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Oskar und der Steinkönig Die friedliche Heimkehr der Familie Steinhagen ist in weite Ferne gerückt, denn eine französische Armee will die Burg Rheinstein erobern. Aus Pflichtbewusstsein verzichten sie schweren Herzens auf eine Heimreise und warnen die Burginsassen. Der Kommandeur der Burg ist ein Prinz, der im Kriegshandwerk sehr unerfahren ist. Hauptmann Walter von Assmannshausen befehligt die Soldaten auf der Burg, doch mit seinen wenigen Männern wird er die Burg nicht gegen 500 Franzosen und deren Kriegsmaschinen halten können. Die Steinhagens versuchen, der Burgbesatzung zu helfen, doch dabei werden Frau Steinhagen und Annika gefangengenommen. Mit Klugheit und viel Mut, gelingt es Oskar, seine Mutter und Annika zu befreien und dabei auch noch den französischen Kommandeur gefangen zunehmen. Nun wendet sich das Blatt grundlegend. Nachdem ein Friedensvertrag geschlossen wurde, ziehen die Franzosen unverrichteter Dinge ab. Wieder steht die Familie Steinhagen an der Wegbiegung unterhalb der Burg und bittet das Kleine Volk um Hilfe. Die kleinen Elfen geben sich auch zu erkennen und die Familie Steinhagen erfährt, dass die Elfen, von denen sie in die Vergangenheit gezaubert worden sind, schwer verletzt seien und über kurz oder lang sterben müssten. Grund waren die Energie-strahlen, mit denen die Steinhagens den braunen Nebel, den sie für ihre Misere verantwortlich machten, zerstören wollten. Nun aber stellt sich heraus, dass fünf kleine Elfenkinder von Ansgar zu dieser Tat verführt worden sind. Sie reisen also ins Elfenland um den Kindern zu helfen. Aber auch im Elfenland ist es für Menschen nicht ganz ungefährlich. Oskar ist neben Frau Steinhagen der Reaktionsschnellste und rettet mehrmals seine Familie. Nach mehreren gefährlichen Abenteuern war nun auch die Ruhe im Elfenland wieder eingekehrt. Doch das Problem eines erneuten Zeitsprungs, der sie in ihre eigene Zeit bringen soll, scheint immer noch ungelöst.
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Seitenzahl: 396
Veröffentlichungsjahr: 2025
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© Harald Christ
Danksagung:
Ein Buch zu schreiben ist nicht einfach. Es braucht eine gehörige Portion Phantasie und Ausdauer. Wenn man dann nicht so recht weiß, wie es weiter gehen könnte, ist es sehr hilfreich, wenn man Freunde hat, die einem bei der Verwirklichung des Buchprojektes behilflich sind.
Verwirklichung - das heißt: Lektorat, Seitenlayout, Schriftsatz usw.
Neben meiner lieben Frau, die mich in allen Belangen unterstützt und mir immer wieder Mut gemacht hat, wenn es mal nicht weiter ging, war da auch immer mein Freund Hans-Ernst Schäfer.
Er beriet mich bei vielen Fragen, brachte die Seiten in Form und setzte den Schriftsatz so, dass das Buchprojekt an eine Druckerei zur Fertigstellung gegeben werden konnte.
Frau Katharina Meurer und ihre Tochter haben ebenfalls das Buch gelesen und standen mir mit Rat und Korrekturen zur Seite.
Die Vier glaubten an mich und mein Werk und ihnen gebührt mein großer Dank.
Inhaltsverzeichnis
Wie alles begann
Kapitel 01: Ein Feigling wird mutig
Kapitel 02: Kriegsmaschinen
Kapitel 03: Ein wichtiger Gefangener
Kapitel 04: Abschied von der Burg
Kapitel 05: Das kleine Volk
Kapitel 06: Steinbach
Kapitel 07: Der Steinkönig
Kapitel 08: Eine königliche Entscheidung
Kapitel 09: Abschied vom Kleinen Volk
Kapitel 10: Wieder auf der Rheinstein
Kapitel 11: Überraschungen im Alltag
Kapitel 12: Gemütliches Beisammensein
Kapitel 13: Ein Problem wird erkannt
Kapitel 14: Neue Freundschaften
Kapitel 15: Die Verräterin
Epilog
Wie alles begann
Oskar wurde in die 5. Klasse eingeschult und dieser Tag musste in einem Schnellrestaurant natürlich gebührend gefeiert werden. Er verdrückte mehrere Hamburger mit viel Ketchup und Majo. Alles wäre so schön gewesen, wenn da nicht ein Vampir in Oskars Zimmer eingedrungen und ihn fast gänzlich ausgesaugt hätte. Oskars Eltern retteten sein Leben, denn auf ihr Drängen hin aß und trank er Ketchup und Rote-Bete-Saft, bis er fast platzte. Am nächsten Morgen wachte Oskar als Vampir der besonderen Art auf. Er brauchte kein Blut, wie es jeder normale Vampir zum Leben braucht. Er benötigte von nun an Rote-Bete-Saft, Ketchup, Himbeereis und alles, was rot ist. Langsam gewöhnte er sich an sein neues Leben und lernte, mit den besonderen Fähigkeiten eines Vampirs umzugehen. Oskar entdeckte auch seine magischen Fähigkeiten, die jeder Vampir in sich trägt, und probierte sie heimlich aus.
Bald schon merkte er, dass ein Leben als halber Vampir recht abenteuerlich, aber auch sehr gefährlich sein konnte. Doch Friedrich, der Vampir, welcher Oskar gebissen hatte, entpuppte sich im Laufe der Zeit als wahrer Freund der Familie Steinhagen. Mit seiner Hilfe lernte Oskar so nach und nach, sich in seinem neuen Leben als Vampir zurecht zu finden. Dabei stellte sich heraus, dass auch Frau Steinhagen eine magische Begabung in sich trug.
Frau Steinhagen las gerade das ‚Vaterunser‘ aus einem Zauberbuch vor und Friedrich sah das dazugehörige Bild mit einem Kreuz und einer weißen Taube. Das war zu viel für einen echten Vampir. Seine Haut wurde braun, sie bekam Risse und Friedrich begann langsam zu verkohlen. Frau Steinhagen stoppte diesen Vorgang mit einem Zauberspruch. Doch Friedrich war schon zu schwer verletzt. Da half nur noch frisches Blut. Frau Steinhagen ließ sich von Friedrich beißen und von ihrem Blut trinken. Dadurch rettete sie ihm das Leben.
Als das Leben für Oskar und Frau Steinhagen wegen der Vampire immer gefährlicher wurde, machte Friedrich die beiden mit Frau Eckmann bekannt. Sie war die Oberhexe in Hessen und gehörte dem deutschen Hexenrat an. Nachdem Oskar und Frau Steinhagen sich das Vertrauen von Frau Eckmann verdient hatten, wurden sie in der weitergehenden Hexenkunst unterwiesen.
An Yul war es dann soweit. Oskar und seine Mutter sollten in den Kreis der hessischen Hexen eingeführt werden. Auch Susanne Messmann, Oskars Schulfreundin, und deren Mutter sollten aufgenommen werden. Dafür mussten sie eine Prüfung bestehen. Die Steinhagens bestanden die Prüfung mit Bravour, die Messmanns so gerade eben. Sie wurden angehalten, sich bessere Zauberstäbe zu besorgen.
Durch einen besonderen Spiegel sah Oskar, dass sein Vater und seine Schwester Annika in großer Gefahr waren. Frau Eckmanns Tochter Ines machte mit Oskar einen Sekundensprung und so kamen sie gerade noch rechtzeitig, um Herrn Steinhagen und Annika vor Ansgar und Walter zu beschützen. Walter verglühte in Oskars Sonnenlichtzauber, doch Ansgar konnte fliehen.
