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Pete ist einfach süß. Er ist auch viel zu jung für mich. Aber er ist auch so sehr wie ich. Er liebt dieses trostlose Land und er passt genau in das Leben in der Einöde. Zu meiner Familie. Zu mir. Es gibt eine Million Gründe, warum wir nicht zusammen sein sollten. Aber ich vergesse sie immer wieder, wenn er in der Nähe ist. Wenn er mir nur gesagt hätte, warum er wirklich hier ist ... Outback Treasure I ist der erste Teil des Zweiteilers "Pearce Station". Die Geschichte von Pete und Scottie endet in Outback Treasure II.
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Seitenzahl: 280
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Ann Grech
Roman
Aus dem Englischen von Mia Rusch
© dead soft verlag, Mettingen 2022
http://www.deadsoft.de
© the author
Titel der Originalausgabe: Outback Treasure 1
Übersetzung: Mia Rusch
Cover: Irene Repp
http://www.daylinart.webnode.com
Bildrechte:
© younnona – stock.adobe.com
© totajla – shutterstock.com
1. Auflage
ISBN 978-3-96089-522-0
ISBN 978-3-96089-523-3
Pete ist niedlich und süß. Er ist auch viel zu jung für mich. Aber er ist auch so sehr wie ich. Er liebt dieses trostlose Land und er passt genau in das Leben in der Einöde. Zu meiner Familie. Zu mir.
Es gibt eine Million Gründe, warum wir nicht zusammen sein sollten. Aber ich vergesse sie immer wieder, wenn er in der Nähe ist.
Wenn er mir nur gesagt hätte, warum er wirklich hier ist …
Outback Treasure I ist der erste Teil des Zweiteilers Pearce Station. Die Geschichte von Pete und Scottie endet in Outback Treasure II.
1930, Februar, Sydney
Errol H. Byron
Der beißend kalte Wind heulte und der Regen fiel in Strömen. Wahre Sturzbäche flossen durch die engen Gassen des Hafenviertels. Mein Regenschirm und der Trenchcoat boten mir ein wenig Schutz, doch trotzdem war der dicke Stoff meiner Hose bereits völlig durchnässt und klebte an meinen Beinen. Auf den Straßen wimmelte es überall von Bettlern. Sie hatten sich eng unter den Markisen zusammengedrängt und waren stets verzweifelt auf der Suche nach einem Penny. Viele von ihnen hielten Ausschau nach ehrlicher Arbeit; sie hätten fast alles getan, um Geld zu verdienen und ihre Kinder zu ernähren. Die Straßen waren, wie immer, düster und dreckig. Normalerweise stank es hier nach verrottendem Fisch und brennender Kohle, doch der Regen hatte etwas von dem Dreck fortgespült, sodass mir kühle, frische Luft entgegenschlug.
Obwohl der Gestank heute fehlte, waren die Fabriken am Kai kein Ort für ehrbare Leute. Meine Frau, Gott segne sie, war zu Hause und kümmerte sich um unsere Zwillinge Betty und Bobby. Und ich? Ich hatte eine Mission. Deshalb trieb ich mich hier herum. Ich blickte in Richtung Osten, wo sich zwischen roten Backsteingebäuden der Hafen erstreckte. An guten Tagen schimmerte das Wasser kristallblau, heute war es schmutzig und schlammbraun. Dennoch war der Hafen lebenswichtig für Sydney. Er war der Schlüssel zu Reichtum. Doch mein Ziel lag in der entgegengesetzten Richtung. Landeinwärts. Mitten im Nirgendwo.
Harte Zeiten hatten unser schönes Land fest im Griff. Der Börsencrash von 1929 hatte die Welt in eine schwere Wirtschaftskrise gestürzt, die schlimmste in der Geschichte. Es hatte mich nicht ganz so hart getroffen wie andere; ich war meines eigenen Glückes Schmied und war auf niemanden angewiesen. Dennoch war die Krise nicht spurlos an mir vorübergegangen. Ich hatte Schulden und der Gerichtsvollzieher wollte sein Geld. Monatelang hatte ich mich mit dem Entwurf für die Sydney Harbour Bridge abgeplagt. Doch dann hatte dieser Betrüger meine Entwürfe gestohlen, sie als seine eigenen ausgegeben und mich somit um mein Geld betrogen. Der Mann war ein Scharlatan, kein Ingenieur. Ich war so großzügig gewesen, ihn unter meine Fittiche zu nehmen, mein Wissen mit ihm zu teilen. Und das hatte mich zu Fall gebracht. Doch ich würde wieder auf die Beine kommen. Ich würde nicht nur überleben, nein, ich hatte eine glänzende Zukunft vor mir. Schließlich besaß ich alle dafür nötigen Fähigkeiten. Ich war nicht nur ein hochgradig kompetenter Landvermesser und Schürfer, sondern auch Erfinder. Doch ich hatte sogar noch etwas Besseres anzubieten als ein nationales Bauprojekt wie die Harbour Bridge oder meine Erfindungen. Dieses Land brauchte einen Retter: mich. Die australische Regierung steckte noch in ihren Kinderschuhen. Ich vertraute ihr nicht. Der Abgeordnete für Kalgoorlie hatte, dumm wie er war, mein Angebot bereits abgelehnt. Das störte mich nicht, im Gegenteil. Mit der Regierung zusammenzuarbeiten, hätte mich nur daran gehindert, die gesamte Expedition selbst zu kontrollieren. Nun musste ich keine Kompromisse eingehen und das kam mir zugute. Meine Rückschläge hatten mich stärker gemacht. Ich erkannte jetzt, wenn jemand mich hintergehen wollte. Intelligent war ich schon immer gewesen, doch jetzt war ich auch vernünftiger.
