Ophéa - Im Bann des Drachen - Bettina Auer - E-Book

Ophéa - Im Bann des Drachen E-Book

Bettina Auer

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Beschreibung

Träume sind die schützenden Wände derer, die Angst haben, die Wahrheit zu erkennen. Ein Machtspiel zwischen Elben und Menschen. Als kleines Kind befreite die Elbensklavin Ophéa einen Drachen, der ihr im Gegenzug eines versprach – Freiheit. Einige Jahre später wird das Versprechen eingelöst und Ophéa wird von einem Elben für den Drachen Trésko freigekauft. Die junge Elbin folgt dem Fremden zum Drachenhort. Dort findet sie sich in einem Netz aus Lügen und Geheimnissen wieder und muss erkennen, dass der Drache nicht der ist, der er vorgibt zu sein. „Wer eine Geschichte voll mit Liebe, Intrigen und symphatischen Charakteren sucht, der wird mit „Ophéa - Im Bann des Drachen“ fündig.“ Pamela Gelfert

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Sammlungen



Inhaltsverzeichnis

Prolog 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

14. Kapitel 

15. Kapitel 

16. Kapitel 

17. Kapitel 

18. Kapitel 

19. Kapitel 

20. Kapitel 

21. Kapitel 

22. Kapitel 

23. Kapitel 

24. Kapitel 

25. Kapitel 

26. Kapitel 

27. Kapitel 

28. Kapitel 

29. Kapitel 

30. Kapitel 

31. Kapitel 

32. Kapitel 

33. Kapitel 

Epilog 

Danksagung 

Bettina Auer schreibt unter ihrem Mädchennamen fantastische Literatur für Jugendliche und Erwachsene. Sie wurde 1992 in Wörth an der Donau, nähe Regensburg, geboren, wo sie sich mit allerlei Tieren und ihrem Mann im Häuschen ihrer Großeltern eingenistet hat. Schon in der Kindheit hat sie ihre Zeit zwischen den Buchseiten verbracht und wusste immer, sie möchte eines Tages selbst Bücher schreiben. Gesagt, getan. Seit über zehn Jahren widmet sie sich dem magischen Spiel der Wörter, bei dem schon viele Romane entstanden sind.

Vollständige e-Book Ausgabe 2020 

© 2020 ISEGRIM VERLAG 

in der Spielberg Verlag GmbH, Neumarkt 

Covergestaltung: Ria Raven www.riaraven.de

Coverillustrationen: © shutterstock.com

Illustration im Innenteil: Vicky Hamen 

Alle Rechte vorbehalten

Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung können ziviloder strafrechtlich verfolgt werden.

ISBN: 978-3-95452-827-1 

www.isegrim-buecher.de

Für Andrea F., 

denn egal wie weit der Weg ist, Drachen finden immer zurück nach Hause.

Prolog 

Eine große Anzahl von Menschen tummelte sich auf dem überschaubaren Marktplatz. Die Händler priesen ihre Waren an, aber es sammelten sich kaum Kaufwillige um ihre Stände. Denn es gab eine Attraktion auf dem Markt, die die Leute magisch anzog und sie ihre Einkäufe vergessen ließ. Kinder drängten sich durch die Lücken der Menge hindurch, um einen besseren Blick auf das Schauspiel zu erhaschen.

Unter ihnen war auch die kleine Elbensklavin Ophéa. Ihre blaugrünen Augen waren weit aufgerissen das braungoldene, kinnlange Haar hing ihr in verfilzten Strähnen ins Gesicht.

Im Gegensatz zu den anderen Jungen und Mädchen trug sie schäbige Kleidung aus billigem Leinen, ihre nackten Füße waren verdreckt vom Schmutz der Straße.

Sie zwängte sich geschickt an zwei weiteren Kindern vorbei, die ihr Spottwörter nachriefen. Doch sie nahm es gar nicht wahr, so sehr war sie daran gewöhnt. Endlich erreichte sie die Attraktion und hatte freie Sicht auf den eingesperrten Drachen. Bei seinem Anblick begannen ihre Augen zu glänzen. Gleichzeitig hatte sie noch nie so viel Mitgefühl für jemanden empfunden, wie für ihn.

Mit engangelegten Flügeln kauerte er auf dem Boden des für ihn viel zu kleinen Käfigs, in dem er angekettet war. Seine eisblauen Schuppen schienen das Sonnenlicht zu reflektieren und in den schwarzen Augen las sie tiefe Trauer. Der Zwinger des Tiers befand sich auf dem Podium, auf dem sonst die Straftäter hingerichtet wurden.

Die Guillotine stand neben dem Gefängnis des Drachen, um das getrocknete Blut schwirrten unzählige Fliegen.

Ein mannshoher Zaun hielt die Staunenden davon ab, der Tribüne näher zu kommen. Die zehnjährige Elbin schluckte schwer, als sie die offene Wunde des Wesens bemerkte, die es unter seinem linken Flügel versteckte.

Du armes Ding. Du musst schreckliche Schmerzen haben, dachte sie wehmütig und spürte aufsteigende Tränen. Plötzlich packte sie jemand am Handgelenk.

»Da bist du ja! Was fällt dir ein wegzulaufen, Elbenbrut!«

Das Mädchen drehte sich um und sah den Mann, der sie festhielt, angsterfüllt an. Er war mindestens viermal so groß und doppelt so breit wie sie. Sein rotes Wams spannte sich über den Bauch und die schwarze Hose drohte bald aus allen Nähten zu platzen.

Auf dem Kopf trug er einen albernen Hut mit bunten Federn. An jedem seiner Finger steckte ein goldener mit Edelsteinen besetzter Ring.

»Es tut mir leid, Herr. Ich wollte doch nur den Drachen sehen…«, rechtfertigte sie sich und hörte, dass die Menschen um sie herum tuschelten und auf sie zeigten. Die Zornesröte stieg in das aufgedunsene Gesicht des Mannes.

»Du unverschämtes Gör! Wie kannst du es wagen, meine Befehle zu missachten! Mehr als einmal habe ich dir gesagt, dass du zu tun hast, was ich dir sage!« Seine Stimme gewann an Lautstärke und Ophéa zuckte zusammen. Der Schmerz um ihr Handgelenk wuchs.

»Marius!« Der Mann drehte den Kopf nach rechts. Er sah die Frau, die ihn angesprochen hatte, missgelaunt an.

»Was willst du, Weib?«

Ophéa blickte zwischen den beiden hin und her.

Die Frau hatte ihr langsam ergrauendes blondes Haar zu einem Zopf geflochten. Ihre Gesichtszüge wirkten hart und waren von Falten durchzogen. Sie trug ein kostbar aussehendes Kleid aus grüner Seide. Ihr Hals war über und über mit blitzenden Ketten behängt. Es war Odette, seine Frau.

Die beiden brachten sich seit Jahren schon keine Liebe mehr entgegen. Das Einzige, was sie noch verband, waren die Söhne, und das Geld, das der Gutsherr verdiente. Die Herrin wusste, würde sie sich von ihm trennen, wäre die Gosse ihre neue Heimat.

»Lass sie los. Du tust ihr weh! Du willst doch keine Arztkosten für das wertlose Ding bezahlen müssen!«

Marius schaute auf Ophéa hinab, bevor er sie losließ. Angewidert wischte er die Hand an seiner Hose ab.

»Du hast Recht. Daran habe ich nicht gedacht. Möchte mir ja nichts einfangen, so dreckig wie sie ist, könnte sie alle möglichen Krankheiten haben.«

Der Herr wandte der Zehnjährigen den Rücken zu und schritt gemächlich zum Bürgermeister, der ihn zu sich heranwinkte. Odette trat währenddessen auf Ophéa zu, die sofort den Blick senkte.

Man hatte ihr beigebracht, der Herrin niemals in die Augen zu sehen, wenn sie dies nicht forderte.

»Habt Dank«, stotterte sie und begann ihre Hände zu kneten.

