Ochsenritt - Thorsten Spanuth - E-Book

Ochsenritt E-Book

Thorsten Spanuth

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Beschreibung

Die Übernahme der Ahnenforschung meiner Familie von meinem Vater, die bis ins Mittelalter zurückreicht, ließ mich tief eintauchen in eine Welt voller Abenteuer und Schicksale, die mich so sehr fesselt, dass sie meine eigene Phantasie ins Rollen brachte und ich meinen 3xUrgroßvater als einfachen Bauern 1858 auf eine abenteuerliche Reise von Schleswig-Holstein nach Hamburg und darüber hinaus geschickt habe. Er, der er sich nur des Überlebens Willen seiner Familie diesem Ochsenritt aussetzt, weiß nicht, dass sich seine Heimat zur gleichen Zeit in einer Phase des Umbruchs befindet, die nach Bewältigung eines ebensolchen Ochsenrittes in eine Staatsform mündet, die die Grundlage unserer heutigen Lebensrealität in Deutschland werden würde.

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Meinem Vater

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

GLOSSAR

NACHWORT

1

In der letzten Zeit schlief er schlecht. Nicht weil er sich mehr Sorgen machte als sonst, nein, es war die Unruhe seiner Frau, die neben ihm schlief. Diese zuckte manchmal im Schlaf, als ob sie sich erschrocken hätte oder boxte oder trat ihn mit einem Bein oder Knie unwillkürlich in die Seite. Ihre Unruhe kam nicht von ungefähr, denn sie war hochschwanger, konnte in keiner Position richtig liegen, ohne dass es ihr auf Dauer Schmerzen bereitete. Manchmal konnte er regelrecht spüren, dass der Auslöser das ungeborene Kind war, dass in ihrem Bauch seinerseits strampelte, boxte oder trat.

Eigentlich wäre er ärgerlich über diese nächtlichen Unterbrechungen aber er versuchte sich damit zu beruhigen, dass es zumindest ein gutes Zeichen sei. Das Kind lebt, es hat Kraft und wird sicher ein Junge.

Aber wieder einzuschlafen, das fiel ihm schwer. Er lag auf dem Rücken und starrte an die Decke. Ihre wievielte Schwangerschaft ist das jetzt eigentlich? Er musste konzentriert darüber nachdenken. Ja, es müsste wohl ihre zwölfte sein. Sie sind jetzt fast zwanzig Jahre verheiratet, haben sieben Kinder, zwei sind kurz nach der Geburt gestorben und zwei weitere musste sie schon weit vorher gehen lassen.

Sie ist eine tapfere Frau, eine starke Frau. Er strich ihr liebevoll über die Wange, sie atmete einmal tief, aber sie schlief, hatte es nicht gemerkt.

Er konnte nicht wieder einschlafen, denn heute muss er nach Altengörs raus und will sich acht Taler verdienen, nein nicht will, er muss sie mit nach Hause bringen, wenn es nicht wieder losgehen soll, mit dem Hunger schieben. Zumal jetzt, wo seine Frau kurz vor der Niederkunft steht, das dauert bestimmt nur noch ein paar Wochen, dann muss er dafür sorgen, dass sie was zum Kochen haben.

Es wird schon werden. Er hatte eigentlich immer Glück gehabt im Leben. Wenn der Friedrich Wilhelm nicht gewesen wär‘, mit seiner Kanonade um Holstein und Schleswig von den Dänen zu befreien, ja, dann wäre er vielleicht ein einfacher Knecht, zöge jetzt in der Winterszeit von Hof zu Hof, um irgendwo ein Dach über dem Kopf zu haben und eine Schale Kohlsuppe am Tag.

