NY Phönix - U. Kirsten - E-Book

NY Phönix E-Book

U. Kirsten

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Beschreibung

"NYPhönix - Geschichten über New York und das Leben" ist ein Buch, das jeden, der einmal in New York war oder unbedingt einmal dorthin möchte, erneut dazu veranlasst, sein nächstes Ticket im Reisebüro zu buchen. Der Leser erlebt eine abenteuerliche Verfolgungsjagd in 48 Stunden, beginnend in der berühmtesten Basketball-Arena der Welt, dem Madison Square Garden, durch den Central Park, den Financial District, hinauf auf das One World Trade Center und auf den "Top of the Rock" des Rockefeller Centers. Er genießt eine leckere Pastrami im "Katz Deli", das durch die "Harry und Sally"-Filmszene berühmt wurde. Lenny, ein Junge gebürtig in New York, weiß lange nicht, wer sein Verfolger ist und was sich Unheimliches in seiner Heimatstadt abspielt. Er findet Freunde und gemeinsam beschließen sie, sich zur Wehr zu setzen und den Spieß letztendlich umzudrehen. "NYPhönix" ist aber auch eine Geschichte über das Leben. Lenny ist auf einem Weg der Selbstfindung. Wer selbst auf diesem Weg ist, oder ihn beschreiten möchte, wird viele Anregungen finden. Jeder Mensch ist der Schöpfer seines eigen Lebens, wenn er es lernt, seine Gedanken zu lenken. Denn jede positive als auch negative Energie folgt unserer Aufmerksamkeit."

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Seitenzahl: 454

Veröffentlichungsjahr: 2015

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„Wir sind nur Würmer, doch dazu geboren, ein himmlischer Schmetterling zu werden.“

Vorwort

Es gibt die Legende der Regenbogenkrieger. William Willoya und Vinson Brown erzählen diese Geschichte in ihrem 1962 veröffentlichten Buch „Warriors of the Rainbow“. Wenn die Tiere in den Wäldern sterben, wenn die Fische in vergifteten  Flüssen schwimmen, die Luft verpestet ist, dann werden die Regenbogenkrieger kommen und für den Erhalt und die Heilung unserer Erde kämpfen. Die Regenbogenkrieger werden Menschen aller Rassen, Glaubensrichtungen und unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten vereinen.  Die Regenbogenkrieger haben bereits viele Namen. Dan Millman nannte sie die „friedvollen Krieger“. Bei Paolo Coelho sind es die „Krieger des Lichts“. Ich habe sie im vorliegenden Roman die „Phönix-Krieger“ genannt. Ich möchte dieses Buch den Menschen widmen, die sich entschieden haben, selbst den Weg des Regenbogens zu beschreiten, den Flug des Feuervogels aufzunehmen. Es sind Menschen, die begonnen haben, bewusst, aufmerksam aber auch konsequent ihr Leben zu leben. Sie arrangieren sich nicht mit dem Leben, sondern gestalten es nach ihren Wünschen und ihren Wert- und Moralvorstellung. Sie stellen sich gegen die Selbstsucht und den Egoismus, die Bereicherungssucht, die Ausbeutung des Menschen und der Natur durch eine raffgierige und kurzsichtige Minderheit. Sie lassen sich nicht verdummen, sondern entwickeln eine eigene Meinung und einen klaren Standpunkt.

Sie entwickeln ihre Energie und Kraft aus einer wachsenden inneren Harmonie und Balance. Sie stärken ihre eigene Selbstliebe, als die Quelle wahrer Liebe, die wiederum die stärkste Energiequelle unseres Universums darstellt. Die Phönix-Krieger achten und entwickeln immer positive Gedanken und Gefühle. Sie haben klare Wünsche und ziehen diese magisch in ihr Leben, weil sie fest an ihr Glück im Leben glauben. Sie sind beharrlich und entschlossen und dabei sanft und voller Aufmerksamkeit und Liebe ihren Mitmenschen gegenüber.

Viele Menschen werden sich mit den zunehmenden Widersprüchen in unserer Gesellschaft den Phönix-Kriegern anschließen. Sie werden sich gemeinsam zu Wort melden und ihre Rechte einfordern. Letztlich gibt es keine Alternative für eine Welt der Synergie, der Gemeinsamkeit, in der das Glück und das Positive dominieren.

Dieses Buch habe ich mit der Begeisterung, Phantasie meiner ganzen Familie geschrieben. Viele der Anregungen, der Figuren und Geschichten kommen von meinen Kindern. Es ist unser Buch geworden und ich bin zutiefst dankbar für unsere gemeinsamen phantasievollen Erlebnisse mit unseren Freunden den Phönix-Kriegern.

Der Ruf des Phönix

„Defence, Defence, Defence“ donnert es von der Zuschauertribüne. Wie Kanonenschüsse treibt der Chor der Zuschauer und Fans die Jungs vom New York Knicks Basketballteam zu einer standhaften Verteidigung. Die Nachwuchsmannschaft der diesjährigen NBA Champions von Miami Heat sind in New York zu Besuch in der wohl berühmtesten Basketball - Arena der Welt, dem Madison Square Garden. Nicht nur, dass hier die coolsten und besten Basketballmannschaften der Welt spielen. Die Generation der Eltern schwärmt noch immer von den legendären Konzerten von Led Zeppelin, Kiss, Pink Floyd oder Genesis auf altehrwürdigem Madison-Boden. Die Halle war ein wahrhafter Phönix, der immer wieder aus der Asche emporstieg. Sein erster Bau um 1880 diente noch als Zirkus. Ganze vier Mal wurde der MSG, wie er von den New Yorkern genannt wird, neu, zum Teil an anderer Stelle errichtet. Im Hollywoodstreifen „Godzilla“ legte die Riesenechse hier ihre Eier ab und der MSG wird daher durch das Militär mit Raketen zerstört. Die Halle ist es gewohnt, von der Begeisterung der Fans nahezu auseinander zu bersten. Und so war es auch heute wieder. Das „Defence“ - Gebrüll seiner Eltern ist Lenny und seinen Basketball-Kumpels manchmal peinlich. Wie können Erwachsene sich so vergessen und mit Tröten, Klatschen und lautem Geschrei ein so grauenhaftes Klang-Orchester fabrizieren. Andererseits wissen die Kids, dass ihre Väter und Mütter da hinten mit stolz geschwellter Brust auf den Zuschauertribünen sitzen oder meist stehen und sich vor Begeisterung und Anteilnahme Herz und Seele aus dem Leib schreien. Sein Vater betonte immer wieder, dass er es liebte, wenn er freitags oder samstags nach einer Woche Stress als Manager, sich das angestaute Adrenalin und den zurückgehaltenen Ärger ungestraft herausschreien durfte. Sollte er ruhig hier toben, dann war sein Vater zu Hause wieder das sanfte Lamm, das keiner Fliege etwas zu Leide tun wollte. 

Dieses Jahr ist es nun doch passiert. Die Miami Heat sind NBA Champion. Und Lenny ist stinksauer, dass es dem Dreiergespann, den „bösen Jungs“ Le Bron James, Dwyne Wade und auch „Spice Girl“, Chris Bosh, gelungen war, erst die Dallas Mavericks und dann Oklahoma City mit Kevin Durant nieder zu ringen. Dass das junge Talent Jeremy Linn, Lennys großer Held, der bei den New York Knicks endlich einmal wieder den Traum von der Meisterschaft entfacht hatte, letztlich durch eine Knieoperation bei den Playoffs ausfiel, war einfach gnadenloses Pech. Jeremy war erst letztes Jahr zu den New York Knicks von den Golden State Warriors aus San Francisco gekommen, wo er nach seinem Draft fast nur auf der Bank saß. Als der eigentliche Spielmacher Carmelo Anthony ausfiel, hatte die Stunde für Linn geschlagen. Im Lokalspiel gegen die New Jersey Nets erzielte er 25 Punkte, 5 Rebounds und 7 Assists. Damit hatte er sich beim Coach für die Startaufstellung der 5 besten Spieler, den „Starting Five“ zu Beginn eines jeden Spiels, qualifiziert. In seinen ersten 5 Spielen als Starting Five stellte er einen neuen NBA Rekord mit 136 Punkten auf. Ein Virus brach bei den Fans in der NBA aus und verbreitete sich bis nach Europa „Linnsanity“. Lenny war mit seinem Vater bei fast allen Spielen von Jeremy Linn gewesen. Die Spieler der Jugendmannschaft wurden bei den NBA Spielen als Ordner, Ballholer und Handtuchreicher eingesetzt. Und er war damit ganz nah an seinen Idolen. Jeremy Linn war im Gegensatz zu den anderen Basketballstars überhaupt nicht abgehoben. Lennys Trainer kannte Linn und hatte diesen sogar einmal zum Training eingeladen. Die Jungs durften gegen Linn einzeln spielen und Linn hatte Lenny diesen einzigartigen Wurf, einen Floater gezeigt, den er jetzt regelmäßig bei seinen Spielen anwendete und den Gegner damit überraschte.

