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Weihnachten mit der Familie ist das größte Geschenk, oder nicht?
Eigentlich hatte Julie Parker geglaubt, dass ihre erwachsenen Kinder eigene Pläne haben, und sich deshalb auf ein romantisches Weihnachten zu zweit eingestellt, mit ihrem neuen und noch geheimen Partner. Doch plötzlich wünschen sie sich dieses Jahr ein großes Fest im Ferienhaus der Familie – wie früher, als Julies Mann noch gelebt hat. Ohne zu zögern, plant Julie um und weiß trotzdem bald kaum, wie sie die Gästezahl jonglieren soll. Denn es werden immer mehr Verwandte eingeladen, und nicht nur das: Im Kreise der Liebsten scheint dieses Jahr fast jeder ein Geheimnis auszupacken, das es in sich hat.
»Mallery gelingt es hervorragend, sowohl das Chaos als auch die Freude an einem Familienweihnachten einzufangen. Die Leser werden ermutigt sein« Publishery Weekly
»eine großartige Urlaubslektüre, bei der man manchmal lacht, manchmal weint und hofft, dass sie nicht endet« Simply Love Books
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Seitenzahl: 484
Veröffentlichungsjahr: 2025
Zum Buch
Dana möchte sich ihre Mutter zum Vorbild nehmen. Denn eine Parker steckt den Kopf nicht in den Sand. Auch wenn man verlassen wird, geht das Leben weiter. Und deshalb hat Dana einen Plan: Wohnung renovieren, Yoga-Retreat, Häkelkurs buchen, nach vorn schauen. Dass ihr Bruder Weihnachten jetzt doch mit allen gemeinsam im Ferienhaus feiern möchte, ist für Dana okay. Vielleicht hilft es ihr, Axel endlich ganz hinter sich zu lassen. Natürlich ahnt niemand, dass ausgerechnet ihr Ex am Ende auch noch eingeladen wird, die Feiertage bei ihnen zu verbringen!
Zur Autorin
Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren herzerwärmenden Frauenromanen, die in 28 Sprachen übersetzt sind. Sie ist dafür bekannt, dass sie ihre Figuren in emotional herausfordernde, lebensnahe Situationen geraten lässt und ihre Leser mit überraschenden Wendungen zum Lachen bringt. Mit ihrem Ehemann, zwei Katzen und einem kleinen Pudel lebt sie in Washington.
Lieferbare Titel
One Big Happy Family – Weihnachten mit der lieben Familie
Man liebt nicht nur zur Weihnachtszeit
Carillon Point – Wo das Glück dich findet
Blackberry Island – Wo Wünsche den Weg weisen
Mill Creek – Die Träume meiner Schwester
California Beach – Am Strand der Träume
Herbstfreundinnen
Inselpfade zum Glück
Mein Herz sucht Liebe
Ozeanträume
Susan Mallery
One Big Happy Family
Weihnachten mit der lieben Familie
ROMAN
Aus dem amerikanischen Englisch von Gisela Schmitt
HarperCollins
Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel One Big Happy Family bei Canary Street Press, Toronto.
© 2024 by Susan Mallery, Inc.
Deutsche Erstausgabe
© 2025 für die deutschsprachige Ausgabe by HarperCollins
in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Valentinskamp 24 · 20354 Hamburg
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./SÀRL.
Covergestaltung von FAVORITBUERO, München in Verwendung eines Designs von Alexandra Niit
Coverabbildung von Alexandra Niit unter Verwendung von Shutterstock
E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783749908929
www.harpercollins.de
Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte der Urheberinnen und des Verlags bleiben davon unberührt.
Für Kathy. Du und deine Lieben, ihr seid die absolute Definition von einer großen, glücklichen Familie!
Dieser Roman ist für dich, für Ed und James. Kay, Bob, Patty, Steve und George. Und natürlich in liebevoller Erinnerung an deinen geliebten Vater.
Mögen eure Feiertage immer voller Freude und Liebe sein! Fröhliche Weihnachten dir und deiner Familie.
»Äh … Sie sind eine Frau.«
»Spielt das eine Rolle?«
»Ich weiß es nicht. Wissen Sie denn, wie man Autos abschleppt?«
Julie Parker musste sich stark zurückhalten, um nicht die Augen zu verdrehen. Das sah in ihrem Alter wenig charmant aus. Aber trotzdem.
»Mit Ihrem Auto ist alles in Ordnung«, erwiderte sie. Sie kämpfte mit sich, um nicht die Geduld zu verlieren, was ihr aber nicht so recht gelang. Denn sie fuhr – etwas schnippisch – fort: »Ihnen ist auf dem Freeway 405 das Benzin ausgegangen. Wenn wir die Kompetenz einer Person infrage stellen, sollten wir vielleicht bei Ihnen anfangen.«
»Hey!« Die Mittzwanzigerin blickte endlich von ihrem Handy auf und runzelte die Stirn. »Sie sind reichlich unverschämt.«
»Ja. Und ich habe einen vollen Terminkalender. Möchten Sie nun meine Hilfe oder nicht? Macht zwanzig Dollar fürs Benzin und fünfundsiebzig für den Service.«
»Fünfundneunzig Dollar für ein paar Liter Benzin? Das ist Abzocke!«
»Das ist exakt der Preis, den man Ihnen genannt hat, als Sie bei meiner Firma angerufen haben.«
Pkws und Lkws rasten auf dem belebten Freeway an ihnen vorbei. Es war ein kalter, regnerischer Dezembernachmittag, und Julie war bereits in wenigen Stunden mit ihrem extrem gut aussehenden Freund verabredet. Sie hatte weiß Gott keine Lust darauf, sich mit jemandem herumzustreiten, der jünger war als ihre erwachsenen Kinder.
Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Das bezahle ich nicht.«
»Gut.«
Julie ging mit dem Benzinkanister in der Hand zu ihrem Abschleppwagen zurück. Die Frau rannte ihr hinterher.
»Warten Sie! Also gut, ich bezahle. Fünfundneunzig Dollar?«
»Ja. Die Steuer ist inbegriffen.« Sie fischte ihr Kreditkartenlesegerät aus der Latzhose. »Sie bezahlen, ich fülle den Tank.«
Die Frau warf ihr einen bösen Blick zu, dann steckte sie widerwillig eine Kreditkarte in das Gerät. Keine fünf Minuten später hatte Julie ihr Geld und die unglückliche Autofahrerin genug Benzin, um ihre Fahrt fortzusetzen.
»Ist das Ihr Wagen?«, fragte Julie, obwohl sie eigentlich loswollte.
»Ist der von meinem Freund. Ich darf ihn fahren.«
Julie zeigte auf das Armaturenbrett. »Bei seinem eigenen Auto weiß man wahrscheinlich eher, wie viel Benzin man noch hat. Das weiß man immer irgendwie, ohne groß nachzudenken. Aber wenn man den Wagen von jemand anderem fährt, sollte man als Erstes die Tankanzeige checken. Bei diesem Wetter wartet man unter Umständen sehr lange auf den Abschleppdienst. Und so ein Seitenstreifen ist nicht gerade der sicherste Ort.«
»Oh.« Die junge Frau warf einen Blick auf den vorbeirauschenden Verkehr, dann ließ sie sich auf den Fahrersitz gleiten. »Danke. Das werde ich im Hinterkopf behalten.«
»Schönen Tag noch«, rief Julie, als die junge Frau mit Vollgas wegfuhr, sodass der Splitt in die Höhe spritzte.
Sie ging zurück zu ihrem Abschleppwagen. Ihre gute Tat für den Tag hatte sie also erledigt – das war doch schon mal was. Dreißig Minuten später fuhr sie auf den Abschlepphof, unter dem großen Schild »Parker Towing« hindurch, das ihr Großvater vor fast fünfzig Jahren angebracht hatte. Sie parkte das Abschleppfahrzeug und rannte dann durch den strömenden Regen in die Zentrale, wo gerade Mariah Careys Version von »Santa Baby« aus den Lautsprechern dröhnte. Sie hängte den Schlüssel ans Schlüsselbrett und steckte das Kreditkartenlesegerät auf die Docking-Station, sodass die Transaktion heruntergeladen und abgerechnet werden konnte.
Huxley, ihr Büroleiter, Schrägstrich Fahrerflüsterer, Schrägstrich gute Seele des Hauses – sah sie über seine Lesebrille hinweg an.
