Ohle und der Brunnen der sieben Schlüssel: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 8) - Jork Steffen Negelen - E-Book

Ohle und der Brunnen der sieben Schlüssel: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 8) E-Book

Jork Steffen Negelen

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Beschreibung

Ein einsamer Mann läuft mit einem Handschuh durch den verschneiten Wald. Im Handschuh wohnt die Seele eines Elfen. Der Mann findet seine früheren Herren wieder und der Elf bekommt seinen Körper zurück. Doch das ist nur der Anfang. Dem schwarzen Prinzen Dämonicon gelingt die Rückkehr zur Insel Selan. Er führt ein gewaltiges Heer von Halbriesen und Schattenalp in den Krieg. Den Tempel der sieben Söhne des Schöpfers kann er sofort erobern und es sieht bald so aus, als könnte niemand die schwarze Seite der Magie stoppen. Mit dem Gift der schwarzen Fürstin Monga will Dämonicon jeden Feind in einen Wehralp verwandeln. Werden die Bestien der Nacht siegen, oder wird das Licht der Sonne sie vernichten? Der achte und damit letzte Teil der Koboldsaga erzählt mit dramatischer Spannung, was sich in der Welt der Kobolde und der Drachen ereignet hat. Viel Spaß beim Lesen wünscht Euch Jork Steffen Negelen!

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Seitenzahl: 360

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Jork Steffen Negelen

Die Abenteuer der Koboldbande

Achter Teil:

Ohle und der Brunnen der sieben Schlüssel

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2017

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Erste Auflage

Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Zwei ungleiche Freunde

Die Nacht rückte unaufhaltsam näher und die Kälte nahm zu. Der Wind spielte mit den Schneeflocken. Er ließ sie ihren Reigen tanzen, bevor sie zu Boden fielen und alles bedeckten, was sich nicht vor ihnen verstecken konnte. Bäume und Sträucher ächzten unter der Last des Schnees und ab und zu gab ein Ast krachend unter der weißen Pracht des Winters nach.

Ein einsamer Wanderer sammelte diese Äste ein, um sich ein Lagerfeuer zu machen. Er war müde und er fluchte leise über die Kälte. Doch er war dem Schnee auch dankbar, der ihm das Holz für sein Feuer spendete.

Als einige Augenblicke später die Flammen loderten und der Wanderer sich eine Suppe in einem kleinen Kessel kochte, kamen ihm die Gedanken an seine Flucht noch einmal in den Sinn. Fast siebenhundert Jahre hatte er in einem Käfig gelebt. Gefangen von einem Viel-Auge, musste er in einer finsteren Höhle in einem großen Käfig ausharren. Er durfte diesen Käfig nur ein einziges Mal verlassen und selbst dann waren seine Beine mit Ketten gefesselt. Ein eiserner Ring, mit seltsamen Kräften an seinem Hals, hatte zudem verhindert, dass er seine eigenen magischen Kräfte nutzen konnte. Sein Martyrium endete erst, als das Viel-Auge einen Elf fing, der zur Belustigung und als Essen dienen sollte.

Das Viel-Auge war nichts weiter als ein boshafter alter Waldschrat. Ihm wuchsen überall auf seinem haarigen Schädel kleine und große Augen. Alles, was um ihn herum geschah, konnte er sehen. Selbst wenn er schlief, waren mehrere Augen wach.

Am liebsten aß er das rohe Fleisch von Hirschen oder Wölfen. Selbst Bären und Elche verschmähte er nicht. Doch besonders gern verspeiste er junge Elfen. Wenn er einen Elf gefangen hatte, so brachte er ihn in seine Höhle. Dort stieß er ihn so lange in ein Wasserloch, bis der Elf im eisigen Wasser ertrunken war. Erst dann wollte der Schrat ihn fressen. Dieses Viel-Auge war wirklich ein besonders boshafter Waldschrat.

Doch beim letzten Elf war etwas schief gelaufen. Er tauchte im Wasserloch nicht mehr auf und der Schrat ging hungrig und wütend noch einmal auf die Jagd. Nur eine Stunde später kam er mit einem Schaf zurück. Das hielt er an den Hinterbeinen fest, als er es ertränkte. Danach fraß er die Hälfte des Tieres auf. Ein Stück vom Fleisch bekam der Gefangene im Käfig. Der Schrat sprach nicht mit ihm und er sagte auch nicht, warum er ihn im Käfig gefangen hielt.

Die Suppe war fertig und der Wanderer zog einen hölzernen Löffel aus seinem löchrigen Mantel. Vorsichtig probierte er, ob sie ihm schmeckte. Dann löffelte er langsam den Kessel leer. Dabei glitten seine Gedanken wieder zurück zu seiner Flucht. In der letzten Nacht tauchte plötzlich die Seele des Elfs aus dem Wasserloch auf und sie betrachtete den Gefangenen im Käfig. Sie zerbrach den eisernen Ring, der ihm eng um den Hals hing. Von der Magie des Ringes befreit, kehrten seine eigenen Zauberkräfte zu ihm zurück und der Gefangene konnte die Ketten von seinen Beinen streifen und das Schloss des Käfigs öffnen.

Die Seele, die wie ein weißes Abbild vor dem Gefangenen schwebte, flüsterte ihm etwas zu. »Verstecke mich, sonnst werde ich in das Seelenreich meiner Ahnen gezogen. Doch ich will noch nicht dort hin.«

Der Gefangene sah sich in der Höhle um. Neben einem Haufen alter Sachen lag ein gelber Handschuh. Er ließ die Elfenseele in ihn hinein schlüpfen. Dann steckte er den Handschuh in eine Tasche seines zerlumpten Mantels. Danach ging er zu dem Viel-Auge.

Der Schrat lag in einer Ecke der geräumigen Höhle und schnarchte. Er erwachte sofort, als er seinen Gefangenen sah. Langsam stand er auf und er versuchte, zu einer Keule zu gelangen.

»Na Sehto, hast du dich doch noch befreien können?«, sprach der Schrat. Es war das erste Mal, dass Sehto seine Stimme hörte.

Unerwartet schnell griff der Schrat zur Keule und er bedrohte seinen Gefangenen sofort. Doch Sehto war schneller. Er streckte das Viel-Auge mit einem Blitzschlag nieder. Dabei löste sich ein Auge vom Kopf des Schrates. Sehto sammelte es auf und steckte es sich in seine Manteltasche. Dann wollte er seinem Peiniger noch einmal seine Magie spüren lassen. Doch der Schrat rannte aus der Höhle und verschwand im Wald.

So sammelte Sehto auf, was er in der Höhle an brauchbaren Sachen finden konnte. Es lagen allerlei Dinge herum, die von den widerlichen Mahlzeiten des Viel-Auges übrig waren. Dann verließ auch er die Höhle.

