Oliver, Zerrissen zwischen den Welten - Sara Oliver - E-Book

Oliver, Zerrissen zwischen den Welten E-Book

Sara Oliver

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Beschreibung

Ve kann es nicht fassen, als ihre Doppelgängerin Nicky an ihrem 18. Geburtstag plötzlich vor ihr steht. Der Zugang zwischen den Welten sollte doch für immer geschlossen bleiben! Aber Nickys Auftauchen hat einen guten Grund: Ihr Vater persönlich hat ihr aufgetragen, das Weltenbuch endgültig zu vernichten. Zusammen machen sich die Mädchen auf den Weg zum Schloss, doch dort erwartet sie eine böse Überraschung ... Stell dir vor: Du bist eine Reisende zwischen den Welten.Du bist hier – doch dein Herz ist in einem anderen Universum. Denn deine große Liebe lebt in einer Parallelwelt, die du nicht mehr betreten darfst.Als er in Gefahr gerät, bist du die Einzige, die ihn retten kann.Doch dafür musst du alles riskieren.Wie weit würdest du für ihn gehen?Ve und ihre Doppelgängerin Nicky erhalten einen eindeutigen Auftrag: Sie sollen das Weltenbuch vernichten. Zusammen reisen die Mädchen zum Schloss, um das Wurmloch zu schließen. Ihre alte Widersacherin Marcella setzt alles daran, genau das zu verhindern. Sie überfällt die beiden Mädchen und bringt das Buch an sich, Nicky wird schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert und Ve bleibt nichts anderes übrig, als in die Parallelwelt zurückzukehren. Sie muss unbedingt verhindern, dass Marcella das Buch für ihre üblen Zwecke missbraucht! Natürlich trifft sie in der anderen Welt auch auf Finn – und macht eine herzzerreißende Entdeckung: Finn und Nicky sind ein Paar! Hin- und hergerissen zwischen Liebe und Eifersucht muss Ve einen Weg finden, den Untergang der beiden Welten zu verhindern – und Finn für immer zu vergessen.

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2017Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Buchverlag Otto Maier GmbH© 2017 Ravensburger BuchverlagText © Sara OliverVermittelt durch die Literaturagentur Arteaga, MünchenUmschlaggestaltung: Geviert, Christian OttoVerwendete Motive von © Skreidzeleu/Shutterstock, © Nastassja Abel/Shutterstock, © Stephen Cullum/Shutterstock und © Raffaela SchütterleAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Buchverlag Otto Maier GmbH, Postfach 1860, D-88188 Ravensburg.ISBN978-3-473-47836-1www.ravensburger.de

Für Marcel, der den Nobelpreisin Physik verdient hat

Ves Skier glitten lautlos durch den glitzernden Schnee. Sie wippte locker in den Knien, wurde schneller und immer schneller. Die kalte, klare Winterluft fühlte sich gut auf ihrem Gesicht an. Über ihr wölbte sich der Himmel, wolkenlos und strahlend blau. Sie spürte dieses unvergleichliche Kitzeln in der Magengegend, als sie über eine Schneekuppe schoss und über eine sanfte Senke flog. Weich setzte sie wieder auf dem Boden auf, vollführte eine schwungvolle Linkskurve und kam auf einer natürlichen Plattform am Hang zum Stehen.

Von hier aus reichte der Blick übers ganze Tal bis zum Ende der Piste. Der Schnee glänzte hell im Sonnenschein. Ve atmete tief ein. Sie spürte, wie die Bergluft in ihre Lunge strömte, wie sie sie ausdehnte und ihren ganzen Körper füllte.

Sie horchte in sich hinein und stellte fest, dass sie glücklich war. Es war keine überschäumende, pulsierende Lebensfreude. Aber eine zarte Zuversicht.

Und das war neu.

Es war der siebzehnte Dezember, ihr Geburtstag. Seit heute war sie achtzehn Jahre alt.

»Fühlst du dich jetzt anders als mit siebzehn?«, hatte Evi sie am Morgen gefragt.

»Natürlich nicht.« Ve hatte gelacht. Aber jetzt merkte sie, dass das nicht stimmte. Etwas hatte sich seit gestern oder vorgestern verändert. Sie fühlte sich freier. Ab sofort war sie volljährig. Allein für sich selbst verantwortlich.

Hinter den Berggipfeln begann sich der Himmel rosa zu verfärben. In einer Stunde würde die Sonne untergehen. Die anderen hatten sich schon nach der letzten Abfahrt auf den Rückweg gemacht, um das Abendessen vorzubereiten, nur Ve war noch einmal mit dem Lift nach oben gefahren. Ein letztes Mal. Weil heute ihr Geburtstag war.

Von hinten schoss ein Skifahrer heran, überholte sie und schlängelte sich durch den Tiefschnee ins Tal. Funkelnd staubte der Schnee von seinen Kufen und zog sich wie ein Schleier hinter ihm her. Ve wollte sich ebenfalls wieder in Bewegung setzen, die anderen warteten bestimmt schon mit dem Essen auf sie. Aber sie fuhr nicht los. Stattdessen nahm sie noch einen tiefen Atemzug.

Es war einfach zu schön hier oben. So sonnig, so still, so einsam.

Der Skiurlaub war Finns Geburtstagsgeschenk an sie. Als er ihr im Herbst vorgeschlagen hatte, ihren achtzehnten Geburtstag beim Skifahren in den Alpen zu verbringen, hatte sie zuerst eine ganze Weile gezögert. Seinetwegen hatte sie gezögert. Es hatte so lange gedauert, bis er akzeptierte, dass ihre Beziehung vorbei war. Dass sie gute Freunde waren, aber nie mehr ein Paar werden würden. Wenn sie mit ihm in den Skiurlaub fuhr, würde sie ihm neue Hoffnungen machen. Auf etwas, das nie geschehen würde.

Am Ende hatte sie eingewilligt, weil er außer ihr noch ein paar andere Freunde eingeladen hatte. Neben Finn und Ve waren noch Finns Bassist Tim und seine Freundin Evi mitgefahren, außerdem seine Schulfreunde Jonas und Simon, und Sharon, die für Finns Musikproduktion als Assistentin arbeitete.

Es war eine gute Truppe, sie verstanden sich super. Tagsüber fuhren sie bei strahlendem Sonnenschein Ski. Abends kochten sie zusammen in der gemütlichen Hütte, spielten Karten oder machten Musik.

Gestern Nacht hatten sie in Ves Geburtstag reingefeiert. Um Mitternacht hatte Finn eine riesige Torte auf den Tisch gestellt – ein Kunstwerk aus Biskuit, Sahne, Früchten und Marzipan, dekoriert mit einer großen 18 aus Zuckerguss. Dazu gab es Champagner. Es war gut, dass Ve nicht mit Finn allein gewesen war. Wenn sie Alkohol trank, wurde sie immer schrecklich sentimental. Vielleicht hätte sie sich am Ende doch dazu hinreißen lassen, ihn zu küssen.

Der Himmel zwischen den Bergkuppen leuchtete inzwischen purpurfarben. Sie musste jetzt wirklich zurück. »Beeil dich«, hatte Finn ihr vorhin zugeraunt. »Du kriegst schließlich noch ein Geschenk von mir.« Noch ein Geschenk. Nachdem er schon den ganzen Urlaub bezahlt hatte.

