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***Wer will schon nach Hawaii, wenn er Norderney vor der Tür hat?*** Was macht ein Ostfriese, wenn der Strom ausfällt?* Sind Ostfriesenwitze lustiger, wenn man Bohntjesopp intus hat? Sind Börjes, Feuke und Wobke Frauen- oder Männernamen? Wie kompliziert sind Boßeln, Klootschießen und Schöfeln? Die Journalistinnen und Autorinnen Insa Lienemann und Katharina Jakob verraten Wissenswertes, Unbekanntes und Kurioses über Ostfriesland. Sie räumen mit Vorurteilen auf, geben Tipps zum Umgang mit feierwütigen Ostfriesen und sprachlichen Barrieren. ***Das kleinste Buch über Deutschlands windigste Gegend*** *Er geht ins Watt und holt sich ein paar Kilo.
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Seitenzahl: 249
Veröffentlichungsjahr: 2015
Katharina Jakob | Insa Lienemann
Was Reiseführer verschweigen - Mit einem Vorwort von Klaus-Peter Wolf
»Tied is all us'n.«
(Die Zeit gehört uns. Bedeutet: Es ist nicht schlimm zu warten.
Lebensweisheit aus ostfriesischen Arztpraxen)
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Katharina Jakob kommt vom Bodensee und lebt seit 1988 in Hamburg. Sie ist ein großer Fan von Ostfriesland – auch dank guter ostfriesischer Freunde. Sie studierte Journalistik und Musikwissenschaft, wurde Redakteurin und arbeitet heute als freie Journalistin und Autorin.
Insa Lienemann führt neben ihrer Arbeit als Autorin vor allem ein erfolgreiches Familienunternehmen: Mit ihrem Mann und ihren drei Kindern wohnt die gebürtige Ostfriesin (1977) nach einigen Jahren in Hamburg heute wieder im Herzen Ostfrieslands.
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Coverabbildung: Shutterstock
Originalausgabe
Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403374-7
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Vorwort von Klaus-Peter Wolf
Munter!
Gesellschaft
Früher war alles besser?
Wo sind Sie gerade? In Ostfriesland oder in Ost-Friesland?
Warum muss man das wissen?
Ostfriesland in Kürze
Ostfriesische Mentalität für Einsteiger
Niemandem untertan
Wie gewinnt man nun das ostfriesische Herz?
Ostfriesen lieben ihr Land
Ein Land, zwei Wappen
Flagge
Hymne
Humor in Ostfriesland: Wer Spaß hat und wer nicht
Humor für Fortgeschrittene
Böskupp van Oostfreesland
Selbst Ostfriese werden
Die Sache mit dem Witz
Nicht alle sind platt: fünf etwas bessere Ostfriesenwitze
Schluss mit lustig
Sprache
Ostfriesische Vornamen – von Anfang an anders
Was für ein Geschlecht hat denn nun ein Baby, das einem stolz gezeigt wird und Hientje heißt?
Ostfriesische Familiennamen: Warum einfach, wenns auch querbeet geht?
Zwischennamen – eine ostfriesische Sonderregelung
Wieso heißt einer Affe?
Statt einer Namensliste: zwei Namensgedichte
Frauennamen
Männernamen
Platt: Uncool? Weit gefehlt!
Platt unter Kulturschutz
Ackersnacker?
Der Ostfriesen-Oscar
Echt ostfriesisch: das Saterfriesische, das auch dank eines Afroamerikaners nicht sterben musste
Von Boston nach Vechta
Psalmen auf Saterfriesisch
Woher kommt das Saterfriesische?
Und wie hört sich das an?
Kultur
Rituale, Feste und Brauchtum: feiern, was das Jahr hergibt
Karbidschießen: Ostfrieslands dicke Berta
Speckendicken und Neujahrslaufen: keine halben Sachen
Plattdüütsk – Hochdeutsch zum Jahreswechsel
Fastnachtslaufen der Handwerker: Teufelsgeiger an der Tür
Ostern: Wettkampf der bunten Eier
Ostfriesenspiele im Freien
Der Maibaum: Kampf um die Ehre
Brautpfadlegen in Aurich
Sommerfeste und Galli-Markt
Martini
Der Klaasohm: der böse Bruder vom Nikolaus
Bräuche fürs Leben und Sterben
Sargtragen
Totenheck
Drinkeldodenkarkhoff
Hochzeit, Geburt und Taufe – Ostfriesland ist Bogenland
Oll’ Mai: Wie man Ostfriese werden kann
Wie also wird man Ostfriese?
