Ökosystemleistungen – ein Instrument des Umwelt- und Ressourcenmanagements in Deutschland? - Stefan Schüler - E-Book

Ökosystemleistungen – ein Instrument des Umwelt- und Ressourcenmanagements in Deutschland? E-Book

Stefan Schüler

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Beschreibung

Schadstofffilterung, Erosionsschutz, Erholung, Nahrungsmittel- und Holzproduktion – Natur und Landschaft stiften auf vielfältigen Wegen Nutzen für das menschliche Leben. Diese Nutzwerte werden unter dem Rahmenkonzept der ecosystem services bzw. Ökosystemleistungen vereint. Anhand geeigneter Erfassungs- und Bewertungsstudien gilt es, den Wert der natürlichen Umwelt zu bemessen, um diesen in praktischen Landnutzungsentscheidungen berücksichtigen zu können. Auch die deutsche Umweltforschung widmet sich zunehmend der Aufgabe, die vielfältigen ökosystemaren Leistungen in politische und betriebliche Handlungsstrategien einzubinden. Das vorliegende Buch behandelt die erforderlichen Voraussetzungen, um das Konzept der Ökosystemleistungen von einer wissenschaftlichen Leitidee zu einer Entscheidungshilfe in praktischen Ressourcennutzungskontexten zu übertragen. Anhand eines sozialwissenschaftlichen Forschungsansatzes evaluiert Stefan Schüler die Möglichkeiten und Grenzen der Anwendung des Ökosystemleistungskonzeptes in Wissenschaft und Praxis. Erstmalig werden in diesem Zusammenhang auch die Perspektiven lokaler Entscheidungsträger berücksichtigt, ihre Erfahrungen und Sichtweisen werden den internationalen umweltpolitischen Bestrebungen gegenübergestellt. Stefan Schülers Buch richtet sich insbesondere an Fachpersonen und Interessierte aus dem Umwelt- und Naturschutz, der Land- und Forstwirtschaft, der Raumordnung und Landesplanung, der Politik und Ökonomie sowie an Forschende und Studierende aus dem Umweltbereich.

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Seitenzahl: 462

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ibidem-Verlag, Stuttgart

Inhaltsverzeichnis

Danksagung
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Literaturverzeichnis
Kapitel 1 Funktionen oder Nutzwerte?
1. Einleitung
1.1. Überblick zum Konzept der Ökosystemleistungen
1.2. Fragestellungen der Studie
1.2.1 Erkenntnistheoretische Operationsbasis
1.2.2. Nominaldefinitorisch gebundene ÖSL-Kommunikation
1.2.3. Definitorische Operationalisierung
2. Theoretische Grundlagen der ÖSL-Terminologie
2.1. Sozialwissenschaftlicher Hintergrund
2.2. Internationale Relevanz und Verwendung der ÖSL-Begrifflichkeiten
2.3. Terminologische Differenzen und Herausforderungen
2.3.1. Ökosystemleistungen und Nutzenstiftungen
2.3.2. Typologische Gliederung von ÖSL
2.3.3. Stellenwert kultureller Leistungen
2.3.4. Räumliche Skalenebene des ÖSL-Konzeptes
3. Material und Methoden
3.1. Metanalyse der Forschungsliteratur
3.2. Qualitative Experteninterviews
3.3. Quantitative Fragebogenstudie
3.4 Begriffsexplikation
4. Ergebnisse der empirischen Untersuchung
4.1.Terminologische Verwendung des ÖSL-Konzeptes im deutschsprachigen Raum
4.1.1. Wissenschaftliche Experten
4.1.2. Lokale Akteure
4.2. Expertenansichten zur terminologischen Konkretisierung des ÖSL-Konzeptes
4.3. Begriffsexplikation von ÖSL
4.3.1. Terminologische Dimensionen im deutschsprachigen Raum
4.3.2. Begriffliche Funktionen der ÖSL-Terminologie
Kommunikationsfunktion
Ordnungsfunktion
Bewertungsfunktion
Appellfunktion
4.3.3. Empirische Bezüge und Indikatoren
5. Diskussion
5.1. Erkenntnistheoretische Operationsbasis
5.2. Nominaldefinitorisch gebundene ÖSL-Kommunikation
5.3. Definitorische Operationalisierung
6. Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis
Kapitel 2 Zur Vereinbarkeit von Naturschutzzielen und menschlichem Wohlbefinden
1. Einleitung
1.1. Überblick zum Themenfeld
1.1.1. Das Konzept der Biodiversität
1.1.2. Das Konzept der Ökosystemleistungen (ÖSL)
1.1.3. Konzeptioneller Zusammenhang von Biodiversität und ÖSL
1.2. Fragestellungen der Studie
1.2.1. Naturschutzfachlicher Stellenwert der anthropozentrischen Ethik
1.2.2. Ökozentrische Ethik des Biodiversitätskonzeptes
1.2.3. Utilitaristische Moraltheorie des ÖSL-Konzeptes
2. Theoretische Grundlagen der Biodiversitäts-ÖSL-Beziehungen
2.1. Ökologische Hypothesen
2.2. Umweltethische Grundlagen
2.2.1. Anthropozentrischer Ansatz
2.2.2. Ökozentrischer Ansatz
3. Material und Methoden
3.1. Metanalyse der Forschungsliteratur
3.2. Qualitative Experteninterviews
3.3. Quantitative Fragebogenstudie
4. Ergebnisse
4.1. Standpunkte zur anthropozentrischen Ethik des ÖSL-Konzeptes
4.1.1. Aussagen wissenschaftlicher Experten
4.1.2. Aussagen lokaler Akteure
A.1. Konzept der ÖSL
A.2. Konzept der Biodiversität
4.2. Utilitaristische Merkmale des ÖSL-Konzeptes
4.2.1. Validierung des utilitaristischen Argumentes
4.2.2. Umweltwissenschaftliche Kriterien
4.2.3. Kriterien der praktischen Entscheidungsfindung
5. Diskussion
5.1. Naturschutzfachlicher Stellenwert der anthropozentrischen Ethik
5.2. Ökozentrische Ethik des Biodiversitätskonzeptes
5.3. Utilitaristische Moraltheorie des ÖSL-Konzeptes
6. Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis
Kapitel 3 Ökosystemleistungen im Umwelt- und Ressourcenmanagement
1. Einleitung
1.1. Überblick zum Themenfeld
1.2. Fragestellungen der Studie
1.2.1. Priorisierung ökonomischer Bewertungsverfahren
1.2.2. Erfordernis partizipativer Verfahren zur praktischen Umsetzung des ÖSL-Ansatzes
1.2.3. Divergenz theoretischer und praktischer ÖSL-Strategien
2. Theoretischer Hintergrund
2.1. Landschaftsplanung
2.2. Waldfunktionenlehre
3. Material und Methoden
3.1. Metanalyse der Forschungsliteratur
3.2. Qualitative Experteninterviews
3.3. Quantitative Fragebogenstudie
4. Ergebnisse
4.1. Evaluation des ÖSL-Ansatzes unter wissenschaftlichen Experten
4.1.1 Potentiale des ÖSL-Konzeptes
A. Kommunikation
B. Praktische Anwendung
C. Ökonomische Bewertung
D. Bewusstseinsbildung
E. Forschungsanträge
4.1.2. Herausforderungen des ÖSL-Konzeptes
A. Wissenschaftliche Erfordernisse
B. Ökonomische Bewertung
C. Praktische Umsetzung
D. Öffentlichkeitswirksamer Dialog
E. Konzeptioneller Schwerpunkt
4.1.3. Einfluss auf etablierte Planungsinstrumente in Deutschland
A. Landschaftsplanung
B. Waldfunktionenlehre
4.2. Befragung lokaler Akteure
4.2.1. Prinzipielle Standpunkte und Erwartungen
4.2.2. Potentiale des ÖSL-Konzeptes
4.2.3 Herausforderungen des ÖSL-Konzeptes
4.2.4 Anwendungsfelder und reale Umsetzung
5. Diskussion
5.1. Priorisierung ökonomischer Bewertungsverfahren
5.2. Erfordernis partizipativer Verfahren zur praktischen Umsetzung des ÖSL-Ansatzes
5.3. Divergenz theoretischer und praktischer ÖSL-Strategien
6. Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis
Zusammenfassung
Anhang

Danksagung

Mein besonderer Dank gilt meinen Referenten Prof. Dr. Rainer Marggraf und Prof. Dr. Dirk Hölscher für die Bereitstellungund BetreuungdesPromotionsprojektessowie die zahlreichen konstruktiven Gespräche und Möglichkeiten zur Teilnahme an Tagungen und Workshops. Außerdem bedanke ich mich sehr herzlich bei Prof. Dr. Renate Bürger-Arndt für die Übernahme des Drittgutachtens.

Desweiteren bedanke ich mich bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)für die finanzielle Förderung des Promotionsprojektes.

Ein sehr herzlicher Dank gilt Dr. Manuela Armenat für die tolle Unterstützung und die vielen Tipps und Tricks am Anfang meiner Promotionszeitsowie dieamüsantenBürogespräche,die zur Belebung derÖkosystemleistungsthematikbeigetragen haben.

Weiterhinbedankeich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen der Abteilung Umwelt- und Ressourcenökonomik für die vielen fachlichen Gespräche,dieinformellen Kaffee- und Mensarundenund abendlichen Stadtrundgänge. Hervorheben möchte ich hier besonders Dr. Christine Niens, Friederike Hoffmeister,Lisa Bienwald,Dr. Anja-KarolinaRovers,Christine Schwenkner,Dr. Katharina Raupach,Dr. Manuel Thielsowie Georg Barth und Yves Zinngrebe.

Darüber hinaus bedanke ich mich bei allen Expertinnen und Experten, welche mir freundlicherweise als Interviewpartner zur Verfügung standen, sowie allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern meiner Fragebogenstudie und Pre-Testern. Auch gilt Katharina Reuter mein Dank für die engagierte Mitwirkung bei der Durchführung und Auswertung der Befragungen.

Nicht zuletzt bedanke ich mich bei meiner Familie, insbesondere meinen Eltern, für das Vertrauen und die vielseitige und uneingeschränkte Unterstützung während meiner Promotionszeit.

