Offene Rechnungen - Simone Dark - E-Book

Offene Rechnungen E-Book

Simone Dark

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Beschreibung

Aus den Augen, aus dem Sinn: Sie hatte mit ihm abgeschlossen. Er war Teil ihrer Vergangenheit. Er hat sie nicht vergessen. Sie war sein Leben, trotz des Verrats an seinem Bruder. Nun will er Rache.

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Simone Dark, Jahrgang 1982, ist in der Nähe von Freiburg aufgewachsen, studierte Italienisch und Französisch im Raum Mainz. Seit 2008 lebt sie in Südtirol. „Offene Rechnungen“ ist die Fortsetzung ihres ersten Romans „Das zweite Leben“.

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen ist rein zufällig.

OFFENE RECHNUNGEN

Prolog

I Abschied

II Erste Tage

III Bad Job

IV Die Lüge

V Die Hölle

VI Der Bestseller

VII Knockout

VIII Seltsame Methoden

IX Nora und Alan

X Polizeischutz

XI Das vorläufige Ende eines Albtraums

XII Chris

XIII Männerschreck

XIV November 2026

XV Gletscherschliff

XVI Jean

Epilog

Prolog

„Ich will aber nicht nach Deutschland ziehen!“ „Ich muss aber... Was soll ich denn deiner Meinung nach tun? Hier bleiben und Däumchen drehen? Das ist die Gelegenheit! So eine Stelle bekomme ich nie wieder!“ „Ja super, so eine Stelle wie hier bekomme ich auch nie wieder!“ „Und, was schlägst du vor? Willst du hierbleiben und ich gehe allein hin und wir sehen uns alle paar Wochen?!“ Er sieht verzweifelt aus. Ich bin stinksauer. Unsere Firma expandiert nach Deutschland. Und jetzt werden die deutschsprachigen Mitarbeiter mit einem Spitzengehalt geködert, um ins Ausland zu gehen. Was heißt Ausland, für mich ist es eher ein Rückschritt in die Heimat. Vor neunzehn Jahren bin ich mit einem Rucksack und einem Köfferchen hier angekommen, habe lange gesucht, und dann endlich nach vielen Jahren mein Glück gefunden. In der Arbeit und im Leben. Dieses Glück hat mir eine Stelle als Übersetzerin und zwei süße Kinder geschenkt: Nora und Alan. Nora ist inzwischen zehn und auf dem besten Wege, pubertär zu werden, Alan kam vier Jahre später auf die Welt und wird im September sechs. Tja, und mein wahres Glück steht vor mir, sieht mich mit traurigen, hilflosen Augen an und weiß nicht weiter. „Mama....“ „Was ist denn, mein Schatz?“ Alan steht im Türrahmen und blinzelt uns an. „Kann nicht schlafen...“ „Ach Gott... Es ist schon nach zehn... Komm, ab in die Heia! Papa und ich müssen was besprechen.“ „Streitet ihr?“ Er reibt sich die Augen. Chris steht auf. „Ach was, wir streiten doch nicht! Komm, ich bring dich ins Bett!“ Ich bleibe am Küchentisch sitzen, Chris’ trauriger Blick streift mich noch einmal, während er mit Alan an der Hand den Raum verlässt. Ich will nicht. Ich will nicht noch einmal umziehen. Die Kinder aus ihrer Umgebung reißen. Ich hasse es. Es bedeutet nur Stress und Streit und... Du meine Güte, bin ich inzwischen so alt geworden? So festgesessen? So unflexibel? Früher hieß ausziehen ein neues Abenteuer, jetzt ist mir der Gedanke zuwider. Was würde es für mich bedeuten? Dass ich von daheim aus arbeite, sonst nichts. Ich könnte mehr für die Kinder da sein. Das Gehalt bleibt dasselbe, mehr kann man sich von dem Laden eh nicht erwarten. Naja, besser als nichts. Ich sollte nachgeben. Eine Viertelstunde später ist er wieder da. „Schläft er?“, frage ich. „Ja, ich glaube er hat uns gehört... Komm, wir reden morgen weiter.“ „Nein, warte... Du hast schon recht, du solltest das Angebot annehmen... Sowas kriegt man nicht alle Tage angeboten.“ „Und du?“ „Ich komme mit. Arbeite von zuhause aus. Sie haben es ja vorgeschlagen...!“ Langsam kommt er auf mich zu, nimmt mich in den Arm. Ich küsse ihn. „Liebst du mich noch?”, fragt er und sieht mir in die Augen. „Heiß und innig!“, flüstere ich in sein Ohr und beiße ihn. „Und bist du noch glücklich?“ „Klar bin ich das! Wie am ersten Tag!“ Er drückt mich an sich, fest, beinahe bleibt mir die Luft weg. „Gehen wir schlafen? Es ist schon halb elf. Ich bin müde...“

