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Ein Stadtjunge in Australiens Outback. Wer hätte gedacht, dass ich es länger als zwei Wochen aushalten würde? Mein Stationsbesitzer mag älter sein, aber er ist so schön und rau wie die rote Erde, die durch seine Adern fließt. Scottie hat auch etwas Besseres als mich verdient. Ich habe ihn belogen. Aber er ermutigt mich. Er hilft mir, meine Träume zu verfolgen. Scottie hat mich allerdings schon tausendmal gewarnt. Es ist nicht leicht. Die Wüste ist so unversöhnlich wie die Menschen. Jeder von uns hat einen Kampf zu bestehen. Um unser Glück. Um unser Überleben. Outback Treasure II ist die Fortsetzung der Geschichte von Pete und Scottie. Das erste Buch des Pearce Station Duos ist Outback Treasure I.
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Seitenzahl: 341
Veröffentlichungsjahr: 2022
Ann Grech
Roman
© dead soft verlag, Mettingen 2022
http://www.deadsoft.de
© the author
Titel der Originalausgabe „Outback Treasure 2“ (Pearce Station Duet Book 2)
Cover: Irene Repp
http://www.daylinart.webnode.com
Bildrechte:
© coloursofmylife – shutterstock.com
© Cookie Studio – shutterstock.com
1. Auflage
ISBN 978-3-96089-524-4
ISBN 978-3-96089-525-1 (epub)
Ein Stadtjunge in Australiens Outback. Wer hätte gedacht, dass ich es länger als zwei Wochen aushalten würde?
Mein Stationsbesitzer mag älter sein, aber er ist so schön und rau wie die rote Erde, die durch seine Adern fließt. Scottie hat auch etwas Besseres als mich verdient. Ich habe ihn belogen. Aber er ermutigt mich. Er hilft mir, meine Träume zu verfolgen.
Scottie hat mich allerdings schon tausendmal gewarnt. Es ist nicht leicht. Die Wüste ist so unversöhnlich wie die Menschen. Jeder von uns hat einen Kampf zu bestehen. Um unser Glück. Um unser Überleben.
Outback Treasure II ist die Fortsetzung der Geschichte von Pete und Scottie. Das erste Buch des Pearce Station Duets ist Outback Treasure I.
Die Zigarette glomm auf, als der Autofahrer einen tiefen Zug nahm und den Rauch in seine Lungen sog. Er öffnete das Fenster des luxuriösen SUV, eines Wagens, der sehr viel besser in die Stadt als hierher auf die staubige Landstraße gepasst hätte. Es war völlig windstill. Doch das war um diese Jahreszeit nicht ungewöhnlich. Der Begriff Frühjahr hatte hier in der Wüste keine Bedeutung, denn es war entweder kalt oder heiß. Gut, im Frühjahr war die Hitze nicht ganz so sengend wie im Sommer, aber trotzdem erreichten die Temperaturen jeden Tag dreißig Grad. Tagsüber war es heiß, nachts kühl. Je näher der Sommer kam, desto mehr begann hier alles zu schmoren. Temperaturen von fünfundvierzig Grad waren völlig normal, manchmal sogar über fünfzig Grad. Der Asphalt begann dann an manchen Stellen wortwörtlich zu schmelzen. Auf den Ranches gab es immer wieder Probleme mit Bränden. Das Tierfutter und das Heu konnten sich so aufheizen, dass es zu brennen anfing.
Die lange, gerade Landstraße flimmerte in der Hitze und verschwamm am Horizont. So weit das Auge reichte, und darüber hinaus, erstreckte sich die unendliche, gleichförmige Landschaft. Für unbeteiligte Beobachter sah es hier im Outback unwirtlich und trostlos aus. Die grau-braune Vegetation war verdorrt und wurde nur von den wenigen morgendlichen Tautropfen am Leben erhalten, die gleich nach der Morgendämmerung in der Sonne verdunsteten. Um diese Tageszeit, fünfzehn Uhr, war von der zweispurigen Straße aus kein lebendiges Wesen zu sehen. Doch die Wüste war ein Ökosystem, so vielfältig und komplex wie ein Regenwald. Karg, brutal und nichts für Zartbesaitete, aber wunderschön. Es gab keinen Begriff für die tiefe, dunkle Blauschattierung, die der Himmel zeigte. Kobaltblau passte am ehesten, aber die Farbe war leuchtender und prächtiger. Nur die Sonne, die der Erde näher schien als gewöhnlich, unterbrach das endlose, immerwährende Blau. Der Himmel war völlig wolkenlos. Das war vielleicht besser so. Wolken erweckten die Hoffnung auf Regen, aber die wenigen Menschen, die noch hier in Queensland im Outback lebten, waren es leid, zu hoffen. Sie waren Kämpfer, wahre Australier, die sich nicht leicht entmutigen ließen. Doch es war schwer für sie. Schwerer als je zuvor. Im roten Herzen Australiens wütete die Dürre so schlimm wie noch nie. Seit Jahren hatte es nicht geregnet. Vor der schrecklichen Dürre hatte es nach der Trockenperiode die Regenzeit gegeben. Die Monsune hatten sich von der nördlichen Küste ins subtropische Landesinnere ausgebreitet, sodass sich die leeren Flussbetten mit Wasser gefüllt und die Grundwasservorräte wieder zugenommen hatten. Aber in den letzten Jahren hatte sich all das geändert. An den Küsten tobten Stürme, Zyklone hatten das fruchtbare Land verwüstet, Fluten hatten Küstenstädte überschwemmt, lebenswichtige Infrastruktur zerstört und Chaos angerichtet. Der Schaden bewegte sich in Millionenhöhe. Doch hier im Westen gab es nichts. Nichts außer Hitze. Die Temperaturen waren völlig außer Kontrolle, die Erde bis zum Äußersten aufgeheizt. Risse zogen sich durch den Boden und hinterließen Furchen im tiefroten Staub. Die Vegetation starb. So wie die Tiere. Nur die Menschen und ihr Überlebenswille waren noch übrig.