»Du solltest langsam Gehorsam lernen. Seit bald zwei Jahren bist du bei uns. Allmählich wird es Zeit, dass unsere Erziehung Früchte trägt«, erwiderte Odette und ihre Stimme klang hart.

Dann legte sie ihr sanft die rechte Hand auf den Kopf.

»Ich mag dich, Ophéa. Doch ich kann nicht immer auf dich aufpassen. Ich bin nicht mehr die Jüngste und du weißt, was das bedeutet.«

Das Mädchen lächelte dankbar. Sie mochte Odette, auch wenn sie manchmal so launisch sein konnte wie der April. »Danke, Herrin.«

»Odette! Bring das Balg her!«, rief Marius über den Platz zu ihr hinüber.

Diese sah ihn mit starrer Miene an.

»Sie hat einen Namen!«

Er winkte ab. »Jetzt kommt schon her.«

Die Frau nahm das Mädchen an der Hand und folgte der Anweisung ihres Mannes. Ophéa bemerkte genau, dass Odette sich dabei unwohl fühlte, denn ihre Finger zitterten und ihre Unterlippe bebte leicht.

»Heinrich und ich haben uns gerade etwas Tolles ausgedacht! Seit eine seiner Mägde abgehauen ist, fehlt ihm jemand im Haushalt. Was hältst du davon, wenn wir ihm das Mädchen für eine Weile ausleihen?«

Odette runzelte die Stirn und blickte auf die kleine Elbin hinab, die sie immer noch an der Hand hielt. Ophéa sah ihre Herrin mit einem mulmigen Ausdruck in den Augen an.

»Ich weiß nicht recht, Marius. Sie war nie in einem Haus wie dem des Bürgermeisters. Sie wird viele Abläufe nicht kennen und außerdem brauche ich sie selbst.«

»Es wäre nur für zwei Tage. Solange können wir sie entbehren, Liebes«, redete er weiter auf sie ein. Die Gutsherrin seufzte geschlagen und gab nach.

»Gut, in Ordnung. Ophéa, du gehst mit dem Bürgermeister mit, ja?«

Zögerlich ließ das Mädchen Odettes Hand los und ging auf den beleibten Mann zu, der sie aus Schweinsäuglein musterte. Er war genauso gut gebaut wie Marius und Ophéa fragte sich ernsthaft, wie viele Meter Stoff ein Schneider brauchte, um einen Ortsvorsteher einzukleiden.

Sie machte eine leichte Verbeugung und murmelte eine Begrüßung. Der Bürgermeister grunzte abfällig.

»Komm mit mir, kleine Elbin. Ich hoffe, du kannst hart arbeiten.«

Heinrich verabschiedete sich von den Gutsbesitzern und die Sklavin folgte ihm. Dabei kamen die beiden an dem Drachen vorbei, den Ophéa aus großen Augen musterte. Das magische Wesen zerrte wie wild an den Ketten, die es in dem viel zu schmalen Käfig gefangen hielten. Es kämpfte mit seiner ganzen Kraft dagegen an, aber das Eisen gab nicht nach.

In den nachtschwarzen Augen las sie schiere Verzweiflung die der Drache, als er sein Maul öffnete, hinaus brüllte.

Viele der Schaulustigen hielten sich die Ohren zu und der Bürgermeister fluchte.

»Na klasse. Jetzt kann ich mir die ganze Nacht dieses Geschrei anhören.«

Ophéa sah ihn fragend an. »Wie meint Ihr das, Herr?« Heinrich seufzte.

»Sie werden das Vieh erst morgen hinrichten, da der Henker verhindert ist. Deswegen lassen wir ihn heute Nacht auf dem Marktplatz, weil wir ihn nirgendwo anders unterbringen können.«

»Warum wird er getötet?«, hakte die Zehnjährige nach, während sie weitergingen.

»Der Drache stellt eine Gefahr für die Stadt dar. Er könnte sie verwüsten, ausrauben und uns alle töten. Wenn wir ihn nicht vorher umbringen, kann es sein, dass er mit anderen seiner Art zurückkommt und sich an uns rächt«, erklärte er ihr. Das Mädchen wollte erneut nachfragen, aber sie kam nicht dazu.

Heinrich bog in eine Gasse ein und blieb gleich vor dem ersten Gebäude stehen.

»Da sind wir. Melde dich unten in der Küche bei Bea, sie wird dich einweisen.«

Ohne ein weiteres Wort verschwand der Bürgermeister im Inneren des Hauses.

Ophéa aber sah noch einmal zu dem Drachen. Erneut schrie er seine Verzweiflung hinaus und senkte danach den Kopf.

Die schwarzen Augen fixierten sie und eine tiefe, unbekannte Stimme ertönte in ihren Gedanken:

Hilf mir, Kind der Elben.

Ihr Atem stockte, ihr Herz raste wie nach einem langen Lauf und sie konnte nichts anderes tun, als das Geschöpf anzustarren.

»Ophéa!«, hörte sie einen lauten Schrei und wandte ruckartig ihren Kopf von dem Drachen ab. Sie atmete zweimal tief durch, dann betrat sie das Gebäude.

~ ~ ~ 

Am Abend ließ sich Ophéa müde in ihr Bett fallen. Sie streckte ihre Glieder aus und gähnte, drehte den Kopf nach rechts und sah ihre Zimmergenossin an, deren Namen sie nicht kannte.

Bea hatte ihr grob erklärt, was am darauffolgenden Tag zu tun war und die junge Elbin nahm sich vor, abzuwarten bis ihre Mitbewohnerin erwachte, um ihr zu folgen.

Sie gähnte erneut und wusch ihre nackten Füße mit einem Schwamm ab, der auf einem Regal über ihrem Bett lag. Sie tauchte ihn in einen Eimer voll Wasser, der unterhalb des Waschtisches stand, und schrubbte sich den Straßendreck von den Fußsohlen.

Sie war froh, dass sie von Bea Schuhe für die Arbeiten im Haus erhalten hatte, denn sie wollte nichts in diesem noblen Anwesen verschmutzen. Nach dem Waschen kroch sie unter die Decke und kuschelte sich hinein. Sie schloss die Augen und nahm sich vor, sofort einzuschlafen. Aber sie konnte nicht.

Draußen hörte sie die Schreie des Drachen, der immer noch an seinen Ketten zerrte. Selbst die Hände auf die Ohren zu legen, half nichts.

Je länger sie dem Wesen zuhörte, desto mehr schmerzte ihr Herz. Es war fast so, als würde sie am eigenen Leib seine Schmerzen erfahren.

Hilf mir, Kind der Elben.

Die Worte hallten immer wieder durch ihren Kopf. Doch woher waren sie gekommen? Etwa von dem Drachen? Sie lachte kurz auf.

»Klar, er redet mit mir«, sprach sie zu sich und unterdrückte ein Kichern. Sie seufzte und schloss erneut die Augen.

Hilf mir endlich!

Der grollende Ausruf ließ sie wortwörtlich aus dem Bett fallen. Mit einem dumpfen Aufprall landete sie auf dem harten Boden. Ein Schmerzensschrei entfuhr ihrer Kehle und sie rollte sich zusammen.

Ihre Mitbewohnerin grummelte kurz und drehte sich auf die andere Seite. Sie ließ sich in ihrem Schlaf nicht stören.

Was war das?, langsam stand sie auf. Ihr rechter Arm schmerzte, denn sie war unglücklich aufgeprallt. Sie fasste sich am Nacken und trat zum Kammerfenster, um zum Drachen hinauszusehen. Der lag am Boden des Käfigs, den Kopf zwischen die Vorderpranken geschmiegt und schien zu schlafen.

»Ich bin verrückt«, sprach sie mit sich selbst und schüttelte ihr Haupt.

Sie schlüpfte in ihre Schuhe und verließ das Zimmer. Leise schlich sie die Treppe hinunter, darauf bedacht auf keine knarrende Stufe zu treten. Unten angelangt öffnete sie vorsichtig die Haustür und während sie sich noch wunderte, dass die nicht verschlossen war, huschte sie hinaus.

