Verloren zwischen den Welten - Sara Oliver - E-Book

Verloren zwischen den Welten E-Book

Sara Oliver

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Beschreibung

ZWEI FAST IDENTISCHE WELTEN. ZWEI FAST IDENTISCHE MÄDCHEN. UND DIE FRAGE: KANNST DU DAS SCHICKSAL ÄNDERN, UM DEN TOD EINES GELIEBTEN MENSCHEN ZU VERHINDERN?Weil ihre Mutter dringend eine neue Niere braucht, fasst Ve einen folgenschweren Entschluss: Sie reist erneut in die Parallelwelt, um die Doppelgängerin ihrer Mutter um Hilfe zu bitten. Doch die andere Welt hat sich seit Ves letztem Besuch ziemlich verändert. Finn hat eine neue Freundin! Als er Ve wiedersieht, flammen die alten Gefühle wieder auf. Doch sie beide wissen, dass Ve in ihre eigene Welt zurückkehren muss.

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2017Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH© 2017 Ravensburger Verlag GmbHText © Sara OliverVermittelt durch die Literaturagentur Arteaga, MünchenUmschlaggestaltung: Geviert, Christian OttoVerwendete Motive von © Skreidzeleu/Shutterstock, © Nastassja Abel/Shutterstock, © Stephen Cullum/Shutterstock und © Raffaela SchütterleAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN978-3-473-47811-8www.ravensburger.de

Für Paul, dem ich die Idee für dieses Buch verdanke

Der Kellner guckte schon wieder rüber. Kein Wunder, Ve hielt sich ja auch bereits seit einer halben Ewigkeit an ihrem Chai Latte fest. Und das, obwohl das Café rappelvoll war.

Mist, nun war sie auch noch seinem Blick begegnet.

»Anything else?«, fragte er hoffnungsvoll.

»Thank you.« Sie schüttelte den Kopf und blickte gleichzeitig auf ihr Smartphone. Halb sechs. Finn war seit einer halben Stunde überfällig. Er kam grundsätzlich zu spät, aber so lange hatte er sie noch nie warten lassen.

Ve hatte schon dreimal versucht ihn anzurufen und ihm zwei WhatsApp-Nachrichten geschrieben. Er hatte nicht reagiert.

»Jetzt reicht’s.« Sie hob den Kopf und winkte dem Kellner, um zu zahlen. Aber der war jetzt nicht mehr zu sehen. Plötzlich erschien ihr die Vorstellung unerträglich, auch nur eine Minute länger hier rumzusitzen. Ihr wurde heiß vor Wut. Was bildete Finn sich eigentlich ein? Glaubte er, dass sie nichts Besseres zu tun hatte, als in diesem bescheuerten Café abzuhängen, das doppelt so teuer und doppelt so voll war wie ihr Lieblings-Coffeeshop in ihrem Viertel? Nur weil irgendein bescheuerter Trendscout diesen Laden kürzlich als »den angesagtesten Ort in L.A.« bezeichnet hatte?

Ve kramte eine Fünfdollarnote aus ihrem Portemonnaie und legte sie auf den Tisch. Das würde ja wohl reichen. Als sie aufstand, stürzte sich sofort ein Hipster-Pärchen auf die freien Plätze. »Are you leaving?«

»Yes«, sagte Ve.

»No«, keuchte Finn, der plötzlich neben dem Tisch aufgetaucht war. »Tut mir leid, Ve, ich hab’s echt nicht früher geschafft.« Er ließ sich auf den Stuhl fallen, den die Hipster-Frau zurückgezogen hatte.

»Sorry«, sagte Ve, nicht zu Finn, sondern zu dem Pärchen, das nun wütend wieder abzog, aber die beiden hörten sie gar nicht mehr.

»Setz dich doch«, sagte Finn und winkte dem Kellner. »Ich brauch jetzt erst mal einen Latte.«

»Ich hab eigentlich keine Zeit mehr.« Das war eine glatte Lüge. Sie hatte sich den ganzen Abend für Finn reserviert, sie wusste ja, dass er nur noch zwei Tage in Los Angeles war. Übermorgen flog er wieder zurück nach Deutschland, sie würden sich wochenlang nur noch über Skype sehen, Ve musste schließlich zur Schule und Finn würde in Europa auf Tour gehen.

»Was?« Er sah sie so verletzt an, als hätte sie gerade mit ihm Schluss gemacht.

Wenn seine Augen nur nicht so toll gewesen wären! Ve wurde jedes Mal schwach, wenn er sie anblickte. Tiefblaue Iris, umgeben von einem grünen Ring.

»Ich hab mich total abgestresst, um hierher zu kommen«, rief Finn. »Und jetzt sagst du mir, dass du weg musst?«

»Wir waren um fünf verabredet«, erwiderte Ve. »Und ich war pünktlich. Ganz im Gegensatz zu dir. Ich hab keinen Bock darauf, dass du mich ständig warten lässt.«

»Komm schon! Ständig ist ja wohl übertrieben.« Er massierte sich mit Zeigefinger und Daumen die Nasenwurzel. »Echt, Ve, ich bin im Megastress. Das kannst du dir gar nicht vorstellen, was heute im Studio abgegangen ist.«

Sie unterdrückte ein Seufzen, während sie sich doch wieder an den Tisch setzte. »Was war denn los?«

Er erzählte von seinem Produzenten, der im letzten Moment durchgesetzt hatte, dass doch noch ein neuer Song aufgenommen wurde. Dafür musste ein anderes Stück rausgeschmissen werden. »Escape kommt nicht aufs Album«, sagte Finn. »Stattdessen nehmen wir Eternal Love rein.«

»Was? Escape fliegt raus?«, fragte Ve entgeistert. »Aber das ist dein bestes Stück!«

»Dein bestes Stück«, erinnerte Finn sie. »Die Idee ist schließlich von dir.« Er seufzte und verzog das Gesicht. »Ich find es auch richtig gut. Aber Andy will es eben nicht drin haben.«

»Aber du bist der Sänger. Dein Name steht auf dem Cover. Dich wollen die Leute hören!«, rief Ve so laut, dass sich der halbe Laden nach ihr umdrehte. »Das kann doch nicht wahr sein!«

»Ach, Ve.« Finn lächelte schief. »So langsam müsstest du doch wissen, wie die Sache läuft. Ich bin ein Aushängeschild und sonst gar nichts. Wenn ich nicht mitspiele, suchen die sich eben einen anderen Hampelmann.«

»Aber du bist Germany’s New Popstar! Ganz Deutschland liebt dich.«

»Das ist fast ein Jahr her.« Finn winkte dem Kellner. »Schnee von gestern. Inzwischen gab es schon wieder eine neue Staffel und einen neuen Gewinner. Dass ich im Musikbusiness überhaupt noch eine Rolle spiele, grenzt an ein Wunder.«

»Du spinnst ja wohl. Du bist richtig gut, deshalb spielst du eine Rolle.«

»Danke. Ich hoffe, meine Fans sehen das auch so. Latte macchiato, please.« Die letzten Worte waren an den Kellner gerichtet, der die Bestellung in sein Tablet eintippte und dann Ve ansah.