Meine Intelligenz und mein guter Ruf hatten sich herumgesprochen, sodass viele Männer in Führungspositionen mich gerne kennenlernen wollten. Es war durchgesickert, dass ich einer großen Sache auf der Spur war. Und nun stand mir ein Treffen mit dem einflussreichsten Mann Sydneys bevor. Dick Katter war berüchtigt; er hatte überall in der Politik seine Finger im Spiel und war ein hohes Tier. Er besaß die Macht, sich für wirklich wichtige Dinge einzusetzen, wie etwa für mein Angebot, das ich ihm unterbreiten würde. Für den richtigen Preis durfte er mein Vorhaben unterstützen. Etwas, das er sicher nicht bereuen würde. Es war eine einmalige Gelegenheit, vielleicht die wichtigste in der Geschichte unseres schönen Landes. Und ich würde ein Held sein.
Gegenwart, Sydney
Pete
Der Tisch vor mir war mit Dokumenten übersät. Zu meiner Rechten lag mein Tablet, zu meiner Linken stand meine Kaffeetasse. Ein Luftstrom aus der Heizung ließ das Poster an meiner Wand flattern. Die Worte auf dem Poster waren zur Inspiration gedacht. Wenn dich jemand fragt, was du tust, dann sag: Was auch immer nötig ist. Manchmal waren diese Motivationssprüche richtig frustrierend. Jetzt gerade zum Beispiel. Mein Plan, Australiens El Dorado zu finden, stand nämlich auf wackligen Füßen. Gut Ding will Weile haben. Nur Beharrlichkeit führt zum Ziel. Das sagten zumindest die Motivationsposter, die meinem Vermieter, der auch mein Mitbewohner war, ein Dorn im Auge waren. Doch im Moment schwand meine Geduld immer weiter und ich hatte die Nase voll davon, noch immer auf Erfolge zu warten. Ich war in einer Sackgasse gelandet und kam einfach nicht voran. Es war nicht das erste Mal, dass ich meinen Plan infrage stellte. Normalerweise machte ich einfach stur weiter, aber ich war mit meinem Latein am Ende. Ich brauchte einen Erfolg. Irgendetwas, egal was. Doch es war sinnlos. Etwas stimmte nicht. Nichts passte zusammen. Oder vielleicht passte es doch zusammen und Errol H. Byrons sagenumwobenes Gold existierte schlicht nicht. Ich hatte alle Unterlagen gewälzt. Der Mann war total durchgeknallt gewesen. Vielleicht hatte er gelogen, als er behauptet hatte, dass er mitten in der Weltwirtschaftskrise Gold gefunden hatte. Eine Goldader, mitten in der australischen Wildnis … Im Grunde genommen bezweifelte ich nicht, dass diese Goldader existierte. Ich bezweifelte aber, dass er zu seinem Expeditionsteam ehrlich gewesen war, was den genauen Standort der Goldader betraf. Alle Berichte über die schlecht durchdachte Expedition in die australische Wildnis stellten Byron als paranoid und vollkommen verrückt dar. Doch ich glaubte, dass jeder ein wichtiges Detail übersehen hatte: Er war ein Schlitzohr gewesen. Unglaublich geheimniskrämerisch. Und mein Bauchgefühl sagte mir, dass er jeden hinters Licht geführt hatte, oder zumindest fast jeden. Byron hatte viele Fehler gehabt, doch eine Sache hatte er gut gekonnt: Geschichten erzählen. Er hatte sein Publikum gefesselt. Sein Ego war so groß gewesen wie Westaustralien, aber mit seiner selbstbewussten und geheimnisumwobenen Ausstrahlung hatte er einen erfahrenen Politiker davon überzeugt, Tausende Pfund in dieses fruchtlose Unterfangen zu stecken. Mit Katters Unterstützung hatte Byron in kürzester Zeit die Expedition auf die Beine gestellt und die beste Ausrüstung erhalten, die damals technologisch möglich gewesen war.
Ich zuckte vor Schreck zusammen, als die Eingangstür geöffnet wurde. Mein Mitbewohner, beziehungsweise mein Vermieter, arbeitete immer lange. Als ich auf die Uhr über dem Backofen sah, wurde mir bewusst, wie spät es tatsächlich war.
»Viel Arbeit?«, fragte Phoenix und ließ die Tür hinter sich zufallen. Er besah sich das Chaos auf meinem Schreibtisch und schüttelte den Kopf.
