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»Mir hat mal jemand gesagt, dass Sterne Hoffnung bedeuten. Und dann hast du mir bewiesen, wie wahr das ist.«
Als Carey eine Stelle als Kellnerin auf dem modernen Luxuskreuzfahrtschiff Ocean Heart antritt, hat sie nur ein Ziel: Ihre Mutter wiederzufinden, die ohne eine Spur aus ihrem Leben verschwunden ist. An Bord begegnet sie unverhofft Eden, ihrem Kindheitsfreund aus dem Heim. Aus dem verschlossenen Jungen mit den sturmgrauen Augen und der Liebe zu den Sternen ist ein attraktiver Mann geworden. Jedoch scheint er aus irgendeinem Grund nichts mehr von Carey wissen zu wollen und lässt sie abblitzen, um mit seiner Clique die rauschenden Partys an Bord zu genießen. Verletzt beschließt Carey, sich auf die Suche nach ihrer Mutter zu konzentrieren.
Aber schon bald kreuzt sich ihr Weg erneut mit dem von Eden und zwischen ihnen fliegen die Funken. Gefühle, die unter einem schlechten Stern stehen, denn Verhältnisse zwischen Personal und Gästen sind strengstens verboten. Und nicht nur die Regeln stehen zwischen ihnen ...
Ein glamouröses Kreuzfahrtschiff, unvergessliche Sommernächte und eine Liebe, die hohe Wellen schlägt. Der Auftakt der prickelnden New-Adult-Trilogie auf der Ocean Heart.
Alle Bände der »Ocean Hearts«-Trilogie:
Ocean Hearts – Capture the Stars
Ocean Hearts – Admire the Lights
Ocean Hearts – Embrace the Storms
Alle Bände können unabhängig voneinander gelesen werden.
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Seitenzahl: 506
Veröffentlichungsjahr: 2024
ISABEL CLIVIA
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Erstmals als cbt Taschenbuch März 2024
© 2024 für die deutschsprachige Ausgabe
cbj Kinder- und Jugendbuch Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Alle Rechte vorbehalten
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover
Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski, www.kopainski.comunter Verwendung mehrerer Motive von: Shutterstock.com (Blue Planet Studio, Klavdiya Krinichnaya, Lidiia, SWEviL)
FK · Herstellung: AJ
Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss
ISBN 978-3-641-30383-9V002
www.cbj-verlag.de
Für Philipp,
meinen Nordstern,
meine Lieblingsmelodie
SECHZEHNTEL-RHYTHMUS
Carey
»Na los, du kannst das!«
Amber dreht den Lautstärkeregler hoch und sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Aus den Boxen schallt zum gefühlt einhundertsten Mal Shake It Off, als wäre das heute meine ganz persönliche Hymne. Passend zur Melodie bewegt meine beste Freundin ihren blond gefärbten Lockenkopf und den Zeigefinger, als könnte sie mich damit in eine bessere Zukunft dirigieren. Eine Zukunft, in der ich total selbstbewusst aus ihrem Auto steige und der Welt beweise, dass ich zu allem bereit bin.
Ich sinke tiefer in den Sitz. »Vielleicht sollte ich ihm einfach für immer aus dem Weg gehen.«
»Das solltest du definitiv«, stimmt Amber mir zu. »Aber neben deiner Playstation und deiner Kaffeemaschine hat der Typ auch noch eine ganze Menge Kleidung von dir. Ich ertrage es nicht länger, dich drei Tage in Folge in demselben Band-Hoodie zu sehen. Auch wenn der Blumenaufdruck an den Ärmeln echt hübsch ist.«
Meine Wangen glühen vor Scham. »Lance bringt mir die Sachen bestimmt bald vorbei. Er hat’s versprochen.«
Sie seufzt. »Darling, eure Trennung ist vier Monate her. Dieser Lügenlurch hat auch versprochen, dich für immer zu lieben, als er im Legoland vor dir auf die Knie gegangen ist. Nur drei Wochen später hast du ihn mit einer anderen erwischt. Auf dem Esstisch. Ihr habt da gegessen, verdammt.«
Eigentlich hatte ich beschlossen, die unschönen Einzelheiten meiner letzten Beziehung mit möglichst wenig Wahrheit und dafür umso mehr Schokolade anzugehen. Leider habe ich die Esstisch-Eskapade noch genau vor Augen. Die Leidenschaft zwischen meinem Ex und seiner Eroberung war so feurig, dass sie sich direkt in mein Hirn gebrannt hat.
»Ich könnte ein paar Extraschichten im Restaurant schieben und mir von dem Geld neue …«
»Vergiss es«, unterbricht Amber mich. »Heute ist der Tag, an dem du dir deinen Kram und dein Selbstwertgefühl von dieser Flachpfeife zurückholst.«
»Könnte der Tag vielleicht auch nächste Woche sein?«
Sie legt ihre Hand auf meine. »Der Tag war schon vor vier Monaten. Also los, du schaffst das! Neues Jahr, neue Carey. Wenn du jemanden brauchst, der ihm einen Arschtritt verpasst, sag Bescheid. Ich gehe auch gern mit dir da rein.«
»Weiß ich. Du sagst mir schließlich ständig, dass du ihm in die Kronjuwelen treten willst.«
»Hat sich nicht geändert.«
»Genau deshalb gehe ich lieber allein«, antworte ich lächelnd. »Lance ist ein Mistkerl, aber er hat trotzdem keine Impotenz verdient.«
So gut, wie Amber Fußball spielt, ist sie eine Gefahr für sämtliche Weichteile dieser Welt. Ein Tritt von ihr würde ausreichen, damit die Serkins-Blutlinie ausstirbt.
Sie wirkt enttäuscht. »Es gibt nur eins, was der Kerl nie verdient hat, und das bist du.«
Mich überkommt eine Welle aus Dankbarkeit und ich falle meiner Jetzt-wieder-Mitbewohnerin um den Hals. Was würde ich nur ohne sie machen? Wahrscheinlich immer noch heulend mit einem Glas Schokoladencreme vor dem Fernseher sitzen, während Natur-Dokus über den Bildschirm flimmern. Stattdessen habe ich gefühlt eintausend Pfeile auf unsere Dartscheibe geworfen, nachdem wir Lance’ Gesicht ausgedruckt und daran befestigt hatten. Selten hat etwas so gutgetan, wie sein strahlendes Betrüger-Grinsen zu durchlöchern und dabei inbrünstig Onehundredandeighty zu rufen.
Als ich mich von Amber löse, klopft sie mir auf die Schulter. »Na los, mach mich stolz.«
Ich hole tief Luft, bevor ich schließlich aussteige. An diesem kalten Januarmorgen fühle ich mich nicht so selbstbewusst, wie meine beste Freundin es gern hätte, aber wenigstens bin ich hier.
In der Wohngegend riecht es abwechselnd nach Abgasen, Müll oder Urin, je nachdem, wo man gerade steht. Der heftige Wind zerstört meine Ich-habe-mein-Leben-auch-ohne-dich-im-Griff-Frisur, und als ich bei dem großen grauen Gebäudekomplex ankomme, sieht sie aus, als hätte ich noch nie irgendwas im Griff gehabt – vor allem keine Haarbürste.
Lance’ Wohnung befindet sich im fünften Stock. Der alte Fahrstuhl mit den quietschenden Türen hat mein Vertrauen schon vor Jahren verspielt, darum quäle ich mich die Treppen hinauf und frage mich bei jeder Stufe, ob es normal ist, dass eine Zweiundzwanzigjährige dabei so schnell Schnappatmung bekommt. Immerhin kann ich mein rasendes Herz jetzt mit was anderem erklären als mit meiner Aufregung.
Während ich durch den Flur schleiche, hoffe ich, niemandem zu begegnen. Die Wände sind verflucht dünn. So ziemlich jeder auf dieser Etage dürfte den großen Trennungsstreit von Lance und mir mitbekommen haben, und ich will mir die neugierigen Fragen ersparen.
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch marschiere ich den Korridor entlang, bis ich vor meiner ehemaligen Wohnungstür innehalte. Ich bin kurz davor, wegzulaufen. Aber wenn ich das tue, schickt Amber mir wieder Videos von dubiosen Coaches, die mir dabei helfen sollen, meinen wahren Wert zu erkennen, obwohl das Selbstbewusstsein dieser Leute bestimmt genauso mies ist wie meins. Denn mal ehrlich: Menschen, die jeden Morgen vor dem Spiegel stehen und sich selbst absolut perfekt finden, sind wie vierblättrige Kleeblätter. Es gibt sie, aber man muss verdammt lange nach ihnen suchen.
Als mein Blick auf das Klingelschild fällt, runzele ich die Stirn. Statt Serkins und Golding steht darauf jetzt Serkins und Corbin. Lance hat wohl einen neuen Mitbewohner. Hoffentlich ist der heute allein. Dann könnte ich mich mit meinen Sachen aus dem Staub machen, ohne ein unangenehmes Gespräch mit meinem Ex führen zu müssen.
Ich fasse neuen Mut und betätige den Knopf. Es dauert eine Weile, bis jemand die Tür öffnet. Leider ist es kein hilfsbereiter Fremder, sondern Mister Tausend-Watt-Lächeln persönlich. Der erste und einzige Kerl, dem ich je meine Liebe gestanden habe. Eigentlich dachte ich, mein Darts-Rachefeldzug hätte mich endgültig geheilt, aber sein verwuschelter Blondschopf und die vertrauenswürdigen braunen Augen lösen immer noch dieses fiese Stechen in meiner Magengrube aus. Zu allem Überfluss trägt er nur eine gestreifte Boxershorts und präsentiert mir seine nackte, sonnengebräunte Brust. Seinem Blick nach zu urteilen, bin ich die allerletzte Person, die er heute erwartet hat.
