Okpara - Nicole Gabrys - E-Book

Okpara E-Book

Nicole Gabrys

0,0

Beschreibung

Der junge Amun-Priester Okpara wünscht sich nichts sehnlicher als seine Familie besuchen zu dürfen, aber bevor er seinen Lehrmeister fragen kann, wird er von ihm in den Tod geschickt. Im Ägyptischen Museum in Bonn wird Okparas Seele ausversehen von der arbeitslosen Hobbyautorin Larissa in seinen Körper zurückgeholt. Aus Angst vor der erwachsenen Mumie flieht sie, obwohl er sie braucht. Wenn Larissa schläft, zieht Okpara ihren Geist in die Duat, wo sie auf den wütenden Anubis trifft. Nicht nur der Schakalgott ist hinter ihr her, weil sie in seinen Augen ein Seelendieb ist, sondern auch der Geister-Hohepriester Runihura, der seit vielen Jahren jemanden wie sie gesucht hatte und plant, sie für seine dunklen Ziele zu opfern. Ohne Larissa kann Okpara nicht weiterleben. Er muss sie um jeden Preis beschützen und dabei über seinen Schatten springen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 373

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Das alte Ägypten

Ein Museumsbesuch

Der Traum von der Duat, die ägyptische Unterwelt

Das Labor

Ein Wiedersehen im Diesseits

Zurück in der Unterwelt

Ein Job für Larissa?

Eine unheimliche Begegnung im Labor

Wenn man träumt …

Dunkle Pläne

Ein Traum vom alten Ägypten

Atmung

Doktor Naser der Direktor des Ägyptischen Museum, in Kairo

Attentäter

Das Monster im Spiegel

Die Entführung und der Geister-Pharao

Der Flug nach Ägypten

Gefangen in der Unterwelt

In Ägypten

Einsam träumt sich …

Auf der Fahrt durch Ägypten

Die Höhle des Aton

Okparas dunkle Erinnerungen

Sagira

Wie sich Okpara und Sagira kennengelernt haben

Der Vortrag

Besessenheit

Das Ritual

Göttliche Hilfe

Ein Riss in der Realität

Die Rückkehr

Ein neues Leben

Das Who is Who der Ägyptischen Götterwelt

Charaktere

Danksagung

Über die Autorin

Eine Ägyptologin meinte die Namen, die die Autorin ausgesucht hatte, sind nicht ägyptisch. Leider sind altägyptische Namen schwierig zu merken oder auszusprechen. Die Autorin fand die Namen auf der Online-Seite namen-namensbedeutung.de zwischen den Namen von Pharaonen und ägyptische Götter. Sie hofft, dass sie dem Leser trotzdem gefallen.

Das alte Ägypten

Theben: 1348 vor unserer Zeitrechnung

Die Sonne ging gerade auf, als Okpara in seiner kleinen Zelle erwachte. Er war ein junger Amun-Priester. Sein Kopf ruhte auf seinem Arm. Sein Bett bestand aus einem Rahmen, der mit einem Netz aus elastischen Bändern bespannten war. Es knarrte leise, als er sich streckte. Wegen seiner Größe von fast zwei Metern stieß er mit den Füßen gegen die hellbraune Wand.

Außer dem Schatten eines schmalen Tisches, auf dem seine wenigen Habseligkeiten lagen, befanden sich keine weiteren Möbel in seiner kleinen Kammer.

Wie jeden Morgen lastete die Einsamkeit auf seiner Seele.

Seitdem er im Tempel diente, wuchs die Sehnsucht nach seinen Eltern, die ihn nur selten besuchten, von Tag zu Tag. Doch viel mehr vermisste er seine beste Freundin, Sagira. Sie war wie eine kleine Schwester für ihn und ein gut gehütetes Geheimnis seiner Familie.

Wie gerne würde ich dich wieder in den Arm nehmen, dachte er traurig, und mit deinem Schnurren einschlafen.

Er stellte sich vor, wie er mit seinen Fingern über ihren Rücken strich und seufzte.

Ob sich dein Fell immer noch so anfühlt wie früher?, fragte er sich.

Heute werde ich den Hohepriester bitten, dass ich für ein paar Tage nach Hause gehen darf, beschloss er und setzte sich auf.

Er zog sich seine Sandalen an.

Ich würde doch gerne wissen, wie groß Sagira geworden ist und ob sie mich genauso vermisst wie ich sie, dachte er. Die anderen Priester-Schüler dürfen schließlich auch hin und wieder nach Hause.

Er richtete seinen hellen Rock, der ihm bis zu den Knien reichte und mit einer einfachen Schärpe gehalten wurde.

Wieder drang ein Seufzen über seine Lippen.

Sagira, wir sehen uns bald wieder, dachte er entschlossen.

Mit einem Rasiermesser in der Hand schlug er den braunen Vorhang zur Seite, der seine Zelle vom Gang trennte.

Es war noch alles still im Wohnbereich des großen Tempels. Er liebte diese Zeit, da die meisten noch schliefen.

Im Waschraum hatten die einfachen Tempeldiener schon die Krüge mit frischem Wasser gefüllt. Okpara schüttete davon etwas in eine saubere Schale und nutzte die Oberfläche des Wassers als Spiegel, um sich rasieren zu können.

Immer ist alles zu niedrig für meine Größe, dachte er und blickte kurz in den Gang. Ob ich es wagen sollte, eine spiegelnde Fläche an die Wand zu zaubern? Nein, das gibt nur wieder Ärger.

Kinder der Sonne dürfen keine Magie benutzen, wiederholte er gedanklich die strengen Worte seines Lehrers, während er sich rasierte. Das ist doch nicht gerecht!

Er seufzte und betastete prüfend sein Gesicht.

Ob es der Wahrheit entspricht, dass ich keine Magie benutzen darf?, fragte er sich zweifelnd, als er sich gründlich wusch. Gut, Mutter hatte es auch immer gesagt. Aber warum?

Das Wasser war erfrischend.

Er erinnerte sich, wie so oft, an den aufmerksamen Blick seines Lehrers.

Warum will Hohepriester Runihura alles über meine Mutter wissen?, fragte er sich. Er hatte sofort unser Geheimnis gewittert.

Ein weiterer Seufzer drang tief aus seiner Seele.

Er glaubt immer noch, du seist ein ganz normales Mädchen, Sagira, dachte er lächelnd, und das ist gut so. Er darf niemals erfahren, was du wirklich bist.

Sagira kann eine mächtige Waffe sein, erinnerte er sich an die mahnenden Worte seine Mutter.

Das kann ich mir immer noch nicht vorstellen, dachte er.

Wie jeden Morgen lief er eilig über den Vorplatz, zum Haupttempel, hinter dem der Nil entlang floss. Einige Diener, die das Frühstück vorbereiteten, begrüßten ihn unterwürfig.

Ich muss das Heiligtum fegen, dachte Okpara, bevor die älteren Priester ihre erste Zeremonie des Tages abhalten werden.

Der Wind wehte immer viel feinen Sand durch die hohen Fenster. Den einfachen Dienern war der Zutritt zu diesem Bereich strengstens verboten.

Okpara betrat das riesige Gebäude und ging mit Ehrfurcht durch die große Säulenhalle. Seine Schritte hallten von den hohen Wänden wider. Er fühlte sich immer klein, wenn er an den zahlreichen, glatten Säulen vorbei ging und zur hohen Decke blickte.