Um was es sich wohl handelte? Hoffentlich nur um eine Kleinigkeit, dachte Ve.

Die Woche war wie im Flug vergangen. Morgen war ihr letzter Tag in den Bergen. Abends würden sie packen, und übermorgen ginge es dann zurück zum Münchener Flughafen und von dort nach L.A. Sie würde die klare, kalte Bergluft vermissen. Und Finn, würde sie ihn ebenfalls vermissen? Vermutlich. Aber nicht so sehr.

Ve stieß sich mit den Skistöcken ab und glitt in weichen, weiten Bögen den Hang hinunter. Das letzte Stück fuhr sie im Schuss. Der Wind rauschte in ihren Ohren.

Sie hatte fast vergessen, wie herrlich es war, auf Skiern zu stehen. Als sie als Kind in München gelebt hatte, hatten sie und ihre Mutter im Winter fast jedes Wochenende beim Skifahren in den Bergen verbracht. Manchmal war ihr Vater mitgekommen und hatte es sich in einer der Hütten in einem Liegestuhl bequem gemacht. Die Sonnenbrille auf der Nase, ein Buch in der Hand, wartete er, bis seine Frau und seine Tochter wieder von der Piste zurückkamen. Nie hatte er sich überreden lassen, sich selbst mal ein Paar Bretter anzuschnallen. Nicht einmal Langlauf wollte er ausprobieren.

Joachim Wandler und Sport, das passte einfach nicht zusammen. Ve seufzte, während sie nun auf dem Platz vor dem Sessellift zum Stehen kam. Sie fragte sich, was ihr Vater wohl gerade machte. Vor anderthalb Jahren war er spurlos verschwunden und niemand ahnte, was geschehen war. Außer Ve. Sie war sich ziemlich sicher, dass er gemeinsam mit seinem Alter Ego in der anderen Welt untergetaucht war. Aber wo er sich dort versteckte und weshalb, das wusste sie nicht. Vermutlich würde sie es auch nie erfahren.

Wie immer, wenn Ve an die andere Welt dachte, wanderten ihre Gedanken zu Finns Doppelgänger, dem wahren, dem einzig richtigen Finn. Ihrem Finn. Prompt spürte sie das vertraute, heftige Ziehen in der Brust. Ein Phantomschmerz, wie nach einer Operation. Verdammt. Warum konnte sie Finn nicht einfach vergessen? Ihr ging es doch gut in dieser Welt, sie hatte alles, was sie brauchte. Sie musste nach vorn schauen, nicht nach hinten.

Sie schüttelte unwillig den Kopf, dann löste sie die Skibindungen und schulterte die Skier. Und registrierte, dass ihr Magen knurrte. Es war definitiv Zeit fürs Abendessen.

Als Ve durchs Dorf ging, leuchteten bereits die ersten Lichter hinter den Fensterscheiben. Unwillkürlich beschleunigte sie ihre Schritte. Was die anderen wohl gekocht hatten? Sie hatten Ve nicht verraten wollen, was sie für sie planten. Pizza, Lasagne, Gulaschsuppe, Pellkartoffeln. Sie war jetzt so hungrig, dass ihr alles gleichermaßen verlockend erschien.

Hastig verfrachtete sie die Skier in den Verschlag im Hof und schloss die Tür der Skihütte auf. Aus der Küche schlug ihr ein köstlicher Duft nach geschmolzenem Käse entgegen. Ihr Magen knurrte wie ein wildes Tier. In großen Schritten eilte sie auf das Wohnzimmer zu, das am Ende des Ganges lag.

»Ich liebe Käsefondue!«, hörte sie auf einmal eine helle Mädchenstimme rufen.

Ve blieb abrupt stehen. Diese Stimme kannte sie. Aber sie gehörte weder Evi noch Sharon.

Es war ihre eigene Stimme.

Sie fuhr erschrocken zusammen, als die Tür plötzlich aufging. Mit einem großen Sprung ging sie hinter der Garderobe in Deckung, als wäre sie ein Dieb. Vorsichtig linste sie hinter den Mänteln hervor und sah, wie Finn in den Flur trat.

Er bemerkte sie nicht, da er direkt in Richtung Treppe verschwand und nach oben ging, wo die Schlafzimmer lagen. Nach ein paar Minuten kam er mit einem großen, bunten Paket zurück. Das Geburtstagsgeschenk, das er ihr versprochen hatte.

Als er die Tür zum Wohnzimmer aufzog, drang wieder lautes Gelächter zu ihr heraus. Dann schloss sich die Tür hinter ihm.

Worauf wartete sie noch, fragte sich Ve. Warum folgte sie ihm nicht? Ihr Magen knurrte laut und hungrig, dennoch rührte sie sich nicht von der Stelle. Auf einmal hörte sie Finns Stimme. »Happy Birthday to you!«, sang er. »Happy Birthday, liebe Ve.«

Die anderen stimmten ein, schief und laut. Sie sangen für Ve, obwohl sie draußen im Flur stand.

Sie musste wissen, was dort drinnen vor sich ging. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Tür und verließ das Haus wieder. Sie ging zum Fenster, verbarg sich hinter einem der blauen Holzläden und spähte hinein.

Auf dem langen Tisch im Wohnzimmer flackerten Kerzen, darum herum saßen sie alle und sangen. Sharon, Tim und Evi, Simon, Jonas, Finn. Und Ve saß am Kopfende und hörte zu.

Es war natürlich nicht Ve, die mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen ihrem Geburtstagsständchen lauschte. Sondern ihre Doppelgängerin Nicky.

Aber warum sie auf einmal hier war und nicht in ihrer eigenen Welt Geburtstag feierte, darauf hatte Ve keine Antwort.

»Ihr seid echt süß!«, rief Nicky laut, als die anderen ihr Lied beendeten und laut jubelten und klatschten. »Danke schön!«

»Noch mal alles Gute!« Simon umarmte sie, danach fiel ihr Evi um den Hals.

»Happy Birthday.« Sharon küsste sie auf beide Wangen.

»Und damit das in Zukunft noch besser klingt«, jetzt trat Finn vor Nicky und hob das Geschenk hoch, das er gerade eben aus dem Schlafzimmer geholt hatte, »hab ich hier noch eine Kleinigkeit für dich.«

»Das ist aber eine ziemlich große Kleinigkeit!« Nicky nahm das Paket strahlend entgegen. »Wow. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«

»Ich auch nicht«, murmelte Ve vor dem Fenster. Ihre Gedanken überschlugen sich. Was wollte Nicky hier? Natürlich hatte Ve nicht vergessen, dass sie bei ihrem letzten Zusammentreffen vereinbart hatten, dass sie das Wurmloch einmal im Jahr öffnen würden. Und zwar immer in der Nacht vor ihrem Geburtstag. Ben sollte den Teleporter für sie in Betrieb nehmen und eine Stunde lang angeschaltet lassen. In dieser Zeit konnten sie sich über die Grenze zwischen den Welten hinweg Nachrichten zukommen lassen. Aber Ve hatte nicht damit gerechnet, dass Nicky wirklich eine Botschaft schicken würde. Oder dass sie sogar selbst hier aufkreuzen könnte.