»Carey?«
»Hi«, begrüße ich ihn. »Ich, äh … wollte meine Sachen abholen.«
Seine Augen werden groß. »Jetzt?«
»Ja?«
Mist, wieso formuliere ich das als Frage? Amber würde mir in den Hintern treten, wenn sie mitbekäme, wie ich hier herumstammele. Es ist echt ungerecht, dass er so gut aussieht, obwohl er gerade erst aufgestanden ist. Wenn ich morgens aus dem Bett falle, könnte man denken, ich sei aus einer Höhle gekrochen.
Lance seufzt. »Ich sagte doch, dass ich dir das Zeug vorbeibringe.«
»Das war vor vier Monaten.«
»Du weißt doch, wie hart das Medizin-Studium ist. Ich hab im Moment viel um die Ohren.«
Sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen. In der Uni hatte er von Anfang an Stress, weil das Lernen ihm schon in der Schule schwerfiel. Trotzdem wollte er unbedingt Arzt werden, was ich ziemlich bewundernswert finde.
Ich nicke verständnisvoll. »Klar, tut mir leid. Das verstehe ich natürlich.«
Er grinst. »Danke. Mach dir keine Sorgen, ja? Sobald ich ein bisschen Luft habe, suche ich dir dein Zeug zusammen.«
»Versprichst du’s?«
»Sicher. Lancelot hält immer seine Versprechen.«
Er zwinkert mir zu. Spätestens bei der Erwähnung dieses Spitznamens hätte Amber ihr Waschmaschine-im-Schleudergang-Augenrollen zum Besten gegeben, und das völlig zu Recht. Schließlich hat er auch behauptet, er würde mich nie betrügen. Warum muss der Mistkerl bloß so charmant sein? Ich sollte dringend wieder auf Dates gehen. Es ist nämlich echt peinlich, wie schwer es mir fällt, mit ihm zu reden. Und wie offensichtlich ich seinen freien Oberkörper anstarre.
»Könntest du jetzt gehen?«, fragt Lance. »Ich hab noch zu tun.«
»Ich …« Bevor ich mich davon abhalten kann, wandert mein Blick zu seinen Boxershorts, und ich beschließe, dass ich ihm kein weiteres Mal gegenübertreten will. »Lass mich doch einfach kurz meine Sachen holen. Danach müssen wir auch nie wieder miteinander reden.«
Im Grunde haben wir uns seit der Trennung sowieso über die Sache ausgeschwiegen. Nach allem, was passiert ist, wollte ich ihn nur noch vergessen.
Lance tritt von einem Fuß auf den anderen. »Das passt jetzt ganz schlecht.«
In der Wohnung betätigt jemand die Klospülung, woraufhin er nervös über die Schulter blickt.
»Ist das dein neuer Mitbewohner?«, frage ich.
»Äh, ja. Ein echt super Kerl. Hör zu, du musst …«
Die Tür zum Badezimmer öffnet sich. Dunkle Locken auf schmalen Schultern kommen zum Vorschein. Lange, elegante Beine, die eher zu einem gut bezahlten Model gehören könnten als zu einem echt super Kerl.
Als Lance die Tür schließen will, reagiere ich schneller und platziere meinen Fuß im Rahmen. Er wirkt erschrocken.
»Wer ist da, Babe?«
Ihre Stimme klingt interessiert. Ein klarer, angenehmer Sopran. Zuerst rede ich mir ein, dass sie nur eine ganz normale Freundin oder eine Kommilitonin ist. Eine flüchtige Bekanntschaft aus unserem Lieblingspub um die Ecke, den ich meide, seit wir uns getrennt haben. Aber der Kosename und das Selbstverständnis, mit dem sie durch diese Wohnung schlendert, sprechen eine andere Sprache.
Lance starrt mich wie versteinert an, während sich die junge Frau neben ihn stellt und uns abwechselnd mustert. Sie ist genauso groß wie er, hat helle, grüne Augen und volle Lippen. Ich bin so abgelenkt von ihrem ebenmäßigen Gesicht, dass es einen Moment dauert, bis ich ihr Oberteil mit der verblichenen London-Grammar-Aufschrift bemerke. Es könnte ein absurder Zufall sein, aber wenn ich mir das hektische Blinzeln von Lance ansehe, bezweifle ich das. Damit will er mir wohl unauffällig morsen, dass ich die Klappe halten soll.
»Carey«, murmele ich. »Und du bist …?«
Die Neue? Der One-Night-Stand von letzter Nacht, den Lance beim wöchentlichen Quiz-Abend im Harrington kennengelernt hat? Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, ob ich bereit für die Antwort bin.
»Tara. Ich bin Lance’ Verlobte.«
Sie lächelt und streckt stolz ihre Hand aus. An ihrem Ringfinger glitzert ein auffälliger Klunker, den Lance von seiner Großmutter geerbt hat. Was ich nur weiß, weil ich bis vor Kurzem denselben Ring an meinem Finger getragen habe.
Spätestens jetzt sollte ich verschwinden, bevor mein Selbstwertgefühl einen Totalschaden erleidet. Aber zuerst hole ich mir meine Sachen zurück. Ich schiebe mich an den beiden vorbei. Meine Reaktion muss sie überrascht haben, denn sie protestieren erst, als ich schon in die Wohnung gestürmt bin.
Im Schlafzimmer hängt ein muffiger Geruch in der Luft, der auf frisch verliebte Langschläfer hindeutet. Auf der Holzbank vor dem Fußende des Bettes steht neben zwei leeren Tellern auch ein Glas Schokoladencreme. Dieselbe Sorte, die ich während meiner Trauerphase in mich reingeschaufelt habe.
Es ist ein beschissenes Gefühl, in dem Raum zu stehen, wo ich noch vor ein paar Monaten jede Nacht gelegen habe. Das war mein Zuhause. Lance war mein Zuhause. Mit ihm habe ich mich zum ersten Mal richtig vollständig gefühlt, seit Eden damals aus meinem Leben verschwunden ist. Jetzt hat er mich ausgetauscht und vergessen. So wie mein Kindheitsfreund. Wie Mum.
Ich reiße den Schrank auf und suche fieberhaft nach meinen Kleidungsstücken. Sobald ich eins entdeckt habe, werfe ich es neben mir auf den Boden. Unfassbar, dass die Sachen immer noch hier liegen und diese Tara sie sogar anzieht!
»Was zur Hölle machst du da?«, ruft sie.
Ich spähe hinter der Schranktür hervor, während ich eine Jeans festhalte. »Das ist mein Zeug.«
»Wovon redest du? Die Sachen gehören Lance’ Schwester! Er hat gesagt, ich könne sie haben. Bist du etwa diese seltsame Ex von ihr?«
Mir bleibt der Mund offen stehen. Dieser Feigling hat sie eiskalt belogen. Hätte ich wohl von ihm erwarten müssen, nachdem er unsere fünfjährige Beziehung weggeworfen hat.
»Sie ist …«, setzt Lance an.
Er steht im Türrahmen, sichtlich gestresst. Offenbar sucht er nach einer schlüssigen Erklärung für diese Situation. Einer Lüge, die ihn vor den Konsequenzen seiner Entscheidungen bewahrt.
»Ich bin seine Ex«, antworte ich für ihn. »Ex-Verlobte. Und diese Sachen hätte er mir längst zurückgeben sollen.«
Taras Augen weiten sich. »Aber das … er …«
Sie blickt an sich hinab, als wäre das Shirt plötzlich schmutzig geworden.
»Tut mir leid, dass du es so rausfinden musstest«, sage ich.
Das meine ich ernst. Sie wirkt nett, und sie hat was Besseres verdient, als unwissentlich die ausgeblichenen Kleider von der Ex ihres Verlobten zu tragen.
»T-Tara«, stammelt Lance.
Dieses Gespräch sollten sie ohne mich führen, darum schnappe ich mir mein Zeug und bringe es in den Flur, während eine hitzige Diskussion zwischen den beiden entbrennt. Ich fühle mich schlecht, weil ich diesen Streit ausgelöst habe. Aber Tara hat ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren.
Im Wohnzimmer begegnen mir unzählige Objekte aus Legosteinen, die Lance schon während unserer Beziehung überall aufgestellt hat. Eine Polizeistation neben dem Fernseher, die Freiheitsstatue auf der Fensterbank und ein Piratenschiff auf dem legendären Esstisch-der-Untreue. Für all die Male, bei denen ich nach einem langen Arbeitstag auf einen dieser Steine getreten bin, sollte ich Schmerzensgeld verlangen.
Wachsam schreite ich über den Hochflorteppich und schließe die PlayStation vom Fernseher ab.
»Warte!«, ruft Lance.
Ich drehe mich um. »Worauf? Die gehört mir!«
»Schon, aber …«
»Aber was? Willst du mir weismachen, dass du neben deinem stressigen Studium noch Zeit hierfür hast?«
Sein Schweigen ist Antwort genug. Ich nehme die Konsole samt Zubehör, bevor ich auch sie in den Flur schaffe. Mir ist furchtbar heiß, und trotzdem zittere ich am ganzen Körper.
Als ich die Küche betrete, fällt mir sofort der Teller auf der Anrichte auf. Sogar jetzt duften die Pancakes darauf noch herrlich süß. Lance hat mir sonntags oft welche gemacht. Dabei kam ich mir so besonders vor. Zu sehen, dass er mit seiner neuen Flamme dasselbe Ritual pflegt, tut weh.