Kälte empfing sie und nach wenigen Sekunden begann sie zu zittern. Behutsam ging das Mädchen auf den Drachen zu und blieb einige Meter vor dem Käfig stehen.

Plötzlich öffnete das Wesen seine obsidianschwarzen Augen und sah sie an.

Da bist du ja, Elbenmädchen. Ich habe auf dich gewartet, sagte er zu ihr und Ophéa bildete sich ein, ein Lächeln zu sehen.

Wie erstarrt blickte sie ihn an. Der Drache bemerkte es und sprach weiter:

Mein Name ist Trésko, Elbenkind. Diese Menschen haben mich gefangen genommen, als ich ihrer Stadt zu nahekam. Sie beschimpften mich als Monster und Bestie. Doch das bin ich nicht, das musst du mir glauben. Schon seit Langem verbindet die Drachen und die Elben ein unsichtbares Band, durch das wir miteinander kommunizieren können. Ich habe sofort gespürt, dass du kein Menschenkind bist, sondern ein unsterbliches Wesen wie ich. Du bist eine Sklavin, richtig? Stammst du aus diesem Haus?, fragte er sie und seine Augen blitzten dabei neugierig.

»N … Nein. Ich komme von einem Hof, der einige Wegstunden von hier entfernt liegt. Mein Herr verlieh mich für ein paar Tage an den Hausherrn, weil dieser zu wenig Diener hat«, erklärte sie stotternd und wagte es nicht, näher an ihn heranzutreten.

Man behandelt dich wie ein Ding, so hört es sich an! Seit dem Krieg ist nichts mehr wie früher, Elbenkind. Damals hätte sich niemals jemand erlaubt so mit einer Elbin umzugehen, entgegnete Trésko und sie spürte den Zorn in seiner Stimme.

Wie wäre es mit einer Abmachung? Du hilfst mir und ich helfe dir. Wenn du mich freilässt, werde ich dich holen, sobald du dein achtzehntes Lebensjahr erreicht hast und somit volljährig bist. Du bist eine Elbin, du gehörst hier nicht her. Dein Schicksal ist ein anderes.

Ophéa blinzelte. Was hatte er gerade gesagt? Er würde ihr die Freiheit schenken?

»Lügt Ihr mich an?«, fragte sie ihn trotzig.

Nein, ich bin ein Drache und wir lügen nicht! Ich verspreche dir, bei meinem Feuer, dass ich dich befreien werde und du einen Platz an meiner Seite bekommen wirst.

Sie runzelte die Stirn und sah ihn lange nachdenklich an. Ophéa spürte, dass er sie nicht anlog, er sprach die Wahrheit und sie fühlte das Band, von dem Trésko gesprochen hatte. Zwischen ihren Schläfen pulsierte es und ihr Herz erwärmte sich bei seinem Anblick wie lange nicht mehr.

Ophéa ging auf das Podest und den Käfig zu.

»Aber wie kann ich Euch helfen? Ich habe keinen Schlüssel.« Trésko grinste.

Sieh beim Schafott nach. Dort müsste einer sein. Einer der Städter hat ihn versteckt, weil er Angst hatte, ihn im Suff verlieren. Die Menschen waren schon immer dumm und einfältig, erklärt er ihr abfällig lachend.

Ophéa tat wie geheißen und fand den Schlüssel schnell in einer staubigen, kleinen Holzkiste. Sie ging damit zu dem Käfig und sperrte ihn auf. Anschließend wartete sie einen Moment, bevor sie die Eisenketten aufschloss und der Drache endgültig frei war.

Kaum fiel die letzte Kette von seinen Klauen, schrie Trésko laut auf vor Freude. Die Elbin stolperte und landete auf den Hosenboden, während er aus dem Käfig stieg und die majestätischen Schwingen ausbreitete.

Erneut gab er einen Freudenschrei von sich und schickte Feuer aus seinem Rachen zum Himmel empor. Fasziniert betrachtete Ophéa ihn.

Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass hinter den ersten Fenstern Kerzenlicht aufflackerte.

Ich danke dir, Elbenmädchen. Ich stehe auf ewig in deiner Schuld. Sobald du alt genug bist, werde ich dich holen.

Trésko drückte sich vom Boden ab und kreiste ein paar Mal über den Platz.

»Wartet! Ihr kennt doch gar nicht meinen Namen!«, schrie sie ihm nach, als er sich endgültig abwenden wollte. Er schaute fragend zu ihr hinab.

»Ich heiße Ophéa.«

Der Drache nickte ihr dankbar zu, wandte sich gen Osten und schon bald wurde er von den Schatten der Nacht verschluckt.

Sie hätte ihm gerne noch länger nachgesehen, doch nun spürte sie die Kälte wieder und musste sich sputen, um still und heimlich zurück ins Haus zu gelangen.

Die ersten Menschen steckten die Köpfe aus ihren Fenstern und sahen sich wütend um, woher die nächtliche Störung gekommen war. Schnell, bevor jemand sie bemerkte, drehte Ophéa sich um und verschwand im Anwesen des Bürgermeisters.

Als sie die Treppe hinaufsteigen wollte, erstarrte sie. Ein Lichtschein flackerte vergnügt wenige Stufen über ihr. Sie hob den Kopf und blickte Heinrich und dessen Frau, die oben am Treppenabsatz standen, direkt in die Augen. Das Gesicht des Mannes war rot wie eine Tomate.

»Ophéa!«, brüllte er voller Wut und die Gattin holte einen langen Holzstock hinter ihrem Rücken hervor.

Die Elbin schluckte und senkte demütig den Kopf. Sie wusste, was ihr blühte, biss die Zähne zusammen und dachte an den Zeitpunkt, an dem der Drache sie holen würde.

1. Kapitel 

Acht Jahre später 

»Ophéa!«

Sie wandte den Kopf nach rechts und lächelte, als sie den Mann sah, der auf sie zutrabte.

»Ophéa!«, rief dieser erneut und mit einem Ruck hielt er sein Pferd neben ihr an. Der braune Hengst schnaubte. Er war froh darüber, dass der kräftezehrende Ritt zu Ende war.

»Guten Tag, Armin. Was machst du hier? Ist heute keine Parade?«, fragte sie ihn und lächelte weiterhin.

Er grinste. Der junge Mann hatte kurze, braune Haare und grüne Augen, die schelmisch aufblitzten. Seine blaue Soldatenkleidung war verdreckt vom Straßenstaub, den er während des Ritts aufgewirbelt hatte.

»Die Parade ist heute ausgefallen, weswegen die Neulinge früher nach Hause durften. Das heißt, ich habe zwei zusätzliche Tage frei«, erwiderte er ihr augenzwinkernd.

Sie kicherte. »Was für ein Zufall.«

»Kommst du vom Markt?«, fragte er sie und deutete auf den vollen Weidenkorb, den sie mit beiden Händen festhielt.

Sie nickte. »Ja. Dein Vater erwartet heute wieder ein köstliches Mahl«, erklärte sie ihm und verdrehte die Augen.

Der Soldat schüttelte den Kopf. »Er wird sich nie ändern.« Die beiden schwiegen eine ganze Weile.

»Soll ich dich mitnehmen?«, fragte Armin sie.

»Wenn es dir nichts ausmacht, dass die anderen wieder tuscheln.«

Er half Ophéa vor ihm im Sattel Platz zu nehmen. Mit der rechten Hand umklammerte sie den Korb, während sie sich mit der anderen an der Mähne des Reittieres festhielt.

Armin legte seinen linken Arm um ihre Hüfte, damit sie nicht vom Pferd fiel. Der Hengst setzte sich in Bewegung.

»Mir doch egal, was sie über mich reden«, sagte er gleichgültig und sah sich kurz rechter Hand um.