»One of these for me.« Sie hob ihren leeren Teebecher und schwenkte ihn hin und her.

»Anything to eat?«, fragte der Kellner drohend. Die Schlange der Wartenden an der Bar, die auf einen Sitzplatz lauerten, wurde schließlich immer länger.

Finn bestellte einen Cheesecake, aber Ve wollte nichts. »Sollen wir nicht lieber irgendwo anders was essen?«

»Ich dachte, du hast keine Zeit mehr.«

»Jetzt hab ich doch wieder Zeit«, sagte Ve. »Wir könnten zu diesem Vietnamesen in der Hill Street und später ins Crowd, da legt heute Zurr auf.«

»Wer?«

»Zurr? Kennst du den nicht? Ein DJ. Der DJ. Total angesagt in L.A. Und ich hab ihn noch nie gehört.«

»Aha.« Er kniff sich wieder in die Nasenwurzel. »Ich weiß nicht.«

»Was weißt du nicht?«

»Essen gehen ist okay. Obwohl … vietnamesisch. Mir ist eher nach einem Burger.«

»Meinetwegen.«

»Und das mit dem Club – ich muss morgen verdammt früh raus.«

Sie seufzte. »Langweiler.«

Es war nicht ernst gemeint, aber Finn fand es überhaupt nicht witzig.

»Ich bin nicht zum Spaß in Los Angeles. Ich arbeite den ganzen Tag. Und zwar hart.«

»Und nach der Arbeit solltest du Spaß haben.« Sie lachte, als sie sein finsteres Gesicht sah. »Ist ja schon gut. Dann gehen wir eben morgen ins Crowd. Da ist Zurr zwar nicht mehr da, aber es ist dein letzter Abend …«

Jetzt kam der Kellner mit ihrer Bestellung zurück. Finn nahm seinen Kaffee und den Cheesecake in Empfang, und Ve bekam ihren Chai. Sie nahm einen Schluck und stellte fest, dass er nur lauwarm war und viel zu süß. Sie hatte schon den ersten Chai nicht gemocht, warum zum Teufel hatte sie sich noch eine Tasse von dem Zeug bestellt?

»Das Crowd wird dir gefallen, ist echt cool da.« Ve schob den Becher von sich.

Finn schien ihr gar nicht zuzuhören, er starrte nur mit düsterem Blick auf seinen Cheesecake.

»Stimmt was nicht, Finn?« Eine Kakerlake im Kuchen? Haare in seinem Kaffee? Oder war ihm plötzlich eingefallen, dass er gar keinen Käsekuchen mochte?

»Wegen morgen …«, erwiderte er gedehnt.

»Was?«, fragte sie und wusste im selben Moment, was er ihr sagen wollte. »Du kannst morgen nicht.«

»Ich …« Er schob den Kuchenteller zur Seite. »Es tut mir leid, Ve. Aber Andy und Jo haben einen Pressetermin klargemacht. Eine Frau von Inside L.A. und ein wichtiger Typ von einer Talkshow und noch ein paar Leute. Andy und Jo haben die ganze Zeit versucht, an die ranzukommen, und jetzt haben sie endlich angebissen.«

»Herzlichen Glückwunsch«, sagte Ve. »Ich hoffe, du schmeckst ihnen.«

»Ve.« Er verdrehte die Augen. »Ich hab doch auch keinen Bock auf den Zirkus. Viel lieber würde ich mit dir …«

»Dann tu’s doch einfach«, zischte sie. »Lass dich doch nicht so rumschubsen! Die pfeifen und du kommst angetanzt, so geht das Tag und Nacht. Du hast überhaupt kein eigenes Leben mehr.«

»Also, das ist doch total übertrieben.«

»Ist es das?«, fragte Ve. »Du warst zwei Wochen in L.A. und wir haben uns kaum gesehen. Wenn wir mal verabredet waren, bist du zu spät gekommen und dann musstest du gleich wieder weg. Morgen ist unser letzter Abend, danach sehen wir uns ewig nicht mehr. Aber du verplemperst deine Zeit lieber mit irgendwelchen Scheiß-Interviews, für die sich kein Schwein interessiert.«

»Vielleicht dauert das Ganze ja gar nicht so lange«, sagte Finn. »Warum kommst du nicht einfach gegen sieben oder acht zum Studio und dann sehen wir …«

»Was? Ob du ein halbes Stündchen für mich übrig hast? Nee, danke!«

»Quatsch. Wir gehen essen.«

»Zusammen mit den Journalisten und Andy und Jo und dem Rest des Teams, ja?«

An Finns erstem Abend in L.A. hatte sie sich darauf eingelassen, mit der ganzen Produktionsabteilung auszugehen. Finn hatte sich die ganze Zeit mit der hübschen Assistentin und den Studiomusikern unterhalten, während Ve schweigend neben ihm gesessen und die Minuten gezählt hatte. So etwas würde sie sich nicht noch einmal antun, das stand fest.

»Bitte, Ve. Nun sei doch nicht gleich eingeschnappt.«

»Eingeschnappt?« Sie stand auf und sah aus dem Augenwinkel, wie sich das Hipster-Paar an der Bar sofort wieder in Bewegung setzte. Wie die Geier. »Ich bin nicht eingeschnappt. Nur traurig.«

Als sie zur Tür ging, sprang Finn ebenfalls auf und rannte ihr nach. »Bleib hier, was soll denn das? Benimm dich doch nicht wie ein kleines Kind …«

Den Rest hörte sie nicht mehr, weil sie auf die laute Straße hinaustrat. Heiße Luft schlug ihr ins Gesicht. Das Café war klimatisiert, aber hier draußen war es schwül, viel zu warm für Mitte März.

Finn war jetzt ebenfalls an der Tür, doch der Kellner hielt ihn auf, sie hatten schließlich noch nicht bezahlt. Während er Finn am Ärmel zurückzog, beschleunigte Ve ihre Schritte und lief auf den Eingang der U-Bahn zu.

Sie waren noch keine sechs Monate zusammen und stritten sich schon wie ein altes Ehepaar. Und daran war nicht nur Finn schuld. Er hat es mir ja prophezeit, dachte Ve. Ich wusste, was kommt. Aber ich wollte es nicht glauben.

Als er sie angerufen hatte, um ihr zu sagen, dass sein neues Album in L.A. aufgenommen werden würde, hatte er sie gewarnt. »Ich werd kaum Zeit für dich haben«, hatte er gesagt. »Aber ich freu mich trotzdem unglaublich darauf, dich wiederzusehen.«

Und nun war es genau so, wie er es vorausgesagt hatte. Er arbeitete wie verrückt. Und sie war sauer, weil er sich nicht genug um sie kümmerte. Anstatt die wenige Zeit, die sie miteinander hatten, zu genießen. Wie traurig er ausgesehen hatte, als sie eben einfach davongelaufen war.

Und jetzt? Würde er die Rechnung bezahlen und dann vermutlich in sein Hotel gehen. Vielleicht noch einen Drink auf dem Zimmer nehmen. Oder einen Cocktail an der Hotelbar, mit der hübschen Produktionsassistentin.