Leise öffnete er die schwere Tür und schlüpfte in den Raum. Der Geruch von Weihrauch wehte ihm entgegen.

Es war ihm eine liebgewordene Pflicht, vor der Arbeit zu beten. Vor dem Schrein befreite er einen kleinen Fleck von Sand. Er öffnete die reichverzierten Holztüren und kniete sich vor der Statue seines Sonnengottes hin. Langsam hob er die Arme.

„Oh mein Herr Amun, bitte beschütze meine …“ begann er, wurde aber von einer lauten, schroffen Stimme unterbrochen.

„Okpara, was tust du hier?“, fragte Runihura barsch.

Erschrocken zuckte Okpara zusammen und blickte sich um. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er nicht allein im Heiligtum war.

Hohepriester Runihura trat hinter einem Schrank hervor. Er war schon älter und sehr hager. Sein Rock wurde von einem Gürtel mit vielen Edelsteinen gehalten.

Okpara mochte die schwarzen unergründlichen Augen seines Lehrers nicht. Er hatte immer das schreckliche Gefühl, von ihnen aufgesogen zu werden.

„Beten, Hohepriester Runihura“, erwiderte Okpara demütig und verwundert zugleich. Er verbeugte sich hastig vor seinem Lehrer. „In diesen Tagen sollte man die Götter um Schutz bitten. Echnatons Reformation ist furchtbar. Jeden Tag müssen Menschen sterben.“

Nicht in seine Augen sehen!, mahnte er sich mit gesenktem Kopf.

„Beten!“, sagte Runihura verächtlich. Sein stechender Blick wollte Okpara tief in die Seele brennen. „So ein Unsinn!“

Unsinn? Seit wann ist Beten für einen Priester Unsinn?, wunderte sich Okpara. Echnaton lässt uns Priester gefangen nehmen und aus den Tempeln vertreiben. Beten ist das einzig Richtige!

„Du solltest lieber nach draußen gehen und die Soldaten aufhalten“, sagte Runihura, „damit die Frauen und die Alten fliehen können.“

„Es sind Soldaten auf dem Weg hierher?“, rief Okpara erschrocken.

„Eine Vision offenbarte es mir!“, sagte Runihura.

„Im Tempel gibt es doch kaum noch Menschen“, erwiderte Okpara verwirrt, „außerdem habe ich gar keine Waffe. Wie soll ich alleine einen ganzen Trupp Soldaten aufhalten? Ich bin kein Krieger!“

„Du warst schon immer viel zu intelligent“, meinte Runihura bitter. „Andere hätten sich sofort gefügt und den Besen da genommen, ohne sich zu widersetzen!“

Okpara sah den Hohepriester verständnislos an.

Ich widersetze mich doch gar nicht, dachte er.

„Warum zauberst du nicht einfach?“, fragte Runihura und schnipste mit den Fingern.

„Weil ich ein Kind der Sonne bin und nicht zaubern darf“, leierte Okpara seinen Spruch herunter. „Das habt Ihr mir immer wieder sehr deutlich zu verstehen gegeben.“

Sein Herz begann schneller zu schlagen. Er erinnerte sich an unzählige Schläge und körperliche Misshandlungen.

„Wegen dir sollen wir also alle sterben?“, rief Runihura lauter.

Okpara schüttelte den Kopf.

„Komm her!“, befahl Runihura. „Sieh mir tief in die Augen!“

Okpara musste gehorchen, obwohl sich alles in ihm gegen diesen Befehl sträubte.

Hauptmann Hondo marschierte mit seinen dreißig Soldaten durch die Stadt. Die Scheide seines Kurzschwertes schlug rhythmisch gegen seinen Oberschenkel. Das Geräusch hinterließ ein beruhigendes Gefühl. Seine Männer hingegen hielten nur einen Speer in der Hand.

Die Bewohner, die schon auf den Beinen waren, verschwanden eilig in ihre Häuser.

Es wird kaum Widerstand im Tempel geben, dachte Hauptmann Hondo. Die meisten Priester sind schon geflohen. Feiges Pack!

Zufrieden bemerkte er die Leute, die ihn und seine Männer aus ihren Häusern heraus ängstlich beobachteten.

„Ihr wisst, wir sollen Runihura gefangen nehmen“, sagte er barsch zu seinen Soldaten. „Unserem Pharo sind einige Dinge über diesen Götzenpriester zu Ohren gekommen, die ihm nicht gefallen.“

Okpara blickte auf den Hohepriester herab, da er viel größer als sein Lehrer war.

„Ach, ich vergesse immer, wie groß du geworden bist.“ Runihura seufzte. „Knie gefälligst vor mir!“

„Verzeiht mir, Hohepriester Runihura!“ Okpara kam der Aufforderung sofort nach und senkte demütig den Kopf.

Grob fasste Runihura unter Okparas Kinn und drückte den Kopf des jungen Mannes hoch. „Ansehen, habe ich gesagt!“

Okpara hatte das Gefühl, dass die schwarzen Augen des Hohepriesters zu zwei großen Tunneln wurden, die sich zu einem vereinten. Er spürte Runihuras geistige Finger, die durch seinen Körper und in seine Seele eindrangen.

„Okpara, du tust, was ich dir sage!“, begann Runihura langsam. „Du wirst da raus gehen und …“

Okpara versuchte sich aus dem Bann dieses Blickes zu befreien, doch Runihura hatte einige Jahre Zeit gehabt, seinen Willen zu unterwerfen. Zu brechen!

Nein, ich muss …, dachte Okpara verzweifelt.

Sein Geist verstummte. Sein Körper wurde taub. Es schien nur noch Runihuras Stimme zu existieren.

„Das war ein guter Versuch, Junge“, lobte Runihura lächelnd. „Du wirst stärker, aber du bist noch lange nicht stark genug. Ich bin immer noch dein Herr und Meister.“

Dein Herr und Meister?, echote eine weibliche Stimme erbost durch Okparas erstarrte Gedanken. Was fällt diesem eingebildeten Hohepriester ein? Da habe ich dich endlich gefunden und dann das!

Runihura war zufrieden. Wieder einmal hatte er es geschafft. Der Blick seines Schülers war leer. Das Gesicht ausdrucklos. Er wusste, was er an Okpara hatte.

Nun war der junge Mann ein williges Opfer für seine großen Pläne.

„Du tust, was ich dir sage“, wiederholte er langsam. „Hast du mich verstanden, Okpara?“

„Ja, Hohepriester Runihura“, sagte der junge Mann langsam mit schwerer Zunge. „Ich werde, wie immer, alles für Euch tun.“

„So ist es gut!“ Runihura streichelte vorsichtig über den kahl rasierten Kopf seines Schülers. „Es ist wirklich schade, dass du so früh von uns gehen musst, aber die Umstände verlangen es.“

„Wie Ihr wünscht, Hohepriester“, lallte Okpara.

„Okpara, du nimmst jetzt diesen Dolch …“ Runihura drückte seinem Schüler die Waffe in die ausgestreckte Hand, „und stehst auf! Gehst nach draußen vor das Tor und verteidigst unseren Tempel!“

„Ja, Hohepriester Runihura“, sagte Okpara und kam langsam auf die Füße.

„… und stirbst durch Echnatons Hand!“, fügte Runihura noch mit einem breiten Lächeln hinzu, als sich sein Schüler schon auf dem Weg aus dem Heiligtum befand.