Doch nun war sie hier, in Ves Welt, mitten in ihrem Leben. Es musste etwas Schlimmes vorgefallen sein, wenn Nicky sich selbst auf den Weg gemacht hatte. Aber wenn etwas Schlimmes geschehen war, warum saß sie dann da und strahlte und ließ sich feiern?

»Nun mach das Geschenk doch endlich mal auf!«, hörte Ve Evi rufen. »Ich will wissen, was da drin ist.«

»Soll ich echt?« Nickys Blick wanderte von Evi zu Finn. Ihr Lächeln flackerte wie die Kerzen auf dem Tisch.

»Na los doch«, sagte Finn, der Ve den Rücken zugekehrt hatte. Sie fragte sich, ob er bemerkte, dass hier etwas nicht stimmte. Dem anderen Finn fiel der Unterschied zwischen Ve und Nicky immer sofort auf. Aber dieser Finn hatte Ves Doppelgängerin bisher noch nie zu Gesicht bekommen, Ve hatte ihm nur von ihr erzählt.

»Also gut, wenn du meinst.« Vorsichtig löste Nicky das bunte Papier. Darunter kam eine Gitarre zum Vorschein. »Oh, wow!«

Wow, dachte auch Ve. Seit sie Finn kannte, lag er ihr damit in den Ohren, dass sie endlich Gitarrespielen lernen sollte. Offensichtlich war er es leid gewesen, darauf zu warten, dass sie selbst den ersten Schritt machte und sich eine Gitarre kaufte.

»Ich hab sie extra für dich bauen lassen.« Finn stand auf, trat neben Nicky und deutete auf den winzigen Schmetterling, der über das Deckblatt der Gitarre flatterte. Es war das genaue Ebenbild des kleinen Falters, den Ve auf ihre Schulter tätowiert hatte.

»Das ist ja genial«, sagte Nicky.

»Nur für dich«, sagte Finn.

»Du bist echt …« Nicky suchte nach Worten.

»Ab sofort gibt es keine Entschuldigung mehr. Wenn du willst, geb ich dir morgen die erste Stunde. Du wirst sehen, es ist gar nicht so schwer.«

»Meinst du?«, fragte Nicky.

Wie schön sie aussieht, dachte Ve. Nickys schulterlanges blondes Haar glänzte im warmen Kerzenlicht, ihre Haut leuchtete golden, ihre Augen strahlten Finn an. Und Finn strahlte zurück.

Ve spürte, wie sie wütend wurde. Seit Monaten bemühte sie sich verzweifelt darum, Finn auf Abstand zu halten, und nun tauchte Nicky hier auf und machte alles zunichte. Wie sie ihn anhimmelte! Am liebsten hätte Ve kräftig gegen die Scheibe geklopft, aber das ging natürlich nicht. Die anderen durften ja nicht mitbekommen, dass es Ve doppelt gab.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und biss sich auf die Unterlippe. Zum Teufel aber auch!

Drinnen begann Nicky, die Gitarre zu stimmen. Als ob sie es schon hundertmal gemacht hätte.

»Ich hab auch eine kleine Überraschung für dich«, hörte Ve sie sagen.

Dann legte sie los. Und sie zupfte nicht einfach nur ein bisschen an den Saiten, sie spielte richtig gut. Dabei hatte sie bei ihrem letzten Zusammentreffen in der anderen Welt genauso wenig Ahnung vom Gitarre spielen gehabt wie Ve. Sie musste in den letzten Monaten ununterbrochen geübt haben. Ihre Finger glitten über die Saiten, sie verspielte sich kein einziges Mal.

Ve war so verblüfft, dass es eine ganze Weile dauerte, bis sie erkannte, welches Lied ihre Doppelgängerin da spielte. Und nun wurde sie wirklich sauer.

»Jetzt reicht’s«, murmelte sie.

Nicky grinste, als ob sie genau wüsste, dass Ve draußen vor dem Fenster stand und alles beobachtete. Zu allem Überfluss begann sie jetzt auch noch zu singen.

»You can run and you can hide«, sang sie. »But you can‘t escape.«

Ve hatte Nicky noch nie singen gehört. Nun klappte ihr Mund auf und blieb offen stehen. Nickys Stimme war super. Gefühlvoll und gleichzeitig stark und total sicher. Sie sang besser als Ve.

Und das war wirklich gemein.

Nicky war Ve schon in jeder anderen Beziehung total überlegen. Sie war ein Crack in Naturwissenschaften, ein Mathegenie, eine Computerexpertin. Und ganz nebenbei spielte sie super Volleyball. Es war einfach nicht fair, dass sie auch noch diese Wahnsinnsstimme hatte!

Finn drehte Ve jetzt wieder den Rücken zu, aber sie war sich ganz sicher, dass er genauso beeindruckt war wie sie selbst. Und auch die anderen starrten ihre Doppelgängerin voller Bewunderung an.

Begeisterter Applaus brach aus, als Nicky ihr Lied beendete und die Gitarre zur Seite stellte. Dann stand sie auf, trat auf Finn zu und fiel ihm um den Hals. Wieder hatte Ve den Eindruck, dass ihre Doppelgängerin ganz genau wusste, dass Ve draußen in der Dunkelheit stand und alles beobachtete.

»Etwas Schöneres hättest du mir gar nicht schenken können«, hörte Ve sie rufen. »Vielen, vielen Dank.«

Schluss jetzt! Ve hatte endgültig genug. Sie wandte sich ab und stürmte ins Haus. Durch den Flur, die Treppe hoch und nach oben in ihr Zimmer. Sie bemühte sich nicht einmal, leise zu gehen. Sollten die anderen sie doch hören, ihr war alles egal!

Oben kickte sie die Skistiefel von den Füßen, riss sich den Skianzug vom Leib und ließ ihn einfach auf den Boden fallen. In ihrer Unterwäsche schlüpfte sie ins Bett und zog die Knie an den Körper. Am liebsten hätte sie geweint, aber es ging nicht. Ihr ganzes Leben kam ihr mit einem Mal unwirklich vor, so als ob dort unten die einzige und echte Ve säße und sie selbst wäre die Kopie, die nicht in diese Welt gehörte.

Warum war Nicky hier? Was hatte das zu bedeuten?

Der Einzige, der ihr diese Fragen im Moment beantworten konnte, war Ben, überlegte Ve. Er hatte Nicky heute Nacht in Empfang genommen und er musste ihr auch erzählt haben, dass Ve hier war.

Ve sprang auf, kramte ihr Handy aus dem Skianzug und wählte Bens Nummer. Er nahm den Anruf nach dem zweiten Klingeln an.

»Na endlich!«, rief er in den Hörer. »Ich hab die ganze Zeit versucht, dich zu erreichen. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!«

»Nicky ist hier«, sagte Ve.