Ich bin so bescheuert, dachte Ve. Einen Moment war sie versucht umzudrehen und zurückzulaufen. Aber inzwischen stand sie auf der Rolltreppe und fuhr nach unten, vor und hinter ihr drängten sich die Leute. Es war zu spät.

Auf dem Bahnsteig dudelte Musik. Ein leiser, gefühlvoller Popsong. Einen Augenblick lang glaubte Ve, dass es Escape war. You can run and you can hide, but you can’t escape. Aber natürlich täuschte sie sich. Den Song gab es in dieser Welt ja noch gar nicht, er existierte nur in ihrem Kopf.

Sie hatte sich so gefreut, dass Finn das Stück aufnehmen würde, und nun hatte ihnen dieser Idiot von Produzent einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dabei war es eindeutig Finns bestes Lied.

»Die Idee ist von dir«, hatte Finn gesagt. Aber das stimmte nicht. Es war seine eigene Idee. Er wusste es nur nicht.

Der andere Finn aus der anderen Welt hatte den Song komponiert und Ve vorgespielt. Und Ve hatte ihn in dieses Universum gebracht und diesem Finn geschenkt. Natürlich hatte er keine Ahnung, dass das Lied von seinem Alter Ego stammte.

Ve hatte ihm nichts davon erzählt, dass sie im vergangenen Sommer durch ein Wurmloch in ein Paralleluniversum gereist war, dass sie dort nicht nur sich selbst getroffen hatte, sondern auch Finns Doppelgänger, in den sie sich Hals über Kopf und rettungslos verliebt hatte.

Ein paarmal war sie kurz davor gewesen, ihm alles anzuvertrauen. Aber im letzten Moment hatte sie es doch nicht getan. Die Angst, dass er ihr nicht glauben würde, war einfach zu groß.

Vor ihr fuhr die U-Bahn ein. Die Türen öffneten sich mit einem Zischen. Menschen quollen aus dem Wagen, danach drängten sich die Leute vom Bahnsteig durch die Türen. Ve stieg als Letzte ein.

Es stimmte ja gar nicht, sie belog sich selbst, dachte sie, als sich die U-Bahn in Bewegung setzte. Sie hatte gar keine Angst, dass Finn ihr nicht glauben könnte. Sie fürchtete sich davor, dass er die ganze Wahrheit erraten würde, wenn sie ihm erzählte, was im letzten Sommer geschehen war. Dass er begreifen würde, dass Ve eigentlich seinen Doppelgänger liebte.

Wenn es nicht vollkommen ausgeschlossen wäre, dass Ve den anderen Finn jemals wiedersehen würde, hätte sie sich niemals auf diese Beziehung eingelassen.

Sie wusste bis heute nicht, wie Finn es geschafft hatte, ihre Adresse in Los Angeles herauszufinden, aber irgendwie war es ihm gelungen. Vor einem halben Jahr hatte er ihr einen Flyer geschickt, ganz altmodisch mit der Post. Es war eine Konzertankündigung, er hatte einen Gig im Nello’s, einem kleinen Club in Downtown L.A.

»Dein Name steht auf der Gästeliste. See you there? Finn.« Das war die ganze Nachricht.

Sie war hingegangen, weil sie neugierig gewesen war. Und als sie ihn auf der Bühne gesehen hatte, hatte ihr Herz zu rasen begonnen, sie konnte es gar nicht verhindern. Er war nicht der Richtige, der Richtige war in einem anderen Universum. Aber er sah genauso aus.

Vor acht oder neun Jahren waren die beiden Finns ein und dieselbe Person gewesen. Danach war die Welt auseinandergebrochen, der eine Finn hatte als Musiker Karriere gemacht und verkaufte Millionen von Platten, der andere jobbte in einem Coffeeshop und kämpfte für eine gerechtere Welt.

Das Konzert im Nello’s war mäßig besucht, in den USA war Finn ja noch total unbekannt. Aber die Stimmung war super, die Leute waren begeistert und am Ende wollten sie eine Zugabe nach der anderen. Da ging Finn zu seinem Gitarristen, nahm ihm die Gitarre aus der Hand und sagte: »Jetzt kommt ein ganz besonderes Lied für eine ganz besondere Person.«

Und dann sang er Escape.

Und Ve stand im Publikum und hörte seine Stimme, die genauso klang wie die seines Alter Egos. Die Tränen liefen ihr über die Wangen, so sehr vermisste sie ihn, so sehr freute sie sich, ihn wieder zu hören.

Nach dem Konzert gingen sie noch was trinken und als Finn Ve nach Hause brachte, küsste er sie. Am nächsten Tag flog er weiter nach San Francisco, da hatte er seinen nächsten Auftritt, und Ve begleitete ihn.

Seitdem waren sie ein Paar. Allerdings hatten sie in der Zwischenzeit hauptsächlich über Skype und WhatsApp kommuniziert.

Jedes Mal, wenn Ve Finn sah, schlug ihr Herz zum Zerspringen. Aber nach kurzer Zeit war sie immer genervt von ihm. Weil er so gestresst war und so unzufrieden. Obwohl er eigentlich alles erreicht hatte, wovon der andere Finn träumte: Er verdiente so viel Geld mit seiner Musik, dass er gut davon leben konnte, ohne zu kellnern oder für andere Leute Kaffee zu kochen. Aber er litt darunter, dass er nicht mehr die Musik spielen konnte, die er spielen wollte. Sein Manager, sein Musikproduzent und das Label bestimmten, was er sang.

Ve lehnte ihren Kopf an die Fensterscheibe und starrte ins Leere. Sie war gemein zu Finn gewesen, sie hätte ihn nicht einfach so stehen lassen dürfen. Sie würde ihm nachher schreiben und sich entschuldigen. Und morgen Abend würde sie zum Studio fahren, um sich von ihm zu verabschieden. Vielleicht würde sie sogar mit ihm und seinem Team essen gehen. Es war schließlich sein letzter Abend.

An der nächsten Station stieg sie aus und nahm den Bus nach Westwood. Sie zog ihr Handy aus der Tasche und stöpselte ihre Kopfhörer ein. »Do you believe in the power of everlasting love?«, sang Finn. Sie hätte viel lieber Escape gehört, aber das hatte er nicht aufgenommen und würde es auch nicht aufnehmen.

Als sie eine Dreiviertelstunde später aus dem Bus stieg, war die Sonne verschwunden. Der Himmel hatte sich verfinstert, vom Meer her zogen große, schwere Wolken über die Stadt. Ve beschleunigte ihre Schritte, sie hatte keine Lust, nass zu werden. Sie hastete die breite, stille Straße entlang, in der sie wohnten.

Das Tor zu ihrer Wohnanlage war normalerweise bewacht, aber heute war das kleine Pförtnerhaus neben dem Eingang leer. Dabei verließ Fernando, der Doorman, eigentlich nie seinen Posten.

Ve hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihn sah. Fernando verdiente ein Hundertstel von dem, was ihre Mutter als Unternehmensberaterin einstrich. Und er arbeitete so hart dafür und war immer freundlich und vergnügt.