Draußen im Freien war es unerwartet kalt. Sehto wusste nicht, dass es gerade Winter war. Doch er wollte auf keinen Fall zurück in die Höhle gehen, in der er so lange gefangen war. Also suchte er sich im Wald einen passenden Wanderstock. Dann ging er einfach los.

Nun war es Abend und er saß als freier Mann an seinem eigenen Lagerfeuer. Er aß seine Suppe, die wohl keinem anderen Wesen in dieser kalten Welt schmecken würde. Doch er fühlte sich plötzlich so gut. Nur den armen Elf bedauerte er. Langsam zog er den Handschuh aus seiner Manteltasche.

»Vorsichtig«, meckerte die Elfenseele im Handschuh los. »Wenn ich herausrutsche, so kann es passieren, dass ich in das Seelenreich meiner Ahnen hineinfahre.«

»Warum eigentlich nicht?«, fragte Sehto. »Dort hast du es bestimmt besser, als in dem Handschuh.«

»Wie bitte?!«, ereiferte sich die Seele. Dabei konnte sie das Auge zum Sehen benutzen, dass Sehto vom Schrat aufgelesen hatte. Es sah irgendwie komisch aus, aber der Handschuh konnte sogar laufen und mit dem Auge in der Handfläche blinzeln.

»Warum hast du mich überhaupt in einen gelben Handschuh gesteckt?«, wollte die Seele wissen.

»So schnell habe ich nichts anders finden können«, erklärte Sehto. »Wie heißt du überhaupt und wo kommst du her?«

»Ich?«, fragte die Seele, so als wäre sie über die Frage beinahe empört. »Ich bin Trajan und ich komme aus Bochea. Dort war in letzter Zeit ganz schön was los. Diebe und Mörder waren in der Stadt. Doch die Minitrolle und die Kobolde und die Nekromanten …«

»Was sagst du da!?«, rief Sehto aufgebracht. Sagtest du eben das Wort Nekromanten!?«

»Äh, ja. Warum auch nicht?«, fragte die Seele zurück und sie blinzelte dabei mit dem Auge.

»Ich bin der Diener der Nekromanten«, erklärte Sehto und seine Stimme klang leise und traurig. »Doch nach all der Zeit, die vergangen ist, werden mich die Nekromanten nicht mehr benötigen. Ich hätte mein Tal mit dem Baumhaus und den Kobolden niemals verlassen dürfen. Doch ich wollte unbedingt an der Schlacht teilnehmen.«

Der Handschuh hüpfte vor Aufregung auf dem Schoß von Sehto hin und her. »Meinst du etwa die Schlacht, bei der Dämonicon vor über siebenhundert Jahren von dem großen König Alfagil besiegt wurde?«, rief er so laut er konnte.

Sehto betrachtete den Handschuh und er konnte sein Erstaunen nicht verbergen. Dann nickte er, bevor er antwortete. »Ich saß bereits in diesem verfluchten Käfig, als die Schlacht stattfand, doch ich wäre gern bei dem Sieg von Alfagil dabei gewesen. Erst jetzt, nach so langer Zeit, erfahre ich von dem Triumph dieses großartigen Königs. An seiner Seite wollte ich unbedingt kämpfen. Deshalb habe ich mein Tal mit dem Baumhaus verlassen. Ich wollte mich gerade auf den Weg machen und meine Flugschale zum Fliegen vergrößern. Doch da kam dieser hässliche Schrat hinter einem dicken Baum hervor. Er hat mich überrumpelt und mit einem magischen Netz gefangen. Danach hat er mich in seinen Käfig gesperrt und so habe ich die Schlacht verpasst. Nur einmal kam ich aus dem Ding heraus. Die Gitterstäbe rosteten langsam durch und so bekam ich einen neuen Käfig. Doch wie konntest du mir helfen und den magischen Eisenring zerbrechen, der um meinen Hals hing?«

»Ich weiß es nicht genau«, antwortete Trajan. »Eine Stimme sagte mir, dass ich auftauchen sollte. Hilf dem Mann im Käfig, hat die Stimme mir gesagt. Und so habe ich den Ring zerbrochen. Doch mein Körper ist weg und ich sitze hier in einem Handschuh und sehe durch das Auge eines gemeinen Schrates.«

»Das ist bedauerlich«, meinte Sehto. »Doch jetzt sind wir hier, weil uns das Schicksal zusammengebracht hat. Morgen will ich versuchen, zu meinen früheren Herren zu kommen. Mit ein wenig Glück erinnere ich mich an den Zauberspruch, den ich für meine Flugschale brauche. Vielleicht finden wir eine Siedlung mit friedlichen Menschen oder Elfen, die uns weiter helfen können. Und du kannst mir berichten, was sich alles in den letzten siebenhundert Jahren in der Welt ereignet hat.«

Trajan erzählte Sehto von der Schlacht, so wie ihm sein Großvater von ihr erzählt hatte. Dann berichtete er von dem Kampf um die Stadt Viedana und von Vagho, der zusammen mit seiner Schwester dem Geist des Dämonicon einen Nekromantenkörper gegeben hatte. Sehto schlief am Feuer ein, als Trajan ihm von den Kämpfen im Nebelgrund berichtete. Trajan bemerkte es, und so beschloss er, den Schlaf des alten Dieners zu bewachen. Als Seele konnte er selbst ohnehin nicht gut schlafen.

Am nächsten Morgen wurde Sehto von einem Brüllen in seinem linken Ohr unsanft geweckt. Es war Trajan, der ihm ins Ohr schrie. »Wach auf, du alter Narr! Es sind Wölfe in der Nähe! Wach endlich auf!«

»Ja doch, es ist ja schon gut«, stöhnte Sehto. »Ich habe es vernommen und ich werde gleich aufstehen.«

Der alte Diener stand mühselig auf und reckte und streckte sich ausgiebig. Seine Glieder waren steif von der Kälte. In der Nacht war das Feuer fast ganz erloschen. Mit einer Handbewegung entfachte er es wieder.

»Brauchst du keinen Zauberstab, wenn du dich deiner Magie bedienst?«, fragte Trajan erstaunt.

Sehto sah lächelnd auf seine linke Schulter. Dort saß der Handschuh mit der Seele und er zwinkerte immer wieder mit dem Auge des Schrates.

»Manchmal habe ich einen Zauberstab benutzt«, antwortete der alte Diener. »Das war früher, als ich die Nekromanten traf und ihr Diener wurde. Doch ich habe meinen Zauberstab oft verloren oder verlegt. Da musste ich mich umstellen und so benutze ich seit dem meistens meine Hände. Ich bin erstaunt, dass ich nach siebenhundert Jahren noch nichts verlernt habe. Ein Feuer zu entfachen, ist gar nicht so einfach.«

Sehto sah sich um und er entdeckte das Wolfsrudel, vor dem ihn Trajan gewarnt hatte. Knurrend sahen die unbarmherzigen Jäger der Nacht den alten Mann mit seinem zerlumpten Mantel an. Das lodernde Feuer ließ sie zurückschrecken. Doch es würde nicht mehr lange dauern, bis ihr Hunger über ihre Angst siegte. Nichts konnte sie dann zurückhalten und sie würden sich auf alles stürzen, was sie fressen wollten.