Alles schien nun ein gutes Ende gefunden zu haben. Doch Susanne brachte die Probleme auf den Punkt. Ansgar konnte entkommen. Er würde bestimmt Böses planen und sich rächen wollen.
In den Sommerferien fuhr Familie Steinhagen mit Susanne zu einem Wochenendurlaub auf der Burg Rheinstein. Außer Herrn Steinhagen besaßen inzwischen alle eine kleine Ausstattung an Mittelalterkleidung. Stolz trugen sie ihre Kleider auf der Burg Rheinstein. Am späten Nachmittag wollten sie sich die Burg noch einmal von außen anschauen. Herr Steinhagen blieb in der Burg zurück. Frau Steinhagen und die Kinder standen auf dem Burgweg und schauten sich das Plumpsklo der Burg von außen an, als plötzlich eine braune Wolke erschien und alle einhüllte.
Schutzschirme und Energiestrahlen halfen nichts. Es fühlte sich an, als würden alle einen Sekundensprung machen. Als die braune Wolke verschwunden war, standen sie immer noch auf dem Burgweg unterhalb des Burgtores. Doch alles war irgendwie anders. Auf der Burg brannte kein Licht, es leuchteten nur ein paar Fackeln. Es fuhren keine Schiffe auf dem Rhein, die Straße und die Eisenbahngleise fehlten. Oskar erkundete als Eule die Umgegend und es kam ihm ein schlimmer Verdacht. Es war kein Sekundensprung sondern ein Zeitsprung, der sie in die Vergangenheit katapultiert hatte. Sie waren zwar noch auf der Burg Rheinstein, aber nicht mehr in ihrer normalen Zeit.
Die Abenteuer, welche die Familie Steinhagen nun zu bestehen hatte, führt sie nach Assmannshausen, Rüdesheim und zu weiteren Orten des Rheingaus. Nachdem sie sich gegen den Schurkenkönig und seiner Bande erfolgreich zur Wehr setzen konnten, wollten sie nun endlich mit Hilfe des kleinen Volkes den Zeitsprung ins Jahr 2019 wagen. Ein französisches Heer macht ihre Pläne zunichte und sie müssen sich wieder einmal gegen eine Übermacht zur Wehr setzen. Sie wollen auch die Leute auf der Burg Rheinstein nicht im Stich lassen.
Ein Feigling wird mutig
In der Küche der Burg Rheinstein bekam Oskar einen großen Teller mit Fleisch, Gemüse, Kartoffeln und viel Tomatensoße. Oskar vertrug das Essen sehr gut.
„Mama, von Berta kannst du noch echt was lernen“, grinste er. „Berta weiß genau, was ein Vampir zum Essen braucht.“
„So, jetzt bitte keine Späßchen mehr“, meinte Frau Steinhagen ernst. „Erzähle nun, was ihr alles erlebt habt.“
Oskar berichtete in knappen Worten, was sie im Lager der Franzosen entdeckt hatten. Dann erzählte er auch, dass er wegen der Umstände im Lager der Franzosen und am Waldrand ihr Geheimnis preisgeben musste. Er erzählte auch, wie es dazu kam und dass Walter total die Nerven verloren hatte.
„Berta, Walter kommt damit nur sehr schlecht klar“, sagte Oskar. „Er schweigt nur gezwungenermaßen. Aber ich weiß nicht, ob er unser Geheimnis auf Dauer für sich behalten kann. Damit bringt er uns und auch sich selbst in Gefahr.“
„Wenn das hier alles vorbei ist, werde ich noch einmal mit ihm reden“, meinte Berta. „Ihr tut so vieles für uns und es wäre doch zu dumm, wenn er seinen Mund nicht halten könnte. Ich stelle ihn vor die Wahl. Redet er, dann verliert er mich. Schweigt er, werde ich ihm eine gute Frau sein.“
„Ich hoffe doch, dass es nicht so weit kommen wird“, lächelte Frau Steinhagen. „Ich werde aber mal nachdenken. Vielleicht fällt mir ja etwas ein, wie ich ihm nur einen kleinen Teil seines Gedächtnisses nehmen kann. Oh, ich glaube, da kommen Walter und der Prinz.“
Stimmen waren laut geworden und kurz darauf traten der Prinz und Walter tatsächlich in die Küche.
„Wieso bist du hier in der Küche und schlägst dir den Bauch mit meinen Speisen voll? Wieso bist du nicht mit Walter zu mir gekommen um zu berichten?“, schimpfte Friedrich Karl Joseph von Ingelheim. „Ein Soldat hat seinem Herrn zu berichten. Ihr zwei wart gemeinsam unterwegs. Ein Spähtrupp berichtet immer gemeinsam. Falls Walter etwas vergessen hat, musst du doch den Rest ergänzen.“
„Mahlzeit, lieber Prinz“, kicherte Oskar. „Erstens wünscht man den Leuten, zu denen man kommt, höflich einen guten Morgen. Zweitens bin ich keiner von deinen Soldaten. Drittens könntest du wirklich dankbar sein, dass ich mit Walter das Lager der Franzosen ausgekundschaftet habe und viertens würde ich keine so große Lippe riskieren, denn ohne Walter, meine Mutter, meinen Schwestern und mich wärest du ganz schön aufgeschmissen.“
„Du kleines Miststück, das wirst du mir büßen“, schrie der Prinz. „Wachen, ergreift diesen frechen Knirps und werft ihn in den Kerker.“
Einige Soldaten stürmten sofort in die Küche, doch als sie sahen, gegen wen sie vorgehen sollten blieben sie unsicher stehen. Ein Rottenführer trat vor und salutierte vor Friedrich Karl Joseph: „Herr, wir können diesen kleinen Kerl nicht ergreifen und in den Kerker werfen, der ist viel zu stark für uns.“
„Geht wieder auf eure Posten zurück“, sagte Walter von Assmannshausen. „Die Alarmbereitschaft bleibt bestehen. Sind die Wachen verdoppelt? Ist alles zur Verteidigung bereit?“
„Ja Herr“, der Rottenführer salutierte erneut. „Alle sind in Alarmbereitschaft, die Wachen sind verdoppelt. Die Feuer brennen neben den Pechschalen. Die Astgabeln, die wir gegen die Sturmleitern einsetzen, liegen bereit und alle Steinbrocken wurden oben auf den Laufgängen ausgelegt. Wir können sie den Angreifern auf die Köpfe werfen. Auch die Zisternen sind gut gefüllt und die Löscheimer stehen bereit.“
„Gut, dann löscht die Feuer neben den Pechpfannen“, nickte Walter zufrieden. „Zündet die Feuer erst wieder an, wenn wir sie brauchen. Solange die Franzosen keinen Boten geschickt haben, sollen Holzsammler Brennmaterial herbeischaffen. Auch sollen Jäger ausschwärmen und nach Wild Ausschau halten. Geht aber zu dritt oder zu viert und auf Sichtweite. Lasst euch nicht von den Franzosen erwischen.“
„Ja, Herr.“ Der Rottenführer salutierte noch einmal und gab den Soldaten einen Wink. Schnell hatten sie die Küche verlassen.
„Bevor ihr jetzt wieder aus der Haut fahrt, Eure Durchlaucht und andere merken, wie unerfahren ihr im Kriegshandwerk seid“, sagte Walter von Assmannshausen, „lasst mich bitte noch kurz etwas erklären.“
Der Prinz schaute sich um. Es waren nur Walter, die Steinhagens und Berta in der Küche. Die anderen Knechte und Mägde hatten die Küche klugerweise schon verlassen. Müde und niedergeschlagen setzte er sich an den Küchentisch, griff sich einen Becher Wasser und trank ihn in langen Zügen aus.