»Carey, lass uns darüber reden!«
Ungläubig starre ich ihn an. »Worüber willst du reden? Darüber, dass du mich betrogen hast und jetzt schon wieder mit einer anderen zusammenlebst? Dass ich trotz meines Jobs alles dafür getan habe, damit du dich auf dein Studium konzentrieren konntest, während mein Traum auf der Strecke geblieben ist?«
Meine Augen brennen. Ich drehe mich um und schließe die Kaffeemaschine ab, die ich von meinem Lohn für uns gekauft habe, obwohl ich das Geld lieber für ein Klavier gespart hätte. Es fühlt sich an, als würde ich endgültig den Stecker von etwas ziehen, das längst den Geist aufgegeben hat.
Ich schlucke die Tränen hinunter und zwinge mich dazu, Haltung zu bewahren. Nicht weinen, hat Tante Brenda damals im Krankenhaus oft gesagt. Sie wollte mich bis zu ihrem Tod lächeln sehen, weil die schlechtesten Momente in unserem Leben laut ihr nur unser Bestes verdienen. So zeigen wir dem Schicksal, dass wir härter sind als jeder Stein, den es uns in den Weg legt. Manchmal wäre ich lieber ein Stein. Hart und gefühllos. Leider bin ich ungefähr so hart wie ein Gummibärchen und noch dazu nah am Wasser gebaut.
So gefasst wie möglich wende ich mich meinem Ex zu. »Warum hast du mir das angetan, Lance?«
Er blickt zu Boden, tritt von einem Fuß auf den anderen. »Ich hab eben gemerkt, dass wir nicht mehr zusammenpassen. Du bist noch genau wie damals in der Schule, weißt du? Trägst die gleichen Sachen, hast dieselben Freunde und träumst immer noch davon, als Pianistin durchzustarten, obwohl deine Wunschuni dich schon dreimal abgelehnt hat. Du hast den Kopf in den Wolken. Und ich brauche eine Partnerin, die einen realistischen Plan für ihr Leben hat.«
Wow.
So denkt er also von mir? Nach allem, was ich für uns geopfert habe? Statt in jeder freien Minute für das Vorspielen zu üben, habe ich nach meinen Schichten für ihn gekocht. Ich war einkaufen und habe mich um den Haushalt gekümmert. Aber ausgerechnet ich bin unrealistisch, weil ich an meinem Traum festhalte, eines Tages an der Royal Academy of Music angenommen zu werden?
Meine Kehle ist wie zugeschnürt. »Dann hättest du statt deiner Hose lieber mal den Mund aufmachen und mir das sagen sollen, bevor du mich betrogen hast. Oder war es leichter für dich, mich auf diese Art loszuwerden?«
Er presst die Lippen aufeinander und bleibt mir die Antwort darauf schuldig.
Ich laufe mit gesenktem Kopf an ihm vorbei und schaffe meine restlichen Habseligkeiten in den Hausflur. Lance steht die ganze Zeit über tatenlos im Eingangsbereich seiner Wohnung.
Erst jetzt begreife ich, dass es schon immer so war. Er hat mich nie so unterstützt wie ich ihn. Leider hat es einen handfesten Betrug gebraucht, damit ich das endlich erkenne.
Nachdem ich den letzten Schwung Kleidung draußen abgelegt habe, sehe ich meinen Ex an. Wahrscheinlich sollte ich ihm jetzt eine Moralpredigt halten. Ihm sagen, was für ein schlechter Mensch er ist und wie sehr er mich verletzt hat. Aber würde es das alles wirklich besser machen?
»Tut mir leid«, murmelt er kleinlaut.
Ich ringe mir ein schiefes Lächeln ab, bevor mein Körper sich doch dazu entscheidet, zu weinen. »Heb dir das für deine neue Verlobte auf, Lancelot. Vielleicht wirst du deinem Spitznamen ja bei ihr gerecht.«
Bevor er etwas erwidern kann, verlasse ich seine Wohnung und ziehe die Tür hinter mir zu. Draußen lehne ich mich gegen die Wand. Jetzt laufen mir doch ein paar Tränen über die Wangen. Es ist beschissen, wenn Dinge enden, von denen man dachte, dass sie für immer sind. Eigentlich war das mit Lance schon lange vorbei, aber das hier ist der endgültige Schlussstrich, und ich bin verdammt schlecht darin, loszulassen.
Mit getrübtem Blick nehme ich mein Handy aus der Jackentasche und schreibe Amber.
Habe Zeug und Würde zurückerobert. Hilfst du mir tragen?
Sie schickt mir mehrere Party-Emojis und einen Daumen nach oben.
Während ich auf sie warte, wische ich mir die Tränen aus den Augen und checke meine E-Mails. Wer weiß, vielleicht hat sich die Academy ja doch gemeldet, immerhin haben sie mich dieses Jahr zum Vorspielen eingeladen. Normalerweise trudeln die Zulassungsbescheide vor Weihnachten ein, aber manche kommen wohl auch erst im Januar, und gerade könnte ich einen Lichtblick gebrauchen.
Ich scrolle über zahlreiche Newsletter hinweg und bleibe an einer Nachricht mit dem Betreff Ihre Suche beiMissing Relatives hängen. Sofort klopft mein Herz schneller, obwohl mein Post im Portal schon über einen Monat online ist und bisher niemand darauf geantwortet hat.
Nervös klicke ich die Mail an. Im Absender steht kein Name, sondern nur Dreamcruiser123.
Liebe Miss Golding,
ich melde mich wegen Ihres Posts bei Missing Relatives. Vorhin habe ich ihn zufällig im Forum entdeckt, und ich glaube, ich kann Ihnen helfen, Ihre Mutter Rachel zu finden.
Letzten Sommer habe ich als Fotografin auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet und dort eine Frau namens Sarah kennengelernt. Wir waren Zimmergenossinnen und haben uns auf Anhieb gut verstanden. Wenn es um ihr Privatleben ging, war sie allerdings sehr verschwiegen. Sie hat eine Art Tagebuch geführt, in das sie manchmal geschrieben und es danach abgeschlossen hat. Das hat mich stutzig gemacht. Einmal habe ich aus dem Buch ein Foto lugen sehen. Ich war neugierig und habe es herausgenommen. Das Bild sah fast genauso aus wie jenes, das Sie im Portal gepostet haben. Wenn ich mich an eins erinnere, dann sind es Gesichter.
Ich weiß nicht, warum sie aus Ihrem Leben verschwunden ist oder warum sie jetzt einen anderen Vornamen nutzt, aber Sie verdienen es, Ihre Mutter zu finden.
Sarah sagte mir, nächsten Sommer werde sie eine Stelle auf einem neuen Luxuskreuzfahrtschiff namens Ocean Heart antreten. Wir haben keinen Kontakt mehr, darum kann ich Ihnen leider nicht sagen, ob sie tatsächlich dort sein wird. Aber vielleicht hilft Ihnen mein Hinweis ja trotzdem.
Julia Rhodes
Wie versteinert starre ich die Zeilen an. Mein Herz rast so sehr, dass ich glaube, es schlägt im Sechzehntel-Rhythmus. Das ist die erste Spur, die ich von meiner Mutter habe, seit sie kurz vor meinem dritten Geburtstag verschwunden ist und mich bei ihrer Schwester zurückgelassen hat. In all den Jahren haben wir nie ein Wort von ihr gehört. Bis dann zwei Wochen vor Tante Brendas Tod plötzlich ein Brief von ihr ankam, in dem sie behauptet hat, sie käme bald nach Hause zurück und würde mich an der Haltestelle in unserer Straße abholen. Sogar als ich schon im Heim war, bin ich noch wochenlang jeden Sonntag zur versprochenen Uhrzeit dorthin gegangen. Ich war erst zehn, und ich habe so sehr gehofft, dass sie irgendwann auftaucht. Leider ist das nie passiert.
Ich wollte damit abschließen. Akzeptieren, dass ich eben einen unbekannten Vater und eine abwesende Mutter habe, an die ich mich kaum erinnere. Trotzdem beschäftigt mich diese Ungewissheit jeden Tag. Warum hat sie mich verlassen? Wieso hat sie keinen Versuch unternommen, mich zu kontaktieren, wenn sie anscheinend ein Foto von uns bei sich trägt?
Am liebsten würde ich nach vorne blicken und die Vergangenheit abschütteln, aber solange ich ihre Beweggründe nicht kenne, erscheint mir das unmöglich. Ich will wissen, warum sie gegangen ist. Warum es den Menschen, die mir wichtig sind, so leichtfällt, mich zu vergessen.
Vielleicht bin ich naiv und sollte dieser Mail keine Bedeutung schenken. Aber ich möchte daran glauben, dass meine Hoffnungen sich dieses Mal erfüllen.
SCHWARZES LOCH
Eden
Der Klingelton einer eingehenden Mail lässt mich von meinem Koffer aufsehen. Ich lege das weiße, sorgsam gefaltete Hemd hinein, bevor ich zu meinem Laptop auf dem Schreibtisch eile. Schon traurig, wie sehr ich darauf konditioniert bin, alles stehen und liegen zu lassen, sobald dieses Geräusch ertönt. Als könnte ich etwas Lebenswichtiges verpassen, wenn ich die Nachricht nicht sofort lese.
Schon beim ersten Blick auf den Absender wird mir klar, dass sie nicht lebensnotwendig ist. Ich unterdrücke den Impuls, die Mail direkt in den Papierkorb zu befördern, bevor ich sie schließlich doch anklicke.
