Nur Mütter sind härter - Hanna Simon - E-Book
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Nur Mütter sind härter E-Book

Hanna Simon

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Beschreibung

Maries Leben ist eigentlich perfekt: ein spannender Job, ein lebhafter Sohn und ein liebevoller, aufmerksamer Freund – wenn nur ihr Tennistrainer nicht wäre! Tristan hat Marie völlig den Kopf verdreht, ständig schweifen ihre Gedanken zu ihm, dabei scheint er sie nicht einmal richtig zu beachten. Sogar einen Heiratsantrag ihres Freundes Jakub lehnt sie ab, obwohl sie beide eigentlich perfekt zueinanderpassen.

Maries Umfeld ist außer sich, denn alle haben ganz eigene Vorstellungen davon, wie Maries Leben abzulaufen hat. Nur ihre beste Freundin hält zu ihr – und ihr mittlerweile frisch verheirateter Exfreund. Es hilft nix: Marie muss endlich herausfinden, was sie wirklich will und wo ihr Herz hingehört, doch im ganzen Trubel ist das gar nicht so einfach …

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Über Hanna Simon

Hanna Simon, 1970 in Bielefeld geboren, arbeitete lange Zeit als Projektleiterin. Deswegen schafft sie es auch immer, die großen und kleinen Familienkatastrophen zu ignorieren, abzuwenden oder aufzufangen – und das meistens sogar fast perfekt. Mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen lebt sie in der Nähe von Frankfurt am Main.

Informationen zum Buch

Maries Leben ist eigentlich perfekt: ein spannender Job, ein lebhafter Sohn und ein liebevoller, aufmerksamer Freund – wenn nur ihr Tennistrainer nicht wäre … Tristan hat Marie völlig den Kopf verdreht, ständig schweifen ihre Gedanken zu ihm, dabei scheint er sie nicht einmal richtig zu beachten. Sogar einen Heiratsantrag ihres Freundes Jakub lehnt sie ab, obwohl sie beide eigentlich perfekt zueinanderpassen.

Maries Umfeld ist außer sich, denn alle haben ganz eigene Vorstellungen davon, wie Maries Leben abzulaufen hat. Nur ihre beste Freundin hält zu ihr – und ihr mittlerweile frisch verheirateter Exfreund.

Es hilft nix: Marie muss endlich herausfinden, was sie wirklich will und wo ihr Herz hingehört, doch im ganzen Trubel ist das gar nicht so einfach …

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Hanna Simon

Nur Mütter sind härter

Roman

Inhaltsübersicht

Über Hanna Simon

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Impressum

Odysseus war nur ein Held.

Odysseus’ Mutter hingegen war eine Mutter.

1

Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntnis (Öl auf Holz, 1605, Peter Paul Rubens)

»Jetzt erzähl schon! Was ist dann weiter passiert, Marie? Also? Komm, ich will das wissen! Dieser Tristan hatte also nur ein Badetuch um die Hüften geschlungen? Tropfnass? Oh, là, là! Das hört sich gut an. Hätte ich gerne gesehen! Und dann? Was war dann, Marie? Erzähl schon. Und dein Jakub kam dazu? Nun rede schon!« Olivia schaffte es, trotz ihrer drängenden Fragen nach dem halb nackten (oder galt »nur ein Handtuch um die Hüften« schon als ganz nackt?), wohlgeformten Tennislehrer erstaunlich gelassen zu wirken. Noch eindrucksvoller aber war die Ruhe, mit der sie zusah, wie eine völlig verwirrte Marie die Wassergläser aus Olivias Küchenschrank nahm.

Und zwar alle. Ein Kristallglas nach dem anderen, als stände Marie unter dem Einfluss einer außerirdischen Spezies, die ihr befahl, bei allen Erdlingen alle Trinkgefäße aus den Schränken zu entfernen.

Maries Geisteszustand konnte man tatsächlich ferngesteuert nennen.

Sie war wie unter Drogen.

Nein, sie stand definitiv unter Drogen.

Und diese Droge hieß Tristan.

Marie konnte einfach nicht aufhören, an ihren Tennislehrer zu denken, von ihm zu reden und sich infolgedessen wie eine Idiotin zu benehmen.

Er hatte gerade noch schwere körperliche Arbeit verrichtet (na ja, er hatte lediglich ein paar aufgetakelten Hühnern die Vorhand gezeigt) und dann unter der Dusche den Schweiß abgespült. Daraufhin stand er, mit seinen stählernen Muskeln (hallo? Daniel Craig hat mehr vorzuweisen!), braungebrannt rätselhafterweise auch an den Stellen, an denen er wegen seiner Sportkleidung weiß sein müsste (vielleicht trainiert er manche Damen gegen Aufpreis mit freiem Oberkörper?), und mit einem Handtuch um die schmalen Hüften (nein, da gibt es nichts zu meckern) vor Marie.

Himmel! Maries Hirn kochte über.

Es war, als befände sie sich in einer riesigen Blase, angefüllt mit Gedanken an diesen Mann. Mit vielen schönen Gedanken. Und heißen. Daran, wie er aussah, wie er den Kopf neigte, wenn er sprach, wie sich seine haselnussbraunen Augen zu Schlitzen verengten, wenn er lächelte, und dann seine Stimme, dieses leise Säuseln. Das unvermeidliche Hi, wenn er jemanden traf.

Und dann diese Situation in der Umkleide! Wie er da so gestanden hatte. Groß, sportlich (ja, wissen wir, sowas wird in der Erinnerung in der Regel dramatisch vervielfacht, wahrscheinlich war er gar nicht so unfassbar heiß, wie Marie das dachte) – und wunderbar nass. Die Tropfen perlten sexy über seine breiten Schultern, die Arme und die Brust hinunter. Und so nah war er!

Das waren unfassbar schöne Gedanken.

»Tristan …«, seufzte Marie mit trockenem Mund.

Das war nicht Marie, das war definitiv eine Sucht! Sie wollte nur noch … Aber …

Ja: aber …

Immer zerriss ein Aber alles!

Marie blinzelte, um sich klarzumachen, dass sie in Olivias Küche stand und nicht mehr in der Umkleide ihres Tennisclubs. Sie stand hier bei ihrer Freundin. Und den Mann, den sie dort gesehen hatte, den gab es eigentlich nicht. Also es gab ihn schon, aber nicht für sie. Nicht in ihrem Leben.

Kapier das endlich, Marie!

Direkt zwischen diesen schönen, süchtig machenden Gedanken war dieser eine, kalte, grausame.

Tristan nahm Marie kaum wahr. Selbst wenn er eine Stunde (60 ganze Minuten also, nur um das klarzustellen) mit ihr trainierte, wenn er ihr zeigte, wie Vorhand, Rückhand, Volley oder Aufschlag gingen – er nahm sie einfach nicht wahr.

Niemals würde sie … mit ihm …

Und dabei hatte es so gewirkt. Es hatte anfangs doch wirklich so ausgesehen als ob.

