Only One Note - Anne Goldberg - E-Book
SONDERANGEBOT

Only One Note E-Book

Anne Goldberg

0,0
6,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wer glaubt, die Tränen seiner Frau würden ihm viel abverlangen, der hat noch nie ihr tapferes Lächeln gesehen.

Seit der Schulzeit sind Nell und Charles das typische gegensätzliche Paar - die Schöne und der Streber, die Gefühlvolle und der Logiker. Damals haben sich beide versprochen: Wir machen alles besser als die anderen. Wir machen es perfekt.

Vierzehn Jahre später haben Alltag und Realität sie eingeholt. Als Charles einen riesengroßen Fehler begeht, stürzen die märchenhaften Vorstellungen endgültig ein.

Was dahinter zum Vorschein kommt, sind Erinnerungen, zerbrochene Träume und tiefe Gefühle, die nie verloren gegangen sind. Und die Frage, wie perfekt eine Liebe sein muss, um zu heilen.

Only One Note ist der dramatische Abschluss der mitreißenden Reihe von Anne Goldberg.

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.

Das sagen unsere Leserinnen und Leser:

"Jeder, der auf der Suche nach eine Liebesroman mit der extra Portion Emotion und Drama ist, ist bei dem Buch "Only One Note" richtig aufgehoben. Anders als bei anderen Romanen hat mich hier die Handlung noch im Nachgang beschäftigt." (Lovw, Lesejury)

"Der Schreibstil von Anne Goldberg ist fesselnd sowie einfühlsam. Das verleiht dem Buch seinen einzigartigen Charme und man kann gar nicht genug davon bekommen." (Lesemauslaura, Lesejury)

"Dieses Buch hat definitiv einen Platz in meinen Bücherregal verdient. Jeder der eine emotionale und höchst mitreißende Geschichte lesen will, die einen auch noch Tage später beschäftigt, ist hier genau richtig." (Katharina18, Lesejury)

"Das Buch hat mich vom ersten Kapitel an abgeholt und ist definitiv eines meiner Top Bücher 2021. Kauft und lest unbedingt alle dieses Buch!" (Susachr30, Lesejury)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Vorwort

Widmung

Weißt du noch – unser Abschlussball? Die Taschenlampen am Strand?

Weißt du noch, wie wir das erste Mal auf unserem Dach waren? Ich bin fast gestorben vor Angst.

Weißt du noch, wie wir unser Eis getauscht haben? Dann hatte ich Schoko und du die bunten Funkelstreusel!

Weißt du noch? »Wozu soll der Name in den Ring? Ich weiß, wie mein Mann heißt.« ... und der Blick der Verkäuferin

Weißt du noch, wie dämlich mein Vater geglotzt hat, als ich ihm gesagt habe, dass du meine Freundin bist?

Weißt du noch ... SOS?

Weißt du noch, als wir versuchen wollten, weniger dämlich zu sein? Und dann war das so unfassbar leicht.

Weißt du noch ... unser erster Kuss? Ich entschuldige mich in aller Form für diese grenzwertige Erfahrung.

Weißt du noch, wie du mir gestanden hast, dass du mit Smart-Ass McNair geknutscht hast? Ich war entsetzt.

Weißt du noch, als Mr Rickman mich zum Boss gemacht hat? Wen wolltest du lieber umbringen – ihn oder mich?

Weißt du noch ... deine dämliche Idee mit dem Vanilleeis?

Weißt du noch, wie wir zu den Feen geflüstert haben?

Weißt du noch, wie du mir erklärt hast, was Himmelsschein ist?

Weißt du noch, wie du mit dem Oberstreber im Physikprojekt gelandet bist? Du warst so sauer ...

Weißt du noch, wie nervös du vor der Hochzeit warst? Du hast fast dein Kleid falsch herum angezogen ...

Weißt du noch? Scheiß auf perfekt ...

Weißt du noch, wie wir uns für diesen Hummer entschieden haben? Das hätten wir viel früher tun sollen.

Weißt du noch, wie du meintest, es wäre ganz leicht? Nur bis sieben zählen ...

Weißt du noch, als du deinen Blinddarmdurchbruch hattest und meintest, es ginge schon? Damit ich mir keine Sorgen mache?

Weißt du noch, wie du einfach ignoriert hast, dass Charles und ich uns nicht ausstehen konnten? So lange, bis wir es auch vergessen haben.

Weißt du noch, wie deine Mum dieses Bild von dir geschossen hat? In Stockholm? Du hast so gestrahlt, und ich hab nicht richtig hingesehen.

Weißt du noch, wie ich die Blumen gestreut habe? Wir machen jetzt Konfetti. Blau wie die Blumen. Und wie deine Schuhe.

Weißt du noch, wie ich versucht habe, Sadie deinen Koffer anzudrehen, und sie meinte, dass lila Sterne zu schwer sind, um zu fliegen?

Weißt du noch, wie Charles mit uns über die Logik in Dirty Dancing diskutieren wollte? Klugscheißer.

Weißt du noch ... Sadies Geburt? Du hast mehr geheult als ich, als sie endlich da war.

Weißt du noch, wie du das Auto von deinem Dad geschrottet hast? Und Chris und ich beide gesagt haben, wir wären das gewesen? Wir können jetzt besser lügen. Versprochen.

Weißt du noch, wie Mary Poppins einfach nie auf die Flugsicherheit geachtet hat? Ich hoffe, du machst es besser.

Weißt du noch, wie du das Zelt verzaubert hast? Damit keine Monster reinkommen? Nur wir. Und Charlie, wenn er draußen zu viel Angst hat.

Weißt du noch ... der Song, bei dem du geweint hast? Draußen hast du ihn Chris geschickt. Und du hattest recht. Ich sollte öfter auf den Text hören ...

Danksagung

Wisst ihr noch ...?

Triggerwarnung

Weitere Titel der Autorin

Only One Song

Only One Letter

Über dieses Buch

Seit der Schulzeit sind Nell und Charles das typische gegensätzliche Paar – die Schöne und der Streber, die Gefühlvolle und der Logiker. Damals haben sich beide versprochen: Wir machen alles besser als die anderen. Wir machen es perfekt.

Vierzehn Jahre später haben Alltag und Realität sie eingeholt. Als Charles einen riesengroßen Fehler begeht, stürzen die märchenhaften Vorstellungen endgültig ein.

Was dahinter zum Vorschein kommt, sind Erinnerungen, zerbrochene Träume und tiefe Gefühle, die nie verloren gegangen sind. Und die Frage, wie perfekt eine Liebe sein muss, um zu heilen.

Über die Autorin

Anne Goldberg wurde 1986 in einer beschaulichen Kleinstadt geboren. Nach dem Abitur trieb es sie nach Berlin, wo sie seither unter dem Regime ihrer vierbeinigen Mitbewohner lebt und arbeitet. Schon im Vorschulalter dachte sie sich dramatische Geschichten von Marienkäfern aus, die große Hürden zu überwinden hatten, um auf Blumen zu klettern. Ihre kleinen Protagonisten kämpften mit Regen, Wind und neugierigen Hunden. Damals wurde ihre Großmutter zur wortgetreuen Mitschrift abkommandiert. Mittlerweile schreibt Anne ihre Geschichten selbst, und ihre Charaktere trotzen größeren Herausforderungen als dem Wetter. Neben dem Schreiben hat Anne eine große Vorliebe für Konzerte, die britischen Inseln und für Schnee.

Anne Goldberg

OnlyOneNote

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Stephanie Röder

Lektorat/Projektmanagement: Anna-Lena Meyhöfer

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven von © LightField Studios/Shutterstock; © letoosen/Getty Images

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-0160-0

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank, dass ich dich in die Geschichte von Charles und Nell entführen darf. Wie auch bei den ersten beiden Bänden der Reihe erwarten dich viele Emotionen.

Da ich mich als Autorin auch als eine Art Reisebegleiterin verstehe, möchte ich dich kurz darauf hinweisen, dass unsere Reise diesmal noch etwas stürmischer wird.

Die Geschichte, die vor dir liegt, behandelt Themen, die für den einen oder anderen triggernd wirken könnten. Solltest du befürchten, dass das auf dich zutrifft, findest du am Ende des Buches eine kurze Liste dieser Themen. Bitte beachte: Diese Liste enthält Spoiler zur Handlung. Daher überlasse ich die Entscheidung dir, ob du die Warnung für eine sichere Reise durch dieses Buch brauchst oder nicht.

Das Team von »be« und ich wünschen dir schöne, berührende, witzige, aber auch emotionale Lesestunden.

Herzliche Grüße

Anne Goldberg

Für Mama.

Weißt du noch, als es Collegeblöcke waren, in die ich geschrieben habe?