»Immer«, gähnte ich. »Aber ich stecke in einer Sackgasse fest.« Ich hob den Stylus-Stift auf, der neben dem Tablet lag, und ließ ihn zwischen den Fingern wirbeln. »Ich habe nichts.« Frustriert tippte ich mit dem Stift auf dem Schreibtisch herum und widerstand dem Drang, ihn in die nächste Ecke zu pfeffern. »Wie war die Arbeit?«
Er schüttelte den Kopf. »Frag lieber nicht«, seufzte er und legte den Kopf in den Nacken. »Was für ein beschissener Tag.« Er sah müde aus. Wie immer, wenn er von der Arbeit kam, trug er Anzug und Krawatte. Er verdiente eine Menge Geld. Insgesamt bekam er das mit dem Erwachsenenleben richtig gut hin. Etwas, das ich noch nicht geschafft hatte. Doch ich hatte, ehrlich gesagt, keine Ahnung, was Phoenix eigentlich genau machte, abgesehen davon, dass er Anwalt war. Trotz seines Alters, war er anscheinend ein hohes Tier. Ich hatte ihn schon über Immobilienrecht reden hören, über Sorgfaltspflicht und irgendetwas über Versicherungen, aber wenn ich genauer nachhakte, wich er mir immer aus. Was auch immer er genau tat, er war chronisch müde und gestresst. Ich fragte mich, ob es das wert war. Es war ja nicht so, als würde er in Saus und Braus leben, schöne Frauen daten und Luxuskarren fahren. Im Moment hatte er zwar seit drei Monaten eine Freundin, aber abgesehen davon war er in den vier Jahren, die ich nun schon mit ihm zusammenlebte, immer Single. Er fuhr mit dem Bus zur Arbeit und besaß kein Auto.
Phoenix lockerte seine Krawatte, öffnete die obersten Hemdsknöpfe und schnappte sich dann ein Bier aus dem Kühlschrank. Im Gegensatz zu mir, war Phoenix’ Fach im Kühlschrank nicht nur mit allen Lebensmitteln aus der Ernährungspyramide ausgestattet, nein, er hatte auch Bier. Ich ernährte mich hauptsächlich von dem typischen Studentenfraß: Nudeln, Vegemite-Sandwiches und Kaffee. Phoenix ließ mich hier wohnen, weil ich immer pünktlich die Miete bezahlte und ihm gelegentlich historische Fakten erzählte. Ehrlich gesagt, dachte ich jedoch manchmal, mit einer Katze wäre er besser beraten.
»Dann fang noch mal von vorn an. Erzähl mal von Anfang an.« Er öffnete die Flasche Corona, steckte einen Zitronenschnitz drauf und lehnte sich gegen den Tresen. Dann überkreuzte er die Beine und sah mich abwartend an.
Ich seufzte und rieb mir über die Augen. Doch es wäre sicher nicht schlecht, von meinem Dilemma zu erzählen. Also tat ich, was er vorgeschlagen hatte, und fing ganz am Anfang an. »Okay, also, du kennst meine Theorie. Cooper, der Pilot, der Byron zur Seite gestellt wurde, war immer eher ein Außenseiter im Team.« Sein Flugzeug, die Spirit of Gold, war eine Gipsy Moth gewesen. Klein, leicht und in der damaligen Zeit der höchste Stand der Technik. Das Flugzeug brauchte keine langen Start- und Landepisten, aber der Tank war, verglichen mit modernen Flugzeugen, ziemlich klein gewesen. Das hieß, man musste Extrabenzin mitführen oder Zwischenstopps einplanen.
»Jepp.« Phoenix leerte mit einem Schluck die halbe Flasche. »Niemand wollte Cooper dabeihaben, bis auf Byron. Du denkst, dass seine Rolle unterschätzt wurde.« Damit wiederholte er nur das, was ich ihm bereits mehr als einmal erzählt hatte. Es war so frustrierend, wie wenig Fortschritte ich in den vergangenen Monaten gemacht hatte, nachdem ich jahrelang versucht hatte, die möglichen Lageorte der Goldader einzugrenzen.
»Genau.« Ich nickte und legte den Kopf gegen die Rückenlehne des unbequemen, aber stylishen Stuhls. »In allen Quellen wird Byron als paranoid und geheimniskrämerisch dargestellt. Er hat die anderen Expeditionsteilnehmer immer wieder mit kleinen Informationsbrocken gefüttert. Genug, um sie bei Laune zu halten, aber nicht genug, um ihnen wirklich etwas Relevantes zu verraten.« Er hatte die ganze Reise lang verschwiegen, wo sich die Goldader genau befand.