So hatten die Häscher des Königs seine Brüder alle nach und nach abgeholt und für die Armeen rekrutiert und alle, ausnahmslos alle, sind nicht mehr zurückgekehrt. Er, Wilhelm, war damals erst weniger als fünfzehn Jahre alt, der fünfte Sohn in der Reihe, nein, ohne den Preußen hätte er niemals den Hof geerbt. Der Vater hatte immer gesagt, nein, den Hof kann er nicht noch einmal teilen, wie sein Vater es noch getan hatte, und sein Vater davor. Nein, das Land reicht nicht mehr, eine Familie zu ernähren, wenn man es nochmal unter den Erben aufteilt. Und so blieb er als einziger Jung‘ in der Reihe übrig. Die Schwestern wurden alle auf andere Höfe verheiratet und er, er ganz allein behielt den Hof, nachdem Vater und Mutter verstorben waren. Ja und seine Catherine konnte er heiraten, seine liebste und einzige Liebe, die er schon als Knirps kennengelernt hatte. Das wäre nie was geworden, ohne den Hof.

Die Liese brüllte, schon die ganze Zeit während er vor sich hinträumte. Ja, sie wollte gemolken werden. Normal steht Catherine auf, aber sie grunzte unruhig, merkte wohl im Schlaf, dass sie raus müsste zur Kuh, wachte aber nicht auf.

Jetzt brüllte auch der Karli, der Ochse, der sich wohl ärgerte über die Kuh, die ihn nicht schlafen lassen wollte.

Wilhelm stand auf, zog sich seine Hose über, spannte die Hosenträger und zog ein Linnernes darüber, dann stieg er die Treppe hinab und ging in den Stall. Er entzündete die Talgleuchte und ging auf den Verschlag zu, in dem die Kuh steht. Sie schwieg still in dem Moment, wo das Licht anging, schaute ihn aber jetzt blöd an, als sie feststellte, dass nicht die Catherine kommt, sondern er.

Den Schemel unterm Hintern, den Eimer in der Hand zog er ihre Zitzen lang und fing an zu melken. Die Liese brummte zufrieden. Zwei Liter kommen zusammen, was den Wilhelm erstaunte, wo doch die Kuh jetzt im Herbst kaum mehr rauskommt, weil das Gras kurz und manchmal schon von Reif oder sogar Schnee bedeckt ist und sie nur Heu aus dem Sommer zu fressen bekommt. Er gab ihr einen Klaps auf den Hals und ging wieder nach vorn, in das Wohnhaus.

Catherine stand in der Küche, zog sich ihre wollene Jacke an und versuchte sie über den Bauch zu ziehen. Aber sie war recht eng passte nicht recht. Mit dem Schürhaken schob sie im Herd die Asche durch das Rost und legte ein paar Scheite nach. Das Feuer war fast aus. Sie musste in die restliche Glut hineinblasen, um das Feuer wieder zu entfachen. Es wollte nicht recht. Sie fing an zu husten und musste sich setzen. Wilhelm nahm ihr den Schürhaken aus der Hand, schob die seitlichen Schieber weiter auf, damit die Luftzufuhr stärker wurde und ließ die Restglut etwas auflodern. Schon zeigten sich ein paar kleine leuchtende Flammen, die schnell das Holz zu entzünden begannen. Er schob die Herdringe wieder zurück und Catherine stellte den Wasserkessel darauf, den sie zuvor draußen an der Pumpe gefüllt hatte.

Sie ging rüber an die kleinen Verschläge, in denen die Kinder ihre Schlafnischen haben und weckte die drei ältesten Jungen. Der Große sollte aufstehen, weil er sich ans frühe Aufstehen gewöhnen sollte, die beiden anderen sollen sich fertigmachen, denn sie müssen ihren täglichen Marsch zur Schule nach Wittenborn machen. Und das sind schon ein paar Meilen quer über Felder und Wiesen und sie trödeln immer, schauen hier und schauen da, reden dummes Zeug miteinander, albern herum und verpassen die Zeit. Sie schickt sie immer so zeitig los, dass sie so viel trödeln können, wie sie wollen. Sosehr sie auch trödeln, sie kommen dann immer noch pünktlich zur Schule. Irgendwann werden sie es schon seinlassen mit dem trödeln, wenn sie merken, dass sie dafür länger schlafen können.