»Was willst du jetzt tun?«, fragte Trajan zaghaft.

»Bleib ganz ruhig auf meiner Schulter«, flüsterte Sehto. »Das Feuer wird uns helfen. Es ist unser Verbündeter und die Wölfe wissen das.«

Langsam rückten die Wölfe vor und Sehto erkannte, was sie wirklich zum Angriff antrieb. Im Schatten der Bäume, die hinter dem Wolfsrudel standen, verbarg sich der wahre Gegner. Es war das Viel-Auge, dass mit seinen magischen Kräften die Wölfe gegen Sehto aufstachelte.

Der alte Diener streckte seine rechte Hand zum Feuer hin und ein großer Feuerball stieg langsam empor. Er wurde immer größer, und als er die ersten Baumwipfel erreichte, ließ Sehto ihn auf den Waldschrat los. Der Feuerball raste auf den Baum zu, hinter dem sich der Schrat verbarg. Mit einem lauten Knall schlug er im Baum ein und der Stamm des Baumes zerplatzte wie eine Seifenblase.

Mehr als hundert Schritte flog der Waldschrat durch die Luft, dann blieb er im Schnee benommen liegen. Die Wölfe rannten in den Wald hinein und Sehto ging zu dem Viel-Auge. Als er bei ihm ankam, versuchte der Schrat gerade, sich zu erheben. Nur mühsam kam er wieder auf die Beine.

»Dämonicon hatte recht gehabt«, sprach der Schrat mühsam zu Sehto. »Du bist wirklich ein starker Gegner.«

»Was hast du mit diesem schwarzen Prinzen zu tun?«, wollte der alte Diener wissen. Er sah den Schrat herausfordernd an und über seinen Händen schwebte ein kleiner Feuerball.

»Nicht viel«, meinte das Viel-Auge. »Ich bin mit ihm einen Monat vor der großen Schlacht einen Handel eingegangen. Ich sollte dich fangen und sicher verwahren. Der schwarze Zauberer wollte dich gleich nach der Schlacht holen. Er hatte dich im Verdacht, irgendwelche Schlüssel von ihm gestohlen zu haben. Doch ich habe keine Schlüssel bei dir gefunden und Dämonicon ist nie zu mir in die Höhle gekommen. Also habe ich gewartet.«

»Und warum hast du nicht ein einziges Mal mit mir gesprochen?«, fragte Sehto aufgebracht. »Du hättest doch mit mir darüber reden können!«

»Er hat es verboten«, antwortete der Schrat und er trat einen Schritt zurück, weil er sich vor dem Feuerball fürchtete. Der kam ihm unheimlich vor, denn er änderte immer wieder seine Farbe. Gerade jetzt leuchtete er in seiner Mitte hellblau auf.

»Ich durfte auf keinen Fall mit dir sprechen. Und wenn du mich etwas fragen würdest, so sollte ich dir nicht antworten. Dämonicon sagte mir, das könnte die Magie des eisernen Halsringes beeinflussen, den er mir für dich mitgegeben hatte.«

Sehto wurde jetzt erst richtig wütend. »Und diesen Unsinn hast du Narr ihm geglaubt!?«, brüllte er das Viel-Auge an. »Du bist ein Waldschrat! Ein Hüter von Bäumen, Sträuchern und Wiesen! Unser Schöpfer hat dich für diese Aufgabe auserwählt! Und du bist trotzdem einen Handel mit einem Träger der schwarzen Magie eingegangen! Das wird dir der Schöpfer nie vergeben!«

Verzweifelt fiel der Schrat auf seine Knie. Dann faltete er flehend seine Hände und er streckte sie Sehto entgegen. »Er hat mir das ewige Leben versprochen, wenn seine Heerscharen siegreich gewesen wären. Verstehst du mich? Das ewige Leben, das höchste Glück, das ich erlangen kann. Doch er hat die Schlacht verloren und er kam nie in meine Höhle.«

Sehto sah die Verzweiflung und die Tränen, die aus den vielen Augen des Waldschrates kullerten. »Warum hast du mich so lange in deinem Käfig gefangen gehalten?«, fragte er mit brüchiger Stimme.

»In den ersten hundert Jahren habe ich einfach nur abgewartet, ob er oder einer seiner Diener kommen würde,« antwortete der Schrat. »Doch dann wurde mir klar, dass er mich vergessen hatte. Und da war noch meine Angst. Ich konnte sie nicht überwinden und so habe ich mich immer weiter an den Handel gehalten. Als ich hörte, dass er wieder da sei, da war ich voller Hoffnung. Doch er hatte mich noch immer vergessen und ich glaubte nicht mehr an den Handel, den ich vor so vielen Jahren mit ihm abgeschlossen hatte.«

Kopfschüttelnd kam der alte Diener dem Schrat einen Schritt näher. Er sah ihn an und eine Frage wollte ihm gerade über die Lippen kommen. Doch da flüsterte ihm Trajan etwas ins Ohr. »Vorsichtig, er ist hinterlistig. Seine linke Hand ist hinter seinem Rücken.«

Mit einer Schnelligkeit, die ihm bei seiner Größe niemand zutrauen würde, sprang der Schrat auf. Er schwang ein großes magisches Netz hoch über seinen Kopf. Mit diesem Netz konnte er Sehto sofort wieder einfangen. Doch der Feuerball war schneller. Er durchschlug die Brust des Waldschrates. Dabei wurde er gegen den nächsten Baum geschleudert. Zunächst sah es so aus, als ob der Schrat mit seinem Netz vor dem Baum stehen bleiben würde. Doch dann fiel er wieder auf seine Knie. Kein Laut kam über seine Lippen, als er mit dem Gesicht in den Schnee fiel. Sehto nahm den Handschuh in beide Hände und ging zum Feuer zurück.

»Ich würde dir jetzt bestimmt einen dicken Kuss auf deine Stirn drücken, wenn du leibhaftig mit deinem Körper vor mir stehen würdest«, flüsterte der alte Diener Trajan zu.

»Igitt!«, rief die Seele im Handschuh empört. »Dieses Abschlecken konnte ich selbst zu meinen Lebzeiten nie ausstehen! Da bleibe ich lieber in dem Handschuh.«

Sehto lächelte, als er Trajans Worte hörte. Er drehte sich noch einmal um und sah zu dem toten Waldschrat. Die Wölfe waren bereits in seiner Nähe. Es würde nicht mehr lange dauern und sie holten sich, was ihnen das Viel-Auge noch zu bieten hatte.