Scottie
Die eiskalte Wut war zu einem Teil von mir geworden. Die anderen gingen mir aus dem Weg, selbst das Vieh schien ungewöhnlich fügsam zu sein. Es war, als würde niemand meinen Zorn noch weiter anfachen wollen. Zorn, der völlig gerechtfertigt war. Ein einziges Mal hatte ich etwas nur für mich selbst getan. Mich auf jemanden eingelassen. Und das war so unfassbar schiefgegangen. Alles lag in Trümmern. Pete war nicht lange hier gewesen, doch er hatte mich mit gebrochenem Herzen und vernarbter Seele zurückgelassen. Die Erinnerung an unseren letzten Kuss war in mein Gedächtnis gebrannt. Wieder und wieder lief er vor meinem inneren Auge ab. Es quälte mich. Mein Herz sagte mir nach wie vor, dass all das echt gewesen war. Seine Berührungen, seine Zärtlichkeit, seine Leidenschaft, es konnte nicht alles gespielt gewesen sein. Oder doch? Ich jedenfalls hatte alles ernst gemeint. Jeden Moment. Immer noch spürte ich seine Finger in meinem Haar, seine Haut auf meiner, seinen warmen Atem in der morgendlichen Kälte. Ich sah den Ausdruck in seinen Augen glasklar vor mir. Zuneigung. Wärme. Beginnende Liebe? Oder vielleicht hatte ich mir all das auch nur eingebildet. Vielleicht hatte ich gesehen, was ich hatte sehen wollen. Der Altersunterschied zwischen uns hätte uns eigentlich von Anfang an zu denken geben müssen. Wir hätten uns beide fragen müssen, wie kompatibel wir waren, hatten wir aber nicht. Eigentlich machte es im Endeffekt keinen Unterschied. Ich hätte ihm so gerne gesagt, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Alles war so schnell gegangen. Doch mein Verstand hatte mir einen Strich durch die Rechnung gemacht, hatte mich daran gehindert, die Worte auszusprechen. Wie zum Hohn, hörte ich in diesem Moment wieder die leise Stimme in meinem Kopf. Die Stimme, die meinem Herzen sagte, dass es sich verdammt noch mal zusammenreißen musste. Meine Brust schmerzte so schrecklich. Es war, als hätten sich kalte Hände um mein Herz geschlossen. Sie hielten es im Klammergriff fest und ließen nicht mehr los. Ich schloss die Augen und atmete mühsam und schmerzerfüllt ein, starrte zu Boden. An welchem Punkt war alles so schrecklich schiefgegangen? Die Abbaugenehmigung. Sie hatte alles kaputtgemacht. Pete war unter falschem Vorwand hergekommen. Er hatte sich in unser Leben geschlichen, in mein Bett. Er hatte dafür gesorgt, dass ich an eine Lüge geglaubt hatte, und er hatte mir Informationen vorenthalten. Das war eigentlich dasselbe wie eine Lüge. Immerhin ging es darum, dass er auf meinem Land Rohstoffe abbauen wollte. Und diesem Problem stand ich immer noch gegenüber. Er besaß noch immer die Genehmigung, hier zu graben. Wie konnte ich ihn davon abhalten, hierherzukommen und alles zu zerstören, wofür wir so hart gearbeitet hatten? Verdammte Scheiße, vielleicht besorgte er sich in diesem Moment schwere Maschinen. Oder er plante, hier riesige Abbaustationen zu errichten. Ich wusste es nicht. Jedenfalls würde es all meine Arbeit zunichtemachen, die Ranch nachhaltig zu führen. Wie sollte das Vieh grasen? Und auch, wenn Pete nur in kleinerem Rahmen graben wollte, er würde trotzdem das Grundwasser aus dem Großen Artesischen Becken anzapfen müssen, um hier zu schürfen. Das Wasser würde kontaminiert werden und am Ende verdampfen, bis nichts mehr übrig war. Bis die Millionen Jahre alten Wasservorräte versiegten, auf die wir seit Generationen angewiesen waren. Pete würde sich dumm und dämlich verdienen, während wir alles verlören. Seit fünf Generationen lebte meine Familie hier, doch das wäre vorbei. Und was war mit Waru und Yindi? Was, wenn dieses Land, das für sie heilig war, zerstört würde? Meine Mitarbeiter würden ihre Jobs verlieren, die Tiere ihren Lebensraum. Und für was? Für Geld? Nein. Verdammte Scheiße, ich würde das nicht zulassen. Niemals. Dieses Land gehörte mir. Es stand unter meinem Schutz. Wenn es nötig war, würde ich mit meiner ganzen Viehherde zum Parlament ziehen.
