren Gebieten ist er ein überaus wertvolles Element. Phosphor ist das »Gold der biologischen Welt«.9 Die Phosphorzirkulation verläuft rapide. Phytoplankton (von griech. phyton, »Pflanze«, und planktos, »Wanderer«) aller Größen bis hinab zum mikroskopischen Pikoplankton absorbiert das biologisch verfügbare Phosphat-Ion (PO43-). Beim Sterben versinkt Phytoplankton, wenn es nicht von Fischen gefressen wird, im tiefen Ozean, wo der wertvolle Phosphor schließlich an die Sedimentschichten auf dem Meeresboden verlorengeht. Daher macht sich eine Vielzahl von Bakterienarten schnell an die Arbeit, um den organischen Phosphor aus abgestorbenen organischen Stoffen zu recyceln und für das Meeresleben verfügbar zu halten.10

Der Schwefelkreislauf

Die Kontinente verlieren fortwährend Schwefel, weil Flüsse jährlich Millionen Tonnen davon ins Meer transportieren. Die Meereslebewesen haben keinen Mangel an diesem Nährstoff, aber Gaia musste Mechanismen entwickeln, um sicherzustellen, dass genügend Schwefel in die Landmassen zurückgeführt wird. Die meisten Algen und auch Korallenriffe emittieren DMS (Dimethylsulfid, (CH3)2S), die am häufigsten in die Atmosphäre abgegebene biologische Schwefelverbindung. Durch die Oxidation in der Meeresluft entstehen schließlich Aerosole, die als Wolkenkondensationskerne wirken. Diese zusätzliche Wolkenbildung hat eine globale Kühlwirkung und bringt bei Regen wertvolle Sulfate (SO42-) mit, die die Landpflanzen nähren. Sie hat auch ein mehrfach positives Feedback auf das Algenwachstum: Wolken beschatten das Wasser (Algen bevorzugen kühles Wasser), und sie erhöhen die Windgeschwindigkeit, wodurch das nährstoffarme Oberflächenwasser bewegt und mit den tieferen nährstoffreichen Schichten vermischt wird.

Abgesehen von dieser unmittelbaren Belohnung für die Algen (die, sagt man, zur Evolution dieses Systems geführt hat) erhöhen die Sulfate auf dem Land die Gesteinsverwitterung und damit das Pflanzenwachstum – Pflanzen, die dann mehr Nährstoffe zur Verfügung stellen können, die mit der Zeit wiederum die Algen erreichen werden. Daher gilt der Schwefelkreislauf als förderlich für die Ökosysteme sowohl auf dem Land als auch im Meer.11

Dies sind noch nicht einmal alle der rein elementaren Zyklen von Gaia. Die obigen Beschreibungen sind extrem vereinfacht und die Überschneidungen zwischen ihnen nicht berücksichtigt. Als kleines Beispiel für Komplexität und Vernetzung folgt hier ein kurzes Porträt eines winzigen Lebewesens, das an den globalen Auswirkungen der Kohlenstoff-, Wasser-, Stickstoff-, Schwefel-, Calcium- und Phosphorkreisläufe beteiligt ist:

Emiliania huxleyi

…ist eine einzellige Meeresalge, die an der Oberfläche kühler Ozeane als Teil der Phytoplanktongemeinschaft lebt. Ihr Durchmesser beträgt 4/1000stel Millimeter (4 Mikrometer). Emiliania ist die häufigste Art der heutigen Coccolithophorida (»Träger von kleinen Steinbeeren«), wobei die Coccolithe die winzigen Rädchen sind, aus denen sich ihr Exoskelett zusammensetzt. Sie bestehen aus Calciumcarbonat (Kreide, CaCO3). Da CaCO3 transparent ist, wird die photosynthetische Aktivität der Zelle durch diese Verkapselung nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil: Die Coccolithe streuen durch ihre Transparenz mehr Licht, als sie absorbieren, was dazu führt, dass das Oberflächenwasser heller wird. So teilen sie das Sonnenlicht mit den anderen Wesen des Phytoplanktons. Weiterhin reflektiert die höhere Albedo des Oberflächenwassers mehr Sonnenlicht (ein globales Prinzip zur Kühlung des Planeten, siehe nächstes Kapitel). Und Coccolithophorida emittieren DMS und tragen damit zum Säen von Wolken bei. Und nicht zuletzt: Wenn diese winzigen Helfer sterben, setzen sie ihre Nährstoffe (Stickstoff und wertvollen Phosphor) frei, nehmen aber die Kreide (CaCO3) mit auf den Meeresboden. Auf diese Weise haben unzählige Coccolithophorida über Jahrmillionen hinweg zur Kühlung des frühen Planeten beigetragen, indem sie Kohlenstoff ablagerten (ein Kubikzentimeter Sedimentkreide enthält etwa 800 Millionen von ihnen). Emiliania arbeitet immer noch eifrig.12