»Genau«, sagte Phoenix. »Und dann hat sich das Expeditionsteam aufgelöst und sie haben sich in alle Windrichtungen verstreut. Byron konnte alleine weitermachen, hatte aber dennoch alle nötigen Ressourcen dieser Goldgräberfirma … Wie hieß sie noch gleich?«
»Ja, genau, die Centralian Gold Prospecting Organization.Sie haben Tausende Pfund ihrer Mitglieder investiert, mitten in der Weltwirtschaftskrise.«
Ich beschäftigte mich schon seit sieben Jahren mit Byron, seit meinem ersten Semester an der Uni. Unsere Professorin für moderne australische Geschichte hatte ihn im Zusammenhang mit modernen Mythen erwähnt. Byrons Ehefrau hatte mir schon damals leidgetan, denn er hatte sich einfach aus dem Staub gemacht. Dann hatte ich von seiner zweiten Frau gehört, von ihren gemeinsamen Kindern. Seine Kinder waren in dem Wissen aufgewachsen, dass ihr Vater ein Betrüger war. Er hatte eine ganze Nation an der Nase herumgeführt, vielen Menschen Geld aus der Tasche gezogen, und das in einer Zeit, in der man jeden Penny zweimal umgedreht hatte. Zuerst hatte ich einfach nur versucht, Beweise dafür zu finden, dass Byron nicht so schlimm gewesen war, wie man es ihm nachsagte. Ich hatte sozusagen die Ehre seiner Frau und seiner Kinder wiederherstellen wollen. Es war alles ganz anders gekommen. Je mehr ich mich mit der ganzen Sache beschäftigt hatte, desto besessener war ich davon geworden. Der Goldrausch hatte mich angesteckt. Seitdem wälzte ich alte Dokumente, Landkarten, alles, was ich in die Finger bekam. Und das führte mich zu meiner eigenen, zugegebenermaßen weit hergeholten These: Byron hatte von Anfang an geplant, dass das Expeditionsteam sich auflöste. Er hatte sie alle mitgezerrt auf eine sinnlose Suche, hatte die Expedition monatelang ausgedehnt. Sie waren unter unmenschlichen Bedingungen gereist, durch härtestes Terrain, bei rauem Klima. Ich hatte zwar keine handfesten Beweise, dennoch war ich überzeugt davon, dass es Absicht gewesen war. In der australischen Wildnis war die Sommerzeit die Hölle. Die Hitze war so brütend, dass ein Mensch innerhalb von Stunden geröstet wurde, wenn es an Wasservorräten mangelte. Ja, man konnte die Hitze tatsächlich sehen: Die rote Erde verschmolz mit dem strahlend blauen Himmel, sodass der Horizont praktisch nicht mehr zu sehen war. Sicher hatte die Sonne unbarmherzig auf das dürre Wüstengras und die verdorrten Akazien hinabgebrannt. Die perfekte Kombination für Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Wut. Damals hatte eine jahrelange Dürreperiode das Land fest im Griff gehabt, ähnlich wie gerade jetzt. Das Expeditionsteam war also in eine der trockensten Gegenden der Welt aufgebrochen. Und dennoch hatte Byron den Beginn der Expedition für den Frühling angesetzt. Sie hatten nicht viel Zeit gehabt, die Goldader zu finden. Zeit zu vergeuden, war eine äußerst schlechte Idee gewesen.
Ich fuhr fort. »Ich denke, dass er bewusst verschwiegen hat, wo sich die Goldader genau befindet. Er hatte eine Strategie, wie er selbst so schnell wie möglich dorthingelangen konnte. Sein Plan war, das Gold zu bergen und dafür so wenige Zeugen wie möglich zu haben. Er wollte es nicht teilen.«
»Also hat er die Expedition absichtlich in die falsche Richtung gelotst?«, fragte Phoenix. Doch es war nicht wirklich eine Frage. Er wusste, was ich Byron zutraute. »Du hast es schon mal gesagt, aber denkst du wirklich, dass er so grausam war? Es kommt mir etwas übertrieben vor, vor allem, da er ja selbst an der Expedition teilgenommen hat.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ja, stimmt, aber die Möglichkeit besteht.« War er wirklich so hinterhältig gewesen? Hatte er seine Rolle so gut gespielt, dass niemand ihn durchschaut hatte? Hatte er mit seinem undurchsichtigen und exzentrischen Verhalten unter den Teilnehmern der Expedition Zweifel gesät, sodass sie die Hoffnung verloren hatten? Es schien nicht weit hergeholt, aber war es wirklich alles von Anfang an so geplant gewesen?
»Alle Indizien besagen, dass Byron sich das Gold nur ausgedacht hat. Aber nehmen wir mal an, dass es tatsächlich existierte und Byron den genauen Standort kannte, dann war der Pilot im Grunde genommen die einzige Person, die Byron brauchte. Ihn und sein Flugzeug. Nur sie waren nötig, um das Gold zu holen und zu transportieren. Cooper war der einzige Expeditionsteilnehmer, auf den Byron wirklich angewiesen war. Ich glaube nicht, dass alles Zufall war. Sie hätten nur genug Gold holen müssen, um zu verschwinden und ihr restliches Leben in Saus und Braus zu leben.«
Das war sicher um einiges weniger Gold, als die Investoren nach ihrer Rückkehr gefordert hätten. Ich seufzte, die Frustration ergriff wieder Besitz von mir. Es wäre so leicht, aufzugeben. Die Sache einfach ruhen zu lassen und mit meinem Leben weiterzumachen. Aber dafür war ich viel zu stur. »Ich weiß es nicht. Es ist nur Spekulation, aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass mit der Expedition einfach etwas nicht stimmt.« Es gab viele Berichte über Goldfunde in der australischen Wildnis, also glaubte ich nicht, dass Byrons Behauptungen völlig erstunken und erlogen waren. Niemand hatte die Goldader bisher gefunden, aber das hieß ja nicht, dass sie nicht existierte.