„Defence, Defence, Defence“ … Lennys Team baut gerade wieder die Abwehrstellung auf. Lenny weiß seine Kumpels im Rücken. Als Aufbauspieler stellt er sich bereits kurz hinter der Mittellinie seinem persönlichen Gegner entgegen, einem athletischen schwarzen Jungen, der ihn fast um einen Kopf überragt. So einfach soll er es nicht haben. Aus dem Hintergrund hört er seinen Trainer rufen: „Lenny … Beinarbeit!“ Da deutet sein Gegner bereits im Dribble eine Bewegung nach rechts an.  Doch Lenny erkennt die Finte und mit einer kurzen, gezielten Bewegung gegen den Ball, schlägt er ihm diesen aus der Hand. Schnell wie eine Katze ist er an dem verdutzten Miami Spieler vorbei und nimmt in einem kurzen Dribble den Ball auf. Der Saal explodiert vor Begeisterungsschreien. Zehn Schritte vor ihm ist der Korb. Doch er hört schon den Gegner von beiden Seiten ihm hinterher stürmen. Das muss er schaffen. Er sieht nur den Korb und mobilisiert seine Energie. Drei, zwei, er springt den letzten Meter in Richtung Korb und legt den Ball elegant mit einem Korbleger hinein. Aus den Augenwinkeln sieht er seine Eltern in die Luft springen. Es steht 22:18. Heute werden sie Miami endlich einmal platt machen.

Lenny spielt leidenschaftlich Basketball. Vor drei Jahren hatte er das Glück, im Feriencamp vom Jugendtrainer der New York Knicks angesprochen zu werden. Er erinnert sich noch wie heute daran, dass er daraufhin zu seinem Vater gegangen war. Der hatte ihm ernst und tief in die Augen geschaut. „Und was ist mit Deinem Karate Training? Du hast es bis zum blauen Gurt geschafft“ Lenny ist jetzt 14. Vor 7 Jahren hatte er aufgeregt mit seinem Vater auf der Bank gesessen und den anderen Kindern beim Karate-Training zugesehen. Das Herz hatte ihm, wie ein kleiner Vogel, aufgeregt in seiner Brust gepocht. Der kleine Vogel wollte sich in der hintersten, dunkelsten Ecke seines Herzens verkriechen. Der Karate Trainer Andy, ein lustiger, kleiner, drahtiger Mann mit kurzen grauen Haaren hatte ihm Zeit gelassen und nun war er schon das dritte Mal hier. Die beiden vorhergehenden Male waren sie unverrichteter Dinge wieder nach Hause gegangen. Lenny hatte Angst und wenn er auch noch so gern mit den anderen Kindern mittrainieren wollte, er wurde dieser Angst einfach nicht Herr. Diesmal hatte sein Vater ihm einen Köder ausgeworfen. Sie würden am Wochenende losziehen und das phantastische Lego-Starwars-Schiff kaufen, wenn Lenny sich überwindet. Luke Skywalker und Jabba wären als Figuren auch mit dabei. Und dann hatte er seinen Vater vollkommen überrascht, als er mitten im Training aufstand und sich in die Reihe der kleinen Karatekämpfer stellte und die ersten Übungen mitmachte. Das war nun sechs Jahre her. Das Karate Training hatte ihm geholfen, der Angst Einhalt zu gebieten. Er war nun richtig gut im Sport und die Jungs seiner Klasse akzeptierten ihn, so wie er war. Er lernte es, seinen Körper zu beherrschen und sich auf die Abfolge der unzähligen Angriffs- und Verteidigungsübungen zu konzentrieren. Er wurde der beste Springer und konnte über Seile springen, auch wenn sie der Trainer noch so hoch hielt.

Nun stand Lenny also wieder mit bittenden Augen vor seinem Vater. Dieser musste dabei unwillkürlich an die letzte Prüfung zum blauen Gurt denken. Ja, Lenny hatte es letztlich geschafft und er war enorm stolz auf den Jungen. Aber er hatte auch gemerkt, dass diese Art des Kampfes ihm nicht lag. Lenny wirkte zögerlich und er war kaum bei der Sache. Jetzt wusste er, Lennys Leidenschaft und sein Herz waren noch auf der Suche. Der Vater dachte daran, wie schwer es im Leben war, seinen richtigen Platz zu finden. Er wollte es gern dem Jungen einfacher machen und ihn auf seinen Lebensweg bestmöglich vorbereiten. Aber er wusste auch, dass er nicht glauben durfte, sein Sohn würde sich für dieselben Dinge interessieren, für die er einst in seiner Jugend gebrannt  hatte. Natürlich interessierte sich Lenny für die Hobbys seines Vaters, schon allein, weil er ihn liebte und froh darüber war, wenn der Vater seine knappe Zeit, wenn er denn mal zu Hause war, mit ihm teilte. Die Comic-Sammlung auf die der Vater als Kind und Jugendlicher verrückt gewesen war, die er akribisch immer wieder gelesen und gesammelt hatte, lag jetzt im Bücherregal von Lenny und wurde kaum noch beachtet. Der Junge begann seinen eigenen Musikgeschmack zu entwickeln und hatte nur ein müdes Lächeln, wenn der Vater von seiner Hardrockzeit mit ACDC und Led Zeppelin schwärmte. Stattdessen verfolgte sein Vater intensiv die neuen Musikrichtungen, die der Junge aus seinem Freundeskreis mit anschleppte.

Das Zauberwort war Leidenschaft. Alles wofür man im Leben Leidenschaft entwickelt, wird einem vortrefflich gelingen. Wenn der Funke der Leidenschaft überspringt, dann wird unermessliche Energie freigesetzt, so dass das Lebensprojekt unweigerlich gelingen wird. Man wird immer die zusätzliche Zeit investieren, die zusätzliche Runde laufen, weil man vor Enthusiasmus kaum zu stoppen ist. Die Zeit wird man kaum spüren, weil man mit dem Herzen bei der Sache ist. Und Leidenschaft kennt nur das Hier und Jetzt, den jetzigen Augenblick. Leidenschaft lässt sich nicht ablenken von dem Thema, das man liebt und vollenden möchte. Leidenschaft setzt zusätzliche Potentiale, Energien, Kreativität, Phantasie und Beharrlichkeit frei. Menschen, die etwas mit Leidenschaft tun, werden immer besser sein, als diejenigen, die nur mit Profession an die Dinge herangehen. Sie werden diese schnell überflügeln. Deswegen, ist es so wichtig, den richtigen Platz in seinem Leben zu finden, wo man mit Leidenschaft und Liebe agieren kann, wo man seine Bestimmung und damit sein Glück findet. Ein Beruf ist idealerweise eine Berufung. Darum wähle mit Bedacht, damit die Aufgabe, der Du Dein Leben widmest, Deiner Persönlichkeit, Deinen Stärken entspricht.  Es gibt so viele Menschen, die nicht ihr Spielfeld im Leben gefunden haben. Sie sind nicht schlechter als die Anderen, aber sie rackern sich ab, weil ihnen jede Handlung, jeder Schritt an diesem Platz viel Energie abverlangt. Mit den Jahren wird diese Tätigkeit sie auslaugen, oft sogar ausbrennen. Ohne Erfolgserlebnisse werden sie ständig dem Glück hinterherlaufen und nur selten daran teilhaben. Diejenigen, die jedoch ihre Leidenschaft gefunden haben und für sie bereit sind, allen Widerständen zum Trotz, zu kämpfen, werden letztlich das Glück für sich gewinnen. Ihre Leidenschaft wird sie auf ihrem Lebensweg begleiten und sie mit viel Energie, Phantasie und Kreativität belohnen. Wirklich schöpferisch ist man dann, wenn man mit Leidenschaft bei der Sache ist.

Dies alles ging dem Vater nun durch den Kopf. Er schaute Lenny tief in die Augen und spürte, dass es dem Jungen ernst war. „Ja, dann tue es. Ich freue mich für Dich.“ Lenny war aufgesprungen. Er hatte Tränen in den Augen „Ja, ja, ja“ Er konnte das Glück kaum fassen. Diese Entscheidung seines Vaters hatte er so schnell nun doch nicht erwartet.