Aber das hatte sie sich nur eingebildet. Oder?

In ihr wurde es kalt. Wer hätte gedacht, dass Erkenntnis kalt war. Aber warum sonst hätten Adam und Eva plötzlich angefangen, Kleidung tragen zu wollen.

Marie schüttelte den Gedanken ab und dachte wieder an Tristan. Ja (also nein), es hatte nur so ausgesehen. Da war nichts.

Sie wusste es. Aber sie wollte es nicht wahrhaben.

Diese kalte, schreckliche Erkenntnis traf Marie biblisch tief. Sie erschauderte, dann versuchte sie tapfer zu erzählen, was nach ihrem letzten Training passiert war.

»Es war so. Oh, Mann! Ich bin so eine blöde Kuh! Es war nur so schön. Er ist so unfassbar. Tristan hatte nur ein Badetuch an. Er war gerade aus der Dusche gekommen und stand in der Umkleide. Das Wasser, Himmel, dieses Wasser, es tropfte von seinen Schultern. Er, er, er ist so unglaublich …« Marie stotterte das alles zum hundertsten Mal hervor, als wäre sie nicht vor einigen Stunden sondern gerade in diesem Augenblick Zeugin dieses Ereignisses geworden. Sie schaute an sich herunter, um sicherzugehen, dass sie selber angezogen war.

Tristan. Tristan.

In ihrem Kopf war irgendwas kaputt, da war sie sicher, sie konnte an nichts anderes denken als an diesen Mann, diesen Tennislehrer, der sie, statt sie zu trainieren, irregemacht hatte. Dieser riesige, dunkelhaarige Mann, mit den nach hinten gegelten Haaren, dem Bart, mit dem er aussah wie Odysseus, und den wunderbaren Augen, die aber bedauerlicherweise lieber einen kleinen Tennisball ansahen als sie.

Alleine der Gedanke an ihn raubte Marie den Atem.

»Marie! Beruhige dich. Du drehst gerade durch. Ich verstehe sowieso überhaupt nichts. Nun erzähl langsam der Reihe nach! Was war dann? Und warum kann dich ein Mann nur so durcheinanderbringen? Er ist nur ein Mann!«

»Er hatte nur ein Badetuch an.« Marie versuchte sich an die Situation im Vereinsheim des Tennisclubs zu erinnern, aber es war, als würde ihre Festplatte allein schon bei der Erwähnung dieses Mannes komplett abstürzen.

»Erzähl weiter, das mit dem Badetuch hast du schon hundert Mal gesagt. Und dann?«

»Er war, er ist bildschön.«

»Na, Marie, nun beruhige dich. Bildschön ist eher was anderes. Du weißt schon. Das liegt im Auge des Betrachters.« Olivia zuckte mit den Schultern und blieb selbst dann noch ruhig, als Marie plötzlich anfing, auch Olivias Kaffeebecher aus dem Schrank zu nehmen und auf den Tisch zu stellen. Ganz ordentlich, bis die Fläche fast voll war.

»Marie! Hör zu. Tristan sieht aus, wie Sportler nun mal aussehen. Mehr nicht. Lass ihn ein Jahr nicht spielen, dann ist er schlaff wie alle anderen Männchen auch.«

»Aber …« Marie schloss die Augen. Etwas so deutlich vor sich zu sehen und es nicht haben zu können, war unendlich grausam. Hatte er nach dem Duschen tatsächlich sie angesehen, verführerisch das Badetuch zu Boden gleiten lassen und gesagt, sie solle herkommen, als sie einander gegenüberstanden?

Er hatte doch da in der Umkleide gestanden, oder etwa nicht? Marie war sich nicht mehr sicher.

»Komm her!« Hatte er das wirklich gesagt, als er da stand, noch tropfend von der Dusche?

Hatte er? Hatte er das zu ihr gesagt?

In diesem verheißungsvollen Flüsterton? Dazu dieser Blick aus diesen wunderbaren Augen? Maries Hirn machte Anstalten, gleich durchzubrennen. Konnte nicht mehr lange dauern.

Oh, Himmel, sie spürte, wie alles in ihr schmolz. Ja sie wollte zu ihm. Ja, Tristan, ja ja ja.

»Was ist dann passiert? Wäre schön, wenn ich die Geschichte endlich mal zu Ende hören dürfte«, sagte Olivia seelenruhig, öffnete den Kühlschrank und entnahm ihm dieses Mal keinen Sekt, sondern Buttermilch.

Maries polnische Freundin war wunderbar. Und hier bei ihr zu sein war die einzige Möglichkeit, diese Situation zu überleben und ihre normalen Hirnfunktionen zumindest rudimentär wiederherzustellen, dessen war sich Marie (und die Wissenschaftler auf dem Gebiet des internationalen Liebeskummers) sicher.

Olivia war eine riesige, blonde Frau, etwas älter als Marie, zweimal geschieden und Mutter von zwei klugen Mädchen, Agata und ihre große Schwester Elena. Olivia war immer Herrin der Lage. Sie beherrschte alles außer der deutschen Sprache.

In ihrer gigantischen Landhausküche, die ohne weiteres in Möbelzeitschriften als Modell und zur Not auch als Ballsaal genutzt werden konnte, stand nie dreckiges Geschirr herum, nichts war verschmutzt oder in Unordnung.

Außer heute.

Denn heute war Marie hier.

»Wir trinken lieber etwas, was dein Hirn nicht noch mehr durcheinanderbringt.« Olivia wählte in Ruhe zwei Gläser aus, die da in Massen vor ihr standen, und reichte Marie eins davon.

»Was? Was meinst du, Oli? Ich weiß nicht mehr …« Sie nahm das Glas, hielt es einigermaßen ruhig, damit ihre Freundin die weiße Flüssigkeit eingießen konnte.

Es zwang Marie, sich auf etwas zu konzentrieren, was real war.

»Was ist dann passiert, Süße? Da steht also dieser nur mittelmäßig attraktive Mann, der dich erschreckend irre macht, und sagt: ›Komm her!‹, oder er sagt es nicht, weil du es nicht mehr so genau weißt, und was dann? Was du tust dann?«

Marie erschauderte. Dieses Mal jedoch von dem Geschmack der ungesüßten Buttermilch. Und ein bisschen wegen Olivias eigenwilligem Satzbau.

»Was? Ich? Wo?«

Olivia lächelte und leckte sich den Milchbart von den Lippen, strich dann mit den Fingern Marie über den Mund, wie es ihre Mutter tun würde.

»Na, komm, erzähl es der lieben Oli. Bist du hingegangen?«

Marie zögerte.

Olivia sah ihr tief in die Augen. »Marie? Bist du hingegangen?«

»Äh.«

»Ich merke schon, du bist es nicht. Solch ein von so viel Verliebtheit aufgeladener Sex kann nämlich sehr schnell ernüchternd wirken. Also?«

Marie riss die Augen auf. Sie und Tristan?