Eden,
anbei sende ich dir die Liste mit sämtlichen Terminen, die in den nächsten Wochen anstehen. Ich erwarte, dass du auf die Treffen mit unseren Geschäftspartnern vorbereitet bist. Die wichtigsten Unterlagen schicke ich dir gleich separat. Wir sehen uns an Bord.
Mir entfährt ein Seufzer. Typisch. Er könnte mich auch einfach anrufen, aber nein, er muss natürlich diese lächerlich formelle Mail schreiben, in der noch dazu eine unterschwellige Drohung mitschwingt. Wenigstens zu einem netten Abschiedsgruß hätte er sich erbarmen können. Leider ist mein Vater weder Fan von Floskeln noch davon, Zeit zu verschwenden. Wenn es nach ihm geht, ist jede Minute bares Geld. Seltsam, dass man sogar als Multimillionär nie genug davon haben kann.
Ich kehre zu meinem Bett zurück, um mit dem Packen weiterzumachen. Ein zweiter Koffer steht bereits neben der Tür, und ich habe das Gefühl, dass ich mein halbes Apartment in diese rollenden Ungetüme verfrachtet habe. Normalerweise komme ich mit weniger Gepäck zurecht, aber bisher bin ich auch noch nie sechs Wochen am Stück verreist. Das Einzige, was ich tatsächlich gern mitnehmen würde, ist mein Teleskop. Leider werde ich in nächster Zeit wohl nicht besonders viele Sterne beobachten können, also muss es in Oxford auf meine Rückkehr warten.
»Bist du langsam mal fertig da drin?«
Ohne anzuklopfen, betritt George den Raum. Mit seinem hellgelben Polo-Shirt wirkt er wie eine Sonne auf zwei Beinen, die einen starken Kontrast zu den dunklen Möbeln meines Schlafzimmers bildet. In dieser Farbe würde ich wie eine blasse, kränkliche Zitrone aussehen, aber ihm steht sie hervorragend.
»Fast«, sage ich, bevor ich weitere Kleidungsstücke in den Koffer räume.
George schlendert durch mein Zimmer und bleibt vor dem großen Spiegel neben meinem Schrank stehen. Während er sich ein Gummiband vom Handgelenk zieht und sein schulterlanges Haar zusammenbindet, versuche ich den Klingelton meines Postfachs zu ignorieren.
»Eliza hat gedroht, ohne uns zu fahren, wenn wir nicht pünktlich sind«, informiert mich George.
Ich schnaube. »Nie im Leben fährt sie ohne uns los. Eher würde sie uns entführen und zum Hafen bringen lassen.«
Seit Wochen redet sie von nichts anderem als diesem Urlaub, und ich bin ziemlich sicher, dass sie die Reise bis ins kleinste Detail für uns geplant hat. Genau wie mein Vater. Für ihn ist das Ganze allerdings eher ein ausgedehnter Business-Trip. Hätte ich nicht zugestimmt, ihn zu all seinen Terminen zu begleiten, hätte er mich nie mitkommen lassen. Dank ihm fühle ich mich manchmal eher wie dreizehn und nicht wie dreiundzwanzig.
»Unsere Königin kann sich entspannen«, meint George. »Mich muss niemand gegen meinen Willen auf ein Schiff schleppen, wo jeden Abend Partys stattfinden. Ich werde es lieben.«
»Jaja, schon klar«, sage ich. »Aber bitte übertreib es nicht, okay? Ich hab keine Lust, schon wieder deinen Aufpasser zu spielen. Letztes Mal bist du zum Haus von deinem Prof gelaufen und hast gegen die verdammte Fassade gepinkelt.«
An diese Nacht werde ich mich leider ewig erinnern. Dank meiner 2-Drinks-Regel bin ich meistens der Nüchternste von uns und damit die Stimme der Vernunft. Ohne mich wäre George nach seiner Aktion wahrscheinlich verhaftet worden.
Er lacht. »Ich habe eine Null an seine Hauswand geschrieben. Das entspricht in etwa den Sympathiepunkten, die dieser unfaire Mistkerl verdient. Man könnte also sagen, ich habe meine Gefühle zu Kunst gemacht.«
Ich verdrehe die Augen. »Ansichtssache.«
»Komm schon, sei kein Langweiler«, antwortet er halb ernst.
»Ich bin nicht langweilig, sondern –«
»Nur pflichtbewusst, ich weiß, ich weiß. Genau so, wie dich der unfehlbare Thomas Lancaster erzogen hat.«
Seine Imitation der klaren, kühlen Stimme ist so auf den Punkt, dass ich kurz sprachlos bin. Und das, obwohl mein Adoptivvater zur Abwechslung mal nicht der Grund für meine Prinzipien ist.
»Du bist ein Arsch«, murmele ich dann.
George dreht sich grinsend zu mir um und entblößt dabei seine perlweißen Zähne. »Ein Arsch, mit dem du die nächsten sechs Wochen verbringen darfst. Ist das nicht großartig?«
»Kann mich kaum beherrschen.«
Er kehrt mir den Rücken zu und fängt an, beschwingt vor sich hin zu pfeifen. Wo nimmt er um diese Zeit eigentlich die gute Laune her? Mit seinem sonnigen Gemüt widerlegt er so ziemlich jedes Klischee von einem ernsthaften, elitären Jura-Studenten.
Als er sich wieder mir zuwendet, grinst er immer noch. »Du kannst so mürrisch tun, wie du willst. Ich weiß trotzdem, dass ich dein bester Freund bin.«
»Felix ist mein bester Freund«, behaupte ich, ohne mit der Wimper zu zucken.
George schnappt entsetzt nach Luft und legt sich die Hand auf seine Brust. »Wie kannst du es wagen!«
Seine Reaktion bringt mich zum Schmunzeln. »Damit kriege ich dich jedes Mal.«
Er zeigt mir den Mittelfinger, bevor er zu meinen Bücherregalen geht, die zur Hälfte mit Werken über Business und Management gefüllt sind. Obwohl ich sie für mein Studium an der Saïd Business School brauche, habe ich sie in die unteren Fächer verbannt, während die Astronomie-Bücher und Bildbände auf Augenhöhe stehen. Mein Vater würde das missbilligen, und ein kleiner, rebellischer Teil von mir hat es genau deshalb so einsortiert.
George seufzt. »Es wird Zeit, dass du eine nette Frau findest, die deine schreckliche Laune verbessert.«
»Dafür habe ich doch dich, Sonnenschein.«
»Ja, aber für deine physische Hochstimmung musst du dir wen anders suchen«, erwidert er. »So schön du auch bist, du wirst immer wie ein Bruder für mich sein. Ein fieser, mürrischer Bruder.«
Ich lache. »Was hast du gesagt? Alles, was ich gehört habe, war schön.«
Er schnalzt mit der Zunge. »Für jemanden, der ein Buch mit dem Titel So erfüllen Sie die geheimen Wünsche der Frauen besitzt, bist du viel zu selbstbewusst.«
Wie auf Kommando zieht er ein Buch mit unscheinbarem grauen Einband aus dem Regal und hält es mir entgegen. Unter dem selbsterklärenden Titel ist ein ovales, rosarotes Symbol, das mit viel Fantasie die Flamme einer Kerze darstellen könnte. Oder etwas anderes.
Ich sehe George verständnislos an. »Es war ein Geschenk von dir. Das ich definitiv nicht gebraucht hätte, nur um das klarzustellen.«
Jedes Mal, wenn er hier ist, sucht er nach dem verdammten Ding, um mich damit aufzuziehen. Keine Ahnung, warum ich es immer noch nicht weggeworfen habe. Vielleicht, weil ich nie Dinge entsorge, die meine Freunde mir geschenkt haben. Möglicherweise habe ich auch ein paarmal darin geblättert. Aus reiner Langeweile natürlich. Aber das werde ich George niemals verraten.
»O ja, ich hab die Legenden über dich gehört, du Verführer«, spottet er und geht mit dem Buch in der Hand zu meinem Schreibtisch. »Kayla hat mir erst vor ein paar Wochen in den Ohren gelegen, weil du kein Date mit ihr wolltest.«
Als er ihren Namen erwähnt, schürze ich die Lippen. Es war definitiv keine gute Idee, eine Kommilitonin von ihm und Eliza abzuschleppen. Nach unserer gemeinsamen Nacht wollte Kayla mich unbedingt näher kennenlernen und hat die beiden ständig über mich ausgefragt.
»Ich date nicht. Das habe ich ihr von Anfang an gesagt.«
»Stimmt ja, du steckst immer noch in einer Vertrauenskrise«, antwortet George und legt das Buch neben meinem Laptop ab. »Das ist jetzt vier Jahre her, Mann. Es wird Zeit, dass du der Frauenwelt wieder eine Chance gibst.«
Vier Jahre. An manchen Tagen kommt es mir vor, als wären erst ein paar Wochen vergangen. Auf noch so ein Desaster kann ich gut verzichten, also bleibe ich lieber bei kurzen Abenteuern.
»Ich werde bestimmt keine Dating-Ratschläge von einem Typen annehmen, der betrunken das Haus seines Professors angepinkelt hat«, sage ich.
»Gemalt. Ich habe mit meinem Körper gemalt und Kunst erschaffen.«
»Wohl eher einen Straftatbestand.«
Wieder gibt mein Laptop einen Klingelton von sich, während ich erfolglos gegen das Lächeln auf meinen Lippen kämpfe. George ist unverbesserlich. Aber egal, wie viel Mist er redet und anstellt, man kann ihm einfach nichts übel nehmen. Er ist einer dieser Menschen, die jeden Tag besser machen können. Es tut gut, jemanden zu haben, der das Leben ein bisschen lockerer sieht.