»Warum tust du dir das an? Warum nimmst du solche Anrufe an? Ich bin nur kurz in der Mittagspause, und als ich zurückkomme, bist du mit einem der Abschleppfahrzeuge unterwegs, um bei diesem Wetter Gott weiß was zu erleben. Ich mache mir nicht gerne Sorgen. Wenn ich mir Sorgen mache, bekomme ich Ausschlag, und dann muss ich zum Arzt, und das kostet unsere Versicherung Geld. Willst du etwa, dass die Prämien steigen? Wohl kaum. Trotzdem fährst du raus. Alle halbe Jahre fühlst du dich um fünfundzwanzig Jahre zurückversetzt, als würdest du immer noch einen verdammten Abschleppwagen fahren. Aber du bist hier die Chefin, Julie! Und zwar schon lange. Es wäre also wirklich schön, wenn du dich mal daran erinnern würdest.«
»Ich habe nur jemandem Benzin vorbeigebracht und kein Fahrzeug abgeschleppt, das gepfändet wurde. Alles gut. Außerdem macht es mir Spaß, ab und zu mit einem der Abschleppwagen rumzufahren. Ich muss am Ball bleiben. Die Jungs müssen Respekt vor mir haben, und dafür muss ich meine Fähigkeiten unter Beweis stellen.«
»Jeder Trottel kann einem Idioten, der vergessen hat, sein Auto vollzutanken, Benzin vorbeibringen. Von welchen Fähigkeiten redest du?«
Sie lachte. »Ich hatte meinen Spaß. Und ich darf das. Also lass mich in Ruhe.«
»Es fängt schon an, mich überall zu jucken«, gab er ihr mit, als sie in Richtung ihres Büros ging. »Und Axel wartet darauf, mit dir zu sprechen. Er hat die Liste für heute.«
Julies gute Laune verflog augenblicklich. Sie ging zielstrebig auf ihr Büro zu und steuerte schnurstracks ihren Schreibtisch an. Den großen, kräftigen Mann, der mit einem Ordner in der Hand am Fenster stand, ignorierte sie. Nachdem sie sich gesetzt hatte, ließ sie den Blick zu dem Baseballschläger wandern, der wie zufällig in einer Ecke stand.
Von ihrem achten bis zu ihrem dreizehnten Lebensjahr hatte ihr Vater darauf bestanden, dass sie jede Woche im Park das Batten trainierte. Nach all den Trainingseinheiten hatte sie einen verdammt guten Schlag, und sie hatte keine Angst, mit Wucht auf einen Ball oder irgendetwas anderes zu dreschen.
Nicht dass sie Leute mit einem Baseballschläger verprügelte, aber das gute Stück hatte schon mehr als einmal zur Abschreckung gedient. Den Schläger in der Nähe zu haben, gab ihr ein Gefühl der Sicherheit. Die Welt war ein besserer Ort, zumindest aus ihrer Perspektive, wenn sie wusste, dass sie mit allem umgehen konnte, was auf sie zukam. Sie bat grundsätzlich nie jemanden um Hilfe – sie kümmerte sich um jedes Problem selbst.
Nun holte sie tief Luft, hob den Kopf und sah den Mann an, der sie fixierte. »Axel.«
Er kam rüber zu ihrem Schreibtisch und legte den Ordner hin. »Ich habe fünf heute Abend.«
»Fünf ist viel.«
Sie warf einen Blick auf die Papiere. Tatsächlich waren es fünf Autos, die die Bank zurückhaben wollte. Alles hochwertige Fahrzeuge der neuesten Modelle mit entsprechend hohen Rücknahmegebühren.
Nach Abzug von 25 Prozent des Gewinns zur Deckung der Unkosten, einschließlich der Kosten für das Fahrzeug, teilten sich ihr Unternehmen und ihr Repo-Mann – derjenige, der die Sachpfändung durchführte – die Gebühr fifty-fifty. Es war eine gefährliche Arbeit für wenig Geld und der Teil des Geschäfts, den sie nie verstanden hatte. Aber diese Repo-Typen lebten von Adrenalin, und irgendjemand musste ja die Fahrzeuge zurückholen, die die Leute benutzten, obwohl sie sie nicht bezahlt hatten.
Sie klappte den Ordner wieder zu und schob ihn Axel hin. »Lass dich nicht erschießen.«
Axel schenkte ihr ein Lächeln. »Wenn einer mich erschießt, würde das eine Menge deiner Probleme lösen.«
»Warum sagst du so was? Du bist mein Repo-Mann. Ich habe kein Interesse daran, mir einen anderen zu suchen.«
»Aber du bist immer noch sauer auf mich. Hab ich irgendeine Chance, dass du das irgendwann vergisst?«
Sauer beschreibt nicht annähernd, was ich fühle, dachte sie grimmig, während sie sein attraktives Gesicht und seine dunklen Augen musterte. Er war der Typ Mann, der Frauen auffiel. Auf angenehme Weise gefährlich, sexy – kurz: jede Menge Ärger.
»Wie lange warst du mit meiner Tochter zusammen?«
Sein Lächeln verschwand, und er trat einen Schritt zurück. »Knapp zwei Jahre.«
»Und wie oft hat sie dich dummerweise wieder in ihr Leben gelassen, damit du ihr erneut das Herz brichst?«
Sein Blick war nicht zu deuten. »Drei Mal.«
»Ich komme auf vier Mal, aber das ist nicht so wichtig. Ich werde das, was du ihr angetan hast, vergessen, wenn ich so weit bin. Geh mal von plus/minus dreißig Jahren aus.«
Er ließ den Kopf hängen. »Es tut mir leid.«
»Hör auf damit«, fuhr sie ihn an. »Du musst dich nicht bei mir entschuldigen. Ich hasse dich aus reiner Solidarität. Wenn dir wirklich etwas an Dana liegt, dann hör auf, ihr Leben durcheinanderzubringen. Lass sie einfach in Ruhe.«
»Ich versuch’s ja.«
»Streng dich an.«
»Das Herz will, was das Herz will.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass dein Herz nicht der Körperteil ist, der den ganzen Ärger verursacht.«
Er sah sie an. »Möchtest du, dass ich kündige?«
An manchen Tagen dachte sie, das wäre das Beste – meist dann, wenn sie ihre weinende Tochter im Arm hielt, weil Axel sie wieder einmal verlassen hatte. Denn er hatte recht: Wenn es um ihn ging, wollte Danas Herz das, was es wollte. Und ihr Herz wollte leider ihn. Aber an allen anderen Tagen war sie froh, Axel zu haben. Er war zuverlässig, verstand das Geschäft und hatte die Angewohnheit, neue Mitarbeiter unter seine Fittiche zu nehmen und sie mit allen Tricks vertraut zu machen.
»Du bist gut in deinem Job«, sagte Julie widerstrebend und sah aus dem Fenster. »Halt dich einfach in Zukunft von ihr fern, dann haben wir zwei kein Problem.«
»Du bist eine gute Mutter.«
Statt sich über seine Worte zu freuen, durchzuckte sie ein Schuldgefühl. Während sie sich normalerweise ganz klar zur Kategorie »gute Mutter« zählte, hatte sie in letzter Zeit gewisse Geheimnisse. Oder besser gesagt: ein Geheimnis. Ein Geheimnis, so groß wie ein ausgewachsener Mann.
Irgendwann musste sie die Bombe platzen lassen. Nur nicht heute, dachte sie. Es waren noch drei Wochen bis Weihnachten. Ihre Kinder hatten Pläne, die sie nicht einschlossen, und Heath – ihr Freund, auch wenn sie dieses Wort nicht laut aussprach – hatte seine Kinder über die Feiertage auch nicht. Also würden sie beide es sich bei ihr gemütlich machen und ein wenig Zeit zu zweit genießen, ohne irgendwohin zu müssen. Und das konnte sie, ehrlich gesagt, kaum erwarten.
Sie schob die Gedanken fort und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Axel.
»Hol die Autos«, sagte sie ihm. »Das Wetter wird immer schlimmer. Vergiss das nicht und mach keinen Unsinn. Die großen Trucks, die du fährst, gehören immer noch mir.«
Sein Lächeln kehrte zurück. »Yes, Ma’am.«
Er schnappte sich den Papierkram und ging. Als Julie sicher war, dass er sich außer Hörweite befand, murmelte sie: »Und lass dich nicht umbringen.« Denn trotz ihrer Wut auf Axel war sie nicht komplett herzlos. Abgesehen davon, wie er ihre Tochter behandelt hatte, war er ein guter Kerl, und insgeheim mochte sie ihn. Zumindest, wenn es um »Parker Towing« ging.
Was Dana und ihre Hingabe für diesen Mann betraf, so war ihre Tochter erwachsen. Irgendwann musste sie selbst herausfinden, wie es in ihrem Leben weitergehen sollte. Denn so funktionierte es nun mal. Man probierte etwas aus, und wenn es nicht klappte, machte man woanders weiter. Auch das hatte ihr Vater ihr beigebracht – nicht nur, wie man einen Schläger schwingt –, und sie hatte beides sehr, sehr gut gelernt.
»Zu dick und zu zäh für ein Plätzchen«, murmelte Peggy zweifelnd.