„Ja, Hohepriester Runihura“, sagte Okpara. „Wie Ihr befiehlt.“

Runihuras Worte hallten laut durch Okparas Gedanken. Sein Ich war ausgeschaltet. Er hatte mechanisch seine Finger um die Waffe gelegt und hielt den Dolch entschlossen fest. Es schien Okpara, als wäre er in seinem eigenen Körper gefangen. Er konnte gegen den Willen des Hohepriesters keinen Finger rühren.

Nur eine leise, schwache Stimme kämpfte sich durch die barschen Befehle und schrie: Nein! Bleib stehen! Geh nicht da raus! Es ist dein Tod! Spürst du das Ka, die Lebensenergie, die in der Klinge gespeichert ist?

Wie ein Schlafwandler durchquerte Okpara die große Säulenhalle. Er sah starr geradeaus. Sein Gesicht war immer noch ausdruckslos. Das Gewicht des Dolches bemerkte er kaum. Er öffnete das Tor und trat ins Freie.

Der Wind wehte ihm feine Sandkörner ins Gesicht. Von der Waffe ging ein Kribbeln aus, das seinen Arm hoch kroch.

Okpara nicht! Lauf weg! Das ist dein Tod!

Woher kamen diese Gedanken? Waren es seine? Nein, es war wieder die Stimme dieser Frau. Das Bild eines Skorpions huschte durch seine Gedanken.

Herrin … Selket?, fragte er.

Seine Gedanken waren so langsam.

Ja, Okpara, erwiderte die Stimme. Lauf weg!

Ich … kann … nicht!, dachte Okpara. Bitte, … helft mir, … Herrin Selket!

Runihuras magischer Bann ist zu stark, rief Selket verzweifelt. Was hat er mit dir angestellt?

Schlimme … Dinge, antwortete Okpara traurig.

Erinnerungen an die vielen Schläge flossen auf ihn zu. Eine Träne rann über seine Wange.

Ich … will … nicht … sterben!, dachte er.

Das will niemand, sagte die Göttin. Runihura hatte dich vor mir versteckt. Aber nicht nur er!

Die Sonne stieg höher über den blauen Himmel und vertrieb die Kälte der Nacht. Einzelne Zypressen warfen lange Schatten auf den unebenen Boden. An manchen Stellen kämpfte sich das spärliche, trockene Gras durch den Sand der Wüste. Ein Habicht flog am Himmel seine Kreise.

Die ersten Häuser des kleinen Dorfes waren in einiger Entfernung zu sehen. Die meisten Familien der Priesterschaft wohnten lieber außerhalb der Tempelmauern. Die Soldaten ließen die leeren Straßen hinter sich.

Die ersten kräftigen Strahlen strichen über Okparas nackten Oberkörper, als er vor dem Portal auf der breiten Treppe stehen blieb. Er beobachtete, wie die Soldaten den Hügel hinauf marschierten. Ihre Füße wirbelten Staub auf.

Okpara versuchte sich aus dem hypnotischen Griff des Hohepriesters zu befreien. Dessen Befehle überlagerten immer noch den Großteil seines Geistes.

Die Priester hätten genug Zeit, noch zu verschwinden, überlegte er. Wieso soll ich mich allein den Soldaten stellen? Auch ich könnte mich noch retten! Warum soll ich sterben?

Mein lieber Okpara sei stark, sagte Selket. Auch wenn Amun dein Gott ist. Ein Teil von dir gehört zu mir.

Ihr hört Euch so traurig an, dachte Okpara.

Eine durchsichtige Hand berührte flüchtig seine Wange und wischte eine Träne aus seinem Gesicht.

Runihura hat eine unglaubliche Macht angesammelt, sagte Selket. Ich kann sie nicht durchdringen. Auch Aton hat sein Teil dazu beigetragen und hat uns Götter geschwächt.

Wieder brannten Tränen in Okparas Augen. Seine Beine gehorchten ihm immer noch nicht. Er ging weiter und hätte schreien können, wenn er es gekonnt hätte. Es war, als hätte er einen Krampf in den Stimmbändern.

Ich muss einfach nur den Dolch loslassen!, dachte er. Doch seine Hand reagierte nicht. Ich muss nur die Finger öffnen! Nur die Finger!

Stattdessen lief er steif die Stufen hinunter auf die Soldaten zu.

Nein, nein! Ich muss stehen bleiben!, dachte er panisch. Ich will nicht sterben! Ich will meine Eltern wiedersehen und Sagira. Oh, meine liebe Sagira.

Wieder rollte eine Träne über seine Wange.

Sagira, liebste Freundin, dachte er, ich vermisse dich so sehr. Die Nächte sind so einsam ohne dich.

Ich werde Sagira einen Gruß von dir schicken, erklärte Selket. Und mehr!

Mehr?, fragte Okpara. Was meint Ihr?

Du wirst es wissen, wenn es soweit ist!, erwiderte Selket. Es ist eine Schande, dass man dir das Zaubern verboten hat.

Die Soldaten hielten einige Meter vor Okpara an.

„Wir sind auf Befehl unseres gütigen Pharaos Echnaton hier, um eurem ketzerischen Treiben ein Ende zu setzen“, erklärte der Hauptmann. „Lass sofort die Waffe fallen, Ketzer-Priester! Ich, Hondo, Hauptmann des ägyptischen Heers, befehle es dir!“

Das würde ich ja gerne tun, dachte Okpara verzweifelt, der mittlerweile das Gefühl hatte, dass der Dolch mit seiner Hand verwachsen war.

„Hauptmann Hondo“, rief einer der vorderen Soldaten, „ich glaube, er steht unter irgendeinem fremden Einfluss.“

„Er könnte uns trotzdem angreifen“, warnte Hauptmann Hondo und richtete sein Kurzschwert auf Okparas Brust.

„Wir können ihn leicht überwältigen“, meldete sich der Soldat noch einmal. „Die Gegenwehr besteht nur aus diesem einen Mann!“

Endlich gehorchten Okparas Finger. Er öffnete die Hand. Der Dolch fiel auf den sandigen Boden. Die Klinge leuchtete schwach auf.

Gerne hätte Okpara aufgeatmet – wenn die Soldaten nicht vor ihm gestanden hätten.

Weglaufen macht keinen Sinn mehr!, dachte er. Sie würden mich kriegen! Ich bin verloren!

„Nehmt ihn fest!“, befahl Hauptmann Hondo, „und stellt die Waffe sicher!“

Vier Soldaten schlugen ihm hart ins Gesicht und stießen ihn um. Gerne hätte Okpara seinen Kopf mit den Armen geschützt, doch sie gehorchten ihm nicht. Grob rissen die Soldaten seine Hände auf den Rücken und banden sie mit Stricke zusammen. Seine Schultern schmerzten.

Hauptmann Hondo trat mit einem grimmigen Lächeln vor ihn.

„Das war es dann für dich!“ Hondo schlug mit dem Knauf seines Kurzschwertes gegen den Kopf des jungen Priesters, der sofort das Bewusstsein verlor.

„Hier, Hauptmann Hondo.“ Ein Soldat reichte ihm den Dolch.

Doch der Hauptmann schüttelte verwirrt den Kopf, als er den Dolch berührte.

„Bringt den Verräter zum Pharao!“, hallte eine männliche Stimme aus der Waffe. „Er könnte unserem Pharao sehr sehr wichtig sein!“.

„Packt ihn!“, befahl er. „Wir bringen ihn zu Echnaton!“

Zwei Soldaten griffen Okpara unter die Arme und schleiften ihn vom Tempel weg.