»Ich? Aber nein! Nie! Ich wollte. Ich wollte das so sehr!« Ja. Das war so intensiv. So alles, was sie wollte. Nur das. Nur diesen Mann. Sie hatte es gewollt. Mit allen Konsequenzen. Marie, die sonst so klar dachte, so überaus genau jeden Schritt plante, verwarf und neu plante, ja, sie wäre einfach zu diesem Mann gegangen. Es wäre ihr alles egal gewesen.

»Oh, Himmel, was bin ich für eine Idiotin!« Marie war erschrocken. Sie hatte das Gefühl, sich selbst nicht mehr zu kennen.

Denn allen Liebesromanen zum Trotz: Tristan wollte wirklich nichts von ihr. Es war äußerst zweifelhaft, dass er wirklich »Komm her!« gesagt hatte. So etwas tat er nicht. Er war viel zu professionell. Und ganz ehrlich, er konnte ganz andere Mädels haben, wozu ausgerechnet Marie?

»Ich bin ein Idiot!« Sie musste endlich einsehen, dass das der Wahrheit entsprach.

»Ach, Marie. Wenn man verliebt ist, oder sagen wir, wenn man begehrt, macht man sich immer ein wenig lächerlich. Das ist in Ordnung. Meinst du, die Menschheit würde sich fortpflanzen, wenn wir nicht vor dem Sex so ausrasten würden? Also? Erzählst du es weiter, was ist passiert?«

»Nichts.« Marie atmete aus und stoßweise wieder ein. »Die Welt ging einfach unter.«

»So? Davon steht gar nichts im Internet. Also sag schon, wie ging sie unter?« Die große Polin strich Marie über das lockige, etwas störrische Haar.

»Sag es deiner Oli, Süße!«

»Es ist nichts passiert. Jakub kam. Er war plötzlich da.«

»Aha.«

Ja, dann war Jakub gekommen. Marie war zutiefst erschrocken gewesen, als sie seine Stimme gehört hatte. Sie war laut und schrill gewesen, wie eine Alarmsirene. Marie hatte sich erst mühsam erinnern müssen, was das für eine Stimme war.

Und dann war alles vorüber.

Tristan. Die Magie. Diese Sekunde voller Verheißungen und Träume.

Jakub hatte Marie von ihrer Tennisstunde abholen wollen. Er versuchte noch immer, Marie zum Heiraten zu überreden, sie zurückzugewinnen oder zumindest ihre Beziehung zu retten. Immer noch.

Marie spürte ein unangenehmes Gefühl.

Was war das? Fühlte sie sich schuldig? War Jakub ihr lästig?

Vielleicht war es einfach nur Angst. Panik.

Marie schien endgültig aus einem bösen Traum zu erwachen und zu erkennen, wo sie war. Erstaunt blickte sie zu dem leeren Küchenschrank. Dann sah sie auf den Tisch mit den Gläsern.

»Oh. War ich das? Ich wollte doch nur ein Glas. Ein einfaches Glas. So ein kleines, einfaches Glas, weißt du?«

Beide schwiegen, wie man schweigt, wenn man dem geliebten Menschen eigentlich sagen sollte, dass er bekloppt ist, aber hofft, dass er es selber merkt.

»Oh.«

»Ja, oh trifft es.«

»Hm. Äh. Sag mal Oli, hast du denn nur diese edlen Kristallgläser, hast du denn kein altes Senfglas wie alle anderen Menschen, die Kinder haben?«, flüsterte sie benommen, als wäre sie in Trance.

Vor ihr standen 24 edle Wassergläser, 24 Sektgläser, 24 Biergläser, 24 Longdrinkgläser. Und die Becher.

Keines der Gläser wirkte spülmaschinengeeignet. Alle hatten einen geschnörkelten Fuß, der aussah, als würde jedes Gefäß auf vier Diamanten sitzen.

Olivias Geschmack war etwas überbordend. Das betraf Kleidung genauso wie Immobilien, Möbel und Männer. Auch die Küche war so eingerichtet: sehr groß, sehr weiß, sehr Landhaus. Mit Schaukelstuhl, Rüschengardinen und allen Elektrogeräten, die man auch nur ansatzweise mit Küchenarbeiten in Verbindung brachte.

Marie liebte das an Olivia. Sie war wie ein Füllhorn, das nicht aufhören konnte zu sprudeln. Alles war reichlich da. Zum Glück auch die Geduld einer wahnsinnigen Freundin mit Liebeskummer gegenüber. Auch wenn Marie oft den Kopf schütteln musste, bewunderte sie es, wie man so selbstbewusst dem Kitsch verfallen sein konnte.

»Marie!« Oli kam auf sie zu und packte sie fest an den Schultern. »Marie!« Sie schüttelte sie. »Der Schrank ist jetzt leer. Nun hast du all meine Gläser und Becher herausgenommen. Es ist jetzt gut. Nun sag, was passiert ist. Tristan mit Badetuch eingewickelt und Jakub völlig vergezogen. Was ist dann geschehen?« Olivias polnischer Akzent war tief und beruhigend. Sie sprach die Worte mit Bedacht, und auch wenn sie zuweilen merkwürdige Wortneuschöpfungen kreierte, indem sie spontan ein paar Silben hinzufügte, so war ihr Verstand immer scharf und ihre Meinung knallhart.

»Marie!«

»Jakub war angezogen, ja. Und Tristan war, ja, nein. Ja, äh, ich weiß es nicht mehr, was dann passierte.«

»Bist du in Ohnmacht gefallen oder was?«

»So ähnlich. Äh, ich weiß es einfach nicht mehr. Ich weiß nicht mal, ob Tristan wirklich ›Komm her‹ gesagt hat. Ich weiß gar nichts. Ich weiß nur, dass ich ihn haben will.«

»Tristan? Oder Jakub?«

Marie zögerte, dann seufzte sie: »Tristan. Ich will Tristan.«

Olivia sagte nichts. Marie schlug die Hände vor ihr Gesicht, als erwartete sie, dass ihre beste Freundin sie verhauen würde oder zumindest nach allen Regeln der Freundschaften dafür ausschimpfte, dass sie sich in einen glücklich verheirateten Mann verliebt hatte und den auch noch haben wollte.

Sich in den eigenen Tennislehrer verliebt zu haben war sowas von dämlich!

»Marie. Nun beruhige dich. Dich hat es ganz schön verwischt. Und du weißt selber, wie Tristan das sieht. Du weißt es. Deswegen bist du auch so verbarrikadiert.« Die Polin nahm Marie in den Arm, führte sie hinaus auf ihre Terrasse (die so groß war, dass sie wahrscheinlich eine eigene Postleitzahl hatte, und mit weißen, griechischen Figuren, die aus unerfindlichen Gründen alle Amphoren herumtrugen, vollgestellt) und drückte eine vollkommen desorientierte Marie in einen riesigen Korbstuhl.