»Okay, also du bist überzeugt, dass das Gold existiert. Wo genau ist es?«
»Das ist wohl die Preisfrage, oder? Ich habe allerdings leider keine Ahnung.« Ich ächzte und streckte mich. Mein Hintern war eingeschlafen, genauso wie meine Füße. »Es fühlt sich an, als ob ich so nah dran bin«, ich machte mit Daumen und Zeigefinger die passende Geste, »es zu finden. Aber in Wirklichkeit stehe ich an genau demselben Punkt wie noch vor sechs Monaten.« Ich machte eine Pause. »Nein, in Wirklichkeit bin ich sogar weniger nah dran als vor sechs Monaten. Jetzt weiß ich nämlich, wo das Gold nicht ist.«
»Vielleicht ist es dann wirklich an der Zeit, Pete.« Er lächelte mich entschuldigend an. »Ich weiß, du willst das nicht hören, aber eventuell haben deine Eltern und deine Schwester recht. Du jagst der Sache seit Jahren nach und hast kaum Fortschritte gemacht, seit du angefangen hast.« Er trank sein Bier aus und warf die Flasche in den Recycling-Eimer. Die Flasche klirrte gegen die anderen. Dann klopfte er mir auf die Schulter und steuerte sein Schlafzimmer an.
»Ja, vielleicht«, murmelte ich, obwohl ich keineswegs vorhatte, aufzugeben. Mein Bauchgefühl sagte mir immer noch, dass das Gold da draußen war. Ich hörte doch immer auf mein Bauchgefühl. Wieso sollte ich jetzt damit aufhören? Auch wenn ich bisher nichts erreicht hatte, es fühlte sich einfach so an, als würde ich kurz vor dem großen Durchbruch stehen. Meine Eltern hielten mich für verrückt. Sie waren sauer auf mich, wollten, dass ich etwas Produktives mit meinem Leben anstellte. Anscheinend hielten sie es nicht für produktiv, dass ich zwei Studienabschlüsse hatte und der führende Experte war, was Byron anging. Meine Schwester fand es peinlich, dass ich dieser Sache nachjagte. Sie weigerte sich sogar, mit mir darüber zu sprechen. Außerdem war sie latent homophob, das half auch nicht. Es machte mir in letzter Zeit schwer zu schaffen, dass meine Familie mich nicht unterstützte. Doch ich hatte mir geschworen, dass ich nicht aufgeben würde. Nicht, bevor ich Antworten gefunden hatte. Vielleicht war es inzwischen wirklich nur noch Sturheit, die mich weitermachen ließ. Das und das Bedürfnis, meiner Familie etwas zu beweisen.
Ich rieb wieder über meine Augen und ächzte auf, als meine Muskeln schmerzhaft protestierten. Kein Wunder, ich hatte stundenlang zusammengekrümmt am Schreibtisch gesessen. Als hätte ich es mit meinen Gedanken heraufbeschworen, trudelte in diesem Moment mit einem Pling eine E-Mail von meiner Mutter ein. Ich brauchte Ablenkung, also klickte ich darauf. Im nächsten Moment bereute ich es.
Peter,
für einige dieser Jobs wärst du perfekt qualifiziert. Du könntest dich zum Beispiel als Mitarbeiter im Geologie-Labor bewerben. Oder als Forschungsmitarbeiter für Geschichte in Hobart. Du solltest ihnen wirklich deine Unterlagen schicken. Bitte tu es. Du musst diese sinnlose Obsession hinter dir lassen. Seit Jahren suchst du jetzt schon danach. Das Gold existiert nicht. Du weißt das. Wir wollen nur das Beste für dich … Das weißt du auch.
Ich rufe dich bald an.
Mum
Sie meinte es gut, wirklich. Aber sie und Dad taten gerne so, als wäre meine jahrelange Arbeit nur Jux und Tollerei. Dennoch … auf eine gewisse Art und Weise hatte sie recht. Wie lange wollte ich noch so weitermachen? Jetzt, wo ich auch mein zweites Studium beendet hatte, gab es keine Entschuldigung mehr. Ich sollte mir einen Job suchen. Einen echten Job, nicht den Nebenjob, den ich jetzt seit ein paar Monaten hatte. Sie wollten wirklich das Beste für mich, doch sie verstanden einfach nicht, dass ich andere Ziele hatte als sie.
Vor zwei Tagen hatte ich den Abschluss gemacht. Als wir zur Feier essen gewesen waren, hatte es nicht lange gedauert, bis sie mich mit Fragen gelöchert hatten. Fragen darüber, was ich jetzt tun wollte. Zweifellos hatte das meine Mutter dazu veranlasst, diese Mail zu schreiben. Als ich leise gemurmelt hatte, dass ich Byrons Gold finden wollte, hatte meine Mum nur geseufzt. Dad war ungeduldig geworden. Meine Schwester hatte, wie immer, die Augen verdreht. Sie alle waren der Meinung, dass ich mit fünfundzwanzig langsam erwachsen werden sollte, meinen Platz in der Welt finden musste. Über meine Zukunft nachdenken sollte, statt immer noch einem Mythos hinterherzujagen. Ja, ich war ein Experte für alles, was Byron betraf, aber in Wirklichkeit bedeutete das nur, dass ich trotz zwei Uniabschlüssen in Geschichte und Geologie so gut wie nichts verdiente. Ich konnte in der teuersten Stadt Australiens meine Miete kaum bezahlen, was meiner Familie überhaupt nicht behagte. Vielleicht hatte ich mich wirklich in etwas verrannt. Sollte ich die E-Mail wiederherstellen und mir die Jobs ansehen? Oder brauchte ich nur eine Pause? Phoenix ging sicher bald schlafen, also würde er wahrscheinlich nicht mehr rausgehen wollen. Ich überlegte einen Moment, dann griff ich nach meinem Handy und rief meine Studienkollegin Kath an. Sie war eine der wenigen Menschen, mit denen mich eine Art Freundschaft verband.