Catherine kochte Tee und weichte Hafer im heißen Wasser ein. Die Minze bewahrt sie in einer Blechdose auf, die erntet sie in Abständen am Haus, wo sie wie Unkraut wächst, schneidet sie etwas klein und lässt sie trocknen, dann hält sie sich durch den Winter. Bei dem Hafer muss sie schauen. Der ging jetzt schon zur Neige. Die Ernte war wieder miserabel. Sie müssen sich für die nächste Aussaat was überlegen. Aber Wilhelm will keine Kartoffeln setzen, die werden ihnen immer nur geklaut, das hat kein Zweck, den Hafer klaut keiner vom Feld.

Ja, sie hatten Kartoffeln, vor zwei Jahren, da hatte sie sich durchgesetzt bei Wilhelm, aber die Kinder hatten bis in den Herbst draußen geschlafen am Feldrand, um die Kartoffeln zu bewachen, trotzdem wurden viele geklaut. Nein, das wird wohl nichts mit Kartoffeln. Aber irgendwas anderes müssen sie jetzt anbauen. Sie kann keinen Hafer mehr sehen.

Wilhelm ging nochmal in den Stall. Er will nach dem Karli schauen, seinem alten Ochsen. Er ist der Einzige in der ganzen Umgegend, der einen Ochsen hält. Alle anderen schlachten ihre Jungbullen sobald ein bisschen Fleisch an ihnen dran ist oder sogar schon früher als kleines Kalb, wenn sie Hunger leiden und nicht genug Futter für alle Rindviecher haben.

Aber damit ist er auch der Einzige, der den anderen Bauern einen Ochsen zuführen kann um deren Kühe zu decken. Und so konnte er in den letzten Jahren mit Karli ein ganz ordentliches Geschäft machen, verdiente so einige Taler und brachte oft für seine Familie wertvolle andere Naturalien mit: Eier, Kartoffeln, Rüben aber auch von den Anderen hergestellte Speisen, wie Käse, Schinken oder Pökelfleisch.

Aber er hat ihn verpasst, den richtigen Termin, den Karli schlachten zu lassen. Jetzt ist er schon recht alt und er muss ihm richtiggehend helfen, damit er es noch schafft, die Kühe zu besteigen und meckern tun die anderen Bauern auch schon wegen dem Karli, lachen ihn sogar manchmal aus, wegen seinem alten Ochsen. Er hätte schon viel früher einen Jungen nachwachsen lassen müssen aber sie hatten nie genug Geld und Futter für zwei Ochsen.

Der Hermann hatte ihm schon vor Jahren angeboten, den Karli zu schlachten und das Fleisch zu pökeln und Wurst daraus zu machen. Aber er hatte es durchgerechnet, es würde nichts für ihn übrigbleiben. Sie bekämen ein wenig Wurst und Fleisch als Bezahlung, aber der Karli ist dann weg, er kann dann kein Geld mehr verdienen und sie müssen mindestens einen Winter Hungers leiden. Ja und einen neuen Ochsen kann er sich auch nicht anschaffen, wovon denn?

Nein so geht es nicht!

Aber jetzt, wo er so neben dem Karli steht, ihm mit der Forke etwas frisches Heu in seine Stallung hebt, ihm einen Eimer Wasser hinstellt und er zufrieden brummt, kommt das Gefühl wieder auf, dass er mit dem Karli richtiggehend einen alten Freund hat, der ihm vertraut, der stets auf seine Weisung reagiert, nie bockig ist und der ihn auch noch nie im Stich gelassen hat. Er hat bisher jede Kuh trächtig gemacht. Nie hat sich ein Bauerskollege bei ihm beschwert.

Trotzdem hatte er Angst. Angst, dass der Karli eines Tages einfach tot umfällt, oder sogar tot zusammensacken könnte, wenn er gerade eine Kuh am Decken ist. Nein, das wäre schrecklich, er wäre das Gespött der ganzen Gegend. Auf Jahre würden sie sich in der Wirtschaft noch über ihn lustig machen.

Er muss sich was einfallen lassen und je länger er wartet, desto schwieriger wird es.

Das weiß er, aber jetzt hörte er erstmal seine Frau rufen, die mit dem Frühstück fertig ist.

Und wo sie so am Tisch saßen klopft es an der Tür und die kleine Lieselotte von dem Thies aus Altengörs steht da. Sie ließen sie rein und sie pellte sich etwas aus. Er soll jetzt gleich kommen, die Kuh ist jetzt brünstig.