Ich ritt auf Tillys Rücken zum Zaun. Die Musterung des Viehs war vorbei; ich hatte vor etwa einer Stunde Feierabend gemacht und die Dämmerung war schon hereingebrochen. Alle anderen waren bereits drinnen und aßen zu Abend. Nur Nan war noch hier. Sie stand am Zaun und hielt mir das Gatter auf, damit ich hindurchreiten konnte. Nan war nicht mehr die Jüngste und ihr Alter holte sie langsam ein, aber sie war immer noch zäher als die meisten von uns. Es war nicht ungewöhnlich, dass sie am Zaun stand und uns dabei zusah, wie wir das Vieh musterten. Doch seit sie hier stand, hatte ihr Blick unablässig auf mir geruht. Ich schwang mich von Tillys Rücken, führte sie zum Wassertrog und nahm ihr das Zaumzeug ab. So konnte sie trinken und fressen, ohne dass es im Weg war.
Die Erschöpfung brach über mir zusammen wie eine Flutwelle. Ich musste mich am verwitterten Zaun abstützen. Am liebsten hätte ich irgendetwas zertrümmert. Ich wollte schreien und brüllen, Pete zu Brei schlagen. Und trotzdem wollte ich ihn immer noch in mein Bett zerren und ihn langsam und zärtlich lieben. Mein Kopf begann zu schwirren, so widersprüchlich waren meine Gefühle. Es wurde immer schwieriger, meine nagenden Kopfschmerzen zu ignorieren. Ich presste die Finger gegen meinen Nasenrücken und seufzte laut auf.
Im nächsten Moment spürte ich Nan neben mir. Sie sagte kein Wort, sondern lehnte sich nur neben mich an den Zaun. Als ich die Augen öffnete, verzog sie die Lippen zu einem mitleidigen Lächeln. »Alles okay, Schatz? Willst du darüber reden?«
»Nein. Ja. Keine Ahnung.« Ich seufzte erneut und machte eine ausschweifende Geste. »Ich weiß nicht, wie ich das alles hinkriegen soll. Ich muss unser Land beschützen. Unsere Ranch.«
»Wir kriegen das hin.« Für einen Moment schwieg sie, dann fügte sie hinzu: »Ich habe schon versucht, einen Anwalt zu erreichen. Bald wissen wir, was wir nun tun müssen.« Das Feuer in ihrem Blick strafte ihre ruhige Stimme Lügen. Trotzdem schien sie gefasster als ich. »Warum gehst du nicht mal und machst dich etwas frisch, damit du zu Abend essen kannst?«
»Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass ich gerade in Gesellschaft sein sollte.« Ich ächzte, als ich mein Gewicht verlagerte. Meine schmerzenden Muskeln protestierten, als ich mir mit dreckigen Händen übers Gesicht fuhr. »Er hat uns hintergangen, Nan. Es tut weh. Ich dachte, er sei …«
Anders. Etwas Besonderes. Mein.
Erschrocken drängte ich die Worte zurück. Fast hätte ich mich geoutet, einfach so, ohne überhaupt darüber nachzudenken. Als ob alle im Haus über meine sexuelle Orientierung Bescheid wüssten. Meine Familie und meine Mitarbeiter waren eigentlich ziemlich offen, denn das musste man sein, wenn man hier draußen lebte. Doch dieses Geheimnis würde ich nie jemandem anvertrauen. Es würde alles zerstören. Genauso rasch wie ein Bagger, der hier überall Löcher aushob.
Nan tätschelte meine Hand. Im Gegensatz zu meiner wettergegerbten Haut, sah ihre alt und rissig aus. Aber trotzdem waren ihre Finger stark und tröstlich. Zum Glück war sie hier. »Komm schon«, sagte sie liebevoll. »Sonst gibt es keinen Apfelkuchen mehr, sobald du am Tisch sitzt. Du weißt, wie hungrig alle nach der Musterung sind.«
»Mhm«, brummte ich und folgte ihr ins Haus.