Seine alte Flugschale hatte Sehto in der Höhle des Waldschrates nicht wiederfinden können. Doch es war für ihn nicht schwer, sich mit etwas anderem zu begnügen. Der Kessel, in dem am Abend zuvor die Suppe kochte, war leicht zu vergrößern. Doch er wurde dadurch auch sehr schwerfällig. Sehto stieg in den Kessel hinein, nachdem er ihn so vergrößert hatte, dass er bequem hineinpasste.

Es sah schon ein wenig merkwürdig aus, als sich dieses unförmige Fluggerät langsam in die Luft erhob und Sehto es über die Wipfel des Waldes steuerte. Den Handschuh hatte er wieder auf seiner linken Schulter sitzen. Trajan wollte sich unbedingt den Wald von oben ansehen.

Mehr als drei Stunden irrte der Kessel mit seiner seltsamen Fracht im langsamen Flug über den Wipfeln der Bäume umher. Glücklicherweise schneite es nicht und so war die Sicht recht gut.

Trajan entdeckte zuerst eine dünne Rauchfahne, die sich weit entfernt zum Himmel erhob. Hoffentlich war dort jemand, der dem alten Diener und der Elfenseele helfen konnte. Weder Sehto noch Trajan wussten, wo sie sich befanden.

»Bestimmt sind es Menschen oder Elfen, die sich an einem Feuer wärmen und uns freundlich gesinnt sein werden«, flüsterte Trajan Sehto ins Ohr. »Es können aber auch Riesen sein, oder Zwerge, die auf der Jagd sind.«

Als sie sich mit ihrem Kessel dem Feuer näherten, erkannten sie, dass sich eine kleine Gruppe Elfen und sieben kleine Kobolde um eine große eiserne Schale scharrten. Sie schienen den fliegenden Kessel erst zu bemerken, als er nur noch hundert Schritte entfernt war und dicht über den Boden schwebte.

Albanarius war der Erste, der die Fracht des Kessels erkannte. »Das kann doch nicht wahr sein«, flüsterte er vor sich hin. Dann rannte er auf den Kessel zu, als dieser wenige Schritte vor ihm zur Landung ansetzte.

Orbin stellte sich neben seine Schwester und zeigte mit seinem Zauberstab zu dem Kessel. »Wenn mich meine Augen nicht belügen, so ist gerade Sehto zu uns zurückgekehrt«, erklärte er der Königin.

Artur und der Bergboss sahen sich kurz an, als sie Orbins Worte hörten. Dann sahen sie zu, wie sich Albanarius und Sehto um den Hals fielen. Vor Freude rollten ihnen die Tränen in den Bart des Nekromanten. Es dauerte einen Augenblick, bis sich die beiden Freunde voneinander lösen konnten.

Dann wurden Sehto und sein kleiner Freund im Handschuh von allen Freunden begrüßt und begutachtet. Selbst den Kessel schauten sie sich aufmerksam an. Cylor klopfte sogar an die Wand des seltsamen Fluggerätes. »Das Ding ist eine solide Schmiedearbeit«, stellte der Nekromant anerkennend fest.

Albanarius redete vor lauter Freude ununterbrochen auf Sehto ein, sodass ihn Theodora mit einem strengen Blick ermahnen musste. »Lass den armen Mann doch erstmal richtig Luft holen!«, unterbrach sie den Redeschwall des Nekromanten. »Er wird uns bestimmt so einiges zu berichten haben.«

»Oh ja, natürlich«, antwortete Albanarius etwas leiser. »Es ist nur die Freude, die mich überwältigt hat.«

Sofort zauberte Albanarius seine große Tafel und einen Haufen Stühle herbei. Bei der eisigen Kälte dampften die Speisen und Getränke besonders stark.

»Dieses Zauberkunststück wirst du wohl nie verlernen«, meinte Sehto, als er sich lächelnd an die Tafel setzen wollte.

Artur war jedoch dagegen, denn er stellte sich auf Sehtos Stuhl. »Einen kleinen Augenblick Geduld noch«, rief er dem alten Diener zu. Dann schwenkte er seinen Zauberstab hin und her. Dabei sprach er einen Zauberspruch aus, den seine Brüder nur zu gut kannten. Im nächsten Augenblick war Sehtos zerlumpte Kleidung verschwunden und der alte Diener stand frisch gewaschen in neuen Wintersachen vor dem Kobold.

Zufrieden stieg Artur vom Stuhl herunter und Sehto betrachtete sich. Der leuchtend gelbe Mantel und der dicke Pelzkragen gaben ihm das Gefühl, endgültig bei seinen Freunden angekommen zu sein. Sogar die neuen Stiefel passten, ohne zu drücken.

Trajan sprang mit dem Handschuh auf den Tisch. Dann schimpfte er aufgeregt los. »Und was ist mit mir? Ich würde auch gern etwas essen. Doch ich kann nicht. Ich bin ja nur noch eine Seele. Kann mir niemand von euch helfen? Ich bin doch aus Bochea. Und ich habe Sehtos eisernen Bann gebrochen. Das muss doch für euch etwas wert sein.«

Noch ehe jemand dem armen Trajan antworten konnte, hörten alle ein leises Zischen. Es war nur für einen kurzen Moment zu hören und der Elfenkrieger Gordal wollte schnell den Handschuh vom Tisch nehmen. Doch er war nicht schnell genug. Es war der Hauptmann der Minitrolle, der mitten auf dem Tisch landete und den Handschuh zu packen bekam.

»Pass doch auf, du Grobian!«, brüllte Trajan los. »Beinah hättest du mein Auge in die heiße Soße getaucht!«

»Oh Schreck!«, rief der Hauptmann, als er bemerkte, was er da in seinen Händen hielt. »Ein sprechender Handschuh. Und ein Auge hat er auch noch. So etwas habe ich noch nie gefangen.«

Trajan schimpfte sofort wieder los und drei andere Minitrolle, die ebenfalls auf dem Tisch gelandet waren, fingen an zu kichern. Der Hauptmann setzte den Handschuh behutsam auf den Tisch ab und betrachtete ihn genauer.

»Das ist mein Freund Trajan«, erklärte Sehto. »Er hat mich befreit und er steht unter meinen Schutz.«

»Ach was. Und wer bist du?«, fragte Barbaron, der sich ebenfalls den Handschuh ansehen wollte.

Sehto stellte sich kurz vor und erklärte dann, dass er eine Möglichkeit suchte, das Schicksal von Trajan zu ändern. Barbaron wollte eigentlich Theodora berichten, dass sie die Lichtmagierin Flavia gefunden hatten und das sie bereits auf dem Weg zum Feuertempel der Erz-Elfen sei. Doch das überließ er Nummer Sieben und Nummer Neun. Er ließ sich lieber berichten, wie Trajans Seele in den Handschuh kam. Danach befragte er sofort seinen Kompass nach dem Verbleib von Trajans Körper. Irgendwo musste er ja sein.