»Ich weiß«, erwiderte Ben. Dann räusperte er sich verlegen. »Es war doch hoffentlich okay, dass ich ihr gesagt habe, wo du bist? Ich wollte dich vorwarnen, dass sie kommt, aber du gehst ja nicht ans Handy.«

»Was will sie hier?«

Kurze Pause. Ve konnte fast hören, wie es in Bens Kopf ratterte. »Ich … äh … das weiß ich nicht. Sie wollte es dir selbst sagen. Hat sie das nicht getan?«

»Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit ihr zu reden«, sagte Ve. »Als ich vom Skifahren zurückgekommen bin, saß sie hier mit dem Rest der Gruppe zusammen und hat sich feiern lassen.«

»Ist ja heute auch ihr Geburtstag«, meinte Ben.

»Aber deshalb ist sie doch nicht hier«, sagte Ve. »Das kannst du mir doch nicht erzählen.«

»Nee, vermutlich nicht.« Er verstummte erneut. Vom Erdgeschoss drang eine Lachsalve herauf. Ve spürte, wie sich alles in ihr zusammenkrampfte. Irgendetwas stimmte hier nicht.

Der Übergang von einem Universum zum anderen war äußerst schmerzhaft. Und Nicky wusste genauso gut wie Ve, dass sie jedes Mal beide Welten gefährdeten, wenn sie das Wurmloch benutzten. Sie hatte sich bestimmt nicht nur zum Zeitvertreib auf den Weg gemacht.

»Red doch einfach mal mit ihr«, sagte Ben.

»Das würde ich gerne«, erwiderte Ve spitz. »Aber ich komm ja nicht an sie ran. Sie sitzt da unten wie eine Königin in ihrem Hofstaat und lässt sich von meinen Freunden huldigen.«

»Komm schon«, gab Ben zurück. »Sie meint es bestimmt nicht böse. Wir haben uns gestern ein bisschen unterhalten, also, … ich finde sie total nett.«

»Dann ist es ja gut«, zischte Ve und legte grußlos auf.

Danach fühlte sie sich noch schlimmer. Ben studierte seit dem Wintersemester in München, er war extra für Ve nach Winding gefahren, um an ihrem Geburtstag das Wurmloch zu öffnen. Und anstatt sich bei ihm zu bedanken, zickte sie ihn an.

Sie wollte seine Nummer gerade wieder aufrufen, um sich zu entschuldigen, als ihr Blick auf die Tür fiel, die einen Spaltbreit offen stand. Im Schlafzimmer war es dunkel, aber im Treppenhaus brannte Licht. Sie konnte deutlich sehen, dass da jemand stand und sie ansah.

»Nicky?«

Jetzt ging die Tür langsam auf, ihre Doppelgängerin stand auf der Schwelle und blickte in das dunkle Schlafzimmer. »Hast du was dagegen, wenn ich Licht mache?« Bevor Ve antworten konnte, hatte sie auch schon den Lichtschalter gedrückt. Ve kniff geblendet die Augen zu.

»Warum hockst du denn hier oben im Dunkeln?«, fragte Nicky.

»Was soll ich denn sonst machen? Hätte ich mich neben dich setzen sollen?«

»Sorry. Ich wollte das nicht.«

»Was wolltest du nicht?«

»Na, diesen Auftritt. Mit dem Geschenk … und so.«

»Echt? Ich hatte nicht den Eindruck, dass dir die Sache irgendwie unangenehm war. Was sollte denn diese Nummer mit dem Gitarrespielen?«

Nickys Gesicht verfärbte sich. »Das hast du mitbekommen?«

»Natürlich. Ich hab die ganze Zeit draußen vor dem Fenster gestanden.«

Nicky ließ sich auf Ves Bett sinken. »Ich weiß auch nicht, was da in mich gefahren ist. Ich wollte natürlich erst mal mit dir allein reden. Dich vorwarnen und so.«

»Aber?«

»Als ich hier ankam, bin ich direkt Finn in die Arme gerannt.«

»Hat er dich erkannt? Ich meine, hat er gemerkt, dass du Nicky bist?«

Nicky zuckte mit den Schultern. »Ich glaube nicht. Und ich wollte es ihm auch nicht sagen. Ich weiß ja nicht, was du ihm erzählt hast.«

»Er weiß alles«, sagte Ve.

Ihre Doppelgängerin nickte. »Und die anderen? Wissen die auch Bescheid?«

»Natürlich nicht.«

»Dachte ich mir.« Nicky seufzte. »Sorry, dass ich die Gitarre ausgepackt habe. Aber ich wusste einfach nicht, wie ich sonst aus der Nummer rauskommen sollte.«

»Du hast das Ganze doch souverän gelöst«, sagte Ve spitz. »Finn ist jedenfalls hin und weg von dir. Und die anderen auch. Du musst mir nur sagen, wie ich ihnen jetzt erklären soll, dass ich plötzlich doch nicht mehr spielen kann.«

Nicky sah betreten zu Boden. »Keine Ahnung. Vielleicht ist es ja einfacher, wenn du es ebenfalls lernst.«

»Na, das ist ja eine Superidee, vielen Dank für den Tipp.«

»Komm schon, Ve, beruhig dich. Immerhin hab ich nur wegen dir mit dem Spielen angefangen. Als du das letzte Mal bei uns warst, musstest du ja unbedingt zu Finn auf die Bühne steigen und mit ihm singen. Seitdem ist ganz Winding verrückt nach dir.«

»Nach mir?«

»Oder nach mir. Die Leute wissen ja nicht, dass es uns im Doppelpack gibt. Die haben mich ununterbrochen auf den Auftritt angesprochen, es war echt nervig.«

»Und aus lauter Frust hast du Gitarrespielen gelernt.«

Ihre Doppelgängerin nickte. »Mehr oder weniger. Erst hat mir Finn nur Gesangsunterricht gegeben. Aber dann hat er mir auch noch das Spielen beigebracht. Er ist ein super Lehrer. Ich kann ihn nur empfehlen.«

Finn. Der Name bohrte sich wie eine heiße Nadel in Ves Brust. »Wie geht es ihm?«, fragte sie leise.

»Ganz gut.« Nicky zögerte einen Moment lang. »Er vermisst dich immer noch«, sagte sie dann.

Ve nickte. »Ich vermisse ihn auch. Seid ihr jetzt zusammen?«

»Quatsch.«

»Aber ihr tretet zusammen auf?«

»Manchmal.«

»Was ist mit Alina?«, wollte Ve wissen.

»Die hat die Segel gestrichen. Sie ist nach Regensburg gezogen und studiert Musik auf Lehramt.«

»Und warum bist du hier?«

Nicky grinste. »Na endlich. Ich dachte schon, es interessiert dich überhaupt nicht. Ich meine, der Gitarrenunterricht ist natürlich wichtiger, das kann ich verstehen …«

»Jetzt schieß schon los«, unterbrach Ve sie. »Wieso bist du gekommen?«

Nicky atmete tief ein. »Papa hat sich gemeldet.«

»Was?« Ves Stimme gellte durch den Raum, viel zu laut. Erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund. »Wann?«, fügte sie etwas leiser hinzu.