Als ich durch die Tür trat, verstummten alle schlagartig. Ihre Augen waren plötzlich auf mich gerichtet. Zögerlich. Besorgt. Doch niemand erwiderte meinen Blick wirklich, alle sahen rasch weg, als ich sie ansah. Wahrscheinlich war das auch besser so. Ich hatte Mühe, meine stoische Miene aufrecht zu erhalten. Niemand sollte sehen, was dahinter lag.
Mein Blick fiel auf die beiden leeren Plätze. Hier hatten Pete und ich immer gesessen. Der Anblick schien mich zu verhöhnen. Es schmerzte so sehr wie die Erinnerung an unseren letzten Kuss. Ich schluckte, drehte mich weg, schlurfte den Flur entlang und betete, dass meine Beine wenigstens noch bis zu meinem Zimmer durchhielten. Ich konnte nicht mit ihnen essen. Der leere Stuhl würde mich die ganze Zeit quälen.
Rauschen hallte in meinen Ohren, übertönte das leise Murmeln meiner Familie. Jeder Schritt war so unendlich anstrengend. Ich konnte nicht mehr. Die paar Meter bis zur Tür fühlten sich an, als würde ich einen Marathon durch Wüstensand laufen. Und doch schwand mit jedem Schritt der Zorn. Nun fühlte ich mich einfach nur noch leer und kraftlos. Bloß Leere und Trauer waren übrig. Ich hatte ihn verloren. Es war nicht so, als hätte ich viel Zeit mit ihm verbracht, denn unsere Affäre hatte nur eine Woche gedauert. Für die meisten Leute wäre das nicht besonders lange. Für mich jedoch bedeutete es alles. Ich hätte mir niemals ausmalen können, dass ich so etwas überhaupt haben konnte. Ihn an meiner Seite zu haben, zu wissen, dass ich nur die Hand ausstrecken musste, um ihn berühren zu können, wenn auch nur heimlich. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass so etwas für mich möglich war. Und jetzt war er weg. Er hatte mich angelogen. Er hatte alles, was ich liebte, in Gefahr gebracht. Ich sollte ihn hassen. Wirklich. Aber es ging nicht.
Ich betrat mein Zimmer. Die Tür fiel leise hinter mir ins Schloss. Eigentlich hatte ich hier Ruhe finden wollen, doch sobald ich allein war, überfielen mich die Erinnerungen an ihn. Pete in meinem Bett, eng an mich gekuschelt, sein warmer Körper an meinen geschmiegt. Unser erstes Mal in der Dusche. Er hatte Dinge mit mir angestellt, die kein anderer Mann je getan hatte.
Ich lehnte mich gegen die Tür und sank auf die Knie. Es war, als könnten meine Beine mein Gewicht nicht mehr tragen. Langsam rutschte ich zu Boden, stützte die Ellbogen auf den Knien ab und ließ den Kopf hängen. Am liebsten hätte ich mir den Schmerz aus der Brust geschnitten, damit ich mein Leben so weiterführen konnte, wie es vor Pete gewesen war. Andererseits wollte ich das nicht. Wie auch? Er hatte mir gezeigt, was in meinem Leben fehlte. Dass es vielleicht eines Tages jemanden geben könnte, der mich genauso mochte, wie ich war. Dieser Jemand war nicht Pete. Er war nur wegen der Abbaugenehmigung hier gewesen, nicht wegen mir. Aber vielleicht würde ich das mit jemand anderes haben können. Ich hatte es aufgegeben, jemanden zu finden, obwohl ich nie erlebt hatte, wie eine Beziehung sein konnte. Und nun war ich mir nicht sicher, ob ich so weitermachen konnte wie zuvor. Reichte es mir wirklich, ein paarmal im Jahr auf irgendeiner Clubtoilette einen Blowjob zu bekommen? Ich schloss die Augen und wünschte mir flehentlich, die Trauer würde endlich nachlassen. Sogar der Zorn wäre mir lieber, doch dieser war schon fast verblasst. Es wäre so viel einfacher, Pete für seinen Verrat zu hassen.
Ich wusste nicht, wie lange ich dasaß. Mein Hintern war längst eingeschlafen. Genau wie meine Zehen.
Ein Klopfen an meiner Zimmertür erklang.
»Scottie«, schallte Allys Stimme durch das Holz, das uns trennte.
So gerne ich allein bleiben würde, ich konnte nicht so tun, als würde ich schon schlafen. Ich würde es mir nie verzeihen, falls es irgendwelche Probleme mit den Tieren gab und ich nicht da war, wenn sie mich brauchten. Also rutschte ich nach vorn, sodass meine Schwester die Tür öffnen konnte.