Dort war ein Getreidefeld, auf dem mehrere Menschen arbeiteten. Sie schauten zu Armin und Ophéa. Ein paar grüßten die beiden, während der andere Teil sie misstrauisch anstarrte.

»Ist es dir auch egal, was Iris über dich sagt?«, fragte sie wie beiläufig und grinste, als sie bemerkte, dass sie den wunden Punkt des Zwanzigjährigen getroffen hatte.

»Nun ja, bei ihr ist das etwas anderes. Aber ich werde sie nie bekommen«, erwiderte er und seufzte niedergeschlagen.

»Warum denkst du das? Sag es ihr endlich, Armin. Seit vier Jahren drückst du dich davor.«

»Das ist gar nicht so einfach, Ophéa. Ich meine, es ist Iris! Sie ist eine Großcousine des Königssohns! Du glaubst doch kaum, dass sie jemanden wie mich nimmt!«

Sie rollte mit den Augen. Es war immer das Gleiche mit ihm.

»Armin, dein Vater ist einer der reichsten Männer der Umgebung. Sie wird dir keinen Korb geben! Du bist klug, gutaussehend, witzig und charmant. Sie wäre dumm, wenn sie dich ablehnt.«

»Ach? Du findest mich gutaussehend?«, fragte er grinsend und strich sich durchs Haar.

»Du bist ein arroganter Schnösel!«, gab Ophéa zurück und boxte ihm mit dem Ellenbogen spielerisch in den Magen.

»Ich werde auf deinen Rat hören und Iris beim Weinfest meine Liebe gestehen«, gelobte Armin feierlich.

»Aber nüchtern«, beharrte sie und zog eine Schnute, als sie an das Fest dachte, als er besoffen in den Teich des Müllers gefallen war.

»Ja. Ich werde es ernsthaft über die Bühne bringen.«

Ophéa drehte sich leicht zu Armin um und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die rechte Wange.

»Und wenn du es nicht tust, dann sag ich es ihr.«

»Oh nein! Das wirst du lassen«, wehrte er schallend lachend ab.

~ ~ ~ 

Marius‘ Gut lag in einer grasgrünen Talsenke. Es wirkte so, als hätte ein Maler diese Idylle für immer auf Leinwand gebannt.

Der Hof war riesig: Ein großes Wohnhaus stand in der Mitte, daneben zwei hölzerne Scheunen und ein kleines Steinhaus, in dem gerade gebacken wurde.

Auf dem gepflasterten Hof waren Futterund Wassertröge für die Tiere aufgestellt. In der Ferne, auf einer Wiese, konnte man eine Herde Kühe sehen, die in einem eingezäunten Gebiet grasten. Als Armin und Ophéa ankamen, stiegen sie vom Pferd. Sofort kam ein Stallbursche herbeigelaufen und brachte den Hengst in seine Box.

»Danke fürs Mitnehmen«, sagte sie zu dem Soldaten und strich sich einige Strähnen ihres braungoldenen, kinnlangen Haares aus dem Gesicht.

Armin winkte ab. »Kein Problem. Hätte ich dich heimgehen lassen sollen?«

Ophéa streckte ihm die Zunge raus und blieb ihm die Antwort schuldig. Sie betrat das Steinhaus, wo schon eine beleibte Köchin auf sie wartete. Der Duft von frischem Brot schwebte im ganzen Raum und der jungen Frau lief das Wasser im Mund zusammen.

»Ophéa! Du bist aber früh zurück. Ich hätte so schnell nicht mit dir gerechnet«, begrüßte die Menschenfrau sie herzlich.

Die Elbin stellte den Korb auf dem großen Holztisch ab.

»Armin hat mich mitgenommen, Gertrude. Ich habe alles besorgt, was du brauchst«, erklärte sie der Köchin.

»Ah! Du hast sogar die Datteln bekommen! Sehr gut!«, erwiderte die Ältere voller Freude und die Falten in ihrem Gesicht tanzten. Ophéa legte das Wechselgeld vom Markt neben die mitgebrachten Sachen auf den Tisch.

Gertrude winkte ab. »Behalte es ruhig. Du brauchst es dringender und die zwei Goldmünzen weniger werden Marius kaum auffallen«, sprach sie augenzwinkernd und schob das Geld wieder zu Ophéa.

Diese lächelte glücklich. »Danke. Ich werde es gut verwahren. Vielleicht finde ich damit ein Kleid für das Weinfest.«

Die Köchin zwinkerte ihr zu. Die Elbin mochte die Ältere. Sie hatte sie unter ihre Fittiche genommen und ihr alles am Hof beigebracht. Doch die schwerfälligeren Arbeiten gingen ihr nicht leicht von der Hand, so dass sie sich beim Holzhacken schon einmal beinahe einen Zeh abgeschlagen hätte. Seit diesem Vorfall, bei dem Marius fuchsteufelswild geworden war, bestanden ihre Aufgaben darin, das Haus sauber zu halten, einzukaufen und wenn Not am Mann war, in der Küche auszuhelfen. Dort konnte sie sich wenigstens nicht schwer verletzen, - laut seiner Aussage.

Die Köchin wusste, dass sie als Sklavin keinen Lohn erhielt und sich daher nichts kaufen konnte. Deswegen steckte sie ihr ab und an etwas zu, damit sie bei ihren Botengängen in der Stadt die ein oder andere kleine Habseligkeit zu erwerben vermochte.

»Ja. Das kannst du machen«, erwiderte Gertrude schließlich.

Die beiden wechselten noch ein paar Worte, bis Ophéa das Backhaus verließ und zum Wohnhaus lief. Sie wollte hineingehen, aber die Tür wurde aufgerissen und ein, wie so oft, wütender Marius stürmte aus dem Haus. Grob stieß er sie zur Seite, so dass sie auf dem Boden landete und strafte sie mit einem kalten Blick.

»Pass doch auf, Elbenbalg!«, zischte er, wandte sich ab und stiefelte in Richtung Stall. Ophéa murmelte ein Schimpfwort, erhob sich und betrat dann das Wohnhaus.

Als sie im Flur stand, sog sie den frischen Duft von Schnittblumen ein, die in weißen Vasen auf kleinen Beistelltischen entlang des Ganges aufgestellt waren. Am Ende des Korridors befand sich eine hölzerne Treppe, die in das obere Stockwerk führte. Links und rechts gingen Türen ab und einige Bilder hingen an der blütenweißen Wand. Ophéa klopfte zaghaft an die rechte Tür. Nach einem dumpfen »Herein« betrat sie den Raum, bei dem es sich um ein Esszimmer handelte.

Der Tisch aus dunklem Eichenholz bot Platz für mehr als zwölf Personen. Ein Kamin befand sich auf der linken Seite, war jedoch leer und kalt. Bis auf ein paar Pflanzen und ein trostloses Regal war der Raum ohne Inhalt. An der Tafel saßen Odette und Armin. Ophéa verneigte sich leicht vor der Hausherrin. Diese strickte gerade einen Schal und beachtete die Sklavin kaum. Die Elbin begann damit, das Kaffeegeschirr wegzuräumen. Sie warf der Frau einen schiefen Blick zu.

Die Gutsherrin hatte in den letzten Jahren mehr Falten bekommen und auch ihr Haar war völlig ergraut. An ihren runzeligen Händen erkannte sie Altersflecken. Armin räusperte sich, als er bemerkte, dass Ophéa sie zu lange ansah.

Der junge Soldat wusste zwar, dass seine Mutter sie mochte, doch das gab ihr bei weitem nicht das Recht, sie anzustarren und dadurch Befehle zu missachten.

Beschämt ging Ophéa wieder ihrer Arbeit nach. Sie nahm das Geschirr und trat durch eine Tür in einen Nebenraum, der zur Spülküche führte.

Draußen holte sie aus dem Brunnen einen Eimer Wasser und weichte das Geschirr ein, währenddessen begann sie mit einem nassen Lappen den Tisch abzuwischen.

Odette räusperte sich plötzlich.