»Vor ein paar Tagen.«

»Das ist ja krass!«

»Und ob. Ich konnte es zuerst gar nicht glauben. Ich dachte, da erlaubt sich jemand einen Scherz. Aber er war es wirklich.«

»Wo steckt er? Oh Mann, jetzt erzähl schon!«

»Er hat mir nicht verraten, wo er ist. Aber dein Vater ist bei ihm, sie sind zusammen untergetaucht.«

»Also doch! Genau wie wir vermutet haben.«

»Sie verstecken sich, damit TRADE sie nicht findet.«

»Und warum haben sie so lange nichts von sich hören lassen?«

»Sie hatten Angst, dass TRADE es mitkriegt, wenn sie mit mir Kontakt aufnehmen.«

»Bist du ganz sicher, dass er es war, mit dem du gesprochen hast? Vielleicht ist das Ganze ja ein Trick von Fischer. Er will dich reinlegen, um doch noch an die Unterlagen zu kommen.«

»Na, hör mal!«, sagte Nicky. »Ich erkenn ja wohl die Stimme von meinem Vater. Außerdem hab ich ihn auch gesehen.«

»Ihr habt euch getroffen?«

»Wir haben geskypt. So was kann man ja wohl nicht faken.«

»Und? Was hat er gesagt? Mann, Nicky, nun lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.«

»Also, im Grunde ist alles genau so, wie wir es uns gedacht haben. Papa hat das Wurmloch damals mehr oder weniger auf eigene Faust gebaut. TRADE wusste gar nicht, womit er sich in seiner Freizeit beschäftigt.«

»Er hat ihnen also von Anfang an misstraut.«

»Es war eher so, dass er sich selbst nicht getraut hat. Er hat die Sache verschwiegen, weil er sich nicht lächerlich machen wollte. Deshalb hat er den Teleporter auch unten im Schloss gebaut und nicht im Labor.«

»Aber dann hat es doch funktioniert.«

»Genau. Nachdem er den MTP in Betrieb genommen hatte, schaffte er es ziemlich schnell, Kontakt mit deinem Dad aufzunehmen. Am Anfang haben sie nur Gegenstände und Nachrichten hin und her geschickt. Aber sie wussten nun, dass sie tatsächlich ein Wurmloch geschaffen hatten.«

»Und da hat dein Vater mit TRADE gesprochen und ihnen alles erzählt.«

»Nicht ganz. Er hat sich zuerst nur Uwe Fischer anvertraut.«

Ve musste an die Mail denken, die sie gefunden hatte, als sie mit Marcella ins TRADE-Labor eingebrochen war. Uwe Fischer, der damals schon ein hohes Tier im TRADE-Vorstand gewesen war, hatte sofort erkannt, was für ein unglaubliches wirtschaftliches Potenzial die Entdeckung seines Freundes hatte. Der Zugang zu einem anderen Universum eröffnete TRADE unerschöpfliche Rohstoffquellen.

»Fischer will aus unserer Welt ein riesiges Ersatzteillager machen, in dem sein Universum sich kostenlos bedienen kann. Er will uns ausbeuten, ohne Rücksicht auf Verluste.« Ves Stimme bebte vor Entrüstung.

Nicky seufzte. »Papa war entsetzt, als er begriff, was sein Freund da vorhatte. Und natürlich war er überhaupt nicht damit einverstanden.«

»Aber als ihm das klar wurde, war es zu spät«, sagte Ve.

»Genau. Fischer wusste Bescheid und Papa ahnte, dass er nicht mehr lockerlassen würde. Daraufhin hat er mit deinem Dad Kontakt aufgenommen und ihn um Rat gefragt. Und der ist sofort in den Teleporter gestiegen und zu ihm gereist.«

»Das ist typisch«, sagte Ve. »Wahrscheinlich hat er nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, wie riskant die Aktion war. Ich meine, er konnte doch gar nicht wissen, ob er den Trip in dem MTP überhaupt überlebt.« Sie schüttelte missbilligend den Kopf. »Warum hat er mir keine Nachricht hinterlassen, bevor er abgereist ist?«, fragte sie dann. »Er wusste ganz genau, dass ich auf dem Weg nach Winding war.«

»Keine Ahnung.« Nicky kratzte sich hinter dem Ohr. »Vermutlich hat er es in der Aufregung vergessen.«

»So was vergisst man doch nicht. Ich bin schließlich seine Tochter!«

»Wahrscheinlich hatte er nicht vor, so lange in unserer Welt zu bleiben. Er wollte mal kurz nach dem Rechten sehen und dann wieder zurückkehren.«

»Das war vor anderthalb Jahren.«

Nicky sah sie nachdenklich an. »So kann man sich täuschen.«

»Ich finde, er hätte wenigstens mal ein Lebenszeichen schicken können.«

»Und wenn es TRADE in die Hände gefallen wäre?«, fragte Nicky. »Das Risiko war zu hoch, das konnte er nicht tun.«

»Hat er denn mitbekommen, was in der Zwischenzeit alles geschehen ist?«, fragte Ve. »Ich meine, dass ich in eurer Welt war und deine Mum jetzt bei uns ist? Und die Sache mit Marcella und Alice?«

»Nee, aber ich hab ihm alles erzählt. Soweit das in der kurzen Zeit möglich war. Das Gespräch ging nicht besonders lang. Wir haben zuerst ein paar Minuten miteinander telefoniert und dann geskypt. Aber Papa war ziemlich nervös.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Ve rieb sich die Schläfen. »Mannomann, was für eine Geschichte. Was ist mit meinem Dad, hast du mit dem auch gesprochen?«

»Leider nicht. Wir haben uns nicht besonders lang unterhalten, wie schon gesagt. Die meiste Zeit hab eigentlich ich erzählt, was bei uns passiert ist.«

»Warum hat er sich ausgerechnet jetzt gemeldet, hat er das gesagt?«, fragte Ve. »Das Risiko, dass TRADE ihm auf die Schliche kommt und ihn findet, besteht schließlich immer noch.«

Nicky zögerte einen Moment lang. Ihre Augen glitten durch den Raum, als wollte sie sichergehen, dass sie niemand belauschte. »Er will, dass ich das Buch zerstöre.«

»Die Magnetweltmärchen?«, hakte Ve nach. »Aber das ist sein Lebenswerk. Oder vielmehr – das von meinem Dad.«

»Na und? Das Buch ist gefährlich. Da steht doch alles drin. Wenn die Aufzeichnungen TRADE in die Hände fallen, wird eine Welt zerstört – entweder eure oder unsere, je nachdem, wer die Unterlagen findet. Sie müssen vernichtet werden und dann müssen wir das Wurmloch für immer verschließen.»

»So weit waren wir schon mal«, sagte Ve.

»Aber wir sind den letzten Schritt nicht gegangen. Wir haben das Buch aufbewahrt und den Teleporter nicht zerstört.«

»Jetzt noch mal ganz langsam und zum Mitschreiben.« Ve hob beide Hände. »Dein Vater hat dich also angerufen, danach habt ihr miteinander geskypt. Du hast keine Ahnung, wo er sich versteckt, aber nachdem du ihm erzählt hast, was seit seinem Verschwinden alles passiert ist, wollte er, dass du hierherkommst und die Forschungsergebnisse von meinem Vater vernichtest.«

»Genau.«

»Warum schickt er dich?«, fragte Ve. »Er hätte doch auch selbst reisen können.«

»Hätte er. Aber so ist es einfacher.«

»Für ihn auf jeden Fall.« Ve kratzte sich hinter den Ohren. »Was ist mit seinen eigenen Unterlagen? Wo sind die?«

»Keine Ahnung«, sagte Nicky. »Ich hab ihn nicht danach gefragt. Aber ich geh mal davon aus, dass er die bereits vernichtet hat.«

Ve runzelte die Stirn.