»An dir ist alles wunderbar und groß, Oli! Dein

Haus, dein Grundstück, dein Pool, dein Herz, dein Lachen und deine Freundschaft.«

»Und was ist mit meinem Busen? Den habe ich für viel Geld machen lassen! Sag nicht, dass mein Busen klein ist! Aber, Marie, schon gut.«

»Ich, ich weiß, was du sagen willst, Oli. Er ist nichts für mich. Er ist einfach nichts für mich, aber ich bin völlig …«

»Verliebt. Ich sehe es.«

»Tut mir leid.«

»Ach, pappilappi. Das passiert doch jeder mal!«

Das war nicht wahr. Olivia würde so was nie passieren. Sie verfiel der Liebe nie.

Marie zitterte in der Sonne. Olivia setzte sich in einen der riesigen Stühle ihr gegenüber und beugte sich vor.

»Schscht. Nun wein nicht, Marie. Oder gut. Weine doch. Dann wäscht sich das raus.« Dabei legte sie ihre Hand mit den langen, pinken Fingernägeln auf Maries Knie und schien sie einfach nur wärmen zu wollen.

Keine Vorhaltungen, keine Strafpredigt, kein Lachen.

Jakub, Maries Freund und Nachbar, war auch Pole, und irgendwie hatte Marie gedacht, Olivia würde Marie ausschimpfen, aus Solidarität oder zumindest, weil sie diesen wunderbaren Kerl nun immerhin im Herzen betrog.

Marie konnte nicht mehr mit ihm zusammen sein, sie wollte doch nur noch Odysseus, also Tristan, also diesen Mann, diesen, diesen wahnsinnig machenden Trainer.

»Es ist ein bisschen wie bei Constantin, oder? Dieser Trainer«, fragte Olivia schließlich, als Maries Zittern etwas nachgelassen hatte.

»Ja. Aber da hatte ich es besser im Griff. Vielleicht wegen der Schwangerschaft damals mit Flo. Jetzt ist es außer Kontrolle. Völlig.«

»Süße, nun hör auf, dir den Kopf zu zerbrechen. Dein Ex Constantin ist frisch verheiratet mit diesem Schneeflittchen – wie hieß sie noch? Und Kontrolle ist nicht das, was Liebe braucht.«

»Schneewittchen«, verbesserte Marie und war sich plötzlich sicher, dass Olivia sich dieses eine Mal nicht versprochen, sondern das Wort bewusst verdreht hatte.

»Natürlich. Diese Viola. Und wahrscheinlich wird die bald schwanger und bekommt auch ein Kind von Constantin. Und dann hat dein Sohn einen kleinen Bruder.«

»Soll mich das trösten?«

»Merkst du, dass du Constantin überwunden hast? Also wirst du auch Tristan überwinden. Also alles gut. Und wir freuen uns dann über den Bruder für Flo.«

»Oder Schwester?«

»Kindchen, Männer wie Constantin können nur Helden zeugen, das ist so. Und nun kommt da auch noch dieser merkwürdige Tristan dahin und wedelt mit seinem enormen Schläger vor deiner Nase herum. Der ist genauso wie Constantin. Das ist normal, dass du durchdrehst. Jede würde durchdrehen. Nun dreh schön durch und hinterher sehen wir weiter.« Olivia grinste süffisant und richtete sich langsam auf.

»Wie? Schläger? Ich hab nie gesagt, er hätte einen enormen Schläger ich, äh.«

Olivia lachte leise.

»Erzähl mir nicht, dass du die Augen zugekniffen hast, als er sein Handtuch hat fallen lassen, oder? Sei kein Lüger, sondern freu dich!«

Marie hätte zu gerne gewusst, ob das nicht generell ein Trick war, dass Olivia so scheinbar schlecht Deutsch sprach.

»Aber ich hab mir doch nicht seinen, äh, Schläger … äh, angesehen!«

»Ganz ehrlich, wenn du den nicht gesehen hast, wird er auch nicht der Rede wert sein. Vergiss ihn!«

»Oli! Natürlich ist Tristan bestens ausgestattet, er ist doch Trainer!«

»Na, also. Dann wäre das geklärt. Ich hole was anderes zu trinken, Süße. Du brauchst härtere Hilfe.« Sie verschwand.

Marie versuchte, ihre Gedanken auf einem Nulllevel zu halten.

Wie von Geisterhand wurde die Markise ausgefahren, ein leiser Wind kam auf, Gläser klirrten angenehm und dann erschien Olivia, in einen Badeanzug gekleidet, mit einem dünnen, zarten Tuch in Grellpink um die Hüften gewunden und einem Strohhut auf dem Kopf, als wäre sie eine Hollywood-Diva aus den Fünfzigern. Dazu eine Sonnenbrille mit tellergroßen Gläsern. Sie setzte sich in den riesigen Korbstuhl Marie gegenüber, schlug die enorm langen Beine übereinander und lächelte.

»So. Nun hast du dich beruhigt und du sagst alles noch einmal.«

Marie öffnete den Mund. Und schloss ihn wieder.

Oli ließ ihr Zeit. Ein Sektkorken knallte. Eine ausladende Sektschale wurde vor sie auf den Tisch gestellt.

»Nun wollen wir es uns mal gemütlich machen, Süße.«

Marie griff nach dem Glas, als wäre es ein Gegengift.

Sie tranken, und Olivia schenkte nach.

»So, Süße, und nun noch einmal von vorne. Mir tut es leid, dass ich damals dich zum Tennis überredet habe. Ich dachte, Tristan würde dir guttun, aber ich habe falsch verschätzt. Er ist genau das Falsche gewesen. Er ist Constantin auf Berlinerisch. Ganz schlecht. Aber gut, wir werden das Beste daraus machen. Willst du mit ihm schlafen?«

Marie prustete den Sekt quer über den Tisch, sprang auf und wedelte mit den Armen.

Olivia lächelte und trank seelenruhig ihren Sekt.

»Das sehe ich als Ja«, sagte sie und bedeutete Marie, sich wieder zu setzen.

»Das Problem bei dir, Marie, ist, das sage ich dir ganz geöffnet, du nimmst die Liebe zu ernst. Wie sagt man? Weinernst?«

»Bierernst!«

»Genau. Du nimmst sie zu bierernst. Es ist bei dir gleich große Katastrophe. Das ist nicht ganz fair den Männern gegenüber, die sollte man nicht ernst nehmen, das ist nicht gut für sie. Und was ist falsch an Jakub? Er ist süß, er ist genau das, was dein Leben braucht. Ein Vater für die Kinder.«

Jakub war wirklich ein guter Vater. Seine Tochter und seinen Sohn hatte er seit seiner Scheidung ganz wunderbar versorgt. Ja, er war wunderbar.

Aber wunderbar reicht nicht aus, um gegen einen Tristan anzukommen.