Und doch finde ich keinen Schlaf. Ich drehe mich alle zehn Minuten auf die andere Seite und male mir die nächsten Monate aus. Wohnungssuche, Umzug, Behördengänge, heulende Kinder, die Angst vor der neuen Schule haben. Alan hat noch ein Jahr Zeit, Gott sei Dank, und für Nora stünde sowieso ein Schulwechsel bevor. Sie wird schon neue Freundinnen finden. „Warum schläfst du nicht?“, brummelt er und streichelt mir über die Wange. „Ach nix... Ich muss an alles Mögliche denken...“ „Hast du Angst? Es sind noch mehr als drei Monate bis dahin...“ „Ja schon, aber die sind auch bald um...” „Komm her...” Ich kuschle mich an ihn, lege meinen Kopf auf seine Brust und spiele an seinen offenen Haaren. Das hat mich schon immer beruhigt. Ein letzter Kuss, ein zärtliches ‘Ich liebe dich!’ und ich bin eingeschlafen.

I Abschied

Noch eine Woche, dann ist es soweit. Inzwischen freue ich mich fast schon auf den Umzug. Die Kinder können es auch kaum erwarten. Ständig fragen Sie, wann es los geht. Es ist abends um kurz vor sieben, endlich klingelt es. Die Babysitterin. Nur gut, dass sie sich freimachen konnte, sonst wäre unser letzter gemeinsamer Abend ins Wasser gefallen. „Hi, wie geht’s dir?“, begrüße ich sie, umarme sie kurz, Nora und Alan kommen angerannt. Ich gebe den beiden einen Kuss, sie versprechen, sich zu benehmen.

Gerade trete ich aus der Haustür, da kommt er mir auch schon auf dem Gehweg entgegen. „Hey... Was machst du denn hier?“ „Schatz ich muss in die Stadt. Ich hab total vergessen, es dir zu sagen. Ich wollte mich noch von Martina verabschieden. In dem Umzugsstress hab ich das total verschwitzt. Kannst du mich nicht fahren? Bitte bitte, den Zug krieg ich jetzt nicht mehr.“ „Und die Kinder?“ „Ich hab die Babysitterin angerufen, sie konnte einspringen, sie ist schon oben. Hier sind die Autoschlüssel.“ Gott, kann ich gut schwindeln. „Puhh, ich bin echt müde... Kannst du es nicht auf morgen verschieben?“ Herrgott, kann er nicht einfach mal Ja sagen?! „Nein bitte, sie kann nur heute. Ich brauch auch nicht lange!“ „Ok, gehen wir....“ Er schenkt mir ein müdes Lächeln.