»Das ist ein Brownie«, erklärte Fred. »Kein Plätzchen. Ein Brownie.«
»Und selbst wenn es Popcorn sein soll – es ist zu zäh.« Peggy sah Blair an. »Sind da Nüsse drin? Du weißt doch, dass ich keine Nüsse vertrage.«
»Keine Nüsse«, sagte Blair fröhlich. »Nur beste Bio-Zutaten und viel weniger Zucker.«
»Deshalb ist es so zäh.« Peggy schüttelte den Kopf. »Ich sage es nur ungern, meine Liebe: Aber von mir kriegst du ein Nein.«
»Mir schmeckt’s.« Fred nahm sich einen weiteren Brownie von dem Teller mit Weihnachtsmotiv. »Da sind auch Pflaumen drin, oder? Das ist doch dein Ding. Aber du weißt ja: Was man über Pflaumen und alte Leute sagt, ist ein Mythos.«
»Es ist kein Mythos.« Cordella lächelte Blair an. »Ich liebe Pflaumen.«
»Die ersten Plätzchen waren überhaupt nicht zäh«, murmelte Peggy. »Die fand ich besser.«
»Das waren ja auch Plätzchen und keine Brownies.« Fred grinste Blair an. »Mir schmeckt beides.«
»Danke für euer Feedback.« Blair erhob sich und sammelte die Bögen ein, die die Bewohner ausgefüllt hatten. »Ich habe fest vor, eine bessere Auswahl an zuckerarmen Desserts anzubieten. Wir können uns nicht länger auf Obst, Gelatine und alles, was wir von unserem Lieferanten kaufen können, verlassen. Hätte jemand Interesse an einem Koch- oder Backkurs? Vielleicht könnten wir alle zusammen an ein paar Tagen in der Woche backen.«
Fred starrte sie ausdruckslos an. »Ich weiß nicht, wie man backt.«
»Du könntest es lernen.«
Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Blair. Meine Frau hat zweiundfünfzig Jahre lang für mich gebacken. Ich bin zu alt, um jetzt noch etwas so Kompliziertes zu lernen. Außerdem ist mein Terminkalender im Moment ziemlich voll. Aber fragen Sie doch die Damen, ob sie Interesse haben.«
Damit erhob er sich, nahm seinen Gehstock und huschte so schnell, wie es ihm sein lädiertes Bein erlaubte, aus dem Zimmer. Blair grinste.
»Das war also ein Nein?«
»Ich kann backen«, bot Cordella an. »Obwohl meine Tage auch ziemlich voll sind.« Sie tätschelte Blairs Hand. »Ich fürchte, Sie sind auf sich gestellt, meine Liebe. Aber die Plätzchen waren köstlich. Sie sollten mit dem Küchenpersonal sprechen, damit sie auf den Speiseplan genommen werden. Die werden ein Hit.«
Cordella lächelte, dann stand sie auf und wartete ab, bis Peggy ihr Elektromobil vorsichtig zur Tür manövriert hatte. Kurz bevor sie gemeinsam den Raum verließen, blieb Peggy noch einmal kurz stehen.
»Wenn ich Sie vor den Feiertagen nicht mehr sehe, wünsche ich Ihnen frohe Weihnachten, meine Liebe. Wir alle freuen uns, dass Sie sich so viel Mühe machen.«
Blair winkte ihr zu und begann dann, die Teller und Servietten von der Dessertverkostung wegzuräumen. Die heutige Verkostung war die dritte mit der neuen Charge von Plätzchen und Brownies, und bei jedem ihrer Treffen waren die Kommentare die gleichen gewesen. Alle liebten die Plätzchen, aber die Brownies kamen nicht so gut an. Eine fünfzigprozentige Erfolgsquote war trotzdem großartig. Sie tat ihr Bestes, um gesunde, schmackhafte Desserts für die Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegeheims zu entwickeln.
Die übrig gebliebenen Kostproben brachte sie in den Personalraum und machte sich auf den Weg in ihr Büro. Durch die großen Fenster im Flur sah sie, dass es immer noch regnete. Es war noch nicht mal fünfzehn Uhr und wurde bereits dunkel, typisch für Seattle im Dezember. Vor ihrer Besprechung mit dem Küchenchef um sechzehn Uhr musste sie noch zwei Wochenmenüs durchgehen. Als hauseigene Beraterin für Ernährung im Alter war sie in der Seniorenwohnanlage für die Auswahl an Speisen verantwortlich. Die Feiertagsmenüs waren zwar bereits genehmigt, aber sie wollte noch die Snackoptionen für die verschiedenen Veranstaltungen besprechen, an denen die Bewohner und Bewohnerinnen teilnehmen würden.
Sie hatte ihr Büro fast erreicht, als eine Nachricht von einer der Empfangsmitarbeiterinnen auf ihrem Handy einging.
Da steht ein wirklich gut aussehender Typ mit einem Abschleppwagen vor der Tür. Hast du Interesse, oder soll ich sämtliche Single-Frauen informieren?
Blair grinste, während sie ein schnelles »Auf keinen Fall« zurückschrieb. »Nick gehört mir, und das weißt du.«
Sie lächelte noch immer, als sie das große offene Foyer des Hauptgebäudes erreichte. Ihr Mann lehnte an der Rezeption und sprach mit einer der Ehrenamtlerinnen.
Wie immer ließ sein Anblick ihr Herz ein klein wenig schneller schlagen. Nick war groß und stark, er besaß ein gewinnendes Lächeln und eine noch gewinnendere Persönlichkeit. Das war eine der Eigenschaften, die sie gleich an ihm fasziniert hatten – er ließ sich selten aus der Ruhe bringen. Während sie mit Zeitplänen, festen Regeln und Akkuratesse kämpfen musste, nahm er die Dinge, wie sie kamen. Das bewunderte sie an ihm und wünschte sich, ihr Magen-Darm-System würde auch ihr ein so sorgloses Dasein erlauben.
»Im nächsten Leben«, murmelte sie. In ihrem nächsten Leben würde sie gesund sein und essen können, was sie wollte, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie ihr Körper reagieren würde. In ihrem nächsten Leben würde sie nicht mehr wissen müssen, wo es eine »sichere« Toilette auf dem Weg von der Arbeit nach Hause oder zwischen dort und dem Supermarkt gab. Ihre Aktivitäten würden nicht mehr davon abhängen, ob sie einen »guten« Tag hatte oder ob sie leiden musste. Dann gäbe es keine Pillen mehr, die zu bestimmten Uhrzeiten eingenommen werden mussten, um die Dinge »da unten« ruhig zu halten.
Als sie sich ihrem Mann näherte, lachte er gerade über eine Bemerkung der Ehrenamtlerin. Wie immer trug er Jeans und Stahlkappenstiefel, dazu eine wasserabweisende Weste über einem dicken Karohemd. Nick hielt nichts von Jacken – sie behinderten ihn bei seiner Arbeit. Ihm schien auch die feuchte Kälte nichts auszumachen, die der Winter in Seattle mit sich brachte.
Er sah auf und erblickte sie. Seine Miene erhellte sich, und er sah sie liebevoll an. »Hey, du.«
Sie lief auf ihn zu. Er zog sie an sich und umarmte sie, küsste sie aber nur ganz kurz. Immerhin war das ihr Arbeitsplatz.
»Was führt dich in die Gegend?«, fragte sie und ging mit ihm zu einer der Sitzecken am Fenster. Um diese Tageszeit waren nicht viele Bewohner unten, sodass sie schnell ein ruhiges Plätzchen gefunden hatten. Sie setzten sich auf ein Sofa.
»Ich musste ganz in der Nähe ein Auto abschleppen. Und da dachte ich, ich komme mal kurz vorbei und sage Hallo.«
»Hallo.«
Er lachte. »Hallo zurück.« Sein Blick verweilte auf ihrem Gesicht. »Du siehst heute besonders schön aus.«
»Ich fühle mich gut.«
»Das höre ich gerne.«
Sie wusste, dass er es ernst meinte – nicht nur, weil es viel einfacher war, Sex zu haben, wenn es in ihrem Bauch ruhig war, sondern weil er sich ernsthaft Sorgen um sie machte. Er führte zwar kein so detailliertes Tagebuch wie sie – sie notierte gewissenhaft, was sie gegessen hatte und wann sie Krampfanfälle befielen –, aber er hatte ein Gespür dafür, wann sie Beschwerden bekam. Mehr als nur einmal war er derjenige, der ihr zuflüsterte, wo sich die nächste Toilette befand, sodass sie gewappnet war für den Fall der Fälle.
Er beugte sich zu ihr und nahm ihre Hand. »Tut mir leid.«
»Schon gut.« Sie drückte seine Finger. »Nick, alles in Ordnung. Ich liebe dich. Wir fahren dann im März nach Hawaii, wie du gesagt hast.«
»Ich wirbele alles durcheinander.«
»Tust du nicht.«
»Wir hatten andere Pläne.« Er sah ihr in die Augen. »Ich möchte so gern mit dir wegfahren, nur …«
Sie nahm nun auch seine andere Hand und drückte sie beide. »Nicholas James Parker, du hörst jetzt sofort auf. Es war ein stressiges Jahr. Du hast zwei Wochen vor unserer geplanten Hochzeit deinen Vater verloren. Damit hat niemand gerechnet. Wir waren alle am Boden zerstört. Er war dein Vater. So etwas überwindet man nicht in ein paar Monaten.«
Sie hatten die Hochzeit auf Mai verschoben, konnten dann aber wegen ihrer Arbeit nicht in die Flitterwochen fahren. Also hatten sie sich darauf geeinigt, Weihnachten auf Hawaii zu verbringen – nur sie beide. Nach einem großen Thanksgiving-Fest mit der ganzen Familie waren sie davon ausgegangen, dass ihnen der Urlaub guttun würde. Doch Nick hatte plötzlich Zweifel bekommen.
»Ich vermisse ihn immer noch«, sagte er leise.