»Oh, Oli. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich sehe das ja auch so. Jakub ist wunderbar, aber ich kann nicht anders. Ich, ich bin ganz krank. Ich weiß auch nicht. Ich finde Jakub ja auch ganz toll. Und ja, er passt viel besser zu mir.«

»Oh ja. Tut er. Er ist viel mehr so wie du. Während dieser Tennismann doch eher ein Freizeitangebot ist, oder? Ich bezweifle, dass dieser Zweit-Constantin je ein Museum von innen gesehen hat. Rede mal mit ihm. Du wirst sehen, er passt nicht zu dir. Er kann nur Ball spielen.«

Die Vorstellung, vor Tristan zu stehen, war schon zu viel für Marie. Nur dieser Blick, nur einfach vor ihm stehen, zu ihm aufzublicken, in diese Augen, dieser ganze Mann, das, das, das …

»Trink, Schätzchen, sonst muss ich einen Arzt holen!«

Marie trank gierig. Olivia stand auf und holte eine zweite Flasche.

»Aber wie sag ich das nur Katrin und Alexa? Die werden das nicht so cool aufnehmen wie du!«, flüsterte Marie und sah sich um, ob womöglich jemand zuhörte.

Olivia lachte schallend und stellte die neue Flasche auf den Tisch, um sie zu öffnen.

»Die werden dir das Fell über die Augen ziehen, wenn sie das hören! Sie lieben Jakub, er ist ihr kleiner Held und so charmant und immer so hilfsbereit. Außerdem lieben sie Männer, die leiden. Komm, trink.« Der Sektkorken knallte.

»Du meinst, Jakub leidet?«

»Ja, aber natürlich! Ich bin stolz auf dich! So muss man Männer behandeln, dann fressen sie einem aus dem Arm.«

»Hand. Sie fressen aus der Hand.«

»Sag ich doch! So musst du das machen!« Sie legte ihre langen Beine auf einen anderen Stuhl, hob den Kopf ein wenig und sah nun vollkommen aus wie eine polnische Barbiepuppe.

Marie liebte sie abgöttisch dafür, dass sie so war, wie sie war.

»Hilfst du mir, wenn die beiden sauer sind mit mir?«

»Klar. Aber mach dir keine Gedanken, du bist nicht dafür da, anderen zu gefallen. Das Leben ist dein Leben.«

Das klang so einfach.

Marie seufzte. Einen schönen Schlamassel hatte sie da am Hals. Irgendwie hatte sie gedacht, wenn sie Constantin endlich los war, dann würde Ruhe in ihre Leben einkehren, aber es war noch schlimmer geworden.

Das musste man sich mal vorstellen! Da hat man sechs Jahre Liebeskummer wegen dem Vater des eigenen Kindes und denkt immer: Das ist die Hölle!

Und dann stellt man fest! Es geht ja NOCH SCHLIMMER!

Und Tristan war schlimm.

Er war die Hölle.

Seit sie ihn kannte, war jeder Atemzug angefüllt mit einem grauenvollen Gefühl der Traurigkeit darüber, dass sie nicht bei ihm sein konnte. Und wenn sie dann vor ihm stand, wollte sie wegrennen.

Sie konnte nicht essen, nicht schlafen, nicht reden, ohne an ihn zu denken. Und sie zermarterte sich den Kopf nach jeder Tennisstunde, ob er sie nun etwas mehr oder etwas weniger angesehen, etwas mehr oder gar nicht gelächelt hatte.

Aber die Wahrheit war schlicht und tödlich: Alle Freundlichkeiten hatten GAR KEINE BEDEUTUNG, denn er machte einfach nur seinen Job.

Es gab nichts, rein gar nichts zu hoffen.

Im Grunde war er kalt, aber höflich. Geschäftstüchtig eben.

Vielleicht fand er Marie sogar amüsant.

Aber nicht länger als die Stunde dauerte.

Marie versuchte, sich selbst zu belügen. Einfach nur, um diesen Liebeskummer zu verdrängen – und wenn es nur für Sekunden war.

Sie dachte hoffnungsvoll daran, dass Tristan doch immerhin zu Constantins Hochzeit gekommen war. Er war ihr Tischherr gewesen! Ja und? Er war auch ziemlich früh wieder nach Hause gegangen.

Marie kroch wieder der entsetzlich klare Gedanke an ihr hoch: Tristan nahm sie nicht richtig wahr.

Hölle!

Das war schrecklich!

Das war das Schlimmste, was passieren konnte.

»Marie, weinst du?«

Marie schüttelte den Kopf.

»Marie, hör auf. Trink weiter und hör auf. Marie, steigere dich da nicht so rein. Es sind nur Männer!« Olivia legte ihre Arme um sie und hüllte sie in den Duft eines quietschsüßen Parfüms.

»Ich kann nicht anders.«

»Kann es sein, dass du eigentlich Constantin meinst?«

»Was? Nein. Nein. Das kann nicht sein.« Und wirklich. Wenn Marie an Constantin dachte, war da …

Nichts mehr.

Nein.

Gar nichts mehr.

Wie weggewischt. Sechs Jahre schrecklicher Liebeskummer und nun war er weg. Oder verschoben. Er war nun bei Tristan.

Wie merkwürdig war das denn?

Aber wirklich! Wenn sie an Tristan dachte, dann kam das Gefühl in einer lauten, grollenden Tsunamiwelle auf sie zu und schlug über ihren Ohren zusammen.

»Wie sagen wir es bloß Katrin? Und Alexa?«, fragte Marie erneut. Nachdem sie zwei weitere Gläser Sekt getrunken hatte, breitete sich tatsächlich die sehr unpädagogische, gesellschaftlich inakzeptable Wärme in ihrem Bauch aus – und im Schlepptau dieser alkoholinduzierten Wärme das angenehme Scheißegalgefühl.

»Na, das lass mich machen. Katrin ist gerade zur Übermutti geworden. Die Zwillinge, du weißt, sie sind Genies, und Katrin dreht weg.« Olivia deutete mit einem kreisenden Zeigefinger einen Hubschrauber an.

Katrin war seit der Geburt der Zwillinge tatsächlich ganz anders geworden. Anfangs hatte es so ausgesehen, als wäre der Stress, den die künstliche Befruchtung und die Sorge um das ungeborene Leben ausgelöst hatte, in kurzfristige Übermutti-Anfälle umgeschlagen. Doch allmählich wirkte es so, als hätte sich Katrin in diesem überbesorgten Lebensstil eingerichtet.

Nicht nur, dass sie die Zwillinge behandelte, als würde jede negative Schwingung in ihrer Nähe sie für immer traumatisieren (alles musste farblich, geruchlich und akustisch perfekt sein, bevor sie gewillt war, die Kinder im Kinderwagen irgendwo entlangzuschieben oder die Babys irgendwo schlafen zu lassen), nein, Katrin bemutterte (besser gesagt: erzog) die Freundinnen gleich mit.