Ally streckte den Kopf ins Zimmer. Als sie mich besorgt ansah, setzte ich mühsam ein Lächeln auf. Sie trat in den Raum und hielt mir einen Teller hin. Apfelkuchen mit Sahne. »Ich habe dir was übrig gelassen.«
»Danke«, nuschelte ich undeutlich, griff nach dem Teller und stellte ihn neben mir auf den Boden. Ich hatte keinen Appetit. Eigentlich sollte ich etwas essen, doch mein Magen schlingerte unangenehm, wenn ich nur daran dachte. Nicht einmal der Kuchen reizte mich.
Als Ally an Ort und Stelle stehen blieb, verstand ich, dass sie auf etwas wartete. Ergeben nickte ich in Richtung Bett, eine Einladung, sich zu setzen. Stumm ließ sie sich neben mir auf den Boden sinken und hatte sichtlich Schwierigkeiten damit. Kein Wunder. Wir hatten eine lange Reise hinter uns, hatten tagelang nicht viel geschlafen. Ally legte die Stirn in Falten und schürzte die Lippen. Sie wollte eindeutig etwas sagen. Ich musste nicht lange warten. »Es tut mir so leid«, flüsterte sie.
»Ist ja nicht deine Schuld, dass er ein Arsch ist.«
»Das meine ich nicht.«
Als sie nicht weitersprach, sah ich auf und wartete, bis sie es tat.
»Es tut mir leid, dass du ihn verloren hast.«
Mein Herz setzte aus. Mit einem Schlag bekam ich keine Luft mehr, der Raum begann sich zu drehen. Ich war mir nicht sicher, ob es aus Angst oder aus Erleichterung war. Ally war viel zu nahe an der Wahrheit dran.
»Er wirkte anfangs wie ein netter Typ … Es tut mir leid, dass er doch nicht derjenige war, den du in ihm gesehen hast …«
Noch immer konnte ich nicht atmen. Ich fühlte mich wie ein Kaninchen vor einer Schlange. Die Angst kroch meine Kehle empor, ich brachte kein Wort heraus.
»Wovor hast du Angst, Scottie?«
Ich öffnete den Mund, doch die Worte kamen nicht. Es ging nicht.
Als sie nach mir griff und ihre rauen Finger um mein Handgelenk legte, zuckte ich zusammen. »Ich habe gesehen, wie ihr miteinander umgegangen seid. Es war, als sei irgendein Funke zwischen euch übergesprungen … Ihr habt euch sogar synchron bewegt. Und jetzt gibst du ihn auf …«
»Er hat uns angelogen.« Meine Stimme klang brüchig, voller Schmerz. Ich schloss die Augen. Und nun verlor ich den Kampf gegen die Tränen. Sie begannen zu fließen und ich wischte mir hastig durch die Augen. Ich wollte nicht, dass meine Schwester mich weinen sah. Schon gar nicht, wenn es um einen Mann ging. Aber sie griff nun auch mit der anderen Hand nach mir und umschlang meine Finger.
»Ja, hat er. Aber vielleicht ist es nicht so schlimm, wie du denkst.« Sie griff in ihre Tasche und reichte mir ein zerfleddertes Buch. »Pete hat mir das hier gegeben. Er hat eine Theorie. Eine, an der er schon lange arbeitet, so wie das Buch aussieht. Er hat mir versprochen, dass keine großen Fische hierherkommen werden, um herumzuschnüffeln. Anscheinend jagt er einem Mythos nach. Scottie, ich glaube, du musst mit ihm reden. Er sollte dir erklären, warum er hierhergekommen ist.«
»Er will hier Rohstoffe abbauen, Ally. Es ist mir egal, nach was er sucht, er will auf unserem Land graben und alles kaputtmachen.«
»Aber das ist es ja: Das will er eben nicht. Dürfte er auch gar nicht. Er darf nur im kleinen Rahmen graben. Er will nach Gold suchen. Ich habe das überprüft. In Wirklichkeit kann er mit dieser Genehmigung keinen Schaden anrichten. Wenn wir die Herde auf eine andere Weide treiben, beschädigt das die Landschaft stärker.«
»Was soll ich deiner Meinung nach tun, Ally? So tun, als sei zwischen uns alles wieder in Ordnung? Ihm nachlaufen und ihn zurückholen? Vielleicht findet er dann ein paar Goldnuggets und will am Ende doch mit schweren Maschinen graben. Und dann was?«
»Ich weiß nicht, Scottie.« Sie schüttelte den Kopf und sah mich traurig an.
»Er wird die Rechte zum Abbau an irgendjemanden verkaufen. Dann rücken große Firmen an und die zerstören alles, wofür wir so hart gearbeitet haben.« Es würde ganz sicher so kommen. Der Zorn in meiner Stimme war verflogen. Ich fühlte mich einfach nur noch kraftlos.