In der Stadt angekommen, dirigiere ich ihn ins Industriegebiet und bitte ihn, vor einem kleinen, versteckten Restaurant zu halten. „Ihr trefft euch hier? In unserem Restaurant?“ „Ja ja, sie ist sicherlich schon drin“, lüge ich ihm ins Gesicht, „Komm, wir gehen rein!“ Der Kellner begrüßt uns freundlich und bittet uns in den Nebensaal. Wir sind allein. „Ähm... hier ist keine Martina.“ Ich sehe ihn mit einem Hundeblick geradezu unterwürfig an. „Schatz, ich lüge dich seit etwa einer halben Stunde die ganze Zeit an. Das ist unser Abend. Ich hab uns einen Tisch reserviert. Die Babysitterin bleibt, bis wir heimkommen. Bitte nicht böse sein... Entschuldige!“ „Alle Achtung, du warst echt überzeugend!“

Wir bestellen. Wir essen, reden, schwelgen in Erinnerungen an gestohlene Abende. Ich beichte meine Planung für den heutigen Abend, zumindest die halbe Planung. „Du bist wirklich süß, so viel Aufwand...“ „Naja, eigentlich will ich dich ja nur verführen.“, antworte ich mit einem Schmunzeln. „Mir kommt eher vor, du willst mich entführen.“ „Die kleine Reise in die Vergangenheit ist noch nicht zu Ende. Ich wollte einfach von ein paar Orten Abschied nehmen, die mir wichtig sind. So, jetzt müssen wir weiter.“ „Wo geht’s denn jetzt hin?“ „Kannst du dir das nicht denken?“ „In den Proberaum?“ „Jepp...“ Ich lächle. „Aber ich weiß nicht, ob sie heute abend vielleicht proben. Und den Schlüssel hab ich auch nicht dabei.“ Ich krame in meiner Handtasche und ziehe den Bund mit dem großen goldenen Schlüssel hervor. „Alles organisiert. Und übrigens, Oliver ist echt ein Netter!“ Er schlägt die Hände vors Gesicht. „Mein Gott Schatz, mich bestehlen und mein Handy durchforsten und anderen Männern schreiben. Ich liebe dich wirklich.“ „Es war für einen guten Zweck. Bist nicht böse, oder?“ „Ach was, ich freu mich! Ich weiß nur nicht in welchem Zustand der Proberaum inzwischen ist. Ich war seit Jahren nicht mehr drin.“ „Ich habe ihn gebeten mal reinzuschauen und eventuell ein bisschen aufzuräumen...“ „Mah, du spinnst echt...“

Ich bin nervös. Es ist fünf vor zehn, noch zehn Minuten, dann können wir hinfahren. „Wieso schaust du die ganze Zeit auf die Uhr?“ „Ach nix, ich mach mir nur Sorgen ob daheim alles ok ist.“ „Wer bist du heute, die Lügenkönigin?“ „Das sind keine Lügen, das sind höchstens Ausreden! Und außerdem mach ich mir echt Sorgen!“ „Dann ruf an!“

Die Babysitterin versichert mir, dass alles in bester Ordnung sei. Die Kinder haben gegessen, ein wenig gespielt und schlafen bereits. „Ok“, sage ich und lege auf, „Ich denke, wir können dann fahren.“

Wir parken und gehen in das Gebäude. Als ich von draußen lautes Klatschen und Jubeln höre, weiß ich, dass der Plan aufgegangen ist. Er sieht mich fragend an. „Da ist doch jemand drin!“ „Nein, keine Angst. Wir sind allein.“ Ich schließe auf. Oliver hat nicht zuviel versprochen, die Leinwand ist riesig. Zwei Kerzen brennen, das Sofa ist mit einem sauberen Tuch bedeckt. Die DVD mit dem Simple-Minds-Konzert läuft und wird auf die Leinwand projeziert. „Oh Gott, Schatz was ist das denn?!“, ruft er und drückt mich. „Wir wollten doch immer mal zu einem Konzert gehen und am Ende hat es nie geklappt! Und da hab ich mir gedacht, dass wir das Konzert doch auch zu uns holen könnten... Nur haben wir daheim diese ganzen Boxen und den technischen Krempel nicht, und deshalb hab ich gedacht, dass ich unsere Abschiedstour mit dem Konzert verbinden könnte und hab deinen Kollegen gefragt, ob er mir die Leinwand aufstellen und den Beamer zum Laufen bringen kann, und wenn er schon mal da ist hab ich ihn auch um eine saubere Decke und zwei Kerzen gebeten. Er hat mich zwar als Freak bezeichnet, aber ich glaube er hat es gern gemacht. So und jetzt setz dich hin, die singen schon und wir ratschen hier noch!“