Abkürzungsverzeichnis

A1Akteur 1;direktes Textzitat mit fortlaufender Nummierung

ANOVAEinfaktorielle Varianzanalyse

BauGBBaugesetzbuch

BfNBundesamt für Naturschutz

BWaldGBundeswaldgesetz

BNatGBundesnaturschutzgesetz

CBDConvention on Biological Diversity (Übereinkommen über die Biologische Vielfalt)

E1Experte 1; direktes Textzitat mit fortlaufender Nummierung

ESPEcosystem Service Providers

IPBESIntergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services

MEAMillennium Ecosystem Assessment

MSC

Einleitung

Vor dem Hintergrund des Klimawandels und eines fortschreitenden Verlustes an biologischer Vielfalt rückt die Bedeutung der natürlichen Umwelt für das menschliche Wohlbefinden zunehmend in den Fokus wissenschaftlicher Forschungsprojekte. Der menschliche Einfluss auf das Klima gilt als erwiesen(Harris et al.2006;Mooney et al.2009;Montoya & Raffaelli2010)undäußert sich ingestiegenen atmosphärischen Treibhausgasemissionen, positivem Strahlungsantrieb und einer klimatischen Erwärmung(Intergovernmental Panel on Climate Change2014). DieseEntwicklungeninduzieren einegeänderteNiederschlagsverteilungsowie dieZunahme von Dürren und münden potentiell in einem ökosystemaren Wandel(ebenda). Natürliche Ökosysteme gelten als komplexe, adaptive Systeme, in welchen die Strukturen und Prozesse einer bestimmten Ebene die Struktur- und Prozesseigenschaften der nächst höheren Ebene bedingen(Levin1998). Durch die menschliche Einflussnahme auf Ökosysteme, z.B. in Form von Landnutzungsänderungen oder durch die Verbrennung fossiler Energieträger, kann es zu veränderten biogeochemischen Kreisläufen und Veränderungen des Arten- und Genpools kommen(Vitousek 1997; Millennium Ecosystem Assessment 2005; Intergovernmental Panel on Climate Change2014).

Dieökologischen und gesellschaftlichenAuswirkungen des Klimawandels undder geändertenLandnutzungspraktiken werden innerhalb globaler Szenarien modelliert. Zentrale Trendsstellendabei die abnehmende Bodenfruchtbarkeit und Wasserverfügbarkeit sowie die erhöhte Gefahr von Waldbrändendar(Schröter et al.2005). Darüber hinaus kommt es auf der Nordhemisphäre zu einer fortschreitenden Ausbreitung von Arten und Lebensgemeinschaften in nördlicher und westlicher Richtung in Verbindung mit Höhenverlagerungen(Thomas et al.2001;Walther et al.2002). Die global steigenden Temperaturen beeinflussen außerdem die phänologische Frühjahrsentwicklung von Pflanzen(Root et al.2003;Parmesan2006)und bewirken verringerte Körpergrößen aquatischer Lebewesen(Daufresne et al.2009).

Die anthropogene Relevanz dieser ökosystemaren Änderungen resultiert aus den Beiträgen der natürlichen Umwelt zur menschlichen Existenz und Wohlfahrt.Zu diesen Beiträgen zählendieGewährleistungeiner lebensfreundlichen AtmosphäresowiedieBereitstellungvonGrundmaterialien des Lebens, wieNahrungsmittelnundBaustoffen. All diese Güter und Leistungen sind auf die Funktionsfähigkeit der Natur und Landschaft zurückzuführen, ihre fortwährende Bereitstellung ist folglich maßgeblich abhängig von der Intaktheit und Regulationsfähigkeit der Ökosysteme(Daily et al.1997). Die Konzeption von Instrumenten und Techniken zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung resilienter Ökosysteme bildet ein zentrales Forschungsanliegen(Mooney et al.2009).Zugleichstelltauch das Verständnis der Wirkungspfade, auf welchen Ökosysteme zum menschlichen Wohlbefinden beitragen, eingrundlegendeswissenschaftliches Themenfelddar(Vihervaara et al.2010). Von Relevanz ist dabei sowohl der Einfluss ökosystemarer Prozesse und Strukturen auf die Funktions- und Leistungsfähigkeit von Ökosystemen, als auch der anthropogene Bedarf an ökosystemaren Leistungen und Gütern.

Vor diesem Hintergrund wurden zahlreiche wissenschaftliche Ansätzezur ErfassungdersubstantiellenBeziehungen von Natur und menschlicher Gesellschaft entwickelt. Weitreichende Popularität in Wissenschaft und Politik erlangte das Konzept der Ökosystemleistungen (ÖSL). Als zentraler Impuls für dessen weite Verbreitung wird das Millennium Ecosystem Assessment (MEA) angesehen. Es handelt sich um eine internationale und interdisziplinäre Studie, welche sich der Analyse des globalen Zustands der Ökosysteme widmete. Zu den zentralen Erkenntnissen des MEA zählt eine innerhalb der letzten 50 Jahre signifikant gestiegene anthropogene Nutzungsintensität natürlicher Ökosysteme(Millennium Ecosystem Assessment 2005). Diese steht in direkter Verbindungmiteinerintensivierten Erzeugung materieller ÖSL (z.B. Nahrungsmittel und Holz) und einerDegradierungimmaterieller ÖSL(z.B. Regulierungsleistungvon Naturgefahren)(ebenda).

Die Relevanz der Ergebnisse des MEA wird seither im Rahmen nationaler Erfassungs- und Bewertungsstudien verifiziert[1], um ÖSL flächendeckend erfassen und bewerten zu können. Auch wird vor diesem Hintergrund analysiert, wie eine gleichzeitige Bereitstellung multipler ÖSL im Rahmen eines nachhaltigen Managements gewährleistet und zugleich die ÖSL-Degradierung vermieden werden kann.

Innerhalb des MEA werden ÖSL definiert als die Nutzenstiftungen, welche Ökosysteme für den Menschen bereitstellen. Sie werden eingeteilt in versorgende,regulierende, kulturelle undunterstützende Leistungen (bzw. Basisleistungen,Abb. 1). Der Konsum bzw. die Verwendung von ÖSL wirkt sich dabei in direkter oder indirekter Form auf das menschliche Wohlbefinden aus. Als fundamentale Grundlageder ÖSL-Erzeugung gilt die biologische Vielfalt(Millennium Ecosystem Assessment 2005).

Abb.1: Klassifizierung von ÖSL nach dem MEA,verändert nach:BfN(2013)

Trotz seiner weitreichenden Verbreitung und Popularität steht der ÖSL-Ansatz einer umfassenden wissenschaftlichen Kritik gegenüber, welchemaßgeblich aufden nachfolgendenPunktenbegründetist.

Unter terminologischen Aspekten wird die ÖSL-Begriffsbestimmung des MEA kritisch betrachtet. Dies beruht insbesondereauf einer fehlenden Operationalisierbarkeit(Wallace2007;Boyd & Banzhaf2007;Fisher et al.2009). Auch die biophysikalischen Grundlagen der ÖSL-Bereitstellung und der Einfluss von Biodiversitätsänderungen auf das ÖSL-Angebot gelten als zentrale Forschungsfelder(Quijas et al.2012;Midgley2012;Sandifer et al.2015). Zugleich wird der anthropozentrische ÖSL-Rahmen aus umweltethischer Perspektive kritisch hinsichtlich des Biodiversitätsschutzes hinterfragt(Luck et al.2012;Jax et al.2013).

Neben diesen akademischen Fragestellungen istder Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis unddie Umsetzung des ÖSL-Konzeptes inrealelokaleHandlungskontexte von maßgeblicher Relevanz(TEEB 2010). PraktischeEntscheidungsträgergeltenalsdieprimärenAdressaten des ÖSL-Konzeptes(Haaren & Albert2011). Gegenwärtig gibt es jedoch nur wenige Forschungsansätze zur Evaluation des praktischen Stellenwertes des ÖSL-Konzeptes. Diesenterminologischen, umweltethischen und partizipativen Themenfeldernwidmet sich die vorliegendeAbhandlungvor dem Hintergrund der praktischenUmsetzungdes ÖSL-Ansatzes auf lokaler Ebene in Deutschland.

DieStudieist in drei Teile gegliedert, innerhalb dereranhand eines sozialwissenschaftlichen Forschungansatzessowohl die konzeptionell-theoretischen Grundlagen, als auch die Potentiale und Grenzen der praktischen Anwendung Berücksichtigung finden. Im ersten Kapitel wird eine terminologische Konkretisierung des ÖSL-Konzeptes unter wissenschaftstheoretischen Aspekten vorgenommen. Demgegenüber behandelt das zweite Kapitel die Beziehungen zwischen biologischer Vielfalt und ÖSL aus umweltethischer Perspektive.Vor dem Hintergrund der traditionell etablierten Konzepte der deutschen Umweltplanung werden im dritten Kapitel schließlichdie Potentiale und Grenzen des ÖSL-Ansatzes in der umweltrelevanten Praxis thematisiert. Das letzte Kapitel bildet eine Zusammenfassung, innerhalb derer die Ergebnisse derStudiein einen gemeinsamen Kontext gebracht werden.

Literaturverzeichnis

Beck, Silke; Born, Wanda; Dziock, Silvia; Görg, Christoph; Hansjürgens, Bernd; Henle, Klaus et al. (2006): Die Relevanz des Millennium Ecosystem Assessment für Deutschland. Working Paper. Leipzig (UFZ-Berichte, 2).

BfN (2013): Ökosystemleistungen von Auen und Fließgewässern. Online verfügbar unter https://www.bfn.de/0324flussauen-oekosystemleistung.html, zuletzt geprüft am 29.06.2015.

Boyd, James; Banzhaf, Spencer (2007): What are ecosystem services?The need for standardized environmental accounting units.In:Ecological Economics63 (2-3), S. 616–626. DOI: 10.1016/j.ecolecon.2007.01.002.

Daily, G. C.; Alexander, S.; Ehrlich, P. R.; Goulder, L.; Lubchenco, J.; Matson, P. A. et al. (1997): Ecosystem Services: Benefits Supplied to Human Societies by Natural Ecosystems. In:Issues in Ecology(2).

