Opakalypse - Ingo Bartsch - E-Book
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Opakalypse E-Book

Ingo Bartsch

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Beschreibung

Ein bitterböser, tod(!)komischer und zugleich nachdenklicher Roman über die Missstände in der Altenpflege, soziale Ungerechtigkeit und den medizinischen Nutzen von Marihuana. Jules Wicküler hat ein Problem: Dem Endzwanziger aus reichem Elternhaus wird der Geldhahn zugedreht – er braucht einen Job. In seiner Not bewirbt er sich bei einer Zeitarbeitsfirma, die ihn als Pflegehelfer an das Altenheim Haus Nikolaus vermittelt. Dort erwarten ihn Demenz, Körperausscheidungen, Stress, eine fiese Oberschwester und jede Menge Pflegemissstände. Nach anfänglichem Fluchtimpuls entwickelt Jules bald den Ehrgeiz, den alten Menschen im häufig urkomischen, doch leider viel zu oft auch furchtbaren Heimalltag zur Seite zu stehen.»Wenn man klug ist, und so klug wird hier zwangsläufig jeder, zieht man den Bewohnern nichts an, was zugeknöpft werden muss. Jeder Knopf, egal, ob zu- oder aufgeknöpft, ist Zeitverschwendung. Weite T-Shirts und Jogginghosen sind erste Wahl.«

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Inhalt

Cover & Impressum

Zitat

Widmung

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Zitat

((Überschrift nur für TOC ebook))

I’m a human fly

I spell F-L-Y

I say buzz buzz buzz

and it’s just because

I’m a human fly

and I don’t know why

I’ve got 96 tears

and 96 eyes

The Cramps

Widmung

((Überschrift nur für TOC Ebook))

Für Linchen

8

Wann immer ich die Stadt im Morgengrauen erlebt habe, bin ich dabei nie nüchtern gewesen, sondern zumeist mörderstoned, ab und an besoffen. Nun, klar im Kopf, stelle ich fest, dass sich die arbeitende Bevölkerung um halb sechs erheblich von der arbeitenden Bevölkerung um kurz vor acht unterscheidet. Die Blicke sind noch verdrossener, die Leute übergeben sich regelrecht aus den Augen. Manche schlafen mit Kinn auf der Brust wie plötzlich verstorben. Es fehlen die Herren in Anzügen und Damen in Kostümen. Mehr KIK, weniger S. Oliver. Umhängetaschen aus Polyester statt Aktenkoffer. Niemand führt um diese Zeit ein Klapprad mit sich. Man lässt routiniert die Schultern hängen, lehnt sich gegen die Tramwand, denn so kriegt wenigstens der Körper noch etwas Schlaf. Auf diese Weise manövrieren sich die Menschen in die Frühschicht. Dazwischen immer wieder Grüppchen von stinkendem, aufgebrauchtem Partyvolk.

Mir stecken der Pärchenabend und die Nacht auf der Couch in den Knochen. Zum ersten Mal überhaupt habe ich morgens das Haus, vermutlich auch das Bett, vor Nadja verlassen. Normalerweise stehe ich auf, wenn die Uhrzeit zweistellig ist. Dann stelle ich unseren Kaffeeautomaten von Latte auf Cappuccino um und eruiere, was das Privatfernsehen zu bieten hat. Habe ich es mir bequem gemacht, nehme ich mein Tablet zur Hand und widme mich meinem großen Projekt: unseren Stadtteil in Minecraft nachzubauen. Instinktiv schaue ich gegen zwei Uhr nachmittags auf die Uhr und stelle fest, dass es schon zwei ist. Ich bereite mir ein Mikrowellengericht zu. Danach nehme ich einen Verdauungsjoint. Nun kommt der Nachmittag, der Pflichten und Aufgaben vorbehalten ist: aufräumen, einkaufen, all der Alltagskram. Ich versuche, so schnell wie möglich wieder aufs Sofa zu kommen. Ich bin wie ein Hund: das Nötige erledigt bekommen, gern auch ein wenig spielen, die meiste Zeit aber ruhig daliegen. Und irgendwann kommt dann Nadja von der Arbeit.