»Muss er ja auch sein, sonst kann er als Doorman direkt einpacken«, sagte ihre Mum, die es ganz in Ordnung fand, dass es überall auf der Welt Leute gab, die ihr die Türen aufhielten, ihre Wohnung bewachten, ihre Schuhe und ihr Bad putzten. »Wer seine Sache gut macht, der steigt auch schnell auf. Schau mich an, ich habe es doch auch geschafft.«

Karla Wandler hatte nie studiert, sondern nur eine Lehre als Bankkauffrau gemacht. Nach Ves Geburt hatte sie sogar ein paar Jahre lang ganz pausiert. Aber nachdem Ves Vater arbeitslos geworden war, hatte Karla wieder zu arbeiten begonnen und in weniger als zehn Jahren eine unglaubliche internationale Karriere hingelegt.

Der Nachteil an der Sache war, dass sie und Ve ständig den Wohnort wechselten. Seit der Trennung ihrer Eltern hatte Ve in München, Athen, Sydney, Kapstadt und Los Angeles gewohnt. Jeder Umzug bedeutete für Ve eine neue Schule, neue Klassenkameraden, neue Lehrer, neue Freunde. Inzwischen wohnten sie seit fast einem Jahr in L.A., wahrscheinlich ging es bald wieder los. Ve verdrängte den Gedanken jedes Mal, wenn er ihr durch den Kopf schoss.

Ve öffnete das Tor mit ihrer Chipkarte und ging über den Hof zu ihrem Apartmentkomplex. Immer noch keine Spur von Fernando. Vielleicht war er krank.

Auch die Tür zu dem Gebäude ließ sich nur mit der Chipkarte öffnen. Als Ve in den Flur trat, wusste sie sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Es war zu laut im Haus.

Normalerweise herrschte in dem marmorvertäfelten Treppenhaus Totenstille. Besucher dämpften unwillkürlich ihre Stimmen, und selbst der kleine Dackel ihrer steinalten Nachbarin, der draußen bei jeder Gelegenheit kläffte, traute sich nicht, hier drin zu bellen.

Aber heute war etwas anders.

Ve hörte von oben laute Schritte, dann knallte eine Tür. Eine tiefe Männerstimme gab Anweisungen, die Ve nicht verstand.

Ve drückte auf den Knopf, um den Aufzug zu rufen. Als er nicht sofort kam, lief sie kurz entschlossen die Treppen zu ihrer Wohnung im vierten Stock hoch. Sie nahm immer zwei Stufen auf einmal und hatte dennoch das Gefühl, dass sie nicht vorankam.

Ihr Herz hämmerte wie verrückt, vor Aufregung und vor Angst. Dabei gab es gar keinen Grund zur Sorge, versuchte sie sich zu beruhigen. Wahrscheinlich gehörten die Stimmen Handwerkern, die in einem der Apartments arbeiteten, vielleicht wurde eine Spülmaschine geliefert oder neue Mieter zogen ein.

Sie wurde dennoch nicht langsamer. Vollkommen außer Atem kam sie im vierten Stock an.

Die Tür zu ihrer Wohnung stand offen. Und als Ve einen Blick hineinwarf, wusste sie, dass ihre Angst berechtigt gewesen war.

Im Wohnungsflur stand ein dicker schwarzer Polizist und befragte Fernando. Und um die beiden herum herrschte das totale Chaos.

Jemand hatte die Kommode im Flur ausgeräumt, der Inhalt war überall verteilt. Die schicken Pumps ihrer Mum lagen neben Ves alten Sneakern, ihre Wanderstiefel neben pinken Flipflops. Dazwischen Schals, Handschuhe, Tücher, Handtaschen. Ves Jeansjacke lag vor der Wohnzimmertür, die Ärmel weit ausgebreitet, als wollte sie sich ergeben.

»Mum?« Ves Stimme war schrill vor Angst.

Jetzt erst wurde sie von dem Polizisten und Fernando bemerkt.

»Hola, Miss Ve!«, sagte Fernando. Sonst begrüßte er sie immer mit einem breiten Grinsen, heute war sein Gesicht sehr ernst. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß ab.

»Wo ist Mum?« Sie wollte an den beiden Männern vorbei, aber der Polizist hielt sie auf.

»So who are you?«, fragte er.

»Ve!«, rief jemand. Zu Ves unendlicher Erleichterung tauchte jetzt ihre Mutter in der Wohnzimmertür auf. Karla Wandler war ziemlich blass und wirkte total fertig, aber sie schien unverletzt.

»Was ist denn passiert, Mum?« Normalerweise sprach Ve Englisch mit ihrer Mutter, irgendwann in den letzten Jahren waren sie dazu übergegangen. Aber jetzt fiel Ve unwillkürlich in ihre Muttersprache zurück.

»Hier wurde eingebrochen.« Ves Mutter verdrehte die Augen. »Die Wohnung ist ein einziges Chaos. Die haben alles durchwühlt.«

Einbrecher. Ve musste sofort an die Mail denken, die sie vor drei Wochen bekommen hatte. Gut, dass sie das Buch längst in Sicherheit gebracht hatte.

»Was haben sie mitgenommen?«

»So genau weiß ich das noch nicht, ich bin auch erst vor einer halben Stunde nach Hause gekommen. Aber ich befürchte, dein Laptop ist weg. Dafür haben sie die zweihundert Dollar übersehen, die auf dem Kühlschrank lagen.«

»Echt? Das gibt’s doch nicht.«

»Vielleicht sind sie gestört worden.«

»Was ist sonst noch weg?«

»Keine Ahnung. Als ich gesehen habe, was hier los ist, hab ich erst mal die Polizei gerufen. Aber vermutlich hätte ich mir das auch sparen können. Die machen das Chaos nur noch größer.« Sie deutete mit dem Kopf auf einen Polizisten, der auf der Schwelle zum Wohnzimmer kniete und mit einem Pinsel schwarzes Pulver auf dem Türrahmen verteilte.

»Was ist mit Fernando?«, fragte Ve. »Wie sind die Einbrecher an ihm vorbeigekommen?«

»Das frage ich mich allerdings auch«, sagte Karla. »Aber man kriegt ja nichts aus ihm raus, er ist total durcheinander.«

»Kann ich mir vorstellen. Er hat bestimmt Angst um seinen Job.«

Ihre Mum zuckte mit den Schultern. »Eigentlich darf so was auch nicht passieren. Wenn er aufgepasst hätte …«

»Ma’am?« Der dicke Polizeibeamte hatte Fernandos Befragung beendet und trat zu ihnen. Er nahm Ves Personalien auf und erkundigte sich dann, ob ihnen in den letzten Tagen irgendetwas aufgefallen sei. Die Einbrecher mussten ihren Coup sorgfältig vorbereitet haben. Sie hatten sich ordentlich ausgewiesen und Fernando erklärt, dass sie zu Mrs Rutherbeer wollten – das war die uralte Nachbarin mit dem Dackel, die ein Stockwerk tiefer wohnte. Daraufhin hatte Fernando Mrs Rutherbeer angerufen und die hatte ihm bestätigt, dass sie Besuch erwartete. Aber Mrs Rutherbeer war so verkalkt, dass sie auch bestätigt hätte, dass ihr Dackel fließend Chinesisch sprach.