»Als du ihm befohlen hast, zu gehen, ist er gegangen. Er hat dich zwar angesehen, als habest du seinen Hund getreten, aber er ist gegangen. Waru sagt, er habe ihn auf der Zufahrtsstraße gefunden. Er habe einfach nur dagesessen und völlig fertig ausgesehen.«
»Wärst du nicht auch völlig fertig, wenn du die Chance verloren hättest, Millionen zu scheffeln?«
»Wenn unser Land auf dem Spiel steht? Nein. Und ich habe irgendwie das Gefühl, Pete sieht das ähnlich.« Ally rappelte sich auf, indem sie sich an meinem Bett hochzog. Sie ächzte. »Lies einfach das Buch, Scottie. Und wenn dort steht ‚westlich von Alice Springs’, dann ersetze ‚westlich’ mit ‚östlich’.«
Ich hatte keine Ahnung, wovon sie redete. Und ich war mir, ehrlich gesagt, auch nicht sicher, ob ich es wissen wollte.
Pete
In meinem Leben hatte ich nur wenige Dinge getan, für die ich mich wirklich schämte. Ich hatte mich immer für einen ganz guten Kerl gehalten. Zumindest bis jetzt. Nach der Sache mit Scottie wusste ich, dass ich ein Arschloch war. Fast zehn Jahre lang hatte ich meine Zeit mit einem Mythos verschwendet. Byrons Gold war berüchtigt; im Laufe der Geschichte hatte es für so viel Leid gesorgt. Zerbrochene Familien, gescheiterte Existenzen und ruinierte Leben. Ich war direkt in die Falle getappt und hätte fast die Pearce Station mit mir in den Abgrund gerissen. Gemeinsam mit den Menschen, die mich mit offenen Armen in ihrer Familie aufgenommen hatten. Ich hatte nur mein Ziel vor Augen gehabt, war so besessen von dem Gold gewesen, dass ich nicht erkannt hatte, welchen Schaden ich anrichten konnte. Durch die Abbaugenehmigung, die ich beantragt hatte, hatte ich all diese Menschen in Gefahr gebracht. Was, wenn die großen Firmen wirklich Lunte rochen? Sie waren nicht gerade dafür bekannt, sorgsam mit dem Land oder dessen Bewohnern umzugehen. Und zu allem Überfluss kam hinzu, dass ich meine wahren Motive verschleiert hatte. In manchen Dingen war ich ehrlich gewesen, denn es stimmte, dass ich Australische Geschichte studiert hatte und mehr über das Land erfahren wollte. Doch warum ich mehr darüber erfahren wollte, hatte ich ihnen verschwiegen, und das bereute ich bitter. Gottverdammt, ich hatte eine Ausbildung in Rohstoffabbau. Und dann war da noch die Sache mit mir und Scottie. Ich hätte fast sein Geheimnis in Gefahr gebracht. Nein, ich bereute es nicht, dass ich mit ihm geschlafen hatte. Aber es war ein Fehler gewesen, das bei ihm zu Hause zu machen, wo seine Familie und seine Angestellten es hätten herausfinden können. Ein Outing würde für Scottie bedeuten, dass seine Lebensgrundlage auf dem Spiel stand. Und trotzdem waren wir heimlich miteinander ins Bett gegangen. Das war unverantwortlich gewesen. Nicht, dass es nur meine Schuld gewesen war, aber trotzdem.
Ich fühlte mich nicht schlecht dabei, als ich Scotties Unterschrift auf den Papieren fälschte, die ihm die Abbaugenehmigung übertrugen. Drei Tage, nachdem ich die Ranch verlassen hatte, stand ich wieder in der Behörde für Abbaugenehmigungen. Ich lieferte die Papiere bei der Dame ab, die ich schon vom letzten Mal kannte. Dann zahlte ich die Bearbeitungsgebühr und machte mich auf den Weg zum Pub. Und wartete. Worauf ich wartete, wusste ich nicht genau. Und trotzdem wartete ich. Vielleicht auf die Erkenntnis, dass mein Leben nie mehr so sein würde wie zuvor. Alles war umsonst gewesen. Fast zehn Jahre Forschung und Tausende Dollar Schulden für mein Studium. Es war hart, sich dieser Wahrheit zu stellen. Doch dieses Kapitel war nun beendet. Also wartete ich. Auf einen Einfall, auf eine Idee. Nun musste ich überlegen, was ich mit meinem Leben anstellen wollte. Ich musste ganz von vorn beginnen. Nichts hielt mich an einem bestimmten Ort, ich hatte keine Verpflichtungen. Aber was wollte ich? Das wusste ich nicht. Ein Buch zu schreiben, war immer eine Option für mich gewesen, aber das ging nicht, denn damit würde ich Scotties Ranch noch weiter in Gefahr bringen. Ich könnte mir eine andere Abbaugenehmigung für einen Ort weit weg von hier besorgen und dort mein Glück versuchen. Doch ich wusste, ich würde trotzdem immer an Byrons Gold denken. An die Chance, die ich verpasst hatte. Nicht an die Chance, reich zu werden, nein, sondern an die Chance, die ich mit Scottie gehabt hatte.