Theodora hatte Nummer Sieben und Nummer Neun einfach rechts und links auf ihre Schultern verteilt. Dann sah sie Barbaron zu, wie er seinen Trollkompass beschwor. Als der kleine König aller Minitrolle plötzlich in der Luft schwebte und nach Osten zeigte, verstummte auch der letzte Minitroll.

»Zwölf Meilen in dieser Richtung fließt ein Bach!«, rief er aufgebracht. »Er entspringt einer unterirdischen Quelle. Und genau dort, wo er an die Oberfläche kommt, hat sich Trajans Körper am Ast eines großen Strauches verfangen!«

Es war, als hätte Barbaron zu einem Wettrennen aufgefordert. Plötzlich stand er mit Sehto und dem Handschuh allein in der alten Schmiede zwischen den steinernen Säulen der Erz-Elfen.

Eine der Säulen bewegte sich und der Kopf von Trond, dem Fürsten der Schmiede, wurde sichtbar. »Keine Angst«, erklärte Barbaron sofort. »Wir haben euch nicht vergessen. Die Hilfe ist unterwegs. Ihr werdet staunen, wie hübsch die Lichtmagierin ist.«

Eine zweite Säule bewegte sich. Es war Norger, der Bruder von Trond. »Uns ist egal, ob sie hübsch oder hässlich ist«, sprach Norger mit tiefer Stimme. »Sie kann auch dick sein und einen Buckel haben. Die Hauptsache ist doch, sie kann uns helfen.«

»Na ja, du hast ja recht«, meinte Barbaron, während er sich ein Stück vom Schweinebraten abschnitt. »Doch hübsch ist besser. Da hat man mehr zum Staunen. Und wie heißt es doch so schön? Das Auge isst mit.«

»Hoffentlich verschlucken sich deine Augen nicht«, antwortete Norger.

Es dauerte nicht lange und die ersten Minitrolle trafen wieder in der Schmiede ein. Sie berichteten aufgeregt, dass Trajans Körper von ihnen gefunden wurde und das ihn Theodora selbst herbringen wollte.

Als die Königin neben Albanarius großer Tafel landete, schob Sehto einige der Speisen zur Seite. Er half Theodora, den leblosen Körper von Trajan auf die Tafel zu legen. Aufgeregt zappelte der Handschuh mit der Seele auf der Schulter von Sehto hin und her.

Die anderen Freunde kamen nach und nach angeflogen. Cylor hatte Gordal auf seiner Flugschale mitgenommen und sie landeten erst, als alle anderen schon zurück waren. »Albanarius sollte dir ein Flugamulett anfertigen«, sprach Cylor zu dem Elfenkrieger. »Dann kannst du selbst mit einer Flugschale fliegen.«

»Ich würde einen Kriegsschild zum Fliegen bevorzugen«, meinte Gordal. »Eine Flugschale ist etwas für euch Nekromanten und für die Kobolde.«

Sie sahen beide zu Theodora und zu Albanarius. »Wie immer, so ist auch dieses Mal Eile nötig«, sprach die Königin zu dem Nekromanten. »Er muss so schnell wie möglich zum Tor von Dragon-Gorum gelangen. Nur das Gesicht des Tores vermag Trajans Seele mit seinem Körper zu verbinden. Und ich möchte unbedingt, dass es heute noch geschieht. Dieser Elf gehört zu den Kriegern des Fürsten Silberhand.«

Albanarius drehte sich um. Er sah zu Cylor und Gordal. »Ihr habt es gehört. Ihr werdet die Seele und den Körper von Trajan zum Tor von Dragon-Gorum bringen. Bittet das Gesicht im Tor um Hilfe. Ich bin mir sicher, dass es sich nicht weigern wird. Und damit alles gelingt, wird Gordal ein Flugamulett bekommen. Er wird unterwegs lernen müssen, wie er damit umgehen muss.«

In dicke Wolfspelze gehüllt, saß Gordal eine halbe Stunde später auf einem fliegenden Kriegsschild. Cylor hatte den Körper von Trajan auf seiner Flugschale liegen. Sie waren beide so gut in Pelze verpackt worden, dass der Nekromant beinah zu schwitzen begann. Den Handschuh mit der Seele hatte er auch bei sich. Als sie davon flogen, sahen ihnen die Freunde nach.

»Jetzt können wir uns endlich um die Erz-Elfen kümmern«, erklärte Barbaron Theodora, als er wieder auf ihrer linken Schulter saß. »Die haben lange genug gewartet und Flavia hat mir versprochen, dass sie so schnell wie möglich kommen wird.«

»Du kannst ja deinen Kompass befragen«, flüsterte ihm die Königin ins Ohr.

»Das ist eine glänzende Idee«, antwortete der kleine König begeistert. Er zog den Kompass aus seinem Zauberbeutel und sofort waren die Blicke aller Freunde auf ihn gerichtet.

Die Magie des Lichtes

Als sich einen Tag später eine kleine fliegende Gruppe der alten Schmiede näherte, hatten sich dort bereits zahlreiche Freunde eingefunden. Nicht nur die Minitrolle waren da, auch Urgos und der Drachenjunge hatten sich auf den Weg gemacht.

Theodora staunte, als sie Tabor erblickte, der geschickt und wendig nach Urgos Landung vom Drachenkönig kletterte. Sie hatte nicht erwartet, dass der Junge schon so groß war. Doch für eine ausführliche Begrüßung war keine Zeit, denn Flavia und Aella setzten fast gleichzeitig zur Landung an. Flavia flog auf einem goldenen Kriegsschild, das sofort verschwand, als es den Schnee berührte. Aella benutzte ebenfalls einen Schild. Sie ließ ihn über dem Schnee schweben und sprang einfach herunter. Dann verschwand auch ihr Schild.

Danach kamen die drei Nekromanten Bärhand, Wolfshand und Luchshand. Sie landeten gleichzeitig und sie lösten sofort bei den bereits ungeduldig wartenden vier Zirkelmagiern einen wahren Jubel aus. Alle sieben Magier waren endlich wieder vereint und sie hatten sogar ihren alten Diener in ihrer Mitte.

Snobby wurde von seinen Brüdern freudig begrüßt, nachdem er etwas unsanft im Schnee landete.

Telos war der letzte Gast, der von den Freunden erwartet wurde. Er ließ sich mit seiner Landung ein wenig Zeit. Erst nachdem er noch eine große Runde gedreht hatte, setzte er mit seinem Schild neben seiner Schwester auf.

Die Begrüßungen und Umarmungen fielen etwas kurz aus. Das ärgerte besonders den kleinen König aller Minitrolle. Doch selbst er konnte nicht verhindern, dass eine weitere Erschütterung der alten Schmiede jeden seiner Freunde zur Eile mahnte.