Niemand sah Runihura, der mit einem zufriedenen Lächeln durch den Spalt in der Tür nach draußen spähte.

Alles nimmt seinen vorbestimmten Gang, dachte er. Bald schon werde ich mächtiger sein als der Pharao. Bald bin ich ein Gott!

Er lachte leise und rieb sich freudig die Hände.

Magie ist doch was Feines!, dachte er.

Ich brauche nur noch Okparas starkes Ka und ein Opfer mit einem besonderen Ba, also eine Seele, dachte er.

Okpara stöhnte leise, als er zu sich kam und blinzelte. Das Licht stach in den Augen. In seinem Kopf hämmerte ein stechender Schmerz. Er befand sich in einer großen Halle eines Palastes. Der glatte, hellbraune Boden, auf dem er lag, war kühl. Es roch nach frischen Blumen, die jemand in eine Vase gestellt hatte. Viele Säulen trugen die schwere Decke. An zwei Seiten gab es hohe, schmale Fenster.

Seine Beine und Füße waren voller Sand und Schürfwunden. Die Wunden brannten. Seine linke Gesichtshälfte war stark geschwollen. Es pochte unter seiner Haut. Er konnte das Auge nur einen Spalt öffnen.

In seiner Nähe standen zwei Soldaten.

Er schmeckte Blut und Sand auf der Zunge. Seine Lippen waren geschwollen und aufgesprungen. Ein höllischer Durst quälte ihn.

„Mein Pharao, der Ketzer ist aufgewacht“, meldete einer seiner Wächter.

Warum muss er so laut sprechen?, fragte sich Okpara, als befände der sich in meinem Schädel.

Durch einen Tränenschleier erkannte er Echnaton, der sich von seinem Thron erhob und würdevoll auf ihn zu schritt.

Echnaton trug die typische Kopfbedeckung eines Pharaos, die aus einem quadratischen, Weiß-Blau gestreiftem Tuch bestand. Die Ecken fielen über seine Schultern. Ein künstlicher Bart war unter sein Kinn gebunden, der fast den bunten Kragen aus Edelsteinen berührte.

„Wer bist du, Ketzer?“, fragte Echnaton gebieterisch.

„Okpara, mein Pharao“, antwortete Okpara und quälte sich auf die Knie. „Ich bin ein Amun-Priester.“

Seine Hände waren noch auf seinem Rücken gefesselt. Die Stricke hatten die Haut an seinen Gelenken aufgescheuert. Die Wunden nässten und juckten.

Echnaton schlug ihm ins Gesicht und beugte sich vor.

„Es gibt nur noch einen Gott“, brüllte er Okpara an, „und sein Name ist Aton! Merk dir das, Ketzer!“

„Es ist nicht gut, die Götter zu verleugnen“, erwiderte Okpara stöhnend. „Ihr werdet sie noch erzürnen.“

Echnaton lachte.

„Du betest Götzen an, keine Götter“, erklärte er selbstgefällig. „Unser wahrer Gott ist Aton! Ich bin sein höchster Diener, wie es sich für einen Pharao gehört.“

Kalte Angst griff nach Okparas Herz.

„Hauptmann Hondo, gebt mir den Dolch des Ketzers“, forderte Echnaton und streckte seine Hand aus.

Der Befehlshaber überreichte ihm die Waffe mit einer Verbeugung.

„Das ist eine interessante Waffe.“ Echnaton drehte den Dolch in seinen Händen. „Die Klinge ist aus Himmelsmetall, nicht wahr?“

Okpara nickte und schnappte nach Luft, als er Runihuras Gesicht in den Augen des Pharaos erkannte.

Was hat das zu bedeuten?, fragte er sich. Wie konnte Runihura in die Gedanken des Pharaos eindringen?

Er blickte erschrocken auf die Waffe. Im Metall schimmerte etwas.

Der Dolch ist verflucht!, wurde ihm klar. Es fließt das Ka vieler Menschen durch die Klinge.

Das Licht, das durch die Fenster fiel, blitzte auf der Waffe. Echnatons Gesichtszüge verhärten sich.

„Wofür brauchst du die Waffe?“, fragte er.

„Das ist der Opferdolch vom Runihura, dem Hohepriester von Amun“, erklärte Okpara stockend.

Blut rauschte in seinen Ohren.

„Ist das so?“ Echnaton lächelte. „Warum hattest du ihn? Hast du ihn gestohlen?“

„Nein, ich sollte mit dem Dolch den Tempel verteidigen.“

Neben Runihuras Gesicht glomm nun auch Fanatismus in den Augen des Pharaos auf. Okpara konnte Echnaton nicht länger ins Gesicht sehen und wandte den Kopf ab.

„Du allein?“ Echnaton lachte. „Runihura muss verrückt geworden sein, wenn er glaubt, dass ein einzelner Mann meine Armee aufhalten kann.“

Pflichtbewusst fielen die anwesenden Soldaten in sein Gelächter ein.

„Du weißt, dass du Hochverrat begangen hast, Ketzer, als du dich meinen Soldaten in den Weg gestellt hast“, erklärte Echnaton.

„Wie kann es Hochverrat sein, wenn man den Glauben seines Volkes verteidigt“, rief Okpara verzweifelt.

„Schweig, Götzendiener!“ Ein Soldat war vorgetreten und schlug ihm ins Gesicht.

„Es ist ein Götzendienst, kein Glaube!“, stieß Echnaton wütend hervor. „Ihr Priester habt zu viel Macht an euch gerissen! Nur der Pharao sollte über diese Macht verfügen.“

Macht? Seit wann habe ich Macht?, fragte sich Okpara und senkte den Kopf. Ich versuche, anderen zu helfen.

„Ich habe genug von dir, von euch verdammten Götzenpriestern“, sagte Echnaton gefährlich leise. „Es ist schade um dich, da du noch jung und kräftig bist. Ich verurteile dich hiermit zum Tode.“

Okparas Herz schien sich vor Angst zu überschlagen. Er schloss die Augen.

Echnaton stellte sich hinter Okpara und riss dessen Kopf nach hinten. Die Haut an Okparas Kehle spannte sich.

„Mein Pharao, was tut Ihr?“, rief Hauptmann Hondo erschrocken.

„Das siehst du doch, Hauptmann Hondo“, sagte Echnaton. „Ich werde ihn eigenhändig töten.“

„Aber …“, mehr brachte der Hauptmann nicht hervor.

Okpara schluckte hart.

„Die Schneide ist schön scharf“, flüsterte Echnaton an Okparas Ohr. „Es wird kaum weh tun, versprochen.“

Warum hört er sich jetzt wie Runihura an?, fragte sie Okpara.

Er spürte die Klinge an seinem Hals und schluckte wieder.

„Du lebtest für Amun, einem Götzen, doch sterben wirst du jetzt für den einzig wahren Gott“, rief Echnaton. „Stirb, im Namen Atons!“

Die Klinge drang in Okparas Kehle. Ein Schnitt lief quer über seinen Hals.

Blut floss aus der Wunde.

Echnaton taumelte zurück und ließ den Dolch fallen. Klirrend fiel die Waffe auf den Boden.

„Was habe ich getan?“, fragte Echnaton entsetzt. „Es war … als wäre ich von einem dunklen Geist besessen gewesen.“

Er kniete sich vor Okpara hin. „Es war Runihura, nicht wahr?“

Okpara konnte nicht mehr sprechen, auch nicht mehr atmen. Warmes Blut lief über seine Brust und von innen in seine Lunge. Er hustete, würgte und versuchte, zu nicken.