Er ist gerührt. Wir liegen aneinandergekuschelt auf dem winzigen Bettsofa und genießen das Konzert. Ein perfekter Abend. „Wolltest du mich nicht verführen?“, raunt er mir ins Ohr. „Das könntest du doch jetzt tun...“, flüstere ich zurück. „Nein, ich will das gesamte Überraschungspaket...“ „Kannst du haben...“ Ich befreie mich aus seiner Umarmung, stehe langsam auf, steige aus den Schuhen und ziehe das Kleid aus. In schwarzer Unterwäsche stehe ich vor ihm. „Ich bin immer wieder überrascht, wie klein du eigentlich bist!“ „Hehehehe... Klein aber verdorben!“ Ich setze mich auf seinen Schoß, knöpfe das Hemd auf, seine Hände ruhen auf meinen Hüften. „Darf ich dir die Augen verbinden?“, frage ich etwas schüchtern „Mach was du willst, aber mach es!“ Ich nehme mein Halstuch, binde es ihm um die Augen. Er ist blind. Einen Augenblick lang beschleicht mich dieses seltsame Machtgefühl, es törnt mich an und gleichzeitig fühlt es sich abstoßend an. Ich bin kurz davor, ihm die Augenbinde wieder abzunehmen. Doch ich reiße mich zusammen. Ich küsse seine Lippen, etwas erschrocken erwidert er den Kuss. Ich fahre mit der Zunge über seine Brust, er streckt sich mir entgegen. Ich kratze ihn leicht mit den Fingernägeln, sein Schnurren ähnelt dem einer Katze. Ich rutsche von seinem Schoß, öffne die Knöpfe seiner Hose und streichele ihn mit sanftem Druck. „Nimm ihn in den Mund!“ „Das überlass mal schön mir!“, gebe ich zurück. Ich massiere ihn weiter, lasse ihn meinen Atem spüren, minutenlang, er quält sich, verliert sich in der lauten Musik und den Empfindungen. Seine Finger suchen krampfhaft Halt an der weichen Decke. Er bekommt meinen Kopf zu fassen und zwingt mich fast, ihn in den Mund zu nehmen. Als meine Lippen ihn umschließen und meine Zunge an der empfindlichsten Stelle entlang fährt, stöhnt er. Ich spiele mit ihm, gerade so, dass er nicht kommen kann. Nach einigen Minuten halte ich die Lust selbst nicht mehr aus. Ich ziehe ihm die Hose aus und setze mich auf seinen Schoß, nehme ihn in mir auf und lasse mich im Rhythmus der Musik führen. Wie voneinander berauscht nehmen wir Abschied von unserem ersten, heimlichen Liebesnest.

II Erste Tage

Ohne Alex hätten wir das nie geschafft, das ist sicher. Er hat nicht nur die Kinder eine Woche bei sich aufgenommen, sondern uns auch beim Umziehen geholfen, Kisten geschleppt, Schränke aufgestellt, die Küche montiert, Lampen aufgehängt, die neue Wohnung bewohnbar gemacht. Morgen werden die Schränke eingeräumt, und dann… dann…

Mein Gott wie peinlich. Ich bin einfach eingeschlafen. Ich wollte mich doch nur ein paar Minuten ausruhen. Nur fünf Minuten die schmerzenden Beine hochlegen und mal ganz kurz an nichts denken. Ich höre ihr Lachen aus der Küche, es riecht nach Essen. „Hey…“, sage ich verschlafen. „Entschuldigt bitte… Ich bin eingeschlafen. Tut mir leid.“ Ich decke den Tisch für uns drei, nach dem Essen wird Alex nach Hause fahren und morgen holen wir Nora und Alan ab. Endlich, ich halte diese Stille ohne sie kaum aus. Keiner macht Krach, kein Schreien, kein lautes Lachen. Keine Nora, die lauthals die neusten Hits trällert, kein tobender Alan. „Ich mache mich nachher gleich auf den Heimweg.“, kündigt Alex an. „Dann habt ihr eure Ruhe. Genießt die letzte Nacht zu zweit!“ Er zwinkert spitzbübisch wie immer und gibt mir einen Klaps auf die Schulter. „Ich glaube, heute Abend geht nicht mehr viel. Nur noch essen, duschen und schlafen.“, erwidert Chris. Wir essen. Ich bin fast zu müde zum Kauen. Ich wusste nicht, dass eine Gabel so schwer sein kann. Ich bemühe mich, wach zu bleiben. Keine Stunde später verabschiedet mein Bruder sich. Wir verabreden uns für den nächsten Tag, um die Kinder bei ihnen abzuholen.