Du hast meine Texte damals schon gelesen.

Danke, dass du nicht aufgegeben hast, bis sie irgendwann erträglich wurden.

Weißt du noch – unser Abschlussball?Die Taschenlampen am Strand?   

Shampoo, Duschgel, Bodylotion.

Ich starrte auf die drei nahezu identischen Fläschchen am Rand des Waschbeckens. Sie standen in Reih und Glied nebeneinander und präsentierten stolz das Logo des Hotels.

Shampoo, Duschgel, Bodylotion.

Die Worte las ich immer wieder auf der Suche nach einem klaren Gedanken – ein hoffnungslos naives Unterfangen, wenn ich bedachte, dass mir an diesem ganzen verdammten Abend noch kein einziger klarer Gedanke begegnet war. Dafür viel zu viel Scotch und noch mehr Schmeicheleien. Und nun stand ich an diesem Waschbecken und war überrascht davon, dass es kaum mehr gebraucht hatte als Whisky und Worte, um mich zu einem hirnverbrannten Idioten zu machen.

»Charles?«

Zuerst hörte ich meinen Namen, dann dumpfe Schritte auf Teppichboden. Sie verstummten etwa zwei Meter hinter mir, noch ehe ich es geschafft hatte, meinen Blick von der Dreifaltigkeit der Hotelkosmetik loszureißen.

»Suchst du etwas? Falls dir auch der Sinn nach einer Wiederholung steht ... Die Kondome habe ich im Koffer.«

Ich schüttelte den Kopf, und endlich gehorchte mein Blick mir wieder – sogar besser als noch vor einer Stunde. Als ich mich umdrehte, sah ich in ein Gesicht, das von rotbraunen, nun zerzausten Haaren umgeben war. Meine Aufmerksamkeit rutschte nicht zu dem nackten Körper hinab, der dazugehörte und einladend am Türrahmen lehnte. Es war fast ironisch, wie leicht mir das fiel, obwohl sich nun kein schwarzes Kleid mehr die Mühe machte, ihn wenigstens teilweise zu verbergen.

»Ich sollte gehen.« Meine Stimme klang fest, als stünde ich auf einer Bühne und würde eines meiner Seminare halten.

Transparente Kommunikation durch alle Hierarchieebenen.

Das war leicht. Einfacher als die Frage, wie man ein fremdes Hotelzimmer höflich verlässt.

»Gehen ...« Die Lippen, die sich zu einem wissenden Lächeln verzogen, waren noch immer beinahe perfekt nachgezeichnet. Küsse waren nicht das gewesen, womit wir uns lange aufgehalten hatten. »Wegen des Rings?«

Ich wandte mich kurz zu der Ablage. Den Ehering, der bei Parfüm und Make-up lag, hatte ich nur am Rande bemerkt.

»Hätte ich sagen sollen, dass ich verheiratet bin?« Ihre Frage kam schneller als meine Antwort. »Ich hatte nicht angenommen, dass das eine Rolle spielt.«

»Tut es auch nicht«, bestätigte ich und schob noch ein »Keine Sorge« hinterher, um es wie eine Bestätigung klingen zu lassen und nicht wie grobes Desinteresse. »Ich sollte trotzdem gehen.« Da es mir beim besten Willen nicht gelingen wollte, ihr Lächeln zu kopieren, schob ich mich nur an ihr vorbei in den Schlafbereich ihres Hotelzimmers, um meine Sachen zusammenzusuchen. Als ich wieder in meine Shorts und dann in meine Hose stieg, fühlte ich mich dabei so ungelenk wie ein Kind, das gerade lernte, sich selbst anzuziehen. Über jeden der eigentlich automatischen Handgriffe musste ich nachdenken.

Mein Hemd machte ich nur sporadisch zu. Die Knöpfe kamen mir viel kleiner vor als am Morgen. Und widerspenstiger. Sakko und Krawatte nahm ich in die Hand. Kurz griff ich in die Innentasche des Jacketts, fand dort zu meiner Erleichterung nach wie vor meine Zimmerkarte, jedoch keine geeigneten Worte des Abschieds. Alles, was mir einfiel, war eine Wiederholung. »Ich sollte wirklich gehen.«

»Wo auch immer du so dringend hinmusst ...« Noch immer trug sie dieses Schmunzeln und sonst nichts. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, ihre Blöße zu bedecken, während ich mir trotz meiner Kleidung ausgesprochen nackt vorkam.

Um nicht irgendeinen Unsinn zu sagen wie »Es ist schon spät, und morgen wird ein langer Tag«, schwieg ich und suchte stattdessen meine Schuhe. Den ersten fand ich recht schnell im Flur, kurz hinter der Tür.

»Neben dem Koffer«, half sie mir aus, und nun klang ihr Lächeln sogar in ihrer Stimme mit. Offenbar amüsierte es sie blendend, mich bei dieser unbeholfenen und zähen Flucht zu beobachten. »Und mach dir nicht so viel daraus.«

»Was?« Ich war in den zweiten Schuh geschlüpft und sah nun doch noch einmal auf. Viel lieber wäre ich einfach durch die Tür gestürmt, die nur zwei Meter entfernt war, hätte sie hinter mir zugeschlagen und den Menschen angerufen, den ich sonst immer fragte, wenn ich nicht weiterwusste. Nur war ausgerechnet sie an diesem Abend die Falsche dafür.

»Mach dir nichts draus«, wiederholten die rot geschminkten Lippen. »Ohne dir zu nahe treten zu wollen, aber du scheinst das nicht allzu oft zu machen. Glaub mir, das ist keine große Sache. Kommt in den besten Beziehungen vor.«

Nur war meine Beziehung nicht die beste. Und das hier trug nicht gerade dazu bei, etwas daran zu ändern. Trotzdem nickte ich. »Bis morgen, nehme ich an?« Es hatte eigentlich nicht so klingen sollen, als wäre mir die Vorstellung zuwider. Sie war Teilnehmerin des Seminars, wofür jemand – vielleicht sie selbst – nicht wenig Geld investiert hatte.

»Bis morgen.«

Ich antwortete ihr mit einem weiteren Nicken, dann griff ich nach der Klinke, die mir wohlgesonnener war als die Knopfleiste meines Hemdes eben. Sie gab meinem Druck ganz unkompliziert nach, entriegelte die Tür, und ich konnte mit einer Leichtigkeit aus diesem Hotelzimmer treten, als wäre nichts dabei. Und genauso verhielt es sich auch mit allem anderen. Der Weg zum Fahrstuhl, das Drücken des Ruf- und dann des Etagenknopfes, das Gegenhalten der Zimmerkarte am Sensor des Schlosses. Das alles lief mit heuchlerischer Normalität ab, die erst von mir abließ, als die Zimmertür sich hinter mir schloss und ich mich dagegenlehnte.

»Scheiße«, zischte ich durch zusammengebissene Zähne und schlug mit meinem Hinterkopf zwei Mal gegen das Holz hinter mir. Was auf einem Bildschirm wie eine geeignete Geste der Verzweiflung wirkt, brachte in der Realität weder Klarheit noch Linderung, nur Kopfschmerzen.

Ich dachte über einen Drink nach. Doch noch ehe ich selbst zu dem Schluss kommen konnte, dass Alkohol mir an diesem Abend kein Freund gewesen war, riss meine Überlegung jäh ab, als ich mein Handy sah. Vor etwa vier Stunden hatte ich es an das Ladegerät angeschlossen und war dann zur Hotelbar aufgebrochen – die üblichen Drinks mit den Seminarteilnehmern. Nichts Besonderes. Keine große Sache.

Dort lag es noch immer, in der Dunkelheit des Zimmers, und verausgabte sich leuchtend und blinkend, um mich über den eingehenden Anruf zu informieren. »Nell L. (Physik)«.

Einen Moment lang dachte ich tatsächlich darüber nach, dranzugehen, um ihre Stimme zu hören und ... ja, was dann? Sollte ich sie anlügen? Es ihr verschweigen? Oder sollte ich ihr sagen, dass ich gerade Sex mit einer Seminarteilnehmerin gehabt hatte? Und dass es keine große Sache war?

Der Wunsch danach, mit Nell zu sprechen, war mit einem Mal größer als die Angst davor. Ich wollte es hinter mich bringen und diese Situation lösen, Klarheit schaffen und meine Perspektiven kennen. Am besten sofort.

Nur löst man solche Situationen nicht am Telefon. Man beendet sie nur, manchmal sogar endgültig.

Also sah ich meinem Telefon zu, bis sein Display sich wieder verdunkelte und mir die kleine Signalleuchte mitteilte, dass ich einen Anruf verpasst hatte. Den und zwei weitere zuvor. Sie waren eine halbe Stunde alt. Ich schob den Gedanken daran beiseite, was ich selbst vor einer halben Stunde getrieben hatte, anstatt an das verdammte Telefon zu gehen, als wir noch Themen gehabt hatten, für die ein Telefonat vielleicht sogar ausgereicht hätte.