Jeden Tag sendete sie Links zu Zeitungsartikeln, Radiosendungen oder Fernsehdokumentationen und fragte später unerbittlich nach, ob die Mädels auch alles gelesen und gesehen hätten.

Internet-Links zu Ernährung und Erziehung, aber auch zu Einrichtungsfragen, kulturellen Highlights und Gesundheitsrisiken.

Es war die Totalüberwachung und gleichzeitig wie eine Elitezüchtung.

Jede Flasche Sekt, die Olivia öffnete, wurde mit einer wahren Flut von Ermahnungen kommentiert. Das allein wäre ja irgendwie noch zu ertragen, fand Marie.

Aber Katrins moralische Ansprüche gingen zu weit. Jeder Klatsch und Tratsch wurde von ihr beurteilt, als wäre sie die Heilige Inquisition.

Ihr Lieblings-Promimutter-Hassobjekt war Victoria Beckham. Die Spice-Mutter ließ offenbar keine Gelegenheit aus, um ihre Erziehungstipps in die britischen Kameras zu quatschen.

Dabei betonte sie immer, dass sie keine verwöhnten Kinder haben wolle. Das schon brachte Katrin komplett aus der Fassung.

»Die ist doch selbst so verwöhnt! Die hat bestimmt noch nie einen Apfel selbst geschält und für die Brotdose vorbereitet!«

Katrins Schizophrenie bei Themen wie diesen kam allerdings immer ziemlich schnell zum Vorschein. Zum Beispiel, als das Fußballfrauchen zugab, dass sie eine Webcam im Kinderzimmer installiert habe, um zu überwachen, ob ihre Kinder Hausaufgaben machten.

Was Marie und Oli völlig aufregte, verursachte bei Katrin nur ein »Och, das klingt aber durchaus sinnvoll«.

Marie war sich sicher, dass Katrins Mutterinstinkt irgendwann einen grauenhaften Schlag erhalten hatte. Es wurde auch nicht besser, als Katrin freudestrahlend erzählte, Heidi Klum würde bei ihren Kindern immer darauf achten, dass die kein Essen wegwarfen.

»Ja, wahrscheinlich dürfen die nur Wasser trinken, um nicht ihre Modelmaße zu ruinieren!«, meinte Olivia dazu nur sehr trocken.

Also irgendwas stimmte bei Katrin gerade nicht. Missgriffe bezüglich Kleidung waren das Einzige, was die neue Übermutti verzieh, aber schon die Erwähnung eines zweifelhaften Kinofilms oder Unterhaltungsprogramms, eines zu seichten Romans oder gar die Rede vom Besuch eines Schnellimbisses zogen eine nicht enden wollende Moralpredigt nach sich. Offensichtlich durften alle Mütter der Welt nur noch die Buddenbrooks lesen und Umweltfilme schauen, damit die Sprösslinge im richtigen geistigen Umfeld aufwachsen konnten.

Marie graute davor, Katrin gestehen zu müssen, was sie selbst gerade durchmachte. Dass sie an nichts anderes denken konnte, als zu hoffen, dass die fröhliche und liebenswerte Ehe eines unschuldigen Tennistrainers sich einfach in Luft auflöste, der somit frei gewordene Mann sich Marie zu Füßen warf und sie anbettelte, bitte den Rest ihres überaus sündigen und politisch unkorrekten Lebens mit ihm zu verbringen. Auf dem Tennisplatz, ohne Nobelpreis.

Marie rieb sich die Augen.

Katrin würde sie umbringen. Alleine für diesen irrsinnigen Wunsch.

Aber erst würde sie sie verbal auspeitschen.

Dann umbringen.

Mit einem Link über umweltfreundliche Mordmethoden.

Und Alexa?

Nun, die würde, ganz Businessfrau, Marie einfach aus ihrem Gedächtnis streichen. Marie passte nicht (mehr) in ihr Weltbild. Alexa hatte einen jungen Mann, der sich nach ihr verzehrte, und Kinder, die schon recht selbstständig waren. Sie verdiente Geld, verfolgte Projekte und hatte im Kopf nur Kalkulationen.

Marie hatte in letzter Zeit das erschreckende Gefühl, dass Alexa sich nur noch mit Dingen beschäftigte, die ihr nützlich waren.

Eine Freundin, die liebestechnisch Amok lief und keine Orientierung mehr besaß, war sicher eine Sache, die Alexas Lebens- und Geschäftsplänen zuwiderlief. Marie wusste, dass wahre Freunde darüber hinwegsehen müssten, aber sie spürte auch, dass sie dabei war, ihre beiden Freundinnen zu verlieren.

Marie nippte traurig an Olivias Sektschale und merkte, dass die längst leer war.

»Oli, bitte, lass es uns Katrin nicht erzählen. Ich schaffe das momentan einfach nicht. Ich weiß, wie sie reagieren wird, ich schaffe das nicht. Weißt du, das ist zu viel. Constantin und Tristan und dann auch noch Jakub. Und mein eigenes Leben? Flo und ich? Es ist zu viel. Ich kann mich nicht rechtfertigen, während ich schon so viel Mühe habe, mich selbst zu verstehen.«

»Ruhig. Ich würde nie irgendwas erzählen, Süße. Mach in Ruhe. Ich bin da.«

»Katrin würde mich umbringen. Und Alexa würde mich einfach vergessen. Die beiden sind nun einfach auf einem ganz anderen Trip als ich. Katrin mit ihren Babys und Alex mit ihrer Karriere.«

Olivia wiegte den Kopf hin und her, wobei ihre weißblonde Turmfrisur wie die Masten eines Riesenseglers elegant hin und her schwang. »Katrin? Ja, umbringen. Wahrscheinlich mit Gift, um den Teppich zu verschonen. Und unsere Alexa ist nun Businessfrau mit Hausmann daheim. Sie will ihr Geschäft umbauen und so. Mit Café dran zum Lesen. Und noch einen anderen Laden. Sie will wohl am liebsten ein ganzes Kaufhaus bauen, keine Ahnung.«

Marie lächelte und als sie den Kopf so schief legte wie Olivias, kippte ihrer etwas zu weit zur Seite.

Es fühlte sich traurig an, als würden die Freundinnen Katrin und Alexa die in Seenot geratene Marie einfach dem Untergang überlassen.

Gab es denn keine Chance, die beiden irgendwie zu erreichen, sie um Hilfe zu bitten, und zwar ohne das übliche «Das ist falsch, mach es richtig« zur Antwort zu bekommen? Wäre es denkbar, dass sie Marie in ihrem Chaos auch ein wenig Verständnis entgegenbrächten?

In-den-Falschen-Verliebt-sein, das war doch nicht Maries Schuld!

Marie zuckte unwillkürlich mit den Schultern.

Sie wusste einfach nicht, wie sie den Freundinnen begegnen sollte.