Das Kind sah schlecht aus, nicht nur durchgefroren und weiß im Gesicht von der Kälte, nein es ist irgendwie auch krank. Catherine reichte ihr einen Becher, halbgefüllt mit heißem Pfefferminztee. Das Kind bedankte sich artig und lächelte sie an.

Thies hätte seine Tochter gar nicht schicken brauchen, auf dem langen Weg durch die Kälte, Wilhelm wusste sowieso, dass heute der richtige Zeitpunkt ist. Er braucht eine Kuh nur anzuschauen, dann kann er abschätzen, wann sie brünstig ist. Genau wie bei seiner Frau, da weiß er das auch ganz genau. Zumindest glaubte er das.

Als er seinen letzten Löffel Haferbrei in sich hineinstopfte, ging er zurück in den Stall, zog die dicken Stiefel über und legte seine Winterjoppe über das Gatter von Karlis Stallung. Der sah ihn an und wusste damit, was der Wilhelm jetzt mit ihm vorhatte. Er muhte laut einmal auf.

Der Wilhelm ging weiter durch, öffnete die Seitentür der Scheune, nach draußen zum Abort. Sein Ältester saß da, drückte den verdauten Hafer der Vortage aus sich heraus. Wilhelm verzog das Gesicht, dass seinem Sohn zeigte, er solle sich beeilen. Dann sprang der Jung auf und Wilhelm konnte sich auf den vorgewärmten Sitz setzen.

Er versuchte sich zu entspannen, dass sich sein Körper entleeren konnte. Es ging auch ganz gut, denn er war guter Hoffnung für den Tag.

Zurück im Stall legte er dem Karli eine Longe an sein Zaumzeug. Das war mal ein Pferdezaumzeug, ohne Trense, dass er extra vergrößert und angepasst hatte, damit es dem Karli passt und er ihn damit viel besser führen konnte, als nur mit einem Strick um den Hals.

Er öffnete das Gatter und führte den Karli heraus, der genau wusste, wieso der jetzt aufgezäumt und geführt wurde und so brummte er vergnügt vor sich hin und folgte genauso wie der Wilhelm es von ihm verlangte.

Vor dem Haus stand schon die Lieselotte und bibberte vor Kälte. Sie blickte ihn erschrocken an, als er seinen großen Arm um ihre Hüfte schwang, sie hochhob und auf Karlis Rücken setzte. Sie quietschte kurz vor Überraschung und Freude, jetzt auf dem warmen Rücken des mächtigen Tieres zu sitzen, dem das augenscheinlich gar nichts ausmachte. Das Kind legte seinen Oberkörper lang nach vorn und hielt sich am Hals fest.

Und Wilhelm trottete los durch die spätherbstliche Landschaft, die langsam durch Tageslicht zum Leben erwachte.

2

Es dauerte doch eine ganze Zeit, bis sie den Thiesschen Hof erreichten. Die Wege waren uneben, angefroren, kaputtgemacht von schweren Wagen, die tiefe Rillen und Furchen in sie hineingearbeitet hatten und der Karli, wie auch der Wilhelm mussten zusehen, nicht auszurutschen. Sie gingen sehr vorsichtig und ließen sich dabei ein wenig von den Strahlen der Sonne erwärmen, die jetzt langsam über die Baumkronen hinweg aufstieg.

Das Segeberger Land ist eben, hat hier auf der abflachenden Seite des Geestrückens fast keine Erhebung. Es gibt viele, meist kleine Schollen, auf denen sich die Bauern bemühen Feldfrüchte, wie Getreide und Kartoffeln anzubauen, nur wenige können es sich erlauben Raps oder Mais zu pflanzen, die nur für den Verkauf oder als Viehfutter geeignet sind, denn nahezu alle Bauern müssen sehen, dass sie von ihrem eigenen Angebauten durch den Winter kommen. Es gibt immer noch einige Großgrundbesitzer und die Bauern auf deren Feldern sind Leibeigene, die oft nichts haben, als die dreckige Klamotte an ihrem Körper. Nur wenige von denen hatten bisher das Glück, dass sie irgendwann ein Stück von der Scholle eines Landvogts haben pachten oder übernehmen können. Oft waren dies die schlechtesten Felder, sandiger Grund, wenig Mutterboden, dafür Gestrüpp und Baumbewuchs. Wilhelm gehörte zu den glücklichen, deren Scholle seit ein paar Generationen in Familienbesitz war.