Ich wollte doch nur nach Hause, dachte er und fiel auf die Seite, Sagira, kleine Schwester, ich werde dich nie wiedersehen.

Er sah, wie sich sein Ka von seinem Körper löste und von der verfluchten Klinge, die nicht weit von ihm entfernt lag, aufgesogen wurde. Das Metall glühte gelb auf.

Sieht das denn keiner?, fragte er sich.

Tränen liefen über sein Gesicht. Er hustete wieder und schmeckte den metallischen Geschmack auf der Zunge. Ein schwaches Rinnsal Blut lief ihm aus dem Mund. Sein Körper begann krampfhaft zu zucken. Er brauchte Sauerstoff und röchelte.

Mutter, Vater, dachte er und blickte zum Pharao hoch. Warum musste ich … ein solches Leben …

Ihm schwanden die Sinne. Okpara ertrank an seinem eigenen Blut, das sich nun auch über den Boden ausbreitete.

Als die Sonne sank, hielt Yanara ihren Eselkarren an einem Seiteneingang des Palastes, vor dem zwei Soldaten Wache hielten, an. Ihr Herz war schwer vor Trauer.

Eine Mutter spürt, wenn ihr Kind stirb, dachte sie und unterdrückte die heißen Tränen, die ihr auf der Seele brannten.

Zwei Diener trugen einen Körper, der in helle Tücher gewickelt war, nach draußen. Vorsichtig legten sie ihre Fracht auf den Karren.

„Ich danke Euch aus der Tiefe meines weinenden Herzens“, sagte Yanara zu den Wächtern, die die beiden Diener passieren ließen. „Es bedeutet mir sehr viel, dass Ihr mir den toten Leib meines Sohnes überlasst.“

Sie schlug den Stoff zurück und sah in Okparas bleiches Gesicht. Sanft strich sie über die kalte Haut. Endlich liefen Tränen über ihre Wangen.

„Hier ist auch der Dolch, den der Hohepriester Runihura zurück haben möchte.“ Der Wächter zog die Waffe unter seinem Überwurf hervor. „Wir stehen immer noch auf seiner Seite, sagt ihm das!“

„Vielen Dank! Ich werde Runihura den Dolch zurück geben.“ Yanara stutzte, als ihre Finger den Griff berührten.

Was ist das für eine Kraft?, fragte sie sich erschrocken. Das ist ja Ka! Bei den Göttern!

Hastig legte sie die Waffe neben den Toten auf die Ladefläche und hoffte, die Männer hätten nichts von ihrem Zögern bemerkt.

„Mögen die Götter über Euch wachen“, sagte sie pflichtbewusst.

„Auch über Euch, Herrin Yanara.“ Der Wächter verneigte sich.

Yanara setzte sich auf den schmalen Sitz und schnalzte mit der Zunge. Der Esel setzte sich in Bewegung.

„Lauf!“ Sie lenkte den Karren auf die Straße und fuhr auf dem schnellsten Weg aus der Stadt.

Donkor entdeckte den Eselkarren in der Dunkelheit zuerst nur als Schemen. Das Rattern der Holzräder war gut zu hören.

„Yanara, was hat denn so lange gedauert?“, fragte er nervös.

Er hatte vor dem Eingang einer Höhle gewartet und half seiner Frau vom Karren herunter zu klettern. Der Esel gab nervöse Geräusche von sich.

Er spürt Sagira, die in der Nähe wartet, dachte er und blickte sich um. Von der Sphinx war nichts zu sehen. Azibo soll sie schließlich nicht zu Gesicht bekommen.

„Es musste doch alles in aller Heimlichkeit geschehen“, erklärte Yanara leise.

Tränen schimmerten in ihren Augen.

„Schnell, wir sollten Okpara sofort herein bringen!“, sagte Donkor. „Azibo und ich haben schon alles für die Mumifizierung vorbereitet.“

„Es gibt eine Planänderung“, sagte Yanara.

„Was?“ Donkor erstarrte und sah sie entgeistert an.

„Mit Runihuras Dolch stimmt etwas nicht“, sagte Yanara „Ich spürte das Ka vieler Menschen.“

Donkor nahm die Waffe in die Hand und keuchte. „Bei Anub, was ist das?“

Tränen liefen über seine Wangen. Er hatte kurz Okparas Gesicht in dem Metall gesehen. „Auch Okparas Ka fließt durch diese Klinge. Wie viele hat Runihura getötet?“

„Viele! Wir müssen Okpara so schnell wie möglich bestatten“, flüsterte Yanara. „Runihura darf diesen Dolch nie wieder in den Händen halten. Wer weiß, was er mit dem Ka plant!“

Donkor und Azibo, sein Gehilfe, holten den Toten von der Ladefläche und trugen ihn in die Höhle. Fackeln beleuchten einen Tisch, auf den sie die Leiche legten.

Azibo entzündete Weihrauch in einer Schale und verbeugte sich vor dem Toten.

„Eltern sollten ihre Kinder nicht zu Grabe tragen“, flüsterte Donkor leise und schlug den Stoff zur Seite. „Warum haben die Götter zugelassen, dass unser Sohn so jung sterben musste?“

„Weil Aton ihre Macht an sich reißt“, sagte Yanara verärgert. „Pharao Echnaton ist mächtig. Sein Vater Amenophis III hatte ihn gut auf diese verdammte Reformation vorbereitet.“

„Ihr hattet einen guten Sohn, Herr Donkor, Herrin Yanara“, sagte Azibo. „Sein Tod ist ein großes Unrecht.“

„Daran ist nur Runihura schuld“, wisperte Yanara.

Langsam entkleidete Donkor seinen toten Sohn. Er wünschte sich weit weg, doch wer würde Okpara bestatten, wenn nicht er, der weit bekannt war für die besten Einbalsamierungen in ganz Ägypten?

Mit einem Tuch reinigte er den toten Körper von dem getrockneten Blut und bestrich den Schnitt am Hals sorgfältig mit Harz.

„Nein Donkor, kein Amulett“, rief Yanara. „Kleb die Wundränder zusammen ohne eines in den Schnitt zu legen!“

„Aber Yanara, das ist nicht üblich“, erwiderte Donkor.

„Leg ihm die rechte Hand auf die Brust!“, sagte Yanara. „Er soll später den Dolch halten.“

„Euer Sohn war doch nur ein einfacher Priester!“, rief Azibo.

„Das weiß ich“, erwiderte Yanara heftig. „Wir haben nur keine andere Wahl!“

„Warum muss ich mein einziges Kind zu Grabe tragen?“ Donkor blickte traurig auf. „Sieh dir nur die vielen kleinen Verletzungen an. Er war uns doch immer ein Freude gewesen.“

„Du weißt, dass es Runihuras Schuld ist, dass Okpara sterben musste, oder?“, fragte Yanara streng und küsste ihren toten Sohn auf die Stirn. „Wir hätten ihm niemals trauen dürfen. Niemals hätten wir Okpara in seine Obhut geben dürfen.“

Donkor seufzte und nickte langsam. „Er war ein Geschenk der Götter“, sagte er und schluchzte. „Es hätte mich damals misstrauisch machen müssen. Warum war ich nur so blind gewesen?“

Wieder rannen Tränen über sein Gesicht.