»Was?« Nickys Stimme klang plötzlich gereizt. Jetzt sprang sie vom Bett und begann im Zimmer auf- und abzulaufen. »Glaubst du etwa, mein Vater lügt mich an?«

»Das weiß ich nicht. Ich kenn ihn ja überhaupt nicht.«

»Aber ich. Und ich würde meine Hand für ihn ins Feuer legen.«

»Na schön«, sagte Ve. »Du hättest gar nicht hierherkommen müssen. Das Buch ist in Winding, Ben hat es dort versteckt.«

»Das wusste ich nicht.«

»Warum hast du nicht angerufen, bevor du losgefahren bist?«

Nicky zögerte. »Ich wollte dich sehen. Und meine Mutter natürlich auch. Es ist ihre letzte Chance zurückzukommen. Wenn wir das Wurmloch schließen, ist alles vorbei.«

Wenn wir das Wurmloch schließen, ist alles vorbei. Die Worte hallten durch Ves Kopf. Wenn sie den Teleporter abschalteten, wäre der Weg ins andere Universum auch für sie für immer verschlossen. Sie würde Finn niemals wiedersehen.

Nicht daran denken. Finn war Vergangenheit, sie musste nach vorn schauen.

»Was ist mit meinem Vater?«, fiel ihr plötzlich ein. »Will er nicht wieder zurückkommen? Es ist auch für ihn die letzte Chance.«

Nicky schüttelte den Kopf. »Sie arbeiten jetzt zusammen, mein Vater und deiner. Es klappt wohl super, das wollen sie nicht aufgeben.«

»Woran arbeiten sie denn?«, rief Ve. »An einem neuen Wurmloch? Oder an einer anderen genialen Erfindung, mit der sie die Welt zerstören können?«

»Ich weiß nicht, womit sie sich beschäftigen. Wir hatten so wenig Zeit, wir haben nur das Allernötigste besprochen.«

»Ich werde Dad also nie mehr wiedersehen?«, fragte Ve leise. »Ich kann mich nicht mal von ihm verabschieden?«

Ves Beziehung zu ihrem Vater war nie besonders eng gewesen. In den letzten Jahren war sie mit ihrer Mutter ständig umgezogen, von Athen nach Sydney nach Kapstadt nach Los Angeles. Ihren Dad hatte sie nur in den Sommerferien besucht und auch dann hatte er sich meist in seiner Arbeit vergraben, während Ve die Tage gezählt hatte, bis sie wieder zurück nach Hause fuhr. Sie hatten die Chance verpasst, sich richtig kennenzulernen, und jetzt war es zu spät dafür.

»Wie geht es denn eigentlich Mama?«, wechselte Nicky das Thema. »Und deiner Mum? Ist alles okay mit ihnen?«

»Alles gut«, antwortete Ve. »Die OP ist super gelaufen, die Ärzte konnten es nicht fassen, wie gut Mums Körper die fremde Niere angenommen hat.«

»War ja auch keine fremde Niere«, sagte Nicky, »sondern ihre eigene.«

»Das konnten wir ihnen aber nicht sagen.«

»Schon klar. Und jetzt? Wo ist Mama jetzt?«

»Meine Mum hat ein Haus in Kalifornien gekauft. Am Meer, mitten im Nichts. Da wohnen sie jetzt beide. Und ich auch.«

»Bist du fertig mit der Schule?«

»Seit letztem Jahr. Aber seitdem häng ich irgendwie in den Seilen. Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll.« Ve zog eine Grimasse. »Immerhin hab ich letztens den Führerschein gemacht.«

»Das ist doch schon mal was.«

»Und du?«, fragte Ve. »Wohnst du noch in Winding?«

»Ich studiere in München.«

»Physik oder Mathe?«

Nicky lachte. »Beides.«

»Wow. Unsere Väter sind bestimmt stolz auf dich. So eine Tochter hat sich mein Dad immer gewünscht.«

Nicky ging nicht darauf ein. »Ich muss Mama anrufen«, sagte sie. »Sie muss den nächsten Flug nach München nehmen.«

Nicky schien selbstverständlich davon auszugehen, dass Coco mit ihr zurückreisen würde. Ve war sich da nicht so sicher. Die Karla aus der anderen Welt, die sich hier Coco nannte, hatte sich in Kalifornien ein neues Leben aufgebaut. Sie verstand sich hervorragend mit Ves Mutter, sie fühlte sich wohl in dem kleinen, baufälligen Haus, das sie zusammen renovierten, und mit den neuen Freunden, die sie in Santa Maria gefunden hatten. Coco war in diesem Universum glücklicher, als sie es in ihrer eigenen Welt jemals gewesen war. Sie hatte aufgehört zu trinken und bereits zehn Kilo abgenommen.

»Du bist jetzt also mit diesem Finn zusammen«, wechselte Nicky das Thema.

»Spinnst du? Wie kommst du denn darauf?«

»Na hör mal. Du fliegst um die halbe Welt, um mit ihm Ski zu fahren. Und er lässt extra eine Gitarre für dich bauen. Das ist ja wohl der Hammer!«

»Na und? Wir sind Freunde. Nicht mehr.«

»Finn hätte bestimmt gerne mehr.«

Ve ließ sich nach hinten aufs Bett fallen, um Nickys forschendem Blick auszuweichen. Natürlich hätte Finn gerne mehr. Aber er würde es nicht bekommen, weil Ve seinen Doppelgänger nicht vergessen konnte.

Ein Klopfen an der Tür ließ sie wieder nach oben schnellen.

»Wenn man vom Teufel spricht«, murmelte sie. »Das ist er bestimmt.«

»Und jetzt?« Nicky blickte sich nervös um. Das Zimmer war winzig, es gab kein Versteck.

»Stell dich hinter die Tür«, zischte Ve, während sie aufstand.

»Finn?«, rief sie laut.

»Alles okay bei dir?«, drang seine besorgte Stimme zu ihnen rein.

»Alles klar. Ich wollte gerade wieder runterkommen. Hab nur schnell geduscht.«

»Okay. Wir sind nämlich alle total hungrig.«

»Habt ihr noch nicht mit dem Essen angefangen? Oh Mann, ich wusste nicht, dass ihr auf mich wartet!«

»Na hör mal, was denkst du denn! Wir essen doch nicht ohne dich. Ist doch heute dein Geburtstag.«

»Sorry! Geh schon mal vor, ich muss mich nur noch anziehen.«

Sie wühlte in ihrem Koffer nach einer Jeans und einem Oberteil. Während sie sich anzog, wartete sie darauf, dass sich seine Schritte wieder entfernten, aber im Flur war alles still. Na gut, dann würden sie eben zusammen nach unten gehen. Ve fuhr sich hastig durch ihren kinnlangen Bob und zog die Tür auf. Finn lehnte an der Wand und musterte sie nachdenklich.