Kapitel 4

Gemeinschaften und Netzwerke

Die Matrix des Lebens

Die Ökosphäre, von der wir ein Teil sind, ist durchdrungen vom Erdmagnetfeld »und seinen gelegentlichen Störungen, die durch die Wechselwirkung mit dem Sonnenwindplasma verursacht werden«.1 Örtliche geomagnetische Felder werden auch durch atmosphärische Elektrizität modifiziert (und heutzutage auch durch künstliche elektromagnetische Strahlung, siehe »Mikrowellen« in Kapitel 10). Elektromagnetische Felder beeinflussen unsere grundlegenden biologischen Prozesse, selbst mit ihren feinsten Schwankungen. Bei Pflanzen wurde gezeigt, dass Magnetfelder die Keimung von Samen modifizieren und das Wachstum und die Entwicklung von Keimlingen bei vielen Pflanzentypen beeinflussen, z.B. von Gräsern, Getreide und anderen (Industrie-)Pflanzen, Kräutern und Heilpflanzen, Gemüse, Obst und Bäumen. Die Wissenschaft fängt gerade erst an, die »eindeutige Rolle von elektromagnetischen und geomagnetischen Feldern bei der biologischen Regulation zu untersuchen, einschließlich der Regulation von Ausdrucksmustern von Genen in jedem Lebewesen«.2 (meine Kursive)

Alle Lebewesen sind fein auf das Magnetfeld der Erde abgestimmt, das es ihnen ermöglicht, im dreidimensionalen Raum sowie über geografische Entfernungen zu navigieren, Signale auszutauschen und, bei manchen Arten, sogar Nahrungsquellen aufzuspüren. Elektromagnetische Rezeptoren wurden bei unzähligen Spezies gefunden und ermöglichen es ihnen, selbst auf kleinste Veränderungen der Magnetfeldstärke zu reagieren. Es gibt zwei Haupttypen: a) das magnetitbasierte Magneto-Rezeptionssystem,A das von Delphinen,3 Rotlachsen, Algen, Zugvögeln, Ameisen, Bienen und Bakterien genutzt wird; und b) das chemische Magneto-Rezeptionssystem,B das von einigen Zugvögeln, dem Monarchfalter und einigen anderen Insekten genutzt wird.C, 4

Honigbienen zum Beispiel haben Magnetitkristalle in ihrem Hinterleib, die als Kompass dienen, um sich im Magnetfeld der Erde zu orientieren, daher finden sie immer ihren Weg zwischen dem Bienenstock und den erinnerten Blumenständen.5 Hornissen (Vespa orientalis) kleben beim Bau ihrer Nester je einen winzigen Kristall an das Dach jeder sechseckigen Zelle. Diese magnetischen Kristalle bilden ein Netzwerk, das bei der Architektur des Nestes und auch bei der Orientierung hilft.6 Rotkehlchen (Erithacus rubecula) haben in beiden Augen einen magnetischen Kompass und können so das Magnetfeld der Erde »sehen« und sich darin orientieren.7 Bakterien produzieren mikroskopisch kleine Magnete, sogenannte Magnetosomen,D die das gesamte Bakterium wie eine Kompassnadel im Magnetfeld der Erde ausrichten. Unechte Karettschildkröten sind bekannt für ihre epischen Rückreisen zu den Stränden, an denen sie geboren wurden. Sie sind in der Lage, diese zu finden, indem sie durch das Magnetfeld der Erde navigieren und einzigartige magnetische Signaturen entlang der Küste suchen – ein Verhalten, das als geomagnetische Prägung bekannt ist.8