Indigenatsträger seit 2004
Ubbo-Emmius-Medaillenträger seit 2000
Bemerkenswerte Ostfriesen
Karl Heinrich Ulrichs, Vorkämpfer für die Rechte Homosexueller
Miene Schönberg, Mutter der US-Komiker Marx Brothers
Jan van Koningsveld, Weltmeister im Kopfrechnen
Bernd Flessner (»Flessi«), bester deutscher Windsurfer
Max Windmüller, jüdischer Widerstandskämpfer und Fluchthelfer
Ostfrieslands Gesundheit: Von Knochenbrechern, weltberühmten Ärzten und Pionierinnen
Der Arzt mit den Radarfingern
Hermine Heusler-Edenhuizen: die erste Frauenärztin Deutschlands
Orgelland Ostfriesland: Reich hinterm Deich
Der Großmeister
Die Konkurrenten
Feilschen um eine Orgel
Orgeln im Dornröschenschlaf
Wer ist die Schönste im Land? Die prächtigsten Orgeln Ostfrieslands
Klangverwöhntes Ostfriesland
Musikwochen satt
Die Emder Kunsthalle: ein leuchtender Stern
Franz-Radziwill-Haus in Varel: Wenn Ostfriesland selbst zur Kunst wird
Ist das Kunst, oder kann das weg? Ostfrieslands kulturelle Experimente
Science-Fiction-Literaturtage
Ostfriesische Krimitage
Ostfriesischer Kleinkunstpreis
Was macht Jens Pauw noch?
Plattdeutsches Theater: ganz oder gar nicht
Geschichte
Land der Entdeckungen: archäologische Funde aus Ostfriesland
Zehn spannende Funde aus der Küstenregion
Deichbau: Die See muss draußen bleiben
Der goldene Ring
»Well neeit will dieken, mutt wieken!«
Eine Tropenkrankheit an der Nordsee
Deichbau in Zahlen
Pest und Flut: Ostfrieslands apokalyptische Reiter
Der Schwarze Tod
Die Grote Mandränke
Trutz, Blanke Hans
Historische schwere Sturmfluten an der deutschen Nordseeküste
Die Friesische Freiheit: ein Sonderfall der Geschichte
Was hat es damit auf sich?
Das königsfernste Gebiet
Wie kam es zu diesem Unikum der Geschichte?
Stimmrecht der Vermögenden
Und das Ende?
Glossar
Mehr als hundert wilde Jahre: die Zeit der Häuptlinge
Hauen und Stechen
Freiheitsbund der Sieben Ostfriesenlande
Frauensleut’ am Steuer: Herrscherinnen an der norddeutschen Küste
Falsche Freunde: Häuptlinge und Piraten
Entern auf eigene Rechnung
Ehemalige Häfen der ostfriesischen Halbinsel
Carolinensiel
Jever
Hooksiel
Varel
Greetsiel
Altharlingersiel
Die dunkelste Zeit: Nationalsozialismus und Krieg
Folgen des NS-Regimes und des Zweiten Weltkrieges
Wirtschaft
Eine Region im Aufwind
Die blaue Fabrik am Meer: wie mit Volkswagen bescheidener Wohlstand kam
Fakten: 50 Jahre Volkswagen in Emden
Im Kreis der Familie: Ostfrieslands Hidden Champions
Vernunft contra Maschendrahtzaun: der Zusammenschluss in der Ems-Achse
Einer allein kann nichts bewegen? Da kennen Sie Tullum nicht! Über Ostfrieslands Mister A31
Eine Bombe platzt
Achtzehnstundenarbeitstage für ein Kind
Infrastruktur: ein Lebensthema
Und wieso jetzt Tullum?
Wenn man nur Bahnhof versteht: Aurichs Sehnsucht nach dem Schienenverkehr
Ostfriesland geschenkt
Urkräfte am Werk: Wirtschaften mit Meer und Wind
Werften und Reeder in kabbeliger See
Werften der Region Ems-Achse in Zahlen
Zu viele Schiffe
Der Jade-Weser-Port: Flaute am Kai
Windmacher
Daten und Fakten zu Enercon
Vom Wind zum Strom
Ökonomie zum Anfassen: Wo man ostfriesischer Wirtschaft ins Herz schauen kann
Milchwirtschaft: von Kuhkämpfen und Misswahlen
Kuhle Stallvideos
Miss Ostfriesland
10 Kühe aus Ostfriesland, auf die der VOSt besonders stolz ist
Die zehn ertragreichsten Bullen aus Ostfriesland (rund 350000 verkaufte Spermaportionen pro Tier)
Landwirtschaft zum Anfassen
Tourismus: Gast-Wirtschaft am »Ostfriesenspieß«
Wo tummeln sich die Gäste? Vor allem auf den Inseln:
Aber auch abseits der Küsten im Binnenland:
Wo man am liebsten Ja sagt
Friesische Unfreiheit
Durch Ostfriesland mit einem Euro
Handel mit Haus und Hof: die Immobilienwirtschaft
Urlaub für immer? Ferienimmobilien in Ostfriesland
Inselbonus
Das Glück des Ostfriesen: Wohnen im eigenen Haus
Stadt, Land, Fluss: Wo wohnen wie viel kostet
Die Branche des größtmöglichen Optimismus: ostfriesische Makler
Ein Haus im Ostfriesenstil? Rotklinker!