»Jetzt aber schnell«, sagte Ve. »Ich hab einen Bärenhunger.«

»Und was ist mit Nicky?«, fragte Finn. »Will sie nichts essen?«

Ve zögerte einen winzigen Moment lang, dann gab sie das Versteckspiel auf. Es hatte keinen Sinn, sie sah Finn an, dass er Bescheid wusste. Außerdem hätten sie ihn früher oder später ohnehin einweihen müssen. Sie zog eine Grimasse und seufzte. »Komm rein.«

»Hi, Finn.« Nicky kam hinter der Tür hervor, als Finn das Zimmer betrat.

Sein Blick wanderte zwischen ihr und Ve hin und her. »Wow«, murmelte er. »Das ist echt der Wahnsinn. Ihr seht euch unglaublich ähnlich.«

»Aber offenbar nicht ähnlich genug, um dich zu täuschen«, sagte Ve. »Woran hast du es gemerkt?«

Er lächelte. »Keine Ahnung. Erst mal hab ich mich gewundert, wo deine Skiklamotten geblieben sind. Du hattest ja eigentlich gar keine Zeit, dich umzuziehen. Und dann …«, er schüttelte den Kopf, »ich weiß nicht. Ihr seid euch wie aus dem Gesicht geschnitten, aber ihr seid trotzdem auch vollkommen unterschiedlich.«

»Findest du?« Nicky runzelte die Stirn. »Als Ve das letzte Mal bei uns war, ist nicht mal meiner Mutter der Unterschied aufgefallen. Alle haben uns miteinander verwechselt.«

Außer dem anderen Finn, dachte Ve, aber sie sprach den Gedanken nicht aus, weil sie genau wusste, wie eifersüchtig dieser Finn auf seinen Doppelgänger war.

»Na ja, vielleicht hätte ich es auch geschluckt, wenn ich vorher nicht gewusst hätte, dass es dich gibt. Ich meine, man rechnet ja nicht damit, dass plötzlich ein Zwilling aus einer Parallelwelt auftaucht.« Wieder glitten seine Augen zwischen den beiden Mädchen hin und her. »Meine letzten Zweifel waren weg, als du Gitarre gespielt hast.«

»Wieso?«, fragte Ve beleidigt. »Traust du mir das nicht zu? Ich hätte mir das Gitarrespielen doch genauso gut beibringen können wie Nicky.«

Finn lachte, als wäre die Vorstellung vollkommen absurd. »Du spielst echt gut«, sagte er zu Nicky, ohne auf Ves Bemerkung einzugehen.

Dieser bewundernde Blick, mit dem er sie dabei musterte. Jetzt erst wurde Ve bewusst, wie sehr sich ihre Doppelgängerin seit ihrem letzten Treffen verändert hatte. Früher hatte Nicky sich immer total nachlässig angezogen – schlabbrige Pullis und verbeulte Jeans. Heute trug sie eine eng geschnittene blaue Bluse, die ihre Augen wunderbar zum Leuchten brachte. Und ihre dunklen Jeans betonten ihre langen, schlanken Beine.

Die Jeans, die Ve gerade aus ihrem Koffer gezogen hatte, waren dagegen ziemlich dreckig und ihr Sweatshirt war ausgeleiert. Nickys Haare waren frisch gewaschen, Ve hatte ihre nicht einmal richtig gekämmt. Sie ahnte plötzlich, wie Nicky sich die letzten Male immer gefühlt hatte. Unterlegen. Genau wie Ve jetzt.

»Lass uns runtergehen. Ich bin echt superhungrig«, sagte sie unbehaglich.

»Und du?« Finn sah immer noch Nicky an.

Sie schnupperte. »Das riecht echt lecker. Vielleicht könnt ihr mir ja irgendwie einen Teller raufschmuggeln.«

»Das mach ich«, versprach Finn, bevor Ve etwas entgegnen konnte.

»Am liebsten würde ich euch begleiten«, sagte Finn, als sie am nächsten Morgen frühstückten. Der Rest der Gruppe war schon auf der Piste, nur Finn, Ve und Nicky waren in der Hütte geblieben.

Ve und Nicky hatten vor dem Schlafengehen beschlossen, dass sie an diesem Morgen nach Winding fahren wollten. Sie würden zwei getrennte Busse zum Bahnhof nehmen und sich im Zug in verschiedene Abteile setzen. Ve mit Sonnenbrille, Nicky mit Mütze auf dem Kopf. Sicher war sicher.

»Dann komm doch einfach mit«, schlug Nicky vor.

»Nee, das ist keine gute Idee«, fand Ve. »Viel zu auffällig. Dich kennt doch jeder.«

»Ich kann leider auch gar nicht«, gab Finn zu. »Ich muss morgen wieder in München sein. Studioaufnahmen.« Er verzog das Gesicht.

»Finn ist nämlich ein Megastar in Deutschland«, sagte Ve. »Germany‘s New Popstar, um genau zu sein.« Es war gemein von ihr, das anzusprechen. Sie wusste ganz genau, dass Finn darunter litt, dass ihm dieser bescheuerte Titel anhing. Vor zwei Jahren hatte er eine Fernseh-Castingshow gewonnen und einen Plattenvertrag bekommen, seitdem war er ein Popstar. Aber er konnte nicht mehr selbst bestimmen, welche Musik er machen wollte. Sein Manager organisierte die Termine für ihn, seine Plattenfirma suchte die Stücke für die CD aus und alle machten Druck, sobald Finn einmal nicht strikt nach ihrer Pfeife tanzte.

»Ich würd gerne mal hören, was du so machst«, sagte Nicky. »Dein Doppelgänger ist auch Musiker und seine Sachen find ich total cool.«

»Meine Sachen waren auch mal cool«, erwiderte Finn düster. »Früher. Aber lassen wir das …«

»Genau«, sagte Ve. »Das Jammern nützt ja nichts. Solange du denen nicht die Meinung sagst, wird sich nie was ändern.«

Finns Brauen zogen sich zusammen, er wollte etwas entgegnen, aber Nicky war schneller. »Ich kann mir vorstellen, dass es ganz schön schwierig ist, sich selbst treu zu bleiben, wenn man so bekannt ist wie du. Aber ich will deine Stücke trotzdem hören.«

»Kannst du«, sagte Ve. »Ich hab alle Songs auf meinem Handy. Aber jetzt sollten wir uns lieber überlegen, wie wir weitermachen.«

»Hast du Ben geschrieben? Kommt er uns am Bahnhof abholen?«, fragte Nicky.

Ve nickte. »Er kommt. Wir müssen verdammt vorsichtig sein, damit uns niemand zusammen sieht.«

»Was ist mit Coco?«, fragte Finn. »Habt ihr ihr schon Bescheid gesagt, dass Nicky hier ist?«

»Ich hab gestern Nacht mit ihr telefoniert«, sagte Nicky. »Sie war vollkommen fertig, als sie meine Stimme hörte.«

»Und? Was hat sie vor?«

»Sie kommt nach Deutschland. Sie versucht, heute noch einen Flug zu kriegen.«

»Wie lange habt ihr euch nicht mehr gesehen?«, fragte Finn.