»Warum glaubt Fernando denn, dass diese Typen die Einbrecher waren?«, fragte Ve auf Englisch.

»Es waren die einzigen Besucher heute Nachmittag«, sagte der Officer. »Wir gehen davon aus, dass die Ausweise gefälscht waren.«

»Davon würde ich auch ausgehen«, sagte Karla. »Die Typen waren bestimmt nicht so blöd und haben ihre richtige Identität angegeben.«

»No, probably not«, pflichtete ihr der Officer bei. Fernando sollte am nächsten Morgen auf die Polizeiwache kommen, dann würde ein Phantombild angefertigt werden.

»Und wie sind die Männer hier hereingekommen?«, erkundigte sich Ves Mutter. »Das Schloss ist nicht aufgebrochen. Und alle Türen im Haus sind elektronisch gesichert.«

Der Officer zuckte mit den Schultern. »Vielleicht haben sie sich in das System gehackt.« Dann wollte er wissen, was genau gestohlen worden war. Ves Mutter versprach, ihm eine Liste mit allen fehlenden Gegenständen zu mailen, sobald sie sich einen Überblick verschafft hatte.

Daraufhin wünschte ihr der Polizist noch einen Guten Abend und verzog sich zusammen mit seinem Kollegen, der inzwischen sämtliche Türrahmen, Lichtschalter und die halbe Küche mit seinem schwarzen Pulver beschmiert hatte.

»Ich rufe Mariana an«, sagte Karla, als die Tür hinter den Polizisten und Fernando ins Schloss gefallen war. »Sie muss herkommen und uns beim Aufräumen helfen.«

»Mariana hat Urlaub«, erinnerte Ve sie. »Sie ist nach Mexiko gefahren.«

»Mist.« Ihre Mutter lehnte sich an den verschmierten Türrahmen und schloss erschöpft die Augen. »Das ist eine Katastrophe. Ich hab morgen um neun eine Präsentation, die ich noch vorbereiten muss.«

»Ist dein Computer denn nicht geklaut worden?«

»Ich hatte meinen Laptop dabei, glücklicherweise.« Karla rieb sich die Augen. »Verdammt, ich bin total durch. Warum musste das ausgerechnet heute passieren?«

»Morgen wäre es dir auch nicht recht gewesen«, sagte Ve, aber ihre Mutter schien sie gar nicht zu hören. Sie hielt die Augen immer noch geschlossen. Ihr Gesicht war nicht nur blass, ihre Haut schimmerte irgendwie gelblich.

»Willst du dich hinlegen?«, fragte Ve. »Du siehst richtig fertig aus.«

»So fühl ich mich auch. Aber ich hab jetzt keine Zeit, mich hinzulegen.« Karla öffnete die Augen wieder und blickte sich müde um. »Wie es hier aussieht! Und in den anderen Zimmern ist es noch schlimmer.«

»Wir räumen erst mal das Gröbste auf«, schlug Ve vor, »und gucken, was die Typen geklaut haben. Dann kümmerst du dich um deine Präsentation und ich mach hier weiter.«

Karla nickte zerstreut. Sie bückte sich und hob einen Schal auf. Sie faltete ihn, betrachtete ihn nachdenklich und ließ ihn dann wieder fallen.

»Shit«, murmelte sie.

»Komm schon, Mum. So schlimm ist das Ganze auch wieder nicht. Wir sind doch versichert, oder?«

»Klar.« Wieder ein Nicken, aber auch diesmal hatte Ve das Gefühl, dass die Worte gar nicht zu ihrer Mutter durchgedrungen waren.

»Ich glaube, es sieht schlimmer aus, als es ist.« Ve begann die Schuhe einzusammeln und zurück in die Kommode zu stellen. Danach hängte sie die Jacken an die Garderobe.

»Warte, bis du die Küche gesehen hast.« Ihre Mum stöhnte leise.

Nach einem ersten schnellen Blick in den Raum wusste Ve, was Karla gemeint hatte. Die Einbrecher hatten ganze Arbeit geleistet. Sie hatten sämtliche Schränke durchwühlt und Töpfe, Teller, Tassen und Besteck herausgerissen. Das Geschirr war zum Teil zu Bruch gegangen, die Scherben vermischten sich mit dem Mehl, dem Zucker und den Kaffeebohnen, die die Eindringlinge einfach auf den Boden gekippt hatten.

»Ich frag mich, was die wollten«, murmelte Karla. »Wer versteckt denn Wertsachen in der Küche?«

Diesmal tat Ve so, als ob sie die Frage nicht gehört hätte. Sie ahnte, was die Einbrecher hier gewollt hatten. Und warum sie die zweihundert Dollar nicht mitgenommen hatten, die auf dem Kühlschrank lagen, obwohl sie sie gesehen haben mussten. Ve dachte an die Mail, die sie vor drei Wochen bekommen hatte.

Du kannst dich nicht verstecken. Wir wissen alles.

Keine Unterschrift, nur eine nichtssagende Absenderadresse. Der Account war ganz sicher längst gelöscht worden.

Sie hatte die Nachricht einfach ignoriert. Hatte sich eingeredet, dass es ein Missverständnis war oder einfach nur Spam. Jetzt wusste sie es besser.

Sie wusste aber auch, dass die Eindringlinge mit ihrer Aktion nichts erreicht hatten, außer ihr Angst einzujagen. In der Wohnung gab es keinen Hinweis auf die Ereignisse des letzten Sommers. Das Buch war in Sicherheit, und den Code für das Bankschließfach hatte Ve auswendig gelernt und vernichtet.

Aber vielleicht war das ja der eigentliche Zweck des Einbruchs gewesen: sie zu verunsichern.

»Gib mir mal einen Müllsack.« Ve deutete auf eine grüne Plastikrolle, die genau vor ihrer Mutter lag. Karla starrte auf die Müllbeutel und reagierte nicht.

»Mum?« Ve wurde langsam ungeduldig. Wenn ihre Mutter nicht langsam in die Gänge kam, wären sie bis Mitternacht mit Aufräumen beschäftigt. »Sag mal, was ist los? Willst du mir nicht helfen?«

»Gleich«, sagte Karla. »Ich muss mich nur eben …« Sie unterbrach sich, stellte einen umgekippten Küchenstuhl hin und ließ sich darauf fallen. Dann brach sie in Tränen aus.

Ve erschrak. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie ihre Mutter das letzte Mal weinen gesehen hatte. »Heulen nützt doch nichts«, sagte Karla immer. »Und Selbstmitleid auch nicht.«

Früher hätte sie sich in einer Situation wie dieser mit Feuereifer an die Aufräumarbeiten gemacht und dann wäre sie mit Ve in ein nettes Restaurant gegangen, um den ganzen Ärger zu vergessen. Danach hätte sie die halbe Nacht an ihrer Präsentation gearbeitet. Ohne zu heulen, ohne auch nur zu jammern. Nützt doch nichts.

Aber in den letzten Wochen hatte sie sich total verändert. Ihre Mum erinnerte Ve immer mehr an deren Doppelgängerin aus der anderen Welt: eine depressive, schlaffe Frau, die ihren Frust und ihre Eheprobleme mit Cognac bekämpfte.