Wir bleiben in der Einfahrt stehen und winken seinem Auto hinterher, als er um die Ecke biegt. „Gott, bin ich fertig.“ Ich lege meinen Kopf auf seine Schulter und umarme ihn. Er streichelt sanft meinen Rücken. „Wie wärs wenn du dich in die Badewanne legst und ich dich ein bisschen verwöhne?“ „Mmmh… Wie sieht denn das Verwöhnprogramm aus?“ „Saubermachen vor allem, du stehst nur noch, weil dich der Dreck zusammenhält!“, lacht er leise. Ich sehe an mir herunter. Du meine Güte. So schmutzig war ich schon lange nicht mehr. Meine Hose ist nicht mehr blau, sondern schwarz. Zerrissen ist sie auch. „Da schau, sogar hier hast du schwarze Striemen!“ Er wischt mir mit dem Handrücken über die Nase. „Ich gehe dann wohl besser ins Bad und schäme mich.“ „Geh schon mal, ich komme gleich nach und helf dir beim Schämen.“

Im undefinierbaren Chaos finde ich zwei Kerzen, ich nehme sie mit ins Bad, zünde sie an und lege mich in die Wanne. Endlich eine Badewanne, in die man zu zweit reinpasst, der schiere Luxus. Das warme Wasser steigt langsam an mir hoch, ich kippe eine Überdosis Badeschaum in die Wanne. Keine fünf Minuten später steht er in Unterhosen in der Tür. „Darf ich mich dazulegen?“ „Ich bitte darum.“ Er macht das Licht aus und setzt sich hinter mich. Ich lehne meinen Kopf an seine Brust, spüre seinen Herzschlag. Seine Beine umschlingen meinen Oberkörper. Seine Hände massieren meinen Kopf, waschen meine Haare, er ist so zärtlich und liebevoll, dass ich schaudere. Ich suche seine Lippen. „Ich will dich spüren…“, murmele ich. „Wie? Hier?“ „Ja, nur ein bischen, warte…“ Ich erhebe mich vorsichtig und setze mich auf ihn, schon ist er in mir. Ich lehne mich wieder zurück, wir verharren ineinander verkeilt, er bewegt sich kaum merklich in mir. Ich genieße seine Wärme, seine Nähe, endlich entspanne ich mich. „Was ist das für ein Gefühl für dich wenn ich in dir drin bin?“, flüstert er und bewegt sein Becken langsam vor und zurück. „Es fühlt sich gut an…“ „Beschreib es…“ Er nimmt meine Hüften zwischen die Hände, bewegt sie vorsichtig in langsamem Rhythmus, mein Rücken lehnt an seiner Brust, er beißt mir in den Nacken. „Ich fühle mich gefangen.“ „Das sollte ja wohl eher ich sagen…“ „Du füllst mich aus, ich spüre dich bis in meinen Bauch… Er ist heiß, hart, geschmeidig, und ich habe Lust zu kommen. Er quält mich ein bisschen, ich bin ungeduldig, ich will immer mehr davon, er macht mich süchtig…“. „Raus aus der Wanne, Schatz.“ Ich sehe ihn irritiert an. „Wieso, was ist los?“ „Den Hauptgang gibt’s im Bett.“ Wir stolpern knutschend über herumliegendes Werkzeug, halb ausgepackte Kisten, der Boden wird nass. Sanft stößt er mich auf die neue Matratze. „Dreh dich um und komm hoch.“ Wie ein Hündchen kauere ich vor ihm. Er dringt in mich ein, drückt meinen Körper herunter. Die intensivste Art ihn zu spüren. Unsere Hände suchen sich, verschränken sich, quetschen sich. Seine Stimme in meinem Ohr, ich höre sein lautes Flüstern, verstehe die Worte kaum. Ich spüre seine nassen, langen Haare in meinem Nacken, die Stöße werden heftiger, es grenzt an zärtliche Brutalität. „Dreh dich um. Ich will dich sehen… Bitte…“, keuche ich fast verzweifelt. Ich werde beim Sex oft melancholisch, vielleicht weil ich immer noch Angst habe, er könnte eines Tages einfach aufstehen und gehen. Ich habe gelernt, nichts als hundertprozentig sicher anzusehen, auch wenn er mir nie einen Grund dafür gegeben hat. Ich liege vor ihm, drei Kissen im Rücken und eines unter dem Hintern. Er kniet vor mir, ich nehme ihn nur schemenhaft war. Seine Hände fahren über meine Schenkel, ich zittere. „Willst du spielen?“, fragt er leise. Ich nicke. Er schenkt mir zwei Minuten lang den schönsten, ersten Moment. Am Ende bin ich so überreizt, dass ich fast um einen Gnadenschuss bitte. Ich kann nicht mehr… Bring es bitte zu Ende, flehe ich ihn innerlich an. Als könne er meine Gedanken lesen legt er sich auf mich, kommt und bleibt still auf mir liegen. Ich bekomme gerade noch mit, dass er aufsteht und ins Bad geht, dann bin ich auch schon eingeschlafen.