Daufresne, Martin; Lengfellner, Kathrin; Sommer, Ulrich (2009): Global warming benefits the small in aquatic ecosystems. In:PROCEEDINGS OF THE NATIONAL ACADEMY OF SCIENCES OF THE UNITED STATES OF AMERICA106 (31), S. 12788–12793. DOI: 10.1073/pnas.0902080106.

Fisher, Brendan; Turner, R. Kerry; Morling, Paul (2009): Defining and classifying ecosystem services for decision making. In:Ecological Economics68 (3), S. 643–653. DOI: 10.1016/j.ecolecon.2008.09.014.

Haaren, Christina von; Albert, Christian (2011): Integrating ecosystem services and environmental planning: limitations and synergies. In:International Journal of Biodiversity Science, Ecosystem Services & Management7 (3), S. 150–167. DOI: 10.1080/21513732.2011.616534.

Harris, James A.; Hobbs, Richard J.; Higgs, Eric; Aronson, James (2006): Ecological Restoration and Global Climate Change. In:Restoration Ecology14 (2), S. 170–176. DOI: 10.1111/j.1526-100X.2006.00136.x.

Intergovernmental Panel on Climate Change (2014): Climate change 2013. The physical sciencebasis ;Working Group I contribution to the IPCC fifth assessment report. Cambridge: Cambridge University Press.

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Levin, Simon A. (1998): Ecosystems and the Biosphere as Complex Adaptive Systems. In:Ecosystems1 (5), S. 431–436. DOI: 10.1007/s100219900037.

Luck, Gary W.; Chan, Kai M. A.; Eser, Uta; Gómez-Baggethun, Erik; Matzdorf, Bettina; Norton, Bryan; Potschin, Marion (2012): Ethical Considerations in On-Ground Applications of the Ecosystem Services Concept. In:BioScience62 (12), S. 1020–1029. DOI: 10.1525/bio.2012.62.12.4.

Midgley, Guy F. (2012): Ecology. Biodiversity and ecosystem function. In:Science335 (6065), S. 174–175. DOI: 10.1126/science.1217245.

Millennium Ecosystem Assessment (2005): Ecosystems and Human Well-being: General Synthesis. Washington, DC: Island Press.

Montoya, José M.; Raffaelli, Dave (2010): Climate change, biotic interactions and ecosystem services. In:Philosophical transactions of the Royal Society of London. Series B, Biological sciences365 (1549), S. 2013–2018. DOI: 10.1098/rstb.2010.0114.

Mooney, Harold; Larigauderie, Anne; Cesario, Manuel; Elmquist, Thomas; Hoegh-Guldberg, Ove; Lavorel, Sandra et al. (2009): Biodiversity, climate change, and ecosystem services. In:CURRENT OPINION IN ENVIRONMENTAL SUSTAINABILITY1 (1), S. 46–54. DOI: 10.1016/j.cosust.2009.07.006.

Parmesan, Camille (2006): Ecological and Evolutionary Responses to Recent Climate Change. In:Annu. Rev. Ecol. Evol. Syst.37 (1), S. 637–669. DOI: 10.1146/annurev.ecolsys.37.091305.110100.

Quijas, Sandra; Jackson, Louise E.; Maass, Manuel; Schmid, Bernhard; Raffaelli, David; Balvanera, Patricia (2012): Plant diversity and generation of ecosystem services at the landscape scale. In:Journal of Applied Ecology49 (4), S. 929–940. DOI: 10.1111/j.1365-2664.2012.02153.x.

Root, Terry L.; Price, Jeff T.; Hall, Kimberly R.; Schneider, Stephen H.; Rosenzweig, Cynthia; Pounds, J. Alan (2003): Fingerprints of global warming on wild animals and plants. In:NATURE421 (6918), S. 57–60. DOI: 10.1038/nature01333.

Sandifer, Paul A.; Sutton-Grier, Ariana E.; Ward, Bethney P. (2015): Exploring connections among nature, biodiversity, ecosystem services, and human health and well-being: Opportunities to enhance health and biodiversity conservation. In:Ecosystem Services12 (0), S. 1–15. DOI: 10.1016/j.ecoser.2014.12.007.

Schröter, Dagmar; Cramer, Wolfgang; Leemans, Rik; Prentice, I. Colin; Araújo, Miguel B.; Arnell, Nigel W. et al. (2005): Ecosystem service supply and vulnerability to global change in Europe. In:Science (New York, N.Y.)310 (5752), S. 1333–1337. DOI: 10.1126/science.1115233.

TEEB (2010): The Economics of Ecosystems and Biodiversity: Mainstreaming the Economics of Nature: A Synthesis of the Approach, Conclusions and Recommendations of TEEB. 2010.

Thomas, C. D.; Bodsworth, E. J.; Wilson, R. J.; Simmons, A. D.; Davies, Z. G.; Musche, M.; Conradt, L. (2001): Ecological and evolutionary processes at expanding range margins. In:NATURE411 (6837), S. 577–581. DOI: 10.1038/35079066.

Vihervaara, Petteri; Ronka, Mia; Walls, Mari (2010): Trends in Ecosystem Service Research: Early Steps and Current Drivers. In:AMBIO39 (4), S. 314–324. DOI: 10.1007/s13280-010-0048-x.

Vitousek, P. M. (1997): Human Domination of Earth's Ecosystems. In:Science277 (5325), S. 494–499. DOI: 10.1126/science.277.5325.494.

Wallace, Ken J. (2007): Classification of ecosystem services: Problems and solutions. In:BIOLOGICAL CONSERVATION139 (3-4), S. 235–246. DOI: 10.1016/j.biocon.2007.07.015.

Walther, Gian-Reto; Post, Eric; Convey, Peter; Menzel, Annette; Parmesan, Camille; Beebee, Trevor J C et al. (2002): Ecological responses to recent climate change. In:NATURE416 (6879), S. 389–395. DOI: 10.1038/416389a.

Kapitel 1Funktionen oder Nutzwerte?

ZumErfordernis einerbegrifflichen Konkretisierungdes Konzeptes der Ökosystemleistungen

1.Einleitung

1.1. Überblick zum Konzept der Ökosystemleistungen

Seit jeher ist die Menschheit auf die verschiedenen Leistungen und Güter der Natur, wie Nahrungsmittel, Holz oder Trinkwasser angewiesen. Frühzeitigerkanntendie Menschen, dass ihreAktivitätendie Verfügbarkeit und das Angebot der Naturprodukte beeinflussen. So bemerkte bereits der griechische Philosoph Plato, dass Bodenerosion und das Versiegen von Quellen die Resultate einer fortschreitenden Entwaldung sind(Vandewalle et al.2008).

Innerhalb der letzten Jahrhunderte rückte die Bedeutung der natürlichen Erzeugnisse für den Menschen zunehmend in das öffentliche Interesse. Karl Marx schrieb in seinem Werk „Das Kapital“ über die Gratisdienste der Natur(Marx1867). Demgegenüber betonte George Perkins Marsh in seiner 1864 erschienen Abhandlung „man and nature“, dass die natürlichen Ressourcen der Erde nicht unerschöpflich zur Verfügung stehen(Vandewalle et al.2008). Im 20. Jahrhundert wurde diese Folgerung erneut aufgegriffen(Osborn1948)und im TermNaturkapitalzum Ausdruck gebracht. Dieser Begriff bezeichnet die Gesamtheit des natürlichen Angebots an Gütern und Leistungen und verdeutlicht die grundsätzliche anthropogene Angewiesenheit auf natürliche Ressourcen.

Die Bedeutung der Umwelt für den Menschen wurde schließlich anhand des ökologischen Terminus der natürlichen Funktionen zum Ausdruck gebracht(King1966)und später im Konzept derecosystem servicesspezifiziert. DiesesogenanntenÖkosystemdienstleistungen (ÖSL) traten begrifflich erstmalig in den 1980er Jahren in Erscheinung(Ehrlich & Mooney1983)und entwickelten sich schnell zu einem Schwerpunkt der Umweltwissenschaften, was sich an einem kontinuierlichen Anstieg wissenschaftlicher Publikationen zeigt.Im Jahr 2013 wurden mehr als 400 Artikel zum Themenfeld derecosystem servicesveröffentlicht (Abb. 2). Einen besonderen Popularitätszuwachs erlangten ÖSL durch diePublikationdes von den Vereinten Nationen in Auftrag gegebenen Millennium Ecosystem Assessments(MEA), einer weltweiten interdisziplinären Studie zum Zustand unserer Ökosysteme.Das MEA widmete sich den Auswirkungen anthropogener Aktivitäten auf die Natur und zeigte massive Veränderungen natürlicher Ökosysteme durch menschliche Eingriffe innerhalb der letzten Jahrzehnte(Millennium Ecosystem Assessment2003). DieseÖkosystemveränderungen induzierten eine Degradation von ÖSL, sowie eine im globalen Maßstab gestiegene Armut. Darüber hinaus besteht ohne entsprechende Gegenmaßnahmen das Risiko einer Ausweitung dieser negativen und mit volkswirtschaftlichen Kosten einhergehenden Wirkungen (ebenda).

Die Popularität des MEA und dessen aufgezeigte Handlungsempfehlungen zum globalen Ökosystemschutz begünstigten die Verbreitung des ÖSL-Konzeptes auf wissenschaftlicher und politischer Ebene. So ist der Ansatzinzwischenein wesentlicherinhaltlicherBestandteil der Vertragsstaatenkonferenzen der Biodiversitätskonvention (CBD). Auch dientdas ÖSL-Konzeptinnerhalb derIntergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services[2](IPBES) als Instrument der politischen Beratung zum Schutz undzurnachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt und ihrer Leistungen.

Abb.2: Anzahl der im Web of Science gelisteten wissenschaftlichen Publikationen zu ecosystem services, markiert ist der Zeitraum der MEA-Veröffentlichung,verändert nach:Fisher et al. (2009)

Das Spektrum der auf wissenschaftlicher Ebene zum Themenfeld derecosystem servicespublizierten Artikel ist indes breit gefächert. Es erstreckt sich von der theoretisch-konzeptionellen Konkretisierung (z.B.Groot et al.2002;Fisher et al.2009;Haines-Young & Potschin2009),über die Identifikation (z.B.Beaumont et al.2007;Martín-López et al.2012;Hernández-Morcillo et al.2013), Erfassung und Modellierung (z.B.Naidoo et al.2008;Nelson et al.2009;Haines-Young et al.2012;Plieninger et al.2013), sowie Bewertung (z.B.Boyd & Banzhaf2007;Gomez-Baggethun & Ruiz-Perez2011;Costanza et al.2011)von ÖSL.  