„Ich denke, ihr habt Recht“, sagte der Prinz nachdenklich. „Ich war in der Ingelheimer Burg immer sehr gut geschützt. Andere hatten die Verantwortung, ich musste nie wirklich etwas entscheiden. Was also soll nun getan werden?“
„Oskar hat völlig Recht mit dem, was er sagte“, meinte Walter lächelnd. „Wenn wir mal die Benimmregeln außer Acht lassen, stimmt alles haargenau, wie er es sagte. Ohne ihn und seine Familie wären wir wohl verloren.“
„Das kann nicht sein“, begehrte der Prinz auf. „Wie kann das Wohl und Wehe der Burg von einer Frau und drei Kindern abhängig sein?“
„Auch ich könnte mit all den Soldaten hier nichts gegen die Franzosen ausrichten“, sagte Walter mit ernster Stimme. „Die Franzosen sind mit dem Tross wohl etwa vier- oder fünfhundert Mann stark. Sie haben mehrere Wurfmaschinen und mehrere Rammen. Dagegen können wir mit unseren paar Mannen und den begrenzten Mitteln dieser Burg nicht viel ausrichten. Die ehrenwerte Frau Erika und ihre drei Kinder haben besondere Fähigkeiten. Sie sind, wie einst die heilige Hildegard von Bingen, von der Mutter Maria beschützt und von Gott gesegnet. Wir sollten ihnen vertrauen.“
Frau Steinhagen atmete tief durch und schaute Walter erstaunt an. Berta bekam einen Hustenanfall und auch die Kinder schauten Walter mit offenem Mund an. Dann lächelte Oskar still vor sich hin und nickte Walter zu. Der hatte ja nun all das ins Feld geführt, was er und vor ihm auch seine Mutter gesagt hatten. Berta hatte sich schnell wieder beruhigt und schaute grinsend zu Frau Steinhagen hin. Die zwinkerte ihr zu und legte unauffällig ihren Finger auf den Mund.
„Aber wieso eine Frau und drei Kinder?“, fragte Friedrich Karl Joseph ungläubig. „Was können sie, was ihr mit all unseren Soldaten nicht könnt?“
„Bitte verzeiht mir, aber darüber möchte ich jetzt nicht reden, Eure Durchlaucht“, meinte Walter. „Bitte vertraut meiner Urteilskraft und seid voller Hoffnung.“
„Wieso ist Berta noch hier?“, staunte der Prinz. „Alle haben bemerkt, dass dies ein unangenehmes Gespräch sein würde und haben die Küche verlassen. Nur Berta ist geblieben. Warum darf sie das alles hören und mich so sehen?“
„Berta ist neben mir wohl die einzige Person, die Euch absolut treu ergeben ist“, lächelte Walter. „Sie ist eine sehr kluge junge Frau, die eigentlich Besseres verdient hat, als in der Küche zu arbeiten. Ich vertraue ihr völlig und wenn diese gefährliche Zeit vorüber ist, werde ich Berta zur Frau nehmen. Ein Teil meiner Ideen stammt übrigens von ihr. Sie hat mir schon das eine oder andere über Frau Erika und ihre Kinder berichtet, bevor diese nun wieder vor der Burg auftauchten. Der nächtliche Spähgang mit Oskar hat mir die Augen über die vier gänzlich geöffnet.“
„Na schau einer an, Walter und Berta“, grinste der Prinz und stand auf. Lächelnd ging er zu Berta, ergriff ihre Hand und küsste sie leicht. „Du bist mir bei der einen oder anderen Gelegenheit schon positiv aufgefallen. Wer hätte gedacht, dass du eine mir so treu ergebene und kluge Köchin bist. Wir werden uns bei Gelegenheit noch darüber und über deine Zukunft unterhalten. Jedenfalls danke ich dir.“
„Und du kleiner Bengel scheinst mir ja ein wahres Wunder zu sein“, lachte der Prinz und drehte sich den Steinhagens zu. „Ein freches Wunder, aber wenn es stimmt, was Walter sagt, soll dir gerne verziehen sein. Frau Erika, erlaubt mir, auch euch einen Handkuss zum Zeichen meiner Anerkennung zu geben.“
Frau Steinhagen reichte ihm ihre Hand und der Prinz gab ihr einen formvollendeten Handkuss. „Prinzessin Luise wird es mir verzeihen.“
Alsdann wandte er sich an Susanne und Annika und gab jeder einen Handkuss. „Meine Damen, seid euch meiner Bewunderung gewiss.“ Dann setzte er sich wieder auf seinen Platz. „Walter, was habt ihr nun vor?“
„Ich glaube, wir sollten die Kriegserklärung der Franzosen abwarten und lesen, welche Bedingungen sie stellen“, meinte Walter. „Dementsprechend sollten wir überlegen, was wir unternehmen können. Ich denke, dass sie uns eine Frist einräumen, in der wir über eine Kapitulation nachdenken sollen.“
In diesem Moment erschallten zwei Trompeten, die das vereinbarte Alarmsignal schmetterten. Alle Soldaten eilten auf ihre Posten. Walter von Assmannshausen verabschiedete sich schnell, ging dann zum Tor und stieg die Leiter zum dortigen Laufgang empor.
Eine kleine Abteilung französischer Kavallerie kam den schmalen Weg von der Hochebene herunter geritten. An ihrer Spitze ritt ein Soldat mit einer weißen Fahne, die an seiner Lanze befestigt war. Dahinter kam ein hochrangiger Soldat, dem drei Reiter folgten. Als die Reitergruppe vor dem Tor angelangt war ritt der Fahnenträger zur Seite und machte dem Befehlshaber der kleinen Truppe Platz.
Die Soldaten der Burg hielten ihre Waffen in den Händen. Die Bogenschützen zielten auf die französischen Reiter.
Walter trat an die Mauer und befahl seinen Bogenschützen, ihre Waffen zu senken. Auch den Männern, die gerade die Feuer neben den Pechpfannen anfachen wollten, gebot er Einhalt.
Der Anführer der französischen Reiter ließ sein Pferd noch einige Schritte nach vorne gehen, dann hielt er sein Ross an und salutierte. Walter von Assmannshausen gab den militärischen Gruß zurück und verbeugte sich leicht vor dem Franzosen.
„Mein Name ist Joachim Murat, einer der Kommandeure der auf dem Hochplateau weilenden Kavallerieeinheit der Garde Impériale. Unsere Einheit ist etwa 500 Mann stark. Zur Unterstützung unseres Vorhabens lagert dort auch ein Bataillon unserer glorreichen Artillerie. Wir stehen unter dem Kommando des Maréchal d’ Empire Auguste-Frédéric-Louise Vienesse de Marmont. Leider sind unsere Kanonen an anderer Stelle unabkömmlich, daher haben wir einige Wurfmaschinen und Rammen aus unserem alten Heeresbestand in Stellung gebracht. Dieses alte Kriegsgerät wird seine Aufgabe hier ohne Probleme erfüllen können. Commandeur des Maréchal d’ Empire Auguste-Frédéric-Louise Vienesse de Marmont ersucht euch in aller Höflichkeit, eure Burg bis zum Abend des morgigen Tages kampflos zu übergeben. Er bietet den freien Abzug der Burgbesatzung mit allem Hab und Gut der Mannschaften an. Die Befehlshaber der Burg bittet er, noch über diese Zeit hin zu verweilen, um die Übergabe der Burg offiziell zu vollziehen. Maréchal d’ Empire Auguste-Frédéric-Louise Vienesse de Marmont erwartet Eure hochgeschätzte Antwort bis morgen zum Mittagsgeläut.“
„Ich bin Hauptmann Walter von Assmannshausen. Ich grüße Euch, Joachim Murat, Kommandeur in der Garde Impérial. Mir untersteht die Besatzung der Burg Rheinstein. Ich unterstehe dem Befehl von Prinz Friedrich Karl Joseph, aus dem Geschlecht derer zu Ingelheim, den Eignern dieser herrlichen Burg. Die Burg konnte bisher noch nie erobert werden und so ist eine Kapitulation eher unwahrscheinlich“, antwortete Walter von Assmannshausen dem französischen Parlamentär. „Es tut mir leid, dass wir Euch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht auf eine Tasse Tee bitten können. Aber das werdet Ihr wohl verstehen. Trotz alledem werde ich meinem Prinzen Euer Anliegen vortragen. Ich denke, dass noch am heutigen Abend eine Abordnung der Burg in Eurem Lager eintreffen und Euch unsere Antwort überbringen wird. Eine Frage hätte ich noch. Was ist mit unseren Leuten, die oben auf der Hochweide gearbeitet haben?“
„Einige wollten sich ihrer Gefangennahme widersetzen. Sie sind tot. Andere haben sich rechtzeitig ergeben“, antwortete Kommandeur Murat. „Sie sind in ärztlicher Behandlung und werden sehr gut versorgt. Die Frauen und Kinder sind wohlauf. Ihnen wurde kein Haar gekrümmt.“
„Wir fordern die Freilassung der Gefangenen und eine Wiedergutmachung für unsere toten Leute“, rief Walter wütend. „Ihr kennt bestimmt das alte Wort aus der Bibel - Auge um Auge, Zahn um Zahn.“
„Wollt ihr uns etwa drohen, Herr Hauptmann?“, rief Joachim Murat. „Ich glaube nicht, dass Ihr in der Lage seid, solche Worte auszusprechen.“
„Das war keine Drohung“, rief Walter. „Das war ein Versprechen.“
„Dann darf ich mich nun verabschieden, Herr Hauptmann“, rief Kommandeur Murat, salutierte kurz und wendete sein Pferd. Er drehte sich noch einmal im Sattel um. „Den Tee werden wir dann wohl doch recht bald auf Eurer Burg einnehmen können.“
Walter von Assmannshausen salutierte ebenfalls, dann verließ er den Laufgang über dem Tor und kam in die Küche. Suchend schaute er sich um.