*

Wir biegen gerade in die Einfahrt ein, da kommen uns die beiden auch schon entgegengerannt. Meine Nichte ihnen hinterher. Sie ist so groß geworden. Ich nehme Nora in den Arm. „Na meine Kleine, alles klar?“ „Mama, nenn mich nicht immer Kleine! Das kannst du zu Alan sagen!“ Ach ja, meine kleine, süße Zicke. Ich hab sie ja so sehr vermisst. Aus dem Augenwinkel sehe ich wie Chris Alan über den Kopf streicht. Er ist ihm wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten. Dieselben braunen Augen, der schmale Körper, das gleiche Lachen. Und genauso viel Unfug im Kopf. Nora schlägt nach mir. Rotblonde Haare, ruhig, aber sie lässt sich nichts vorschreiben. Christina bittet uns rein, nur noch ein kurzer Kaffee, ein bisschen reden, dann machen wir uns auf den Heimweg.

Kaum angekommen, spurten die Kinder durch die Wohnung, bis Chris sie mit dem Befehl, bis zum Mittagessen ihre Kisten auszuräumen, auf ihre Zimmer schickt. Nur beschäftigte Kinder sind stille Kinder, und stille Kinder tun der müden Mami gut. Ich koche, wir essen zu Mittag. Nora sieht bedrückt aus. „Was hast du denn mein Schatz?“, fragt Chris sie. „Ich hab vorhin vom Fenster aus in die andere Wohnung gesehen, und da war ein Mann, der hat so komisch rüber geschaut…“ „Vielleicht war er nur neugierig… mach dir keine Gedanken. Der schaut bestimmt nicht mehr.“ Ich werfe ihm einen besorgten Blick zu. Kaum hier, schon Probleme mit der Nachbarschaft? Bitte nicht… Er antwortet mir mit einem Lächeln. Ich lege ihr den Arm um die Schultern und sage eindringlich: „Wenn er noch mal schaut, dann rufst du uns bitte. Du auch, Alan.“ Nora nickt. Alan spielt mit seinen Kartoffeln, statt sie zu essen. „Was will denn der Mann?“ Die unendlichen Fragen der Sechsjährigen. „Iss jetzt. Das werden wir schon klären.“ Er nickt und stopft sich eine halbe Kartoffel in den Mund. „Um wenn er nommal schaut dann rupfn wir die Polifei, oda?“ „Wie oft hab ich dir gesagt, dass du nicht mit vollem Mund reden sollst!? Man versteht gar nichts!”, fährt Chris ihn gespielt böse an und versucht, das Gröbste mit der Serviette aufzufangen. Ich muss lachen, er sieht einfach zu süß aus mit den Hamsterbacken. Nora verdreht die Augen. „Hab ich mich genauso angestellt?“, fragt sie genervt. „Klar, du warst genauso oder sogar noch schlimmer!“, antwortet Alan ihr. „So ihr beiden, jetzt ist Schluss. Esst fertig und dann könnt ihr spielen gehen.“ „Können wir nicht fernsehen?“ „Später vielleicht. Wenn wir ihn angeschlossen haben.“ Mein Gott, wenn ich an die ganzen Kisten und den Krempel denke, der um uns herum steht, wird mir schlecht… Naja, immer eins nach dem anderen.