Ich seufzte und drehte mein leeres Glas auf dem Untersetzer im Kreis. Alles in meinem Leben war nun im Ungewissen. So lange hatte ich nur ein einziges Ziel gehabt und nun fühlte ich mich verloren. Nur eine Sache wusste ich ganz sicher: Ich würde den Rest meines Lebens bereuen, was passiert war. Der Schmerz in meiner Brust war seit Tagen mein ständiger Begleiter. Immer noch war mir, als könnte ich Scottie auf meinen Lippen schmecken. Als fühlten meine Hände noch seine Haut, seine Wärme, seine Stärke und seine Zuneigung. Ich war so ein Idiot. Innerhalb von ein paar Tagen hatte ich mich Hals über Kopf in ihn verliebt, draußen in der roten Wildnis unter dem endlosen blauen Himmel. Es hatte nur ein paar Tage gebraucht, bis er mir mein Herz gestohlen hatte. Ich wusste, ihn wieder zu vergessen, würde nicht ansatzweise so schnell gehen. Normalerweise gab ich nicht so leicht auf, immerhin hatte ich fast zehn Jahre nach diesem verdammten Gold gesucht. Aber das hier war etwas anderes. Scottie hatte gewollt, dass ich ging. Er wollte mich nicht auf seinem Grundstück haben, ich musste mich von seiner Familie fernhalten. Das verstand ich. So gerne ich zurück zur Pearce Station fahren wollte, es ging nicht. Ich musste seinen Wunsch respektieren. Und dennoch konnte ich noch nicht nach Hause fahren. Allein der Gedanke, jetzt aufzustehen, zum Motel zu gehen und auszuchecken … Ich schaffte es nicht. Ja, ich hatte es versucht. Mehr als einmal. Doch die Wüste hatte mich genauso bezaubert wie Scottie. Longreach war zwar nicht der Ort, an dem ich wirklich sein wollte, aber er war näher dran als Sydney. Der Gedanke, zurück in die Stadt zu fahren, klang kein bisschen verlockend. All die Autos, der Smog, die Menschenmassen … Nein, ich sehnte mich nach der weiten Wüste, nach der roten Erde und dem blauen Himmel. Nach den Kühen mit ihrem goldfarbenen Fell und den großen Hörnern, nach einem gemütlichen Zuhause. Am meisten jedoch sehnte ich mich nach ihm.
Scottie
Es war das dritte Mal in Folge, dass ich mich vor dem Abendessen mit meiner Familie drückte. Sie merkte sicher, dass ich ihr aus dem Weg ging. Doch das war besser so. Im Moment war ich keine gute Gesellschaft. Ich hatte kaum geschlafen, fast nicht gegessen und selbst ein schiefer Blick würde mich sicher zum Ausrasten bringen. Überraschenderweise hatte ich mir noch keinen Zahn abgebrochen, weil ich ständig fest die Kiefer aufeinanderpresste. So versuchte ich mich daran zu hindern, alle anzuschreien. Es war einfacher, sich von allen fernzuhalten und die Ranch ganz altmodisch zu leiten: von Tillys Rücken aus. Normalerweise beruhigte es mich immer, im Sattel zu sitzen, den Wind und die Sonne zu genießen. Es verband mich mit der Landschaft um mich herum. Doch nun herrschte in mir nur Leere.