Gebäude mit Wittmunder Torfbrandklinker
Gebäude mit Wittmunder Klinker
Die Zeitungslandschaft: Ausdruck ostfriesischer Freiheit
Zu guter Letzt: eigenes Ostfriesengeld?
Natur
Vorne hui und hinten? Noch mehr hui! Das ostfriesische Binnenland
Ostfriesland, ein Park
Meer ohne Küste
Schaurig ist’s, übers Moor zu geh’n
Torf für das Dorf
Wenig Bäume? Mag sein, aber was für welche!
Garden Route in Südafrika? Nein, in Ostfriesland!
Burgfräulein und Schlossgespenst?
Vermutlich spukfreie Schlösser
Mühlenland
Das Watt: Weltnaturerbe und gefährliches Pflaster
Empfehlenswerte Wattwanderstrecken (einfache Strecken, zurück mit dem Schiff)
Tod im Watt
Watt für Vögel waten im Watt?
Glossar
Ostfrieslands natürliche Perlenkette: die Inseln – und zwar alle!
Welcher Seemann liegt bei Nanni im Bett?
Die bewohnten Eilande
Inseln in Zahlen
Vogelreich: die unbewohnten Inseln
Ist eine künstliche Insel überhaupt eine?
Unbewohnte Utwärtige
Es war einmal: die versunkenen Inseln
Strandfunde: Was man mitnehmen darf
Sport
Hauptsache, unter freiem Himmel: Friesensport
Boßeln für Kenner
Klootschießen
Der heimliche Nationalsport: Schöfeln
Schöfeln is dat Moiste, wat et gift up de wereld*
Pultstockspringen
Kreierrennen
Grober Unfug? »Ostfriesische« Olympiade
Disziplinen
Echte Meister
Auf heißen Socken durch Ostfriesland: der legendäre Ossiloop
Yes, we can: Trendsport in Ostfriesland
Und was ist mit dem Spitzensport?
Was sagt man dazu?
Kulinarisches
Zu Tisch! Wie Ostfriesland tafelt
Was ist ein typisch ostfriesisches Gericht?
Tatort Teestube?
Was sagt man dazu?
Nordsee, delikat
Essbare Diplomaten aus Ostfriesland
Ostfrieslands härteste Droge: die Bohntjesopp
Damit Sie wissen, womit Sie es zu tun haben
Die Teetied: Wie man sich in Ostfriesland bis auf die Knochen blamiert
Was haben Sie falsch gemacht?
Das ist ungewöhnlich – selbst für Ostfriesland
»Feucht und fest ist allerbest!« Urkunde für den schönsten Misthaufen
Maulwurfsfund Häuptlingsburg
Wir haben alles – auch einen Äquator
Friesen-Tequila
Quellen und Links
Wichtige Links
Danke!
Bittje scheef hett Gott [...]
Ostfriesland ist Krimiland. Fast nirgendwo sonst auf der Welt gibt es prozentual zur Bevölkerung so viele Kriminalschriftsteller wie in Ostfriesland. Und einige von ihnen sind wirklich gut. Um wenigstens ein paar zu nennen: Christiane Franke, Regine Kölpin, Manfred C. Schmidt und Peter Gerdes.
Der Krimi made in Deutschland trat von hier aus seinen Siegeszug an. Hansjörg Martin schrieb 1965 auf Norderney seinen Krimi ›Gefährliche Neugier‹, der vom »Stern« vorabgedruckt wurde und ihn auf Anhieb berühmt machte. Sein zweiter Kriminalroman ›Kein Schnaps für Tamara‹ wurde in Norden verfilmt, und noch heute gibt es legendäre Aufführungen im Kino.
Alle zwei Jahre im November finden die Ostfriesischen Krimitage statt. Kriminalschriftsteller kommen aus dem ganzen Land an die Küste und lesen an ungewöhnlichen Orten, z.B. in der Museumseisenbahn auf der Fahrt von Norden über Hage nach Dornum. Nie sah ich einen Schaffner mit mehr Leidenschaft Fahrkarten abknipsen als dort.
Krimilesungen gibt es auch in der Polizeiinspektion, im Gericht und natürlich auf Schiffen. Aber hier heißt es früh buchen! Veranstaltungen während der Ostfriesischen Krimitage sind rasch ausverkauft.
In den Ferien – wenn die Touristen die Insel mit dem Fahrrad entdecken – gibt es auf Langeoog immer wieder Lesungen von beliebten Kriminalschriftstellern.
In Norden und Norddeich gibt es regelmäßige Stadtführungen zu den Schauplätzen meiner literarischen Verbrechen. Die kostenlose App Ostfriesenkrimi-Guide führt Leser zu den Kultstätten ostfriesischer Mordserien. In Leer darf man auf keinen Fall versäumen, die Krimibuchhandlung »Tatort Taraxacum« zu besuchen. Hier gibt es regelmäßig Lesungen, und der Koch im Restaurant ist kriminell gut.