Mikro-Gemeinschaften

Wir haben gesehen, wie sehr die Atome der materiellen Welt einen inneren Drang zu Beziehung und Verbindung haben. Als sich die Schöpfung zu immer komplexeren Strukturen entwickelte, begannen komplexe Moleküle schließlich – durch den Funken, den wir »Leben« nennen –, sich zu noch viel komplizierteren Strukturen zu organisieren. Bakterien sind die frühen Einzeller, die in den ersten Milliarden Jahren des Lebens (plus/minus ein oder zwei Wochen) die Erde beherrschten. Und tatsächlich haben sie immer noch das Sagen: 13 Prozent der Biomasse des gesamten Lebens auf der Erde sind Bakterien.9 So sagt die Ozeanographin Angelicque White: »Mikroorganismen kontrollieren weitgehend die Konzentration, Verteilung und molekulare Zusammensetzung der Nährstoffe im Meer.«10 Und nicht nur im Meer: Es gibt keinen Elementarkreislauf, keine Rückkopplungsschleife, kein Ökosystem, das ohne sie funktionieren oder gar existieren würde. Bakterien sind die Grundlage des Lebens. Bakterien sind der erste Ausdruck von Gaia.

Im Laufe der Evolution wurden die Einzeller immer komplexer und begannen, ihre DNA sicher mit einer Schutzmembran zu umgeben und so einen Zellkern zu schaffen. Arten mit einem Zellkern werden Eukaryoten genannt (von griech. eu, »echt«, und karyon, »Kern«). Sie waren in der Lage, mit ihrem Stoffwechsel kompliziertere Dinge zu tun – und schließlich auch, sich zu Mehrzellern zu verbinden. Die Bakterien (und ihre Verwandten, die Archaea) hingegen gehören zu den Prokaryoten (von griech. pro, »vorher«) und sind ganz zufrieden damit, Einzeller zu bleiben. In ihrem Inneren schwebt die DNA frei, inmitten all der Zellaktivitäten des Stoffwechsels. Sie vermehren sich, indem sie sich sattessen, sich vergrößern und dann teilen (bei der Zellteilung teilt sich auch ein Bakterium und teilt seinen Magnetitkristall).

Bakterien haben viele Evolutionsschritte vollzogen, die nicht nur in Säugetierkörpern (wie unseren), sondern auch in Pflanzen und anderen Lebensformen noch immer zum Einsatz kommen. Sie arbeiten bereits mit Zucker, Proteinen und dem universellen Energieträgermolekül ATP (siehe Phosphor, Kapitel 3). Die Bakterienzelle wird nach außen durch die sogenannte Hülle und die Zellwand geschützt, deren Innenseite mit der Plasmamembran ausgekleidet ist. Alles biologische Leben hängt von Membranen ab, sehr dünnen, halbdurchlässigen Gewebeschichten, die Nährstoffe, Proteine und andere wichtige Stoffe in der Zelle halten. Die Membranen sind mit winzigen Löchern gespickt, die kontrolliert Nährstoffe ein- und Abfallstoffe austreten lassen. Wie Schlüssel und Schloss passen die Nährstoffkanäle mit ihren jeweiligen Molekültypen zusammen. Zellmembranen arbeiten mit hoher Präzision.

Aber Bakterien können so viel mehr als nur essen und ausscheiden. Die moderne Forschung hat die faszinierendsten Entdeckungen über sie gemacht. Sie organisieren sich zu riesigen Gemeinschaften, extrazellulären Netzwerken (Kolonien) mit einer derart hoch entwickelten Kommunikation, dass einige Bakteriologen die Kolonien Superorganismen nennen. »Die meisten Bakterien leben in Gemeinschaften, oft mit verschiedenen Zelltypen, die bestimmte Stoffwechselfunktionen ausführen. Und damit das ganze gut funktioniert, müssen die zahllosen und facettenreichen Mitglieder der Gruppe miteinander über die Umgebung, die auf sie einwirkt, und über den Zustand der gesamten Gemeinschaft kommunizieren.« (Harding)11

Ihre Magnetorezeptoren ermöglichen es den Bakterien, über elektromagnetische Signale zu kommunizieren. Viele Bakterien legen in ihren Kolonien dünne Röhren, sogenannte Nanodrähte, an, die zur Übertragung elektrischer Signale über Kaliumionen dienen.12 Höher entwickelte Bakterien nutzen sogar eine drahtlose Version der interzellulären Kommunikation. Durch die Bewegung von Elektronen um DNA-Schleifen können Bakterien wie E. coli Radiofrequenzen (0,5–1,5kHz) erzeugen und drahtlose Botschaften senden.13