„Der Prinz ist in seine Räume gegangen und bittet dich, dort mit ihm über alles zu sprechen“, sagte Berta und fiel in Walters Arme. „Ach Walter, was soll nur werden. Diese vielen Soldaten, dieses Kriegsgerät. Wir wollten doch heiraten, jetzt aber musst du kämpfen. Hoffentlich werde ich nicht zur Witwe, bevor wir verheiratet sind.“
„Sei unbesorgt“, lächelte Walter und nahm Berta fest in seine Arme. „Was ich in der Nacht mit Oskar erlebt habe, hat mich sehr erschrocken. Ich erzähle es dir bei Gelegenheit. Aber Oskar hatte die richtige Idee und ich habe das größte Vertrauen in Frau Erika und die Kinder. Sie müssen sich nur bereit erklären, das zu tun, was Oskar vorgeschlagen hat. Ich gehe jetzt zum Prinzen und erkläre ihm alles. Oskar erklärst du deiner Mutter und deinen Schwestern, was heute Nacht getan werden muss? Frau Erika, ich muss jetzt unbedingt zum Prinzen, aber ich werde euch Vier nachher noch ganz offiziell bitten, uns heute Nacht zu unterstützen.“
„Oh je, das klingt ja gar nicht gut“, meinte Susanne zaghaft. „Wir sollen die Soldaten unterstützen. Das klingt gefährlich.“
„Kann mir das mal einer genauer erklären?“, fragte Annika mit dünner Stimme.
„Jetzt geh endlich zu deinem Prinzen“, rief Berta und schob Walter aus der Küche. „Wir kommen hier schon klar.“ Sie drehte sich zu Oskar um. „Meine Güte, Oskar, da hast du aber ganz schön was angeleiert.“ Berta schüttelte ihren Kopf. „Wenn das nur gut geht. Ich wünsche euch alles Glück der Welt.“
„Oskar, muss das wirklich sein?“, fragte Frau Steinhagen ihren Sohn. „Müssen wir da alle vier mit? Müssen die Mädchen dabei sein?“
„Na klar müssen Annika und Susanne dabei sein“, nickte Oskar mit sehr ernster Miene. „Es sind zu viele Kampfmaschinen. Das schaffe ich nicht alleine. Die Soldaten und Walter verstecken sich am Waldrand und lenken die Franzosen ab, wenn etwas schief gehen sollte. Dadurch können wir uns gegenseitig helfen und entkommen. Annika und Susanne sind in der Luft und beobachten das Lager. Sie greifen ein, wenn wir eine Gefahr nicht bemerkt haben. Sie sind unsere Deckung. Wir zwei müssen die Maschinen zerstören. Am besten, wir legen Feuer und verbrennen alles. Die Maschinen stehen dicht beieinander. Sie werden von Soldaten und von Hunden bewacht. Falls die Hunde etwas bemerken, und davon gehe ich aus, müssen Susanne und Annika die Tiere betäuben. Außerdem sollen sie ruhig mal einer Gefahr ausgesetzt sein. Das macht sie sicherer. Vielleicht kriegen sie dieses Mal einen Schutzschirm hin.“
„Blödmann“, schimpfte Annika.
„Wieso Blödmann?“, fragte Oskar. „Ich habe euch doch gesagt, dass ich euch nicht mehr helfe. Denkt mal an euren tollen Schutzschirm, als uns die Kerle vom einarmigen Bert überfallen und das Pferd erschossen haben.“
„Aber das ist jetzt was völlig anderes“, sagte Frau Steinhagen streng. „Die haben Bogenschützen und können Annika oder Susanne überall erwischen.“
„Nicht, wenn sie unsichtbar sind. Nicht wenn sie einen eigenen Schutzschirm aufgebaut haben. Das müssen sie halt nochmal üben, bevor wir losziehen“, grinste Oskar. „Mama, du würdest sofort mit mir ins Lager der Franzosen gehen und wegen mir hast du noch kein Wort darüber verloren, ob ich da hin will. Du gehst einfach davon aus, dass ich mit meinen elf Jahren ein Held bin, und dass ich alle gefährlichen Sachen übernehme. Habt ihr euch schon mal gefragt, ob ich vielleicht auch Angst habe? Klar, die beiden können auch gemütlich hier in der Küche bleiben und sich die Wampe vollhauen. Später können sie dann kommen und uns beerdigen. Das ist dann einfacher und völlig ungefährlich.“ Frau Steinhagen, Susanne und Annika schauten Oskar völlig entgeistert an. So eine Standpauke hatten sie von ihm noch nicht bekommen.
„Gut, Susanne und Annika, ihr lasst euch von Berta einen Raum zeigen, in den normalerweise niemand hinein geht“, bestimmte Frau Steinhagen. „Dort übt ihr bis zum späten Nachmittag, wie man einen Schutzschirm aufbaut und ihn gegen Energiestrahlen aufrecht hält. Ihr schießt abwechselnd auf euch. Fangt mit schwacher Energie an, dann verstärkt ihr euren Energiestrahl. Ihr werdet selbst sehen, wie weit ihr gehen könnt. Danach ruht ihr euch aus. Und jetzt Abmarsch, wir sehen uns dann beim Abendessen. Ach ja, Berta, wärest du so nett und zeigst den beiden so einen Raum? Danke.“
Frau Steinhagen drehte sich zu Oskar um. Man sah ihr an, dass sie ziemlich verärgert war. „Und jetzt zu dir, mein Sohn. Du hast die Idee gehabt und musst nun auch die Hauptrolle spielen. Ich werde dir natürlich dabei helfen. Einerseits kannst du nicht einfach von uns verlangen, dass wir in ein gefährliches Abenteuer gehen. Andererseits, wenn wir das nicht tun, sind die Menschen hier auf der Burg verloren. Und ja, keiner hat je danach gefragt, ob du all die Dinge willst oder nicht. Bei dir setzt das jeder einfach voraus. Keiner fragt, ob du Angst hast, selbst ich habe das vergessen. Es tut mir sehr leid.“ Langsam beruhigte sich Frau Steinhagen wieder. „Das ist jetzt eine Zeit, in der wir alle über uns selbst hinauswachsen müssen, auch Annika und Susanne. Wenn das hier alles vorbei ist, setzen wir uns unter einen großen Baum und lassen unseren Gefühlen freien Lauf. Da können wir dann alle Anspannung fallen lassen, da können wir uns mal so richtig ausheulen. Aber jetzt geht das nicht. Annika, Susanne, Abmarsch.“
Berta, Susanne und Annika bemerkten, dass sich Frau Steinhagen nur mühsam beherrschte. Berta winkte den beiden Mädchen zu und verließ mit ihnen die Küche.