Warum ist ausgerechnet Ostfriesland Schauplatz vieler literarischer Verbrechen? Warum zieht die Region Krimiautoren an?
Vielleicht hat das alles etwas mit der Geschichte Ostfrieslands zu tun. Hier gibt es den Wechsel der Gezeiten, und die Küste ist für viele ein mystischer Ort. Der Deich zieht eine klare Trennungslinie. Hier bist du in Sicherheit. Dahinter wartet das Abenteuer, möglicherweise aber auch der Tod auf dich.
Viele Ostfriesen waren früher Strandräuber. Nicht, dass sie kriminell waren, nein, das nicht. Es waren arme Fischer und Kleinbauern, die sich herrenlose Dinge aneigneten, die die Wellen an den Strand spülten. Dieses Strandgut sicherte vielen die Existenz. Wenn irgendwo ein Schiff unterging, kam bei einigen Freude auf, und wo die Männer selbst zur See fuhren, wussten sie, dass bald herrenlose Kisten angespült werden.
Das Strandrecht sah vor, dass, wenn die Besatzung umgekommen war, alles, was die Wellen anspülten, dem Strandgänger gehörte. Das führte in einigen Regionen leider dazu, dass falsche Leuchtfeuer gelegt wurden, um Schiffe in Seenot zu bringen. Die Mannschaft wurde dann nicht gerettet, sondern musste ersaufen, damit die Aneignung der Waren rechtens wurde.
1860, nach schweren Schiffsunglücken an der Nordseeküste, wurde in Emden ein Verein zur Rettung Schiffbrüchiger gegründet, aus dem die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) hervorging. Heute sind sechzig Rettungseinheiten im Einsatz. Die Rettungsflotte zählt zu den leistungsfähigsten der Welt. Der Verein feiert gerade sein hundertfünfzigstes Jubiläum.
Die Nachfahren der Strandräuber sind ehrenamtliche Helfer geworden. Doch noch immer lieben sie Geschichten, die von Recht und Unrecht handeln – eben Kriminalromane.
Geradezu ein Mekka für Ostfriesenkrimi-Fans auf literarischer Spurensuche ist das Café ten Cate, wo der (fiktive) Chef der ostfriesischen Polizei, Ubbo Heide, seine berühmten Marzipan-Seehunde kauft, die ihm helfen, wenn bei komplizierten Fällen seine Magensäure zu blubbern beginnt. Und hier steht tatsächlich Monika Tapper, die Freundin der Kommissarin Ann Kathrin Klaasen, hinter der Ladentheke. Und auch den Konditor Jörg Tapper gibt es wirklich. Hier im Café sitzen manchmal Autoren und schreiben (ich selbst auch sehr gerne). Und natürlich spielt das Café ten Cate in meinen Krimis eine wichtige Rolle.
Juist nennt sich Krimi-Insel, und Norden-Norddeich hat sich zur Krimi-Küste erklärt.
Direkt um die Ecke, knapp hundert Schritte weiter, liegt das Stadthotel Smutje.
Welcher Krimifan will nicht mal dort Deichlamm gegessen haben, wo Ann Kathrin Klaasen, die Galionsfigur der ostfriesischen Polizei, und ihr Mann, Kommissar Frank Weller, ein- und ausgehen? Am besten genießt man hier einen Ostfriesentee, der natürlich in einer edlen Porzellantasse auf einem Unterteller mit Kluntje und Sahne serviert wird. Dazu Krintstuut, Weißbrot mit Rosinen und Butter darauf.
Warum man den Tee ausschließlich in edlem Geschirr bekommt? Nun, alles andere würde gegen die Religion der Ostfriesen verstoßen. Tee ohne feines Porzellan? Das wäre nun wirklich ein Verbrechen.
Klaus-Peter Wolf
Das Land der Ostfriesen ist flach und karg. Glaubt man. Und der ostfriesische Menschenschlag ist wortkarg, verschroben und einfältig. Das gehört zum Grundwissen jedes Utwärtigen (Fremden) – und ist ein echter Ostfriesenwitz.
Denn abseits der bekannten Pfade ist das Küstenland enorm vielfältig und manchmal geradezu verwunschen. Und was seine wortkargen Bewohner betrifft: Sie befinden sich überaus oft in Feierlaune, fallen gern bei ihren Nachbarn ein und nötigen sie zu einer Party. Verschroben? Nein, bloß unbeugsam in ihrem Freigeist, an dem sich die Obrigkeit stets die Zähne ausgebissen hat. Einfältig? Ist nur der Besucher, der nicht mitbekommt, wie erbarmungslos ihn ein Ostfriese verschaukelt.
Wenn Sie das Land der Ostfriesen besuchen, machen Sie es seinen Bewohnern nach: Verlieren Sie keine unnötigen Worte. Nehmen Sie sich Zeit, und schauen Sie genau hin. Sie werden mehr entdecken, als Sie ahnen.