Er wirft einen Blick auf den Laptop. »Du weißt schon, dass es eine Funktion gibt, mit der man den Ton ausstellen kann, oder? Solltest du mal testen.«
»Nach der Funktion suche ich bei dir schon seit acht Jahren.«
»Die gibt’s bei mir durchaus, aber ich zeige sie nur ganz besonderen Menschen.« Er wackelt vielsagend mit den Augenbrauen.
Ich stöhne auf. »Vor mir liegen sechs Wochen Folter.«
George lacht. »Du hast bester Sommer meines Lebens falsch ausgesprochen.«
Auch dieses Mal schaffe ich es nicht, ein Lächeln zu unterdrücken.
»Na los, raus jetzt«, seufze ich. »Mach dir noch einen Espresso und lass mich meine letzten Minuten Freiheit genießen.«
Er deutet auf den Laptop. »Es ist keine Freiheit, wenn du sie damit verbringst, Gefängniswärter Lancaster zu mailen.«
Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hat, fahre ich mir mit den Fingern durch mein Haar. Er hat ja recht. Am besten packe ich den Laptop ein und verschiebe den Firmenkram auf später.
Ich gehe zum Schreibtisch und klappe das Gerät zu. Dann nehme ich das Scherz-Geschenk von George und bringe es zurück zum Regal. Als ich es einsortiere, fällt mir ein schwarzes Buch mit goldgeprägtem Titel und abgenutzten Rändern ins Auge. Ich nehme es heraus und mustere die Zeichnungen von Sternen und Planeten auf der Vorderseite. Es ist ein Astronomie-Bildband für Kinder, der das Universum anschaulich erklärt. Noch etwas, von dem ich mich nie trennen konnte. Das Buch hat meine leibliche Mutter mir zum zehnten Geburtstag geschenkt, ein paar Wochen vor dem Unfall. Ich hätte alles aus unserer Wohnung behalten können, aber ich habe mich ausgerechnet an dieses Buch geklammert. Im Heim habe ich es wie einen Schatz gehütet und niemanden darin lesen lassen.
Sterne sind Hoffnung, hat Mum früher gesagt.
Sie hat die Sterne geliebt und war oft traurig, weil man sie in London nie besonders gut sehen konnte. Darum wollte sie am Wochenende immer raus in die Natur. Mein leiblicher Vater hat da nicht mitgespielt, weil er lieber Fußball gucken und dabei ein Bier nach dem anderen trinken wollte. Ausgerechnet das eine Mal, bei dem er uns dann endlich begleitet hat, ist in einer Katastrophe geendet.
Ich klappe den Einband auf und finde ein Foto, das ich seit Jahren in diesem Buch aufbewahre, weil ich mich nie dazu durchringen konnte, es in meiner Wohnung aufzustellen. Man erkennt ohnehin nicht mehr viel darauf. Nur die blassen Umrisse von drei Personen, die mal eine Familie waren.
Schuld legt sich wie ein kalter Schatten auf mich, als ich das Bild mustere und mich an die Autofahrt vor dreizehn Jahren erinnere. Es war ein regnerischer Tag und die beiden haben sich wie so oft gestritten. Haben sich angeschrien und einander Vorwürfe gemacht. Ich saß auf dem Rücksitz und habe mir gewünscht, dass sie endlich damit aufhören. Kurz darauf ist unser Wagen von der nassen Fahrbahn abgekommen.
Mit einem Kloß im Hals stelle ich das Buch zurück ins Regal, wobei das Foto herausrutscht. Ich bücke mich und hebe es auf. Erst als ich es in der Hand halte, wird mir bewusst, dass es ein anderes Bild ist. Dieses zeigt mein zehnjähriges Ich mit einem etwa gleichaltrigen Mädchen. Wir grinsen beide in die Kamera, sie strahlend, ich unbeholfen. Ihr herbstrotes Haar ist wie eine Krone um ihren Kopf geflochten und sie trägt goldene Sternenohrringe, die im Licht funkeln. Ihre klaren blauen Augen scheinen zu lächeln. Sie hat immer gelächelt. Schon seltsam, wie meine Mundwinkel sich beim Anblick dieses Fotos von ganz allein heben.
Du heißt Eden, oder? Magst du mir beim Klavierspielen zuhören? Ich will mal Pianistin werden, und dafür muss ich vor ganz vielen Leuten spielen können. Aber die anderen finden meine Musik langweilig und reden oft dazwischen.
Nach all den Jahren habe ich noch immer ihre Stimme im Kopf. Sie hatte ein liebenswertes, ansteckendes Lächeln. Zu schade, dass sie nie auf einen meiner Briefe reagiert hat, nachdem ich adoptiert wurde. Unsere Freundschaft hat mir damals wirklich was bedeutet.
Kopfschüttelnd stecke ich das Foto zurück ins Buch. Das ist alles, was mir von meiner Vergangenheit geblieben ist. Ein paar Narben, zwei verblichene Fotos und ein Planeten-Buch für Kinder. Der Rest ist verschwunden, als hätte ein schwarzes Loch ihn verschluckt.
In den nächsten Minuten packe ich mein restliches Zeug zusammen und schließe dann den Koffer. Draußen regnet es mal wieder. Bisher ist es ein ziemlich trüber Juli, deshalb bin ich froh, bald ein wenig Mittelmeersonne genießen zu können.
»Weißt du, was bei diesem Apartment Wunder wirken würde?«, ruft George und kommt zurück ins Zimmer. »Das ein oder andere weiße Möbelstück und ein paar Pflanzen. Ist doch klar, dass du ständig so mies gelaunt bist, wenn du in dieser kargen, dunklen Gruft lebst.«
»Das nennt man Industrial-Style«, antworte ich. »Und tu nicht so, als ob deine Pflanzen mehr als fünf Monate überleben würden.«
George denkt, es würde keinem auffallen, dass er sich die gleichen Pflanzen einfach noch mal kauft, sobald die alten eingegangen sind. Er kümmert sich genauso schlecht um sein Grünzeug wie um seine Leber. Ich glaube, ich habe die armen Dinger öfter gewässert als er.
Er nimmt einen Schluck aus seiner dampfenden Espressotasse. »Das Problem bei Pflanzen ist, dass sie einem nicht sagen, wenn sie durstig oder deprimiert sind.«
»Oh, das sagen sie dir sehr wohl. Braune Blätter sind zum Beispiel ein Hilferuf.«
Ich gehe jede Wette ein, dass er niemanden damit beauftragt hat, in seiner Abwesenheit die Pflanzen zu gießen. Dabei könnte er es sich leisten.
»Weißt du, was auch ein Hilferuf ist?«, fragt er. »Dein angespanntes Gesicht. Wird Zeit, dass du endlich mal rauskommst.«
Ich atme tief durch, bevor ich den Koffer vom Bett hieve. »Glaub übrigens bloß nicht, dass du dich in den kommenden Wochen ums Training drücken kannst. Wir werden nächstes Semester diesen Marathon laufen, also sehen wir uns besser auf dem Laufband.«
George stöhnt auf. »Du kannst mit Kate ins Studio gehen, wenn du unbedingt musst. Die ist sowieso immer die Erste beim Frühsport. Keine Ahnung, wie sie es schafft, so ein Morgenmensch zu sein.«
»Ihr Wecker funktioniert besser als deiner.«
»Meiner funktioniert hervorragend. Ich entscheide mich bloß dazu, ihn zu ignorieren.«
Ich lache. »Versuch das mal bei mir, wenn ich gegen deine Kabinentür hämmere.«
Er schneidet eine Grimasse, als hätte er Schmerzen. »Würde ich ja gern. Aber wenn du dir irgendwas in deinen Dickschädel gesetzt hast, kann dich niemand davon abbringen. Wahrscheinlich werde ich dich anflehen, mit dir Sport machen zu dürfen, damit du aufhörst, mich zu nerven.«
»Genau das ist der Plan.«
Ich wünschte, bei meinem Vater wäre ich auch so durchsetzungsfähig, aber der ist leider so was wie der CEO des Willensstärke-Imperiums. Trotzdem bin ich fest entschlossen, mir diesen Urlaub nicht von ihm vermiesen zu lassen. Ich werde die nächsten Wochen mit meinen Freunden verbringen und den Sommer genießen. Es ist der letzte vor meinem Abschluss, deshalb will ich, dass er was ganz Besonderes wird.
TRIO
Carey
Ein paar Monate und Sicherheitstrainings später betrete ich zum ersten Mal das Schiff, auf dem sich möglicherweise auch meine Mutter aufhält. Am liebsten würde ich direkt in der großen Lobby stehen bleiben, die den vergessenen Glamour der Zwanziger widerspiegelt, und das meterhohe Wandrelief bestaunen. Schon der Eingang verfügt über mehrere Ebenen und luxuriöse Polstermöbel, doch bevor ich die Ocean Heart bewundern kann, scheucht man mich quer durch das Schiff.
Neue Mitarbeiterinnen wie ich erhalten neben ihren Uniformen eine Führung durch den Crewbereich, müssen an weiteren Sicherheitstrainings teilnehmen und hören eine Menge Informationen zu ihrer Arbeit. In wenigen Stunden prasselt so viel auf mich ein, dass mir am Ende der Kopf schwirrt und ich froh bin, ein paar Minuten Pause in meiner Kabine zu haben, bevor es weitergeht.