Seit diesem Zeitpunkt steckte er jede freie Minute in seine Leidenschaft. Drei bis vier Mal in der Woche war er beim Training. In der Schule lief es gut, weil sich sein Lehrer mit seinem Basketballtrainer einig war und Lenny davon überzeugt hatten: Gute Leistungen in der Schule sind die Voraussetzung für einen herausragenden, leistungsorientierten Sportler. Lenny hatte inzwischen erkannt, dass er, wie im Basketball, jedes Ziel erreichen konnte, wenn er nur genug Energie in die Sache stecken würde. Und wahrlich, er war bereit, für sein Ziel, die NBA-Basketball-Liga, die Extrarunde zu drehen, hart zu trainieren und massenweise Liegenstütze, sogar abends vor dem Fernseher zu machen.

Das Spiel gegen die Miami-Jugend ist auch im zweiten Viertel noch auf Augenhöhe. Lennys Team führt knapp mit 28:27. Ihr Trainer, dem sie den Spitznamen „Buddha“ gegeben hatten, weil er eine allgegenwärtige, stoische Ruhe ausstrahlte und ein permanentes Lächeln auf den Lippen trug, rief vom Spielrand seine Kommandos. Lenny konnte sich keinen besseren Trainer wünschen. „Buddha“ nahm Lenny und die anderen Jungs nach dem Training oft beiseite und erklärte ihm Spielzüge, korrigierte seine Fehler und lobte ihn immer wieder für seine „Ball-Intelligenz“. Sein Trainer hatte einen siebten Sinn dafür, wie er jeden einzelnen von ihnen anzupacken hatte. Der eine brauchte eine direkte Ansage. Lenny wiederrum reagierte aufgrund seiner Sensibilität auf jedes Augenzwinkern seines Trainers und setzte die Anweisungen direkt auf dem Spielfeld um. „Lenny bring’ den Ball nach vorn und dann will ich den 8er-Lauf sehen.“ Lenny bekommt den Ball von seinem Kumpel Rick gepasst. Mit einem kurzen Dribbling ist er schnell hinter der Mittellinie. Luc kommt ihm links entgegen und sie wechseln den Ball als sie sich begegnen. Luc umgeht einen Gegner und drückt dem ihm entgegenkommenden Mitspieler den Ball in die Hand. Der rennt, wie im Training als automatischer Ablauf immer wieder durchgespielt, auf Lenny zu und der Ball wechselt erneut. Der Gegner ist ein wenig verwirrt und Lenny nutzt die Gelegenheit. Er zieht in den Kreis und schlängelt sich an der Abwehr vorbei. Er deutet einen Wurf mit rechts an, legt sich jedoch den Ball dann in die linke Hand und der Ball landet von dort elegant im Korb. „Wer sagt’s denn.“ Lenny sieht seinen Trainer ein Zeichen zur Auswechslung machen. Am Spielrand klopft ihm sein Trainer zufrieden auf die Schulter. „Klasse Spiel Lenny!“

Erschöpft lässt sich Lenny neben seine Kumpels auf die Bank fallen. Er greift in seine Sporttasche und sucht seine Wasserflasche. Bei dem Herumgewühle spüren seine Finger etwas Kaltes, Hartes, Rundes. Verdutzt zieht er eine Glasmurmel aus der Tasche. „Wie kommt die denn hier her?“ fragt er sich. Bei genauerem Hinsehen erkennt er eine regenbogenartige Spirale in der sonst durchsichtigen Glasmurmel. „Wahrscheinlich hat Mati sie mir als Talisman vor dem Spiel in die Tasche gesteckt.“ Sein Vater sammelt Glasmurmeln. Die hatten es ihm irgendwie angetan. Auf ihrem Esstisch zu Hause stand eine große Schale mit Glasmurmeln in allen Größen und Farben, rote, gelbe, grüne, blaue, violette. Sein Vater wählte jeden Morgen drei kleine Glasmurmeln aus und steckte sie sich als Glücksbringer für den Tag in die Hosentasche seines Anzugs. Lenny lässt die Glasmurmel in seine Sporthose verschwinden. „Ein bisschen Glück kann nie schaden.“ Mati ist seine zweieinhalb Jahre jüngere Schwester, die bei seinen Eltern auf der Zuschauerbank sitzt.

Mit einem zweiten Griff in die Sporttasche greift er sich seine Wasserflasche und nimmt einen großen Schluck. Dabei fällt sein Blick auf die großen Fenster der Halle. Draußen schien gerade noch die Sonne. Nun war es dunkel und bewölkt. Ein Sturm ist im Anzug. „Na was soll’s. Gut dass wir in der Halle sind.“ Er schaut hinüber zu seinen Eltern auf die Zuschauertribüne. Seine Mutter zeigt ihm den erhobenen Daumen. Sein Vater schreibt wie immer das Ergebnis in das kleine schwarze Notizbuch, das er bei jedem Spiel dabei hat. Hier trägt er akribisch alle Aktionen von Lenny ein und gemeinsam werten sie es zu Hause aus. Wie viele Körbe, Assists, Steals, Rebounds hat Lenny umgesetzt. Wie war die Trefferquote. „Echt Klasse, dass mein Dad so bei der Sache ist“, denkt sich Lenny. „Er hat sich von mir vom Basketballfieber anstecken lassen.“ Letztes Wochenende waren sie sogar zu einem – sie nennen es „Papa-Wochenende“ nach Boston gefahren, wo sein Vater die Woche über arbeitet. Er hatte dort eine kleine „Studentenbude“ gemietet. Spartanisch eingerichtet, ohne Fernseher, mit Bett, Tisch, einer Musikanlage, seiner Gitarre und gemeinsam mit seiner Schwester Mati gemalten Bildern an der Wand, war das alles, was sein Vater die Woche über brauchte. Am Samstag waren sie nachmittags zu dem Spiel der Boston Celtics gegen die Dallas Mavericks gegangen. Dirk Nowitzki der große, blonde Deutsche war schon eine Wucht. Sein Kranich Wurf, bei dem er sich beim Wurf nach hinten fallen lies, war einsame Klasse. Aber auch Raijo Rondo, der junge Aufbauspieler von Boston war Lennys Vorbild. In der Zeitschrift „Basket“ hatte Lenny gelesen, dass Präsident Obama letztens die Boston Celtics persönlich besuchte. Obama hatte über die Wurfquote von Rondo gewitzelt. Das ging durch die ganze Presse und nun hatte der sensible Spieler einen Blackout. Ja, die Erwartungen an die Spieler waren immer groß. Das kannte Lenny bereits. Abends waren Lenny und sein Vater in die Innenstadt von Boston gezogen. In einer Studentenkneipe gab es Tortellini und eine große Coke für Lenny. Lenny fand es toll, dass sein Dad ihn schon wie einen Großen behandelte. Trotz seiner fast 50 Jahre war sein Vater echt cool. Er trug am liebsten Jeans und All-Star Chucks und sein Lieblings - Led Zeppelin T-Shirt. Am Handgelenk hatte er ein paar bunte Bänder. Seine Haartolle war in der Woche passend zum notwendigen Anzug nach hinten mit Haar-Gel angelegt. Jetzt trug er die Haare offen und mit seiner neuen Brille sah er beinahe Johnny Depp etwas ähnlich. Abends hatten sie noch bei Dad in seiner Bude übernachtet und vor dem Schlafen über Basketball gefachsimpelt. Am nächsten Morgen gab es Frühstück in einem Café um die Ecke und dann ging es über den Highway zurück nach New York.

Die Tröten und das Gebrüll der Zuschauer reißen Lenny nun aus seinen Gedanken. Miami hat gleichgezogen. Lenny möchte sofort aufs Spielfeld rennen, um seinem Team zu helfen. Sein Verstand hält ihn jedoch zurück. „Den Ärger vom Schiedsrichter kann ich wirklich nicht gebrauchen.“ Ziellos gleitet sein Blick über die Zuschauer. Dabei bleibt sein Blick an einem merkwürdigen Typen hängen. Er hat schulterlange, schwarze Haare, die er in einem Zopf nach hinten gekämmt, zusammen hält. Ein schwarzer Parka verdeckt umhangartig seine restliche Kleidung. Der Mann schaut in seine Richtung. Besser gesagt, er schaut ihn direkt an und das scheinbar schon gefühlte Minuten. Das erste mulmige Gefühl lässt sofort nach. Der Blick des Mannes hat nichts Beängstigendes. Ganz im Gegenteil, er strahlt innere Ruhe und Kraft aus. Lenny schaut in dessen Augen und ihn selbst durchströmt eine kraftvolle Energie. „Lenny … Lenny!“, beim zweiten Mal energischer, ruft sein Trainer. „Los Du wechselt mit Luc.“ Lenny springt auf. Luc läuft auf ihn zu und sie klatschen sich am Spielfeldrand ab. Lenny schließt sich seinem  Team an, das gerade wieder den Ball zum Angriff nach vorn trägt. Lenny nimmt seine Position an der Dreierlinie ein. Ein kurzer Blick nach draußen sagt ihm, dass das Wetter sich beruhigt hat. Die Sonne beginnt bereits wieder, an einigen Stellen hinter den Wolken mit ihren Lichtstrahlen den Regen zu verdrängen. Der Anblick verschlägt ihm jedoch die Sprache. Ein riesiger doppelter Regenbogen nimmt fasst die gesamte Fensterfront ein. So etwas Einzigartiges hat er noch nie gesehen. „Lenny!“ ruft jemand hinter ihm. Er sieht aus den Augenwinkeln seitlich einen Schatten, den Ball, auf sich zurasen. Sein Kopf scheint von dem Schlag fast zu explodieren. Vor seinem inneren Auge vermischen sich tanzende Sterne mit einem farbigen Regenbogen. Ein regenbogenfarbener Vogel steigt in den Himmel empor. Dann wird alles schwarz.