Ich zuckte zusammen, als ein weiterer kurzer Vibrationsalarm das Handy gegen seine Unterlage schlagen ließ. Ein Dialogfenster öffnete sich darauf – die unscheinbare Mitteilung, dass eine Mailboxnachricht eingegangen war.

Sie ahnt etwas, schoss es mir durch den Kopf und von dort direkt in den Magen. Mir wurde flau bei dem Gedanken, dass ich gleich Nells Stimme hören würde, die etwas völlig Normales sagte, vielleicht sogar etwas richtig Belangloses. Das flaue Gefühl wurde zu Übelkeit, als mir klar wurde, dass nichts mehr richtig normal sein würde, sobald wir uns wiedersahen. Dabei war Banalität nie unser Problem gewesen.

Meine Finger hatten ehrlich Mühe, das Handy von seinem Ladekabel zu trennen. Kraft meiner irrationalen Paranoia rechnete ich mit Beschimpfungen, mit Anschuldigungen, mit Konsequenzen. Vielleicht auch Stille. Wenn ich ehrlich war, hatte ich keine Ahnung, wie Nell reagieren würde. Und obwohl noch nichts von alldem auf mich warten konnte, zögerte ich, ehe ich die Eins wählte, um ihre Nachricht abzuhören.

»Hey, vermutlich bist du gerade ...« Ihre Stimme hatte ohnehin schon leiser geklungen als sonst, nun verstummte sie für einen Moment. Wichtig, half ich ihr in Gedanken weiter. Vermutlich bist du gerade ein wichtiger Klugscheißer, der sich unter seine Anhänger mischt. Das war, wie sie es sonst nannte, mit einem unverkennbar stolzen Grinsen auf ihrem Gesicht. So war es normalerweise. Doch offenbar hatte »normal« bereits aufgehört. »Arbeiten. Ich dachte, ich versuche es trotzdem. Ist eigentlich nicht so wichtig. Chris fragte nur, ob es dabei bleibt, dass wir Sadie übermorgen nehmen. Trotz gestern. Sie würde verstehen, wenn wir das Wochenende nutzen wollen, um uns zu sortieren. Aber Sadie freut sich schon, also habe ich gesagt, dass es okay ist. Ich hoffe, das ist es auch – also okay. Vielleicht können wir morgen kurz reden, wenn du heimkommst. Es ...« Wieder eine Pause. Und auf die folgte ein Abschied, der sich anhörte wie ein Echo meiner eigenen Ratlosigkeit. »Bis morgen, nehme ich an.«

Weißt du noch, wie wir das erste Mal auf unserem Dach waren? Ich bin fast gestorben vor Angst.   

Das Taxi, das mich vom Belfast International Airport nach Hause gebracht hatte, war längst wieder in die Hauptstraße abgebogen, während mein Koffer und ich noch immer am Tor standen. Mich trennten etwa drei Meter von unserem kleinen Reihenhaus. Ich hatte meinen Schlüssel schon in der Hand, nur das Hineingehen bereitete mir enormes Kopfzerbrechen.

Schon auf dem Flug von Glasgow nach Belfast hatte ich über meine weitere Vorgehensweise nachgedacht. Natürlich war ich nicht so dumm gewesen, mir einen Plan zu machen. Jeder, der jemals mit einem anderen Menschen gesprochen hat, weiß, dass Pläne völliger Schwachsinn sind. Aber ich hatte Eckpunkte.

Keine Erklärungen, keine Ausflüchte und um Himmels willen keine Beschönigungen. Menschen neigten viel zu sehr dazu, ihre Schuld auf Umstände zu verlagern. Der Whisky hatte ebenso wenig eine Rolle zu spielen wie unser Streit am Tag vorher oder die vergangenen zwei Jahre. Ein »Wäre das nicht gewesen, dann ...« hatte in diesem Gespräch nichts zu suchen. Es gab nur ein »Wäre ich nicht mit dieser Frau mitgegangen, hätte ich nicht mit ihr geschlafen«. Punkt.

Zusammengefasst war mir mein weiteres Vorgehen also weitestgehend klar. Nur hatte ich keine beschissene Ahnung, wie ich jemals wieder einen vollständigen Satz herausbringen sollte. Eine Ausgangssituation zu analysieren war ziemlich einfach, wenn man in der Businessclass eines Airbusses saß. Schwer wurde es, sobald man nur ein paar Schritte von der Tür entfernt war, an dem ein kupfernes Klingelschild hing. Der Name auf dem gravierten Metall war meiner – McNair. Und nur dieser. Ihrer klebte auf Tape daneben. Bei unserem Einzug hatte sie gemeint, dass man nicht so viel Aufhebens um einen Nachnamen machen müsste, den sie ohnehin bald ablegen wollte. »Nach der Hochzeit hast du die Ehre, das Ding einfach abzureißen«, hatte Nell gesagt und ausgesehen, als könnte sie diesen Moment kaum erwarten. »Oder wir lassen es kleben, nur um die Nachbarn von gegenüber zu ärgern.«

Ich hatte gelacht und sie geküsst, ehe ich ihr Tape neben meinem Namen angebracht hatte. »Du hast die Maguires noch nicht einmal kennengelernt.«

»Charles, du weißt, ich habe wenige Vorurteile, aber der Weg von denen ist reinweißer Kiesel. Hast du da je Unkraut gesehen? Oder jemanden, der es wegmacht?«

Das war vier Monate her. Und jetzt starrte ich auf das weiße Tape, dessen schwarze, mit Edding aufgetragene Schrift ich aus der Entfernung nicht entziffern konnte. Dabei dachte ich nicht an die zukünftige Mrs McNair, die mir für meine grenzenlose Idiotie die Hölle heißmachen würde, sondern an die 15-jährige Nell Lavery. Ich dachte an unser Physikprojekt, das sie viel lieber mit Isaac Caldwell absolviert hätte. Die ganze Zeit hatte sie mich spüren lassen, dass ich nicht der umschwärmte Captain der Volleyballmannschaft war – nicht einmal dritte Wahl. Und dass sie es hasste, mit dem Klugscheißer in ein Team gesteckt worden zu sein.

Vierzehn Jahre später erzählte sie die Geschichte mit einem Lachen, einem entschuldigenden Kuss für mich und immer mit einem »Ich hätte mir damals nie träumen lassen ...«.

Ich versuchte mich an der Vorstellung, dass sie in weiteren vierzehn Jahren die Geschichte meines Seitensprungs erzählen würde – mit einem Lachen, einem Kuss und einem »Ich hätte mir nie träumen lassen ...«. Aber es gelang mir nicht. Keine Chance.

Ich stand wie ein Volltrottel am Tor, bis ich hörte, dass ein Auto in unsere kleine Straße einbog. Die Mühe, mich umzusehen, machte ich mir nicht. Ich war viel zu beschäftigt damit, es natürlich aussehen zu lassen, wie ich zum Haus trottete. Vorher hatte ich nie großartig darüber nachgedacht, doch nun war ich mit einem Mal nicht mehr sicher, ob es normaler war, einen kleinen Bordkoffer in der Hand zu tragen oder ihn hinter sich herzuziehen.

Ich trug ihn – nur, um schneller voranzukommen und zu vermeiden, dass die Clarks, die Thomsons oder gar die Maguires mich ansprachen und in ein Gespräch verwickelten. Vor allem die Maguires würden mich darin so lange festzuhalten wissen, bis Nell uns schließlich doch entdeckte und mich loseisen müsste wie ein Kind aus dem Spieleparadies des Einkaufszentrums. Mir fiel kaum ein schlechterer Einstieg in das bevorstehende Gespräch ein als ein »Hach, diese junge Liebe« von Laureen Maguire.

Als ich den Schlüssel ins Schloss steckte und ihn drehte, rechnete ich damit, Nell im Wohnzimmer zu finden. Es war halb neun, also wäre sie zu Hause, würde lesen oder einen Film sehen und warten, bis ich mich zu ihr gesellte. Sie kam nie zur Tür, wenn sie mich kommen hörte, sondern rief in den Flur »Pizza oder Indisch?«, ich gab ihr die Antwort, die fast immer »Pizza« lautete, und ging dann zu ihr ins Wohnzimmer. Dort legte ich mich auf die Couch, meinen Kopf auf ihren Schoß, lauschte ihrem Anruf bei der Pizzeria und ließ mir danach von ihrem Tag erzählen, bis das Essen ankam.