»Kopf hoch, Mum!« In Ves Stimme lag mehr Zuversicht, als sie wirklich spürte. Sie watete durch das Zucker-Mehl-und-Scherben-Meer auf ihre Mutter zu und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Alles wird gut. Warum legst du dich nicht einfach ein bisschen hin? Komm, wir gehen rüber ins Schlafzimmer und räumen dein Bett frei, und dann ruhst du dich erst mal aus.«

Sie erwartete, dass Karla vehement widersprechen würde, aber zu ihrer Überraschung erhob ihre Mutter sich wortlos und schleppte sich ins Schlafzimmer. Auf dem breiten Bett lag ein Berg aus Klamotten, die die Einbrecher anscheinend aus dem Schrank gezerrt hatten. Ve packte den ganzen Stapel, hievte ihn zurück in den Schrank und klappte die Türen zu. Als sie sich wieder umdrehte, hatte ihre Mum sich bereits aufs Bett gelegt und die Augen geschlossen.

»Nur ein paar Minuten«, flüsterte sie. »Dann geht es mir wieder gut.«

Bevor Ve antworten konnte, klingelte das Telefon.

»Gehst du dran, Ve?«, murmelte Karla kraftlos. »Ich kann grad wirklich nicht.«

»Klar.« Ve eilte zum Telefon und nahm den Anruf an.

»Miss Ve? It’s Fernando.«

»What is it?«

»Want ask if you want help.« Fernandos mexikanischer Akzent war so stark, dass Ve ihn kaum verstanden hatte, als sie vor fast einem Jahr hier eingezogen waren. Aber inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt. Jetzt erklärte er ihr, dass er gerade mit seiner Schwester gesprochen habe, die gerne beim Aufräumen helfen würde, wenn sie …

»Yes please!«, rief Ve. »Go get her!«

Fernandos Schwester musste schon unten im Pförtnerhaus gewartet haben, es dauerte nämlich keine fünf Minuten, bis sie an der Wohnungstür klingelte. Victoria ging Ve nur bis zur Schulter und war dafür doppelt so dick wie sie, aber sie steckte voller Power. Als sie das Chaos in Küche und Wohnzimmer sah, nickte sie nur kurz, als sei das vollkommen alltäglich für sie.

Es war ja auch vollkommen alltäglich für sie. Während sie zusammen Besen, Kehrschaufel und Putzzeug aus der Kammer neben der Küche holten, erzählte sie Ve, dass sie als Zimmermädchen in einem 5-Sterne-Hotel arbeitete. Im Vergleich zu dem Zustand, in dem ein Großteil der Gäste die Zimmer hinterließ, sei diese Wohnung super aufgeräumt.

»Increíble!«, erklärte sie, während sie eine Ladung Scherben und Kaffeebohnen in einen Müllsack beförderte. »Rich people pigs.«

Dann wurde sie sehr betreten, weil ihr plötzlich einfiel, dass Ve und ihre Mutter ja auch reiche Leute waren.

»Never mind«, sagte Ve. Sie war Victoria so dankbar für ihre Hilfe, dass sie ihr einen der beiden Hundertdollarscheine gab, als die Wohnung zwei Stunden später blitzte und blinkte, als wäre nichts geschehen. Victoria freute sich so über den stattlichen Lohn, dass sie Ve zweimal auf beide Wangen küsste und an ihren Busen drückte. »You good girl.«

»You too«, sagte Ve.

Als sie wieder allein war, sah sie nach ihrer Mutter. Karla Wandler lag im Tiefschlaf, obwohl sie sich doch nur ein paar Minuten hatte ausruhen wollen. Dabei waren Ve und Victoria beim Aufräumen nicht gerade leise gewesen. Victoria hatte sich nicht davon abbringen lassen, den Staubsauger anzuwerfen. Und dennoch war Karla nicht aufgewacht.

»Das ist doch nicht normal«, murmelte Ve. Sie deckte ihre Mutter zu und löschte das Licht. Heute wurde nicht mehr gearbeitet. Die Präsentation musste morgen eben ein anderer übernehmen.

Sie machte sich eine Tasse Tee und setzte sich damit ans Wohnzimmerfenster. Von hier hatte man tagsüber einen wunderbaren Blick über die Grünanlage, die hinter ihrem Haus lag, aber inzwischen war es zu dunkel, um die Aussicht zu genießen. Ve hatte gerade auch keinen Sinn für die Schönheit der Nachbarschaft. Sie überlegte, wann ihre Mutter angefangen hatte, sich zu verändern.

An Weihnachten war noch alles normal gewesen. Am Weihnachtsmorgen hatten sie Pläne für die Sommerferien gemacht. Ve wollte ans Meer, Karla hatte Lust auf einen Wanderurlaub in den Bergen. Sie hasste es, in der Sonne zu liegen, sie brauchte immer Bewegung. Action.

Aber dann hatte sie im Januar diese schreckliche Schlaflosigkeit befallen, es war von einem Tag auf den anderen losgegangen.

Schlaflose Nächte waren Karla bis dahin vollkommen fremd gewesen, doch nun lag sie plötzlich stundenlang wach, bevor sie gegen Morgen in einen unruhigen Schlaf fiel, aus dem sie kurz danach der Wecker riss. Am Anfang war sie überzeugt, dass sich das Problem von selbst lösen würde. »Irgendwann bin ich so müde, dass mein Körper einschlafen muss«, sagte sie.

Aber es wurde nicht besser. Sie versuchte es mit Entspannungstechniken, trieb noch mehr Sport als gewöhnlich und trank keinen Kaffee mehr.

Nach drei Wochen ging sie zu ihrem Arzt, einem Dr. Caczynski, der missbilligend den Kopf schüttelte.

»Sie haben den Bezug zu Ihrer inneren Mitte verloren«, sagte er. »Deshalb finden Sie keine Ruhe mehr.«

Karla war damals erst ein paar Wochen bei ihm in Behandlung und noch ziemlich skeptisch. Ve erinnerte sich nicht mehr genau daran, wie sie überhaupt auf Dr. Caczynski gekommen war, normalerweise machte Karla nämlich einen Riesenbogen um alles, was irgendwie nach Esoterik oder Spiritismus aussah – und Dr. Caczynski bezeichnete sich selbst nicht als Arzt, sondern als Heiler. Bis sie die Schlaflosigkeit befallen hatte, war Karla auch kerngesund gewesen, Caczynski hatte sie nur mit Vitaminpräparaten versorgt, die er selbst herstellte und mit großem Erfolg in ganz Kalifornien vertrieb.

Aber nun konnte er Karla wirklich helfen. Er verabreichte ihr Massagen, akupunktierte sie und gab ihr einen Tee, ein rein pflanzliches Granulat, ohne Risiken und Nebenwirkungen, das sie abends aufbrühen und trinken sollte. Und gleich in der ersten Nacht schlief sie tief und fest bis zum nächsten Morgen.

Und in der nächsten Nacht wieder.