Die internationale Relevanz des ÖSL-Ansatzes begünstigte zugleich dessen Überführung in nationale Handlungskonzepte. So wurden in zahlreichen Staaten bereits Studien zum Zustand der Ökosysteme initiiert bzw. realisiert(z.B.Pereira et al.2005;Rides2005;UKNational Ecosystem Assessment2011;Spanish National EcosystemAssessment2013).

Ungeachtet seiner weiten Verbreitung und hohen Popularität existiert zum jetzigen Zeitpunkt keine konsistente und stringente Definition des Begriffes derecosystem services  und dessen deutscher Übersetzung Ökosystemleistungen(Vandewalle et al.2008;Schröter-Schlaack2012).

Nach der prominentesten Begriffsbestimmung werden ÖSL definiert als die Nutzenstiftungen, welche Ökosysteme den Menschen zur Verfügung stellen(Millennium Ecosystem Assessment2005). Es erfolgt eine Differenzierung von ÖSL in vier Kategorien: Versorgungsleistungen (Holz, Nahrungsmittel, Wasser etc.), Regulationsleistungen (Hochwasser- und Erosionsschutz etc.), kulturelle Leistungen (Erholung, Ästhetik, Inspiration etc.) und Basisleistungen (Photosynthese, Bodenbildung etc.). Mit Ausnahme der letztgenannten Kategorie führt die Verwendung bzw. der Konsum von ÖSL in direkter Form zu einer Steigerung des menschlichen Wohlbefindens. Basisleistungen garantieren dagegen die fortwährende Bereitstellung der anderen Dienstleistungskategorien und besitzen eine indirekte Wohlfahrtsrelevanz. Diese Begriffsbestimmung findet aufgrund ihrer Evidenz eine hohe politische als auch wissenschaftliche Akzeptanz(Wallace2007;Haines-Young & Potschin2010). Sie unterliegt jedoch zugleich wissenschaftlicher Kritik, welche in erster Linie die ÖSL-Operationalisierung betrifft(Fisher et al.2008).

Die Relationenzwischen Ökosystemen und der menschlichen Gesellschaftlassensich unter Berücksichtigung der beteiligten Einflussparameter als Wirkungskaskade schematisieren (Abb. 3), woraus zugleich der definitorische Handlungsbedarf ersichtlich wird.

So bedarf es im Falle der Holzproduktion zunächst spezifischer atmosphärischer Stoff- und Energieflüsse, sowie einer verholzenden Vegetation als ökosystemare Strukturen. Die Strahlungsenergie der Sonne induziert in Verbindung mit terrestrischen Stoffkreisläufen photosynthetische Wachstumsprozesse. Die Insolation und die Stoffkreisläufe stellen folglich ökologische Prozesse dar, welche die Voraussetzungen zur Photosynthese als Ökosystemfunktion bilden. Zugleich tragen diese ökosystemaren Wirkungszusammenhänge zur Leistungs- und Funktionsfähigkeit der Natur bei. Sie betreffen eine zunächst wertfreie ökologische Sachebene, da sie nicht an eine anthropogene Nachfrage gebunden sind. Diesem ökologischen Komplex steht die Ebene der gesellschaftlichen Bedürfnisse und Erwartungen gegenüber, welche Menschen an die Natur richten. So resultiert aus der photosynthetischen Aktivität des Baumes ein Biomassezuwachs, welcher zum verwertbaren Produkt Holz führt.

Abb.3: Exemplarische Bereitstellung von ÖSL als Wirkungszusammenhang ökologischer Dynamiken und anthropogener Bedürfnisse; eigene Darstellung

Aufgrund der Komplexität natürlicher Dynamiken und der Subjektivität anthropogener Bedürfnisse ist die BestimmungderartigerKausalitäten indessen problematisch. Im interdisziplinären Themenfeld der ÖSL mündet dies in einerbegrifflichen Gleichsetzung von Funktionen, Prozessen, Potentialen, Leistungen und Nutzwerten, woraus eine theoretische Komplexität undeineerschwerte Operationalisierung resultiert(Grunewald & Bastian2010). DieÜberprüfungderbegrifflichen Verwendungdes ÖSL-Konzeptesin Deutschlandbildet einen Schwerpunkt der vorliegenden Studie.Darüber hinaus wirdeine terminologische Konkretisierung im Zuge einer Begriffsexplikation vorgenommen. Es handelt sich um die Deutung der semantischen Grundlagen eines Terms, anhand derer die Bestimmung einer klaren und konsistenten Begriffsfassung ermöglicht wird(Schwerdtfeger2001).

1.2.Fragestellungen der Studie

1.2.1ErkenntnistheoretischeOperationsbasis

Auf internationaler Ebene bildet das ÖSL-Konzept einen Schwerpunkt wissenschaftlicher Studien und politischer Diskurse. Es handelt sich um einen integrativen und interdisziplinären Ansatz, welcher die Betrachtung des Wirkungsgeflechts von Ökosystemen und menschlicher Wohlfahrt aus ökologischer,ökonomischerund sozialwissenschaftlicher Perspektive zulässt. Während die Analyse derökologischenDynamiken und Strukturensowiedie ökonomische Bewertung von ÖSL einen Schwerpunkt der empirischen Forschung bilden, sind sozialwissenschaftliche Forschungsansätze noch weitestgehend unterrepräsentiert. Der Bedarf zur Berücksichtigung sozialwissenschaftlicher Konzeptioneninnerhalb des ÖSL-Ansatzeslässt sich bereits auf wissenschaftstheoretischer Ebene erkennen. Ungeachtet seiner hohen Popularität liegen dem ÖSL-Konzept keine präzisen undstringentenDefinitionen zugrunde.In diesem Zusammenhang gilt es anhand der vorliegenden Studie zu klären,an welche terminologischen Grundlagen die praktische Umsetzung des ÖSL-Konzeptes im deutschsprachigen Raum gebunden ist. Hierzu wirddiebegriffliche Verwendungdes ÖSL-Ansatzesunter verschiedenen Akteurenergründetundes wird überprüft, inwieferndie BerücksichtigungwissenschaftstheoretischerErkenntnissezureinerterminologischen Konsistenzbeitragen kann. Um diesenAspektennachzugehen, wurden im Rahmender vorliegenden Studie dreiForschungsfragengebildet.Die ersteFragestellungwidmet sich denerforderlichenGrundlagenzurBenennung des Forschungsgegenstands undergründet, inwiefernderÖSL-Ansatzim deutschsprachigen Raumalseinoriginäresbzw.operationalisierbaresForschungskonzeptempfundenwird. Hierzu erfolgteine Differenzierung desÖSL-Ausdrucks und –Begriffs.Die zu untersuchendeFragestellungist nachfolgend aufgeführt.

GiltdasÖSL-Konzeptim deutschsprachigen Raum als neuartige Sichtweise auf die Natur oder alszeitgemäßerAusdruck für traditionelle Ansichten?

1.2.2. Nominaldefinitorisch gebundene ÖSL-Kommunikation

Eine weitere Fragestellung der vorliegenden Studie widmet sich den Erfordernissen der inter- und transdisziplinären Kommunikation des ÖSL-Ansatzes. Anhand einer wissenschaftstheoretischenBegriffsexplikation (Abschnitt 3.4.) wird ermittelt,welche Übereinstimmungen und Differenzen hinsichtlich der begrifflichen Verwendung des ÖSL-Konzeptes unter wissenschaftlichen und praktischen Akteurendes deutschsprachigen Raumesauftreten. Auch wird ergründet, anwelche begrifflichenBestandteileeinekommunikationsbasierteDefinitiongebunden ist. In diesem Zusammenhang wird die folgende Forschungsfragegeklärt.

Welche begrifflichen Ausprägungen werden im deutschsprachigen Raum zur ÖSL-Definition verwendet und lassen sich diese im Rahmen einerallgemeingültigenNominaldefinitionvereinen?

1.2.3. Definitorische Operationalisierung

Darüber hinauswird innerhalbdieserStudieeruiert, welchebegrifflichen Grundlagen die wissenschaftliche Operationalisierungim Sinneder Identifikation, Erfassung und Bewertung von ÖSL erfordert. Dabei wird dienachfolgendaufgeführteFragestellungbeantwortet.

An welchedefinitorischenKriterienistdie kontextspezifische Operationalisierung des ÖSL-Konzeptesgebunden?

Zur Bearbeitung derForschungsfragenwird zunächst ein Überblick über den aktuellen Stand der internationalen Diskussion und die wichtigsten definitorischen Herausforderungen gegeben. Darauf aufbauend wird die Relevanz einer terminologischen Explikation des ÖSL-Konzeptes im deutschsprachigen Raum dargestellt, welche anhand qualitativer Interviews mit wissenschaftlichen Experten[3](Abschnitt 3.2.)und einer quantitativen Befragung mit lokalen Entscheidungsträgern(Abschnitt 3.3.)ergründetwurde. Aus diesen Informationen werden schließlich diejenigen Elemente abgeleitet, welche eine wissenschaftstheoretisch adäquate nominale und operationale definitorische Grundlage des ÖSL-Konzeptes bilden.