Der Mann mit dem Zopf murmelt leise vor sich hin. „Tut mir Leid Großer. Wir brauchen Dich.“

In den Straßen von New York

Lenny schreckt auf. Er liegt am Boden. Es ist dunkel um ihn herum. „Was ist los? Wo sind die Anderen?! Ist das Spiel schon vorbei? Hat er etwa das Ende verpasst?“ Er erinnert sich an die letzten Bilder, die er abgespeichert hat: der regenbogenfarbene Vogel, das Gesicht des Mannes mit dem Zopf und der Schlag, der seinen Kopf innerlich explodieren ließ. Wo sind seine Eltern, sein Trainer. „Die können mich doch hier nicht einfach so liegenlassen.“ Es ist bereits Nacht. Er liegt auf den breiten Stufen einer riesigen Treppe. Über ihm ragen stolze Säulen in den Himmel, deren Enden von zierlichen Blättern und Stängeln gekrönt sind. Korinthische Säulen sagt ihm sein Geist, der sich noch immer im Dämmerzustand befindet. Sein Blick wandert nach rechts, wo sich die Reihe der Säulen fortsetzt. „Bin ich im Himmel, im Olymp bei den Göttern“, geht es ihm durch den Kopf. Ihm fällt der Schriftzug oberhalb der Säulenkolonnade auf. Er versucht, diesen zu entziffern: “Weder Schnee, noch Regen, noch Hitze, noch die Dunkelheit der Nacht können die Kuriere von der Überbringung ihrer Nachrichten abhalten“ Das kommt Lenny bekannt vor. Sein Gehirn beginnt zu rattern, bis es eine gespeicherte Information findet, bei der es einrastet. „Ich bin gerettet. Ich bin in New York. Lenny kennt das Gebäude, an dessen Mauern er rücklings liegt. Jede Woche hatte er es mehrmals unbewusst passiert, wenn es zum Basketballtraining ging. Es ist das Central Post Office an der 34 Straße/ Ecke 8th Avenue gegenüber der Pennsylvania Station in New York. Dahinter liegt seine Basketball-Heimat, der Madison Square Garden.

Unwillkürlich muss er an seinen Vater denken. Dieser hatte ihn einmal auf die prächtige Säulenkolonnade aufmerksam gemacht und gemeint, es wären korinthische Säulen. Sein Vater liebt Architektur und gemeinsam waren sie in New York, ihrem geliebten „Big Apple“ immer wieder, all die letzten Jahre auf Streifzüge gegangen. Sein Vater konnte ihm zu vielen der Gebäude, Wolkenkratzer, Museen, Kirchen, Synagogen Geschichten erzählen. Unter welchen Umständen, in welcher Zeit war das Gebäude errichtet worden. Wer hatte hier gelebt und geliebt. Welches Glück, welche Krisen hatten die Häuser und ihre Bewohner erlebt. New York war eine pulsierende, sich ständig anpassende, wachsende Stadt, eine Stadt mit Herz, mit Geist, mit ihrer grünen Lunge, dem Central Park, mit den eigenständigen Stadtteilen Brooklyn, der Bronx, Queens und Staten Island, die sich wie Gliedmaßen um Manhattan wanden. New York lebte mit und durch seine Menschen, die ständig auf den Beinen waren. Sein Vater hatte die gemeinsamen Streifzüge durch New York immer als „Schatzsuche“ bezeichnet. Als Lenny und Mati noch klein waren, drückte er ihnen eine „Seeräuber“-Karte in die Hand, die Bilder und Fotos von Gebäuden, Kirchen, Brunnen, Details, wie ein Wasserspeier, eine Verzierung, ein gotisches Kirchenfenster, eine interessante Eingangspforte oder eine Skulptur zeigten. Dann waren sie gemeinsam mit Lennys kleiner Schwester losgezogen, auf Schatzsuche. Sein Vater motivierte sie dazu, die auf der Karte abgebildeten Sehenswürdigkeiten zu entdecken, zu finden. Er wollte sie dazu anregen, auch auf die vielen kleinen versteckten schönen und einmaligen Details und Kleinigkeiten zu achten. Wenn sie als Team alles entdeckt hatten, versteckte der Vater eine Plastikdose mit Schokolade, Fußball- oder Starwars - Karten und der Schatz wurde gefunden und wenn möglich verspeist.

Lenny dreht sich zur Seite, um die Straße besser ins Blickfeld zu bekommen. Diese ist wie ausgestorben. Kein einziger Mensch ist weit und breit zu sehen. Aber irgendetwas stimmt nicht mit seiner Wahrnehmung. New York schläft niemals! Und trotzdem sieht er keine Menschenseele auf der Straße. Parkende Autos aber weit und breit keine Passanten. Lenny setzt sich auf. „Es kann nur ein Alptraum sein. Was mache ich jetzt?“ Lenny ist noch völlig benommen. Vielleicht sind Menschen im Central Post Office. Es hat 7 Tage die Woche, 24 Stunden geöffnet. Einer der über 2000 Postbeamten, die hier arbeiten, wird ein offenes Ohr für ihn haben. Er steigt die breiten Stufen empor und ist wieder einmal vom Anblick der unendlich vielen korinthischen Säulen beeindruckt. Er hat das Gefühl, er würde den Olymp hinaufsteigen, um Zeus einen Besuch abzustatten. Die riesige Säulenkolonnade soll die längste der Welt sein. Mit seiner Klasse war er einmal hier bei einem Tagesausflug. In seiner Phantasie malt er sich aus, dass zwei riesige, antike Krieger, die Wächter des Gebäudes, aus den Pavillons mit den pyramidenartigen Dächern, die sich jeweils an beiden Seiten des Säulenforums befinden, ihm entgegen treten. Aber niemand hält Lenny auf. Oben angekommen, hat er die Wahl, durch welche der vielen Türen, je eine zwischen zwei der mächtigen Säulen, er eintreten soll. Abwechselnd sind die Pforten mit goldenen Rundbögen oder klassizistischen Giebeln geschmückt. Er drückt sich gegen die messing-farbene Drehtür, die ihn mit sich in die Postschalterhalle befördert. Die Halle ist 10 bis 15 Meter breit und erstreckt sich zwischen den sie links und rechts eingrenzenden Pavillons. Auch hier ist niemand zu sehen. Lenny schaut hinauf zu den über den Drehtüren gelagerten Fenstern, die nur spärliches Licht einfallen lassen. Sein Blick wandert zu der reich dekorierten Decke, die mit einem auffälligen sechszackigen Sternenmuster verziert ist. In der Mitte eines jeden Sterns prangt ein doppelköpfiger Adler und die Initialen R.F.

Der Stil des Gebäudes ist prächtig und imposant, wirkt aber auf Lenny trotzdem etwas zusammengewürfelt. Er erinnert sich, dass sein Vater diesen Baustil als Beaux-Arts bezeichnete. Paris war Mitte des 19.Jahrhunderts der Ursprung dieses neuen Architekturstils. Bei den rationalen Deutschen und insbesondere in Preußen war er als Historismus verbreitet. Später zu Beginn des 20.Jahrhunderts hatte sich dieser Stil dann rasant auch in den Vereinigten Staaten verbreitet. Die jungen amerikanischen Architekten ließen sich in Ihrer Begeisterung von der italienischen Renaissance, der griechischen Antike leiten und nahmen auch Anregungen aus dem Barock auf. Dieser Baustil ließ jedoch die Romanik und die Gotik vollkommen außer Acht, die wiederum den Kirchen vorbehalten blieb. Die Welt veränderte sich in dieser Zeit rasant und die Industrialisierung forderte ihren Tribut. Städte, Mietskasernen, Bahnhöfe, Wassertürme, Museen, Postämter wuchsen über Nacht aus dem Boden und das aufstrebende Bürgertum wollte seine neue Macht und seinen erworbenen Reichtum präsentieren. Die Industrialisierung wurde nach außen hin noch durch Anleihen aus früheren Bauepochen kaschiert.