»Armin? Möchtest du es Ophéa nicht sagen?« Die Elbin horchte auf und schaute die Herrin aus blaugrünen Augen verwundert an. Der junge Mann sah von seiner Zeitung auf.

»Ich weiß nicht.« Er warf der Sklavin einen flüchtigen Blick zu.

»Soll ich es ihr wirklich sagen?«

Ophéa hatte kein Problem damit, dass man über sie sprach, als wäre sie nicht anwesend. Sie war das gewohnt, seit sie hier arbeitete. Zwar verstand sie sich mit Armin gut, aber tief in seinem Inneren war er wie alle anderen Menschen, die die Elben ausbeuteten. Die ältere Frau legte das Strickzeug auf den Tisch und stand auf.

Ihr gelbweißes Kleid raschelte dabei. Sie sah Ophéa an, die immer noch den Lappen in der Hand hielt.

»Sag es ihr, Sohn.«

Ohne ein weiteres Wort verließ sie den Raum und schloss die Tür. Die Elbin sah ihn an. Ihr Blick wurde kritisch.

»Was sollst du mir sagen, Armin?«

Er faltete die Zeitung zusammen und legte sie zur Seite. Er sah nervös auf seine Hände hinab.

»Gestern Abend, nach meiner Schicht, war ich ein wenig in der Stadt unterwegs. Als ich zurück zur Kaserne ging, wartete dort ein Elb in der Meldestube. Zuerst dachte ich, er sei ein neuer Diener, der für den Hauptmann arbeitet. Doch als ich sah, dass er Schwert und kostbare Kleidung trug, begriff ich, dass er ein freier Elb war. Er hat nach dir gefragt.«

Er sah sie an und sie verstand, was er damit meinte.

Es gab nur eine Handvoll Elben, die der Sklaverei entkommen waren. Sie lebten meist zurückgezogen und wagten sich selten unter Menschen. Doch viel verblüffender war, dass der Elb wusste, dass sie existierte!

»Er wollte wissen, wie alt du bist und ob du immer noch bei meiner Familie lebst. Ich habe ihm geantwortet und als ich ihn fragte, warum er sich für dich interessierte, erwiderte er nur, wie viel es kosten würde, dich freizukaufen.«

Jetzt fiel es der Elbin wie Schuppen von den Augen.

»Deswegen war dein Vater so wütend«, flüsterte sie. Sie setzte sich auf einen Stuhl.

Armin nickte. »Ja. Er ist auf dem Weg in die Stadt. Er wird ihn finden und hierher bringen. Er möchte wissen, warum er all diese Fragen gestellt hat.«

Sie schluckte. »Glaubst du, dein Vater wird mich ihm geben, sollte der Elb die richtige Summe bezahlt?«

Armin runzelte die Stirn. »Würdest du mit ihm gehen?« Ophéa zuckte mit den Schultern. »Gut möglich.«

Der junge Soldat lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.

»Mhm. Es kommt ganz darauf an, wie der Gemütszustand des Alten ist. Vielleicht lässt er sich erweichen, wenn der Elb genügend bezahlt.« Er seufzte. »Aber anderseits … hätte ich etwas dagegen.«

Sie blinzelte leicht.

»Ich mag dich, Ophéa. Ich mag dich wie eine Schwester. Es klingt dumm, aber ich sehe in dir mehr ein Familienmitglied als eine Dienerin.« Er lachte kurz auf. »Oh Gott! Ich bin froh, dass mich niemand hört, außer dir.«

Die Elbin fühlte sich leicht beleidigt. »Danke für deine schönen Worte«, antwortete sie sarkastisch.

»Du weißt doch, wie ich das meine.« Er nahm ihre rechte Hand in seine. Sie lächelte. »Ja.«

Plötzlich erklangen laute Schreie vom Hof her. Sie sahen sich kurz an, dann eilten sie nach draußen.

»Was fällt Euch ein, so anmaßend zu werden?!« Marius stand breitbeinig da und sein Gesicht war wie so oft feuerrot.

Vor ihm stand ein Elb mit einem anmutigen Rappen. Der Fremde war hochgewachsen und überragte den Gutsherrn um mehr als zwei Köpfe. Er war schlank und feingliedrig. Seine goldblonden Haare reichten ihm bis zu den Ohren. Die braunen Augen betrachteten Marius gelangweilt. Er trug prächtige Kleidung aus feinem Stoff und ein silbernes Schwert baumelte an seiner linken Seite.

»Ich bin nicht anmaßend, Herr. Ich habe Euch eine einfache Frage gestellt«, berichtigte er und legte den Kopf leicht schief.

Marius schäumte vor Wut.

»Ihr besitzt die Frechheit anzufragen, ob Ihr meine Sklavin freikaufen könnt, die mir schon mehr als zehn Jahre dient?«, fragte der reiche Mann lauter als eigentlich beabsichtigt. Hinter ihm stand Odette. Sie mischte sich jedoch nicht ein.

Als Armin und Ophéa das Wohnhaus verließen und auf den Hof traten, wandte der Elb ihr sofort den Kopf zu. Sie starrte ihn gebannt an.

Er war der erste männliche Part ihrer Art, den sie seit Langem zu Gesicht bekam. Ihr gefiel der Unbekannte auf Anhieb. Auch er musterte sie eindringlich.

Er ging auf sie zu. Marius schimpfte derweil laut und stampfte mit seinen Füßen wütend auf den Boden. Seine Frau machte keine Anstalten, ihn zu beruhigen. Der Elb verneigte sich vor der Elbin.

Ophéa lief leicht rot an.

»Mein Name ist Arion Drake, Ophéa. Mein Meister hat mich zu Euch geschickt, um sein Versprechen wahr zu machen.«

Er sah auf. Seine braunen Augen wirkten kalt und passten nicht zu seinem Lächeln.

»Er möchte, dass ich Euch mit zu ihm nehme. Er verspricht Euch einen Platz an seiner Seite.«

Ophéa räusperte sich. Ihr war die ganze Situation peinlich.

»E … Euer Herr?«

»Der Drache Trésko ist mein Meister. Ihr habt ihn vor acht Jahren befreit, richtig?«

Sie nickte zaghaft. Ja. Sie erinnerte sich. »Ich hätte nie gedacht, dass er sein Wort hält.«

Arion richtete sich auf.

»Ein Drache hält immer sein Wort. Er möchte Euch sehen, sofort.«

Marius ging dazwischen. Er brodelte vor Zorn.

»Heda! Seht mich an, Elb!«

Arion wandte sich von Ophéa ab und schaute den Menschenmann arrogant an. »Ja, Herr?«

»Ihr werdet meine Sklavin nicht mitnehmen! Sie ist sehr wertvoll. Ihr werden ihren Preis niemals bezahlen können.«

Marius grinste überheblich und verschränkte die Arme vor der Brust. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er nicht glaubte, so viel Geld bekommen zu können. Doch der Plan ging nicht auf.

Arion zog wortlos einen Beutel voll Gold hervor und warf ihn Marius vor die Füße.

»Hier. Das müsste reichen. Ich habe mich über die Preise informiert. Mein Herr ließ ein paar extra Stücke dazulegen, damit es für ein Pferd genügt.«

Marius, Odette und Armin starrten den Elben an. Ophéa war ebenfalls wie versteinert. Der dicke Mann hob den Beutel auf und öffnete ihn. Seine Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen und sein Kiefer begann unaufhörlich zu zittern.

»Odette! Bring Stella her.«

Die ältere Frau sah ihn entsetzt an. Doch sie widersprach nicht und lief Richtung Stall. Nach wenigen Minuten kam sie zurück, mit einem fertig gesattelten Pferd.

Sie stellte die Stute neben Marius ab. Diese schnaubte und scharrte mit den Hufen. Ophéa kannte Stella. Es war das teuerste Ross auf dem Hof. Soweit sie wusste, war sie mehr als hundert Goldstücke wert. Das Fell des Schimmels glänzte im Sonnenlicht, als wäre es aus Silber.