Frau Steinhagen kam zu Oskar und nahm ihn in die Arme. „Sei nicht so hart zu den beiden“, meinte sie und drückte Oskar an sich. „Sie sind Mädchen, bei denen geht das alles nicht so kämpferisch ab wie bei Jungs. Auch ich muss mich ganz schön zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen. Aber leider hast du Recht, sie müssen in bestimmten Situationen so einfache Dinge wie Schutzschirm und Energiestrahl beherrschen. Komm, wir gehen jetzt zum Prinzen und zu Walter und hören, was sie zu sagen haben.“
Oskar atmete tief durch. „Es tut mir in der Seele weh, wenn ich so hart zu Susanne und Annika sein muss. Aber sie sind verloren, wenn sie Ansgar alleine gegenüberstehen. Der verspeist sie zum Frühstück, wenn sie es jetzt nicht lernen. Außerdem sollte ihnen nichts passieren, sie sind hoch in der Luft und natürlich auch unsichtbar. Wir sind die, die näher ran müssen. Es sei denn, dir fällt ein entsprechender Zauberspruch ein, der auch aus einiger Entfernung wirkt.“
„Holz heißt ‚lignum‘ und Maschine heißt glaube ich ‚machina‘“, überlegte Frau Steinhagen. „Wurf oder werfen heißt wohl ‚mittent‘ und Schleuder ist denke ich ‚fundae‘. Ramme könnte ‚fistuca‘ sein. Wir können aus der Luft versuchen, die Geräte in Brand zu stecken. Außerdem sollten wir auch noch mehrere Zelte in Flammen aufgehen lassen. Zelt heißt glaube ich ‚tabernaculum‘, in der Mehrzahl dann wohl ‚tabernacula‘. Brennen ist ‚ardere‘. Mit diesen Worten sollte es eigentlich gehen. Vielleicht klappt es ja auch ohne die lateinischen Worte. Bei dir geht das bestimmt.“
„Falls es nicht funktioniert, müssen wir Energiestrahlen benutzen“, meinte Oskar. „Die werden sie aber bestimmt sehen. Also müssten wir nach jedem Energiestrahl unseren Standort wechseln, damit sie uns nicht mit ihren Pfeilen treffen, wenn sie nach den Energiestrahlen, und damit nach uns schießen.“
Inzwischen waren sie auf der Prinzenetage angekommen. Sie hörten heftig diskutierende Stimmen. Der Prinz und Walter von Assmannshausen konnten sich nicht über die Strategie einigen, mit der sie die Franzosen abwehren wollten. Vorsichtig klopften sie an die verschlossene Tür. Auf ein unwirsches ‚herein‘ öffneten sie die Tür und betraten einen wunderschön ausgestatteten, aber insgesamt dunklen Raum. Die Wände waren teilweise holzverkleidet und auf den Papiertapeten waren herrliche Jagdszenen aufgemalt. Der große Tisch in der Raummitte war ein mit Intarsien und Schnitzereien versehenes Wunderwerk. Die Rückenlehnen der dunklen Holzstühle waren mit kunstvollem Bastgeflecht versehen. Die beiden Männer saßen sich gegenüber, ihre Gesichter waren vor Zorn gerötet.
„Was wollt ihr denn hier“, schimpfte Prinz Friedrich. „Wir haben hier wichtige Dinge zu besprechen.“
„Leider haben wir noch keine gemeinsame Strategie“, seufzte Walter. „Der Prinz will sich verschanzen. Ich aber will angreifen und mit brennenden Pechpfeilen die Kriegsmaschinen zerstören. Wenn sie die Maschinen löschen können, bevor sie richtig brennen, sieht es schlecht für uns aus. Verschanzen hat wegen der Katapulte auch nur wenig Sinn. Es ist aber auch wirklich problematisch.“
„Da wir ja die Burg und deren Besatzung vor den Franzosen gewarnt haben, können wir auch unsere Meinung abgeben“, stellte Frau Steinhagen mit kühlem Ton fest. „Ohne uns wäret ihr nicht gewarnt worden und hättet keine Vorbereitungen gegen eine Belagerung treffen können. Oskar und ich haben einen Plan, mit dem wir die Franzosen entscheidend schwächen können.“
„Frau Erika, ihr habt Recht“, nickte Walter. „Ohne euch wären wir in einer noch hoffnungsloseren Lage. Aber wie wollt ihr die Franzosen entscheidend schwächen? Die sind mehrere hundert Mann stark und wir haben nur etwa fünfzig Soldaten und das Burggesinde. Was also habt ihr vor?“
„Wie sollen uns eine Frau und ein Knabe helfen können?“, ereiferte sich der Prinz. „Das ist Kriegshandwerk, davon verstehen nur Krieger etwas.“
„Glaubt mir, Prinz Friedrich“, sagte Walter von Assmannshausen. „Die beiden sind sehr gute Kämpfer und verstehen ihr Handwerk. Wären sie Männer, würde man sagen, sie sind kampferprobte Recken. All die Maßnahmen zur Verteidigung der Burg wurden von Frau Erika und Oskar schon festgelegt, während ich Euch hier von unserem nächtlichen Spähgang berichtete. Die beiden wissen, was zu tun ist.“
„Also gut, dann sagt, was ihr zu sagen habt, damit das ganze Gerede endlich beendet werden kann“, brummte Prinz Friedrich.
„Das Burggesinde besetzt die Wehrgänge und die Schießscharten im Torbereich. Bogenschützen stehen auf den Wehrgängen über dem Tor. Die Feuerpfannen werden erst dann angezündet, wenn ein entsprechendes Hornsignal ertönt. Insgesamt bleiben zwanzig Soldaten in der Burg. Der Rest geht mit uns zum Lager der Franzosen. Ich hoffe doch, dass alle Soldaten hier mit Pfeil und Bogen umgehen können. Am Waldrand versteckt sich die Hälfte der Bogenschützen. Auf halber Strecke zum Lager der Franzosen geht die andere Hälfte der Bogenschützen in Stellung. Oskar, Susanne, Annika und ich schleichen uns ins Lager der Franzosen und stecken die Schleudern und Rammen in Brand. Dann ziehen wir uns zurück. Wenn wir verfolgt werden, deckt die erste Reihe der Männer unseren Rückzug. Dann ziehen wir uns an den Waldrand zurück. Dort sollten alle Bogenschützen gemeinsam den ersten Ansturm der Franzosen aufhalten können. Somit haben wir Zeit, uns in die Burg zurückzuziehen. Was wollen die Franzosen ohne ihre Sturmgeräte noch ausrichten?“
„Dummes Geschwätz“, schimpfte Prinz Friedrich. „Wie wollt ihr ungesehen ins Lager der Franzosen gelangen? Ihr werdet noch nicht einmal an den ersten Wachen vorbei kommen, geschweige denn die Rammen und Wurfmaschinen anzünden. Für so ein Unternehmen braucht man außerdem griechisches Feuer. Und das haben wir nicht auf der Burg und können so schnell auch keines selbst herstellen.“
„Eure Durchlaucht, ihr vergesst, dass es Oskar und mir auch gelungen ist, in das französische Lager zu kommen“, gab Walter zu bedenken. „Wir konnten die Kriegsmaschinen, die Waffen und die Mannschaften zählen. Wir haben unsere Leute von der Hochweide und auch die verräterischen Söldner gesehen.“
„Ich weiß zwar nicht, wie ihr das geschafft habt“, brummte der Prinz ärgerlich, „aber Frau Erika ist eine Frau und die beiden anderen sind Mädchen.“
„Wir können auch gerne abreisen und die Burg ihrem Schicksal überlassen“, grinste Oskar. „Nein, besser noch, wir warnen das Gesinde und sagen, das der Prinz keine Lust hat, die Ideen einer Frau und eines Knaben anzunehmen. Wir sagen allen, sie könnten mit uns kommen, wenn wir uns in Sicherheit bringen.“ Oskar stand auf. „Komm Mama, der kann einfach nicht aus seiner Haut. Wegen ihm soll das Gesinde hier nicht ums Leben kommen.“
„Du hast Recht, Oskar“, nickte Frau Steinhagen. „Mit so einem eingebildeten Mannsbild brauche ich mich nicht abzugeben. Sag du Susanne und Annika Bescheid. Ich warne mit Berta das Gesinde. Sie sollen zusammenpacken, was sie tragen können. Wir werden alles auf die Pferde packen und dann abmarschieren. Die paar Soldaten können uns nicht aufhalten.“
„Also, wenn ihr und Berta geht, werde ich auch nicht hier bleiben“, nickte Walter von Assmannshausen und stand ebenfalls auf. „Ich werde Berta nicht alleine lassen. Wahrscheinlich werden die Soldaten auch mit wollen. Dann kann Prinz Friedrich seine Burg alleine verteidigen.“
„Ihr ruchloses Pack, ihr Verräter, ihr…“ Prinz Friedrich war sprachlos vor Zorn. Er konnte es nicht glauben, als Frau Steinhagen, Walter und Oskar das Zimmer verließen.