»Seit April.«

»Da habt ihr euch eine Menge zu erzählen. Und jetzt ist ja auch dein Vater wieder aufgetaucht …«

Nicky lachte. »Ich glaub nicht, dass sie das vom Hocker reißt. Ihre Ehe war so was von kaputt.«

Ve runzelte die Stirn. »Meine Mum wird Coco echt vermissen. Die beiden verstehen sich nämlich super.«

»Komisch, oder?«, bemerkte Nicky.

»Was ist daran komisch?«, fragte Finn. »Sie sind doch ein und dieselbe Person.«

»Wir sind auch ein und dieselbe Person«, sagte Nicky. »Aber wir haben uns am Anfang überhaupt nicht gemocht. Ich hab Ve gehasst, als sie in meiner Welt aufgetaucht ist. Aber jetzt bin ich super froh, dass wir uns kennengelernt haben.«

»Echt?«, fragte Ve überrascht.

Nicky zuckte mit den Schultern. »Du hast mein Leben total verändert.«

»Ich?« Ve zog erstaunt die Brauen hoch. »Wie das?«

»Ich bin mutiger geworden.« Sie zögerte einen Augenblick, dann öffnete sie die obersten Knöpfe ihrer Bluse, zog einen Ärmel nach unten und enthüllte dabei ihre rechte Schulter. »Guck mal.«

Dort prangte eine Tätowierung. Ein geschwungener Pfeil, der einen mit Blüten verzierten Bogen spannte.

»Das gibt’s ja wohl nicht!«, rief Ve. »Du und ein Tattoo?«

»Ich wollte schon so lange eines«, sagte Nicky. »Aber ich hab mich nie getraut. Ich musste Mamas Unterschrift fälschen, sonst hätten die es nicht gemacht.«

»Sieht gut aus«, sagte Ve.

»Und warum ausgerechnet ein Pfeil?«, fragte Finn.

»Das Symbol für Schütze«, erklärte Nicky. »Unser Sternzeichen.«

»Cool.« Finn starrte fasziniert auf Nickys Schulter.

Ve warf einen Blick auf die Uhr. »Der nächste Bus zum Bahnhof geht in zehn Minuten. Ich geh dann mal besser los.«

»Soll ich den nicht lieber nehmen?«, fragte Nicky. »Dann habt ihr noch ein bisschen Zeit, euch zu verabschieden.«

»Nicht nötig.« Ve winkte ab. »Lange Abschiede sind eh nicht so mein Ding. Außerdem hab ich das Gefühl, ihr habt euch viel mehr zu sagen.«

»Du hättest nicht mitkommen sollen!« Nicky hielt die Hände vor den Mund und wärmte sie mit ihrem Atem. »Für diesen Albtraum hast du deine letzten Tage auf der Piste geopfert.«

Ve schüttelte den Kopf, aber im Grunde ihres Herzens war sie ganz Nickys Meinung. Sie hatten Stunden in einem überfüllten, stickigen Zug gesessen, der kurz vor seiner Ankunft in Miersbach einfach auf freiem Feld stehen geblieben war. »Technische Probleme«, lautete die Durchsage. Dieselben technischen Probleme führten auch dazu, dass die Heizung ausfiel, sodass Ve und Nicky vollkommen durchgefroren an der Endstation ankamen. Ben war nicht da, er hatte am Bahnhof vergeblich auf sie gewartet, und irgendwann war er entnervt nach Winding zurückgefahren. Als Ve ihn anrief, versprach er, sofort zu kommen, aber inzwischen tobte ein kleiner Schneesturm.

Ve und Nicky standen nun schon seit einer halben Stunde auf dem Parkplatz vor dem Bahnhof. Sie waren so durchgefroren, dass es ihnen längst vollkommen egal war, ob man sie zusammen sah oder nicht. Aber bei diesem Wetter ging ohnehin niemand vor die Tür.

»Da kommt ein Wagen.« Ve zeigte auf die Autolichter, die in der Dunkelheit hinter den tanzenden Schneeflocken auftauchten.

Das Auto fuhr genau auf sie zu und kam vor ihnen zum Stehen.

»Taxi?« Ben ließ das Fenster nach unten fahren.

»Sehr witzig«, sagte Ve.

»Sorry, dass es so lang gedauert hat. Steigt schnell ein. Wir müssen zurück, bevor die Straßen vollends dicht sind.«

Im Schloss war alles dunkel. Wie bei Ves erstem Besuch reckte sich der Turm wie ein mahnender Zeigefinger in den dunklen Nachthimmel, darum herum flirrten Schneeflocken. In der Ferne rief warnend ein Käuzchen.

Als Ve die Wagentür öffnete, fegte sie der Schneesturm fast um.

»Nichts wie rein!« Sie musste schreien, damit ihre Stimme nicht im Heulen des Windes unterging.

Drinnen war es zwar windstill, aber leider nicht viel wärmer als im Hof.

»Ich war heute Nachmittag schon hier und wollte die Heizung anmachen«, sagte Ben. »Aber so wie’s aussieht, ist sie kaputt.« Genau wie das Licht in der Vorhalle und der Wasserkocher in der Küche. Während Nicky einen zerbeulten Kochtopf mit Wasser füllte und auf den Herd stellte, um Tee zu kochen, ließ sich Ve auf einen wackeligen Küchenstuhl sinken und schlang frierend die Arme um ihre Schultern.

Wie trostlos hier alles aussah. Die Wände schienen seit ihrem letzten Besuch noch grauer geworden zu sein und unter der Decke hingen lange Spinnweben, obwohl Karla eine Frau aus dem Dorf dafür bezahlte, dass sie alle paar Wochen putzte und nach dem Rechten sah. Offensichtlich war auch schon lange nicht mehr gelüftet worden, es roch modrig und stickig.

Ben ging noch mal zum Auto und holte eine Tüte mit Lebensmitteln aus dem Kofferraum. Frisches Brot, Aufschnitt, Käse, Saft, eine Flasche Wein. Er hatte sogar an eine Kerze gedacht.

»Ihr habt doch bestimmt Hunger«, sagte er, als er Ve die Sachen an der Haustür überreichte.

»Kommst du nicht mehr mit rein?«

»Nee, ich muss … äh … heim. Ist doch okay für euch, oder?»

»Klar.« In Anbetracht der Eiseskälte konnte sie gut verstehen, dass er nach Hause wollte.

»Ich komm morgen nach dem Frühstück wieder her. Dann besprechen wir alles Weitere.«

»Super.« Wenn wir dann noch nicht erfroren sind, dachte Ve.

»Wo ist eigentlich das Buch?«, fragte Nicky. »Hier im Schloss?«

»Ich hab es sofort wieder ins Bankschließfach gebracht, nachdem ich den MTP am siebzehnten angestellt hatte. Ich hole es morgen.«

»Der hat’s gut«, sagte Nicky neiderfüllt, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. »Bei denen ist es bestimmt schön warm.«

»Lass uns schnell was essen und dann schlafen gehen.« Ve hauchte in die Luft. Ihr Atem ballte sich vor ihrem Mund zu einer Wolke zusammen. »Bevor wir festfrieren.«