»Hey, Kath«, sagte ich, als sie ranging.
»Hi, Pete«, antwortete sie. Sie klang abgelenkt und im Hintergrund war Lärm zu hören. »Was gibt’s?«
»Habt ihr heute was vor?«, fragte ich hoffnungsvoll. »Willst du vielleicht einen Kaffee trinken gehen oder so?«
»Wir sind in einem Club«, sagte sie und lachte. Im Hintergrund erklang betrunkenes Jubeln. »Komm doch auch her.«
Das klang nicht sehr verlockend. Die Clubs, in die sie ging, waren nicht so meins. In eine Gay Bar wäre ich gegangen, aber ich war nicht in der Stimmung, jemanden aufzureißen. »Klar, vielleicht sehen wir uns später dort.«
Wir verabschiedeten uns. Es war mir nicht entgangen, dass sie mir gar nicht gesagt hatte, in welchem Club sie waren. Ich hatte auch nicht gefragt. Deswegen mochte ich die Gesellschaft von Büchern und Legenden lieber. Doch egal, wie viele Bücher ich besaß, keines davon hatte mir dabei geholfen, die Goldader zu finden. Ich hatte es geschafft, das Suchgebiet auf ganz Zentralaustralien einzugrenzen. Wow. Die schiere Größe dieses Gebietes war etwas, das ich mir als Städter gar nicht vorstellen konnte. Irgendwie hatte diese Landschaft in meiner Vorstellung etwas Romantisches an sich, obwohl sie so tödlich war. Der Himmel, der sich in die Unendlichkeit erstreckte, nicht durchbrochen von Wolkenkratzern. Saubere, unverpestete Luft und natürlich der rote Sand, der die Landschaft prägte. Das wilde, struppige Buschland, das so typisch für Australien war, erinnerte an die Menschen dort, denn auch sie waren ein bisschen wild und ungezähmt. Ich konnte nicht anders, als den eisernen Willen und den Mut der Expeditionsteilnehmer zu bewundern, die in diese Wildnis vorgedrungen waren. Sie hatten sie bezwungen und es überlebt. Sogar Byron, für den ich nicht besonders viel Respekt übrig hatte, verdiente Anerkennung dafür, dass er diese Reise gewagt hatte.
Ich ließ meinen Stylus zwischen den Fingern wirbeln und seufzte frustriert auf. Was übersah ich bloß? Ich hatte auf der Suche nach Byrons Goldader jeden Quadratzentimeter der digitalen Karte studiert. Doch ich suchte nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen. Natürlich war es nicht einfach, das Gold zu finden. Die Wegbeschreibung war äußerst vage: Von Alice Springs aus nach Westen. Mehr nicht.
Geschichte war immer meine große Leidenschaft gewesen. Ich liebte es, über alten Karten und historischen Aufzeichnungen zu brüten, handgezeichnete Landkarten zu entziffern und den Zauber wiederzuentdecken, der das Land und die Menschen dort umgab. Es war ein wildes, wildes Land da draußen. Trocken, heiß, brutal. Ich konnte es kaum erwarten, das Suchgebiet einzugrenzen und die Stadt zu verlassen, mich selbst auf die Suche zu machen. Etwas in mir sehnte sich verzweifelt danach, mich auf dieses Abenteuer zu begeben. Ich wollte mir selbst die Hände schmutzig machen. Aber was, wenn es gar keine Goldader gab? Oder wenn ich an der völlig falschen Stelle suchte, wie schon so viele vor mir? Diese verfluchte Goldader war längst der Stoff von Legenden geworden. Aber, verdammt, ich musste sie finden. Ich war wie Indiana Jones.
Meine Augen schmerzten schon von dem fluoreszierenden Neonlicht über dem Schreibtisch. Mein Magen knurrte. Ich hatte ganz vergessen, zu Abend zu essen. Also nahm ich einen Schluck von meinem Kaffe und verzog angeekelt das Gesicht. Er war eiskalt. Ich musste mir ein bisschen die Beine vertreten. Seit Stunden saß ich am Schreibtisch und hatte keine nennenswerten Fortschritte gemacht. Wie schon so oft. Es war leicht, sich in der Geschichte zu verlieren, in alten Legenden.
Meine Knie knackten, als ich aufstand und zur Kaffeemaschine ging. Während neuer Kaffee durch die Maschine lief, durchforstete ich mein Fach im Kühlschrank nach Resten. Es herrschte gähnende Leere, nur etwas Schinken war noch da. Er roch noch okay und das zwei Tage alte Brot schimmelte nicht, also machte ich mir ein Sandwich. Gerade, als der Kaffee durch die Maschine gelaufen war, war auch mein Mitternachtssnack fertig.