2.Theoretische Grundlagen der ÖSL-Terminologie

2.1. Sozialwissenschaftlicher Hintergrund

Innerhalb der Sozialwissenschaften lassen sich drei wesentliche Formen von Definitionen unterscheiden(Kromrey2002). Es handelt sich um Nominal-, Real- und operationale Definitionen. Eine Nominaldefinition ist eine durch einen Autor festgelegte Begriffskonvention, innerhalb derer das Definiendum vollständig durch den Definiens substituiert werden kann(Schäfer et al.2010). Unter dem Definiendum wird der zu definierende Begriff verstanden, während der Definiens bestimmte bekannte Eigenschaften angibt, mit deren Hilfe der jeweilige Term beschrieben werden kann .Wenngleich Nominaldefinitionen einen präzisen, ausführlichen und detaillierten Charakter aufweisen, handelt es sich um Tautologien, da der Begriff und dessen zugeschriebene Bedeutungen beliebig ausgetauscht werden können(Stier1999). Dies impliziert, dass eine Nominaldefinition sowohl richtig als auch falsch sein kann(Brosius et al.2012), da die so formulierte Begriffsbestimmung maßgeblich an den zugrunde liegenden Kontext und den Faktor der Zweckmäßigkeit gebunden ist(Häder2010). Zur Beschreibung des von Nominaldefinitionen berücksichtigten Begriffsumfangs werden intensionale und extensionale Vorgehensweisen unterschieden[4]. Die intensionale Definition richtet sich auf die Quantität der Merkmale bzw. Eigenschaften, mit deren Hilfe der jeweilige Begriff charakterisiert werden kann(Schnell et al.2013). Extensionale Definitionen beschreiben dagegen die Quantität der Objekte, welche zur Erklärung des Begriffes herangezogen werden(Stier1999).

Eine weitere Form der Begriffsbestimmung ist die Realdefinition. Im Vordergrund stehen hierbei deskriptive Aussagen über die faktisch relevanten Eigenschaften des zu definierenden Ausschnitts der Realität(Schäfer et al.2010). Im Gegensatz zu den normativen Nominaldefinitionen weisen Realdefinitionen stets einen empirischen Bezug auf, innerhalb dessen die getroffenen Aussagen entweder eindeutig als richtig oder falsch zu bewerten sind(Häder2010). Sie beschreiben das „wahre Wesen“ einer Sache, indem sie die mit dem Begriff verbundenen Beobachtungen und Entitäten hinreichend präzise charakterisieren(Brosius et al.2012). Im Gegensatz zur Nominaldefinition ist der zu definierende Term der Realdefinition unabhängig von seinen zur Beschreibung verwendeten Eigenschaften(Kromrey1998).Mayntz et al. (1978)geben ein Beispiel für eine Realdefinition:

„Eine politische Partei ist eine Organisation mit demokratischer Binnenstruktur, die sich im Wahlkampf um Regierungsbeteiligung bewirbt“(Mayntz et al.1978).

Sollte eine politische Partei keine demokratische Binnenstruktur aufweisen, ist diese Definition folglich falsch und muss durch Merkmale ersetzt werden, welche die politischen Parteien eindeutig beschreiben (ebenda). NachSchnell et al. (2013)ergibt sich hieraus zugleich das Problem der Realdefinitionen, da das Wesen eines Sachverhaltes zumeist sehr komplex ist und im Zuge der Definition nicht umfassend durch spezifische Kriterien beschrieben bzw. erfasst werden könne. Diese Art der Definition sei daher für die wissenschaftliche Anwendung nicht geeignet.

Eine dritte Möglichkeit der begrifflichen Festlegung ist in der operationalen Definition zu sehen.

„Eine operationale Definition standardisiert einen Begriff durch die Angaben der Operationen, die zur Erfassung des durch den Begriff bezeichneten Sachverhaltes notwendig sind, oder durch Angabe von messbaren Ereignissen, die das Vorliegen dieses Sachverhaltes anzeigen (Indikatoren)“ (Bortz & Döring2006).

Das Ziel der operationalen Definition ist folglich nicht in der Festlegung von Eigenschaften eines Begriffes zu sehen, sondern in der Bildung geeigneter Indikatoren, mit deren Hilfe sich der zu bestimmende Untersuchungsgegenstand eindeutig messen lässt(Brosius et al.2012).

Operationale Begriffsbestimmungen schaffen durch die Angabe eines konkreten Messverfahrens einen Nexus zwischen dem wissenschaftstheoretischen Term und der Wirklichkeit(Schnell et al.2013). Sie bilden dabei keine den Nominal- bzw. Realdefinitionen gleichgestellte Methode der Begriffsbestimmung, sondern eine ihnennachgeordnete Konkretisierung unter Berücksichtigung relevanter Forschungstechniken(Mayntz et al.1978).Mayer (2008)führt hierzu ein Beispiel an: während der Begriff „Alter“ im Rahmen einer Befragung unter nominalen Aspekten als „die Zeit zwischen der Geburt und der Erhebung“ bezeichnet werden kann, fokussiert die Operationalisierung auf das Geburtsdatum als Indikator. Die essentielle Grundlage einer operationalen Definition wird damit durch die eingehende Analyse der Bedeutungsformen gebildet, welche mit dem zu definierendem Term in Verbindung stehen(Bortz & Döring2006).

2.2. Internationale Relevanz und Verwendung der ÖSL-Begrifflichkeiten

Das Erfordernis einer eindeutigen, international gültigen ÖSL-Definition ergibt sich insbesondere hinsichtlich umweltpolitischer Zielkonflikte, sowie im Bereich des Ressourcenmanagements, um konkrete ÖSL nachhaltig fördern und schützen zu können.(Fisher & Turner2008). In der wissenschaftlichen Literatur lassen sich eine Vielzahl definitorischer Ansätze finden, welche die kontextspezifische Grundlage der ÖSL-Operationalisierung bilden. Nachfolgend werden diejenigen Begriffsbestimmungen angeführt, welche besonders häufig anhand von Zitationen in wissenschaftlichen Artikeln verwendet werden[5].

“Ecosystem goods (such as food) and services (such as waste assimilation) represent the benefits human populations derive, directly or indirectly, from ecosystem functions.”(Costanza et al.1997)[6]

“Ecosystem services are the benefits people obtain from ecosystems.”(Millennium Ecosystem Assessment2005)[7]

“[…] the phrase ecosystem services […] refers to a wide range of conditions and processes through which natural ecosystems, and the species that are part of them, help sustain and fulfill human life. These services maintain biodiversity and the production of ecosystem goods […].”(Daily et al.1997)[8]

“Ecosystem services are theaspects of ecosystems utilizedto produce human well-being.The key points are that 1) services must be ecological phenomena and 2) that they do not have to be directly utilized. Defined this way, ecosystem services include ecosystem organization or structure as well as process and/or functions if they are consumed or utilized by humanity either directly or indirectly.”(Fisher et al.2009)[9]

“Final ecosystem services are components of nature, directly enjoyed, consumed, or used to yield human well-being.”(Boyd & Banzhaf2007)[10]

Diese Definitionen haben die Kausalrelation zwischen Ökosystemen und dem Menschen gemeinsam, deren Schnittstelle durch die ÖSL gebildet wird. Der Mensch fungiert als Adressat und Konsument ökosystemarer Erzeugnisse. In allen Begriffsbestimmungen wird eine Position vertreten, nach welcher das menschliche Wohlbefinden durch den Verbrauch bzw. die Nutzung von ÖSL erzeugt bzw. gesteigert wird. Demgegenüber lassen sich zahlreiche definitorische Herausforderungen und Differenzen identifizieren, welche im Folgenden erläutert werden.

2.3.Terminologische Differenzen und Herausforderungen

2.3.1.Ökosystemleistungen und Nutzenstiftungen

Anhand der aufgeführten Definitionen aus der Literatur lässt sich erkennen, dass ÖSL einerseits alsbenefits(Nutzenstiftungen bzw. Vorteile) bezeichnet und andererseits als Bedingungen, Aspekte oder Komponenten beschrieben werden, deren Konsum oder Verbrauch einen anthropogenen Nutzen bzw. Vorteil bewirkt. 

Die Frage, inwiefern ÖSL undbenefitsbegrifflich voneinander zu trennen sind, ist ein elementarer Bestandteil terminologischer Studien zum ÖSL-Konzept. Diese Forschungsarbeiten gehen maßgeblich aufCostanza et al. (1997)undDaily et al. (1997)zurück. Auch imMillennium Ecosystem Assessment(2003)wird der Nutzenaspekt definitorisch aufgegriffen, die hier verwendete Begriffsbestimmung ist an der Definition vonCostanza et al. (1997)angelehnt und beschreibt ÖSL als ökosystemare Nutzwerte[11]. Eine Vielzahl von Autoren beruft sich auf die ÖSL-Definition nach dem MEA (u.a.Bullock et al.2011;Dick et al.2011;Wallace2007).Beaumont et al. (2007)sehen die im Zuge des ÖSL-Konzeptes bewirkte Überführung der komplexen ökologischen Dynamiken in anthropogen bedeutsame Leistungen als vorteilhaft hinsichtlich des konzeptionellen Verständnisses von politischenAkteuren und Nicht-Wissenschaftlern an. Die konkrete Nutzenargumentation bewirkt zugleich in der Bevölkerung einen Sensibilisierungseffekt für jene Güter, welche nicht unmittelbar in das öffentliche Bewusstsein dringen (Costanza2008).

Eine weitere Gruppe internationaler Autoren nimmt eine begriffliche Differenzierung von ÖSL undbenefitsvor.Westman (1977)beschreibt die materiellen Ökosystemkomponenten als Güter, wohingegen er unter den dynamisch-funktionellen Parametern des Ökosystems (z.B. Bodenfiltration)services(bzw. ÖSL) versteht. ÖSL werden demnach als ökosystemare Aspekte angesehen, welche zur Gewährleistung des menschlichen Wohlbefindens erforderlich sind(Fisher et al.2008). Der Gebrauch bzw. Konsum von ÖSL führt dabei zu einem unmittelbaren Vorteil bzw. Nutzen in Form einesbenefits(Brown et al.2007). Hierunter wird eine spezifische Zustandsänderung verstanden, welche einen direkten Einfluss auf die menschliche Wohlfahrt ausübt, wie z.B. bessere Möglichkeiten zum Wandern oder ein besseres Nahrungsmittelangebot(Fisher & Turner2008). ÖSL sind dagegen diejenigen ökosystemaren Parameter, welche die Erzeugung vonbenefitsmaßgeblich bedingen(Mace et al.2012).