»Natürlich tust du das. Ich habe meinen Vater schon vor vier Jahren verloren und denke immer noch die ganze Zeit an ihn. Es ist ein großer Einschnitt. Der Geist braucht lange, um zu heilen, und die entstandene Leere geht nie ganz weg.«
Ihren Protest schluckte sie herunter. Sie liebte Nick und würde tun, was das Beste für ihn war – aber Weihnachten hier verbringen? Hilfe. Das klang nach Albtraum.
»Jetzt haben wir eben einen neuen Plan«, sagte sie betont fröhlich. »Du wirst heute Abend mit Dana sprechen, und wenn sie einverstanden ist, sagen wir deiner Mutter morgen beim Abendessen, dass wir unsere Meinung geändert haben und dass wir ein großes fröhliches Familienweihnachtsfest auf der Hütte feiern wollen. Ich werde Onkel Paul fragen, ob er mitkommen will, denn je mehr Leute, desto besser. Und dann die volle Packung – Weihnachtsbaum, gemeinsame Zeit im Schnee, all unsere Traditionen. Wir werden über deinen Vater reden und darüber, wie es war, als du klein warst, und es wird traurig sein und trotzdem wunderbar, und wenn wir wieder nach Hause kommen, wirst du nicht mehr so traurig sein.«
»Was ist mit deiner Mutter?«
Genau das war der eigentliche Grund, warum Blair so froh gewesen war über die Hawaii-Reise. Sie ließ seine Hände los und wandte den Blick ab. »Ich will nicht über sie reden.«
»Sie ist ein Problem.«
»Sie ist immer ein Problem.«
»Wir müssen es ihr ja nicht sagen«, schlug er zögerlich vor.
Blair holte tief Luft. »Das wäre schön. Aber das geht leider nicht. Sie wohnt jetzt hier. Damit muss ich klarkommen.«
Blairs Mutter Gwen hatte vor Kurzem die überraschende Entscheidung getroffen, von Boise, wo sie immer gelebt hatte, in den Großraum Seattle zu ziehen. Sie hatte ihr Haus verkauft, ihre Sachen gepackt und war praktisch ohne Vorwarnung aufgetaucht. Für den Übergang hatte sie eine kleine Wohnung gemietet, bis sie entschieden hatte, wo sie dauerhaft leben wollte. Nachdem sie jahrzehntelang über achthundert Kilometer entfernt gewesen war, wohnte sie nun ärgerlicherweise ganz in der Nähe.
»An Thanksgiving war es ja noch einfach«, gab Blair zu. »Da ist sie zurück nach Boise geflogen, um die Feiertage dort mit ihren Freunden zu verbringen. Aber an Weihnachten wird sie hier sein. Es wäre kein Problem gewesen, wenn wir in unsere verspäteten Flitterwochen gestartet wären, denn damit hätte sie nichts zu tun gehabt. Es ist etwas anderes, sie nicht einzuladen, wenn wir mit der Familie in die Berge fahren. Sie wird mitkommen müssen.«
»Du solltest mal mit meiner Mutter reden.«
»Und ihr was sagen? Ich liebe deine Mutter, und sie liebt mich. Ich werde auf keinen Fall zugeben, dass ich Probleme mit meiner eigenen Mutter habe. Sie wird denken, ich wäre herzlos oder ein Freak.«
Vor allem beschrieb der Begriff Problem die Angelegenheit nicht annähernd. Blair und ihre Mutter hatten schon seit Jahrzehnten keinen guten Draht zueinander. Blair hatte keine Ahnung, was Gwen von ihr dachte, aber sie selbst schämte sich manchmal dafür, wie sehr sie ihre eigene Mutter ablehnte und verachtete.
»Ich wünschte, sie wäre in Boise geblieben«, murmelte Blair. »Es war so viel einfacher, als wir nur alle fünf oder sechs Monate mal telefoniert haben und uns nie sehen mussten. Hier kennt sie niemanden. Sie muss sich alles neu suchen, Freunde und Ärzte und so weiter. Sie wäre besser dort geblieben, wo sie die Leute kennt.«
»Hier kennt sie dich.«
»Haha. Je weniger Zeit ich mit ihr verbringe, desto glücklicher bin ich. Sie wird Weihnachten für uns alle ruinieren.«
»Wird sie nicht.«
»Wart’s ab. In zwei Tagen wirst du dich bei mir dafür entschuldigen, dass du dich geirrt hast.«
Und doch gab es keinen Ausweg. Das war die eigentliche Schwierigkeit. Sie konnte sich beklagen und sich wünschen, dass es anders wäre, aber sie hatte nicht das Zeug dazu, ihre Mutter über Weihnachten einfach allein zu lassen – obwohl sie es sogar hasste, mit ihr im selben Zimmer zu sein.
»Wenigstens wird dein Onkel Paul dabei sein«, erinnerte Nick sie. »Den mögen alle.« Er runzelte die Stirn. »Bis zur Hochzeit habe ich ihn und deine Mutter noch nie zusammen gesehen. Sie kommen wohl auch nicht so gut miteinander aus.«
»Zwischen ihnen herrscht eine Art kühle Akzeptanz. Er war der Bruder meines Vaters, nicht ihr Bruder. Ich glaube, er hatte kein Problem mit ihr, bis … du weißt schon. Bis sich alles geändert hat.«
Onkel Paul hatte Blair immer unterstützt. Und als sie einen Ort brauchte, an den sie flüchten konnte, hatte er ihr sein Haus zur Verfügung gestellt. Sie hatte während ihrer Highschool-Zeit und während ihres Studiums bei ihm gewohnt, bis sie ihren Abschluss an der Universität von Washington gemacht hatte. Sie waren füreinander da gewesen, als Blair ihren Vater und Paul seinen einzigen Bruder verloren hatte. Paul hatte sie zum Altar geführt, als sie und Nick heirateten. Sie und Paul waren eine Familie. Nicht sie und ihre Mutter.
»Wir müssen Julie klarmachen, worauf sie sich einlässt«, sagte sie. »Ich habe viel Ballast dabei. Das ist nicht lustig.«
»Du weißt, dass Mom es liebt, Dinge in Ordnung zu bringen. Sie übernimmt sofort das Kommando, und schlussendlich machen alle genau das, was sie sagt.« Er grinste. »Sie kann sehr entschlossen sein. Vielleicht findet sie bis zum Ende der Feiertage heraus, wie sie dich und deine Mutter dazu bringen kann, wieder Freunde zu werden.«
»Unwahrscheinlich.« Das war ein sehr viel netterer Ausdruck für das, was Blair eigentlich sagen wollte, nämlich: »Ich will gar nicht mit meiner Mutter befreundet sein. Ich will, dass sie woanders lebt, damit ich sie nie wiedersehen oder mich mit ihr abgeben muss.«
Und das machte sie zu einem schrecklichen Menschen. Aber sie war bereit, mit dieser Schuld zu leben, denn sie sammelte in anderen Bereichen ihres Lebens Karma-Punkte: Sie war eine gute Freundin, spendete großzügig für wohltätige Zwecke und war eine ausgezeichnete Zuhörerin. Nur ihre Mutter konnte sie auf den Tod nicht ausstehen.
Sie sah auf die Uhr. »Ich muss jetzt zu einem Meeting, und du hast Autos abzuschleppen. Fährst du noch zu Dana, bevor du nach Hause kommst?«
»Ja, ich werde nach meiner Schicht kurz bei ihr vorbeischauen.«
Sie standen beide auf. Er berührte ihre Wange. »Wir werden eine Lösung finden.«
»Das werden wir, und wir werden auch das durchstehen.« Sie sah ihm in die Augen. »Du brauchst die Zeit mit der Familie, Nick. Das ist wichtig. Es ist das erste Weihnachten ohne deinen Vater. Darum geht es. Alles andere kann warten.«
»Warum bist du so lieb zu mir?«
»Weil du der beste Mann aller Zeiten bist und ich die glückliche Frau, die du geheiratet hast.«
Er lächelte. »Wir werden uns später darüber streiten, wer von uns beiden mehr Glück hat. Ich liebe dich.«
»Ich dich auch. Pass auf dich auf.«
»Immer.«
Er ging zum Ausgang. Blair gestattete sich, ihm hinterherzusehen. Wie immer machte sich ein kleiner Knoten der Sorge in ihrer Brust breit. Als Abschleppwagenfahrer lebte man gefährlich. Ein unaufmerksamer Autofahrer konnte ihn leicht übersehen und überfahren, während er auf der Autobahn an einem liegen gebliebenen Auto arbeitete. Ein betrunkener oder unter Drogeneinfluss stehender Fahrer konnte ihn mit einer Waffe bedrohen, was schon vorgekommen und der Grund dafür war, dass Nick eine halbautomatische 9-mm-Pistole im Handschuhfach aufbewahrte.
Er war den Elementen ausgesetzt, hatte mit allen möglichen fremden Leuten zu tun und war selbst nachts in gefährlichen Gegenden unterwegs. Sein Beruf hatte ihr nie gefallen, aber da es sich um ein Familienunternehmen handelte, würde sie nie von ihm verlangen, dass er sich etwas anderes suchte. Seine Mutter Julie hatte von Anfang an geplant, dass ihr einziger Sohn die Firma »Parker Towing« übernehmen würde, und Nick hatte sich selbst auch immer dort gesehen. Er war zwar nicht begeistert davon, dass er sich auch um die geschäftliche Seite kümmern musste, trotzdem war der Abschleppdienst sein Leben.