Ich wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser und betrachtete stirnrunzelnd das Chaos auf meinem Schreibtisch. Alles war wild verstreut. Dann sah ich es. Die verkehrt herum liegende Landkarte Australiens. Die Gebirgskette, die von meiner Perspektive aus links von Alice Springs lag. In Queensland. Konnte es wirklich so einfach sein? Konnte Byron die Expedition von Alice Springs aus westlich gelotst haben, wenn die Goldader in Wirklichkeit eigentlich östlich lag? Die Landschaft dort grenzte an das Große Artesische Becken an. Zweifellos gab es dort Gold. Mit ein paar kurzen Zwischenstopps zum Tanken hätte Cooper die Strecke mit seinem Flugzeug bewältigen können. Er war schon von Sydney aus nach Alice Springs geflogen. Ein Flug in den Westen von Queensland hätte nur halb so viele Zwischenstopps zum Auftanken benötigt. Konnte das wirklich die Lösung sein? Es war doch sicher nicht so simpel, oder? Byron hatte geschrieben, dass er seine Erkundungsreise in die Wüste von Carnarvon aus gestartet hatte. Die Koordinaten, die er angegeben hatte, lagen allerdings mitten im Indischen Ozean, also hatte Byron von Anfang an gelogen. Aber was, wenn er in diesem Punkt nicht gelogen hatte, er jedoch stattdessen einen anderen Ort namens Carnarvon gemeint hatte? Es gab doch sicher ein anderes Carnarvon.
Rasch legte ich mein Sandwich weg. Meine Tasse stand unbeachtet neben der Kaffeemaschine. Ich setzte mich wieder an den Schreibtisch und beugte mich über die Karte. Mein Herz hämmerte wie wild in meiner Brust. Aufregung jagte durch meine Adern. Waren Cooper und Byron dorthin gereist, nachdem sie sich wiedergetroffen hatten? Hatten sie dann die Goldader gefunden und waren danach verschwunden? Jede Expedition, offiziell oder inoffiziell, hatte westlich von Alice Springs nach dem Gold gesucht. Soweit ich wusste, hatte aber noch niemand im Osten gesucht. Tatsächlich ergab meine rasche Suche, dass es einen anderen Ort namens Carnarvon gab. In Queensland, genau auf der anderen Seite des Kontinents. Das erschien mir für einen Zufall ein wenig zu weit hergeholt. Konnte sich die Goldader zwischen Alice Springs und dem anderen Carnarvon in Queensland befinden? Statt dort, wo alle, auch ich, gesucht hatten?
Ich ließ mir die Koordinaten auf Google Maps anzeigen. Meine Finger zitterten, als die Seite lud, Schweißperlen sammelten sich auf meiner Stirn. Die zwei Orte namens Carnarvon lagen einen ganzen Kontinent voneinander entfernt, dreieinhalbtausend Kilometer. Zog man jedoch eine horizontale Linie durch die drei Orte, Alice Springs und die beiden Carnarvons, war zu sehen, dass sie alle ziemlich exakt am selben Breitengrad lagen, mit einer Abweichung von nur zweihundert Kilometern.
Ich starrte die drei Punkte auf der Landkarte an, die durch eine fast perfekt gerade Linie verbunden waren. Byron hatte die beiden Carnarvons sicher nicht verwechselt. Aber vielleicht hatte er den Ortsnamen Carnarvon irrtümlich verraten. Vielleicht war sein Lügengebäude so unübersichtlich geworden, dass er selbst den Überblick verloren hatte und den echten Ortsnamen des Startpunktes preisgegeben hatte. Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
Ich unterdrückte ein Gähnen. Und dann begann ich, jeden Quadratzentimeter östlich von Alice Springs auf der Karte zu studieren.
***
Ein metallisches Klirren hinter mir ließ mich aufschrecken. Ich zuckte zusammen, war plötzlich hellwach. Ausgiebig streckte ich mich, mein Nacken knackte protestierend. Ich war am Schreibtisch eingeschlafen. Mal wieder. In den letzten drei Wochen hatte ich in jeder freien Minute Karten des westlichen Queensland durchforstet. Wenig überraschend, hatte ich nichts gefunden, absolut nichts. Langsam schwand meine Hoffnung wieder. Mein Einfall, der mir zuerst wie ein Durchbruch erschienen war, war nur eine weit hergeholte Theorie. So abstrus wie Byrons Behauptung, dass er diese sagenumwobene Goldader gefunden hatte.
Ich blinzelte, versuchte, die Erschöpfung abzuschütteln, die mich seit den letzten Wochen ständig begleitete. Ein Blick auf mein Tablet verriet mir, dass der Akku leer war. Ich steckte es ans Ladegerät, machte mir neuen Kaffe und versuchte, mich mental darauf vorzubereiten, dass ich mir bald einen Anzug anziehen und zur Arbeit gehen musste. Zu meinem richtigen Job als Hotelpage.
Das metallische Klirren erklang erneut. Ich sah mich um, spähte zum Fenster hinüber. Nebenan wurde gerade gebaut. Eine schwere Baumaschine trieb Eisenstangen in den Boden. Irgendein mehrstöckiges Gebäude sollte dort errichtet werden. Bei jedem Klirren dröhnte mein Schädel. Meine Augen waren trocken und juckten. Ich ächzte auf. Das würden ein paar lange Stunden werden.
Ich machte es mir auf dem Küchenstuhl gemütlich, so gut es eben ging, und nahm den ersten Schluck Kaffee. Köstlich. Im Prinzip war ich das genaue Gegenteil meiner Eltern, die einen extravaganten Lebensstil pflegten. Doch was Kaffee anging, verstand ich keinen Spaß. Ich brauchte guten Kaffee. Meinen Kaffee mochte ich wie meine Männer: stark und heiß.