Katharina Jakob und Insa Lienemann
[1]
ostfriesischer Gruß
Nicht in Ostfriesland. Derzeit erlebt die Region einen Aufschwung, im einstigen Armenhaus der Republik sind Arbeitsplätze keine Mangelware mehr. Man muss also nicht auswandern wie anno 1847, um anderswo sein Glück zu machen. Trotzdem bleibt der Ostfriese bei diesen Aussichten gelassen, denn er kennt so ein Auf und Ab gut. In seiner Heimat war das nie anders. Einst bitterarme Warftenbewohner mauserten sich zu wohlhabenden Bauern, die ihren Reichtum im Lauf der Jahrhunderte wieder einbüßten. Frisch eingedeichtes Land holte sich die See zurück, und alles begann wieder von vorn. Ostfriesen haben es gelernt, mit den Elementen und dem einzig Stetigen zu leben, das es auf der Welt gibt: der Veränderung.
Wer hierherkommt, kann sich also jede Menge Seelenruhe abschauen. Und dabei lernen, dass man manchmal nur ein Wort braucht, um einen ganzen Satz zu sagen. »Moin« etwa. Anderswo hieße das vielleicht: »Guten Morgen, ist das Wetter nicht toll heute? Haben Sie noch einen schönen Tag.« »Moin« bedeutet all dies. Es ist ein Gruß und verwandt mit »mooi«, dem Begriff für »gut« und »schön«. Deshalb sagt man »Moin« morgens, mittags, abends und nachts. Mehr braucht es nicht. Dennoch achtet der Ostfriese auf Nuancen. Wie Sie gleich noch sehen werden.
Die Sache mit dem Bindestrich ist wichtig. Zumindest wichtig zu wissen, denn Ostfriesland und Ost-Friesland sind nicht identisch. Ostfriesland selbst ist das mehr als 3000 quadratkilometergroße Gebiet, das sich auf die Landkreise Aurich, Leer und Wittmund sowie die kreisfreie Stadt Emden beschränkt, hinzu kommen noch die Ostfriesischen Inseln. Das ist Ostfriesland. Ost-Friesland hingegen ist eine Erweiterung dieser Region um die Stadt Wilhelmshaven und den Landkreis Friesland. Manchmal zählen Touristiker bei der »Ferienregion Ostfriesland« auch noch Teile des Ammerlandes und des Emslandes hinzu. Die netteste Umschreibung des gesamten ost-friesischen Gebiets lautet »ostfriesische Halbinsel«. Diesen Begriff haben wir immer dann benutzt, wenn wir über Ostfrieslands Grenzen hinaus geschrieben haben.
Selbst sprachlich gibt es einen Unterschied: Ostfriesland hat seine Betonung auf der zweiten Silbe – Ostfriesland –, während man Ost-Friesland auf der ersten Silbe betont.
Weil sowohl der Landkreis Friesland als auch die Stadt Wilhelmshaven zum Oldenburger Land gehören. Oldenburger und Ostfriesen verband eine über die Jahrhunderte gepflegte innige Abneigung. Auch die Emsländer und die Ostfriesen waren einander nicht eben grün. Und dass die Ammerländer den Ostfriesenwitz in die Welt gesetzt haben, ist ebenfalls eine Sache, die der Ostfriese im Sündenregister notiert hat. Kurz, mit den Nachbarn hüben und drüben machte man sich nicht so gern gemein.
In heutigen Tagen wird mit den Ressentiments von einst meist humorvoll umgegangen, es gibt längst Kooperationen zwischen den Regionen. Doch die sportlichen Wettkämpfe, etwa beim Boßeln, haben bis heute Derby-Charakter. Als Ostfriese gegen einen Oldenburger zu gewinnen, ist noch immer das Salz in der Suppe jedes Teilnehmers.
Wenn sich ein Gast nicht blamieren will, kennt er also die Sache mit dem Bindestrich und verkündet nicht lauthals, dass er »auch schon öfter im Urlaub in Ostfriesland war«, wenn er die Stadt Jever besucht hat. Denn die liegt – genau – im Oldenburgischen. (Übrigens: Jever wird mit Vogel-Vau ausgesprochen, also wie »Je-fer«.)
Geographisches Gebiet: Ostfriesland liegt in Deutschlands äußerstem Nordwesten. Im Norden grenzt es an die Nordsee, im Westen an den Dollart und an die Niederlande. Zu Ostfriesland gehören die Landkreise Aurich, Leer und Wittmund sowie die kreisfreie Stadt Emden und die Ostfriesischen Inseln Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog und Spiekeroog. Wangerooge wird zwar auch zu den Ostfriesischen Inseln gezählt, gehört aber zum Oldenburger Land.
Fläche: rund 3000 Quadratkilometer (exakt: 3144,26 km2)
Einwohner: rund 460000. Ostfriesland ist eine dünn besiedelte Region (zum Vergleich: In Berlin leben etwa 3,4 Millionen Menschen auf knapp 892 Quadratkilometer Fläche).