Unten im Hof rief Frau Steinhagen nach Susanne, Annika und Berta. Gemeinsam standen sie vor der Küche, als auch Walter auf den Burghof kam. Er hielt sein Schwert in der Hand, am Gürtel steckte sein großer Dolch.
„Oskar“, rief Frau Steinhagen. „Du musst jetzt ganz schnell in unsere Hütte flitzen. Hole die beiden Kampfstöcke und unsere Schwerter. Wir werden sie gleich gebrauchen können.“
Sofort rannte Oskar los und alle staunten, wie schnell er rennen konnte.
„Soldaten zu mir“, schrie Prinz Friedrich nun aus dem Fenster seines Arbeitszimmers. „Walter von Assmannshausen will desertieren. Ergreift ihn. Auch Frau Erika und ihre Kinder wollen die Burg verlassen. Schließt die Tore, lasst das Gitter herunter und dann ergreift sie.“
Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis das äußere Burgtor geschlossen und das Fallgitter heruntergelassen waren. Oskar schaffte es gerade noch so, samt den Waffen durch das innere Burgtor und ins Untergeschoss zu gelangen. Minuten später stand er wieder vor der Küche.
„Was ist denn passiert?“, wollte Susanne wissen.
„Will der Prinz uns gefangen nehmen?“, fragte Annika.
Frau Steinhagen und Oskar gürteten ihre Schwerter um und nahmen die Kampfstöcke in die Hände. Dann stellten sie sich neben Walter von Assmannshausen.
„Berta, stell dich neben Susanne und Annika“, befahl Frau Steinhagen. „Warne die beiden, wenn Bogenschützen auf uns zielen.“
Berta schaute fragend auf Walter. „Tu, was Frau Erika sagt und frag nicht lange. Es ist ganz wichtig, dass du auf die Bogenschützen achtest. Sag den beiden sofort, wo die Bogenschützen sind, wenn sie auftauchen.“
„Annika, Susanne, der Prinz will unbedingt seinen Kopf durchsetzen, er will sein eigenes Ding machen, aber sein Plan wird nicht funktionieren“, sagte Frau Steinhagen. „Oskar wird keine Zeit haben, auf euch zu achten. Er wird selbst genug zu tun haben, genau wie ich. Ihr baut euch einen Schutzschirm auf und achtet auf Berta. Ihr bleibt im Hintergrund. Sie werden nur auf Oskar, Walter und mich achten. Wenn uns die Soldaten zu nahe kommen, könnt ihr sie wahrscheinlich unbemerkt mit einem Luftstoß zurück treiben. Nicht zu fest, aber auch nicht zu locker. Ihr werdet es herausfinden. Der Spruch heißt ‚aura crassare‘. Ihr kennt ihn und wisst auch die Handbewegung. Macht es richtig, wir müssen uns jetzt auf euch verlassen können.“
„Das ist aber sehr gefährlich, ob wir das schaffen?“, fragte Annika zaghaft.
Frau Steinhagen ging zu den beiden Mädchen und nahm sie in die Arme. „Ihr werdet es schaffen. Wir sind hier gemeinsam in Gefahr und ihr beide habt eine sehr wichtige Aufgabe. Ihr müsst es schaffen. Außerdem ist das mit der Luft ein Zauber, den ihr schon oft geübt habt. Den könnt ihr auf jeden Fall. Nur euer Schutzschirm, da hapert es vielleicht. Aber wenn ihr fest an euch glaubt, wird euch auch der Schutzschirm gelingen. Berta warnt uns vor Bogenschützen, die vielleicht oben in den Fenstern auftauchen. Wir dürfen keine Schutzschirme aufbauen. Die Soldaten würden sehen, wenn die Pfeile an ihnen abprallen. Darum müsst ihr sofort die Bogenschützen ausschalten, wenn sie in den Fenstern und auf den Wehrgängen auftauchen. Wenn es zu viele sind, übernimmt Susanne die linke und Annika die rechte Seite. So, da kommen die Soldaten und der Prinz. Jetzt wird es spannend. Berta, wenn Pfeile geflogen kommen, stelle dich hinter Susanne und Annika und lege deine Hände auf ihre Schultern, dann bist du mit in ihrem Schutzschirm. Ich liebe euch beide sehr und wir verlassen uns auf euch.“
Frau Steinhagen stellte sich wieder neben Oskar. „Annika und Susanne wissen Bescheid. Sie achten auf die Fenster und Wehrgänge. Berta hilft mit. Vorerst keinen Schutzschirm. Nur die Kampfstöcke und die zusammengepresste Luft. Vielleicht dann auch die Schwerter. Aber ich denke, soweit wird es nicht kommen.“
Eben kam Prinz Friedrich aus dem Gebäude. Hinter ihm kamen viele Soldaten und verteilten sich auf der Terrasse. Auch aus der Küche drangen die Soldaten hervor.
„Schnell zum Brunnen und dort an die Hauswand“, rief Walter. „Dann haben wir den Rücken frei und brauchen nur nach vorne und nach den Seiten zu kämpfen.“
Jetzt waren die Soldaten heran. Einer griff Oskar und ein anderer Frau Steinhagen an. Oskar zögerte nicht lange und trat dem Soldaten gegen das Schienbein und schlug ihm die Faust heftig in den Magen. Der Soldat brach stöhnend zusammen und rührte sich nicht mehr. Der andere Soldat war ebenso unvorsichtig und hielt Frau Steinhagen trotz ihres Stockes für ungefährlich. Grinsend kam er heran und dann fielen ihm fast die Augen aus dem Kopf, als ihm Frau Steinhagen ihren Stock hart in seinen Magen stieß. Als er sich stöhnend nach vorne beugte, schlug sie hart auf seinen Kopf und der Soldat brach bewusstlos zusammen.