Schon eine Meile vor dem Ziel konnten sie das schnaufende Gemuh einer Kuh durch das offene Scheunentor von Thies über die Felder schallen hören, besser der Karli hat es hören können und sofort als das Gebrumm einer brünstigen Kuh erkannt, was wiederum ihn anspornte schneller zu laufen.

Der Thies empfing sie vor dem Tor. Sein skeptischer Blick auf den Karli und die Lieselotte auf dessen Rücken weichte einem freudigen Lächeln, als seine Tochter ihn vergnügt entgegenwinkte. Wilhelm half ihr herunter.

Die Männer begrüßten sich knapp, fast unhörbar und der Wilhelm, in seiner jahrelangen Erfahrung mit Bauersleuten, die eine Kuh durch seinen Ochsen decken lassen wollen, fragte ihn schon vor der Prozedur, ob er denn die acht Taler zusammenbekommen hätte. Dabei schaute er seinem Gegenüber streng ins Gesicht, um sich möglichst nicht eine Lüge auftischen zu lassen, denn das hatte er, besonders in seiner Anfangszeit, häufig erlebt. Nein, der Thies behauptete mit festem Blick das Geld zu haben. Aber gleichzeitig machte er auch deutlich, das Geld gibts erst, wenn der Bulle sie bestiegen hat.

Der Karli wurde unruhig, zerrte am Zaumzeug und Wilhelm musste ihn feste halten. Die Kuh hatte auch schon gerochen, was da jetzt wohl geschehen wird und brüllte ununterbrochen.

Die Bäuerin und ein Thiesscher Sohn hielten die Kuh, dann führte Wilhelm den Karli durch das Scheunentor. Der Karli zuckelte und brummte, als die Kuh sich umblickte und ihn von hinten auf ihn zukommen sah, da schnaufte und grunzte sie heiser wie ein Esel. Dann zog der Wilhelm den Karli regelrecht mit etwas Schwung auf das Hinterteil der Kuh zu.

Längst, schon vor dem Tor, hatte der Karli sein Gemächt ausgefahren und mit jedem Schritt auf das Hinterteil der Kuh schwellte es immer größer an und wackelte dabei wie ein junger Birkenstamm im Wind.

Mit einem Gestöhn hob der Karli seinen Körper und ließ seine Vorderläufe auf den Rücken der Kuh ab. Er zappelte mit den Läufen, weil er nur schlecht Halt auf ihrem Körper fand und seine Läufe immer wieder vom Rücken herunterrutschen wollten. Er ist eigentlich viel zu schwer, um sich auf dem Rücken der Kuh abstützen zu können und jetzt, wie in den letzten Jahren immer mehr, blickte er panisch aus seinen glasigen Augen, weil er wusste, dass er sein Gemächt ja auch noch im Geschlechtsteil der Kuh einführen musste. Früher, als er viel jünger war, hatte er kein Problem damit, jetzt brauchte er dafür den Wilhelm. Dieser griff nach Karlis Gemächt und führte es mit schnellem geschicktem Griff in die Kuh ein. Als sei er überglücklich den Sprung, das Festhalten und das Einführen geschafft zu haben, ließ er sofort seinen Samen in den Körper der Kuh hineinspritzen, dann gleich seine Vorderläufe herunter- und damit sein Gemächt aus ihr herausgleiten.

Er hatte es mal wieder geschafft und beide Rindviecher muhten zufrieden. Der Wilhelm war auch zufrieden, weiß er doch, dass der Karli diesen Sprung nur einmal geschafft hätte, aber das musste er dem Thies ja nicht erzählen.