Noch immer ließ das ohrenbetäubende Klirren der Baustelle gegenüber meinen Schädel dröhnen, dennoch rückte ich die Landkarte näher an mich heran und fuhr damit fort, die Landschaft nach bestimmten Felsformationen abzusuchen. Weiter und weiter huschte mein Blick. Jede Stelle kontrollierte ich doppelt.
Und dann sah ich es. An dieser Stelle war das Gestein heller als in der Umgebung. Weiß durchzog die gezackten Felskanten. Durch das raue Grasland und das Gebüsch konnte man es nicht perfekt erkennen, aber die weißen Felsen waren dennoch sichtbar. Es sah aus, als würden sie schimmern. Als die Satellitenaufnahme gemacht worden war, war es wohl sehr heiß gewesen, denn selbst auf dem Bild schien die Erde zu flirren. Ich zoomte noch einmal näher, fokussierte mich auf diese eine Stelle. Das Bild lud viel zu langsam. Als es endlich klarer wurde und die Pixel sich glätteten, hielt ich den Atem an.
»Verdammte Scheiße«, hauchte ich.
Es war direkt vor meiner Nase. Ein Gebirgszug. Quarzgestein. Ich war mir ziemlich sicher. Manche Stellen waren staubrot, andere glänzend weiß. Die niedrigen Büsche, eine Akazienart, wenn ich mich nicht irrte, leuchteten blaugrau und hoben sich eindrucksvoll von der tiefroten Erde ab. Australiens rotes Herz, direkt vor mir. Selbst auf dem Bildschirm sah es wunderschön aus. Die leuchtenden Farben waren so satt, dass ich instinktiv über den Bildschirm strich. Es sah so echt aus. Einfach atemberaubend. Ich blinzelte, versuchte, meine wirren Gedanken zu sammeln. Ich musste das Gelände genauer analysieren. Bevor ich Hals über Kopf in die Wildnis aufbrach, um Byrons Gold zu finden, brauchte ich weitere Details. Die Größe des Areals, die Topographie. Ich musste herausfinden, ob das Areal jemandem gehörte, Genehmigungen einholen, ein Geländefahrzeug kaufen. Mental stieg ich auf die Bremse. Eine Expedition war kein Projekt, das man über Nacht plante. Zuerst musste ich das Areal genau eingrenzen. Ich folgte der zerklüfteten Linie im Gelände, markierte die Grenzen. Mit jedem Strich, den ich zeichnete, wuchs meine Aufregung. Der Gebirgszug war riesig, viele Kilometer lang und breit. Als ich das Gelände fertig eingekreist hatte, zoomte ich wieder ein Stück heraus. Ich wollte es im Ganzen sehen.
Es war, als hätte eine riesige Raubkatze mit ihren Krallen die Landschaft zerklüftet und eine gezackte Narbe hinterlassen. Mein Herz hämmerte in einem wilden Rhythmus in meiner Brust. Aufregung jagte durch meine Adern. Der genaue Standort passte zu Byrons Schätzungen. Ich hatte so lange nach diesem Fleckchen Erde gesucht. Jahre. Jahrelang hatte ich Bücher gewälzt, versucht, seine Route nachzuvollziehen und seine Aufzeichnungen zu entschlüsseln. Hatte Byrons Spekulationen akribisch geprüft, jeden einzelnen Bericht der anderen Expeditionsteilnehmer genau studiert. Und nun hatte ich endlich etwas entdeckt. Noch nie hatte ich das Gefühl gehabt, so nahe dran zu sein. Hatte ich wirklich gerade die Goldader gefunden? Konnte dieser Gebirgszug wirklich Byrons sagenumwobenes Gold enthalten? Ich hatte immer vermutet, dass Byron ganz zufällig über das Gold gestolpert war, dass ich es jedoch mit akribischer Recherche wiederfinden konnte. Insgeheim fragte ich mich, ob das Gold auf gewisse Weise auf mich gewartet hatte. Darauf, dass jemand Glück hatte und es genauso zufällig wie Byron erneut entdeckte. Konnte ich wirklich der Glückliche sein?
Tausende Fragen rasten durch meinen Kopf. Wem gehörte das Land? Würde ich es schaffen, eine Genehmigung zu bekommen? Hatte ich genug Daten, um dort graben zu dürfen? Inzwischen kannte ich die Region gut genug, um das Areal auf einer Grundstücksbesitzkarte wiederzufinden.
Kurz darauf hatte ich den Namen und die Adresse des Besitzers. Pearce Station. Eine Rinderfarm, ein paar Stunden von Longreach entfernt. Die Farm selbst war so groß, dass ich es mir kaum vorstellen konnte, nämlich fünftausend Quadratkilometer. Größer als New York, und auch Los Angeles hätte noch halb hineingepasst. All das gehörte einem einzelnen Eigentümer. Ich fragte mich, was der Besitzer wohl dazu sagen würde, dass ich auf seinem Grundstück nach Gold suchen wollte, falls ich die Genehmigung bekam. War es ein alter, wettergegerbter Mann, so verwittert wie die Landschaft, in der er wohnte? Wahrscheinlich würde er sich nicht gerade darüber freuen, dass ein Städter wie ich auf seinem Land herumschnüffeln wollte.