So war es normalerweise. Und ich hatte damit gerechnet, dass es genau so auch diesmal ablaufen würde – wenigstens bis zu dem Punkt, an dem ich mich auf die Couch setzte und ihr mitteilte, dass ich etwas zu beichten hätte.

Nur war sie nicht im Wohnzimmer. Als ich die Tür leise hinter mir schloss, fuhr ich zusammen, als ich Nell auf der Treppe sitzen sah, die unmittelbar hinter der Tür nach oben führte. Sie saß dort, sah mich an und schenkte mir ein Lächeln, das zu müde war, um ihr ähnlich zu sehen. Ich hatte also kaum die Schwelle zu meinem Zuhause übertreten, und schon war alles anders als sonst.

»Sieben Minuten«, sagte sie, und ich hörte deutlich, dass sie versuchte, amüsiert zu klingen. Schauspielerei hatte ihr noch nie gelegen. »Muss ich mir Sorgen machen, weil du sieben Minuten an der Straße stehst, ehe du reinkommst?«

Ich war versucht, den Kopf zu schütteln, vielleicht zu lachen, sie zu küssen und ihre Frage mit »Nein« zu beantworten. Aber das wäre eine Lüge gewesen, nicht wahr? Und ich konnte ihr doch jetzt keinen Automatismus auftischen, um ihn gleich darauf ad absurdum zu führen. Also blieb ich nur stehen, hielt den Koffer noch immer in meiner Hand und schaffte es unter dem lähmenden Einfluss meiner Ratlosigkeit gerade so, die Tür hinter mir zu schließen.

»Wow, nicht mal ein Lächeln«, murmelte sie und versuchte sich trotzdem weiter an ihrem eigenen. »Immer noch sauer, hm?«

Kurz war ich völlig perplex, weil mir nicht gleich einfiel, weshalb ich sauer sein sollte. Ich war doch derjenige, der ... Dann dämmerte es mir und damit auch, dass dieses Gespräch gerade die ganz falsche Richtung einschlug. »Nell ...«, hob ich an, weiter kam ich nicht.

»Lass mich ... lass mich zuerst, ja? Ich hab mir die letzten zwei Tage viele Gedanken gemacht. Die muss ich zuerst loswerden, dann kannst du.«

»Das ...« spielt keine Rolle mehr.

»Charles, ich meine es ernst. Wenn du einmal anfängst, suchen wir Lösungen, ehe ich auch nur geblinzelt habe. Aber ich muss dir das erklären. Und ich muss mich entschuldigen.«

»Musst du nicht«, widersprach ich. Noch nie war diese Entgegnung so weit weg von der Phrase gewesen, für die man sie gern hielt. »Ehrlich, Nell, das ...«

»Es tut mir leid«, fuhr sie mir über den Mund. »Und das meine ich ernst. Aber ich habe auch gemeint, was ich gesagt habe. Wenigstens das Meiste davon. Nur die Art und Weise war nicht in Ordnung. Ich weiß, ich hätte mit dir reden sollen. Aber wenn wir geredet hätten ... Du hättest Lösungen gesucht. Und ich hätte mich auf Lösungen eingelassen, weil es dir wichtig ist und mir auch, aber ich kann nicht ...« Sie rieb sich die Stirn, und ich tat einen letzten Versuch, sie zu unterbrechen. Dabei kam ich aber gerade bis zum Luftholen, ehe sie neu ansetzte. »Ich glaube, ich habe damit gerechnet. Ich meine, wir sind jung, wir sind gesund, und trotzdem bin ich nicht schwanger geworden. Wenn das nicht an dir liegt, dann kann nur ich der Grund sein. Ich habe damit also irgendwie gerechnet, aber wenn einem ein Arzt das ins Gesicht sagt ... Das ist etwas anderes. Und ich bin nicht wie du, ich ...« Kurz sah sie an mir vorbei, dann wieder in mein Gesicht. Konnte sie darin sehen, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte? Scheiße noch mal, ich konnte sie doch nicht so weiterreden und sich entschuldigen lassen. Doch sie hörte einfach nicht auf. »Ich meinte ernst, als ich sagte, dass ich keine Therapien will. Ja, wir können es mit Hormonen versuchen, mit OPs, mit künstlicher Befruchtung. Das habe ich noch mal recherchiert. Wir können uns auch durch die ganze Bürokratie einer Adoption schlagen. Aber ich bin keine Idiotin. Das wird nicht leichter als die letzten zwei Jahre mit den ganzen Kalendern und dem Temperaturmessen und ... Und ich kann nicht mehr, Charles. Ich habe es so satt.«

Ich verstand, was sie meinte, weil es mir genauso ging. Nur war ich zu feige gewesen, ihr das zu sagen. Ich konnte nicht einfach einen gemeinsamen Traum infrage stellen, nur weil ich es satthatte, ihn umzusetzen. Kurz wollte ich dazu ansetzen, Nells Entschuldigung endlich zu unterbrechen. Aber sie sah mich mit diesem Blick an. Ihrem unmissverständlichen Lass-mich-gefälligst-ausreden-Ausdruck im Gesicht. Es war immer ein Fehler gewesen, sich dem zu widersetzen. Und ich konnte mir keinen weiteren Fehler leisten.

»Lass uns bei dem Thema bitte einfach eine Pause machen, okay?«, fuhr sie mit belegter Stimme fort. »Bis zur Hochzeit ... Vielleicht länger. Einfach eine Weile Ruhe, nur wir beide. Und danach überlegen wir wieder neu, was wir machen. Ich weiß, du löst alles lieber sofort, aber ... Ich kann das gerade nicht. Ich bin müde. Aber ich hätte nicht sagen sollen, dass es mir egal ist, was du willst oder was du denkst. Ich meine ... ja, es ist mein Körper, nicht deiner, aber es war nicht fair, das als Totschlagargument ...« Sie atmete aus, was kaum mehr als ein Seufzen war. »Es ist mir nicht egal. Das habe ich nicht so gemeint. Ich hoffe, das weißt du.«

Sie saß noch immer dort, fixierte mich mit ihren großen grünen Augen, die mit jeder Sekunde, in der ich nichts sagte, unruhiger wurden. Und ich sah sie an und fand mich plötzlich in einer Ausgangssituation wieder, die noch viel unglücklicher war als die Fantasie von Laureen Maguire, die das junge Paar von gegenüber beneidete.

»Du weißt das doch, oder?«, hakte Nell noch einmal nach.

Lüg sie an, schoss es mir durch den Kopf. Tu ihr nicht weh. Lüg sie einfach an, und vergiss die Sache. Im Bruchteil einer Sekunde spielte ich die Möglichkeit durch – nicht zum ersten Mal, muss ich gestehen. Aber Scheiße noch mal, ich hatte zwei Jahre lang auf Bühnen gestanden und Führungskräften erklärt, wie man Fehler transparent kommunizierte und damit sogar an Autorität gewann. Ich hatte immer ernst gemeint, was ich gesagt hatte. Nicht zuletzt, weil ich unter einem Mann groß geworden war, der das genaue Gegenteil praktizierte.

»Scheiße, Nell.« Ich ließ den Koffer neben mich fallen. Die ganze Zeit hatte ich ihn noch in der Hand gehalten. »Du hättest mich wirklich zu Wort kommen lassen sollen.« Hervorragend. Ich hatte den Kern meines Themas noch nicht einmal tangiert, und schon hatte ich das oberste Gebot gebrochen: Meine Schuld, gib ihr nichts davon ab.

Ich sah, wie sie dazu ausholte, etwas zu sagen. Schlussendlich war es die Angst vor weiteren Entschuldigungen, die die Worte aus meinem Mund stieß. »Ich habe mit einer anderen Frau geschlafen.« Während ich das laut aussprach, fühlte es sich an, als hätte ich es mir nur ausgedacht. Das Hotelzimmer und diese Frau waren so surreal – nun, da ich in meinem Haus stand und Nell vor mir sah.

Sie schwieg. Sie schwieg sogar ziemlich lange. Zuerst sah sie mich dabei an. Ihr Blick war derselbe wie jener, der mir regelmäßig vorwarf, dass ich es bei läppischen drei Sachen auf dem Einkaufszettel ernsthaft schaffte, eine zu vergessen. Meist war es die Milch.

Das war nun einmal der Vorwurf, den ihre Mimik gewohnt war, aber sie brach schnell auf, als die zusammengepressten Lippen und die nach oben gezogene Augenbraue nicht reichten. In dem Moment, in dem das gewohnte Mienenspiel aus Nells Gesicht fiel, wandte sie es von mir ab und sah stattdessen die Wand neben sich an.

Ich selbst blieb stehen und wartete und kämpfte gegen den Drang an, etwas zu sagen. Das war einfach nicht die Art von Schweigen, die man gut aushielt. Da es jedoch nichts Richtiges gab, das ich sagen konnte, gab ich mein Bestes, meine Klappe zu halten und darauf zu warten, dass Nell reagierte.