Zumindest bis vor Kurzem, dachte sie, als sie zurück in ihr Büro eilte. Nick hatte sich zwar noch nicht endgültig entschieden, aber sie wusste, dass er geneigt war, das großzügige Angebot ihres Onkels Paul anzunehmen. Und wenn das geschah, würde Nicks Zukunft ganz anders aussehen. Dann musste sie sich keine Sorgen mehr um ihn machen, und er würde wieder begeistert sein von seiner Arbeit.
Das einzige Problem bestand nur darin, Julie mitzuteilen, dass es bei »Parker Towing« keine dritte Generation mehr geben würde. Und keiner von ihnen wollte derjenige sein, der seiner Mutter das Herz brach – oder sich ihren Zorn zuzog.
Dana Parker hatte nicht gewusst, dass sich Hände vom Kräuseln von Geschenkband verkrampfen konnten, aber genau so war es. Die Stapel der gespendeten, unverpackten Geschenke hatten sich in Stapel verpackter Geschenke verwandelt, jedes mit einem farblich gekennzeichneten und nummerierten Etikett. M7 – 10 bedeutete, dass das Geschenk für ein Mädchen zwischen sieben und zehn Jahren bestimmt war. Sobald die verpackten Geschenke an die verschiedenen örtlichen Wohltätigkeitsorganisationen verteilt waren, wurden die codierten Anhänger durch personalisierte ersetzt.
Um schneller und effizienter zu arbeiten, hatten sich die Freiwilligen in zwei Gruppen aufgeteilt: Die einen packten ein, die anderen versahen die Geschenke mit Geschenkband und Etiketten. Dana gehörte zu letzterer Gruppe – was sie inzwischen bedauerte. Sie hätte es vorgezogen, sich am Papier zu schneiden, statt diese Fingerkrämpfe zu bekommen.
»Alles für den guten Zweck«, sagte sie sich selbst. Denn zu dieser Jahreszeit ging es immer um den guten Zweck und darum, anderen zu helfen. Es gab immer was zu tun. Das vorangegangene Wochenende hatte sie damit verbracht, Rucksäcke für Schulkinder zu packen, die in den Ferien keine Mahlzeiten in der Schule bekamen, und heute Nachmittag verstümmelte sie sich im Dienste des Geschenkbands.
In ihrer Hosentasche vibrierte ihr Handy. Sie holte es raus und las eine SMS ihrer Mutter.
Ich habe fabelhafte Lampen gefunden. Wann bist du zu Hause?
Lampen? Danas erster Impuls war zu fragen, warum, aber ihre Mutter hatte einen besseren Geschmack als sie, und wahrscheinlich passten die Lampen perfekt zu ihrem kürzlich renovierten Schlafzimmer.
In etwa zehn Minuten bin ich hier fertig, dann fahre ich nach Hause.
Gut. Ich lege sie vor die Tür. Sie sind in Plastik eingewickelt, kann nichts drankommen. Hab dich lieb.
Dana schickte Herz-Emojis zurück und konzentrierte sich dann wieder auf das Kräuseln der Bänder. Drei Minuten vor sechzehn Uhr war sie mit dem letzten Paket fertig und betrachtete den beeindruckenden Stapel von Geschenken, den sie alle zusammen fertiggestellt hatten. Sie hatten gute Arbeit geleistet, und sie war froh, ein Teil des Teams zu sein. Es hatte sich gelohnt, sich freizunehmen.
»Dieses Weihnachten machen wir eine Menge Kinder glücklich«, sagte die Frau am Nebentisch lächelnd zu ihr. »Und das alles mit drei Stunden Einsatz. Aber jetzt muss ich nach Hause und meine eigenen Geschenke verpacken.« Sie warf einen kritischen Blick auf ihre Hände. »Okay, vielleicht nicht mehr heute.«
»Da bin ich bei dir«, sagte Dana leichthin.
Sie stand auf, nahm ihre Tasche und trug sich aus der Liste aus, bevor sie sich auf den Weg zu ihrem Wagen machte. Den anderen Freiwilligen ging sie dabei absichtlich aus dem Weg, weil sie nicht in Gespräche über Familien, Feiertage und Geschenke verwickelt werden wollte. Es war immer so erbärmlich, wenn sie über ihr eigenes Leben sprach. Hätte sie einhundert Jahre früher gelebt, hätte man sie als alte Jungfer bezeichnet. Eine einsame, alleinstehende Frau, die verzweifelt in jemanden verliebt war, der sie immer wieder verließ. Sie war eine Idiotin. Schlimmer noch – sie war eine Idiotin, die es einfach nicht lernen wollte.
Während sie durch den Regen fuhr, versuchte sie, das Brennen in ihren Augen zu ignorieren. Sie hatte beschlossen, nicht mehr wegen Axel zu weinen. Sie hatte jetzt einen Plan.
Vielleicht keinen großartigen, aber immerhin einen Plan. Nach vorne schauen und all das.
Sie hatte bereits ihr Schlafzimmer neu gestrichen und die Möbel ausgetauscht. Sie schlief nicht mehr in dem Bett, in dem er mit ihr gelegen hatte. Ab Samstag hatte sie bis nach dem Jahreswechsel frei. Am zweiten Januar würde nicht nur ein neues Quartal beginnen, sondern auch ihr neues Leben. Bis dahin würde sie über Axel hinweg sein, ihre Schränke ausmisten, sich bei einer neuen Dating-App anmelden, mit Yoga anfangen und häkeln lernen. Ehrgeizig? Ja. Aber machbar. Denn sie hatte es satt, dieses tragische halbe Leben zu leben und zuzusehen, wie immer nur andere Leute bekamen, was sie wollten. Sie hatte es satt, auf einen Mann zu warten, der behauptete, sie zu lieben, sie jedoch immer wieder verließ und ihr jedes Mal aufs Neue das Herz brach. Sie wollte endlich glücklich sein.
Zu diesem Zweck hatte sie fast jeden Moment ihrer freien Zeit verplant. Dana stand auf der Warteliste für ein Yoga-Retreat und hatte einen Zeitplan für die Reinigung ihrer gesamten Wohnung und für die Entrümpelung ihrer Schränke nach Marie Kondo erstellt. Sie hatte einen Online-Häkelkurs für Anfänger gefunden, in dem sie für nur siebenundzwanzig Dollar alles lernen würde, was sie über dieses Kunsthandwerk wissen wollte. Sie hatte sich Filme auf Netflix rausgesucht, eine Liste von Lieferservice-Restaurants gemacht, die sie ausprobieren wollte, und ein paar Ideen gesammelt, was sie ihrer Mutter zum Weihnachtsessen mitbringen könnte. Da Nick und Blair in den Flitterwochen sein würden, würden nur sie beide da sein, und vielleicht noch Huxley, der bei ihrer Mutter arbeitete. Ihr schwebte eine Art Cranberry-Apfel-Salat vor.
Als sie um die Ecke in ihre Straße bog, sah sie die künstlichen Rotkardinäle, die ihre Nachbarn auf dem Kunstrasen in ihrem Vorgarten angebracht hatten. Die Vögel erinnerten sie stets an ihren Vater, der immer davon erzählt hatte, wie sehr seine Großmutter Rotkardinäle geliebt hatte. Die Vögel standen seit ein paar Tagen da, und jedes Mal, wenn sie sie sah, fühlte sie eine Art Beklemmung in ihrem Herzen.
Kein Wunder, dachte sie, als sie in die Garage fuhr. Es ist das erste Weihnachten ohne Dad. Ab jetzt ist alles anders.
Sie ging durch die Garage in ihre Wohnung und gleich weiter auf die Veranda, wo der in Plastik verpackte Karton wartete, regensicher abgestellt. Sie stellte ihn auf den Küchentisch, öffnete ihn und starrte auf zwei elegante Lampen im Mid-Century-Modern-Stil. Der verglaste Sockel hatte einen Ombré-Effekt, der ein paar Nuancen dunkler war als die hellgraue Wandfarbe, die sie für ihr Schlafzimmer gewählt hatte, und sich zu einem schönen, tiefen Violett wandelte, das die Farbe ihrer Bettdecke aufnahm. Die Lampenschirme waren in einem neutralen Weiß gehalten, das zu den Zier- und Sockelleisten passte.
Sie wollte gerade zum Telefon greifen und ihre Mutter anrufen, um sich zu bedanken und von den tollen Lampen zu schwärmen, als es an der Tür klopfte. Draußen im Regen stand ihr Bruder.
»Hi«, begrüßte sie ihn und ließ ihn herein. »Hatten wir ausgemacht, dass du vorbeikommst?«
»Nein. Ich hätte dir auch eine Nachricht schicken können, aber ich habe es drauf ankommen lassen. Hast du einen Moment Zeit?«
Sogar mehrere Momente. »Natürlich.«
Sie gingen ins Wohnzimmer. Anstatt sich zu setzen, trat Nick ans Fenster und starrte hinaus in die Dunkelheit.