Eine weitere Herausforderung ist in diesem Zusammenhang in der Frage zu sehen, ob unter dem ÖSL-Term ausschließlich direkte Nutzwerte subsumiert oder auch Leistungen mit indirektem Wohlfahrtsbezug berücksichtigt werden. Während unter direkten Nutzwerten all jene ökosystemaren Wirkungen verstanden werden, welche für das menschliche Wohlbefinden von unmittelbarer Relevanz sind, handelt es sich bei indirekten bzw. intermediären Nutzenstiftungen um ÖSL ohne immediaten Wohlfahrtsbezug. Innerhalb der MEA-Typologie obliegt der Kategorie der Basisleistungen ein indirekter Nutzencharakter. Das prioritäre Problem bei der Integration intermediärer Leistungen in das ÖSL-Konzept ergibt sich hinsichtlich der Doppelzählung von Leistungen bei der ÖSL-Bewertung(Fu et al.2011). Hierbei kommt es zu einem methodischen Berechnungsfehler, da Leistungen mit identischer Wirkung bzw. indirekte Leistungen und ihnen nachgeschaltete ÖSL jeweils als einzelne ÖSL in die Bewertung einfließen.Boyd & Banzhaf(2007)sehen die Unterscheidung von finalen und intermediären Leistungen innerhalb der Umweltkostenrechnung als besonders relevant an, da der Wert der intermediären Leistungen bereits in den finalen ÖSL integriert ist[12]. Im Bereich der ökonomischen Bilanzierung gilt es daher, nur jene Nutzwerte zu berücksichtigen, welche aus dem Verbrauch bzw. Konsum finaler ÖSL erwachsen(Johnston & Russell2011). AuchWallace(2007)teilt ÖSL in Endprodukte und elementare Mittel (means) zur Erzeugung von Endprodukten. Unter letzteren versteht er dabei insbesondere die Basis- und Regulationsleistungen des MEA-Konzeptes. Ein weiterer definitorischer Ansatz beschreibt ÖSL als ökologische Phänomene, welche von den aus ihnen erwachsenden Vorteilen selektiert werden(Fisher et al. 2008). Da lediglich die Vorteile (benefits) für das menschliche Wohlbefinden relevant sind und in die Bilanzierung einfließen, wird die ökonomische Doppelzählung vermieden. Unter dem Begriff derbenefitswerden somit alle Dinge subsumiert, welche vom Menschen bewertet werden können(Fisher & Turner2008).

Costanza(2008)sieht die Berücksichtigung intermediärer Leistungen im ÖSL-Konzept  demgegenüber nicht als problematisch an, da sie ebenso wie finale Leistungen zur menschlichen Wohlfahrt beitragen. Mit Hilfe eines theoretisch-konzeptionellen Rahmens, welcher die Interdependenzen einzelner Ökosystemfunktionen und –leistungen berücksichtigt, ließen sich mögliche Doppelzählungen identifizieren. AuchDeGroot et al. (2002)sehen ÖSL als die direkt oder indirekt wohlfahrtsrelevanten Resultate von Ökosystemfunktionen an. Zur Vermeidung der Doppelzählung und zur Gewährleistung einer besseren Vergleichbarkeit schlagen sie vor, mögliche ÖSL-Bewertungsformen fallspezifisch im Sinne eines Rangordnungssystems gegenüberzustellen.

Ungeachtet der hohen Klassifikationsvielfalt hinsichtlich der Berücksichtigung indirekter Leistungen sind sich zahlreiche Autoren der Probleme bewusst, welche bei der ÖSL-Doppelzählung im Bereich der Umweltkostenrechnung entstehen. So bedarf die Umweltbilanzierung nicht ausschließlich einheitlicher Maßstäbe bezüglich der Gewichtung unterschiedlicher Leistungen, sondern basiert zugleich maßgeblich auf standardisierten ÖSL als Nutzenpositionen(Boyd & Banzhaf2007).

2.3.2. Typologische Gliederung von ÖSL

Um ÖSL erhalten, nachhaltig nutzen und in praktischen Entscheidungssituationen berücksichtigen zu können, ist es erforderlich, sie zu identifizieren, zu erfassen und zu bewerten (Abb. 4).

Abb.4: Vorgehensweise bei der Bewertung von ÖSL, verändert nach:Naturkapital Deutschland(2012)

Als Grundlage der ÖSL-Identifikation gilt die Gliederung in Kategorien gleicher Eigenschaften. Die international bekannteste Klassifikation entstammt dem Millennium Ecosystem Assessment und teilt ÖSL in vier Kategorien. Es handelt sich um Versorgungs-, Regulations-, Basis- und kulturelle Leistungen. Diese Gliederung wird in der wissenschaftlichen Operationalisierung des ÖSL-Konzeptes sehr heterogen bewertet. Zahlreiche Autoren konkretisieren die MEA-Kategorien für spezifische Forschungsschwerpunkte(Hein et al.2006; TEEB 2009;Robinson & Lundholm2012;Haines-Young & Potschin2009;UK National Ecosystem Assessment2011;Haines-Young & Potschin2011).

Eine auf europäischer Ebene konzipierte Konkretisierung des MEA-Ansatzes stellt die CICES-Klassifikation dar (Common International Classification of Ecosystem Services). Die Autoren sehen ÖSL ausschließlich als direkt konsumier- oder nutzbare Beiträge von Ökosystemen zum menschlichen Wohlbefinden, welche aus den Interaktionen biotischer und abiotischer Systemkomponenten entstehen(Haines-Young & Potschin2011). Der immediate Wohlfahrtseinfluss impliziert, dass die Basisleistungen des MEA hier keine Berücksichtigung finden. Die CICES-Klassifizierung beinhaltet eine Differenzierung in drei ÖSL-Hauptgruppen (Versorgungs-, Regulations- und kulturelle Leistungen), welche ihrerseits durch neun weitere Untergruppen ergänzt werden (Abb. 5).Innerhalb der internationalen ArbeitsgruppeMapping and Assessment of Ecosystems and their Services, welche den analytischen Rahmen für Ökosystembewertungen nach der europäischen Biodiversitätsstrategie vorgibt,findet die Klassifikation nach CICES eine zentrale Verankerung(Maes et al.2013).

Abb.5: ÖSL-Kategorisierung nach CICES,verändert nachHaines-Young & Potschin (2011)

Eines der elementaren typologischen Anliegen ist in der Vermeidung der Doppelzählung von ÖSL zu sehen(Fu et al.2011,Abschnitt 2.3.1.). Angesichts der unzureichenden definitorischen Trennung der ÖSL-Kategorien lassen sich im MEA zahlreiche Doppelzählungen identifizieren. Aufgrund ihres Bindegliedcharakters zwischen der ökosystemaren Funktionalität und ÖSL sowie ihrer indirekten Wirkung auf das menschliche Wohlbefinden wird vorgeschlagen, die Gruppe der Basisleistungen nicht als finale ÖSL anzusehen(Hein et al.2006). Doch auch im Bereich der kulturellen und regulierenden Leistungen werden Doppelzählungen identifiziert[13](Fisher et al.2008;Porter et al.2009).

Zur Verbesserung der Operationalisierbarkeit der MEA-Kategorien wurden zahlreiche kontextspezifische Klassifikationen entworfen. So schlägtCostanza (2008)vor,ÖSL nach räumlichen Kriterien zu kategorisieren. Berücksichtigt werden dabei Merkmale wie die räumliche Ausdehnung, dynamische (Nutzen fällt außerhalb des ÖSL-Produktionsgebietes an), statische (Nutzen fällt im ÖSL-Produktionsgebiet an) und nutzerspezifische Eigenschaften.

Ein weiterer Vorschlag vonCostanza (2008)betrifft die ökonomischen Eigenschaften der betrachteten Güter und Leistungen. Die ÖSL werden dabei eingeteilt in die Gruppen öffentlich und privat. Die wesentlichen Differenzierungskriterien zwischen beiden Kategorien sind die Ausschließbarkeit und Rivalität. Während öffentliche Güter frei zugänglich sind und von mehreren Personen gleichzeitig verwendet werden können, ist es dem Besitzer privater Güter möglich, den Konsum für bestimmte Nutzer zu verbieten. Auch können private Güter nicht von mehreren Personen gleichzeitig konsumiert werden. Unter ökonomischen Aspekten handelt es sich bei öffentlichen Gütern folglich um eine Form des Marktversagens, welche für zahlreiche ÖSL in fehlender Messbarkeit (Abschnitt 2.3.3.) sowie ungewissen Eigentums- und Haftungsrechten begründet ist(Kroeger & Casey2007).

NachWallace (2007)bedarf es hinsichtlich der ÖSL-Klassifikation zunächst hinreichend genauer Definitionen, welche die ÖSL-Begrifflichkeiten und typologischen Grenzen präzise festlegen. Seiner Ansicht nach gilt es, ÖSL nach anthropogenen Wertschätzungsformen zu gliedern, um fundierter zwischen ökologischen Prozessen und Nutzenstiftungen differenzieren zu können. Darauf aufbauend schlägt er als ÖSL-Klassen elementare Ressourcen (z.B. Nahrung, Sauerstoff, Wasser), Schutz vor biologischen Gefahren (z.B. Krankheiten, Schädlinge), adäquate chemische und physikalische Lebensbedingungen sowie sozio-kulturelle Bereicherungen (z.B. Ästhetik, Erholung) vor.

Anhand der differierenden ÖSL-Typologien lässt sich erkennen, dass das interdisziplinäre Forschungsfeld der ÖSL eine Vielzahl heterogener methodischer Ansätze integriert. Das MEA ist in diesem Zusammenhang als zentrales kategoriales Grundelement anzusehen, welches die Konzeption und disziplinäre Konkretisierung spezifischer ÖSL-Kategorien induzierte(Kremen2005;Schaich et al.2010).

2.3.3. Stellenwert kultureller Leistungen

Innerhalb der ökologischen Forschung unterliegen die Wechselwirkungen von ökologischer Funktionalität und der Bereitstellung von Basis-, Versorgungs-, und Regulationsleistungen einer intensiven Analyse(Beaumont et al.2007;Lavelle et al.2006;Schroter et al.2005;Balvanera et al.2014). Die Kategorie der kulturellen Leistungen ist dagegen auf wissenschaftlicher Ebene noch weitestgehend unterrepräsentiert(Tengberg et al. 2012; van Berkel&Verburg2014;Plieninger et al.2015).