»Ein Kaufhaus?« Marie lächelte und hielt sich am Tisch fest. »Du meinst, Alex will diesen Plan, den sie uns letztens gezeigt hat, wirklich umsetzen? Drei Läden kaufen und verbinden? Nein, nicht im Ernst!«

»Ja, sie hat Pläne. Soll sie nur. Wahrscheinlich hat sie genau solche Angst vor der Ehe wie du, Süße.«

»Wieso ich? Ich hab doch keine Angst vorm Heiraten!« Marie verstand nicht.

Ja, Alexa hatte gerade erst ein zweites Mal geheiratet, und zwar einen sehr viel jüngeren Mann, aber was hatte das mit Marie zu tun?

»Alexa stürzt sich zu sehr in die Arbeit, findet du nicht? Viel zu sehr. Warum so viel arbeiten? Wem soll das nützen?« Olivia ließ sich zurück an die riesige Rückenlehne des Korbstuhls sinken und schloss genüsslich die Augen.

»Äh, wieso aber sagt du wie ich, Oli? Ich arbeite auch gerne, aber ich verstehe nicht – was meinst du damit, dass ich Angst habe?«

»Na, Jakub und du. Das macht dir Angst, so eine Ehe.«

»Ach, aber ich bin doch nicht mit Jakub verheiratet.« Marie sah auf das frisch eingeschenkte Sektglas. »… oder bin ich schon verheiratet? Und hab es nur nicht gemerkt?« Sie spürte, dass die Welt um sie herum nicht mehr festgefügt war, sondern langsam zerbröselte, wie der rote Ziegelstaub in ihren Tennisschuhen.

»Gute Fragerei, Süße. Gute Fragerei.« Olivia stand auf und nahm die Sektflasche mit. »Ich hole mal was zu essen für dich. Mach die Augen zu, ich bin gleich wieder da.«

Marie schloss die Augen. Nur ganz kurz, und schon sah sie Tristan vor sich, wie er den Schläger ausholte und eine Vorhand schlug. Er hatte wirklich einen enormen Schläger. Der Wahnsinn.

Wenn sie den doch nur einmal …

Ohne dass sie es merkte, kippte ihr Kopf sanft nach vorne und sank sanft auf die Tischplatte. Sie hörte nur von ganz weit weg das Vogelgezwitscher und träumte davon, auf dem Tennisplatz zu stehen. Und von schönen Tennisschlägern.

2

Lesender Klosterschüler (Gips, 1930, Ernst Barlach)

Florian tat sich momentan schwer in der Schule. Er war erst in der zweiten Klasse, und Marie hatte nicht das Gefühl, ihr Kind wäre auch nur ansatzweise total verblödet, aber er hatte so seine Probleme.

»Komm, Flo, du sollst Lesen üben.« Marie stand in seinem Zimmer, schob mit dem Fuß Lego Star Wars zur Seite, um an das Regal mit den Kinderbüchern zu kommen, trat natürlich auf den unvermeidlichen Plastikstein und hinkte dann zu Flos Bett mit einem Buch in der Hand.

Ihr Handy hatte eben gepiept. Der Klassenchat, der sie jeden Tag zum Wahnsinn trieb, weil alle Mütter darin fünfmal nach den Hausaufgaben oder nach dem Stundenplan fragten, hatte Marie daran erinnert, dass Flo noch Lesen üben musste.

Das Piepen ging weiter, da eine Frage im Chat erst 25 Antworten und dann 25 sinnlose Emojis nach sich zog. Sie schob ihr nervendes Handy unter Flos Kopfkissen.

»Das mag ich nicht.« Ihr Sohn saß ziemlich miesepetrig auf der Bettkante und stupste gegen das Buch.

»Wieso? Ich soll dir das doch immer vorlesen. Ich kann es schon auswendig.«

Das große Bilderbuch, das Marie da auf den Knien balancierte, war eins der schönen Kinderbücher von Leo Leonni, von dem sie selbst als Kind alle Bücher besessen und innig geliebt hatte.

»Ich hab keine Lu-hust. Können wir nicht später?«, flüsterte Flo genervt und wie üblich satzbautechnisch völlig daneben, aber sein Tonfall war lieb.

Marie bot ihrem siebenjährigen Sohn an, ein anderes Buch zu holen, aber er wollte nicht. Er hielt das Kinn fest auf die Brust gedrückt und drehte deine Schultern merkwürdig hin und her. Alles auf Abwehr hieß das. Er sah aus wie sein Vater Constantin, und Marie bemerkte, dass sie das gut fand, keineswegs erschreckend. Es war doch gut, wenn er aussah wie sein Vater. Gut. Ja, Constantin war zwar nicht besonders schön, aber sehr stattlich, beeindruckend, darauf kam es an. Gut, wenn Flo so wurde. Komisch, es gab Zeiten, da hätte sie bei diesen Gedanken in Tränen ausbrechen mögen.

»Hm, egal. Flo, die Diskussion führen wir schon seit Tagen. Du musst Lesen üben. Laut vorlesen. Ich muss hier sogar so Zettel unterschreiben, um Herrn Boddensen zu zeigen, dass du mir jeden Tag fünf bis zehn Minuten vorgelesen hast.«

»Mag nicht.«

»Na komm.« Sie schlug die erste Seite auf. Flo versuchte, zwar nicht grob, aber doch bestimmt, das Buch wieder zuzudrücken.

»Ich mag nicht.«

Marie atmete durch.

Das durfte jetzt einfach nicht wahr sein! Das war doch nur lesen! Was war daran denn jetzt so schlimm? Das muss man nur üben!

Unter dem Kissen piepste es weiter.

Herrgott, ist Schule bescheuert! Aber es geht nun mal nicht ohne! Und auch nicht ohne Üben!

Marie versuchte sich das immer wieder vorzusagen, denn sie brauchte diese Überredung genauso. Eigentlich hatte sie selber keine Lust dazu. Das Üben mit ihrem unwilligen Sohn konnte zur Qual werden. Aber anders als ihr Sohn, der offenbar nur keine Lust hatte, kämpfte Marie gleichzeitig mit einer aufsteigenden Panik, dass ihr Kind vielleicht

NIE LESEN

NIE SCHREIBEN

NIE VOLLWERTIGES MITGLIED DER GESELLSCHAFT

werden würde, wenn sie als Mutter jetzt (sofort, augenblicklich) nicht das Wunder fertigbrachte, dem Kind Lesen beizubringen.

Lautes Lesen, leises Lesen, am besten gleich noch Schreiben, und wenn sie schon mal dabei war, auch noch das Präsentationen halten und …

Stopp, stopp, stopp!

Marie musste die Panik loswerden, denn das spürte der Junge nur.

»Wir fangen einfach mal an.«

»Och nö. Außerdem piept dein Handy immer.«

Flo rutschte von der Bettkante und tat so, als würde er eines der Legosteinchen genau betrachten.

Das waren die Momente, wo die alleinerziehende Marie sich dringend einen Ehemann wünschte, jemand, mit dem man elegant drohen konnte: »Warte nur, bis ich es Papa sage!«, oder so.