„Weil wir glaubten, Runihura täte das Richtige“, flüsterte Yanara, „doch um die Gerüchte, dass er Menschen opferte, wissen wir erst seit kurzem. Der Dolch ist der Beweis!“

„Zu spät für unseren Okpara.“ Donkor streichelte den Toten über die Wange. „Mein armer Sohn.“

„Das 71-tägige Einbalsamieren würde zu lange dauern für seine Bestattung, Donkor. Du weißt das!“, sagte Yanara eindringlich. „Wir müssen Zauberei benutzen, um die Mumifizierung zu beschleunigen.“

„Aber Herrin Yanara“, sagte Azibo. „Warum? Das ist nicht üblich!“

„Schweig, Azibo! Der Dolch muss so schnell wie möglich verschwinden!“, erklärte Yanara.

„Ja, Herrin Yanara“, sagte Azibo und verbeugte sich. „Ihr habt Recht!“

Yanara malte einen Kreis mit magischen Zeichen um den Tisch, auf dem Okpara lag. Der Boden war leicht uneben. Um Donkor und seinem Gehilfen nicht bei ihrer Arbeit zu stören, zeichnete sie einen weiteren Kreis in einiger Entfernung.

„Ich hätte ihn gerne noch eine Weile bei mir gewusst“, sagte Donkor und seufzte. „Ich würde mich gerne gebührend von ihm verabschieden, wie es sich für einen Anub-Priester gehört.“

„Das weiß ich, aber es geht nicht anders“, erwiderte Yanara. „Wir werden Zeit zum Trauern haben. Viel Zeit!“

Während sie ihre Beschwörung durchführte, sang Donkor mit Azibo das traditionelle Trauerlied. Sie lobten Okparas gute Eigenschaften und seinen freundlichen Charakter.

„Oh, meine Herrin Selket, höre mich an!“ Yanara hob beide Arme gegen die Höhlendecke. „Beschütze meinen Sohn Okpara! Bring ihn noch ein letztes Mal zu mir zurück! Ich muss mit ihm sprechen!“

Sie wiederholte ihre Bitte mehrere Male.

„Seht da!“, rief Azibo und wich ängstlich zurück.

Im Hintergrund schimmerte es und die durchscheinende Gestalt eines jungen Mannes erschien.

„Mutter?“, rief Okpara überrascht. „Was tust du da?“

Yanara begann zu weinen, als sie den Geist ihres toten Sohnes vor sich sah.

„Mein Junge, ich wollte dich noch einmal sehen“, sagte sie leise und schluchzte. „Es tut mir so unendlich leid. Du warst unser ganzer Stolz. Ein Kind der Sonne. Unser Kind der Sonne.“

Donkor sah Okpara mit Tränen in den Augen an. Er war nicht fähig zu sprechen. Seine Lippen bewegten sich lautlos.

„Okpara, hör mir jetzt gut zu! Es ist ungeheuer wichtig!“, sagte Yanara. „Du musst Wächter dieses Dolches werden. Er darf niemals in Runihuras Hände fallen, hörst du?“

Okpara nickte. „Aber wie soll ich das machen, bin ich denn nicht gestorben?“

Er fasste sich an den Hals.

„Ja, mein Junge, das bist du“, sagte Yanara. „Durch Verrat!“

„Durch Verrat?“, wunderte sich Okpara. „Warum sollte mich jemand verraten? Wer bin ich schon?“

Er blickte zu seinem toten Körper.

„Runihura hat dich benutzt, mein Sohn“, erklärte Yanara. „Warum hast du uns nie etwas gesagt, wenn wir dich besucht hatten?“

„Ich konnte nicht“, antwortete Okpara traurig. „Er drohte, dir, Vater und auch Sagira, etwas anzutun.“

„Sch…, du sollst ihren Namen doch nicht erwähnen“, zischte Yanara. Sie blickte verstohlen zu Azibo hinüber.

„Wo ist Sagira?“, wollte Okpara wissen. „Darf ich sie noch einmal sehen?“

„Nein!“, sagte Yanara streng. Dennoch tat es ihr im Herzen weh, ihm diese Bitte zu verwehren.

Er sah sie traurig an.

Sie begann eine Zauberformel zu murmeln und blickte zum Tisch. „Gib gut acht, mein Sohn!“

Okpara wich zurück, als er bemerkte, wie sein toter Körper langsam austrocknete. Die Haut wurde dunkelgrau.

„Warum tust du das, Mutter?“, fragte er. „Was habe ich dir getan?“

„Du musst so schnell wie möglich bestattet werden“, erklärte Yanara. „Ich habe dich gerufen, um dich auf deine Aufgabe vorzubereiten. Du musst verstehen, wie wichtig es ist. Der Dolch darf niemals in falsche Hände geraten. Du musst sein Wächter sein!“

„Ich verstehe, aber warum so? Ich will kein Sklave von Anub werden!“, sagte Okpara.

„Sagira wird über dich wachen“, flüsterte Yanara.

„Nein, Mutter, tut ihr das bitte nicht an!“, rief Okpara. „Sie war meine beste Freundin. Ich würde niemals mehr von ihr verlangen!“

„Du wirst jetzt alleine ohne Anub in die Duat gehen“, sagte Yanara. „Wir werden uns nie wiedersehen. Iaru, das Binsengefilde, wird für dich auf ewig verschlossen bleiben. Schlaf gut, mein Sohn!“

„Nein! Nicht!“, rief Okpara mit heiserer Stimme und würgte.

Er streckte seine Arme nach seiner Mutter aus, doch sein Körper wurde immer blasser. „Mutter, tu das bitte nicht!“

Seine Stimme verhallte und wurde zu einem sterbenden Echo.

„Seine Stimme ist für immer verstummt“, sagte Yanara traurig.

Anubis, der Gott der Totenriten der Ägypter, erschien. Wie immer stellte er sich am Kopfende des Toten auf. Leise knurrte er, als er merkte, dass bei der Mumifizierung etwas anders gemacht wurde, als es überliefert war. Seine roten Augen begannen zu glühen.

„Was soll das?“, fragte er verärgert.

Azibo zuckte ängstlich zusammen. Verstohlen blickte er zum Gott der Toten und betete leise.

„Verzeiht, Herr Anub!“, sagte Donkor, „wir müssen so handeln.“

„Seht diesen Dolch, Herr Anub!“ Yanara reichte dem Gott die Waffe.

„Ich verstehe!“ Anubis beobachtete den Vorgang schweigend.

Er gab Yanara die Waffe zurück. „So viel Ka. Wer begann diesen Frevel?“

„Der Hohepriester Runihura“, antwortete Yanara und verneigte sich.

Anubis knurrte.

„Es ist so weit“, meldete sich Donkor zu Wort. „Wir können ihn nun mit den Binden umwickeln.“

„Dann tut es!“, sagte Anubis gebieterisch.

Azibo brachte die harzgetränkten Leinenbinden herbei und verbeugte sich vor dem Gott der Toten.

Langsam begannen die beiden Priester mit ihrer Arbeit. Sie priesen dabei wieder Okparas gute Eigenschaften.

Sorgfältig umwickelten sie jeden Finger und jede Zehe einzeln.

„Oh, Anub, sei gnädig“, schloss Donkor, als die erste Schicht fertig war.

Er strich über den toten Körper und schluchzte.

Nur das Gesicht war noch frei. Es glänzte ölig im Schein der Fackeln.