Noch immer ist kein Mensch zu sehen. Lenny gibt jedoch nicht auf. Rechts neben der Schalterreihe sieht er eine Tür. Er drückt sie auf und befindet sich nun in einem langen Gang, von dem links und rechts mit dunklem Holz getäfelte Bürotüren abgehen. Er kommt an einer Glasvitrine vorbei. In dieser ist die blaue Uniform eines Postangestellten aus den 60er Jahren, seine blaue Schirmmütze, auf der ein messing-farbiges Abzeichen  prangt, als auch eine lederne Posttasche, zum Austragen der Briefe, ausgestellt. Dann kommt er an eine Treppe. Sie führt in die untere Etage. Das Geländer ist bronzefarben und die Sprossen deuten kunstvoll gestaltete griechische Harfen an. Entlang des Treppenabsatzes verläuft ein Band von antiken Rauten. Lenny steigt die Treppe hinab und wendet sich nach rechts in einen Bürotrakt mit großen, imposanten, eichenen Holztüren. Dieser Bereich muss den Direktoren vorbehalten sein. Und wirklich prangt neben einer der Türen ein großes Messingschild mit der Abbildung eines Mannes mit breiter Stirn und einer Halbglatze, umrandet mit einem Haarkranz. Lenny entziffert die Zeilen: „Dieses Gebäude trägt den Namen des 53. Postmeisters von New York, James A Farley, der in diesem Büro von 1933 bis 1940 seinen Dienst ausübte. „Gut, dass ich das jetzt auch weiß.“, denkt sich Lenny innerlich schmunzelnd. „Das bringt mich im Augenblick jedoch auch nicht weiter.“ Lenny beginnt, in dem weitläufigen Gebäude langsam die Orientierung zu verlieren. In Gedanken versunken, drückt er die messing-farbene Klinke der schweren Holztür nach unten. Die Tür gibt dem Druck nach. Lenny schlängelt sich durch den Spalt in das saalartige Büro. Im Zimmer ist es stockduster. Langsam beginnen sich seine Augen, an das Zwielicht zu gewönnen. Seine Augen erfassen auf der rechten Seite eine ausgedehnte Bücherwand. Daneben hängt eine überdimensionale historische Karte der Vereinigten Staaten. In der Mitte des Raumes steht ein massiver Mahagoni-Schreibtisch. Auf dem Sessel hinter dem Schreibtisch und ihm stockt dabei der Atem, erkennt er die Umrisse einer Gestalt. Lennys Gedanken beginnen zu kreisen und ihm wird schwindelig. Eine undefinierbare Angst macht sich in ihm breit. Die schwarze Gestalt ist in einen Umhang gekleidet. Unter der tief in das Gesicht gezogenen Kapuze starren ihn zwei glühend, giftgelbe Augen an. Er hat das Gefühl, dass sein Geist fixiert ist. Zwei Schraubzwingen pressen sich gegen seinen Schädel. Die knochigen, krallenartigen Hände hat das Wesen so auf die Schreibtischplatte aufgestützt, als würde er sich jeden Augenblick mit einem gewaltigen Satz auf sein Opfer stürzen. Trotz der Panik, die in Lenny aufsteigt, fällt sein Blick auf den silbrig schimmernden Siegelring an dessen rechten Hand. Lenny erkennt verwundert die Umrisse eines Schmetterlings. Dieses kleine Detail will so gar nicht in die alptraumhafte Situation passen.

Der Mann hinter dem Schreibtisch spricht mit einer kehligen, befehlsgewohnten, scharfen Stimme: „Ich habe Dich erwartet.“ Und dabei zeigt er ein breites, arrogantes Grinsen. „Du wurdest mir angekündigt. Ich werde Dich von nun ab wie ein Alptraum verfolgen. Du wirst mich zu IHM führen. Deine Angst wird Dich treiben. Du wirst versuchen, gegen Deine unausweichliche Niederlage anzukämpfen. Du wirst nach Mitteln und Wegen suchen, Dich zu wehren, mich doch noch zu besiegen. Und diese Suche wird Dich letztlich zu IHM führen. Wenn ich IHN besitze, dann wird meine Macht besiegelt und unermesslich sein. Niemand wird sich mir mehr in den Weg stellen und das letzte Aufbäumen dieser schwachen Kreaturen, die sich noch verzweifelt wehren, wird in sich zusammenbrechen. Du hast 48 Stunden Zeit. Dann werde ich Dich holen.“ Lenny versucht, seine Gedanken zu konzentrieren. Der Druck lässt ein wenig nach. „Ich muss hier weg.“ Mühsam dreht er sich zur Seite aus dem Pegel des grausamen, giftgelben, an ihm zerrenden Augenpaares. Die ihn fixierenden Kräfte lassen plötzlich nach. Er stolpert ein paar Schritte, fängt sich und reißt an der schweren Holztür, bis diese nachgibt und sich für ihn öffnet. Er rennt den Gang entlang, kommt an der Treppe an. In zwei, drei Sprüngen eilt er die Treppe hinauf und rennt den Gang zurück zum Schalterraum. Er wirft sich gegen die Drehtür des Ausgangs und befindet sich wieder auf dem riesigen Treppenportal vor dem Central Post Office. Er nimmt zwei Stufen auf einmal und hastet hinunter zur Pennsylvania Station. Auf der Straße, erinnert sich Lenny, dass er sich auf der 8th Avenue befindet. Er wendet sich nach links, nach Norden. „Ich muss nach Hause kommen. Dann klärt sich sicher alles auf.“ Er wohnt mit seinen Eltern in einem Apartmenthaus an der Central Park West zwischen der 74 und 75. Straße, auf der 22. Etage, mit einem wunderbaren Blick auf den großen See des Central Park. Lenny läuft, von Panik getrieben, nach Norden. An der nächsten Straßenecke ist bereits die 34. Straße. Spontan entscheidet er sich, nicht direkt die 8th Avenue nach Norden zu nehmen, sondern hier nach Osten abzubiegen. Er möchte zum belebten Times Square, um endlich wieder Menschen zu Gesicht zu bekommen. Die 34. Straße führt ihn in die Richtung des Empire State Building. Lenny durchfährt ein angenehmes Gefühl der Wärme, als er seinen Lieblings-Wolkenkratzer sieht. Dessen Anblick gibt ihm immer ein Gefühl von Heimat, von Ankommen, von zu Hause sein. Seit die Twin Tower des World Trade Center an diesem unseligen Tag im September 2001 zerstört wurden, ist das Empire State Building mit seinen 102 Stockwerken wieder das höchste Gebäude der Stadt.