Die Ansätze zur terminologischen Charakterisierung kultureller ÖSL sind vielfältig. Sie werden als die intangiblen, aus Ökosystemen erwachsenden Nutzenstiftungen beschrieben, welche einen Beitrag zum menschlichen Wohlbefinden leisten(Millennium Ecosystem Assessment2005). Demgegenüber gelten sie als ästhetische, künstlerische, bildungsfachliche, spirituelle oder wissenschaftliche Werte, welche aus Ökosystemen resultieren(Costanza et al.1997). In einer weiteren Auslegung werden kulturelle ÖSL als die ökosystemaren Beiträge zu den immateriellen anthropogenen Nutzenstiftungen, wie individuelle Fähigkeiten und Erfahrungen, bezeichnet, welche aus dem Beziehungsgeflecht von Ökosystemen und Menschen erwachsen(Chan et al.2012). Kulturelle Leistungen gelten weniger als ökologische Phänomene, sondern werden vielmehr als die Resultate der im Laufe der Menschheitsgeschichte entstandenen komplexen Wechselbeziehungen zwischen Menschen und der Natur angesehen(Fagerholm et al.2012). Sie lassen sich folglich nur schwer in ökologischen Einheiten bemessen(Plieninger et al.2013).

Hinsichtlich der Mensch-Natur-Beziehungen erfüllen kulturelle ÖSL wesentliche Funktionen. Ihr gesellschaftlicher Stellenwert steigt mit zunehmender ökonomischer Entwicklung(Guo et al.2010). Zugleich lassen sich potentiell beeinträchtigte Versorgungs- und Regulationsleistungen auf lokaler Ebene durch sozio-ökonomische Produktionsfaktoren substituieren, die kulturelle Bedeutung eines spezifischen Ökosystems ist dagegen nicht austauschbar(Plieninger et al.2013). Gerade in den westlichen Industrienationen sind kulturelle Werte von zentraler Bedeutung, da sie helfen, Kulturlandschaften als Interaktionsräume der menschlichen Gesellschaft und ihrer Umwelt zu verstehen(Phillips1998).

Die Charakterisierung und Erfassung kultureller ÖSL ist an zahlreiche Herausforderungen gebunden.Satz et al. (2013)fassen diese wie folgt zusammen. Kulturelle Leistungen unterliegen der Gefahr der Doppelzählung, auch ist ihre Erhebung an einen konkreten räumlichen Kontext gebunden. Daneben wird ihre Wahrnehmung und Bewertung von einer grundsätzlichen Subjektivität und potentiellen Manipulierbarkeit durch soziale Interaktionen bestimmt. Nicht zuletzt gilt es als disputabel, inwiefern es sich bei kulturellen ÖSL um finale Leistungen handelt oder um Vorteile, welche aus dem Konsum bzw. Verbrauch von ÖSL erwachsen. Dies resultiert aus den heterogenen Ansätzen zur Kategorisierung kultureller Leistungen, welche in deren Interkonnektivität begründet ist. Als Beispiel sei die Erholungsleistung genannt, welche in zahlreichen ÖSL-Klassifikationen als kulturelle Leistung beschrieben wird(Groot et al.2002;Millennium Ecosystem Assessment2005; TEEB 2010;Haines-Young & Potschin2011).Da sie jedoch auf der materiellen Bereitstellung ökosystemarer Entitäten bzw. dem ökosystemaren Gefüge als Ganzem beruht und im Sinne objektivierbarer Präferenzen erfasst werden kann, wird die Zuordnung der Erholung zur Gruppe der Versorgungsleistungen vorgeschlagen(Abson & Termansen2011a;Milcu et al.2013). Andere Autoren sehen die Erholung dagegen als einen Vorteil bzw. Nutzen, welcher erst aus dem Konsum finaler ÖSL resultiert(Boyd & Banzhaf2007;Fisher et al.2009). Zur Operationalisierung und Erfassung kultureller ÖSL bedarf es folglich konsistenter Definitionen der einzelnen Leistungskategorien, mit dem Ziel ÖSL-Doppelzählungen und irrtümliche Interpretationen zu vermeiden(Hernández-Morcillo et al.2013).

2.3.4. Räumliche Skalenebene des ÖSL-Konzeptes

Einen weiteren wesentlichen Aspekt internationaler Veröffentlichungen zum ÖSL-Konzept bildet die Definition der räumlichen Abstraktionsebene. Unter terminologischen Kriterien gilt das Ökosystem als Flächenbezug von ÖSL. Hierunter sind alle komplexen Gefüge zu verstehen, welche durch die dynamischen Interkationen ihrer biotischen und abiotischen Komponenten gekennzeichnet sind(Tansley1935). Die räumliche Ausdehnung des Ökosystems wird maßgeblich durch die Flächenansprüche seiner in Wechselwirkungen stehenden biologischen Komponenten bestimmt, welche es zu einem skalenunabhängigen Komplex formen(Allen&Hoekstra1992). Es handelt sich folglich um das Biotop einer Biozönose(Ellenberg1973). Während die Analyse der biotischen und abiotischen Wechselwirkungen gegenwärtig ein zentrales Element der Ökosystemforschung bildet, galten die ökosystemaren Relationen in der Vergangenheit eher didaktische Instrumente, um naturschutzfachliche Ziele zu legitimieren(Moran1990).

Zur angemessenen Berücksichtigung aller ökosystemaren Strukturen und Entitäten bedarf es innerhalb der praktischen Entscheidungsfindung der Konzeption eines geeigneten methodischen Rahmens(Pickett et al. 2002). Bedeutende Herausforderungen bestehen dabei in der Vereinbarung wissenschaftlicher Erkenntnisse, etablierter Bewirtschaftungsstrategien und –erfahrungen, sowie administrativer, gesetzlicher und kultureller Gegebenheiten(Shepherd2004). Unter operationalen Kriterien der ÖSL-Bewertung gilt es, die ökologisch-funktionale Begriffsbestimmung des Ökosystems durch eine räumlich explizite Definition zu substituieren(Hein et al.2006). Ferner beeinflussen die zugrundeliegenden räumlichen Skalen die ÖSL-Bewertung durch beteiligte Stakeholder. So kann ein lokaler Akteur erst dann von einer ÖSL profitieren, wenn die Skalenebene der Leistung seinen Aktionsraum tatsächlich betrifft(Vermeulen & Koziell2002). Darüber hinaus bietet die Skalierung von ÖSL Einblicke in den erforderlichen institutionellen Rahmen für die managementspezifische Planung und Entscheidungsfindung(Hein et al.2006).

Der räumliche Wirkungsbereich von ÖSL ist jedoch nicht allein auf Ökosysteme beschränkt(Kremen2005). Im Rahmen des Ansatzes derlandscape servicesbzw. Landschaftsleistungen werden die theoretischen Grundlagen des ÖSL-Konzeptes im Bereich der Kulturlandschaftsforschung auf landschaftlicher Ebene wissenschaftlich expliziert(Müller et al.2011). Landschaften werden dabei als sozio-ökologische Systeme angesehen, welche Funktionen bereitstellen, die durch den Menschen bewertet und verändert werden können(Fagerholm et al.2012).Termorshuizen & Opdam (2009)sprechen sich dafür aus, das Konzept der Landschaftsleistungen dem ÖSL-Ansatz vorzuziehen. Ihrer Ansicht nach ergeben sich die Vorteile gegenüber ÖSL vor allem aus einer besseren Verbindung von Struktur- und Prozessparametern, einer verbesserten interdisziplinären wissenschaftlichen Zusammenarbeit, sowie einem erhöhten Stellenwert und besseren Verständnis auf Seiten lokaler Akteure.

Analog zum Terminus des Ökosystems wird indessen auch der Landschaftsbegriff in der Literatur nicht einheitlich verwendet. So wird die Landschaft im MEA als diedem Ökosystem übergeordnete räumliche Skala angesehen(Millennium Ecosystem Assessment2005).Neef (1967)definiert eine Landschaft dagegen als einen geographischen Ausschnitt mituniformem strukturellen und dynamischen Gefüge, innerhalb dessen alle für dieses Areal typischen Geofaktoren[14]aufeinander treffen.Dieser Definition steht die Begriffsbestimmung des europäischen Landschaftsübereinkommens gegenüber:

„Landscape’ means an area, as perceived by people, whose character is the result of the action and interaction of natural and/or human factors“(Europarat2004).

Vordergründig ist dabei neben den Geofaktoren die visuell-ästhetische Wahrnehmung durch den Menschen. Unter diesen Aspekten bildet die Landschaft die

„räumlich gelebte und erlebte Umwelt des Menschen, welche ihm als Individuum sowie der Gesellschaft die Erfüllung physischer und psychischer Bedürfnisse ermöglicht“(Stremlow2007)[15].

Es handelt sich folglich um eine reflexive Perspektive der kulturellen Identität im Sinne der Selbsterkenntnis und Selbstfindung an einem bestimmten Ort(Greider & Garkovich1994). Die Landschaft

„kann dabei an natürlichen oder anthropogen verursachten Grenzen oder Grenzsäumen von anderen Landschaftseinheiten abgetrennt werden“(Bastian & Schreiber1999).

Diese Grenzen werden durch den Landschaftstyp charakterisiert. Es handelt sich dabei um die den Vegetationszonen der Erde entsprechenden Bioformationen(Schaefer2012).

Im Gegensatz zum Term des Ökosystems steht der Landschaftsbegriff folglich insbesondere mit naturräumlichen bzw. visuell-anthropogenen Kriterien in Verbindung. Zur vollständigen Erfassung des Relationsgefüges ökologischer Dynamiken und anthropogener Bedürfnisse gilt es als erforderlich, die ökosystembasierte ÖSL-

Argumentation um einen landschaftlichen Betrachtungskontext zu ergänzen(Müller et al.2011).