„Ja, so ist das, wenn man Menschen gefangen nehmen will, die damit nicht einverstanden sind“, lachte Walter von Assmannshausen. „Jetzt solltet ihr auch mal die beiden Mädels angreifen, die sind auch nicht viel schlechter als der Junge oder Frau Erika. An mich traut ihr euch wohl gar nicht erst heran.“
„Jetzt nehmt die vier endlich fest und sperrt sie in den Kerker“, schrie Prinz Friedrich wutentbrannt. „Die vier gehören hinter Schloss und Riegel. Und Berta nehmt ihr auch gleich fest und sperrt sie ein.“
„Warum sollen wir die beiden eigentlich festnehmen und einsperren?“, fragte einer der beiden Zugführer. „Was haben sie denn verbrochen? Walter von Assmannshausen war doch bis eben noch unser Anführer.“
„Ihr nehmt sie fest, weil ich es so will“, wütete der Prinz.
„Ich kann euch sagen, warum ihr uns alle festnehmen sollt“, lachte Walter. „Wir haben den Prinzen beleidigt, wir haben ihm gesagt, dass er von Kriegsführung keinen blassen Schimmer hat.“
„Ja, wie jetzt?“, staunte der Zugführer. „Sowas sagst du unserem Prinzen? Das ist wahrhaftig ein ziemlich starkes Stück. Warum hast du das gesagt?“
„Wisst ihr, dass auf dem Hochplateau ein halbes französisches Bataillon lagert?“, fragte Frau Steinhagen. „Es sind etwa fünfhundert Mann.“
Erschrocken riefen die Soldaten durcheinander. Sie waren alle sehr bestürzt. Es dauerte eine Weile, bis die Zugführer für Ruhe gesorgt hatten. „Die Torwächter haben uns schon gesagt, dass ein französischer Unterhändler vor der Burg war und uns zur Kapitulation aufgefordert hat. Wir haben es aber für eines der üblichen Latrinengerüchte gehalten. Nun scheint es also doch wahr zu sein. Woher weißt du das alles so genau?“, fragte er voller Sorge.
„Oskar und ich waren in der letzten Nacht auf dem Hochplateau und haben das Lager der Franzosen ausgekundschaftet“, berichtete Walter.
„Mit dem kleinen Jungen hast du das gemacht?“, rief der andere Zugführer ungläubig. „Du willst uns wohl auf den Arm nehmen.“
„Nein, es stimmt, was Walter sagt“, meldete sich nun Oskar zu Wort. „Sie haben mehrere große Rammen und auch einige Steinschleudern. Walter sagt, die richtigen Kanonen hätte Bonaparte wohl in Russland.“
Wieder gerieten die Soldaten in hellen Aufruht. „Wer soll uns denn führen, wenn du verhaftet bist?“, rief einer der Zugführer. „Zum Prinzen habe ich kein großes Vertrauen. Ich glaube nicht, dass er uns führen kann.“
„Wir haben einen Schlachtplan, bei dem Frau Erika, Oskar und die Mädchen eine äußerst wichtige Rolle spielen“, erzählte Walter. Alle Soldaten waren nun mucksmäuschen still. „Bis auf zwanzig Mann gehen alle mit uns auf das Hochplateau. Es müssen die besten Bogenschützen sein, die wir hier haben. Sie decken in zwei Reihen unseren Rückzug, falls was schiefgehen sollte. Frau Erika, Oskar und die Mädchen schleichen sich ins Lager der Franzosen und zünden die Schleudern und Rammen an.“
„Wie wollen sie das denn machen?“, rief einer der Zugführer erstaunt. „Wir haben kein griechisches Feuer in der Burg. Nur mit Zunder und etwas Holz kann man diese Maschinen nicht anzünden.“
„Sie haben irgendein chemisches Zeug“, erklärte Walter von Assmannshausen. „Damit wollen sie die Rammen und Schleudern anzünden.“
„Das ist aber ein Himmelfahrtskommando“, meinte der Zugführer mit ernster Miene. „Wie wollen sie unbemerkt in das Lager der Franzosen kommen?“
„Oskar hat mir gezeigt, wie toll er sich im Gelände bewegen kann“, lächelte Walter. „Ich habe gar nicht bemerkt, wie er das gemacht hat, aber plötzlich war er weg. Wie unsichtbar. Dann tauchte er wieder auf. Es war fast wie ein Wunder.“
„Prinz Friedrich traut uns nichts zu und verwarf unseren Plan als ein Hirngespinst“, sagte Frau Steinhagen. „Ich fragte ihn, ob er einen besseren Plan hätte. Aber er hat keinen, wahrscheinlich will er die Burg aufgeben, weil er Angst um sein Leben hat.“
„Dieses verfluchte Weib lügt und Walter lügt auch“, schrie Prinz Friedrich aufgeregt. Aber jeder sah, dass er vor Angst am ganzen Leib zitterte.
„Mein lieber Prinz“, lachte Frau Steinhagen. „Dann führt Ihr doch Eure Soldaten in die Schlacht. Als Anführer müsst Ihr natürlich in der ersten Reihe stehen. Direkt an der Spitze. Diese Ehre gebührt Euch ganz allein.“
„Die ganze Sache ist aussichtslos“, rief der Prinz mit zitternder Stimme. „Wir ergeben uns einfach und erhalten freien Abzug.“
„Walter von Assmannshausen“, fragte einer der Zugführer. „Siehst du eine echte Chance, die Kriegsmaschinen zu zerstören?“
„Ja, die sehe ich“, nickte Walter. „Wenn sie keine Maschinen mehr haben, können sie nur noch mit kleinen Handkanonen, Gewehren, Brandpfeilen, Sturmleitern und dem üblichen Kram angreifen. Andere Waffen haben sie nicht dabei. Aber diese Waffen haben wir auch und können uns damit sehr gut verteidigen. Es würde sehr lange dauern, bis sie unsere Burg geknackt hätten. Bis dahin hätten Boten längst unsere Einheiten in Ingelheim alarmiert. Die wären dann innerhalb von zwei oder drei Tagen zur Stelle und würden den Franzosen das Fürchten lehren.“
„Also ist Prinz Friedrich nur einfach persönlich gekränkt und will deshalb unser aller Sicherheit aufs Spiel setzen“, staunte der andere Zugführer. „Pfui Teufel, wie feige ist denn sowas? Nein, Prinz Friedrich, Euch erkenne ich nicht mehr als meinen Befehlshaber an. Wenn ihr Euch beleidigt fühlt, dann fordert doch Walter von Assmannshausen zum Duell heraus. Aber dazu seid Ihr bestimmt auch zu feige.“
Dann drehte er sich zu Walter um. „Herr Hauptmann, von mir und meinem Zug habt ihr nichts mehr zu befürchten. Wir folgen gerne Eurem Befehl, egal, was ihr von uns verlangt.“
Inzwischen waren alle Soldaten auf den Hof getreten und stellten sich in Reih und Glied hinter ihren Zugführern auf. Auch die Bogenschützen verließen die Wehrgänge und die Fenster und formierten sich im Hof zu einer geordneten Gruppe.
„Heute gegen Abend werde ich mit einer kleinen Truppe von fünf oder sechs Mann zu den Franzosen gehen und ihnen sagen, dass wir uns nicht ergeben werden. Wenn wir dann wieder zurück in die Burg reiten, wird es schon fast dunkel sein“, erklärte Walter von Assmannshausen. „Die Nacht wird sehr wolkig und stürmisch sein. Man wird kaum die Hand vor Augen sehen. Sie werden also erst morgen, wenn es dämmert, ihre Maschinen in Stellung bringen können. Wir können und müssen sie also noch in dieser Nacht zerstören.“
„Das ist der helle Wahnsinn“, grinste der erste Zugführer. „Was denkst du?“, fragte er den zweiten Zugführer.