Er führte den Karli wieder heraus aus der Scheune und tätschelte ihm dankbar am Hals. Thies und seine Frau folgten ihm. Der Thies griff vor der Tür in seine Hosentasche und nahm Geldstücke aus ihr heraus, die dabei klimpernde Geräusche machten. Aus der geschlossenen Faust gab er die Geldstücke dem Wilhelm in seine offene Hand. Als dieser nun seine Hand wegzog, sah er, dass der Thies nur sechs Taler hineingelegt hatte. Wilhelm hielt die Hand weiter offen, so als weigere er sich, diese sechs Taler zu nehmen, sie hatten schließlich acht vereinbart. Es geht nicht, er hätte nicht mehr, er weiß nicht, wie er seine Familie und die Tiere jetzt weiter durch den Winter bringen soll. Aber er könne ihm einen ganzen Beutel voll Eier geben, den seine Frau dem Wilhelm wie auf Kommando in seine andere Hand hineinlegte, so dass er sie nicht ablehnen und sicher auch nicht einfach fallen lassen konnte. Aber Wilhelm war stur, er regte sich auf, aber viel stärker, als er eigentlich erbost war, denn er wusste, dass es jedes Mal so läuft: Etwas Geld und etwas Naturalien. Aber er wollte mehr raushandeln. Der Sohn kam mit einem weiteren, in Leinen verpackten Päckchen, darin sollte ein Käse sein, aus bester Milch, noch von der Sommerweide, so gut im Geschmack, wie sie ihn noch nie hinbekommen hätten. Wilhelm nahm auch das Päckchen und beruhigte sich. Sagte es ist gut, verabschiedete sich knapp, nickte, als die Frau Grüße an seine schwangere Frau ausrichten ließ und zottelte mit dem ganzen Gedöns in der Einen und dem Karli an der anderen Hand von Dannen.

Als sie zurück waren, führte er den Karli durch das Scheunentor wieder in seinen Verschlag, nahm ihm das Zaumzeug ab, stellte ihm einen Eimer Wasser hinein und tätschelte ihn nochmal am Hals. Dann ging er mit den Eiern und dem Käse in das Wohnhaus, wo er seine Frau vor dem Herd knieend antraf, die gerade Holz zusammensuchte und in das Feuer nachschieben wollte.

Und wie er so auf sie herab sah, spürte er wie auch sein Gemächt in der Hose zum Leben erwachte. Jedes Mal, wenn er mit dem Karli unterwegs war, eine Kuh zu decken, kam auch bei ihm das Gefühl auf, selbiges mit seiner Frau machen zu wollen. Und diese hat sich oft genug darauf eingelassen, selbst mittags in der Küche, wo die Kinder zur Schule oder auf dem Feld sind und sie allein am Herd steht. Da nahmen sie beide das eine oder andere Mal die Gelegenheit wahr, was er glaubte auch sie immer schön fand, zumal wenn sie schwanger war, denn sie beide wussten, dass sie dann nicht noch einmal schwanger werden könnte.

Nun aber konnte er es nicht. Er sah, wie schwach sie war, wie sehr der schwere Bauch sie belastete und er griff nach ihren Armen, um ihr hoch zu helfen.

Sie lächelte ihn erschöpft an, wusste, was er jetzt eigentlich am liebsten mit ihr machen wollte und schob sich dabei mädchenhaft eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Er erwiderte ihr Lächeln kaum, umfasste stattdessen ihre Hüften, zog sie etwas an sich und gab ihr einen Kuss. Dann ließ er sie wieder los und berichtete ihr von dem Ausflug nach Altengörs und was er alles mitgebracht hatte.

Sie sammelte die Eier, die alle heilgeblieben waren in einer Schale und zählte sie, dann sah sie sich den Käse an. Ihr anschließender Blick verriet ihm, dass sie wissen wollte, wieviel Geld er darüber hinaus mitgebracht hätte. Ach ja, das Geld! Der Wilhelm kramte in seiner Hosentasche und geschickt wie er war, fasste er mit einer Faust das ganze Geld und legte es auf den Tisch.

Fünf Taler nur! Seine Frau war enttäuscht, ja wütend. Wenn sie die Thiessche wieder sehen würde, dann würde sie der aber was erzählen!

Der Wilhelm musste sie beruhigen, die armen Leute hätten auch nicht mehr als sie selbst und sie könnten ja die Eier und den Käse wieder zu Geld machen.