Das letzte Stück bis zur Endhaltestelle bin ich allein in der Tram, ausgenommen eine heruntergewirtschaftete Frau, die vermutlich von einer Zechtour zurückkehrt. Sie schnorrt eine Zigarette von mir und will mich in ein Gespräch verwickeln. Ich habe keine Zeit für sie. Ich gehöre ab heute zu den Leuten, die sagen: »Sorry, keine Zeit, muss arbeiten.«

Es ist noch nicht ganz hell. Der Eingang, vor dem ich von meinem neuen Chef ignoriert worden bin, ist verschlossen. Ich schleiche um das Gebäude wie ein orientierungsloser Einbrecher. Schließlich ist es die verkaterte Frau, die mir den Eingang auf der Hinterseite des Gebäudes zeigt. Im Licht des Vorraums sehe ich sie in ihrer ganzen Pracht: drahtiges schwarzgraues Haar, ein Stapel Ringe unter jedem Auge, spröde Lippen, feuerrote Säuferhaut. Ihr Outfit scheint aus der Plünderung eines Altkleidercontainers zu stammen. Sie hinkt. Oder sie schwankt. Oder beides. Sie könnte Ende vierzig sein, aber auch Mitte sechzig. »Ich bin Patty«, sagt sie.

»Ich bin Julius Wicküler. Heute ist mein erster Tag. Wissen Sie, wo ich hinmuss?«

»Als was fängst du denn an?«

»Pflegehelfer.«

»Auf welcher Station?«

»Zwei.«

Sie bricht unvermittelt in fieses Gelächter aus. Es klingt wie das der bösen Hexe, die erfolgreich Hänsel und Gretel verspeist hat. Irgendwie irre, irgendwie amüsiert. »Geh mal da hinten hin«, weist sie auf eine Art Glaskasten, aus dem Licht in den dunklen Korridor fällt. Dann verschwindet sie in die entgegengesetzte Richtung. Ich habe sie gar nicht gefragt, als was sie hier arbeitet.

Ich gehe ins Licht. Es riecht … ja, wie riecht es hier nur? Ich kenne den Geruch, aber ich kann ihn nicht benennen. Von irgendwoher, aus einem Zimmer in einem der anderen Korridore, kriecht ein dumpfes, bleischweres Stöhnen durch das Halbdunkel in mein Ohr und fährt unter meine Haut. Ich gehe schneller. Gehe ins Licht.

Im Glaskasten werde ich wieder nicht beachtet. Auf einem Drehstuhl sitzt eine hübsche junge Frau mit struppigem, zu einem dicken Zopf gebändigtem Haar. Ihr Blick ertrinkt in ihrer Kaffeetasse. Ein turmhoher Mann mit Pferdeschwanz redet auf eine drahtige, vielleicht fünfzigjährige Grauhaarige ein, wobei er sie fortwährend anfasst und berührt. Ein grobschlächtiger Mensch, aus dessen T-Shirt dornige Tattoos über beide Arme kriechen und dessen Undercut die Brutalität seiner Erscheinung stoppelig unterstreicht, blickt nicht mal auf, als der Pferdeschwanz auch ihn streichelt und betatscht.

Ich räuspere mich mehrfach und sage »Hallo« und »Guten Morgen«. Nach einer Weile der Nichtbeachtung werde ich plötzlich von allen vieren angestarrt.

»Ich heiße Julius Wicküler. Ich soll hier anfangen.«

Der Berührer streichelt meinen Oberarm. »Was ist deine Name?«

»Julius Wicküler«, wiederhole ich.

»Du heute anfangen hier?«

»Keiner hat gesagt«, murmelt die Hübsche in ihren Kaffee.

»Aber ist gut«, sagt der Berührer, der nun meine Schulter tätschelt. »Bist du Fachkraft?«

»Ich … äh … nein, nein. Helfer. Pflegehelfer.«

Jetzt unterhalten sich die beiden in einer mir fremden Sprache. Der Berührer redet sachlich und liebkost dabei Wange und Kinn der Schönen. Die Schöne schimpft und lässt sich von den Zärtlichkeiten nicht beeindrucken.

Die kleine Grauhaarige sieht mich ungläubig an. »Du bist Deutscher?«

»Ja.«

»Von einer Zeitarbeitsfirma?«

»Ja, von Powerjob.«

Sie überlegt kurz. »Die mit dem Pimmel als Logo?«

Ich nicke. Mir ist unwohl. Die Hübsche ist ganz aufgebracht und zeigt abwechselnd auf mich und auf eine Tafel an der Wand, die mit bunten Zetteln übersät ist. Der Pferdeschwanz kann sie nicht beruhigen. Schließlich lässt er sie gehen und wendet sich mir zu.

»Du machst Gruppe drei, okay«, sagt er und deutet auf die Tafel.