Größte Stadt: Emden (Einwohnerzahl: 49551, Stand 2013, Statistisches Bundesamt). Aurich wird dagegen als heimliche Hauptstadt Ostfrieslands bezeichnet, da es lange Zeit Verwaltungssitz der jeweiligen Obrigkeit war (Einwohnerzahl: 40559). Leer ist einer der wichtigsten Reederei-Standorte Deutschlands (Einwohnerzahl: 33892).
Wichtigste Branchen: Tourismus, Landwirtschaft (vor allem Milchwirtschaft), maritime Wirtschaft (Reedereien, Werften), Automobilbau und erneuerbare Energien (Windkraft)
Parteienlandschaft: Ostfriesland ist traditionelles SPD-Land (während das katholisch geprägte Emsland der CDU zugeneigt ist).
Landessprache: Ostfriesisches Platt (Variante des Niederdeutschen)
Religionszugehörigkeit: mehrheitlich protestantisch, in einigen Gemeinden evangelisch-reformiert. Die römisch-katholische Kirche befindet sich stark in der Minderheit (etwa sieben Prozent der Ostfriesen); in Emden steht die erste ostfriesische Moschee, die Eyüp-Sultan-Moschee; Juden gibt es nur noch wenige in Ostfriesland, sie gehören zur jüdischen Gemeinde in Oldenburg (derzeit 314 Mitglieder).
Fremde Herren: Die Ostfriesen waren jahrhundertelang ihre eigenen Herren. Doch irgendwann ging diese Ära zu Ende, und die Zeit der Fremdherrschaft begann:
1744: Carl Edzard, der letzte ostfriesische Cirksena-Fürst, stirbt kinderlos. Preußenkönig Friedrich der Große übernimmt die Herrschaft über Ostfriesland.
1807–13: Preußen unterliegt Napoleon, Ostfriesland fällt erst unter niederländische, dann unter französische Herrschaft, geht 1813 wieder an Preußen zurück.
1815: Preußen tritt Ostfriesland an das Königreich Hannover ab.
1866: Ostfriesland wird erneut preußisch.
1946: Nach dem Zweiten Weltkrieg gehört Ostfriesland zum Bundesland Niedersachsen.
Unverzichtbare ostfriesische Lektüre: der Ostfreesland-Kalender, auch »Kalender für Jedermann« genannt. Ihn gibt es seit 1914. Er ist ein Lese- und Nachschlagewerk zugleich. Außer Geschichten, Gedichten und historischen Beiträgen finden sich darin auch die Hochwasserzeiten, ein Trächtigkeitskalender und etwa 2000 Adressen aller möglichen Vereine und Behörden.
Das Wichtigste ist schnell gesagt: In Ostfriesland ist alles anders als im Rest der Republik, denn die Bewohner kochen in fast jeder Hinsicht ihr eigenes Süppchen. Sie trinken zehnmal mehr Tee als im übrigen Land. Sie geben ihren Kindern Namen, die man sonst nirgends hört, sie pflegen besondere Sportarten, haben einen eigenen Äquator und lassen sich von ihren persönlichen Heilkundigen behandeln – den legendären Knochenbrechern –, die sie oft lieber aufsuchen als Ärzte. Sie hatten früher eine ganz eigene Sprache, die inzwischen ausgestorben ist: das osterlauwerssche Friesisch. Nicht zu verwechseln mit dem Platt, das heute in der Region gesprochen wird und das ein Auswärtiger genauso wenig versteht. Ja, sie hatten bis 2013 sogar ein eigenes ostfriesisches Facebook namens Morphex, das aber inzwischen seinen Dienst eingestellt hat. Kurz: Die Ostfriesen sind ein sehr eigenes Volk.
Das hat historische Gründe, und die wiederum haben viel mit der abgelegenen Position der ostfriesischen Halbinsel zu tun. Sie drängt sich an den äußersten nordwestlichen Rand Deutschlands. In früheren Zeiten waren die Bewohner vollauf damit beschäftigt, ihren Platz auf dieser Scholle zu behaupten: Von der einen Seite rollte das Meer heran, das ihnen immer wieder das Land wegspülte, zur anderen Seite, zum Binnenland hin, lagen die Moore. Und die mussten erst mal trockengelegt werden, wollte man überhaupt Grund unter die Füße bekommen. Die Region war also alles andere als lieblich. Hier kam auch kein Fremder vorbei, um sich mal die Gegend anzusehen. All das formte den ostfriesischen Menschenschlag, wie Wasser Kieselsteine poliert. Nur dass der Ostfriese sich seine Kanten bewahrt hat.
Weil er hart dafür gekämpft hat, dass sein Land auch Land bleibt, hat er wenig Sinn für Smalltalk. Dabei ist er durchaus gesellig: Zum Feiern muss ihn keiner überreden. Gern taucht er bei seinen Nachbarn auf, um sie zu einem Umtrunk zu bewegen. Mit Wind und Wetter kommt er bestens klar, Windmacher auf zwei Beinen sind ihm allerdings ein Gräuel. Wer sich vor einem Ostfriesen dicke machen will, wird alle Facetten ostfriesischer Geringschätzung zu spüren bekommen. Im besten Fall wird er zur Zielscheibe gnadenloser Hänseleien. Ein Gast ist also gut beraten, sich zurückhaltend und höflich zu benehmen.