Als ich endlich unter Deck ankomme, bin ich völlig außer Atem. Dieses Schiff ist unfassbar verworren und die Gänge im Crewbereich sehen gefühlt alle gleich aus. Ob ich mich je allein zurechtfinden werde? Zum Glück funktioniert meine Schlüsselkarte, also bin ich wohl im richtigen Zimmer gelandet.
Das Innere ist ernüchternd, auch wenn ich natürlich keinen Luxus erwartet habe. Hier unten gibt es kein Tageslicht oder überhaupt ein Fenster, und die spärliche Einrichtung im kleinen Zimmer ist auf das Nötigste beschränkt. Ein Schreibtisch, schmale Schränke, eine Kommode und zwei Stockbetten. Auf jedem von ihnen sitzt in diesem Moment eine junge Frau. Beide wenden sich mir zu, als ich mitten im Raum stehen bleibe.
»Da ist ja unsere verlorene Mitbewohnerin!«, ruft eine von ihnen grinsend. »Wir dachten schon, du hättest dich verlaufen.«
Sie müsste etwa in meinem Alter sein, aber durch ihren Fransenpony, das Nasenpiercing und die rebellische, jugendliche Ausstrahlung kann ich es schwer einschätzen. Ihr schwarzes, kinnlanges Haar passt farblich zu den Tattoos, die unter ihrem Tanktop hervorschauen und sich von ihrer weißen Haut abheben. Eine Mondsichel unter ihrem Schlüsselbein, geometrische Symbole auf ihrem Unterarm und ein Schriftzug auf ihrem Handgelenk. Sogar im Sitzen wirkt sie total groß und ihre Muskeln verraten, dass sie viel Sport macht.
Ich reibe mir über den Nacken und grinse sie an. »Vielleicht ein bisschen. Es dauert bestimmt noch, bis ich mich zurechtfinde.«
»Willkommen im Club der Orientierungslosen. Auf meinem Weg zur Toilette bin ich falsch abgebogen und in einem Raum gelandet, wo sich gerade ein Offizier mit einer Tänzerin vergnügt hat. Ich sag’s euch, so verdammt Single habe ich mich lange nicht mehr gefühlt.« Sie seufzt sehnsüchtig und ihr Blick schweift kurz in die Ferne, bevor sie wieder mich ansieht. »Ich bin übrigens Gemma.«
»Und ich Isla«, stellt die andere sich vor.
Während Gemma frech und selbstbewusst wirkt, scheint Isla ruhiger und ein wenig schüchtern zu sein. Auch körperlich stehen sie in krassem Gegensatz zueinander. Isla ist eher klein und zierlich, hat große dunkle Augen und einen gebräunten Hautton. Ihr blond gefärbtes Haar hat sie zu einem langen Zopf geflochten und sie trägt ein weinrotes Kleid mit verspielten Rüschendetails. Ihre Ausstrahlung ist elegant und romantisch, wie die von einer Prinzessin aus einem klassischen Märchenfilm. Neben ihr steht eine rosa Dose auf dem Bett, in der ein paar Brownies liegen. Eigentlich ist der Crew das Essen in den Kabinen aus Hygienegründen verboten, aber diese Brownies sehen so lecker aus, dass ich die Regeln auch für sie brechen würde.
Ich schenke meinen Mitbewohnerinnen ein Lächeln. »Ich bin Carey. Freut mich, euch kennenzulernen! Seid ihr auch neu hier?«
Beide nicken, also werden wir uns wohl alle erst mal an Bord zurechtfinden müssen.
»Und in welchem Bereich arbeitet ihr?«, hake ich nach. »Auch im Service?«
»Ich bin in der Küche«, erzählt Isla und hebt die Brownie-Dose an. »Da sorge ich dafür, dass die Leute in den Genuss von dem wirklich guten Zeug kommen.«
»O ja, die sind toll«, schwört Gemma. »Von mir aus darfst du öfter mal welche in unsere Kabine schmuggeln.«
»Willst du auch einen?«, fragt Isla mich.
»Total gern!«
Sie hält mir die Dose hin und ich schnappe mir einen der weichen Brownies. Als ich hineinbeiße und der schokoladige Geschmack sich auf meiner Zunge ausbreitet, schmelze ich ein wenig dahin.
»Wow, sind die gut«, seufze ich mit halb vollem Mund. »Mh, ich liebe Schokolade.«
»Ich auch«, stimmt Gemma mir zu. »Sollte ich als Fitnesstrainerin vielleicht nicht zu laut sagen, aber hey. Schokolade.«
Sie betont das Wort, als wäre es das achte Weltwunder. Was ich dank der köstlichen Brownies verstehen kann.
»Willst du eigentlich deine Sachen ablegen oder einräumen?«, fragt Isla, bevor sie auf meinen Koffer deutet. »Und schläfst du lieber oben oder unten? Gemma hat sich für unten entschieden und ich für oben, deshalb hast du freie Wahl. Soweit ich weiß, bleiben wir erst mal zu dritt.«
Ich sehe erst das linke, dann das rechte Stockbett an. »Unten wäre wahrscheinlich besser. Sonst stürze ich irgendwann im Dunkeln ab und breche mir was.«
Isla macht Platz und setzt sich neben Gemma, damit ich meinen Koffer auf das Bett hieven kann. Schade, dass unsere Kabine kein Fenster hat. Andererseits werde ich wahrscheinlich sowieso nicht besonders viel Zeit in ihr verbringen.
»Habt ihr eigentlich auch ein Arbeitsoutfit bekommen?«, frage ich, als ich den schwarzen Kleidersack auf mein Bett gelegt habe, den man mir vorhin ausgehändigt hat. »Ich soll die ganze Zeit über ein Kleid im Zwanziger-Jahre-Stil tragen.«
Neugierig öffne ich den Reißverschluss und spähe hinein. Im Inneren befinden sich zwei goldene, mit Pailletten besetzte Kleider. Sie sind knielang, die dünnen Ärmel reichen knapp über die Schultern und der Stoff fällt kerzengerade auf den Boden. Er schimmert wunderschön im Licht.
»Das bleibt mir in der Küche zum Glück erspart«, antwortet Isla. »Ich trage gern hübsche Kleider, aber bei der Arbeit habe ich es lieber praktisch.«
»Also ich bin neidisch«, meint Gemma. »So ein Kleid hatte ich ewig nicht mehr an. Mir haben sie aber sowieso nie besonders gut gestanden.«
Sie klingt etwas wehmütig, als würde sie das bedauern. Tatsächlich kann ich sie mir auch nur schwer in einem goldenen Paillettenkleid vorstellen, so sportlich und tough, wie sie aussieht. Schwarz ist so was von ihre Farbe, und ich wette, Silber würde ihr auch toll stehen.
Ich nehme die Kleider und hänge sie in den Schrank, damit sie nicht zerknittern. Dann räume ich mein eigenes Zeug aus dem Koffer und verstaue einen Teil davon im Zimmer. Meine Pflegeartikel bringe ich in das kleine angrenzende Bad. Während ich alles einsortiere, unterhalte ich mich weiter mit den anderen.
»Und was verschlägt euch auf die Ocean Heart?«, frage ich. »Abenteuerlust?«
»Wenn’s nur so wäre«, seufzt Gemma. »Ich könnte jetzt so was sagen wie Ich wollte was Neues ausprobieren, aber bei mir war’s das Geld. Die zahlen echt gut und ich habe dringend einen Job gebraucht, also … tja. Jetzt bin ich hier.«
»Ich wollte bloß mal rauskommen«, erzählt Isla. »Was komplett anderes machen. Mal sehen, wie es wird. Und du? Warum hast du auf dem Schiff angefangen?«
Sie sieht mich an. Kurz überlege ich, ob ich zwei völlig fremden Frauen wirklich den Grund für mein Hiersein anvertrauen sollte, schließlich kenne ich keine von ihnen. Andererseits spricht auch nichts dagegen. Vielleicht können sie mir sogar weiterhelfen.
»Wegen meiner Mutter«, antworte ich zögerlich. »Ich suche schon lange nach ihr. Angeblich arbeitet sie auf diesem Schiff und ich will sie unbedingt finden, deshalb habe ich eine Stelle als Kellnerin angenommen.«
Die anderen mustern mich überrascht. Mit so einer Antwort haben sie wohl nicht gerechnet. Amber behauptet immer, ich sei zu vertrauensselig. Die Sache mit Lance sollte mir gezeigt haben, dass da was dran ist, aber ich kann eben nicht anders. Warum sollte ich den beiden schlechte Absichten unterstellen, nur weil mein treuloser Ex mich verletzt hat?
»Wie es der Zufall so will, bin ich verdammt gut darin, Gerüchte aufzuschnappen«, erklärt Gemma, was ich nach ihrer Geschichte mit dem Offizier und der Tänzerin nicht anzweifle. »Ich werde mal Augen und Ohren offenhalten. Wie heißt sie denn?«
»Sarah. Wo genau sie arbeitet – oder ob sie überhaupt hier arbeitet –, weiß ich leider nicht.«
»Falls sie an Bord ist, können wir mit ein bisschen Glück sicher was rausfinden«, meint Isla nachdenklich.
Gemma schnappt sich den Stoffbären mit Hut, der neben ihr auf dem Bett liegt. »Personal redet immer. Das ist keine Frage des Glücks, sondern eine der Zeit.«
»Ihr würdet mir einfach so helfen?«, frage ich verblüfft.