Lennys Vater hat ihm erzählt, dass er seiner Mutter an deren Geburtstag vor jetzt 17 Jahren hier oben einen Heiratsantrag machen wollte. Der Film „Sleepless in Seattle“ mit Tom Hanks und Meg Ryan war einer der Lieblingsfilme seines Vaters und die rührselige Szene am Ende des Films auf der Aussichtsplattform des Empire State Building hatte den Romantiker in ihm geweckt. Die Ringe waren besorgt und steckten in der Hosentasche seines Vaters. Sie standen auf der von Touristen übervölkerten Aussichtsplattform. Dann entschied er sich jedoch spontan anders. Lennys Vater war kein Mann für die Menschenmenge. Er liebte die ruhigen Augenblicke, die Zweisamkeit mit Menschen, die er mochte, den intensiven Austausch, das tiefe Gespräch. Er nahm seine Frau an die Hand und zog sie zum Fahrstuhl. Unten angekommen mussten sie die 5th Avenue erst einmal ein Stück hinunterlaufen, bis sie das gemütliche Café fanden. Sie setzten sich an den Tisch mit Blick aus dem Fenster. Gleich auf der rechten Seite zum Broadway hin, stand das einzigartige, spitz zulaufende Flatiron Building. Das Gebäude hatte seinen erstaunlichen Namen, weil die New Yorker meinten, das Haus wäre von einem Bügeleisen geplättet worden. Lennys Vater hatte hier im Cafe zwei Gläser Prosecco bestellt und dann das kleine Päckchen hervorgeholt. Wie Lenny seine Mutter kannte, war sie hin- und weggeschmolzen und die Emotionen gingen mit ihr durch. Lenny musste beim Gedanken an seine Mutter unwillkürlich lächeln.  Ihm wurde dabei warm ums Herz. Sie war die Seele und auch der Sonnenschein ihrer Familie. Unverhofft konnte sie loslachen und sich über die merkwürdigsten Situationen beeimern. Wenn sie unter Menschen waren, fühlte Lenny sich auch schon einmal irritiert, denn ihr Lachen klang schon ein wenig merkwürdig. Waren sie unter sich, dann war seine Mutter jedoch das beste und dankbarste Publikum der Welt. Und Lenny machte dann gerne seine Späße, denn der Lohn ihres Lachens war ihm gewiss.  Seine Mutter liebte Tiere, was bei Menschen mit einem großen Herzen die Regel war. Trotzdem hatte es lange gedauert, bis sein Vater und er selbst seine Mutter davon überzeugen konnten, eine Katze mit in ihre Familie aufzunehmen. Aber dann war sie plötzlich soweit und fing von sich aus mit dem Thema an. Sein Vater nutzte die Gunst der Stunde. Wenn er von etwas überzeugt und begeistert war, dann ging alles blitzschnell. Bereits am kommenden Wochenende zog das kleine Kätzchen Bella, ein grauer Halbperser, bei ihnen ein. Heute, ein Jahr später, war aus Bella Charlie geworden. Bella hatte sich als Bello entpuppt, aber so konnte man ja eine Katze unmöglich nennen. Charlie und seine Mutter waren unzertrennlich. Wollte er etwas, dann setzte er sich vor sie, schaute sie mit großen Teddybär-Knopfaugen an und mauzte eindringlich. Seine Mutter las ihm den Wunsch dann von den Augen ab und lag meistens richtig.  Lenny hatte sich riesig darüber gefreut, dass Charlie nun Teil ihrer Familie war. Ja, sie hatten ihn aufgenommen. Er war nicht die Katze, das Tier, kein Spielzeug, das im Rang unter ihnen steht, sondern ein gleichberechtigtes Mitglied. Bei ihnen zu Hause, in ihrer Familie, hatte jeder das Recht auf seinen Charakter, auf seine Weise, die Dinge zu sehen und zu artikulieren. Charlie war eine eigene kleine Persönlichkeit. Und wie bei jedem Lebewesen ging es nicht darum, dass das eine Individuum über dem anderen steht, sondern um Liebe und Vertrauen, um Gleichberechtigung und ungezwungene Kommunikation. Liebe und Zuneigung, gerade auch bei Tieren, konnte nicht erzwungen oder einzig mit Leckereien erkauft werden.

Wie bei den Menschen, durfte man auch ein Tier nicht missbrauchen, indem man ihm eine Rolle zuwies, um mit ihm seine eigenen Defizite auszugleichen. Die Katze, der Hund, das Pferd waren keine Befehlsempfänger oder Beschützer, keine Kuscheltiere oder Liebesgeber. So wie man einen Ehepartner oder ein Kind nicht in eine dieser Rollen drängen durfte, so eigneten sich Tiere auch nicht für eine vom Herrchen vorgegebene Erwartungshaltung. Ein Mensch, ein Kind und eben auch ein Tier wollten von uns in ihrer Einzigartigkeit, in ihrer Individualität verstanden und so angenommen werden, wie sie in ihrem Kern waren. Auch hier galt es loszulassen, denn dann entschied sich der jeweilige Partner freiwillig dazu, unsere Nähe aufzusuchen und zu verweilen.  Wenn man sich jedoch dazu entschied, Jemanden an seinem Leben teilhaben zu lassen, dann übernahm man auch Verantwortung für das, was einem nun vertraut war.  Man konnte so unheimlich viel von Tieren, auch über sich selbst lernen. Wenn man einem Tier, wie auch einem Menschen, unvoreingenommene Aufmerksamkeit schenkte, dann begann dieser allmählich Vertrauen, Zutrauen zu fassen und öffnete sich. Kinder und auch Erwachsene konnten hier den Kernpunkt der sozialen Kommunikation unbewusst erkennen und lernen. Interessiere Dich für Deinen Gegenüber, lerne ihn zu verstehen und ihr werdet Partner, vielleicht sogar Freunde. Jedes Lebewesen öffnet sich, wenn man sich von reinem Herzen um dieses bemüht. Tiere sind noch intuitiver als Menschen, so dass sie noch intensiver auf Körpersprache, Tonalität und Lautstärke unserer Stimme reagieren. Gerade auch Kinder konnten durch Tiere so viel über sich selbst und den Umgang mit anderen lernen. Der Umgang mit Tieren konnte so viel mehr Liebe und Glück in das eigene Leben bringen. Lenny musste jetzt unwillkürlich daran denken, dass sein Kater Charlie sich sicher in diesem Augenblick in Lennys Bett breit machte und die Katzenpfoten genüsslich in alle Richtungen ausstreckte.

Jetzt jedoch fröstelte es Lenny. Obwohl es August war, kam es ihm heute Nacht kühler vor. Er hatte sich in Gedanken verloren und er versuchte sich erneut zu orientierten. Das Empire State Building war für Lenny immer eine ideale Richtungsanzeige. Es war an der 5th Avenue zwischen der 33. und 34. Straße erbaut worden und bildete den perfekten Mittelpunkt der Insel Manhattan. Egal wo er sich befand, bot es ihm immer eine Orientierung. Konnte er das majestätische Gebäude erblicken, wusste er, wo er sich befand. Das Gebäude verjüngte sich, wie so viele andere Hochhäuser New Yorks nach oben hin. Dies resultierte aus einer Bauverordnung aus den 20er Jahren. Die Fassade durfte nur bis zu einer bestimmten, vorgeschriebenen Höhe senkrecht verlaufen. Danach wies das Empire State Building leichte Rücksprünge auf. Man wollte vermeiden, dass die Gebäude zu viel Schatten warfen. Die obersten Etagen des Wahrzeichens von New York waren nachts immer in eine farbige Lichterpracht gehüllt. An normalen Tagen wurde es in einfaches weißes Licht getaucht. Zu besonderen Anlässen, wusste man als New Yorker immer, was die Stunde geschlagen hatte. Zu Weihnachten war der Turm grün-rot, zum irischen Nationalfeiertag, dem St. Patricks Day, grün, an US-Feiertagen rot-weiß-blau und sogar pink am Christopher Streets Day. Heute ist das gleißende, gelbe Strahlen jedoch anders als sonst. Lenny hat das unangenehme Gefühl, als würde ein aggressives, gelblich pulsierendes Auge ihn vom Empire State Building herunter anschauen und beobachten. Er versucht schnell den Gedanken daran zu verdrängen und sich erneut auf die Gegend zu konzentrieren.

Auf der rechten Seite liegt bereits der Wolkenkratzer des One Penn Plaza. Die Fahnenmasten vor dem Gebäude sind wie immer mit der amerikanischen Stars- and Stripes - Flagge geschmückt. Etwas scheint ihm an der Fahne jedoch heute verändert. Verdutzt zügelt Lenny sein Tempo und bleibt dann ganz vor dem Portal des Gebäudes stehen. Erstaunt betrachtet er eine der Flaggen, die sich in der sanften Nachtbrise stolz entfaltet. Da waren immer noch die 7 roten und die 6 weißen Längsstreifen, die die 13 Gründungsstaaten von 1776, dem Jahr der Unabhängigkeitserklärung, darstellen. Auch an den Farben hatte sich nichts verändert. Das Weiß, das für die Reinheit und Unschuld stand, das Rot als Symbol für die Tapferkeit und Widerstandsfähigkeit und das Blau für Wachsamkeit, Beharrlichkeit und Gerechtigkeit. Wenn er jetzt genauer hinsah, fiel ihm auf, dass die üblicherweise 50 weißen Sterne auf dem blauen Untergrund, die für die Bundesstaaten stehen, sich nahezu verdoppelt hatten. Und in deren Mitte prangt ein überdimensionales gelb-feuriges Auge. Lennys Nackenhaare stellen sich auf. Ist das ein Scherz von einem Chaoten, der über Nacht die Fahnen hochgezogen hat. Was hat das wieder zu bedeuten?! Lenny setzt sich erneut in Bewegung. Er muss hier weg. Es ist unheimlich, was sich in seiner Stadt, New York, plötzlich alles verändert hat.