Die Eier sind sowieso zu viele, die werden nur schlecht und den Käse würden bei ihnen im Keller ohnehin nur die Mäuse fressen.

Wilhelm öffnete die schwere Bodenklappe in der Küche und stieg die steile Treppe in den Vorratskeller hinab. Er legte die Hälfte der Eier in eines der Regale und brachte einen Weißkohl wieder mit hinauf. Dann schloss er die Klappe wieder.

Sie schnitt ein Stück vom großen Käse ab und packte ihn und die übrigen Eier wieder sorgsam ein. Er soll damit nach Segeberg gehen, da ist heute Markt und versuchen Eier und Käse gegen was anderes zu tauschen, vielleicht Kartoffeln oder ein paar Scheffel Roggen, das wäre auch mal ganz schön.

Er murrte, denn seine Beine und Füße hatten sich gerade erst wieder ein wenig erwärmt, aber dann zog er sich die Stiefel wieder an, nahm die Sachen und ging zurück in den Stall, denn eigentlich war er ganz froh, nach Segeberg gehen zu können.

Schräg gegenüber dem Karli hatte sein Ackergaul seinen Verschlag. Er öffnete ihn, nahm Forke und dann Schaufel und Besen und mistete den Stall aus. Er brachte einige Eimer Mist hinter die Scheune und warf sie auf den großen Haufen, dabei blinzelte er fast erwartungsvoll in die kühle Oktobersonne.

Er striegelte und bürstete das Pferd, denn es sollte ordentlich aussehen, wenn er nach Segeberg geht. Die Leute sollen einen guten Eindruck von ihm und seinem Pferd haben.

Mit den am Pferd befestigten Sachen führte er es an der langen Longe aus der Scheune und machte sich auf den Weg. Genau wie der Karli lief auch das Pferd anfangs unsicher über die teils eisigen, teils matschigen, von Löchern und tiefen Furchen zerklüfteten Wege und Felder. Als sie nach einiger Zeit eine gepflasterte Straße erreichten, auf denen zahlreiche Fuhrwerke unterwegs waren, stieg er auf und ritt das letzte Stück in die Stadt hinein.

Je weiter er ins Zentrum der Stadt gelangte, desto wuseliger wurde es: Viele Menschen liefen umher, gingen kreuz und quer über die Straßen, Kutscher mühten sich mit ihren Fuhrwerken ab, weil die Pferde scheuten und oft nicht so wollten wie sie wollten, schwangen ihre Peitschen und brüllten. Kinder spielten auf den Straßen, ärgerten die Kutscher, indem sie mit kleinen Steinchen nach den Kutschpferden warfen und sich anschließend kaputtlachten, wenn sie den ganzen Verkehr zum Erliegen gebracht hatten. Ein Schutzpolizist pfiff auf seiner Trillerpfeife und machte wild gestikulierend Zeichen, die Leute sollten weitergehen und die Fuhrwerke weiterfahren. Wilhelm dachte bei sich, wenn das meine Bengels wären, würden die aber gehörig eines an die Rüsttüten bekommen! Auch der Gaul des Wilhelm scheute und kam mit dem ganzen Gewusel in der Stadt irgendwie so gar nicht klar. Er stieg ab und führte das Pferd den restlichen Weg zum Markt. Er band ihn an und nahm den Sack mit den Eiern und dem Käse unter den Arm. Dann machte er sich auf ins Gedränge.