Dana betrachtete seine steifen Schultern und seine angespannte Kopfhaltung. Sieht nach Ärger aus, dachte sie. Offensichtlich gab es ein Problem.
»Was ist los?«, fragte sie. »Spuck’s aus, damit wir eine Lösung finden können.«
Er drehte sich wieder zu ihr um und grinste. »Du klingst wie Mom.«
»Heute stört es mich nicht, wenn du das sagst – nur manchmal.« Immerhin hatte ihre Mutter ihr Leben im Griff. Das war schon immer so gewesen.
Julie gehörte zu den Menschen, die gern das Kommando übernahmen. Sie musste nie jemanden um Hilfe bitten, weil es nie ein Problem gab, das sie nicht selbst lösen konnte. Mit vierundzwanzig Jahren das Abschleppunternehmen ihres Vaters übernehmen? Keine große Sache. Sich gleichzeitig um zwei kleine Kinder kümmern? Nimm sie mit zur Arbeit und verwandle dein Büro in eine Vorschulfantasie. Sich scheiden lassen und einen anderen Mann kennenlernen? Klar! Sie hatte sich kopfüber in die Single-Szene gestürzt, wehrte viele an ihr interessierte Männer ab, kaufte nebenbei das perfekte kleine Haus und richtete es so her, dass es aussah wie aus einem Magazin für schönes Wohnen.
»Ich sollte mich echt bemühen, ihr nachzueifern«, murmelte Dana. Julie würde sich nie erlauben, zur Kategorie »erbärmlich« gezählt zu werden. Sie schüttelte den Gedanken ab und zeigte auf ihren Bruder. »Schieß los.«
Er ging zum Sofa, setzte sich aber nicht. »Ich vermisse Dad.«
Dana dachte an die Rotkardinäle und ihre eigenen Gefühle. »Ich auch. Jetzt ist es schon fast ein Jahr her, dass wir ihn verloren haben, und es ist unser erstes Weihnachten ohne ihn. Thanksgiving war nicht so schlimm. Dieser Feiertag hat ihn nie so sehr interessiert, und nach der Scheidung hat er ihn am liebsten allein verbracht. Aber Weihnachten war immer eine große Sache für Dad.«
Sogar nachdem er und ihre Mutter sich getrennt hatten, war ihr Vater öfters zu ihnen auf die Hütte gekommen. Dana wusste nicht, ob es einfach Zufall gewesen war oder ob ihre Eltern es so arrangiert hatten, aber nie hatte jemand von ihnen seinen neuen Schwarm dabei. Die Hütte war eben nur für die Familie.
»Ich habe schon mit Blair gesprochen«, fuhr Nick fort und wich ihrem Blick nicht aus. »Ich will über Weihnachten nicht nach Hawaii. Es fühlt sich nicht richtig an. Wir brauchen ein Familienweihnachten auf der Hütte, um Dads Andenken zu feiern.«
»Aber ihr wolltet doch in die Flitterwochen fahren?!«
»Ich weiß. Blair hat super reagiert. Wir fahren jetzt im März.« Er verzog den Mund. »Ich weiß, du hast sicher auch andere Pläne, aber … könntest du dir vorstellen, sie umzuschmeißen?«
Dana dachte an die »Fünfzehn-Wege-zu-einem-besseren-Leben«-Diät, die sie beginnen wollte, an den Online-Häkelkurs und daran, wie sie jeden ihrer Schränke durchforsten wollte, alles in dem verzweifelten Versuch, Axel zu vergessen. Mit ihrer Familie zusammen zu sein, erschien ihr daher viel besser, als allein zu sein.
»Ich bin dabei.«
»Ganz sicher?«, fragte er.
»Auf jeden Fall. Lass uns das machen. Du hast recht – Weihnachten wird schwer. Wir sollten es gemeinsam verbringen. Ich weiß, dass Mom die Hütte nicht vermietet hat – das würde sie über die Feiertage nie tun. Wir müssen ihr nur sagen, dass es eine Planänderung gibt.« Sie sah ihn an. »Das bedeutet viel mehr Arbeit für sie.«
»Wir können ja helfen. Und nicht nur ich und Blair werden kommen. Ihr Onkel und ihre Mutter auch.«
»Ich mag Paul«, stellte Dana fest. Was sie von Blairs Mutter halten sollte, wusste sie dagegen nicht so recht. Sie hatte die Frau beim Probedinner kennengelernt und dann bei der Hochzeit und dem Empfang erlebt. Gwen war sehr zurückhaltend gewesen. Sie hatte ein wenig unnahbar gewirkt, aber vielleicht lag das auch daran, dass sie auf der Feier nicht viele Leute kannte. »Ich bin sicher, Gwen kommt damit klar. In der Hütte ist ja genug Platz.«
Nick nahm sie zu ihrer Überraschung in den Arm. »Danke, Schwesterherz. Ich meine es ernst. Ich brauche das.«
»Ja, ich auch. Ist eine gute Idee. Sagst du es Mom, oder soll ich?«
»Lass uns morgen alle zusammen mit ihr essen gehen und es ihr dann sagen. Wir können schon mal alles organisieren und ihr den fertigen Plan präsentieren.« Er grinste. »Wie du weißt, müssen wir in unserer Familie immer einen Plan haben.«
»Auf jeden Fall!«
Nachdem ihr Bruder gegangen war, brachte Dana die neuen Lampen im Schlafzimmer an. Sie verbreiteten ein gemütliches, warmes Licht im neu eingerichteten Raum.
Als sie die schlichte Kommode, die Lampen und den flauschigen Teppich am Fußende ihres Bettes betrachtete, wusste sie, dass in diesem Zimmer nichts mehr von Axel übrig war. Endlich. Schritt für Schritt gelang es ihr, ihn aus ihrem Leben zu entfernen. Der nächste Schritt – und bei Weitem der schwerste – bestand darin, ihn auch aus ihrem Herzen zu verbannen.
Vielleicht würde die Zeit in der Hütte, mit den Menschen, die sie liebte, ihr den Weg zeigen. Er musste ihr endlich egal sein. Erst wenn sie sich von ihm befreit hatte, konnte sie wieder glücklich sein. Es war an der Zeit, zu sich selbst zurückzukehren und einen Neuanfang zu wagen.
»Ich mag diesen Grauton«, sagte Julie und kuschelte sich aufs Sofa, den Kopf an Heaths Schulter gelehnt. Er hatte den Arm um sie gelegt. Sie hielt das iPad, während er zum nächsten Fußbodenbild wischte.
»Helleres Grau oder dunkleres Grau?«, fragte er.
»Mein Gefühl findet, dass die dunkleren Böden toll aussehen, aber mein Verstand sagt mir, dass man auf einem helleren Boden nicht jede Kleinigkeit sieht. Du hast zwei Kinder und Rufus.«
»Ja, Rufus. Der kiloweise Haare abwirft. Überredet. Es wird das hellere Grau.«
Er legte das iPad auf den Couchtisch und wandte sich ihr zu. »Abendessen oder Sex?« Er verzog den verführerischen Mund zu einem Lächeln. »Eigentlich ist das keine Frage. Es gibt natürlich beides. Ich frage nur nach der Reihenfolge.«
»Zuerst Abendessen«, sagte sie bestimmt. »Weil wir ja erst vor zwanzig Minuten Sex hatten.«
Tatsächlich hatte er sie in dem Moment, in dem sie durch die Haustür gekommen war, gepackt und an sich gezogen. Sein Begrüßungskuss hatte zu sehr schnellem, aber befriedigendem Sex geführt, gleich auf dem kleinen Tischchen im Flur. Zum Glück hatte Heath robuste Möbel, ein Pluspunkt in Anbetracht der Tatsache, dass sie sich schon auf fast allen seiner Möbeln geliebt hatten.
Er war ein sehr hingebungsvoller Liebhaber mit einem überraschend starken Sexualtrieb. Zwei Mal am Tag war fast schon normal bei ihnen, drei Mal nicht ungewöhnlich. Vermutlich lag es daran, dass alles noch so neu war mit ihnen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie sich wegen ihrer vollen Terminkalender nicht allzu häufig sahen. Sie weigerte sich zu glauben, dass es auch daran liegen könnte, dass Heath ganze zwölf Jahre jünger war als sie.
»Abendessen also«, murmelte er und schnappte sie sich, sodass sie plötzlich mit dem Rücken auf dem Sofa lag. Seine große warme Hand glitt unter ihren Pullover und fand ihre linke Brust, während er an ihrem Hals knabberte.
Binnen Sekunden war sie nicht mehr hungrig auf Abendessen, sondern hungrig auf ihn, und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. Als sie beide nackt waren, brachte er sie so gekonnt zum Orgasmus, dass sie gern ein sehr teures Geschenk an die Person senden wollte, die ihm die weibliche Anatomie nahegebracht hatte. Sie kam ein zweites Mal mit ihm in ihr, dann lag sie völlig aufgelöst da und versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
»Du bist eine echte Granate im Bett«, sagte er, als er aus dem Badezimmer zurückkehrte, wo er das Kondom entsorgt und sich gewaschen hatte. »Ich kann nicht genug von dir bekommen.«
Sie lächelte. »Das gefällt mir. Aber jetzt brauche ich dringend was zu essen.«
Während sie sich ankleidete, gab er eine telefonische Essensbestellung auf. Sie bereiteten alles vor und setzten sich dann wieder aufs Sofa.