Lenny fühlt langsam ein Gefühl der Niedergeschlagenheit, der Frustration in sich aufsteigen. Was ist passiert? Warum war er überhaupt hier? Was war schief gelaufen?! Vorhin verlief seine Welt noch in einer geregelten Bahn, in seiner, von Lenny gewünschten Struktur und Ordnung. Sein Leben war vorhersehbar. Er hatte Ziele und verlor diese nicht aus dem Auge. Er wollte es im Basketball zu etwas bringen. Und er tat alles dafür, sein Ziel, einmal in der NBA zu spielen, Wirklichkeit werden zu lassen. Er trainierte vier Mal die Woche. Am Wochenende brachten ihn seine Eltern zum Kadertraining und zu den Jugend-Ligaspielen. Dabei war er immer sehr fokussiert und konzentrierte sich auf das, was er gerade tat. Er hatte Spaß dabei, weil Basketball sein wirkliches Ding war. Es war seine Passion, seine Leidenschaft. Er baute seine Muskeln auf, indem er täglich seine 100 Liegestütze absolvierte. Und er wollte auch in der Schule zu den Besten gehören. Irgendwann würde es mit 37 – 40 Jahren vorbei sein. So wie Dirk Nowitzki gerade in diesem Alter die Puste ausging, sich auch ein Michel Jordan im Alter von 40 Jahren aus dem NBA-Zirkus verabschiedet hatte. Wie viele junge Basketball-Talente hatten sich auf ihrem Weg nach Oben gefährlich verletzt, mussten teilweise pausieren und fanden dann nicht zu ihrer bisherigen Leistung zurück. Sie fühlten sich als Versager, wenn das Leben sie aus der Bahn warf.

Lenny kannte dieses Gefühl der Frustration, wenn er merkte, dass etwas in seinem Leben nicht so lief, wie er es sich vorgenommen hatte. Wenn er selbst Fehler machte oder auf Probleme stieß, dann tauchten da ganz schnell negative Gedanken und Gefühle auf. Und oft geriet er dabei in einen negativen Strudel und plötzlich klappte gar nichts mehr. Sein Vater hatte ihn einmal in einer solchen Situation beiseite genommen. Sie hatten sich in Lennys Zimmer zurückgezogen und die Tür hinter sich verschlossen. Sein Vater hatte ihm dann erzählt, dass er selbst früher auch oft negativ und gestresst gewesen war, wenn etwas nicht nach seinem Willen lief. Auch er hatte sich dabei viele blaue Flecke geholt.

Viele Menschen ergeht es ähnlich. Sie sind oft negativ, emotional, wenn etwas nicht klappt, wie sie es sich vorgestellt haben. Sie bekommen schlechte Laune, sind frustriert und lassen den Kopf hängen. Die meisten geben sogar auf und verlieren ihr Ziel aus den Augen. Eventuell ist es ihnen im Leben zu leicht gemacht worden. Wenn immer alles funktioniert, wenn die Eltern einem alles vorgekaut, alles aus dem Weg geräumt haben, wie sollten sie es dann lernen, zu kämpfen und nicht aufzugeben. Es war ein großer Irrtum, wenn die Menschen annahmen, alles was sie in ihrem Leben beginnen, "müsste" ohne Fehler, Reibungen, Schwierigkeiten ablaufen. Aber das Leben ist Zufall, Schöpfung, Veränderung. Daher kann nicht alles ohne Probleme ablaufen. Es lag bereits im Wortstamm des Wortes "PRO-blem“. Es ging immer um das PRO-aktive Angehen von Aufgaben und das Suchen nach Lösungen, um das Problem, die Herausforderung zu lösen. 

Es gibt bei der Realisierung eines Lebenszieles, einer Aufgabe immer Schwierigkeiten und Herausforderungen. Kein Weg verläuft auf der Luftlinie von A nach B. Es gibt im Leben nie den direkten Weg zum Ziel. Wer im Leben nicht bereit ist, einen Plan B aus der Tasche zu ziehen, wenn sein Ursprungsplan sich nicht realisiert, wird zum Verlierer. Denn er verliert sein Ziel aus den Augen. Er gibt auf, bleibt stehen und wird sich nie weiterentwickeln. Wer immer wieder ein Ziel, einen Traum aus den Augen verliert, entwickelt eine Gewohnheit des Aufgebens.

Wer jedoch die Bewusstheit in sich trägt, dass das Leben immer wieder auch aus Herausforderungen besteht, um letztlich seine Träume zu verwirklichen, der macht es sich leichter. Er stellt sich darauf ein, dass es Schwierigkeiten geben wird. Er weiß ebenso, dass er seine dabei unwillkürlich entstehenden negativen Gefühle der Frustration und Niedergeschlagenheit gar nicht erst ausleben darf. Mit Negativität lassen sich keine positiven Ergebnisse erzielen. Beharrlichkeit und Leidenschaft sind die Zauberwörter. Wer die Herausforderungen annimmt und sich auf das Spiel einlässt, der kann sogar immer wieder Spaß daran haben, solche PRObleme und damit auch sich selbst, sein eigenes EGO, zu überwinden. Bei diesen Gedanken ging es Lenny wieder besser. Er würde auch diese Herausforderung, diesen augenscheinlichen Alptraum durchstehen. Alles würde sich auflösen und zum Guten wenden.

Nach 100 Metern erreicht Lenny die 7th Avenue, die sich von Süd nach Nord erstreckt. „Quadratisch, praktisch, gut“ denkt sich Lenny. In New York kann man sich einfach nicht verlaufen. Im Gegensatz zu den europäischen Großstädten, wie Paris, London oder Berlin, die über Jahrtausende wuchsen und bei denen sich oft ein Labyrinth von Straßen, ein Wirrwarr an Häusern planlos aneinanderreihte, waren die amerikanischen Städte nach einem klaren Schema gewachsen. Das „Schachbrettmuster“ der amerikanischen Städte entstand, als die Siedler vor nahezu 300 Jahren begannen, das Land zu besiedeln. Das neu erschlossene Land wurde vermessen und in Quadrate eingeteilt. Diese wiederum wurden in kleinere Einheiten aufgeteilt und den Neuankömmlingen zur Besiedelung angeboten. Jeder dieser quadratischen Blöcke maß zirka 100 Meter. Die Straßen und Gassen wurden zur natürlichen Begrenzung der Grundstücke. In New York waren es die Streets, die sich vom Atlantik und Downtown im Süden hoch in den Norden zum Central Park, Harlem und der Bronx erstreckten. Erstaunlicherweise begannen die 1st, 2nd, 3rd Street jedoch erst nördlich der Stadtteile Little Italy, der Lower East Side bzw. Soho. Bis dorthin hatten sich die ankommenden Europäer in ihrer bisherigen Gewohnheit eher „chaotisch“ angesiedelt. Die Streets werden von den großen Magistralen, den Avenues gekreuzt. Eine der wenigen Ausnahmen ist der Broadway, der beginnend an der südlichen Spitze Manhattans sich auf einer Länge von 25 km quer durch die gesamte Halbinsel erstreckt. Die New Yorker haben den Broadway, den vormals hier lebenden, einheimischen Indianern zu verdanken. Ein Stamm der Delawaren hatte einen Pfad durch die Wildnis, entlang der Sümpfe und felsigen Erhebungen angelegt. Die später hier siedelnden Holländer befestigten ihn und bauten ihn zum breiten, „Breede Weg“, dem Broadway aus. Lenny war jetzt auf der 34. Straße / Ecke 7th Avenue. Wenn er sich, was er vorhatte, auf dieser nach Norden wendete, würde er auf der 42. Straße den Broadway kreuzen. Und genau an dieser Stelle, wo er auf den Times Square trifft, wird der Broadway zu dem, wofür er für Millionen von Menschen wirklich steht, dem Mittelpunkt der größten Bühne der Welt, dem Theater Distrikts, dem Traum von jungen Künstlern aus aller Welt, einmal in einem der über 40 Theater zu spielen.