Nur tat sie das nicht. Sie saß dort auf ihrer Stufe, schaute zur Wand und sagte keinen Ton. Und am Ende hatte sie darin größere Ausdauer als ich.

»Nell, es tut mir leid.«

Sie schnaubte verächtlich und wandte sich mir wieder zu. Es wirkte, als hätte sie Mühe, ihre Gesichtszüge festzuhalten, um mich mit diesem abschätzigen Blick anzusehen. »Zwei Tage, Charles. Ich weiß, dass ich gemein war, aber du gibst mir nicht mal zwei Tage, ehe du mir das heimzahlst?«

Heimzahlen ... Herrgott noch mal, ich schulte Kommunikation, und trotzdem war mir das Erste, was Nell entgegnete, nie in den Sinn gekommen. »Das hat nichts damit ...«

»Womit dann?«, fuhr sie mich an.

»Keine Ahnung.« Das war gelogen. Ich war kein Idiot. Ich wusste, weshalb ich Dinge tat – wenn auch manchmal erst im Nachhinein. Genauso wusste ich aber auch, dass die Wahrheit hier niemandem von uns einen Gefallen tun würde.

»Schwachsinn!«

»Das ist die ...«

»Nein, es ist Schwachsinn! Du sagst, du hast mit einer anderen Frau geschlafen. Du hast in deinem ganzen Leben noch nie mit einer anderen Frau geschlafen! Das muss doch einen Grund haben ... Alles andere ...«

... ist Schwachsinn, dachte ich zu Ende, was sie nicht aussprach. Ihr Satz brach ab, ehe ihre Stimme es tun konnte. Statt weiterer Worte schenkte Nell mir einen wütenden Blick, der auf einer Antwort beharrte, die ich nicht geben wollte. »Was willst du hören? Ich habe das nicht geplant oder dergleichen. Im Prinzip habe ich in dem Moment gar nicht klar gedacht. Sonst wäre es doch nicht dazu gekommen.«

»Also warst du betrunken?«, schlussfolgerte sie.

Ich atmete tief durch. Auch wenn wir hier jeden noch so fadenscheinigen Grund zusammentrugen, der dazu geführt hatte, blieb das Ergebnis schlussendlich doch, dass ich Scheiße gebaut hatte. Es war meine Schuld. Den Fehler hatte ich allein gemacht. »Ich will mich nicht mit Alkohol rausreden.« Meine Stimme war viel zu ruhig. Mir wurde klar, dass ich wie jemand klang, der auf ein hysterisches Tier einredete.

»Also warst du betrunken?«, wiederholte sie.

Ich nickte, weil es ihr wichtig schien, sprach aber sofort weiter, weil das wiederum mir wichtig war: »Ich weiß, dass das nichts entschuldigt. Der Fehler liegt bei mir und nicht bei ein paar Drinks. Und die Entscheidung, wie es weitergeht, ist allein deine. Ich weiß, dass ich da kein Mitspracherecht mehr habe. Und wenn es ewig dauert, bis du weißt, was du tun willst, muss ich eben so lange warten. Aber wenn ich irgendetwas tun kann, dann sag es mir.« Die Rechnung war ziemlich simpel und logisch. Wer die Schuld trug, konnte nicht auch noch Entscheidungen treffen. Allerdings war ich mir ehrlich nicht sicher, ob das fair oder eher grausam war.

Nell verdrehte die Augen und ließ ihren Blick auf dem Treppengeländer ruhen. »Charles, ich will keinen Leitfaden hören, wie man mit einem Fehler umgeht. Der Scheiß interessiert mich nicht! Ich will einen Grund.«

»Es gibt keinen Grund.«

»Hast du dich in sie verliebt?«

»Was? Nein!« Wie kam sie bitte auf diesen Unsinn?

»Wolltest du etwas anderes ausprobieren, ehe du dich auf mich festlegst?«

Ich hatte mich doch längst auf sie festgelegt. Aber ich kam nicht dazu, das in Worte zu packen, ehe Nell weitere Spekulationen die Stufen hinabpurzeln ließ, wo sie sich zu meinen Füßen sammelten. Im Prinzip konnte ich also nur darüber stolpern oder für immer an dieser Stelle stehen bleiben.

»Oder hast du mich satt? Ich meine, vierzehn Jahre sind sehr lang, und ich bin ja auch älter geworden.«

Sie war 29. Da konnte von Alter keine Rede sein. Doch ich hütete mich davor, ihr das zu sagen. Das würde nur dazu führen, dass sie andere Gründe von mir hören wollte. Und mit denen würde ich ihr nur noch mehr wehtun. Dachte sie ernsthaft, ich würde nur meinetwegen die Klappe halten?

»Verdammt noch mal, sag irgendwas! Gibt es etwas, das du mit ihr ausprobiert hast, weil du dachtest ... Das hättest du mir sagen können.«

»Nell, ich sagte doch schon, es gibt keinen Grund. Und selbst wenn, würde uns das auch nicht voranbringen. Wichtig ist, dass das eine einmalige Sache war. Ich habe keine Gefühle für diese Frau, und es wird sich auch nicht wiederholen. Alles andere ist nicht von Bedeutung.«

In meinem Kopf hatten diese Worte nach Deeskalation geklungen. Doch Nell sah mich an, als würde sie sich jeden Moment auf mich stürzen. Ich musste nur ihre Hände beobachten. Wie der Nagel ihres rechten Daumens sich in die Haut ihres linken kleinen Fingers grub. Ich hatte keine Ahnung, ob sie das mit Absicht tat oder unbewusst. So oder so war das Signal deutlich. Ich kannte es zu lange, um es nicht zu verstehen.

Sie atmete tief ein, ehe sie weitersprach. Dabei spuckte sie die Worte regelrecht in mein Gesicht. »Gott sei Dank haben wir unter uns einen herausragenden Kommunikationspsychologen, hm? Jemand, der entscheiden kann, was von Bedeutung ist.«

Ein paar Sekunden räumte sie mir ein, in denen ich etwas hätte sagen können. Aber die Auswahl an Worten war beschissen. Alles, was mir einfiel, waren Phrasen, die sie mir um die Ohren hauen würde. Oder die Wahrheit, nach der sie fragte, obwohl sie doch mit Sicherheit wusste, dass sie die nicht hören wollte. Nicht wirklich.

»Charles, du hast eine andere Frau gefickt. Es spielt keine Rolle, wie lehrbuchmäßig du dich jetzt verhältst, deine Weste wird nicht mehr weiß. Also hör auf so zu tun, als könntest du noch was richtig machen. Ich bin kein scheiß Seminar! Ich bin deine Verlobte, und ich will wissen, wieso du mich betrügst.«

»Ich sagte schon ...«

»Und ich hab gesagt, das ist Schwachsinn!« Jetzt schrie sie. Tränen liefen über ihre Wangen. Sie sah aus, als wolle alles in ihr von der Treppenstufe aufspringen und weglaufen. Nur ist das schwierig, wenn man noch nicht weiß, wohin. »Die Sache ist ganz einfach, Charles. Ich glaube dir nicht. Ich glaube dir kein verdammtes Wort, wenn du mir sagst, dass es keinen Grund gibt. Es gibt immer einen Grund! Wie soll ich dir also deine Entschuldigungen glauben, wenn du mich hier anlügst?«

Herrgott noch mal, es war mein Fehler, und sie entschied über das Maß der Konsequenz. Das waren klare Linien. Wieso musste sie sie mit ihren verdammten Analysen verwischen? Warum konnte sie es nicht wenigstens dieses eine Mal sein lassen?

»Charles!«

Scheiße, sie ließ mich nicht mal zu Ende denken.

»Es gab keinen Grund!«, wiederholte ich. Etwas lauter als beabsichtigt. Umso ruhiger sprach ich weiter. »Ich glaube, das ist das Ausschlaggebende gewesen. Dass es mal keinen Grund brauchte, um Sex zu haben.« Ich führte das nicht näher aus und hoffte, dass es genügte. Nell war doch dabei gewesen. Sie war die ganzen letzten Monate dabei gewesen. Aber offenbar spielte es keine Rolle, was sie wusste. Es zählte nur, was ich sagte.

»Was meinst du damit?«

»Nell, du weißt genau, wovon ich rede.«

Sie schüttelte demonstrativ den Kopf und sah mich an. »Ich will es aber von dir hören.«

Nell, mach das bitte nicht, flehte ich innerlich. Zwing mich nicht dazu.