Apropos: Es ist nicht höflich, einem Ostfriesen einen Ostfriesenwitz zu erzählen und zu erwarten, dass er herzlich mitlacht. Diese Menschen sind stolz. Sie haben zwar gelernt, gelassen mit der Plage der Landeswitze umzugehen, aber man sollte ihren Langmut nicht überstrapazieren. Mit freundlichem Understatement kann man es dagegen in Ostfriesland weit bringen. Und zwar ziemlich ungestört. Das ist ein großes Plus: Ostfriesen sind recht tolerante Leute. Wer anders leben will, wird in Ruhe gelassen, selbst auf den Dörfern. Soziale Kontrolle wie anderswo gibt es hier wenig. Das liegt vor allem an der tiefen, historischen und allumfassenden Liebe des Ostfriesen zur Freiheit.
Jahrhundertelang hat er allem getrotzt, was ihn regieren wollte, und seine eigenen Oberhäupter durchgesetzt. Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff, Ex-Landesvater von Niedersachsen und bekennender Ostfriesland-Fan, sprach immer wieder von der 800-jährigen Freiheitsgeschichte der Ostfriesen. Es war ihm während seiner Amtszeiten nicht entgangen, dass der politische Einfluss von Brüssel, Berlin oder Hannover auf das Küstenvolk auffallend gering ist. Doch diese Liebe zur Freiheit kann manchmal auch paradox sein: Ostfriesen wohnen nicht gern zur Miete, da wäre man ja abhängig von einem Vermieter. Sie haben lieber ein eigenes Haus, auch wenn das bedeutet, ein Leben lang im Joch des Kreditzahlers zu stecken.
Indem man zum einen offen ist für die raue Schönheit des Landes, denn die Ostfriesen sind zutiefst heimatverbunden. Sie freuen sich, wenn der Gast nicht gleich zur Küste durchfährt, sondern auch Augen hat für den Rest der Region. Zum anderen, indem man sich niemandem aufdrängt oder zum Plaudern bewegen will, sondern diskret und gelassen bleibt. Und wer es dann noch hinkriegt, über Witze auf seine Kosten zu lachen, hat den Respekt seines ostfriesischen Gegenübers gewonnen. Wenn nicht sogar einen Freund.
Und sie haben alles, was ein freier Staat braucht: eine eigene Flagge, Wappen und eine Hymne. Folgerichtig spricht auch die Ostfriesische Botschaft (ja, die gibt es tatsächlich) vom Freistaat Ostfriesland.
Ostfriesland hat nicht nur ein Wappen, sondern gleich zwei. Das eine, das man häufiger sieht, wurde um 1625 von einem Abkömmling der ostfriesischen Grafenfamilie Cirksena geschaffen. Es stellt so etwas wie eine Collage aus den Wappen der wichtigsten ostfriesischen Häuptlingsfamilien dar. Ostfriesland war viele Jahrhunderte lang das Land freier Bauern, die sich ihre Vertreter selbst wählten. Aus den Familien dieser Volksvertreter entstanden später ostfriesische Häuptlingsdynastien, noch später Grafengeschlechter.
Neben den Symbolen trägt dieses Wappen die ostfriesischen Landesfarben Schwarz, Rot und Blau. Über all dem steht ein seltsamer Spruch: Eala Frya Fresena.
Das bedeutet so viel wie: Seid gegrüßt, freie Friesen! Oder auch: Erhebt euch, freie Friesen! Diese Worte stehen für die historische »Friesische Freiheit«, das verbriefte Recht des Küstenvolks früherer Zeiten, sein eigener Herr zu sein. Ostfrieslandgäste werden Eala Frya Fresena überall in der Region entdecken können, in Souvenirshops, auf Autoaufklebern, ja sogar auf Schildern an den beiden Autobahnen A28 und A31.
Warum aber zwei Wappen? Dem liegt kein Streit rivalisierender Herrscherhäuser zugrunde, sondern eine ostfriesische Besonderheit: die »Ostfriesische Landschaft«. Mit Geographie hat sie rein gar nichts zu tun. Die Ostfriesische Landschaft war eine Ständevertretung im Mittelalter und verfocht die Belange der ostfriesischen Bevölkerung (in Gestalt der Stände Ritter, Bürger und Bauern) gegenüber dem jeweiligen Landesherrn. Im Jahr 1678 wurde ihr ein eigenes Wappen vom römisch-deutschen Kaiser verliehen. Sie besaß neben den regierenden Fürsten umfangreiche politische Rechte, wurde quasi wie ein Souverän betrachtet. Das war in Deutschland einmalig: Hier stand eine Volksvertretung auf Augenhöhe mit dem regierenden Herrscherhaus.