»Gib sie dem Elben«, forderte Marius. Zögerlich kam Odette der Aufforderung nach. Arion nickte dankend und reichte die Zügel des Pferdes an Ophéa weiter.

Die verstand die Welt nicht mehr. Der Gutsherr ging auf sie zu.

»Ich lasse dich frei, auch wenn es mir nicht passt. Das Geld des Herrn ist genug Entschädigung für all die Jahre, die du mich gekostet hast.«

Er spuckte Ophéa vor die Füße.

»Und jetzt geht. Alle beide!«

Das ließ sich Arion nicht zweimal sagen. Der Elb stieg in den Sattel seines Rappen. Er warf der Elbin einen ungeduldigen Blick zu.

»Aber ich habe doch gar nichts dabei! Weder Kleidung noch Verpflegung!«, protestierte Ophéa stur und Armin stellte sich neben sie. Der junge Soldat sah den fremden Elb herausfordernd an.

»Dafür habe ich schon gesorgt.« Arion zeigte auf Stella. »Und jetzt steigt bitte auf, Ophéa.«

Die Elbin sah den Soldaten flehend an. Doch der schüttelte den Kopf.

»Ich kann leider nichts tun«, flüsterte Armin ihr zu und sie sah ihm an, wie nahe die plötzliche Trennung ihm ging.

Ophéa traten Tränen in die Augen. Sie umarmte Armin und drückte sich an ihn. Marius sog scharf die Luft ein. Doch bevor er sich erneut aufregen konnte, blickte seine Frau ihn böse an.

»Ich werde dich nie vergessen, Ophéa. Du wirst immer wie eine kleine Schwester für mich sein. Das kannst du mir glauben.«

»Sag deinem Bruder einen schönen Gruß von mir, wenn er zu Besuch kommt, ja? Und, dass ich ihn genau so lieb habe wie dich. Versprichst du mir das?«, flüsterte sie an seiner Brust. Ihre Stimme versagte immer mehr und mehr. Ihre Tränen sickerten in sein Wams.

»Ja. Ich werde es ihm ausrichten.«

Armin gab ihr einen kurzen Kuss auf die Stirn, bevor sie sich von ihm löste. Die junge Elbin ging auf Odette zu und umarmte diese.

»Danke für alles.«

Die Frau nickte gefasst. Ophéa wusste, dass die Trennung ihr genauso wehtat wie Armin, doch Odette verstand es gut, ihre Gefühle hinter einer Maske zu verbergen. Dann sah sie Marius an. Ihre Traurigkeit war mit einem Mal verflogen. In ihren Augen loderte tiefste Verachtung auf.

»Ihr seid ein böser, grausamer Mensch, der nur an sich denkt und der andere als unwürdig ansieht! Ihr seid ein erbärmlicher Mann, der sich hinter seinem Reichtum versteckt, anstatt sich Problemen zu stellen. Zehn Jahre lang war ich Euer Eigentum. Es tut gut, dies endlich tun zu können, ohne Schläge zu erwarten.«

Ophéa spuckte ihm vor die Füße.

»Ich habe Euch die ganze Zeit über gehasst und ich bin froh, nie wieder in Euer fettes Gesicht blicken zu müssen!«

Der Gutsherr sah sie fassungslos an, bevor sein Antlitz sich zu einer hasserfüllten Grimasse verzerrte und er auf Ophéa losging. Arion war sofort zur Stelle.

Der Elb hatte sich vor die Elbin gestellt und fing sich die Ohrfeige ein, die der ehemaligen Sklavin gegolten hatte.

Marius wirkte erschrocken und verwirrt darüber, als er sah, dass er stattdessen ihn geschlagen hatte.

»Ophéa ist frei. Ihr habt kein Recht mehr; wenn ihr die Hand gegen sie erhebt, dann tut Ihr das gegen mich und meinen Meister.«

Der Mensch wich sofort vor Arion zurück. Dieser sah ihn gleichgültig an, als er nach seinem Schwert griff.

»H … Herr Drake, das war keine Absicht. Ihr müsst wissen, dass mich diese Missge … äh, dieses wunderbare Geschöpf über viele Jahre hinweg in den Wahnsinn getrieben hat. Daher ist mein Geduldsfaden ein wenig zu kurz geraten«, versuchte sich Marius herauszureden, aber Arion ging weiter bedrohlich auf ihn zu.

»Armin, hilf mir!«, zischte der Mann seinem Sohn zu, doch der machte sich nicht die Mühe ihm zu helfen.

Er schüttelte den Kopf.

»Tut mir leid, Vater. Aber das hast du dir selbst eingebrockt.«

Der Mann wollte sich noch einmal an Arion wenden, um mit ihm zu reden, jedoch war seinem Gegenüber nicht danach. Der Elb schwang sein Schwert bedrohlich in Marius Richtung. Dieser duckte sich, obwohl es gar nicht nötig gewesen wäre; Arion hatte nicht vor, ihn zu verletzen.

Doch der vorgetäuschte Angriff zeigte Wirkung: Marius fiel auf den Hosenboden und blieb dort unbeholfen liegen. Schweiß stand ihm auf der Stirn und er atmete schwer.

Armin verkniff sich ein Grinsen, als er seinen Vater so sah.

»Steig auf das Pferd, Ophéa.« Der Elb sagte es in einem ruhigen Tonfall. Sie folgte seinen Worten und kletterte in Stellas Sattel. Arion steckte sein Schwert beiseite und tat es ihr gleich.

»Ich hoffe, dies war Euch eine Lehre, Herr Marius.«

Dann wandte er sein Pferd und ritt davon. Ophéa winkte Armin und Odette schwach zu, während der Gutsherr weiterhin auf dem Boden saß. Sein Blick war fest auf seine Schuhe gerichtet.

»Macht‘s gut. Ich wünsche euch beiden ein schönes Leben.«

Ein letztes Mal lächelte Ophéa Armin an, dann folgte sie Arion in eine ungewisse, neue Zukunft, die gen Süden führte.

2. Kapitel 

Das Feuer knisterte vergnüglich, während es lange Schatten auf den sandigen Boden warf. Ophéa lehnte mit dem Rücken an einem großen Felsen. Arion saß auf einem Baumstumpf. Zwischen den beiden herrschte Stille.

Die junge Frau nahm von Zeit zu Zeit den Ruf einer Eule oder eines Wolfes wahr, die durch die Nacht schlichen. Obwohl sie nahe am Feuer saß, fröstelte sie.

Immer wieder sah sie zu Arion, der mit einem kleinen Messer an einem Holzstück schnitzte.

Neben dem Lagerfeuer lagen die abgenagten Knochen des Hasen, den die beiden gefangen und gegessen hatten.

Ophéa räusperte sich.

»Wollt Ihr etwas sagen?«, fragte Arion sie, ohne den Blick zu heben.

»Wo lebt Euer Herr?«

»Im Drachenhort. Dieses Gebirge befindet sich in Doânu.«

»Wie ist er so? Gütig, launisch? Reich, arm? Ein Fürst oder gar ein König?«, fragte sie neugierig.

Arion schnaubte und sah sie aus braunen Augen skeptisch an.

»Es ist nicht klug, so viele Fragen auf einmal zu stellen, Ophéa. Sobald wir im Drachenhort sind, werdet Ihr sehen, wie mein Herr Trésko ist.«

Er widmete sich wieder seiner Schnitzarbeit. Sie seufzte tief und rollte mit den Augen. Dann hob sie das neben ihr liegende Bündel auf, öffnete es und spähte hinein.

Sie fand darin Kleidung, eine prallgefüllte Wasserflasche, eine Decke, einen leichten Mantel und Schuhe. Ophéa nahm das allererste Kleidungsstück heraus und besah es sich.

Es war ein langärmeliges Wams aus dunkelgrüner Seide und dazu passend fand sie eine bequeme weiße Hose. Die Schuhe holte sie ebenfalls hervor. Es waren kniehohe Stiefel aus Wildleder mit Schnüren. Sie blinzelte mehrmals. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie solch hochwertige Kleidung sah, die ihr allein gehörte!