Die Schlaflosigkeit war weg, Ves Mum war wieder ganz die Alte, so energiegeladen und leistungsstark und optimistisch wie vorher. Jedenfalls ein paar Wochen lang. Aber danach war sie plötzlich nur noch müde, sie schlief von abends um acht bis morgens um zehn und hatte auch dann noch Mühe, sich aus dem Bett zu wälzen.

»Das ist dieser bescheuerte Tee«, sagte Ve. »Du musst ihn absetzen oder weniger davon trinken.«

Dr. Caczynski sah das ganz genauso, als Karla ihn erneut konsultierte. Er gab ihr ein anderes Präparat, das sie wieder auf die Beine brachte, aber wie der heutige Abend zeigte, war sie nicht sehr stabil.

»Du musst zu einem richtigen Arzt und dich mal ordentlich durchchecken lassen«, murmelte Ve. Aber natürlich hörte ihre Mum sie nicht und wenn sie sie gehört hätte, hätte sie vehement widersprochen. Sie vertraute Dr. Caczynski, der sich viel Zeit für seine Patienten nahm und ganz genau zuhörte. Seine Homepage war wirklich beeindruckend, viele Hollywoodstars nahmen seine Hilfe in Anspruch. Gwyneth Paltrow, John Travolta, Ben Affleck, sie alle waren schon bei ihm gewesen und bestätigten mit begeisterten Statements, wie überzeugt sie von ihm waren.

Ve hatte Caczynski einmal kennengelernt, ihre Mum hatte sie vor ein paar Wochen zu ihm geschleppt, weil sie eine hartnäckige Erkältung einfach nicht loswurde. Und es stimmte, der Doktor hatte sich wirklich eine Menge Zeit für sie genommen. Er hatte Ve alles Mögliche gefragt, wollte, dass sie ihm von der Beziehung zu ihrer Mutter und ihren Freunden erzählte. Ganz besonders interessierte er sich für das Verhältnis zu ihrem Vater; er wollte wissen, wie Ve die Trennung ihrer Eltern erlebt hatte und ob sie ihn oft besuchte. Was sie dann miteinander unternahmen und worüber sie sich unterhielten.

»Was soll das denn alles? Ich hab doch nur einen Schnupfen!«, hatte sie irgendwann gerufen, woraufhin Dr. Caczynski nur milde gelächelt hatte.

»Our family is our body«, hatte er erwidert. »Wenn unser Verhältnis zur Familie gestört ist, dann werden wir krank.«

Er hatte Ve ein paar Meditationsübungen gezeigt, die sie nie machte, und ihr ein Nasenspray gegeben, das sie sofort wegwarf, doch das erzählte sie ihrer Mum nicht. Die Erkältung verschwand auch so wieder. Aber seitdem war ihre Mutter noch überzeugter von Dr. Caczynskis wundersamen Heilkräften.

Ve trank ihren Tee und blickte in die Dunkelheit hinter dem Fenster. Wenn ihrer Mutter etwas passierte … nein, ihr fehlte der Mut, den Gedanken zu Ende zu denken. Sie hatte doch nur noch Karla, seit ihr Vater im letzten Sommer spurlos verschwunden war.

Sie leerte ihre Tasse und stand auf. Inzwischen war es fast elf Uhr, sie würde ebenfalls schlafen gehen. Sie beschloss, die Nacht im Schlafzimmer ihrer Mutter zu verbringen. Das Bett war breit genug und auch wenn Karla total fertig war, fühlte Ve sich an ihrer Seite doch sicherer. Schließlich konnten die Einbrecher jederzeit zurückkommen, die Wohnungstür war ja auch beim ersten Mal kein Hindernis gewesen.

Als sie sich die Zähne putzte, checkte sie ihre Nachrichten und stellte fest, dass Finn ihr geschrieben hatte.

Hab das Interview morgen gecancelt. Der Abend gehört dir. Und die Nacht auch. Ich liebe dich.

Gerade eben noch hatte sie sich traurig und verloren gefühlt, jetzt stieg eine wunderbare Wärme in ihr auf. Finn schien gespürt zu haben, wie sehr sie ihn brauchte. Seine letzten Stunden in den USA hatte er allein für Ve reserviert. Ohne Termine, ohne Störungen. Sie rief ihn zurück, aber er ging nicht dran. Plötzlich tauchte die hübsche Produktionsassistentin in Ves Kopf auf und lächelte böswillig.

»Verzieh dich, blöde Kuh!«, flüsterte Ve. Da verschwand das Bild wieder.

Sie hinterließ eine Voicemail, in der sie Finn erzählte, was passiert war. Dann legte sie sich leise neben ihre Mutter, machte das Licht aus und schlief ein.

»Fuck!«

Der Aufschrei ihrer Mutter riss Ve aus dem Tiefschlaf. Als sie sich erschrocken aufsetzte, war ihre Mum bereits aus dem Bett gesprungen.

»Was ist denn los?«, fragte Ve verschlafen.

»Halb acht!« Karla fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Es ist schon halb acht!«

»Oh.« Ve ließ sich zurück aufs Kopfkissen fallen.

»Der ganze Deal platzt, wenn ich nicht da bin!« Ihre Mutter rannte zum Schrank, riss die Türen auf und starrte ungläubig auf das Chaos, das sich darin verbarg. »Was ist denn hier passiert?«

»Hier wurde eingebrochen. Schon vergessen?«, sagte Ve und gähnte. »Ich hab deine Sachen gestern nur schnell weggeräumt, damit du ins Bett konntest.«

Karla begann hektisch in ihren Klamotten zu wühlen. »Das ist alles total verknittert. Ich kann da doch nicht mit einer ungebügelten Bluse aufkreuzen.«

»Du wirst gar nicht da aufkreuzen.«

Der Kundentermin war um neun und zwar am anderen Ende der Stadt. Auch wenn ihre Mum die Präsentation schon vorbereitet hätte, hätte sie es nicht mehr rechtzeitig geschafft.

»Warum hast du den Wecker nicht gestellt? Ich muss zu diesem Meeting. Das ist total wichtig!«

»Vergiss es!« Ve wälzte sich nun doch aus dem Bett, ging in die Küche und schaltete die Espressomaschine ein. Sie hörte ihre Mutter im Schlafzimmer telefonieren.

»I’m really sorry«, sagte sie dreimal hintereinander. Wahrscheinlich sprach sie mit einem der Typen aus dem Vorstand.

Als Ve mit einem Espresso zurück ins Schlafzimmer kam, saß Karla auf dem Bett, den Kopf auf die Hände gestützt.

»Was ist?«, fragte Ve alarmiert. »Haben sie dich rausgeschmissen?«

»Quatsch.« Karla schüttelte den Kopf, ohne aufzublicken. »Ich bin immer noch müde. Nicht zu fassen, oder?«

»Du musst zum Arzt.« Ve reichte ihrer Mutter den Espresso. »Und damit meine ich nicht Dr. Caczynski.«

Karla nippte gedankenverloren an der Tasse. »Vielleicht hast du recht.«

»Was?«, fragte Ve ungläubig. »Ich brauch meinen Kalender, ich muss mir den Tag rot anstreichen. Hast du das gerade wirklich gesagt? Das ist ja noch nie vorgekommen.«

Ihre Mutter lachte kurz, aber es klang nicht sehr fröhlich. Sie trank noch einen Schluck Espresso, verzog das Gesicht und stellte die Tasse auf den Nachttisch. Dabei ging bei ihr am Morgen eigentlich nichts ohne Espresso.