»Ich glaube, ich werde mich jetzt wirklich an die Renovierung meines Hauses machen«, eröffnete er ihr. »Ich möchte die Wände streichen und neue Böden verlegen.« Er warf ihr einen Blick zu. »Ganz sicher, dass es in Ordnung ist, wenn ich für zwei Wochen bei dir einziehe?«
»Ganz sicher«, sagte sie schnell. Er musste nicht unbedingt wissen, dass sie ein bisschen nervös deswegen war. Sie hatten noch nie so viel Zeit miteinander verbracht. Was, wenn sie sich gegenseitig auf die Nerven gingen? Aber die Aussicht darauf, dass Heath zwei Wochen lang jede Nacht in ihrem Bett liegen würde, wog schwerer als ihre Bedenken.
»Ist das denn okay für dich?«, fragte sie und berührte leicht seine Hand. »Du wirst deine Kinder vermissen.«
»Ja, das ist das Blöde daran.« Er sah sie an, als befürchte er, sie könne die Bemerkung missverstehen. »Was ich damit meine, ist …«
»Ich weiß schon.« Sie schenkte ihm ein mitfühlendes Lächeln. »Es sind deine Kinder, und es ist Weihnachten, und die beiden sind erst acht und zehn. Dass du nicht alle Feiertage mit ihnen verbringen kannst, ist echt ein furchtbares Gefühl. Man denkt immer daran, was man dadurch verpasst und dass man keine gemeinsamen Erinnerungen haben wird.«
»Danke für dein Verständnis.«
»Na logisch.«
Dieses Problem war ihr zum Glück fremd. Als sie und Eldon sich getrennt hatten, waren ihre zwei Kinder schon so gut wie erwachsen gewesen. Außerdem hatten sie sich im Guten getrennt, sodass Eldon auch nach der Scheidung jedes Weihnachten mit ihnen auf der Hütte verbracht hatte. Aber bei Heath war es anders. Seine Kinder waren noch kleiner, und die Zeit, die er mit ihnen verbrachte, war ihm wichtig.
»Wo wir gerade beim Thema Weihnachten sind – hast du bestimmte Erwartungen an das Fest?«
Er hob die Augenbrauen. »Interessante Frage.«
Sie lachte. »Ich spreche nicht von Sex. Ich meine: Was wünschst du dir für die Weihnachtszeit im Allgemeinen und für Heiligabend im Besonderen? Einen großen Weihnachtsbaum? Ein traditionelles Essen? Oder willst du es lieber ruhiger angehen lassen?«
Er sah sie an. »Julie, was für dich funktioniert, funktioniert auch für mich. Für die Kinder gebe ich gern Vollgas, aber ich will nicht, dass du dir meinetwegen extra Arbeit aufbürdest. Was würdest du denn machen, wenn ich nicht hier wäre?«
»Gar nichts«, platzte es aus ihr heraus. Sie zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, aber ist so. Wir hatten schon das große Familien-Thanksgiving, und auch wenn es mir Spaß gemacht hat, zwei Tage lang für alle zu kochen, muss ich so was nicht jedes Mal haben. Ich bin froh über eine Weihnachtszeit ganz ohne Brimborium.«
»Dann lass uns das so machen.«
Sie holte tief Luft. »Ich will ja nicht wie ein Weihnachtshasser klingen, aber auf der Hütte zu sein, bedeutet viel Arbeit. Erst ist man tagelang mit Schmücken beschäftigt, dann muss man die ganzen Lebensmittel besorgen und für alle kochen. Dana hilft mir zwar, und Blair ist jetzt auch dabei, doch ich bin diejenige, die das Sagen hat, also …«
Mit einem schnellen Kuss brachte er sie zum Schweigen. »Stopp. Ich hab’s kapiert. Ich werde nicht fragen, ob wir auf die Hütte fahren sollen. Wir hatten ohnehin vor, hierzubleiben. Damit hab ich absolut kein Problem. Nichts zu machen, ist wunderbar.«
»Bist du sicher?«
»Ich will einfach nur mit dir zusammen sein. Alles andere ist unwichtig.«
Welche Erleichterung. Das sorgte bei ihr für Entspannung. »Danke. Ein kleines Weihnachtsessen gibt es trotzdem. Nur du, ich, Huxley und Dana.«
Sie bemühte sich um einen unbeschwerten Tonfall. Es war ja nur eine Mahlzeit, nichts Wildes …
Heath überraschte sie mit einem Lachen. »Wenn du dein Gesicht sehen könntest.«
»Was?«
»Du hast es ihr immer noch nicht gesagt.« Er lachte noch mehr. »Oh, Julie, das passt nicht zu dir. Du hast doch immer einen Plan. Wie soll das laufen? Dana taucht hier auf und erwartet niemanden außer Huxley und dich, und dann tun wir alle so, als säße ich nicht mit am Tisch?«
Immerhin zählte er nicht zu den Männern, die sich durch die Tatsache beleidigt fühlten, dass sie ihren Kindern noch nichts von ihm erzählt hatte. Dennoch hatte er recht. Es wäre schon längst an der Zeit dafür gewesen. Wobei es Nick ohnehin nicht großartig interessieren würde. Sie machte sich viel mehr Sorgen um Dana. Sie und ihre Tochter waren eng miteinander – sie unternahmen häufig etwas zusammen, tauschten sich über ihr Leben aus. Doch irgendwie hatte Julie es bis jetzt noch nicht geschafft, das mit Heath zu erwähnen.
»Wenn du nicht so jung und hübsch wärest …«, murmelte sie.
»Wäre es dir lieber, wenn ich alt und hässlich wäre?«
»Natürlich nicht! Aber du weißt schon … etwas älter und vielleicht ein kleines bisschen hässlich.« Sie seufzte. »Das ist albern. Dana wird keine Einwände haben.« Zumindest hoffte sie das. Es war nur … sie war vierundfünfzig und Heath erst zweiundvierzig. Im Grunde genommen war ihr das egal, aber hin und wieder fand sie es doch ein wenig unangenehm. Die Menschen bewerteten nun mal alles, und obwohl es ihr egal war, was »die Menschen« von ihr dachten, war ihr die Meinung ihrer Tochter sehr wichtig.
»Ich werde es ihr sagen«, versprach sie. »Ich gehe morgen mit Dana, Nick und Blair essen. Dann werde ich was sagen.«
»Das habe ich schon mal gehört«, frotzelte er.
Sie sah ihn an. »Warum bist du eigentlich nicht sauer, dass ich noch niemandem von dir erzählt habe?«
Er streichelte sanft ihre Wange. »Meine Kinder wissen es auch nicht.«
»Das ist was anderes. Sie sind noch klein.«
Er schenkte ihr ein sexy Lächeln. »Du beobachtest mich.«
»Was?«
»Wenn du denkst, ich bekomme es nicht mit, beobachtest du mich. Du hast dann so einen besonderen Blick. Ich kann nicht erklären, wieso, aber das gefällt mir. Deshalb ist es mir egal, wem du was erzählst oder auch nicht. Denn ich weiß, was du für mich empfindest.«
Moment mal. Wie war das? Er wusste, was sie für ihn empfand? Das war unmöglich – denn sie war sich ihrer Gefühle ja selbst nicht sicher. Sie waren erst drei Monate zusammen, und da er an jedem zweiten Wochenende seine Kinder hatte und sie beide mit ihren jeweiligen Firmen und allem anderen beschäftigt waren, hatten sie schlicht noch nicht so viel Zeit miteinander verbracht. Welche Art von Gefühlen sie für ihn hegte – falls sie überhaupt welche hegte –, war noch völlig undefiniert.
»Ich bin jedenfalls froh, dass du nicht sauer bist«, sagte sie beiläufig, obwohl sie plötzlich unter Strom stand.
»Nicht mein Stil.«
»Dein Stil gefällt mir.«
»Und mir deiner.«
»Also Weihnachten ganz easy und entspannt«, sagte sie. »Und ich werde meinen Kindern morgen Abend von uns erzählen. Nachdem sie beide etwas getrunken haben.«
»Sie werden schon damit klarkommen«, beruhigte er sie. »Ist doch keine große Sache.« Er grinste sie an. »Abgesehen davon, dass ich so jung und gut aussehend bin. Das ist natürlich ein Problem.«
Sie lachte, wie er es erwartet hatte, konnte sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass er damit so ziemlich ins Schwarze getroffen hatte.
»Wir sollten mal über Weihnachten reden«, sagte Julie und nahm auf dem Besucherstuhl neben Huxleys großem Schreibtisch Platz. Sie lächelte strahlend. »Wir fahren diesmal nicht auf die Hütte, auch wenn wir das normalerweise immer tun. Aber da Nick und Blair endlich in die Flitterwochen fahren, sind wir nur zu dritt – und weil es immer so viel Arbeit macht, sparen wir uns das in diesem Jahr.«
Sie kämpfte gegen eine Welle von Schuldgefühlen an. Aber sie war ja nicht verpflichtet, jedes Jahr auf die Hütte zu fahren. Es war immer noch ihre Sache, was sie an den Feiertagen anstellte. Trotzdem hatte sie ein schlechtes Gewissen.