3.Material und Methoden

3.1. Metanalyse der Forschungsliteratur

Im Zuge der Vorbereitung der qualitativen(Abschnitt 3.2.)und quantitativen(Abschnitt 3.3.)Befragung wurden Publikationen zur Terminologieund praktischen Relevanzdes ÖSL-Konzeptes anhand einer Meta-Analyse auf ihre zentralen Aussagen und Ergebnisse hin untersucht. Die Analyse hatte zum Ziel, den Forschungsstand der theoretischen Konzeptionierungund praktischen Umsetzungdes ÖSL-Ansatzes auf internationaler Ebene zu sichten und gegenüberzustellen. Untersucht wurden insgesamt 29Veröffentlichungenausgoogle scholar. Die frühesten verwendeten Publikationen stammen aus dem Jahr 1997, da das ÖSL-Konzept in diesem Jahr einen ersten bedeutenden Popularitätsanstieg erfuhr(Fisher et al.2009), welcher auf die Veröffentlichung der Pilotstudien vonDaily (1997)undCostanza et al. (1997)zurückzuführen ist.

Die Auswahl der Artikel erfolgte einerseits basierend auf der inhaltlichen Thematisierung von ÖSL aus forschungstheoretischer Perspektive, andererseits anhand der Anzahl an Zitationen. Hinsichtlich der konzeptionellen Fortentwicklung des ÖSL-Ansatzes kommt den meistzitierten Artikeln eine hohe Bedeutung zu(Abson et al.2014). Die wesentlichen Kriterien der Meta-Analysebildeten dieÖSL-Definitionen und –kategorisierungen,die Relationen vonÖSL und Biodiversitätsowie die Potentiale und Grenzen der praktischen Umsetzung des ÖSL-Ansatzes. Die ermitteltenAspekte wurden inhaltlich auf ihre grundlegende Aussage reduziert und gemeinsamen Oberkategorien zugeordnet, welche während des Forschungsprozessesanhand der gewonnenen Erkenntnissegebildet wurden.Weiterhinwurdeanhand des fachlichen Hintergrunds der Autorenüberprüft, inwiefern terminologische Differenzen zwischen den Disziplinen der Gesellschafts- und Lebenswissenschaften auftreten und welche Definitionsbestandteile besonders häufig genannt und diskutiert werden(Schüler2013). Die Metaanalyse der Literatur wurde nach Überprüfung der 29 Artikel beendet, da keineneuenInformationenmehrgefunden werden konnten[16]. Ihre Ergebnisse bildeten die inhaltliche Basis der im Rahmen der Experteninterviews verwendeten qualitativen Leitfragen (Abschnitt 3.2.), zugleich wurden die Ergebnisse in die Elemente des quantitativen Fragebogens überführt (Abschnitt 3.3.).

3.2. Qualitative Experteninterviews

Die Interviewvorbereitung und -durchführung erfolgte mit Hilfe von Methoden der qualitativen Sozialforschung. Zu den Zielen des qualitativen Forschungsprozesses zählen die gegenstandsangemessene Wahl vonVerfahrensweisenbzw. Theorien, die vielschichtigen Interessen der am Befragungsprozess beteiligten Personen, sowie der kritische Reflexionsprozess während der Erhebung(Flick2011). Das methodische Handlungsprinzip orientiert sich demnach insbesondere am Untersuchungsgegenstand und der verknüpften Fragestellung. Zugleich wird die Berücksichtigung einer möglichst hohen Vielfalt an Perspektiven und Ansichten angestrebt. Die Vorgehensweise unterliegt einem fortdauernden selbstreflexiven Prozess, welcher als zentraler Teil der Erkenntnis und nicht als Störeinfluss verstanden wird. So werden die Forschungstechniken im Laufe der qualitativen Studie durch das Zusammenwirken mit den Befragten und ihrem Umfeld einer ständigen Prüfung und Anpassung unterzogen(Przyborski & Wohlrab-Sahr2009).

Ansichten und Standpunkte sollen im Rahmen qualitativer Forschung aus Sicht der handelnden Personen dargestellt werden. Das Erkenntnisinteresse liegt nicht in der Überprüfung bekannter Theorien, sondern im Konzipieren neuartiger Perspektiven, welche sich aus dem Verständnis komplexer Beziehungen und Zusammenhänge ergeben(Kardorff et al.2008). So ist die Phase der Datenerhebung im qualitativen Forschungsprozess durch eine große Offenheit gekennzeichnet, innerhalb derer die Beteiligten im Gegensatz zu naturwissenschaftlichen Studien auf die Inhalte der Forschung aktiv reagieren können(Mieg & Näf2006). Diese offene methodische Vorgehensweise wird ergänzt durch die Möglichkeit zur Analyse einer Vielzahl von Einzelaspekten bei kleinen Fallzahlen und unter Berücksichtigung der Subjektivität des Forschenden(Friebertshäuser2003).

Die qualitative Sozialforschung steht aufgrund dieser Aspekte einzelnen kritischen Positionen gegenüber. Zurückzuführen sind sie insbesondere auf die unzureichende Berücksichtigung methodischer Gütekriterien der standardisierten Forschung[17](Reichertz2007). Auch wird eine Intransparenz hinsichtlich der Abgrenzung unterschiedlicher qualitativer Forschungsmethoden angemerkt, was mit einer fehlenden methodologischen Übersichtlichkeit einher geht(Mruck & Mey2005;Kromrey2007). Indessen lassen sich diese methodischen Problemstellungen mit den Zielen qualitativer Forschungsansätze erklären. So unterliegen Situationen sozialer Interaktionen stets einer subjektiven Komponente, wodurch die traditionellen Gütekriterien standardisierter Forschungsmethoden als unzweckmäßig erachtet werden(Kromrey1998). Vielmehr werden die Subjektivität und deren Reflexion innerhalb qualitativer Forschung als maßgebliche Erkenntnisquellen hinsichtlich des Verständnisses von Sinnzusammenhängenangesehen(Mruck & Breuer2003).

Dennoch ist auch die qualitative Forschung zur Qualitätssicherung an die Berücksichtigung wissenschaftlicher Gütekriterien gebunden(Kromrey2007). Zu diesenAspektenzählen die Angemessenheit des Vorgehens, die Regelgeleitetheit sowie die intersubjektive Überprüfbarkeit[18](Mayring2002;Häder2010;Flick2011). Auch stehen qualitative und quantitative Verfahren nicht im Widerspruch, sondern bauen bisweilen aufeinander auf, in dem sie das zu analysierende Forschungsfeld um Aspekte der Reichweite (quantitativ) bzw. Detailschärfe (qualitativ) ergänzen(Brosius et al.2012).

In der vorliegendenStudiewurde das Experteninterview alsErhebungsmethode gewählt,umdasspezifische Deutungswissen der Gesprächspartnerinihrerfunktionellen Rolle als Expertenfür einenbestimmten Themenbereich[19]erfassen zu können(Przyborski & Wohlrab-Sahr2009;Gläser & Laudel2010).GemäßMieg & Näf (2006)werden als Experten im vorliegendenBeitragdiejenigen Personen bezeichnet, welche sich durch langjährige individuelle Erfahrungen und Fähigkeiten eine fachspezifische Expertise in Form von Können und Wissen im Bereich der ÖSL-Forschung angeeignet haben.

Insgesamt wurden 18 Experteninterviewsim Zeitraum von Dezember 2012 bis März 2013durchgeführt.Der Gesprächsverlauf wurdemit einem Tonbandgerät dokumentiert.Die Interviewdauer betrug zwischen60und90 Minuten.Entsprechend der integrativen Ausrichtung des ÖSL-Konzeptes wurdenExperten aus relevantengesellschafts- und naturwissenschaftlichenDisziplinen, sowieausInstitutionen und Organisationen, die an der Fortentwicklung des ÖSL-Ansatzes im deutschsprachigen Raum beteiligt sind, berücksichtigt.Zu den Befragungsteilnehmern zähltendabeiAkteure aus Deutschlandund derSchweiz, dazwischeneinzelnen Institutionen beiderStaatendiverseKooperationenim Bereich der ÖSL-Forschungbestehen(z.B.Staub et al.2011;vonGrünigen et al.2013).Folglich basierte die Auswahl der Experten auf einem theoretischen Sampling, innerhalb dessen die Stichprobenzusammensetzung austheoretischen Vorüberlegungenresultiert(Glaser & Strauss2005).

Die Interviews wurden anhand eines Leitfadens geführt, welcher als methodische und inhaltliche Stütze eines thematisch fokussierten und konstruktiven Gesprächs, nicht jedoch als Vorgabe strikter Antwortkategorien gedacht ist. Der Einfluss des Leitfadens auf den thematischen und inhaltlichen Verlauf des Interviews darf dennoch nicht vernachlässigt werden(Kelle & Kluge2010).Inhaltlich setzte sich der Leitfadenaus vier Themenbereichen zusammen[20].

Im ersten Abschnitt wurden die Experten zu ihrem eigenen fachlichen Bezug zum ÖSL-Konzept, sowie zu individuellen Erfahrungen mit dem ÖSL-Ansatz befragt. Diese Fragen dienten der Einführung in das Thema, sowie der Gewährleistung einer angenehmen Gesprächsatmosphäre(Mieg & Näf2006).Die drei folgendenAbschnittedes Interviewleitfadens orientierten sich an denim Zugeder Literaturstudie (Abschnitt 3.1.)analysiertenzentralen Themenfeldern des ÖSL-Forschungsprozesses und der Umsetzung des Ansatzes in die Praxis. Es handelte sich um die terminologische Präzisierung, die umweltethischen Argumente hinsichtlich der Biodiversität und die entscheidungsrelevanten Potentiale und Grenzen des ÖSL-Konzeptes.

Diebegrifflichen Grundlagen des ÖSL-Konzepteswurden im ersten dieser drei Themenblöcke behandelt. So wurden die Experten gebeten, eine Definition derÖSL-Begrifflichkeit vorzunehmen, sowie die Voraussetzungen zu benennen, an welche die ÖSL-Erzeugungihrer Einschätzung nachgebunden ist. Außerdem wurden dieInterviewpartnerin diesem Abschnitt zu den für dieÖSL-Erfassung und-BewertungbenötigtenräumlichenBezügenund denwissenschaftlichenErfordernissen der ÖSL-Klassifikation befragt.Der folgende Themenblock konzentrierte sich auf die Relationen von Biodiversität und ÖSL aus einerumweltethischenPerspektive.Hierbei wur