»Verdammt noch mal, Charles! Und spar dir den Scheiß mit fairer Kommunikation!«, zischte sie, ehe ich auch nur zu diesem Argument hätte ansetzen können. »Du hast mit einer Frau geschlafen, ohne vorher auch nur einen Ton zu kommunizieren. Fairness kannst du dir jetzt echt schenken.«

»Scheiße, Nell, wieso soll ich dir noch mehr wehtun?«

Nicht mir. Sondern dir. Nell sah mich nur an, aber das war die Antwort, die ihr Blick mir unmissverständlich gab. Mir wurde klar, dass sie glaubte, dass ich es mir zu leicht machte. Scheiße, sie dachte ernsthaft, das hier wäre einfach.

Ratlos sah ich in den Flur neben der Treppe.

»Es hat sich alles nur noch um Termine gedreht«, sagte ich schließlich und versuchte, dabei nicht wütend zu klingen. Darüber, dass sie mich zwang, ihr das zu sagen. »Dein Handy hat entschieden, wann wir Sex haben. Und nur das Handy. Wann haben wir das letzte Mal nur zum Spaß miteinander geschlafen? Ich hab es versucht, aber ...« Dann brach ich ab. Wenn ich schon nicht alle umgehen konnte, wollte ich wenigstens so viele Vorwürfe wie möglich auslassen. »Nell, ich merke, wenn du Spaß dabei hast, und es ist mir nicht egal. Glaub mir, es ist ein scheiß Gefühl, Sex mit dir zu haben und zu wissen, dass du eigentlich keine Lust hast. Nur weil der Termin dran ist.«

Ich hatte das Gefühl gehabt, dass wir in diesem wahnhaften Kreislauf verloren gingen, den ich nicht mal begriff. Am liebsten hätte ich einfach kapituliert und den Kinderwunsch eingestampft, um dafür die Nell zurückzubekommen, die ich kannte. Nur hatte ich es nie übers Herz gebracht, ihr das zu sagen. Und nun stand ich vor ihr und wäre so ziemlich jeden Deal eingegangen, nur um das Gespräch, das wir führten, gegen jenes zu tauschen, das ich ewig gemieden hatte. »Ich habe das genauso satt wie du. Mir fehlt, wie es vorher war. Das mit der anderen Frau ... Das war die denkbar mieseste Art, dir das mitzuteilen.« Ich hoffte, dass das reichte. Dass ich nicht noch tiefer graben musste. »Nell, es tut mir leid.« Das konnte ich vermutlich nicht oft genug sagen.

Scheiße, so hatte das alles nicht laufen sollen. Der Plan war gewesen, meinen Fehler zu gestehen und ihn allein meinen Fehler sein zu lassen. Aber jetzt stand nicht nur dieser eine Fehltritt zwischen uns, sondern die ganze Wand aus Frust und Resignation, die sich seit Monaten Stück für Stück aufgetürmt hatte. Mir wurde schlecht, als ich erkannte, dass Nell sie genauso sah wie ich und wir keine Ahnung hatten, wie wir da durchkommen sollten.

»Siehst du, war doch gar nicht so schwer«, flüsterte sie. Dann kühlte ihre Stimme ab. »Wie gut, dass wir in einem Boot sitzen und es beide satthaben. Hätte ich doch nur geahnt, wie schwer das alles für dich war ...« Mit diesen Worten zog sie sich am Geländer auf die Beine, zögerte kurz und wandte sich dann ab, um die Stufen hinaufzusteigen.

»Nell, warte!«

Natürlich wartete sie nicht. Im Schlafzimmer holte ich sie ein, als sie unseren Schrank aufriss und versuchte, an das oberste Fach zu kommen.

»Verdammt, ich wollte damit nicht sagen, dass ich dir in irgendeiner Weise die Schuld gebe.«

»Hast du nicht«, erwiderte sie und wischte sich mit dem Handrücken über ihre Wange. »Keine Sorge.«

Mit energischem Blick versuchte sie noch einmal, an das Fach zu gelangen, dabei war es ihr noch nie gelungen, irgendetwas von dort oben herunterzuholen. Allerdings hatte sie es auch noch nie so verbissen versucht. Bis heute war es immer leichter gewesen, mich mit einem hilflosen Blick anzusehen und darauf zu warten, dass ich dieser stillen Aufforderung nachkam.

»Kann ich dir ...«

»Nein!« Sie sah mich an, als wäre ich nicht mehr ganz dicht. Etwas, das ihr trotz der Röte in ihren Augen und den Tränen auf ihren Wangen meisterhaft gelang.

Ich fühlte mich wie ein Idiot, als ich ihr dabei zusah, wie sie die nächste Schranktür aufriss und eine Wolldecke daraus hervorholte. Mir war klar, was ich falsch gemacht hatte, aber ich hatte keine Ahnung mehr, ob etwas übrig war, das ich richtig machen konnte. Und ich wollte so unbedingt irgendetwas richtig machen.

Nell gab mir keine Gelegenheit mehr dazu. Sie lief zum Bett und griff nach ihrem Kissen. Nicht nach meinem.

»Was machst du da? Ich bin derjenige, der ...«

Sie fuhr herum. »Der ... was? Der jetzt irgendwas entscheidet? Ich denke nicht! Und ich denke auch nicht, dass ich mir morgen dein Geheule anhören will, weil du Nackenschmerzen hast. Vergiss es. Jetzt kommst du eben auch mal in den Genuss, neben einer leeren Bettseite zu schlafen.«

»Nell, du hasst es, unten zu schlafen, das ist ...«

»Meine Entscheidung«, zischte sie. »Wie ja jetzt anscheinend alles meine Entscheidung ist. Weil du dich auf einmal dazu entschlossen hast, ein Arschloch zu sein, nur weil du armer Mann hin und wieder Sex haben musstest, der nicht der Hit war.«

»Das ist doch überhaupt nicht das, was ich meinte, ich ...«

»Ist mir egal!«, unterbrach sie mich, und ich hatte absolut keine Ahnung, ob sie die Worte diesmal ernster meinte als vor zwei Tagen. »Gute Nacht. Denk dran, dir den Wecker zu stellen. Ich will nicht auch noch dafür verantwortlich sein, dass du pünktlich aufstehst. Und es würde Sadie das Herz brechen, wenn du verschläfst.«

Sie gab mir nicht die Gelegenheit, etwas zu erwidern. Ehe ich auch nur hätte nicken können, drehte sie sich um und ging.

Weißt du noch, wie wir unser Eis getauscht haben? Dann hatte ich Schoko und du die bunten Funkelstreusel!   

»Was meinst du – waren wir jetzt schneller?«

Ich sah dabei zu, wie sich die Haut auf dieser kleinen Stirn in exakt zwei Falten legte. Nach ganzen fünf Jahren Lebenszeit waren mehr als zwei Falten einfach noch nicht drin. Dieses Defizit machte Sadie mit einem Blick wett, der jeden gestandenen Skeptiker vor Neid hätte erblassen lassen.

»Ich glaube nicht«, war die Einschätzung, die sie mir schlussendlich gab. Damit fielen Falten und Argwohn aus ihrem Gesicht, und sie sah mich mit ihren großen braunen Augen an, um ihr Urteil bestätigt zu bekommen.

Ich nickte mit so viel Erschütterung, wie man es einem Nicken nur angedeihen lassen kann, und hob Sadie von meinem Schoß, um sie vor mir auf dem Boden abzusetzen.

»Damit ist auch der Testlauf Nummer elf gescheitert«, verkündete ich gewichtig. Sadie grinste bereits und wartete nur auf das, was folgte: »Assistentin Briggs, teilen Sie unserer Protokollführerin das erneute Scheitern mit. Und versichern Sie ihr, dass wir unser Bestes geben, um bald die gewünschten Erfolge zu erzielen.«

Sie kicherte, wie sie es immer tat, wenn ich sie als Assistentin Briggs betitelte und irgendwelchen hochgestochenen Kram von mir gab. Dann drehte sie sich um, um zur Bank zu rennen, wo ihre Mum zusammen mit Nell saß und Protokoll führte. Ich hatte keine Ahnung, was genau Chris in das kleine Notizbuch schrieb, wenn Sadie ihr mitteilte, dass wir die Rutsche wieder nicht schneller absolviert hatten als vorher.

»Sadie, warte kurz«, hielt ich sie auf. »Ich hab eine Idee.«

Sofort wirbelte die Kleine zu mir herum und sah mich erwartungsvoll an. Als gäbe es nichts Großartigeres als Ideen.

»Was für eine Idee?«, flüsterte sie.