Jabo, der Sohn von Albanarius, war mit Tabor und Urgos eine Wette eingegangen. Er hatte behauptet, schneller bei der Schmiede anzukommen. Und diese Wette hatte er gewonnen. Die Zeit, die er dadurch gewann, hatte er genutzt, um sich die Bergwerksstollen unter der Schmiede anzusehen. Barbaron und sein Hauptmann hatten ihm dabei geholfen. Was sie zu berichten hatten, war überaus beunruhigend.

»Nach dem wir den Eingang zum Bergwerk gefunden hatten, mussten wir uns den Weg freiräumen«, erklärte Jabo. »Ohne Barbarons Kristall wäre das nicht so leicht gewesen. Das Bergwerk teilt sich in viele Gänge und kleinere Stollen auf. Bei einigen dieser Stollen wurden die Sicherungsstützen nicht aufgestellt. Aus irgendeinem Grund wurde die Arbeit nicht beendet. Bestimmt war der Streit zwischen dem König Widugar und dem Fürsten Trond der Anlass für das Ende der Stollensicherung. Das Wasser, das überall durch das Bergwerk fließt, hat einige Stützen umgerissen.«

»Es gibt auch eine gute Nachricht«, erklärte Barbaron weiter. »Im Bergwerk gibt es keinen versteinerten Erz-Elfen und die Stützen, die direkt unter der Schmiede sind, halten noch eine Weile. Sie bestehen aus soliden Eichenstämmen und sie sind noch nicht morsch. Doch wir müssen uns trotzdem beeilen. Irgendwann wird der Boden unter den Stützen wegen des Wassers nachgeben. Unsere Lichtmagierin sollte sich für die Erlösung der Erz-Elfen bereit machen.«

»Und wie soll ich das anstellen?«, fragte Flavia etwas zaghaft. Sie sah zu den Säulen, die sich bewegten. Bei einigen von ihnen waren die Gesichter der Erz-Elfen gut zu erkennen.

»Du hast ein Juwel bei dir«, sprach Trond mit leiser Stimme. Doch er war trotzdem so laut, dass jeder ihn deutlich hören konnte. »Halte es vor dich hin und bete für uns. Nur wenn der Schöpfer es will, werden wir erlöst. Du wirst seine Antwort erkennen, denn dein Kristall ist die Verbindung zwischen dir und ihm. Sei ohne Furcht und flehe ihn an.«

Flavia sah zu Trond und dann zu Theodora. Die Königin nickte ihr aufmunternd zu und die junge Elfenprinzessin begriff, dass sie als Lichtmagierin eine schwere Aufgabe erhalten hatte.

Die Kobolde verteilten ihre Wolfsfelle so im Schnee, dass jeder eines vor sich liegen hatte. Selbst die Minitrolle gingen nicht leer aus.

Urgos flüsterte Flavia das Gebet zu, dass sie aufsagen sollte. »Oh du mein Schöpfer. Ich bin deine getreue Dienerin. Du bist der Herr dieser Welt und ich rufe dich. Vergib den Schmieden der Erz-Elfen, die ihrem König die Gefolgschaft verweigerten. Löse den Bannfluch, auf dass sie dir wieder dienen können. Nimm von ihnen die Schmach und die Schande, sodass sie ihre Schmiede wieder errichten und ihr Tagwerk vollbringen können.«

Flavia kniete auf dem Wolfsfell nieder, das vor ihr lag. Sie sprach drei Mal das Gebet und selbst der kleinste Minitroll kniete nieder und betete mit ihr zum Schöpfer.

Ein Raunen durchdrang die Luft und ein Wirbel aus Schneeflocken und Licht erhob sich. Er hüllte die alte Schmiede so dicht ein, dass niemand mehr die Hand vor den Augen sehen konnte. Dann erstrahlte der gesamte Ort im hellen Schein von Flavias Lichtkristall. Obwohl die Lichtmagierin ihre Augen geschlossen hielt, blendete sie das Licht. Erst als es langsam erlosch, wagte sie, ihre Augen wieder zu öffnen.

Die alte Schmiede stand wieder in voller Größe an ihrem Platz, so als wäre sie niemals durch die Zeit, und durch Wind und Wetter zerstört worden. Mehr als ein Dutzend Schmiede standen in ihrer Werkstatt und ringsherum standen ihre Familien vor ihren Häusern. Der Ort hatte sich völlig verändert und die Freunde stauten. Sie erkannten die Macht des Schöpfers und sie wussten, dass sie richtig gehandelt hatten.

Trond und Norger gingen auf Flavia zu. Sie erhob sich von dem Wolfsfell, doch sie konnte nichts sagen.

»Du hast uns mit deinem Gebet erlöst«, sprach Trond sie an. »Wir stehen tief in deiner Schuld, so wie wir tief in der Schuld des Schöpfers stehen.«

Norger beugte sich zu der viel kleineren Flavia herunter. Lächelnd sprach er weiter. »Sag uns, was wir für dich und deine Freunde tun können. Was immer in unserer Macht steht, dass wollen wir vollbringen.«

Verunsichert schaute die Lichtmagierin in Norgers Gesicht und dann zu Trond.

»Ich weiß es nicht genau«, erwiderte sie zögernd. »Auf der Insel Selan haben die Obinarer und die Dragolianer das Joch des Dämonicon abgeschüttelt. Doch ich bin mir sicher, dass der schwarze Zauberer sich damit nicht abfinden wird. Bestimmt will er die Herrschaft über die Insel zurückgewinnen. Die Krieger der Insel könnten bessere Waffen und Rüstungen gut gebrauchen.«

»Das ist eine hervorragende Idee«, mischte sich Barbaron ein. Er schwebte plötzlich zwischen den beiden Schmieden und der Elfenprinzessin. »Die Kobolde und die Nekromanten vervielfachen mit ihren Zauberkräften eure Vorräte an Erz und Kohle und an all den anderen Dingen, die ihr sonnst noch braucht. Wir Minitrolle bringen Stück für Stück alles auf die Insel. Und wenn der blöde Dämonicon erscheint, sind seine ehemaligen Untertanen bis an die Zähne bewaffnet und kampfbereit.«

Mit erstaunen sahen die Freunde, wie Trond den Worten des kleinen Königs zustimmte. »So wie du es gesagt hast, so soll es getan werden, mein kleiner fliegender Freund.«

Der Fürst wollte sich sofort an die Arbeit machen, doch Urgos mischte sich jetzt ein. »Wir können noch mehr tun«, sprach er so leise er konnte. Trotzdem erklang seine Stimme wie ein entfernter Donnerhall. »Ich werde mein Volk zur Drachenwiege rufen und dann sehen wir uns diese Insel Selan an.«

Als Trond dem Drachen zustimmte, kletterte Tabor auf Urgos Rücken und der Drachenkönig erhob sich sofort in die Luft.