Die Gänge zwischen den Reihen der Stände waren voller Menschen, von überall her ertönte Gerufe und das Anpreisen der Waren der Händler. Wilhelm ging zu dem Stand eines Gemüsehändlers, bei dem er schon des Öfteren Gemüse gegen Tauschwaren erworben hatte und zeigte ihm die Eier und den Käse. Dieser prüfte die Eier, verzog ein Gesicht, als befände er sie für nicht wert und Wilhelm musste ihm gut zureden, er hätte sie erst heute Morgen bei seinen dreißig gesunden Hühnern eingesammelt, seien also ganz frisch. Der andere murrte und sie fingen an über eine Tauschmenge an Kartoffeln zu verhandeln. Wilhelm gab sich unzufrieden. Sie redeten laufend hin und her. Der andere tat so, als hätte er kein Interesse mehr und ignorierte ihn und fing mit einem anderen Kunden an zu quatschen und zu verhandeln. Wilhelm wartete geduldig ab, bis der Kunde wieder weg ist, dann machte er erneut einen Vorschlag. Der Händler brummte immer noch unwirsch, dann einigten sie sich auf die Menge Kartoffeln und dazu einen kleinen Sack Zwiebeln und zwei große Knollen Sellerie. Wilhelm reichte die Eier rüber und musste auf seine Gesichtszüge Acht geben, sosehr freute er sich über das gute Geschäft, griff alles zusammen und trollte sich weiter durch die Menschenmenge. Auch den Käse konnte er bei einer Händlerin gegen ein gerupftes Huhn eintauschen, dazu musste er allerdings vier lübsche Schillinge seines Talers zusätzlich opfern und er hatte somit jetzt etwas weniger Geld übrig, für das, auf was er sich eigentlich freute hier in Segeberg machen zu können.

Er ging zurück zu seinem Gaul, befestigte seine Waren ordentlich an dessen Zaumzeug und band zusätzlich etwas Seil der langen Longe um den Körper des Pferdes und seiner Sachen, damit sie ihm nicht so leicht gestohlen oder zumindest nicht einfach vom Pferd weggerissen werden können.

Dann führte er den Gaul etwas weg von dem Gewusel des Marktes in eine etwas abseitig weggehende Straße und da sah er an einem Gebäude auch schon das im Wind etwas hin und her schaukelnde Schild des Wirtshauses. Er ging durch einen schmalen Gang neben dem Gebäude und gelangte hinter das Haus, wo er sein Pferd anbinden konnte und es mit seinen ganzen Sachen etwas vor neugierigen Blicken geschützt war. Dann ging er wieder nach vorn und betrat das Lokal. Beim Eintreten blieb ihm sofort die Luft weg, so sehr schlug ihm der Mief und Tabaksqualm ins Gesicht, dazu ein lautes Gerufe und Gejohle von Männern, von denen offenbar einige schon mehr als ein Bier getrunken hatten. Weiter hinten in fahlem Licht saß eine leicht bekleidete Frau Ziehharmonika spielend und laut singend, die offenbar versuchte sich gegen den Lärm zu stemmen und Aufmerksamkeit zu erregen.

Jemand rief seinen Namen. Erst beim zweiten Rufen bemerkte er es und sah den Jürgen, einen Schwager von ihm, ihm zuwinkend und Zeichen gebend, an seinen Tisch zu kommen, an dem er dichtgedrängt mit vielen anderen Männern saß. Er ging auf ihn zu und gab ihm die Hand. Der Jürgen rutschte etwas zu Seite und knuffte seine Sitznachbarn an, ebenfalls etwas enger zusammenzurücken, damit der Wilhelm sich neben ihn setzen konnte. Die Kellnerin lud soeben mehrere Krüge Bier an dem Tisch ab und verstand Wilhelms Daumenzeichen in all dem Krach ohne Worte, dass auch er ein Bier bestellen wolle.

Der Jürgen war ziemlich angetrunken und nicht so guter Laune. Er wollte es ihm eigentlich nicht sagen, weil er ja wusste, dass die Catherine hochschwanger war, aber seine Frau hätte gestern ihr sechstes Kind zur Welt gebracht und es war tot. Na, ja, es lebte zwar bei der Geburt, aber heute Morgen war es tot. Es war schon das zweite tote Kind! Und in seinem Alkoholrausch jammerte er von seiner armen Frau, die ihm so leidtäte. Wilhelm beruhigte ihn. Auch Catherine hatte schon zwei tote Kinder und die Margarethe wird ganz sicher noch ein paar lebende Kinder zur Welt bringen, da sei er ganz sicher.

Wilhelm versuchte ihn mit anderen Gesprächsthemen etwas abzulenken und auf andere Gedanken zu bringen. Irgendwann waren sie bei seinem Ochsen und dem Problem, dass der Karli es bald nicht mehr schaffen würde, Kühe zu decken.