»Dr. Wesley soll richtig gut sein. Katies Mutter geht zu ihm. Ich schau mal, ob ich die Nummer …« Ve zog ihr Handy aus der Tasche, aber nun hob ihre Mutter abwehrend die Hände.

»Später, Ve. Ich muss erst mal ins Office.«

»Wie bitte? Was willst du denn jetzt in der Firma? Die Präsentation ist eh gelaufen …«

»Na, eben nicht. Sie wurde abgesagt. Ich muss Tanya briefen, wie sie weitermachen soll. Aber danach mach ich sofort einen Arzttermin.«

»Versprochen?«

»Versprochen.« Ihre Mutter stand auf und gab Ve einen Kuss auf die Nase. »So, ich spring jetzt unter die Dusche.«

»Das gibt’s doch nicht!«, rief Ve. »Sag, dass das nicht stimmt!«

Finn saß in einem Nebenzimmer des Tonstudios und starrte in den Spiegel, während ihm eine blondierte Maskenbildnerin Puder auf die Stirn tupfte.

»Nun reg dich …« Finn verstummte, da der Pinsel jetzt über seine Nase fuhr und sich seinem Mund näherte. Erst als die Frau mit seinem Gesicht fertig war, fuhr er fort. »Nun reg dich doch nicht auf. Wir machen ganz schnell die Interviews, danach bin ich fertig und wir können …«

»Darum geht es doch gar nicht«, sagte Ve. »Du hast mir geschrieben, dass du alles abgesagt hast. Und jetzt hast du dich doch wieder breitschlagen lassen.«

»Es ist total wichtig.«

»Für wen? Für mich nicht. Und für dich auch nicht.«

Finn wollte etwas entgegnen, aber nun kam die Produktionsassistentin in den Raum. Finn hatte sie Ve am ersten Abend vorgestellt, aber sie konnte sich nicht mehr an den Namen erinnern. Sharon oder Sandy oder irgendwas in der Art.

»Are you ready for your soundcheck?«, erkundigte sich Sharon oder Sandy bei Finn, während sie Ve mit einem ebenso bezaubernden wie oberflächlichen Lächeln bedachte.

»Absolutely.« Finn stand auf.

Wenn es nicht Finns letzter Abend gewesen wäre, hätte Ve sich direkt auf den Weg nach Hause gemacht, aber so riss sie sich zusammen und ging mit in den Besprechungsraum, in dem die Interviews aufgenommen werden sollten. Erst wurde Finn von einer Musikredakteurin von Inside L.A. ausgequetscht, dann war eine wichtige Musik-Vloggerin an der Reihe und stellte ihm haargenau dieselben Fragen. Finns Manager und Sharon oder Sandy standen neben Ve und lauschten andächtig.

»The American market is …«, begann Finn gerade, aber was der amerikanische Musikmarkt seiner Ansicht nach war, verstand Ve nicht mehr, weil jetzt ihr Handy laut hupte. Das war ihr Signalton für Nachrichten – und er hätte zu keinem unpassenderen Zeitpunkt ertönen können. Vor ein paar Minuten hatte der Aufnahmeleiter nämlich sämtliche Anwesenden gefragt, ob ihre Handys auch ganz bestimmt abgeschaltet seien.

Jetzt starrten alle vorwurfsvoll auf Ve, die ihr Handy aus der Tasche riss und es auf lautlos stellte. Nur Finn und die Vloggerin taten so, als hätten sie nichts gehört, und redeten einfach weiter. The show must go on.

Ohne mich, dachte Ve.

Sie ging nach draußen und setzte sich auf die Treppenstufen vor dem Gebäude. Die Sonne leuchtete warm und freundlich, es war ein wunderschöner Abend. Oder vielmehr: Es wäre ein wunderschöner Abend gewesen, wenn Finn Zeit für sie gehabt hätte.

Die Nachricht kam von einer unbekannten Nummer. Es war auch keine Textnachricht, sondern ein Bild. Ve klickte es an, um es zu vergrößern, und schrie erschrocken auf.

Das Foto zeigte ihre Küche. Man sah Karla, die auf einem Stuhl saß, die Hände vors Gesicht geschlagen. Und Ve, die durch Mehl, Zucker und Scherben auf sie zu- watete.

Jemand hatte sie fotografiert, gestern Abend nach dem Einbruch. Das Foto war von oben aufgenommen worden, die Kamera musste irgendwo unter der Decke befestigt sein.

Jemand hatte sie fotografiert und ihr das Bild geschickt, ohne Worte, ohne Erklärung. Die war auch nicht nötig. Ve verstand die Botschaft auch so.

Du kannst dich nicht verstecken. Wir wissen alles.

»Nicht alles«, murmelte Ve. Ihre Finger zitterten. Vor Angst. Und vor Wut.

Wer immer ihr die Mail geschrieben, den Einbruch inszeniert und die Kamera in der Küche versteckt hatte, wusste, dass ihr Vater es geschafft hatte, eine Verbindung von einem Universum zum anderen zu schaffen, bevor er spurlos verschwunden war.

Aber von dem Buch, in dem Joachim Wandler all seine bahnbrechenden Forschungsergebnisse dokumentiert hatte, wusste dieser geheimnisvolle Unbekannte vermutlich nichts. Die Einzige, die mitbekommen hatte, dass das Buch existierte, war Marcella Sartorius.

Und Marcella hatte keine Gelegenheit gehabt, diese Information an ihre Hintermänner weiterzugeben. Um sich das Buch zu schnappen, war sie Ve Hals über Kopf in die Parallelwelt nachgereist und dort steckte sie heute noch fest.

Das Buch hatte Ve wieder mit in diese Welt genommen. Um es hier in Los Angeles in einem Bankschließfach zu deponieren.

Sie hatte niemandem von ihrem Ausflug in die Parallelwelt erzählt, nicht einmal ihrer Mutter hatte sie sich anvertraut. Weil sie sie nicht beunruhigen wollte – und weil sie ihr misstraute.

Wahrscheinlich tat sie ihr unrecht. Vermutlich hätte Karla genau wie Ve sofort eingesehen, dass die Entdeckung zwar enorme Chancen bot, aber eben auch ein hohes Risiko in sich trug. Wahrscheinlich wäre sie ebenfalls der Ansicht gewesen, dass es sicherer war, den Teleporter auszuschalten und das Wurmloch zu verschließen. Aber wahrscheinlich war Ve zu wenig. Sie kannte ihre Mutter. Karla Wandler war eine ehrgeizige Geschäftsfrau. Und ein Teleporter, mit dem man Güter und Waren in ein anderes Universum transportieren konnte, bedeutete hervorragende Geschäfte und einen enormen Gewinn. Vielleicht hätte Karla dieser Versuchung nicht widerstehen können.

Deshalb hatte Ve das Geheimnis ihres Vaters für sich behalten.