Lenny biegt nach links auf die 7th Avenue. Links von ihm an der Ecke erhebt sich der Nelson Tower, zur Zeit seiner Erbauung in den 30er Jahren eines der größten Gebäude New Yorks. Nun wirkt er gegenüber dem One Penn Plaza wie ein Wolkenkratzer-Zwerg. An der rechten Ecke befindet sich über dem Eingang zur Subway und einem „Footaction USA“ Outlet eine gigantische Reklame-Leinwand. Gestern war Lenny noch mit seinen Eltern hier aus der Subway gestiegen. Ihm war natürlich die überdimensionale Air-Jordan Basketball-Werbung mit Carmelo Anthony, von den New York Knicks, aufgefallen. Carmelo drehte ihnen auf dem Plakat den Rücken zu. Auf dem blauen Shirt der New York Knicks prangte eine orangene Sieben. Er trug sein orangenes Stirnband und über ihm stand in fetten Lettern der Spruch: „Der Stadt, die mich zu dem gemacht hat, was ich bin und mir das Spiel gegeben hat. Thanks Carmelo“ Ja, New York hatte ein Basketball-Herz. In jedem Bezirk gab es an allen Ecken und Enden einen Basketball – Court. Besondere Berühmtheit erlangte der „Rucker Park“ in Harlem. Viele NBA-Stars, wie Kobe Bryant, von den Los Angeles Lakers, oder Kevin Durant, jetzt bei den Houston Rockets, haben in ihren Anfängen Streetball auf diesem Platz gespielt. Wenn in einem Hollywood-Streifen oder Musikvideo ein New Yorker Basketball-Court als Kulisse auftaucht, ist es oft der Rucker-Park. Holocombe L. Rucker war ein New Yorker Lehrer, der Basketball als soziales und erzieherisches Instrument einsetzte. Er schaffte es, über 700 Kindern aufgrund ihres Basketball-Talents ein College-Stipendium für ein Studium  zu organisieren.  Lenny musste dabei an den genialen Basketball Film „Coach Carter“ denken. Ein Muss für jeden, der verstehen möchte, welche Anziehungskraft Basketball auf Kinder, Jugendliche und Erwachsene hat und wie die Leidenschaft zu dieser Sportart, die Einstellung zum Leben positiv verändern kann. Beim Basketball tobten sich die Kids in jeder freien Minute auf dem Platz aus. Sie lebten ihren Traum, so wie auch Lenny, der fest daran glaubte, einmal in der NBA ein Basketball-Star zu werden. Lennys Vater hatte von Zeit zu Zeit dienstlich in Europa zu tun. Oft kamen auch europäische Arbeitskollegen nach New York und sein Vater ging mit Ihnen zu Spielen der New York Knicks. Die Deutschen, Franzosen, Italiener, Spanier kannten eigentlich nur ihren Fußball und Hunderttausende rannten am Wochenende mit Fanschals in die lokalen Stadien. Basketball war in Europa nur eine Randerscheinung. Umso mehr waren sie fasziniert, wenn sie im riesigen, ausverkauften Madison Square Garden, der selbst ernannten „berühmtesten Arena der Welt“ (vielleicht nach dem Kolosseums in Rom) sich von der Leidenschaft der fast 20.000 New Yorker Basketball Fans und von der Schnelligkeit und Akrobatik dieses Spiels anstecken ließen. Basketball war einzigartig. Und Basketball war eine junge und wahrlich amerikanische Sportart. Der kanadische Trainer James Naismith hatte sie erst 1891 für die Halle in der Wintersaison erfunden. Er ließ den Hausmeister seines Colleges in Springfield, Massachusetts zwei Pfirsichkörbe auf der zufällig gewählten Höhe von 3,05 Metern anbringen. Basketball konnte sich in kürzester Zeit an den Colleges und Universitäten durchsetzen und es entstand bereits 1906 daraus die NCAA, die National Collegiate Athletic Association. Erst 1949 wurde dann die zweite große, professionell ausgerichtete NBA, National Basketball Association gegründet, in der 30 Mannschaften in einer Eastern- und einer Western Conference gegeneinander spielen. In der Vorrunde, der Regular Season, bestreitet jede Mannschaft 82 Spiele, größtenteils in der eigenen Conference. So spielen an der Ostküste die New York Knicks regelmäßig gegen die Boston Celtics, die Miami Heat oder die Chicago Bulls. Die besten 8 Mannschaften jeder Conference ermitteln dann in den Playoffs gegeneinander im k.o.-System den jeweiligen Finalisten der Ost- und Westküste, die wiederum im Finale (Best of Seven) gegeneinander spielen.

Dieses Jahr sah es für die New York Knicks richtig gut aus. Sie waren neben Miami, Oklahoma einer der Favoriten für den Meistertitel. Und sie würden es dem amtierenden Meister Miami Heat richtig zeigen.

Lenny legt wieder an Tempo zu. Er konzentriert sich auf die Straßen, die er auf dem Weg nach Norden überquert: 35th, 36th, 37th … Ab der 41st Street hat er das Gefühl, dass die 7th Avenue an Farbe und Intensität zulegt. Über jedem Geschäft sind überdimensionale Plakatwände angebracht, die für Fahrzeuge, Kameras, Mobiltelefone und andere so überlebenswichtige Konsumgüter werben. Und dann ist er bereits an der 42nd Street, der Straße, nach der das gleichnamige Musical benannt wurde. Vor ihm liegt der Times Square, der sich von hier bis zur 47th Street erstreckt. Namensgeber war das Gebäude Times Square No.1 gleich rechts von ihm an der Ecke. Anfang des letzten Jahrhunderts als Verlagsgebäude der New York Times erbaut, ist es nun mit seinen 25 Stockwerken nur ein Zwerg. Der einzige verbliebene Mieter ist im Gebäude eine Apothekenkette. Lenny hatte gelesen, dass es sich nicht mehr lohnte, die Klimaanlage des Gebäudes auf den neuesten technischen Stand zu bringen. Das ganze Gebäude war stattdessen von riesigen Leuchtreklametafeln nahezu vollständig in einen Werbe-Kokon gesponnen. Lenny fällt das in roten Lettern, Worte spuckende Nachrichten-Laufband auf. Normalerweise wurden hier von der Börsen-Agentur Dow Jones die neuesten Nachrichten publiziert. Lenny buchstabiert die einzelnen, fetten Buchstaben, die der Ticker nacheinander ausspuckt: „Die Ausgangsperre ist konsequent von 22 bis 5 Uhr morgens einzuhalten. Zuwiderhandlungen werden mit Lagerhaft geahndet … “ Ausgangssperre!!! Lenny bleibt verdutzt stehen und plötzlich sickert ein Gedanke in sein Bewusstsein. Seit er auf den Stufen vor dem Central Post Office aufgewacht ist, hat er keine Menschenseele gesehen. Abgesehen von dem unnatürlichen Wesen mit den giftgelben Augen, das versucht hat, ihn in seinen Bann zu ziehen, hat er keinen Menschen getroffen. Seit wann gibt es eine nächtliche Ausgangssperre in New York. Was ist passiert, seitdem er im Madison Square Garden beim Spiel sein Bewusstsein verloren hat? Panik steigt in ihm auf. Die ganze Geschichte ergibt für ihn keinen Sinn. Es kann nur ein Alptraum sein. Er möchte laut aufschreien, aber da ist die Angst, dass in dieser Nacht jemand unterwegs ist, der es auf ihn abgesehen hat. Überall auf seinem Weg tauchen diese giftgelben Augen auf. Erst im Central Post Office, dann auf den Fahnen vor dem One Penn Plaza, später auf der Turmspitze des Empire State Building. „Ich muss hier einfach nur weg. Am besten, ich suche erst einmal einen Unterschlupf, bevor ich mich am kommenden Morgen nach Hause zum Central Park West durchschlage“ geht es ihm durch den Kopf. Lenny hält sich jetzt dicht im Schatten der Häuser. Er hastet weiter nach Norden. Die 7th Avenue hat sich inzwischen mit dem Broadway vereint.

An der Ecke 43rd Street nimmt er auf der linken Seite die überdimensionale Gibson Gitarre wahr, die über dem Eingang des Hard Rock Cafés in gleißenden Farben erstrahlt. Lenny ist mit seinen Eltern oft hier. Früher war hier im Paramount Building ein großer Kino- bzw. Konzertsaal und es hatte in seinen besten Tagen grandiose Konzerte mit Frank Sinatra und Elvis Presley erlebt. Paramount errichtete das Gebäude in den 20er Jahren, als seine Firmenzentrale und als Premierenkino für seine größten Filmproduktionen. Lenny hebt seinen Kopf. Er kann so die pyramidenartige Spitze des Art-Deco-Gebäudes erkennen. Diese Form sollte das Firmensymbol, den Berggipfel von Paramount symbolisieren. Hoch oben thronte noch immer der überdimensionale Globus. Das Gebäude wirkte wie ein Tempel. Und wirklich hatte es noch immer bei den New Yorkern den Spitznamen „Kathedrale des Kinos“. Welche Kirche konnte es schon damals mit 3600 Besuchern aufnehmen. Später sank sein Stern. Lenny bewundert den theatralischen, reich verzierten Baldachin, der den Eingang zum ehemaligen Kino überdacht. Darüber erhebt sich ein überdimensionales Rundbogenfenster im Art-Deco-Stil, das es mit der Anmutung eines Kathedralen-Fensters aufzunehmen vermag. In fetten Schriftlettern prangt hier der Schriftzug von Paramount.

Lenny war gern hier. Das Hard-Rock Cafe hatte eine einmalige Gitarren-Kollektion von den Beatles bis hin zu Kurt Cobain. Auch fanden hier immer noch kleinere Rockkonzerte statt, zu denen sein Vater Lenny immer einmal wieder mitnahm. Die „Wall of Guitars“ im Hard Rock Cafe hatte es Lenny besonders angetan. Hunderte von E-Gitarren-Klangkörpern bedeckten wie Fliesen die Wand eines ganzen Raumes. Der Effekt war einzigartig.

Lenny erinnert sich, dass er genau an dieser Stelle mit seinem Vater in einen Streit geraten war, welche Gitarre die bessere wäre. Lenny besaß eine Fender, während sein Vater auf die Gibson Les Paul