»Bist du jetzt sauer?«, fragte sie untypisch unsicher.
Huxley starrte sie an, als wären ihr Federn gewachsen. »Alles in Ordnung bei dir? Wieso fragst du mich das? Du lädst mich jedes Jahr zu Weihnachten ein, und ich feiere gerne mit dir, weil es immer schön ist und ich keine eigene Familie habe. Es geht mir darum, Zeit mit den Menschen zu verbringen, die ich mag, denn davon gibt es weiß Gott nicht mehr viele auf dieser Welt. Warum also denkst du, es würde mich in irgendeiner Form interessieren, wo wir feiern?«
»Weil Weihnachten immer auf der Hütte stattfindet.«
»Ich komme wegen der Gesellschaft und des guten Essens.« Er schenkte ihr ein Lächeln. »Du machst immer super Menüs.«
»Es ist dir also egal?«
»Wie gesagt. Du bist eine liebe Frau, Julie, und ich weiß es zu schätzen, wie du dich um mich kümmerst.«
Sie lächelte ihn an. »Sehr gerne.« Sie sah sich im Büro um und empfand Stolz für das, was sie aufgebaut hatte. »Glaubst du, Nick wird sich jemals entscheiden, ob er in die Firma einsteigt?«
»Das wird er schon noch. Der Junge braucht Zeit.«
»Ich brauchte damals keine Zeit.« Sie hatte immer gewusst, dass sie »Parker Towing« leiten wollte. Der Unterschied war, dass Nick mehr Verantwortung zu übernehmen hätte als sie bei ihrem Firmeneinstieg.
»Ich habe keine Lust mehr, alles allein zu machen«, sagte sie. »Ich hätte gerne einen Geschäftspartner.«
»Meinst du damit Nick, oder bist du auch offen für jemand anderen?«
»Was? Nein, kein anderer. Ich meine meinen Sohn. Er muss aufhören, immer nur Abschleppwagen zu fahren wie ein Angestellter.«
Sie wollte ihm schon lange den verwaltungstechnischen Teil des Geschäfts näherbringen, damit er eines Tages übernehmen konnte. Aber er vertröstete sie immer wieder.
Sie sah Huxley an. »Oder willst du einsteigen und mich ausbezahlen?«
Er lachte lange und laut. »Selbst wenn ich ein paar Millionen auf der hohen Kante hätte, würde ich mich garantiert nicht in diese Firma einkaufen. Nein, dann würde ich meine alten Knochen irgendwo in die Tropen befördern.« Er zwinkerte ihr zu. »Aber an Weihnachten würde ich zu dir fahren, weil du ein so gutes Essen kochst.«
Dana traf in dem Restaurant ein, in dem sie sich mit Nick, Blair und ihrer Mutter verabredet hatte. Das Wetter war typisch für Seattle Mitte Dezember – fünf Grad und Regen. Jetzt, um kurz vor achtzehn Uhr, war die Sonne schon vor zwei Stunden untergegangen. So war er, der faszinierende Winter im pazifischen Nordwesten. Aber heute störte sie die Tristesse nicht so sehr wie sonst, denn sie war bester Dinge. Sie hatte zwei Stunden damit verbracht, einer alleinerziehenden Mutter von zwei Kindern beim Einrichten ihres Online-Buchhaltungsprogramms für die Eisdiele zu helfen, die sie eröffnen wollte. In ihrer Mittagspause hatte sie einen Yogakurs für Anfänger besucht, und ihr neuer Plan für die Feiertage bestand darin, Zeit mit lieben Menschen zu verbringen und nicht allein zu Hause zu hocken.
Als sie das Restaurant betrat, entdeckte sie Blair und Nick sofort. Die zwei saßen bereits an einem Tisch.
»Ich gehöre zu den beiden«, sagte sie zur Restaurantleiterin und durchquerte den gut besuchten Gastraum, um sich zu ihrem Bruder und ihrer Schwägerin zu gesellen.
Blair erspähte sie und winkte, dann stand sie auf, um sie zu umarmen. »Es ist schon den ganzen Tag am Regnen.«
»Du klingst überrascht.«
»Was ist aus den wärmeren und trockeneren Wintern geworden, die es angeblich geben wird?«
Dana schälte sich aus ihrem wasserfesten Mantel und hängte ihn an einen Kleiderhaken in der Nähe. »Sollten wir wärmere und trockenere Winter bekommen?«
»Nein«, sagte Nick lachend. »Sicher nicht. Aber Blair ist eine hoffnungslose Optimistin.«
»Manchmal werden Wünsche wahr.« Blair lächelte. »Zumindest rede ich mir das ein.«
Blair war eine hübsche Brünette mit feinen Gesichtszügen. Sie war gerade mal fünfunddreißig, und neben ihr fühlte sich Dana manchmal wie ein stämmiger Riese. Sie hatte die Körpergröße ihrer Eltern geerbt und maß barfuß fast eins fünfundsiebzig. Während ihre Mutter groß und schlank war und einen athletischen Körperbau hatte, war Dana … das nicht. Sie besaß den kompakteren Knochenbau ihres Vaters und die Angewohnheit, ihre Gefühle in sich hineinzufressen – weswegen sie gut vierzig Pfund zu viel auf die Waage brachte. An guten Tagen sagte sie sich, dass sie, sobald sie ihr Gefühlsleben in den Griff bekäme, auch das Übergewicht verlieren und glücklich sein würde. An schlechten Tagen fragte sie sich, wie viel mehr sie wohl wog als ihr Bruder, der eins siebenundachtzig groß und muskulös war.
Als Kind war sie dünn gewesen, aber auf dem College hatte sie die berühmten fünf Kilo zugenommen, die angeblich alle Erstsemesterstudierenden zulegten – und bei ihr waren es in vier Collegejahren jedes Jahr fünf Kilo gewesen. Seitdem versuchte sie, die überflüssigen Pfunde wieder loszuwerden.
»Wir sollten uns überlegen, wie wir es Mom sagen wollen.« Nick zog sie zurück an den Tisch.
Dana runzelte die Stirn. »Abgesehen von ›wir wollen Weihnachten gern auf der Hütte feiern‹?«
»Ich dachte, wir sollten es langsam angehen.«
Dana lachte. »Na klar, Nick. Ganz tolle Idee. Subtil zu sein ist ja deine große Stärke.«
Sie wollte noch weiter sticheln, aber in diesem Moment blickte Blair zum Eingang des Restaurants.
»Julie ist da.«
Dana fühlte sich sofort schuldig, was lächerlich war. Sie hatte nichts falsch gemacht. An den Feiertagen ging es schließlich um die Familie und …
»Hallo zusammen«, sagte Julie fröhlich, als sie sich näherte. »Ich muss es einfach sagen: Ich habe eine sehr gut aussehende Familie.«
»Du meinst mich, oder?«, fragte Nick, erhob sich und umarmte sie. »Hey, Mom.«
»Hey, du.«
Auch die anderen standen auf und umarmten sie. Julie hängte ihren Mantel auf und nahm Platz. Kaum saß sie, verschwand ihr Lächeln.
»Was ist los?«, fragte sie mit scharfer Stimme. »Irgendwas ist im Busch, das merke ich doch.« Sie wandte sich Blair zu. »Fühlst du dich nicht gut? Ist es dein Bauch?«
»Mir geht es gut.« Blair sah Nick an. »Die letzten Tage liefen echt gut.«
Julie sah nicht überzeugt aus. »Aber irgendwas ist doch. Rückt raus damit.«
Nick sah Dana an und machte eine Geste, als wolle er sie zum Sprechen auffordern. Dana schüttelte den Kopf. Auf keinen Fall – das war nicht ihre Aufgabe.
Nick verdrehte die Augen, bevor er sich an seine Mutter wandte.
»Erstens: Es geht allen gut«, begann er.
»Das glaube ich dir nicht.«
»Wenn ich kurz ausreden dürfte?«
Julie verschränkte die Arme vor der Brust – ein sicheres Anzeichen dafür, dass sie verärgert war. »Ich höre.«
Dana stöhnte. »Das läuft ja super«, sagte sie zu ihrem Bruder. »Wolltest du es nicht langsam angehen lassen? Sie ist jetzt schon stinksauer.«
»Ich bin nicht sauer«, sagte Julie, klang aber dennoch leicht verärgert. »Ich lasse Nick ausreden.«
»Siehst du.« Dana pikste ihn in den Arm. »Du Doofi.«
»Hey!«
Dana ignorierte ihn und lächelte ihre Mutter an. »Allen geht’s gut. Es hat nichts mit uns zu tun, sondern mit den Feiertagen.«
Langsam entspannte sich Julie. »Aha. Und was genau soll das bedeuten?«
»Es ist ja unser erstes Weihnachten ohne Dad«, fuhr Dana fort. »Und wir vermissen ihn alle sehr.«