Als Isla lächelt, tauchen Grübchen neben ihren Mundwinkeln auf. »Klar. Wir sind Zimmerkolleginnen, da müssen wir uns doch gegenseitig unterstützen, oder?«
Ein warmes Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus. Ich hatte befürchtet, ohne Amber könnte es ziemlich einsam werden, aber wegen Gemma und Isla fühle ich mich in dieser viel zu engen Kabine sofort wohl.
»Danke«, sage ich. »Wenn ich euch bei irgendwas helfen kann, könnt ihr mir natürlich auch immer Bescheid sagen.«
Ich mache damit weiter, mein Zeug einzuräumen, und auch die anderen sortieren noch ein paar ihrer Sachen ein.
»Schnarcht eine von euch?«, will Gemma wissen. »Es kann nämlich sein, dass ich im Schlaf rede, und ich wäre ungern die einzige mit nervigen Schlafgewohnheiten. Kommt nicht oft vor, aber ich wollte es mal erwähnt haben.«
»Also ich schlafe wie ein Stein«, behauptet Isla. »Du darfst gern so viel reden, wie du willst.«
»Vielleicht hilft’s mir ja beim Einschlafen«, mutmaße ich. »Was erzählst du denn so?«
Gemma denkt nach. »Schwer zu sagen. Mein Ex hat mal geschworen, ich würde Anweisungen für Sportübungen geben. So wie bei der Arbeit. Hab ich ihm nicht geglaubt.«
»Wir überprüfen das gern für dich«, antworte ich lachend. »Sagt mal, wann fängt eigentlich eure erste Schicht an? Sollen wir mal unsere Dienstpläne vergleichen?«
Isla blickt auf die Smartwatch an ihrem Handgelenk. »Ich glaube, meinen Plan muss ich später mit euch durchgehen. Meine Einführung geht gleich weiter. Ich mache mich besser auf den Weg. Die Brownies lasse ich euch da, falls ihr Hunger bekommt.«
»Immer«, erwidert Gemma.
In Windeseile hat Isla sich umgezogen und verlässt unsere Kabine. Schon jetzt bezweifle ich, dass unsere Schichten zeitgleich liegen. Selbst dann, wenn wir im selben Tätigkeitsbereich arbeiten würden, wäre das unwahrscheinlich. Aber ich hoffe, wir bekommen trotzdem genug Schlaf. Mal sehen, ob diese gelben Vorhänge an unseren Betten zu gebrauchen sind.
»Wann geht deine erste Schicht los?«, fragt Gemma, bevor sie sich zu Islas Bett hinüberbeugt und einen Brownie aus der Dose fischt.
»Ich bin bei der Eröffnungsparty im großen Festsaal eingeteilt. Wird sicher aufregend.«
»Oh, das glaube ich sofort! Vielleicht hätte ich mich auch als Kellnerin bewerben sollen, dann bekäme ich wenigstens die schönen Ecken des Gästebereichs zu sehen. Aber ich habe gehört, wir dürfen alle zwei Monate eine Leisure Card beantragen. Damit darf man ganz legal für einen Tag in den Gästebereich.«
»Wirklich?«, frage ich, weil diese Info bei mir untergegangen ist. »Klingt ja super.«
»Oder? Ich kann es jetzt schon kaum erwarten!«
Ihr Enthusiasmus ist ansteckend. Hoffentlich haben wir trotz der Arbeit Zeit, mal zusammen was an Land zu unternehmen. Es ist schön, dass ich mit Gemma und Isla zwei nette Zimmerkolleginnen bekommen habe, mit denen ich mich auf Anhieb gut verstehe. Wenn ich meine Mutter auf diesem Schiff finden will, brauche ich jede Unterstützung, die ich kriegen kann. Und ich glaube, wir werden ein tolles Trio sein.
GALAXIE
Eden
Das imposante Schiff liegt ruhig im Hafen von Southampton, und obwohl es wahrscheinlich zu den kleineren gehört, beeindruckt es mich trotzdem. Ich atme den Salzgeruch des tiefblauen, glitzernden Meeres ein und schließe die Augen, um den Wind im Gesicht zu spüren. Für kurze Zeit fühle ich mich frei, auch wenn ich weiß, dass dieses Gefühl nur eine Momentaufnahme ist.
»Und das Beste kommt erst noch: Das hier ist das modernste, emissionsärmste Kreuzfahrtschiff der Welt, bei dem streng auf Energieeffizienz und Nachhaltigkeit geachtet wird. Es hat einen Hybrid-Antrieb, verfügt über einziehbare Solarsegel, verzichtet auf die Nutzung von Einwegplastik, hat eine verbesserte Abwasserreinigung und ist absoluter Vorreiter in Sachen nachhaltiger Schifffahrt. Ziemlich abgefahren, was?«
Während Eliza sich in ausschweifenden Erklärungen darüber verliert, wie dieses Wunderwerk der Technik funktioniert, nickt George bestätigend. Er hat eine interessierte Miene aufgesetzt, die auch regelmäßig in der Uni zum Einsatz kommt. Zwischendurch wirft er immer mal wieder ein enthusiastisches Wow ein, sodass ich seine Strategie schnell durchschaue. Obwohl er aussieht, als würde er zuhören, ist er mit seinen Gedanken gerade meilenweit vom Geschehen entfernt. War ja klar, dass umweltfreundliche Technologien einen kaltlassen, wenn man einen so dicken SUV fährt wie er.
»Wir sollten los«, dränge ich, bevor Eliza sein Schauspiel bemerkt und die beiden sich wieder in die Haare kriegen. »Sonst fährt das Ding tatsächlich ohne uns ab.«
Eigentlich habe ich es nicht besonders eilig, auf dieses schwimmende Ungetüm zu kommen, denn im Gegensatz zu meinen Freunden führt es mich nicht in einen Sommer ohne Verpflichtungen. Dieser weiße Gigant, auf dem mit eleganten, goldenen Lettern Ocean Heart geschrieben steht, verspricht endlose Partys, literweise Champagner, sündhaften Luxus und Nächte voller Abenteuer – und das alles, während man ganz nebenbei die schönsten Städte der Europas besucht. Auf mich warten dagegen noch andere Dinge.
»Habe ich schon erwähnt, dass es in den meisten Bereichen abends einen Dresscode gibt, sobald das Schiff abgelegt hat?«, fragt Eliza auf dem Weg zur Zugangsbrücke.
Ihre rot geschminkten Lippen sind zu einem Lächeln verzogen. Ich wette, sie hat für jede Gelegenheit das passende Outfit eingepackt. Zum Glück haben wir unsere Koffer schon aufgegeben, sonst müssten George und ich jetzt jeweils zwei ihrer fünf rollenden Kleiderschränke schleppen.
»Schon ungefähr tausendmal«, murrt er neben mir.
Eliza schnaubt. »Tu nicht so genervt, Georgie. Wann hast du schon mal die Gelegenheit, dich zu kleiden wie Jay Gatsby persönlich?«
»Jedes Jahr einmal. Zur Silvesterparty deiner Familie.«
Die legendären Cavendish-Silvesterpartys waren die Inspiration für dieses Themenkreuzfahrtschiff. Alles da drin soll aussehen, als stammte es aus den Goldenen Zwanzigern. Luxuriös, glamourös und wie von einem anderen Stern. Elizas Familie gehört das Kreuzfahrtunternehmen, für das dieses moderne Schiff entwickelt wurde, darum durfte sie seine Entstehung und das Design maßgeblich beeinflussen. Falls die Abende auf der Ocean Heart nur annähernd wie die Partys der Cavendishs verlaufen, wird diese Reise ein rauschendes Fest auf hoher See. Das ich nur dann richtig genießen darf, wenn ich den braven Sohn spiele und meinen Vater zu all seinen Terminen begleite, die er in den nächsten Wochen mit Geschäftspartnern aus ganz Europa ausgemacht hat. Manche von ihnen werden ebenfalls ein paar Tage an Bord verbringen, andere werden wir in den jeweiligen Städten treffen, in denen das Schiff anlegt.
Auch jetzt werde ich das Gefühl nicht los, dass Dad irgendwo am Hafen herumsteht und mich mit Argusaugen beobachtet. Er hat versprochen, mich in meiner Freizeit in Ruhe zu lassen, solange ich pflichtbewusst die Termine wahrnehme. Aber die Sorge, auf Schritt und Tritt von ihm verfolgt zu werden, lässt sich trotzdem nicht abschütteln.
Auf dem Schiff werden wir überschwänglich von einem Mann in schwarzem Designeranzug und goldener Krawatte begrüßt. Keine Ahnung, ob der für jeden dieses Grinsen auflegt oder nur für eine Cavendish, aber ich merke sofort, dass es nicht echt ist. Bestimmt lässt das Personal sich untereinander über die verwöhnten Gäste aus. Ich könnte es ihnen nicht einmal verübeln. Muss ätzend sein, Leute zu bedienen, die sich so einen übertriebenen Luxus leisten können. Die Tickets für dieses exklusive Schiff können sich nur die reichsten der Reichen leisten, und einige von denen erwarten teilweise unmögliche Standards.
Schon das Foyer unseres Feriendomizils ist alles andere als gewöhnlich. In dem schachbrettartigen Marmorboden erkenne ich mich selbst fast so gut wie in einem Spiegel, und von den vergoldeten Kristallkronleuchtern an der Decke fällt schummriges Licht auf uns herab. Die Kerzenhalter und Bilderrahmen an den Wänden sind so aufwendig verziert, dass man denken könnte, wir befänden uns in einem alten, herrschaftlichen Schloss.