Der schaute Walter von Assmannshausen an als wäre er verrückt. „Aber immerhin ist es ein Plan“, meinte er dann. „Und diese Frau und die Kinder wollen das wirklich machen? Meinst du, die schaffen das?“
„Ja, ich denke, sie werden das schaffen“, nickte Walter. „Wir müssen aber mit unseren Bogenschützen zwei Reihen bilden und ihren Rückzug decken, wenn es schief gehen sollte und ihnen die Flucht gelingt. Das sind wir ihnen schuldig.“
Der zweite Zugführer drehte sich zu seinen Männern um. „Soldaten, wir haben einen Plan und Krieg ist unser Handwerk“, rief er. „Was diese vier Zivilisten können, können wir auch. Wir werden den Franzosen ordentlich in den Hintern treten. Macht ihr mit?“
Die Soldaten der beiden Züge riefen und brüllten durcheinander. Jeder zeigte auf seine Art, dass er Walter von Assmannshausen folgen wolle.
Bis zum Abend wurden alle Bögen noch einmal durchgesehen. Was nicht wirklich perfekt war, wurde repariert. Aus dem Material, das in der Burg vorhanden war, wurden noch gut drei Dutzend Pfeile hergestellt. Die Waffen wurden poliert, die Schneiden geschärft und das Pulver gleichmäßig auf die Träger der Handfeuerwaffen verteilt. Die Frauen, die auf der Burg waren, wurden von Frau Steinhagen zusammengerufen. Sie zeigte ihnen, wie man Wunden verbindet, wie man gebrochene Arme oder Beine schient und wie man mit Wasser einen schwachen Blutkreislauf stabilisiert. So etwas hatten die Frauen noch nie gesehen oder gehört und bewunderten Frau Steinhagen wegen ihrer medizinischen Kenntnisse. Auf die vielen Fragen hin erzählte sie, dass sie in Wiesbaden schon oft einem Doktor zur Hand gegangen sei. Sie konnte ja schlecht erzählen, dass sie schon mehrere Erste-Hilfe-Kurse absolviert hatte.
Der Prinz hatte sich schon längst wortlos in seine Gemächer zurückgezogen. Er hatte schnell bemerkt, dass er als Feigling verschrien war und dass keiner mehr Wert auf seine Anwesenheit legte.
Walter von Assmannshausen war, wenn auch später als von den Franzosen gewollt, mit einem kleinen Trupp in deren Lager geritten und hatte offiziell mitgeteilt, dass der Prinz und die Besatzung die Burg nicht freiwillig räumen würden. Es war schon dunkel, als er von den Franzosen zurückkam. Er berichtete den Männern, dass er es nur einfach abgelehnt hätte, die Burg kampflos zu übergeben. Der französische Befehlshaber hatte daraufhin angekündigt, dass sie morgen die Burg angreifen würden.
Frau Steinhagen hatte sich inzwischen umgezogen. Sie trug nun Männerkleidung. Die Hose und das Hemd waren ihr zu groß. Oben wurde die Hose durch einen Gürtel festgehalten, die zu langen Beine wurden einfach abgeschnitten. Auch Susanne und Annika hatten Hosen und Hemden von einigen Jungen bekommen, die mit ihren Eltern hier auf der Burg lebten. Ihnen passte die Kleidung recht gut.
„Frau Erika, in dieser Kleidung kommt ihre Figur aber wirklich gut zur Geltung“, grinste Walter. „Ich habe Bertas Figur auch schon einige Male ohne die lästigen Kleider gesehen. Obwohl Ihr einige Jahre älter seid, habt ihr, wie Berta, eine herrliche Figur. Aber Ihr seid verheiratet und ich habe Berta mein Wort gegeben und bereue es nicht. Ich würde Euren Gatten beneiden, wenn ich Berta nicht hätte. Jedenfalls könnt Ihr und die Mädchen in dieser Kleidung gut durchs Gelände kommen. Die langen Röcke stören euch nun nicht mehr.“
„Walter, ich habe alles ganz genau gehört“, rief Berta lachend. „Warte nur ab, wenn dies hier vorbei ist. Dann mache ich dir die Hölle heiß.“
„Der Himmel auf Erden und nur mit dir wäre mir aber lieber“, grinste Walter. „So, jetzt aber keine Späßchen mehr. Wir rücken ab, alles Aufstellung nehmen“, rief er.
Die Soldaten besetzten die Wehrgänge, die Bogenschützen nahmen Aufstellung. Ihre Köcher waren prall mit Pfeilen gefüllt. Zudem hatte jeder noch ein kurzes Schwert im Gürtel. Auch Frau Steinhagen und Oskar hatten ihre Schwerter im Gürtel. Die Stöcke ließen sie zurück, sie wären im Wald und beim Anschleichen auf das französische Lager nur hinderlich. Berta nahm nacheinander die Kinder in ihre Arme und wünschte ihnen Glück und eine gute Heimkehr.
„Erika, du bist mir die liebste Freundin, die ich je hatte“, meinte Berta mit Tränen in den Augen. „Komm gesund wieder nach Hause.“
Sie ging langsam zu Walter, küsste ihn wortlos und ohne Scheu. „Viel Glück, Männer“, rief sie den Soldaten zu und rannte dann schnell in ihre Küche.
„Ich möchte mit euch gehen“, sagte eine Stimme. Aus dem Hintergrund kam Prinz Friedrich und stellte sich zu den Bogenschützen. Er hatte die gewöhnliche Tracht eines Soldaten angezogen. „Ich kann sehr gut mit Pfeil und Bogen umgehen und ich habe meinen eigenen Bogen dabei. Ich werde euch allen beweisen, dass ich kein Feigling bin und unterstelle mich Eurem Befehl, Herr Walter von Assmannshausen. Behandelt mich bitte wie einen normalen Bogenschützen und Soldaten. Nehmt keine Rücksicht auf mich, ich werde schon klar kommen.“
Walter ging zum Prinzen. „Ich hatte gehofft, dass Ihr Euch fangen würdet. Es ist mir eine Ehre, dass Ihr mit dabei seid“, meinte er. „Bei diesem nächtlichen Unternehmen kann ich auf keinen Rücksicht nehmen. Jeder muss an seinem Platz stehen und sein Bestes geben. Aber seid versichert, nach diesem Unternehmen werden alle für Euch sterben, wenn es sein müsste.“
Walter drehte sich zu den Soldaten um. „Ein Hoch auf Prinz Friedrich. Er hatte nur einen kleinen Durchhänger. Jetzt ist er wieder ein ganzer Mann, dem wir getrost folgen können.“
Die Soldaten jubelten dem Prinzen zu und ließen ihn hochleben. Dann rief Walter wieder alle zur Ordnung und setzte sich in Bewegung.
Kriegsmaschinen
„Dass ihr mir ja die Augen offen haltet“, rief Walter den Torwachen zu. „Es könnte sein, dass wir ziemlich schnell angerannt kommen, weil es da oben etwas knapp geworden ist“, ermahnte er die Wachen auf den Laufgängen. „Ihr müsst auf die Franzosen schießen, aber nicht auf uns“, scherzte er.
Die Torwachen öffneten grinsend das Tor und schweigend verließ der ganze Kriegstrupp die Burg.
„Oskar zu mir“, befahl Walter leise. Sekunden später stand Oskar neben Walter von Assmannshausen. „Du gehst voran, denn du hast die besten Augen. Diese zwei Männer werden dir in kurzem Abstand folgen. Es sind Jäger, die es verstehen, sich lautlos in der Wildnis zu bewegen. Wenn du Späher der Franzosen siehst, gib den beiden ein Zeichen. Sie werden die Späher aus dem Weg räumen und uns warnen, wenn vor uns noch mehr Soldaten sind. Nehmt Frau Erika und die Mädchen in die Mitte. Und nun keinen Ton mehr. Ab jetzt wird es richtig gefährlich.“
Oskar huschte los und war wenige Augenblicke später verschwunden.
„Halt, nicht so schnell, Jungchen“, rief einer der Jäger sofort. „Du bist wirklich völlig lautlos und auch viel schneller als wir. Aber wir können das nicht so gut wie du, also mach etwas langsamer. Hast du schon was gesehen?“
„Entschuldigt bitte“, meinte Oskar. „Ich werde jetzt etwas langsamer gehen. Und nein, es ist niemand in der Nähe.“