Yanara hängte ein goldenes Ankh um den Hals ihres Sohnes.

Anubis knurrte leise, weil das Ankh, das ägyptische Kreuz, das Symbol des Lebens war.

„Dieses Zeichen soll dich schützen, Okpara“, flüsterte sie. „Oh, Anub, schreite an ihm vorbei, wenn du ihn in der Duat siehst. Bringe ihn niemals zu deinem Herrn Osiris. Okpara wird dir ein treuer Diener sein.“

Sie sah Anubis an und war zufrieden, als der Gott der Totenriten erhaben nickte.

„Herrin Yanara, das kannst du deinem Sohn doch nicht antun“, rief Azibo entsetzt. „Bei unserem Herrn Amun, Priester Donkor, warum willst du deinen Sohn für immer leiden lassen?“

„Er muss diesen Dolch bewachen“, sagte Yanara. „In dieser Klinge hat Runihura sehr viel, zu viel, Ka gespeichert. Ich spüre sie. Die Gerüchte sind alle wahr.“

„Warum hat Hohepriester Runihura das gemacht?“, fragte Azibo erschrocken.

„Da kann ich leider nur raten. Aber durch Okparas Tod wurde diese Energie um ein Vielfaches verstärkt“, erklärte Yanara. „Wer weiß, wofür Runihura diese Macht missbrauchen würde. Er hat viele Menschen mit diesem Dolch getötet.“

„Menschen? Aber unser Gott Amun würde das niemals gut heißen“, sagte Azibo entsetzt. „Wir könnten doch über den Dolch wachen.“

„Azibo, weißt du, wem du vertrauen kannst?“, fragte Yanara. „Nur einem Toten kannst du wirklich vertrauen. Er hat keine andere Wahl und muss der Magie gehorchen!“

„Willst du keine weiteren Schutzamulette verwenden, Priester Donkor?“, fragte Azibo.

Donkor sah ihn traurig an und schüttelte stumm den Kopf.

„Wovor sollten wir ihn denn beschützen?“, wollte Yanara wissen. „Okpara wird ein Wächter sein. Ein Rächender!“

Azibo zuckte wieder zusammen.

Schweigend legte Donkor den Dolch unter die rechte Hand des Toten und begann mit der zweiten Umwicklung. Nun wurden die Beine zusammen gebunden.

Wieder begann Donkor zu singen, um die rituelle Mundöffnung vornehmen zu können. Ohne die es ihrem Glauben nach für Okpara unmöglich war, sich im Totenreich zu bewegen oder zu essen. Er nahm sein rituelles Messer, das Pesesh-Kef und hielt es über Okparas Mund.

„Leb wohl, mein geliebter Sohn“, sagte er und wickelte eine letzte Schicht um den Toten.

Da es keine Totenmaske gab, wurde jetzt auch das Gesicht bedeckt.

Anubis zeigte sich zufrieden und nickte. Er wurde durchscheinend, bis sein Körper vollständig verschwunden war.

Azibo und Donkor legten die Mumie vorsichtig auf ein Tuch und trugen sie nach draußen. Behutsam betteten sie sie auf den Karren.

„Azibo, vergiss, dass du uns heute Nacht geholfen hast, Okpara zu bestatten“, sagte Yanara eindringlich. „Es ist sehr wichtig!“

„Ja, Herrin Yanara. Ich weiß!“ Azibo verbeugte sich. „Mögen die Götter über Euch wachen.“

Er ging eilig in Richtung Stadt.

Yanara wartete, bis sie Azibo nicht mehr sah.

Dann rief sie: „Sagira, komm zu mir!“

„Ja, Herrin!“, erwiderte die Schlangensphinx mit ihrer zischenden Stimme.

Aus dem Schatten eines Felsen löste sich die Gestalt einer jungen Sphinx. Sie war etwas größer als ein ausgewachsener Löwe. Ihr menschliches, totenblasses Gesicht hatte etwas Schlangenhaftes. Die blauen Schuppen auf ihrem Kopf schimmerten im Mondlicht. Das braune Fell an ihrem Körper wirkte stumpf.

„Der Esel wird sich wohl nie an mich gewöhnen. Er war die ganze Zeit nervös“, sagte sie. „Ich hatte schon Angst, er würde einfach weglaufen.“

„Er versteht nicht, dass du ihm niemals etwas tun würdest“, sagte Yanara und stieg zu der Mumie.

„Du musst dich verstecken, wenn uns Fremde begegnen!“, sagte sie der Sphinx streng, die neben dem Karren herlief.

Sagira nickte und weinte leise.

Donkor führte den Esel am Zaumzeug. Das Tier wollte schneller laufen als es für einen Esel normal gewesen wäre.

„Ich habe noch nie davon gehört, dass Sphinxen weinen können“, bemerkte Yanara.

„Herrin, ich habe schon oft geweint“, erwiderte Sagira, „und Ihr wisst das auch. Warum tut Ihr immer noch so, als wenn ich keine Gefühle besäße? Ich habe Okpara so sehr vermisst. Jetzt ist er tot!“

Sie schniefte laut.

„Du bist eine Sphinx, Sagira! “, sagte Yanara streng. „Kein

Mensch!“

„Auch wir trauern. Mein Herz ist schwer“, erwiderte Sagira. „Ich habe meinen besten Freund verloren. Meinen großen Bruder.“

„Unsinn!“, rief Yanara. „Er war dein Herr! So solltest du ihn auch sehen, als deinen Gebieter! Ich hätte diesen Blödsinn von Anfang an unterbinden sollen!“ Ihre Stimme hallte weit über die Ebene. Sie wurde sofort leiser. „Sphinxen haben keine Menschen als Freunde. Ist das klar?“

„Wie Ihr meint, Herrin“, gab Sagira klein bei.

Okpara wird trotzdem immer einen Platz in meinem Herzen haben, dachte sie traurig. Ein Teil von mir ist mit ihm gestorben.

Donkor lenkte den Karren zum Eingang ins Tal der Könige und fuhr in eines der abgeschiedenen Seitentäler.

„Donkor, hier ist eine geeignete Stelle“, sagte Yanara nach einer Weile. „Halt an!“

Sie stieg ab und hob die Arme. „Herrin Selket, öffne mir den Felsen. Mach mir den Weg frei!“

Die Erde unter ihren Füßen begann zu beben. Ein Riss bildete sich vor ihnen im braunen Gestein und weitete sich zu einer Öffnung. Der Esel stellte die Ohren auf und gab ängstliche Laute von sich.

„Ganz ruhig, mein Guter.“ Donkor kraulte das Tier hinter den Ohren. „Dir wird nichts geschehen. Ich passe auf dich auf!“

Schweigend trugen die Eltern ihren toten Sohn in die neu entstandene Höhle und legten ihn auf den Boden.

Sagira folgte ihnen leise.

Hier soll mein armer Bruder für immer ruhen, dachte sie traurig. Ich werde ewig bei ihm bleiben.

Oh ja, kleine Sagira, das wirst du, sagte Selket. Höre mir gut zu! Du musst den Zauber verändern, der auf Okpara liegt.

Sagira lauschte den Worten und nickte.

Ja, das werde ich tun, Herrin Selket, dachte sie. Okpara soll kein Sklave Anubs sein!

Yanara murmelte unterdessen einige Worte, um einen Sarkophag aus Stein um die Mumie herum entstehen zu lassen. Sie legte ein Bündel neben den toten Körper.