»Frag Nellie nach einem Beutel oder einer Plastiktüte. Plastiktüte wäre besser. So was hat sie meistens in der Tasche. Ich glaube, damit klappt es.«

Sie wirkte skeptisch – kein Wunder. Bei unserem Versuch eben hatten wir so viele Steine wie möglich in unsere Taschen gepackt, um schwerer zu werden. So eine Maßnahme hatte eindeutig mehr Pathos als ein dummer Beutel. Trotzdem nickte sie und flitzte zu der Bank am Rand des Spielplatzes.

Ich selbst sah ihr nach und blieb, wo ich war. Sie fühlte sich wichtiger, wenn sie ganz allein von unseren Misserfolgen berichten konnte. Und ich war feige genug, um froh darüber zu sein, dem Duo aus Nell und Christina nicht unter die Augen treten zu müssen.

Schon aus der Ferne fühlte ich mich unsicher – genau wie damals auf dem Schulhof, nachdem Nell und ich für dieses Projekt zusammengesteckt worden waren. Für einen Sechzehnjährigen gibt es nichts Angsteinflößenderes als zwei hübsche Mädchen, die ihn beobachten, miteinander reden und zweifelsfrei über ihn urteilen.

Dieses Unbehagen war im Alter von dreißig Jahren genau dasselbe. Nur saß ich heute auf dem Auslauf dieser Rutsche, sah zu, wie Sadie energisch und wild gestikulierend Bericht erstattete, und fragte mich, ob Chris es schon wusste.

Nell hatte den ganzen Morgen über nicht ein Wort mit mir gesprochen, bis Chris und Sadie wie geplant bei uns geklingelt hatten. Seitdem redete sie immerhin das Nötigste mit mir. Sie sah entsetzlich müde aus. Das war nicht zu übersehen. Trotzdem hatte ich es nicht über mich gebracht, sie zu fragen, ob sie wenigstens ein bisschen hatte schlafen können. Wie es ihr ging. Ob ich etwas tun konnte. Oder irgendetwas anderes von den Dingen, die mich interessierten.

Die einzige Frage, die ich ihr an diesem Tag bisher gestellt hatte, war die, ob sie einen Regenschirm dabeihatte, nur für den Fall.

Es war nicht einmal zwei Tage her, dass mir Geschäftsführer einen Whisky ausgegeben hatten, weil sie meine Kommunikationskonzepte beeindruckten. Und alles, was ich heute vollbracht hatte, war ein »Hast du einen Schirm dabei?«.

Ich beobachtete, wie Sadie mit Nell sprach, wie diese nickte und dann in ihrer Tasche kramte, um der kleinen Assistentin Briggs das nötige Werkzeug für den nächsten Testlauf zu überreichen. Mit einer Einkaufstüte von Sainsbury’s rannte Sadie wieder auf mich zu. Einmal mehr stellte ich fest, dass Kinder nur selten gingen, wenn sie es nicht mussten und wenn die Strecke genauso gut rennend zurückgelegt werden konnte.

Hinter ihr sah Nell in meine Richtung, und ich reagierte, wie auch mein sechzehnjähriges Ich damals reagiert hätte. Ich schaute weg und widmete mich so beiläufig wie möglich der nächstgelegenen Vertrauensperson. »Hast du die Tüte?«, fragte ich Sadie nach der vollkommen offensichtlichen Beute.

»Hab ich«, verkündete sie stolz. »Machen wir die Steine jetzt da rein?«

Das war zugegebenermaßen eine recht naheliegende Überlegung. In diese Tüte passten wesentlich mehr und wesentlich größere Steine als in unsere Hosentaschen. »Nein, wir machen was viel Besseres«, erwiderte ich und gab mir alle Mühe, es nach einer richtig großen Sache klingen zu lassen.

Sadie kaufte mir den verschwörerischen Tonfall ab. Ihre Augen wurden größer, und in ihnen glänzte die Vorfreude auf etwas, das ich noch nicht einmal näher beleuchtet hatte.

Ich konnte gar nicht anders, als diese Erwartungen auch noch zu füttern – in der Hoffnung, sie nicht zu enttäuschen. »Diese Tüte«, sagte ich und nahm ihr das Ding aus der Hand, »wird unser fliegender Teppich.«

Ein höchst entzücktes Japsen entwich ihr. »Wir fliegen?«

»Wenn alles klappt, werden wir so schnell sein, dass es uns zumindest so vorkommt. Wollen wir?«

Ohne ein weiteres Wort düste der Zwerg zu der Leiter, die zum Start der Rutsche führte. Ich rappelte mich also auf und folgte ihr in gemächlichem Tempo. »Charlie! Schneller!«, rief Sadie mir ungeduldig entgegen. Immerhin hatte ihre Eile sie nicht vergessen lassen, dass sie auf mich zu warten hatte, ehe sie die knapp drei Meter hinaufkletterte.

Oben angekommen, war das Konzept des nächsten Durchgangs simpel: Ich setzte mich auf die Plastiktüte und nahm Sadie auf den Schoß, die meinen Prophezeiungen genug Glauben schenkte, um aufgeregt herumzuzappeln. Dann stießen wir uns ab.

Wir flogen.

Wir flogen tatsächlich – was Sadie ein begeistertes Kreischen entlockte und mir einen Fluch, der in Gegenwart einer Fünfjährigen nichts zu suchen gehabt hätte. Die Bahn der Rutsche ließen wir im Bruchteil einer Sekunde hinter uns, schossen über das Ende hinaus, und das Ganze endete mit einem schmerzhaften Aufprall meines Hinterns auf dem Sand. Fast zeitgleich krachte mein Hinterkopf ungebremst auf den Boden.

Ich bekam keine Luft, aber ich hielt noch immer Sadie an meine Brust gedrückt, die einen Moment lang den Atem anhielt und schwieg. Für diesen Augenblick war ich sicher, dass sie gleich weinen würde. Was aber eintrat, waren ein energisches Jauchzen – »Wir sind geflogen!« – und ein Fuß oder ein Ellenbogen, der sich in meine Magengrube stieß, als sie sich aufrappelte und aufgeregt von ihrem gefallenen Spielkameraden wegrannte. »Mum, Nellie! Wir sind geflogen!«

Ich blieb liegen, bereit, mich in vollumfänglicher Theatralik dem Schmerz hinzugeben, der sich über meinen Rücken zog. Meine ersten Atemzüge waren unverkennbar das Ächzen eines Mannes, der einem gehörigen Maß an Selbstüberschätzung zum Opfer gefallen war. Dann gab es noch ein weiteres Symptom, das diese Art der Dummheit gern nach sich zog: Gelächter. Es war vielmehr das Grölen einer Frau, allerdings nicht von meiner. Und Schritte, die es näher brachten, bis Chris neben mir stand und sich Lachtränen aus den Augen wischte. Ihre Sonnenbrille hatte sie dafür nach oben geschoben, wo sie nun auf ihren hellblonden Haaren ruhte.

»Alles klar bei dir?«, gluckste sie und stieß mit einem Fuß sanft gegen meine Seite.

Ich nickte, wie man es von einem Mann nun einmal erwartete, selbst wenn sein Arm in einem komischen Winkel abstand. Und da ich nicht einmal abstrakte Gliedmaßen zu bieten hatte, rappelte ich mich etwas auf, bis ich saß. Chris hockte sich neben mich und strich mir den Sand vom Rücken und etwas vorsichtiger von meinem Hinterkopf.

»Igitt«, brummte ich. »So viel Fürsorge von dir ist unheimlich.«

Chris lachte nur und klopfte mir auf die Schulter. »Ich will nur sichergehen, dass mein Kind dich nicht kaputt gemacht hat. Keine Lust auf Schadensersatzklagen. Fürsorge kannst du dir bei deiner Frau abholen, du Spinner.«

Nell hat es ihr also nicht gesagt, dachte ich. Und fragte mich sofort, warum.

»Charlie!« Das wilde Getrappel von Kinderfüßen eilte auf uns zu. »Charlie! Wir müssen noch mal fliegen! Noch weiter! Bis dort!« Dabei deutete sie auf einen Punkt, mehrere Meter von uns entfernt.

»Oh Gott«, keuchte ich nur, während ich im Augenwinkel sah, wie Chris sich zu ihrer Tochter umwandte.