Nach dem Mittagessen gehe ich mit Nora auf ihr Zimmer, um ihre Klamotten im Schrank zu verstauen. Wir stehen vor dem Schrank, sie reicht mir ein Teil nach dem anderen. Nur gut, dass sie nicht halb so viel Zeug hat wie ich. Ich bin gerade dabei, ein Sommerkleidchen auf einen Kleiderbügel zu hängen, als sie zu mir sagt: „Schau mal Mami, der Mann ist da unten.“ „Wo denn?“ „Da, er geht gerade aus der Haustür raus.“ Ich trete ans Fenster. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich ihn. Mir wird schwindlig, ich halte mich an ihrem Schreibtischstuhl fest. Nein, bitte nicht, ist das Letzte was ich denke, bevor mir schwarz vor Augen wird. „Mami, was hast du denn? Du bist ja ganz weiß!!“ Ich versuche mich zu setzen, doch meine Beine gehorchen mir nicht, sie knicken weg und plötzlich sitze ich am Boden. „Hol den Papa bitte, geh schnell!“ „Mama…“ Sie sieht mich erschrocken an. „Hol ihn, jetzt!“, schreie ich sie an. Sie rennt weg, schreit nach Chris. Er kommt mit ihr an der Hand ins Zimmer gestürzt. „Was hast du denn? Nora, lass uns mal kurz allein, ok?“ Sie nickt und verlässt das Zimmer. Er setzt sich zu mir auf den Boden. „Was hast du, ist dir schlecht?“ Mein Herz klopft bis zum Hals. „Wir müssen hier weg. Schnellstens.“

III Bad Job

„Jetzt mach mal halblang. Erklär mir bitte wer der Kerl ist und warum du hier halb in Ohnmacht gefallen bist.“ „Ist eine lange Geschichte…“ Er setzt sich neben mich. „Ich hab Zeit.“ Muss das sein? Natürlich muss es. Ich hatte gehofft, das Ganze einfach verdrängen und vergessen zu können. Jetzt holt mich meine Vergangenheit ein. Scheiße. Verfickte Scheiße.

„Kurz nach meinem Studium habe ich ein paar Monate als Dolmetscherin für die Polizei gearbeitet. Ich war ja immer im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Frankreich, und die Polizei hat damals auch Studienabgänger zeitweise eingestellt, weil sie Leute brauchten, die Französisch können. Eines Abends haben sie einen Kerl festgenommen, der mit einem Haufen Drogen im Auto an der Grenze erwischt wurde. Das heißt ihn und seinen Bruder. Sie haben mich angerufen, ich war natürlich tierisch aufgeregt, klar, so ein Dolmetscheinsatz ist immer der Wahnsinn. Und dann bei der Polizei, vor einem Verbrecher sitzen, da können einem schon mal die Nerven durchgehen. Ich kam jedenfalls dorthin, direkt an das Grenzerbüro, und die Polizisten saßen den beiden Brüdern in Handschellen gegenüber. Die