Ohne lange nachzudenken, zog sie ihr schmuddeliges Kleid aus und warf es ins Feuer. Dort verschlangen es die Flammen gierig.

Als Arion das brennende Kleidungsstück entdeckte, blickte er auf und errötete leicht. Die Elbin trug zwar noch ihre Unterkleidung, dennoch sah er mehr, als ihm lieb war. Sie bemerkte es, schien sich aber nicht daran zu stören. Im Schein des Feuers erkannte er Narben, die sich über ihren Körper zogen und im spärlichen Licht weiß aufleuchteten. Nachdem sie die neuen Gewänder übergestreift hatte, breitete sie die Decke aus und setzte sich darauf.

Arion räusperte sich. »Sagt, woher stammen die Narben an Eurem Körper?«

»Bestrafungen. Ich war ziemlich ungezogen«, antwortete sie knapp und streckte leicht die Zunge heraus.

Arion runzelte die Stirn.

»Mich wundert es, dass Euer Herr Euch nicht totgeprügelt hat. Recht hitzköpfig ist er ja.«

Ophéa zuckte mit den Schultern und strich sich durch ihr braungoldenes Haar.

»Das hätte er sich niemals getraut. Odette, seine Frau, hätte ihn davongejagt.«

»Diese Menschenfrau und ihr Sohn schienen Euch sehr zu mögen«, sprach Arion das Thema an.

Ophéa verkrampfte sich.

»Für Armin und seinen Bruder Martin war ich wie eine Schwester und sie waren wie Brüder für mich. Obwohl ich eine Sklavin war, waren sie immer gut zu mir, vor allem Odette. Sie hat jederzeit dafür gesorgt, dass es mir gut ging und oft war sie für mich da, wenn es mir schlecht ging.«

Die Elbin lächelte Arion an.

»Sie waren meine Familie, all die Jahre. Und jetzt bin ich frei.«

»Nun ja. Genau genommen seid Ihr nicht frei.« Ophéa horchte auf.

»Ich habe Euch im Auftrag meines Herrn freigekauft. Ihr gehört offiziell ihm und ich habe die Aufgabe erhalten, mich um Euch zu kümmern. Wenn wir im Gebirge sind, wird Meister Trésko darüber entscheiden, wie er mit Euch verfahren wird.«

Ophéa runzelte die Stirn.

»Wie bitte? Soll das heißen, dass ich erneut als Sklavin dienen muss?!«

Arion zuckte mit den Schultern.

»Kann gut sein. Ich weiß, dass Ihr den Meister vor acht Jahren gerettet habt. Im Gegenzug hat er Euch versprochen, dass Ihr frei sein werdet. Das kann aber auch nur bedeuteten, dass Ihr den Menschen nicht mehr dienen müsst.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es ist gut möglich, dass Trésko Euch als Dienerin einstellt.«

Die junge Elbin sprang wutentbrannt auf.

»Bringt mich zurück!«, forderte sie ihn auf.

Er schaute sie blinzelnd an. »Zurückbringen?«

»Ja! Und zwar sofort! Lieber verbringe ich dort weiterhin mein Leben als Sklavin, als dass ich einem Drachen diene! Am Schluss will er mich aus lauter Dankbarkeit fressen!«, brüllte sie.

Der Elb wirkte belustigt.

»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass dich dein Herr wieder nimmt?« Die förmliche Anrede ihr gegenüber sparte er sich.

»Wie kommst du darauf?«

Sie stellte sich auf die gleiche Ebene wie er. Auf Höflichkeiten hatte sie noch nie viel Wert gelegt.

Arion erhob sich und umklammerte das Schnitzmesser fester. Herausfordernd ging er auf sie zu. Seine Augen taxierten Ophéa. Die Elbin schluckte schwer und versuchte dem Blick standzuhalten.

»Was hast du vor?«, fragte sie ihn und ihre Stimme zitterte leicht. Sie stolperte einen Schritt zurück, prallte mit dem Rücken gegen den großen Fels und starrte ihn weiterhin an. Er stand jetzt direkt vor ihr, streckte die Arme aus und schloss sie darin ein.

»Wenn ich das mit dir getan habe, wird dein Herr dich nicht mehr wollen.«

Der Kuss kam stürmisch und so überraschend, dass Ophéa im ersten Moment nicht reagieren konnte. Dann spürte sie die Spitze des Schnitzmessers an ihrem Hals.

»Wenn du dich nur einen Hauch bewegst, tötest du dich selbst«, drohte er ihr und das grausame Lächeln auf seinen Lippen schockierte sie.

Ihre Gedanken rasten. Nein! Sie wollte nicht, dass er sie anfasste. Seine Nähe machte ihr Angst und ihr Herz schlug wie wild in ihrer Brust.

»Nein!«

Sie schrie so laut, dass man es meilenweit durch den Wald hören konnte.

Plötzlich gefror Arions Gesicht. Er ließ das Messer fallen, fasste sich an den Hals und stolperte rückwärts, wobei er beinahe ins Feuer fiel. Mit einem Schlag war sie hellwach.

»Wage es ja nicht, mich noch einmal zu berühren!«, schrie sie ihn aufgebracht an und war selbst überrascht, weshalb er plötzlich von ihr abgelassen hatte. Hatte ihn ihr Nein wirklich daran gehindert, weiterzugehen?

Arion atmete tief ein und aus und wirkte verwirrt.

»Na? Hast du dich verschluckt?«, fragte sie gehässig.

»Was hast du gemacht?«, wollte der wissen und japste nach Luft. Er fasste sich an den Hals. Der fühlte sich dick und pelzig an.

Sie verstand nicht.

»Ich?! Du hast angefangen!«

Der Elb sank auf den Boden und begann wild zu husten. Ophéa eilte zu ihm und beugte sich hinab.

»Atme ganz ruhig«, sagte sie zu ihm und strich ihm über den Kopf. »Beruhige dich.«

Arion japste inzwischen wie ein Fisch und sie hatte Angst, dass er wirklich erstickte. Vorsichtig betastete sie seinen Hals und ließ ihr Finger sanft darüber gleiten. Ophéa massierte die geschwollene Stelle, so, wie sie es einmal bei Gertrude gesehen hatte, als Martin eine Biene am Hals gestochen hatte. Die Köchin hatte zusätzlich noch gefrorenes Eis auf die Wunde gelegt, aber das hatte sie hier in der Wildnis nicht zur Verfügung.

Sie wiederholte die Prozedur mehrmals, bis sie merkte, dass es Arion besser ging. Mit zitternden Gliedern stand er auf und setzte sich wieder auf den Baumstumpf.

Seine braunen Augen schauten die Elbin ängstlich an.

»Was war das?«, fragte er sie.

»Das könnte ich dich fragen«, erwiderte Ophéa. Er seufzte tief und schüttelte den Kopf.

»Vergessen wir das, ja?«

»Vergessen? Ich soll das einfach ignorieren?«, warf sie ihm aufgebracht vor.

»Ja! Ich werde das tun, genauso wie du! Und jetzt gute Nacht. Ich will endlich schlafen.«

Ohne ein weiteres Wort holte er seine Decke hervor, drehte ihr den Rücken zu und schlief. Ophéa schnaubte empört und tat es ihm nach.

3. Kapitel 

Sie ritten seit Tagen durch Rêgen und in ein paar Stunden würden sie die Grenze zu Doânu erreichen. Ophéa wurde langsam immer nervöser. Stets rief sie sich ins Gedächtnis, das sie bald dem Drachen gegenüberstand.

Obwohl ihre Begegnung acht Jahre her war, konnte sie sich noch genau an die schwarzen Augen und die eisblauen Schuppen erinnern.