Während unsere Kabinenschlüssel vorbereitet werden, versorgt man uns mit schlanken Gläsern, in denen Champagner sprudelt. Ich lehne dankend ab, weil es eindeutig zu früh für so was ist.
»Auf uns!«, ruft Eliza und stößt mit George an.
Einige Passagiere wenden sich ihr zu, was mich nicht überrascht. Mit ihrer kräftigen, klaren Stimme wird sie sehr schnell zum Mittelpunkt des Geschehens. Dazu kommt ihre Größe, mit der sie in hohen Schuhen sogar mich überragt und die sie häufig aus der Masse hervorstechen lässt. Obwohl sie keine Wettkämpfe mehr schwimmt, hat sie noch immer die athletische Statur einer Sportlerin, dank der sie eine Art von Autorität versprüht, die einschüchternd auf andere wirken kann.
»Sagt einer von euch Kate und Felix Bescheid?«, fragt sie. »Die beiden müssten schon hier sein.«
»Ist das eine Bitte oder ein Befehl?«, erwidert George.
»Noch kannst du es dir aussuchen.«
Ihre Worte klingen spielerisch, aber mehr braucht es nicht, um unseren Freund dazu zu bewegen, sein Smartphone aus der Hosentasche zu ziehen.
Da die anderen auf sich warten lassen, suche ich die Toiletten auf. Dieses Schiff sieht wirklich an jeder Ecke aus, als sei es aus der Zeit gefallen. Sogar die Wasserhähne sind vergoldet. Als wollte man den Leuten auch bei den alltäglichsten Dingen das Gefühl geben, etwas Besonderes zu sein. Genau das versuchen meine Eltern mir seit Jahren klarzumachen: dass ich außergewöhnlich bin. Zu Höherem bestimmt als der Rest der Welt. Wenn ich jedoch in den Spiegel schaue, in diese grauen Augen, die kühl und unergründlich zurückstarren, sehe ich noch immer den Jungen, der aus dem Wrack geklettert ist. Ob sich das je ändern wird?
Ich kehre wieder zum Foyer zurück, wo inzwischen auch die anderen warten. Felix trägt einen dunklen Anzug mit Längsstreifen, unter dem ein weißes Hemd hervorschaut. Die schwarze Fliege und sein strahlendes Lächeln lassen ihn wie James Bond aussehen. Mir tun seine potenziellen Verehrerinnen schon jetzt leid, weil sie sich völlig umsonst Hoffnungen machen werden. Obwohl er wie der König des Flirts aussieht, haben sie bei ihm schlechte Karten.
Kate steht ihm mit ihrem silbernen Paillettenkleid und dem farblich passenden Schmuck in nichts nach. Sie zwinkert einem jungen Mann zu, der gerade an ihr vorbeigeht und sie sehr interessiert anschaut. Kurz darauf stößt er klischeemäßig gegen eine ältere Frau, weil seine Augen noch immer auf Kate ruhen. Der armer Kerl hatte von Anfang an nicht die geringste Chance, ihrem frechen Charme zu widerstehen.
»Seid ihr nicht ein bisschen früh dran mit diesem Aufzug?«, frage ich und deute auf die Kostümierung.
»Wir bringen uns schon mal in Stimmung«, erklärt Kate grinsend, bevor sie den letzten Schluck Champagner aus ihrem Glas trinkt. »Heute Abend steigt im Festsaal eine Party. Mit Livemusik und Casino-Feeling.«
Ich lache. »Glücksspiel, ja? Hältst du das für eine gute Idee?«
Sie fährt sich selbstbewusst durch ihr schwarzes Haar. »Gewinnen ist immer eine gute Idee.«
Wenn man denn gewinnt, füge ich in Gedanken hinzu, aber das ist bei Kate kein Problem. Sie hat ein beeindruckendes Talent fürs Pokern, und wer mit ihr am Tisch sitzt, verliert nicht nur einen Haufen Geld, sondern manchmal auch das eine oder andere Kleidungsstück.
»Hochmut ist eine Sünde, schon vergessen?«, erinnert Felix sie, woraufhin Kate noch breiter grinst.
»Genau wie Wollust und Habgier. Die heilige Dreifaltigkeit eines spaßigen Lebens.«
»Du kommst so was von in die Hölle.«
Sie zieht ihr Kleid ein Stück nach unten, sodass der Ausschnitt ihre Reize perfekt in Szene setzt. »Aber natürlich. So wie alle interessanten Leute.«
»Heute Abend endet deine Glückssträhne«, behaupte ich, bevor Felix eine Grundsatzdiskussion über Himmel und Hölle anfangen kann. »Wollen wir wetten?«
»Habe ich da gerade etwa wetten gehört?«, schaltet George sich ein. Er legt mir einen Arm um die Schultern. »Du solltest besser vorsichtig sein, mein Lieber. Erinnerst du dich noch daran, wie schmerzhaft dein letzter Wetteinsatz war?«
Ich seufze. »Lebhaft.«
Eliza schüttelt den Kopf und hakt sich bei mir unter. »Bevor hier irgendwas geplant wird, machen wir eine Schiffsführung. Mum hat mir alles bis ins kleinste Detail erklärt, deshalb dürft ihr euch jetzt zurücklehnen und mir genau zuhören. Wir wollen ja nicht, dass ihr auf der Ocean Heart verloren geht.«
Zum Glück bekommt sie nicht mit, wie George die Augen verdreht. Er und ich tauschen wortlos Blicke, bevor ich mit den Achseln zucke. Ein Nein würde sie ohnehin nicht akzeptieren. Außerdem will ich nicht undankbar erscheinen, immerhin hat Elizas Familie uns für mehrere Wochen auf diese luxuriöse Reise eingeladen. Da ist es wohl das Mindeste, dass wir uns alles anschauen, was dieses hochmoderne Schiff zu bieten hat.
Die anderen wirken, als würden sie sich hier schon wie zu Hause fühlen. Manchmal, wenn ich meine Freunde ansehe, beneide ich sie um diese Selbstverständlichkeit. Für sie ist dieses sorglose Leben normal, weil sie es gar nicht anders kennen. Wie könnten sie also ahnen, wie es sich anfühlt, wenn der eigene Vater sich lieber ein Ticket fürs Stadion kauft, statt seinem Sohn Essensgeld für die Schule zu geben? Oder wie es ist, wenn sich das schmutzige Geschirr einer ganzen Woche in der Küche stapelt, weil keine Haushaltshilfe es wegräumt und die eigenen Eltern lieber fernsehen als abzuspülen? Wenn man niemanden hat, der darauf achtet, dass die Hausaufgaben erledigt werden? Auch wenn ich meine Freunde liebe, wünsche ich mir gelegentlich, sie könnten meine Vergangenheit genauso gut nachvollziehen wie meine Gegenwart. Denn sie ist immer noch da, ganz egal, wie viel Mühe meine Adoptiveltern sich damit gegeben haben, sie auszulöschen. Dieser Teil von mir wird nie verschwinden.
Voller Enthusiasmus führt Eliza uns auf dem Schiff herum. Je mehr wir davon sehen, desto stärker beschleicht mich das Gefühl, in einem Hollywood vergangener Zeiten gelandet zu sein. Die dunkle Gestaltung der Räume sorgt für ein exklusives, verruchtes Flair, was durch die schweren Samtvorhänge vor einigen Fenstern noch verstärkt wird. Wir durchqueren verschiedene Themenbars, wo ich mich am liebsten in einen der Ledersessel fallen lassen und den Ausblick aufs Meer genießen würde. Entspannung hat Eliza jedoch erst mal nicht für uns vorgesehen.
Im großen Speisesaal deckt das Personal gerade die runden Tische ein. Selbst das Besteck ist vergoldet, genau wie der Rand von jedem Teller. Die Tischdecken sind dagegen pechschwarz und mit schimmernden Silberfäden durchwoben, sodass es aussieht, als speise man inmitten der Galaxie. Zahlreiche Angestellte eilen durch den Raum, um alles so perfekt wie möglich herzurichten. Jeder Stuhl muss richtig stehen und jede Gabel im vorgegebenen Abstand zum Teller platziert werden.
Eliza zeigt uns weitere Räume, einer beeindruckender als der andere. Obwohl dieses Schiff deutlich kleiner ist als viele andere Luxusliner, wirkt es dennoch wie eine Stadt auf dem Wasser. Wir bewundern das Hallenbad, das an ein römisches Badehaus erinnert, eine antik anmutende Bibliothek, einen Wellnessbereich, der alle möglichen Behandlungen anbietet, und einen riesigen Kostümverleih, bei dem man sich ein glitzerndes Outfit passend zum Motto des Schiffs borgen kann.
»Falls ihr zu wenig Kleidung dabei habt«, erklärt Eliza.
»Wahrscheinlich hat hier jeder, abgesehen von dir, zu wenig Zeug«, erwidert George.
Sie lächelt zuckersüß und lässt sich die gute Laune nicht von ihm verderben. »Du bist einfach schlecht vorbereitet, Georgie. So wie bei der letzten Klausur in Strafrecht.«
»Es kann eben nicht jeder einen Star-Anwalt zum Vater haben, der einem statt Schlafliedern ein paar Seiten aus dem Jura-Lehrbuch vorsingt.«
»Ist da etwa jemand neidisch?«, ruft Felix.
George legt sich die Hand auf die Brust. »Schuldig im Sinne der Anklage. Aber zum Glück kann ich mich mit meinem fantastischen Aussehen über diese Unzulänglichkeit hinwegtrösten.«
Felix lacht. »Dein Selbstbewusstsein ist echt einmalig.«
»Tja, es muss eben zu mir passen.«