Barbaron saß wieder auf Theodoras linker Schulter. »Ist er nicht zum Knutschen, unser Freund Urgos?«, flüsterte er mit einem honigsüßen Lächeln der Feenkönigin ins Ohr.

Die Königin hatte plötzlich sichtlich Mühe, sich zu beherrschen. Am liebsten hätte sie laut losgelacht, doch das wollte sie nicht. Sie drehte sich um und sah zu den Erz-Elfen. Norger hatte einen Hammer und ein großes Stück Eisen in seinen Händen. Trond arbeitete mit zwei seiner Gesellen am Schmelzofen. Jeder Mann und jede Frau in der Schmiede hatte etwas zu tun.

»Du hörst jetzt auf mit deinen vorlauten Sprüchen«, zischte Theodora Barbaron zu. »Befrage lieber deinen Kompass. Ich will wissen, was Dämonicon vorhat. Der gibt sich bestimmt noch nicht geschlagen.«

Barbaron sprang auf eines der Wolfsfelle, die noch immer auf dem Schnee lagen. Dann zog er seinen Kompass aus seinem Zauberbeutel. Sofort umringte ihn sein Volk. Selbst der kleinste Minitroll wollte jetzt wissen, was sein König dem Kompass für ein Geheimnis entlocken würde.

Barbaron beschwor den Trollkompass und er befragte ihn nach Dämonicon. »Ach du meine Güte«, fluchte der kleine König aller Minitrolle los. »Was zum Kuckuck noch mal ist denn ein Seelenfinder? Der Kerl will wohl ein Heer aus Geistern aufstellen. Er lässt allerhand Dinge im Bluthort der Schattenalps zusammentragen.«

»Was sind das für Dinge?«, fragte Bärhand, als er sich neben dem kleinen König auf das Wolfsfell setzte. Ihn beschlich ein finsterer Verdacht. »Befrage den Kompass weiter. Wir müssen es wissen, denn es ist bestimmt sehr wichtig für uns.«

»Es sind sogenannte magische Ingredienzien«, erklärte Barbaron. »Feinste Pulver aus verschiedenen Steinen, Erzen und Holzkohle sind dabei. Dazu kommen Goldpulver, Wasser und ein schwarzer Altar.«

»Das kann man alles für die Herstellung von Nekromantenkörpern verwenden«, sprach Bärhand und seine Stimme wurde bei seinen Worten immer leiser.

»Wie groß sind die Mengen der Ingredienzien, die Dämonicon zusammentragen lässt?«, wollte Albanarius wissen.

Barbaron drehte sich zu ihm um und sah ihn erschrocken an. »Es sind viele Fässer und Säcke. Der schwarze Prinz bereitet alles für die Erschaffung eines Nekromantenheeres vor.«

»Nein, das werden keine Nekromanten«, erklärte Artur laut und alle Freunde sahen ihn an. »Ein einfacher Nekromant ist zu leicht zu besiegen. Dämonicon will etwas anderes erschaffen. Was er braucht, das sind wirklich starke Krieger, die für ihn siegen können. Vaghos Schattenalp werden ihm nicht stark genug sein. Er wird die Krieger eines Volkes ins Leben zurückrufen, das schon längst vergessen ist.«

»Welches Volk meist du?«, fragte Theodora. »Doch nicht etwa diese Bärenmenschen, die Urtaren? Das wäre eine Katastrophe.«

Artur sah, wie die Feenkönigin noch weißer wurde, als sie sonnst schon war. »Genau dieses alte Volk meine ich«, erklärte er.

»Zumindest hat er die Seele eines großen Kriegsherrn gerufen«, verkündete der kleine König. »Hat jemand schon mal was von einem Moragh gehört? Der soll einst ein großer König gewesen sein.«

»Oh ja, das haben wir«, sprach Albanarius. »Er war einst ein Verbündeter des letzten Königs der Erz-Elfen. Albaron war sein Name und er führte vor langer Zeit einen erbitterten Krieg gegen seinen Bruder Leanderich. Als es zur Entscheidungsschlacht kam, sollte Moragh Albaron helfen. Doch der König der Urtaren verriet ihn. Nachdem sich die Heere der Erz-Elfen gegenseitig fast völlig vernichtet hatten, ließ Moragh alles abschlachten, was er an Erz-Elfen finden konnte. Dann plünderte er die Schatzkammern von Silvergard. Doch dabei muss etwas schief gegangen sein. Außerdem hatte Moragh sich die schwarze Fürstin Monga zum Feind gemacht, als er sich mit Albaron gegen sie verbündete. Die Helusen aus Ategared waren auch dabei. So nannte man in alter Zeit die Halbriesen. Es war ein merkwürdiger Bund, dem auch Brando, der letzte König der Halbriesen beitrat. Sie sorgten dafür, dass Monga für lange Zeit verschwand. Doch sie kehrte ab und zu als schwarzer Geist zurück. Das muss Moragh im Augenblick seines größten Sieges zum Verhängnis geworden sein. Das Gold der Erz-Elfen von Silvergard soll ihn in den Wahnsinn getrieben haben.«

»Ich war ebenfalls ein Teil dieses Bundes«, fügte Aurelia hinzu. »Ich habe sie damals im Kampf besiegt. Sie dachte, dass sie mit der Hilfe des schwarzen Brunnens von Dragon-Gorum über uns siegen würde. Doch die Macht der weißen Magie war stärker. Den Körper, den sie jetzt besitzt, den hat sie bestimmt von ihrem Sohn Dämonicon bekommen.«

»Und damit wären wir auch schon bei der nächsten Frage«, erklärte Ohle. Das Licht seiner Laterne leuchtete bei seinen Worten auf und er streichelte sie, als wäre sie ein geliebter Freund. »Zu was braucht der schwarze Prinz einen Altar? Dafür gibt es doch nur zwei Erklärungen. Er will bestimmt, dass seine Mutter ihm das Gift herstellt, dass die Urtaren in Wehralps verwandeln kann. Und er wird diese Wehralps mit der Hilfe eines schwarzen Portals nach Selan schicken. Nur ein ebenso schwarzer Altar kann so ein Portal lange genug offen halten. Die Obinarer und die Dragolianer auf der Insel würden gegen einen übermächtigen Feind kämpfen müssen. Die Waffen der Erz-Elfen würden ihnen nicht lange helfen. Was sie brauchen, das ist ein wirksamer Schutz gegen Mongas Gift.«

»Wir sollten versuchen, den Bluthort so schnell wie möglich zu vernichten!«, rief Telos aufgebracht und seine Schwester stimmte ihm sofort zu.