Sie schielte zu Arion. Der Elb ritt vor ihr und würdigte sie seit dem Vorfall keines Blickes. Worte wurden zwischen ihnen kaum gewechselt. Ophéa war das recht, denn sie mochte ihn nicht. Die Sympathie für ihn war wie ein Blatt im Wind davon geflogen und sie hatte sich vorgenommen, sich in Zukunft von ihm fernzuhalten.

Die beiden ritten einen trostlosen Pfad an grünen Wiesen entlang. Weit und breit war nichts anderes zu sehen als tiefgrüne Weiden.

Die Elbin gähnte und streckte sich. Sie hätte nie geglaubt, dass reisen so langweilig sein würde. Ophéa blickte hinauf in den Himmel und bemerkte am Sonnenstand, dass der glühende Ball erst in der Mitte des Tages stand.

»Das kann ja heiter werden«, nuschelte sie leise. Plötzlich bremste Arion seinen Rappen.

Ophéa tat es ihm gleich und sah ihn an. »Was ist?«

Er hob die rechte Hand. Ein Zeichen, mit dem er sie zur Stille mahnte. Aufgeregt sah er sich um.

Sie runzelte die Stirn. Es war weit und breit nichts zu sehen oder zu hören, außer dem Wind. Wieso war Arion stehen geblieben? Nach einer Weile senkte er die Hand. Ophéa wartete ab.

»Wir müssen vorsichtig sein.«

»Warum? Hat dir die Brise etwas zugeflüstert?«, spottete sie.

Er drehte sich zu ihr um und sie erkannte an seinem Blick, dass er nicht zu Scherzen aufgelegt war.

»Wir werden bald auf eine Siedlung treffen. Ophéa, warst du schon oft außerhalb deiner Umgebung?«

»Nein. Ich war einmal in Wogenhorst, doch das ist acht Jahre her. Damals habe ich Trésko befreit. Danach ließ man mich nur noch in die nahegelegene, kleine Stadt zum Markt«, erklärte sie ihm und Traurigkeit schwang in ihrer Stimme mit.

»Die Menschen in diesem Dorf sind es nicht gewöhnt, freie Elben zu sehen. Daher müssen wir vorsichtig sein. Halte Abstand zu ihnen und blicke sie nicht an. Ich will Ärger vermeiden.«

»Werden wir dort übernachten?«, platzte es aus Ophéa heraus.

»Nein. Ich werde nur kurz unsere Vorräte aufstocken. Die Nacht verbringen wir wie üblich im Freien.«

»Schade.«

Er zog die Augenbrauen nach oben. »Seit wann so bequem? In der Sklaverei hattest du sicher auch nicht mehr als einen Strohsack zum Schlafen, oder?«

Der Ältere lachte. Ophéa schnaubte beleidigt. Arion gab dem Rappen einen sanften Tritt in die Flanken und der Hengst setzte seinen Weg fort. Sie folgte ihm.

Als die beiden dem Dorf näher kamen, verstand sie, was er gemeint hatte. Die Menschen, die sich auf den Feldern aufhielten, schauten die Elben aus großen Augen an. Manche zeigten mit dem Finger auf die beiden und begannen wild zu gestikulieren.

Sie schluckte und sah stur nach vorne. Sie ritten in die Ortschaft hinein und ihr Gefährte hielt vor einem Geschäft, bevor er von seinem Pferd stieg.

»Du wartest hier«, forderte er Ophéa auf. Die nickte knapp. Arion betrat den Laden und ließ die Elbin draußen stehen. Kaum war das geschehen, rannte ein kleines Menschenmädchen auf sie zu.

»Warum sitzt du auf einem Pferd und trägst solche Kleidung? Müsstest du nicht arbeiten? Elben sind doch Sklaven«, fragte das Kind neugierig.

»Ich war eine Sklavin. Seit ein paar Tagen bin ich es nicht mehr«, erklärte sie dem Mädchen und lächelte leicht.

Das sah sie skeptisch an.

»Wer würde denn solch einer die Freiheit schenken? Sklaven sind zum Arbeiten da und nicht, um auf Pferden zu reiten.«

Darauf ersparte sich Ophéa die Antwort.

Arion kam mit einem weiteren Rucksack zurück, vollgepackt mit Vorräten. Er band ihn an Stellas Sattel fest. Danach stieg er wieder auf den Rücken seines Hengstes und ritt ohne ein Wort voran.

Ophéa winkte dem Kind kurz zu und es erwiderte die Geste. Sie machte ihr keinen Vorwurf, denn immerhin wurde ihr von der Gesellschaft nichts anderes eingebläut.

»Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich nicht mit den Menschen unterhalten«, tadelte Arion, als sie zu ihm aufschloss.

»Das war nur ein kleines Mädchen!«, hielt sie dagegen.

»Trotzdem! Sei froh, dass sie uns weiterziehen lassen. In anderen Dörfern hätten sie uns schon längst von unseren Pferden gerissen und in den Kerker geworfen. Selbst als freier Elb muss man Angst haben. In den meisten Köpfen der Menschen sind wir Sklaven. Und sie mögen es bekanntlich nicht, wenn etwas aus der Reihe tanzt«, erklärte er ihr ruhig.

»Menschen sind grausam und herzlos, der größte Teil zumindest. Früher lebten wir Seite an Seite mit ihnen, bis ein Streit zwischen den Völkern entbrannte. Vor vierzehn Jahren verloren wir den Krieg und baten uns ihnen als Sklaven an, weil sie uns sonst getötet hätten«, fügte Arion hinzu und Ophéa bemerkte, wie er seine Hände zu Fäusten ballte.

»Hasst du die Menschen?«, fragte sie ihn.

»Ja. Das tue ich. Du etwa nicht? Du warst zehn Jahre lang ihre Sklavin. Wie kannst du sie nicht verabscheuen?«

»Ich verachte nur Marius. Ansonsten habe ich nichts gegen sie. Sie sind überheblich und glauben, dass sie besser sind als wir. Doch das sind sie nicht. Wir ähneln uns mehr, als sie es glauben wollen. Daher hasse ich sie nicht. Sie haben nur keine Ahnung, was sie tun.«

Arion zuckte mit den Mundwinkeln.

»Lächerlich! Sie wissen genau, was sie tun! Wie komme ich nur darauf mit einer früheren Sklavin, die nicht weiter als fünf Meilen gekommen ist, über so etwas zu diskutieren?«, sprach er verächtlich und gab seinem Hengst die Sporen.

»Einfältiger Schönling!«, rief ihm Ophéa nach und machte nicht einmal die kleinste Anstalt ihm zu folgen.

~ ~ ~ 

Ophéa erreichte das Nachtlager, das Arion bereits errichtet hatte. Sie stieg von Stella ab und die Stute trabte auf den Rappen zu. Der Hengst schnaubte freudig.

Sie lächelte und setzte sich zu dem Elben ans Feuer, der gerade einen Apfel verzehrte und sie nicht ansah. Verlegen kratzte sie sich am Kopf. Sie wollte nicht die Erste sein, die etwas sagte.

Ophéa griff in den anderen Rucksack und holte ein Stück Trockenfleisch hervor, das in Papier eingewickelt war. Sie biss ab und kaute langsam.

Das Fleisch schmeckte salziger als gedacht. Die junge Frau zog ihren Trinkschlauch heraus und nahm daraus einen tiefen Schluck. Arion warf seinen restlichen Apfel ins Feuer, der dort verbrannte.

Er sah sie an.

»Tut mir leid, wegen vorhin«, begann er zögerlich. »Das war nicht so gemeint. Es ist nur so, dass ich hier in der Nähe aufgewachsen bin. In Marenburg, um genau zu sein.«

Ophéa horchte auf. »Marenburg?«

Die Elbin konnte sich vage erinnern, dass die Stadt drei Tagesreisen von Wogenhorst entfernt war.

Zwar war sie noch nie dort gewesen, aber von Armin hatte sie gehört, wie schön es dort sein musste. Der König, so munkelte man, besaß dort eine ertragreiche Edelsteinmine.