»Stopp!«, sagte sie schlicht, und das ungeduldige Getrappel verstummte. »Charlie braucht erst einmal eine Pause.«

Ich ahnte, dass die kleine Forschungsassistentin die Pause missbilligen würde, doch ich unterschätzte ihre Prioritäten: »Nur ich darf ihn Charlie nennen. Nicht mal Nellie.«

Ich grinste – über Sadies Worte, die meinem Ego zugegebenermaßen etwas schmeichelten, und über das genervte Aufstöhnen ihrer Mutter. »Das stimmt«, pflichtete ich der Kleinen bei. »Nicht einmal Nell.«

Chris seufzte und hob noch einmal an. »Meinetwegen. Charles«, sie zog meinen Namen unüberhörbar in die Länge, »braucht erst einmal eine Pause. Und euer Experiment muss dokumentiert werden. Ihr hattet Erfolg, das ist wichtiger als die Versuche davor. Hier.« Ich hörte das Rascheln der Plastiktüte, die Chris vom Boden auflas. »Ab damit zu Nell. Schreibt alles auf und malt das Ding, damit die Nachwelt später weiß, was zu tun ist, wenn mal wieder jemand von einer Rutsche fliegen will. Charles«, wieder dieser gedehnte Vokal, »und ich holen Eis für alle. Um den Erfolg zu feiern.«

Ich nahm an, dass Sadie nickte, denn ich hörte nur ihre Schritte, die sich rasch von uns entfernten. Dann klopfte Chris auf meine Schulter, stand auf und hielt mir ihre Hand entgegen. »Los, hoch mit dir, Professor.«

Ich hievte mich mehr selbst auf, als dass Chris mich auf die Beine zog. Erst, als ich stand, wagte ich einen Blick zu der Bank, auf der Sadie sich nun neben Nell gesetzt hatte und dabei zusah, wie ihre beste große Freundin etwas aufschrieb. Sie hatte auch eine beste kleine Freundin – allerdings wechselten die regelmäßig, je nachdem welche Dramen sich in der Vorschule gerade abgespielt hatten. Nell sah nicht auf. Ihr Blick haftete eisern an dem Notizbuch.

»Eis«, erinnerte Chris mich. »Na komm.« Woher ihre Tochter dieses liebevoll-dominante Wesen hatte, war kein Rätsel. »Außerdem müssen wir reden.«

Ich war nicht sicher, ob die plötzlich auftretende Übelkeit von ihren Worten herrührte oder von einer Gehirnerschütterung. Ich tippte allerdings auf das Erste. »Reden?«

»Reden«, bestätigte sie.

Ich schnaufte – unsicher, welche andere Reaktion sie sonst von mir erwartete.

»Ich weiß.« Offenbar hatte ich ihre Erwartung voll erfüllt. »Eure Beziehung, nicht meine. Aber normalerweise höre ich mir auch nur an, wie es sein kann, dass ein intelligenter Mann wie du es nicht schafft, einen vollständigen Einkauf hinzubekommen. Oder ein Geschenk für seine Mutter zu kaufen.«

»Das liegt daran, dass wir quasi nur an Weihnachten und Geburtstagen Kontakt haben«, murmelte ich.

»Ja, weil Nell dich dran erinnert, bei ihr anzurufen.« Chris grinste kurz, dann fiel dieses freundschaftliche Maß an Belustigung von ihr ab, während wir gemeinsam den Weg in den Park hinein und vom Spielplatz weg liefen. An der nächsten Biegung sah ich schon den Anhänger stehen, an dem Softeis verkauft wurde. Eine kleine Schlange an Menschen wartete davor. »Nach eurem Streit am Mittwoch hat sie mich angerufen, und wir haben abends ziemlich lange geredet. Ich will das nicht ausweiten, aber ...« Sie seufzte und sah über ihre Schulter nach hinten, als fürchtete sie, dass Nell uns aus der Entfernung belauschen könnte. »Krieg dich wieder ein.«

Wieder fiel mir nicht mehr ein als ein Schnauben. Es ging längst nicht mehr um die Auseinandersetzung am Mittwoch. Aber da Chris das nicht wusste, konnte sie meine Reaktion nur falsch verstehen.

»Du weißt doch, wie Nell ist. Erst reagieren, dann denken. Das kannst du nicht ernsthaft ... Sie wollte doch mit dir reden. Habt ihr gestern nicht geredet?«

»Doch, haben wir.«

»Also hat sie dir alles erklärt? Dass es einfach zu viel für sie war? Sicher, Endometriose ist keine Krebsdiagnose. Aber du musst ihr doch zugestehen, wenigstens ein bisschen neben der Spur zu sein. Und wütend und ratlos. Und du hast das abbekommen. Das war nicht fair, aber ...«

»Chris ...«

»Ach, komm mir jetzt nicht damit, dass mich das nichts angeht. Ihr seid ...«

»Wir sind dran«, unterbrach ich sie, ehe der Eisverkäufer sich die ganze Rede darüber anhören musste, dass Familie nicht mit dem Blut aufhörte. Der Kerl, der hier vermutlich einen Nebenjob neben dem Studium absolvierte, schien kaum genug Geduld für unsere Bestellungen zu haben.

Chris warf mir nur einen Wir-sind-noch-nicht-fertig-Blick zu und gab dann die Bestellung für vier Portionen Softeis auf, die seit jeher die immer gleiche war: Schokoüberzug für sie und mich, Schokoladenstreusel für Nell und bunte Funkelstreusel für Sadie, die ohnehin nur dieses Zeug vom Eis knabbern würde, um den Rest dann mir zu überlassen.

Wir bekamen unser Eis und ich obendrein die Fortsetzung von Christinas kleiner Predigt, als wir uns auf den Rückweg machten. »Keine Ahnung, ob ein Mann das überhaupt versteht. Aber wir wissen alle, dass Nell die geborene Mutter ist. Es ist nicht fair, dass sie nicht einfach Kinder bekommen kann. Ihr kriegt das schon hin, aber sie muss das halt erst verdauen. Und dafür braucht sie dich. Ich meine ... Ich bin die beste Freundin, die aus Versehen vom größten Arschloch in Nordirland schwanger geworden ist. Was soll ich denn bitte sagen, das ihr hilft, hm?«

Ich seufzte, weil mir nichts Besseres einfiel. Dieser Tag war keine Glanzleistung bezüglich meiner Profession.

»Oh, Mann«, kommentierte Chris mein kommunikatives Versagen. »Echt so sauer?«

Ich schüttelte den Kopf und rettete mich auf eine vage Formulierung, die mich nicht zu einer Lüge nötigte, aber genauso wenig zu einer Aufklärung der Umstände. »Nein. Ich denke nur, dass wir das alles etwas sacken lassen müssen.«

Chris gab sich damit zufrieden und nickte. Dann fand ein Grinsen ihr Gesicht und ließ mich erleichtert aufatmen. Das Thema war beendet. Und in all den Jahren, die ich Chris nun kannte, war ein Abschluss auch immer ein solcher geblieben. Sie war niemand, der Dinge aufwärmte. Jedenfalls nicht die unangenehmen. »Übrigens spekuliert Nell darauf, dass das Absicht ist.« Sie fuhr sich mit der Hand über ihre eigene Wange, während sie das sagte.

Dass sie eigentlich meine damit meinte, war nicht schwer zu erraten. Ich schmunzelte, wenn auch etwas verlegen. »Ich wollte ihr zur Hochzeit eine Freude machen.«

Seit Jahren hatte Nell mich gefragt, ob ich mir nicht probehalber einen Bart stehen lassen wollte. Etwas, das ich bisher tunlichst vermieden hatte, weil das, was auf meinem Gesicht spross, nicht das Dunkelblond meiner Haare hatte, sondern einen deutlichen Rotstich vorwies. Was mir selbst zuwider war, entzückte Nell ausreichend, um ihr wenigstens für diesen Anlass den Gefallen zu tun.

»Ich schätze mal ... fünf Tage? Steht dir.«

Das Grinsen auf ihrem Gesicht ließ mich an der Aussage allerdings zweifeln, weshalb ich nur mit »Hm« antwortete.

»Ach, und eins noch.« Wir hatten längst den Spielplatz wieder erreicht. Sadie und Nell saßen noch immer einträchtig auf der Bank und inspizierten die Plastiktüte. Es wirkte, als versuchten sie die perfekte Flugausrichtung für dieses Ding auszumachen. »Wenn du meinem Kind erlaubst, allein mit diesem Teil zu rutschen, bring ich dich um.«

Ich nickte und versagte bei dem Versuch, die aufkommende Nervosität beiseitezuschieben, als Nell zu uns aufsah und ihr Blick meinen traf. »Verstanden.«

Die Treppenstufen knarrten unheilvoll mit jedem Schritt, den ich auf das Holz setzte. Diese Treppe war das perfekte Klischee, das dazu geführt hatte, dass Nell seit unserem Einzug nur zwei Mal im Keller gewesen war. Ich hatte bereits Überlegungen angestellt, einen Bewegungsmelder zu installieren und dann ein drittes Mal zu provozieren. Dieser Melder sollte das musikalische Thema der Duschszene aus »Psycho« spielen, sobald jemand die Treppe hinablief. Bisher war es allerdings bei der Idee geblieben. Aber die war weit genug ausgereift, um ein gebrochenes Bein in Kauf zu nehmen, nur um Nell in unseren Keller zu lotsen.