„Das ist für dich, Okpara!“, sagte sie und schluchzte laut. „Lebewohl, mein Sohn! Lebewohl!“

Tränen liefen ihr heiß über die Wangen.

„Herrin Selket, wache über unseren Sohn, so wie er über den Dolch wachen wird!“, rief sie.

Leise sprach sie wieder einige Worte. Etwas aus Stein formte sich und löste sich aus dem Boden. Langsam schwebte es in die Höhe und über den Sarg. Es knirschte leise, als der Deckel den Sarkophag verschloss.

„Sagira, leg dich auf den Deckel!“, befahl Yanara streng.

Die Sphinx sprang gehorsam auf den Sarkophag und blickte Yanara erwartungsvoll an.

„Meine Liebe, du warst unserer Familie immer eine treue Dienerin.“ Sie kraulte Sagira im Nacken. „Daher tut es mir leid, aber auch du musst über Okpara wachen. Bleib bei ihm und hilf ihm, wenn er erwachen sollte.“

„Herrin, er wird dann nicht der sein, den ich kannte“, erwiderte Sagira.

„Ich weiß!“, sagte Yanara, „aber er soll den Weg in sein Grab zurück finden, wenn er seine Aufgabe erfüllt hat, um wieder ruhen zu können!“

„Ja, Herrin! Das verstehe ich. Wenigstens diesen Dienst will ich ihm erweisen.“

Der Körper der Sphinx erstarrte. Auf ihrem braunen Fell erschien ein grauer Fleck, der größer wurde. Langsam versteinerte die Sphinx. Zum Schluss blickte Sagira Yanara mit ihren gelben Augen noch einmal an.

„Lebewohl Herrin!“, sagte sie und beobachtete, wie Okparas Eltern sich umdrehten und schweigend, nur ihre Schluchzer waren noch zu hören, die Höhle verließen.

Der Fels schloss sich geräuschlos.

Sagira löste ihre Versteinerung noch einmal auf, als sie sicher war, mit Okparas Mumie alleine zu sein. Sie versuchte den Zauber, der auf Okpara lag, zu verändern. Aufheben konnte sie diesen Fluch nicht.

Hoffentlich ist meine Magie stark genug, dachte die Sphinx unsicher und schluchzte. Mein Bruder soll kein Sklave Anubs sein!

Ein Museumsbesuch

Es war ein heißer Sommertag mit viel, zu viel, Sonnenschein. Kein einziges Wölkchen schwebte am strahlend blauen Himmel. Es war der 21. Juni, der Tag der Sommersonnenwende.

Larissa blickte aus dem Busfenster.

Ich kann es kaum glauben, dass ich diesen Ausflug wirklich mache, dachte sie. Ich musste hart sparen, von Hartz IV kann ich mir das Ticket für Bus und Bahn eigentlich nicht leisten.

Sie stieg gut gelaunt aus dem klimatisierten Bus.

Es ist, als würde ich auf eine Mauer aus Hitze prallen, dachte sie.

Langsam ging sie auf das Gebäude der Universität Bonn zu. Es lag im östlichen Flügel eines alten, kurfürstlichen Schlosses.

Der Eintritt ist zwar günstig, aber für die Fahrt von Duisburg hierher und später zurück habe ich einige Wochen nur trocken Brote gegessen, dachte sie aufgeregt. Gleich werde ich die ägyptische Ausstellung sehen.

Auch die anderen vier Museen, die es hier gab, würde sie besichtigen.

Schon das Gebäude gefiel ihr. Sie bewunderte das bemalte Wappen, das über einem großen Bogenfenster abgebildet war. Es wurde von zwei jungen, spielenden Löwen umrahmt. Hinter ihnen gab es einige Schriftrollen. Manche Verzierungen waren mit Gold bemalt. Unter dem Fenster befand sich die Durchfahrt.

Mit klopfendem Herzen zahlte sie den Eintritt. Ein Schild wies auf eine kleine Sonderausstellung hin.

Hey super, freute sich Larissa, da habe ich doch auch einmal Glück!

An der Tür zur Ausstellung blieb sie stehen und ließ die Atmosphäre auf sich wirken.

In ihrer blühenden Fantasie hatte sie diesem Besuch schon vorher eine magische Note gegeben.

Hoffentlich werde ich nicht enttäuscht, dachte sie aufgeregt und betrat den hellen Raum.

Ihre Schritte hallten leise von den Wänden wider.

Seit zwei Jahren nahm sie an Online-Schreibkursen teil und hatte schon die eine oder andere Kurzgeschichte veröffentlicht, obwohl sie Legasthenkerin war. Dennoch – diese kleinen Erfolge brachten ihr keinen Cent ein.

Hoffentlich finde ich in der Ausstellung Ideen für einen Roman, dachte sie. Diese Epoche gefällt mir sehr. Das alte Ägypten soll die Wiege der Alchemie gewesen sein.

Langsam schlenderte sie an den Vitrinen vorbei. Hinter dem Glas waren viele bunte Gegenstände ausgestellt, die die Ägypter der Antike benutzt hatten. Es gab Tiegel, in denen früher Kosmetika, wie Ruß für den Lidstrich, aufbewahrt worden war. Ein Glasflakon für Duftwässerchen glänzte im Licht eines Deckenstrahlers.

In der Scheibe spiegelte sich Larissas schmales, leicht gerötetes Gesicht.

Sie war keine Schönheit, aber als hässlich empfand sie sich auch nicht.

Nur, warum wollen die Kerle nichts von mir wissen?, fragte sie sich und seufzte. Blöde Frage! Wer will schon eine untergewichtige Arbeitslose zur Freundin haben?

Sie blickte ihrer Spiegelung in die Augen.

Heutzutage wollen die meisten Typen, dass ihre Freundin auch Geld nach Hause bringt, dachte sie und seufzte. So wie Jörg, der nicht arbeiten gehen wollte.

Ich will mir diesen schönen Tag doch nicht vermiesen, ermahnte sie sich im Stillen und verdrängte ihre Einsamkeit für den Moment.

In ihren Gedanken begann sie die vielen Eindrücke schon jetzt zu verarbeiten.

Ob daraus eine gute Geschichte werden kann?, fragte sie sich.

In ihrer hyperaktiven Fantasie wurden die Alltags-Szenen dieser geheimnisvollen ägyptischen Kultur lebendig. Es war, als würde sie durch ein Fenster in die Vergangenheit sehen. Sie konnte nackte Kinder, die im Nil plantschten beobachten und hörte deren helles Lachen.

Die hatten es gut, dachte sie neidisch. Manchmal würde ich gerne in meine eigene Fantasie schlüpfen, um nur dieser unfreundlichen Realität zu entfliehen.

Sie tauchte in eines der Häuser ein, in dem ein Altägypter die Gegenstände benutzte, die sie hier in den Vitrinen sah. Eine Frau schminkte sich. Der Geruch nach gebratenem Fleisch stieg ihr in die Nase. Gerne wäre sie näher heran getreten.

Leider ist sie nicht real, dachte sie traurig.

In Gedanken schwebte durch das Dach, des vorgestellte Haus. Sie sah Palmen, Gärten und Felder. Wie mit einem Hubschrauber flog sie über den Nil und sah die vielen eindrucksvollen Bauwerke, die heute nur noch Ruinen waren. Auch die Pyramiden von Gizeh standen in ihrer majestätischen Pracht vor ihrem Geiste, ihr Marmor glänzte im Sonnenlicht.