»Gruppe drei?«

»Ja. Grundpflege, dann mobilisieren und in Speisesaal für Frühstück.«

Ich habe keine Ahnung, was er von mir will. »Das ist mein erster Tag«, entgegne ich.

»Auf Welt?«

»Lass dich von den Rumänen nicht verunsichern«, schaltet sich die Graue ein. »Ich heiße übrigens Gerti.«

»Okay, Frau Gerti. Ich bin Julius Wicküler.«

»Gerti ist mein Vorname«, lacht sie mich aus. Zu dem Pferdeschwanz sagt sie in reduzierter Sprache: »Er erster Tag, Toni. Er Einarbeitung. Ihr beide Gruppe drei und vier. Du gehst mit ihm. Valeria Gruppe zwei und Küche.«

»Aaah, er erste Tag«, ruft Toni und tätschelt den Hintern der Grauen. Dann streichelt er meinen Rücken. »Ich zeige dir. Du gucken, dann du machen.«

Ich kann nicht fragen, was er meint oder worum es geht. Wir verlassen den Glaskasten und gehen in einen Lagerraum. Toni füllt einen kleinen Schrank auf Rollen mit Bettwäsche, Handtüchern, Waschlappen und diversen anderen Dingen, die mir unbekannt sind. Er schiebt den Rollschrank durch den Korridor. Vor einem Zimmer bleiben wir stehen. Toni nimmt Latexhandschuhe aus einer Pappbox und zieht sie binnen weniger Sekunden an. Ich scheitere schon an der ersten Hand. Der Handschuh ist zu eng. Mit viel Mühe bekomme ich ihn zur Hälfte an. Als ich beginne, jeden Finger einzeln nach unten zu zupfen, reißt Toni mir den Handschuh runter.

»So ist scheiße«, sagt er.

Ich versuche es noch mal. Er verdreht die Augen und zieht mich hinter sich her. Mit Handtüchern, Waschlappen und den mir unbekannten Dingen ausgerüstet betreten wir einen Raum, beziehungsweise: Toni betritt den Raum, und ich staune. Anklopfen und reingehen ist bei ihm eins. Die Tür fliegt auf, er schaltet das Licht an und ruft »Guten Morgen«, als müssten es Leute hinter einer Schallschutzwand in fünf Kilometer Entfernung hören. Ein Sondereinsatzkommando könnte einen Raum nicht lauter stürmen. Die beiden alten Damen in ihren Betten scheint der brachiale Auftritt allerdings wenig zu beeindrucken. Sie rühren sich nicht. Ich frage mich, ob sie tot sind.

Toni drückt auf einen Knopf an einer kleinen Anlage an der Wand. Ein grünes Licht leuchtet. »Das heißt: Du bist in Raum.« Dann zeigt er auf die Frau, die näher an der Tür liegt. »Machen sie zuerst. Machen zackzack, dann fertig. Zu wenig Zeit.«

Ich möchte ihn fragen, was genau er jetzt tun wird. Ich möchte überhaupt wissen, was es mit diesen alten Frauen in den Betten auf sich hat, warum es so furchtbar riecht in diesem Zimmer, warum der weiße Kasten an der Wand piept, ob es nicht unhöflich und respektlos ist, ein Zimmer so zu betreten und was Toni auf Rumänisch vor sich hin murmelt. Doch alles geht zu schnell. Überfallartig. Aus dem Badezimmer holt er eine kleine Plastikwanne voll Seifenwasser. Er wirft die Decke zurück. Jetzt wacht die Frau auf. Die Kälte packt ihren Körper, der sich zusammenzieht. Sie schlägt die Augen auf.

»Bist du wach, hä?«, schreit Toni.

Die alte Frau lacht ihn zahnlos an. Es ist ein wildes, fast schon irres Lachen. Sie amüsiert sich offenbar darüber, lautstark geweckt und dann rabiat gewaschen zu werden. Toni wirft den alten Körper hin und her, nach links, nach rechts, packt sie an den Beinen und reißt sie hoch, alles begleitet vom rasenden Kreisen des Lappens. »Ah, du bist eine verrückte Ding!«, sagt er und »Du nur lachen, weil in Kopf alles kaputt, du verrückte Ding!« Die Alte kommt aus dem Lachen nicht mehr raus. Und während Toni sie bearbeitet, fällt mir ein, warum mir dieses Gelächter so vertraut ist: Es ist das Lachen, das ich vor ein paar Tagen gehört habe, als ich unten vor der Tür des Altenheims gewartet habe.