Was das helfen würde, war ihr nicht klar, aber es klang kraftvoll und nach einer schnellen, praktischen Lösung.

Aber Marie konnte keinen anwesenden Vater präsentieren, da musste sie allein durch.

Und sie bezweifelte stark, dass Constantin, Flos Vater, sich jemals geeignet hätte oder überhaupt jemals eignen würde, solcherlei Drohungen den nötigen Schrecken zu verleihen.

Constantin würde wahrscheinlich alle Zettel auf Vorrat ausfüllen, ohne dass Flo auch nur eine Silbe gelesen hätte.

»Komm, setz dich wieder zu mir, Flöchen!«

»Nenn mich nicht Flöchen! Das mag ich nicht.«

Für Erziehung brauchte man schon eine gewisse Härte, dachte Marie traurig und war sich klar, dass ihr die gerade ziemlich fehlte.

»Lies jetzt. Ein bisschen, bitte!« Sie hatte bereits drei Anläufe genommen an diesem Nachmittag. Jetzt durfte sie sich nicht wieder abwimmeln lassen.

»Kann ich heute zu Agata?«

»Nicht bevor du gelesen hast. Nun komm schon. Nur fünf Minuten, dann kann ich den Zettel unterschreiben und dann bist du auch fertig.« Sie strich ihm übers Haar und überlegte, wann das wieder geschnitten werden musste. Es war so süß, wie es sich kräuselte, wenn es über den Ohren zu lang war.

»Na los, Flo. Tu es für diesen Zettel hier!« Es tat so gut, die Verantwortung abzuschieben. Zu sagen, sie könne ja auch nichts dafür. Der Zettel war so gesehen ihre Rettung.

»Nö.«

»Doch, bitte!«

»Nö-hö!«

»Do-hoch!«

Es dauerte noch einige Zeit, bis Flo sich sehr widerwillig neben Marie setzte und mühsam zu lesen begann.

Eine Qual.

Jedes Wort wurde unmotiviert und recht unbegabt (ja, man muss auch in der Erziehung klar sehen!) Buchstabe für Buchstabe gelesen. Es würde wahrscheinlich selbst einem Passanten auf der Straße, der zufällig am Fenster lauschte, auffallen, dass der kleine Vorleser keines der Worte dem Sinn nach verstanden hatte, geschweige denn dem ganzen Satz irgendetwas Sinnhaftes entlocken konnte.

Das war im höchsten Maße mühsam und frustrierend.

Für beide.

Für Sohn und Mutter. Und beide hatten gerade das heftige Gefühl, am falschen Ort mit der falschen Sache beschäftigt zu sein.

In diesem Moment verbog Flo das Wort »Stückchen« zu einem ungeahnten Singsang und Marie rutschte das Buch vom Schoß. Flo sprang sofort auf.

»Können wir jetzt zu Agata?«

»Halt, halt. Das waren noch keine fünf Minuten. Kannst du mir sagen, was in diesem Buch passiert?«

Das konnte er. Ohne Probleme. Er schmückte es sogar noch etwas aus.

»Pezzettino ist Italienisch und heißt Stückchen. Er fühlt sich klein und nicht geliebt, weil alle größer sind.«

Marie überlegte.

»Fühlst du dich auch ungeliebt, weil andere etwas besser können?«

»Ach, Quatsch.«

Nein, Flo fühlte sich nicht ungeliebt. Das war nicht das Problem. Er konnte einfach nicht lesen. Marie wurde unruhig.

»Siehst du, ich kann lesen!«

»Du kennst das Buch auswendig, weil ich es dir gefühlte hundert Mal vorgelesen habe! Das ist alles! Du hast nichts von dem verstanden, was du mir gerade selber vorgelesen hast!«

»Doch!«

»Nein!«

»Doch!«

»Nein!« Marie hasste das Gespräch und sie hasste plötzlich sogar das unschuldige Buch.

Flo war ihr erstes und einziges Kind. Sie wusste nicht, ob das bei ihm nur eine Phase war, aber selbst sein Klassenlehrer Herr Boddensen hatte Marie darauf aufmerksam gemacht, dass Flo sehr schlecht lesen konnte.

Auch das Schreiben fiel ihm schwer. Es lag nicht an der Art, wie ihm das beigebracht wurde, auch wenn sie insgeheim diese Ausrede für sich ausgelotet hatte. Aber um der Wahrheit die Ehre zu erweisen: Er musste einfach mehr üben. Und Marie musste mehr Geduld haben.

Flos Klassenlehrer war großartig. Nicht nur als Mensch, sondern er war großartig organisiert und sehr einfühlsam.

Nein, es lag, und das musste sich das leicht verängstigte Mutterherz nun einmal eingestehen, an Flo.

Er übte nicht, also konnte er es nicht.

Anders als Mathe. Das liebte er und er nahm in der Schule schon so viel auf, dass er zu Hause kaum lernen und schon gar nichts erklärt bekommen musste. Im Gegenteil: Er konnte das in der Früh Erlernte seiner Mutter am Nachmittag schon unglaublich naseweis vortragen.

Ach, wenn er nur das Lesen auch so lieben würde!

Es reichte nicht, dass ein Kind nur eine Sache konnte. Es musste alle Fächer können.

Das war so furchtbar.

Als Erwachsener mussten wir doch auch nicht alles sein: Rennfahrer, Klempner, Tischler und Banker …

Als Mutter musste man schon alles sein, überlegte sie.

Ärztin, Lehrerin, Eventmanagerin, Oberste Richterin.

Ach, Flo. Warum nur klappt das nicht.

Fakt war nun einmal, Lesen und Schreiben musste er können und deshalb üben, üben, üben. Und zwar zu Hause, genau dann, wenn Mama gerade Zeit hatte. Und man konnte nicht hoffen, dass das sich das schon irgendwie von selbst erledigte.

»Komm, lies noch diese paar Sätze.«

»Nö.« Flo wollte nicht. Er hatte genau den Punkt erreicht, an dem Marie normalerweise entnervt aufgab, aber dieses Mal hielt sie durch.

»Komm und lies, danach rufe ich Olivia an und frage, ob du zu ihnen zum Spielen darfst.«

Widerwilliger als zuvor (und das war wirklich eine reife Leistung) setzte sich Flo verkrampft auf die Bettkante. Sein ganzer Körper zeigte an, dass er das Buch für einen geradezu toxischen Gegenstand hielt, und er linste nur aus großer Entfernung auf die Seite.

Wieder begann er zu lesen und wieder hörte man an dem tonlosen Gestammel (denn anders konnte man diesen Leseversuch nicht beschreiben), dass er kein Wort von der Geschichte verstand.

Maries Ohren baten um Gnade.

Zeile um Zeile quälten sich Mutter und Sohn nicht durch eine Geschichte, sondern durch eine Welt unmelodischer Buchstabennamen.

Marie gab auf.

Es ärgerte sie, aber sie konnte nicht mehr.