Heute ist die Ostfriesische Landschaft ein Kulturparlament (in der Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechts) und nimmt kulturelle, wissenschaftliche und bildungsbezogene Aufgaben wahr. Ihre Mitglieder werden von den Kommunalparlamenten der drei Landkreise Aurich, Wittmund und Leer sowie der Stadt Emden gewählt.
Das Wappen der Ostfriesischen Landschaft zeigt in seiner Mitte einen Baum auf rotem Grund, daneben einen Mann in Rüstung: ein Hinweis auf den Upstalsboom, den einstigen Treffpunkt der ostfriesischen Volksvertreter.
Sie besteht aus drei Querbalken in den Landesfarben Schwarz, Rot und Blau. Auch diese gehen auf die wichtigsten Häuptlingsfamilien zurück: Schwarz für die Familie der Cirksena, Rot für die tom Brok und Blau für die Wappen der Harlingerländer.
Die ostfriesische Hymne oder schlicht »das Ostfriesenlied« entstand aus Heimweh. Der Landesdichter Enno Wilhelm Hektor musste 1849 auswandern, weil er zu Hause kein Auskommen mehr fand. 1850 dichtete er in der Fremde ein Lied der Wehmut und nannte es »Sehnsucht nach der Heimat«. Die Melodie kennt jedes Kind, sie ist dieselbe wie die des Volkslieds »Weißt du, wie viel Sternlein stehen?«.
Insgesamt hat das Lied fünf Strophen. Aber schon nach der zweiten weiß man, dass der Dichter ein Paradies auf Erden verlassen hat.
In Oostfreesland is’t am besten
over Freesland geit der nix!
War sünd woll de Wichter mojer,
war de Jungse woll so fix?
In Oostfreesland mag ik wesen,
anners nargens lever wesen,
over Freesland geit der nix.
Nargens bleiht de Saat so moje,
nargens is de Buur so riek,
nargens sünd de Kojen fetter,
nargens geiht de Ploog so liek,
nargens gifft’t so feste Knaken,
weet man leckerder to maken
Botter, Kees’ un Karmelkbree.
(Enno Hektor, 1850)
Für alle Nichtostfriesen die Übersetzung:
In Ostfriesland ist’s am besten
über Friesland, da geht nichts!
Wo sind wohl die Mädchen schöner,
wo die Jungen wohl so tüchtig?
In Ostfriesland mag ich sein,
nirgendwo anders lieber sein,
über Friesland, da geht nichts.
Nirgendwo blüht die Saat so schön,
nirgendwo ist der Bauer so reich,
nirgendwo sind die Kühe fetter,
nirgendwo geht der Pflug so gerade,
nirgendwo gibt’s so feste Knochen,
weiß man leckerer zu machen
Butter, Käse und Buttermilchbrei.
Ostfriesen haben tatsächlich einen ganz speziellen Humor, der vor allem darin besteht, sich und andere auf den Arm zu nehmen. Recht anschaulich symbolisiert das die Brunnenfigur des Jan Schüpp in der Stadt Wittmund. Der kleine Arbeiter aus Bronze hält eine Schaufel (»Schüpp«) am Griff und steht zugleich mit einem Fuß auf dem Schaufelblatt, nimmt sich also buchstäblich selbst auf die Schippe. Jan Schüpp steht für eine typisch ostfriesische Lebenshaltung, und die heißt: Nimm dich nicht so wichtig.
Diese Einstellung hat wie der Eigensinn der Ostfriesen ebenfalls historische Gründe. Die Küstenregion war und ist ein stets von Stürmen heimgesuchtes Land, und oft genug ging es ums nackte Überleben. Brach der Deich, wurden ganze Dörfer überspült und Existenzen vernichtet. Da brauchte man rasch zupackende Nachbarn, die sich wortlos gegenseitig halfen. Was man nicht brauchte, waren Wichtigtuer und Maulhelden.
Das Wissen, wie schnell die Natur von Menschenhand Errichtetes zerstören kann, trägt jeder Ostfriese in seinen Genen, auch wenn es dem Nachwuchs heute kaum mehr bewusst ist. Dass gemeinsam der Deich gesichert werden musste, ist ja schon lange her. Doch ob bewusst oder nicht, aufgrund seiner turbulenten Vergangenheit neigt der Ostfriese zum Understatement – und zur Frotzelei, und beides zusammen ergibt einen sehr eigenen Sinn für Humor. Auswärtigen vergeht dabei manchmal das Lachen. Denn besonders die Insulaner lieben Scherze auf Kosten ihrer Touristen. Es ist ziemlich schwer, nicht auf die Sprüche eines Ostfriesen hereinzufallen, werden die in der Regel doch knochentrocken vorgetragen.
Einen Vorteil hat die Sache allerdings: Wer über sich selbst lachen kann, wird sich in Ostfriesland gut amüsieren.