»Das ist nicht so schnell möglich«, erklärte Barbaron. »Der Bluthort liegt gut geschützt unter einem starken Schutzbann. Dämonicon hat ihn vor wenigen Augenblicken errichtet. Der Kerl ist nicht dumm. Er hat den Schutzbann so beschworen, dass wir den Bluthort nur dann finden können, wenn wir direkt vor ihm stehen.«

»Von solchen Dingen versteht der schwarze Prinz etwas«, meinte Ohle. »Nicht umsonst konnte sich der Bann von Selan so lange halten. Wir konnten die Insel nicht finden und somit war die Quelle der schwarzen Magie immer geschützt. Deshalb konnte er warten, denn er hatte ja viel Zeit. Doch jetzt muss er handeln und ich kann wittern, dass er uns schon bald eine Kostprobe seiner Macht geben wird.«

Selbst die Erz-Elfen in der Schmiede hörten aufmerksam den Worten von Ohle zu. Als sie verklungen waren, schwangen sie ihre Hämmer und das glühende Eisen formte sich zu Schwertern und Rüstungen für die Krieger von Selan. Trond sah Norger an und sie wussten beide, dass sie keine Worte brauchten. Jetzt konnten sie ihren neuen Freunden helfen und ihre Seelen flogen nicht mehr durch die Lüfte. Niemals mehr mussten sie hilflos zusehen. Und wenn eines Tages die Zeit gekommen war, so würden auch sie mit dem Schwert in der Hand kämpfen. Da waren sie sich absolut sicher.

Die Rückkehr der Halbriesen

Monga war geradezu entzückt, als sie sah, dass der Bluthort sogar aus der Nähe nicht zu sehen war. Selbst der Schneefall verriet nicht, wo sich die alte Festung befand. Von den neuesten Plänen ihres Sohnes war sie dagegen weniger entzückt. Dass ausgerechnet die Urtaren wieder auferstehen sollten, das passte ihr nicht wirklich.

Im Bluthort war überall ein geschäftiges Treiben zu sehen. Vaghos Krieger schleppten Kisten, Säcke und Fässer in den großen Festungshof. Dort wurden die Steine aus dem Boden gestemmt, die vorher als Hofpflaster dienten. Dann gruben die Krieger drei Dutzend Gruben in den gefrorenen Boden. Sie legten diese Gruben mit Tüchern aus und schütteten, nach genauen Anweisungen von Dämonicons neuem Magier Laygon, die Ingredienzen hinein.

Überall zog ein übler Geruch durch die alte Festung. Monga und Vagho sahen sich das Spektakel von einem der oberen Wehrgänge an. Dort roch es nicht so stark nach den Zutaten.

Als die Gruben gefüllt waren, erklärte Dämonicon dem Magier den Gebrauch des Seelenfinders. Laygon erwies sich dabei als überaus gelehrig. Schnell verstand er, wie er mit dem Seelenfinder die richtigen Seelen herbeirufen konnte.

»Hol dir zuerst die Seele des Königs Moragh. Sein Sohn Arran wird ihm folgen und mit ihm alle Kriegerseelen«, sprach der schwarze Prinz zu dem Magier.

»Oh ja, so werde ich es machen«, antwortete Laygon. »Wenn wir erstmal den König der Urtaren haben, so haben wir das gesamte Volk. Sie werden ihm folgen, wie die Bienen dem Honig.«

Laygon rief mit der Hilfe des Seelenfinders die Seele von König Moragh herbei. Das war noch recht leicht, doch der Magier musste Moragh zum Bleiben überreden. Wie ein blasser Nebelschleier schwebte die Seele des Königs vor dem Magier und dem schwarzen Prinzen.

»Was wollt ihr von mir?«, fragte die Seele. »Ich will nicht von euch gestört werden. Also lasst mich gehen.«

»Das können wir nicht«, entgegnete Laygon. »Wir brauchen deine Hilfe. Und deshalb machen wir dir ein Angebot, das du nicht ausschlagen solltest.«

»Was für ein Angebot soll das sein?«, fragte die Seele.

Dämonicon trat einen Schritt auf Moraghs Seele zu. »Wir bieten dir und deinem Volk die Rückkehr in unsere Welt an«, sprach er mit leiser Stimme. Trotzdem erzitterten die Mauern des Bluthortes. »Du kannst an unserer Seite kämpfen und du wirst erneut als König der Urtaren den Kriegsschrecken in die Welt tragen, für den dein Volk einst gefürchtet war.«

Soweit es zu erkennen war, schüttelte Moragh den Kopf. »Nein, das ist längst vorbei«, gab er zur Antwort. »Mein Volk hat in dieser Welt nichts mehr verloren. Wir haben den Preis für unsere Taten bezahlt und unsere Seelen bleiben, wo immer sie sind.«

Die Seele verschwand und Dämonicon sah den Magier wütend an. »Das ist nicht das Ergebnis, das ich wollte«, knurrte der schwarze Prinz.

»Da gibt es noch eine zweite Möglichkeit«, erklärte Laygon schnell. »Die Halbriesen sind ebenfalls gute Kämpfer. Sie sind größer und stärker als die Urtaren. Und wir haben bei ihnen einen Vorteil.«

»Ach was?«, fragte Dämonicon sofort. »Einen Vorteil haben wir bei ihnen? Und welcher Vorteil soll das sein?«

Laygon räusperte sich etwas verlegen. »Nun ja«, begann er zu antworten. »Sie sind erheblich dümmer, als die Urtaren.«

»Das ist ja nicht zu fassen!«, ereiferte sich Dämonicon. »Was soll ich den mit Kriegern anfangen, die beinah so blöd wie die roten Kriegstrolle sind!?«

Die Mauern des Bluthortes erzitterten erneut und Laygon ging vorsichtshalber einen Schritt zurück. »Ich weiß, dass die Halbriesen nicht sehr schlau sind. Doch vielleicht kann man sie deshalb besser lenken und leiten. Außerdem werden aus ihnen sowieso Wehralps entstehen, sobald sie auf der Insel sind. Dann kann uns ihre Dummheit doch egal sein. Für das Gift, das nur die Fürstin Monga brauen kann, habe ich alle Zutaten bereits zusammentragen lassen. Sieben Wagenladungen sind es insgesamt.«

Dämonicon sah den Magier in die Augen. »Hm, na ja, da ist was dran«, meinte er nachdenklich. »Doch für diese Halbriesen brauchen wir größere Gruben.«

Laygon kümmerte sich um die Gruben und die Zutaten und Monga sah zusammen mit Vagho vom Wehrgang dem munteren Treiben zu. Dämonicon ließ sich einen großen Stuhl bringen, der sein Gewicht aushalten konnte. Von einer Ecke des Festungshofes sah er ebenfalls den Kriegern zu.

Als alle Arbeiten erledigt waren, kam Laygon mit dem Seelenfinder auf den schwarzen Prinzen zu. »Jetzt werden wir gleich wissen, was unsere Mühen wert sind«, sprach er zu Dämonicon. »Ich bin mir sicher, dass Brando, der König der Halbriesen, leichter zu überzeugen ist.«