Ich saß auf der Hollywoodschaukel beim Gästehaus, Petes Buch neben mir. Motten kreisten um die einzelne Lampe auf der Veranda und warfen flirrende Schatten auf meine Haut. Ich bemerkte es kaum, so sehr war ich in meinen Gedanken gefangen, seit ich das Buch zu Ende gelesen hatte. Byrons Geschichte war tragisch. Vor allem für diejenigen, die er zurückgelassen hatte: seine Frau und seine Kinder. Der Mann war ein Lügner gewesen, ein Betrüger. Er hatte so vielen Leuten Geld aus der Tasche gezogen und das inmitten der großen Weltwirtschaftskrise. Byron hatte ihnen falsche Hoffnungen gemacht, Hoffnungen, sich aus der schrecklichen Armut zu befreien. Dann hatte er sich Geld von seinen Investoren erschwindelt und ein Expeditionsteam in die unwirtlichsten Gegenden Australiens gelockt. Zur heißesten Zeit des Jahres. Monatelang hatte die Reise durch härtestes Terrain in ungeeigneten Fahrzeugen diesen Menschen alles abverlangt. Es war eigentlich ein Wunder, dass nur Byron dort draußen gestorben war. Byrons zweite Frau, die er geheiratet hatte, obwohl er schon verheiratet gewesen war, war schon lange tot. Doch seine Kinder lebten noch. Ich beneidete sie wirklich nicht. Ihr Leben lang hatten sie den Namen ihres Vaters getragen und wurden so immer wieder an ihr unrühmliches Erbe erinnert. Trotzdem beharrte sein Sohn, mittlerweile ein alter Mann, darauf, dass Byron das Gold wirklich gefunden hatte. Ally hatte etwas darüber gesagt, dass ich westlich immer mit östlich ersetzen sollte. Wenn das stimmte und das Quarzgebirge wirklich östlich von Alice Springs war, dann befand es sich vielleicht wirklich ganz in der Nähe. Unser Grundstück war tatsächlich genau in der Mitte zwischen Alice Springs und Carnarvon Gorge auf fast demselben Breitengrad wie das andere Carnarvon in Westaustralien. Vielleicht war das Gold wirklich in den Bergen auf unserem Grundstück verborgen, in der Schlucht, die die Felsmassen durchzog. Byrons Gold könnte sich hier auf der Pearce Station befinden. Es dauerte eine Weile, bis der Gedanke in meinem Gehirn angekommen war. Es könnte hier tatsächlich Gold geben. Ich verstand, warum Pete hierhergekommen war. Rein objektiv betrachtet, ergab es Sinn. Doch dadurch fühlte ich mich kein bisschen besser.
Ich starrte in die Dunkelheit, konnte durch den Lichtkegel der Lampe über mir jedoch kaum etwas erkennen. Wenn ich doch nur über den Mann hinwegkommen könnte, der mir das Herz aus der Brust gerissen hatte und dann darauf herumgetrampelt war. Es war so verdammt schwer, schwerer als ich es mir je hätte vorstellen können, und definitiv schwerer, als mir lieb war. Es war vielleicht keine besonders gute Idee, hier draußen zu sitzen. Immerhin hatten wir hier unsere erste Nacht verbracht und das holte all die Erinnerungen zurück. Doch ich konnte ja schlecht auf meiner eigenen Ranch alle Orte meiden, an denen ich mit ihm gewesen war. Besonders, wenn es Orte waren, an denen ich oft war.
Ich ließ den Kopf sinken und seufzte. Die Einsamkeit und der Verlust lasteten auf meinen Schultern wie ein Felsbrocken. Angst rumorte in meinem Bauch. Alles war so ungewiss. Was, wenn ich die Ranch an irgendein Bergbauunternehmen verlor? Doch die Angst war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der mich umhüllte wie ein Leichentuch, das mich langsam erstickte. Ich war nur eine Woche mit Pete zusammen gewesen, aber das war egal. Der Schmerz war trotzdem erdrückend. Es war, als würden nur noch Schatten existieren. Als wären alle Farben verblasst. Wenn ich mir meine Zukunft ausmalte, sah ich nur lange, einsame Tage vor mir. Ja, meine Familie war hier, aber ich hatte mich von ihr abgeschottet … Das erste Mal fühlte ich mich, als könnte ich wirklich verstehen, was Ma durchgemacht hatte. Damals, als Dad gegangen war. Einfach so, nach vierzehn Jahren. Er hatte ihr gesagt, dass er nicht mehr hier gefangen sein wollte, dass es für ihn die Hölle wäre. Zum ersten Mal verstand ich auch ihn etwas besser. Ich hatte diesen Ort geliebt, ja, aber nun wurde mir erst bewusst, wie einsam es hier sein konnte.
Als Nans Stimme in der Dunkelheit erklang, fuhr ich vor Schreck zusammen. »Junge, ich muss schon sagen … Ich wurde schon oft in meinem Leben enttäuscht, aber das war nichts im Vergleich zu jetzt.«
»Oh Scheiße, Nan«, fluchte ich und drückte mir eine Hand auf die Brust. »Hast du mich erschreckt.«
Die Dunkelheit verbarg ihren Gesichtsausdruck, doch als sich meine Augen daran gewöhnten, sah ich sie auf dem Treppenabsatz stehen. Sie trug einen grauen Pullover und eine Mütze. In diesem Moment trat sie näher und ich sah ihren enttäuschten Gesichtsausdruck. Es war, als hätte mir jemand in den Magen geschlagen. Ich hatte so lange so hart gearbeitet, die Verantwortung für die Ranch und ihre Bewohner ganz allein getragen, ebenso die Geldsorgen durch die lange Dürre. Ich wusste, dass auch die anderen sich Sorgen machten, doch als der Inhaber der Ranch lag die Verantwortung trotzdem bei mir. Das hieß, dass ich mich um das Problem mit Petes Abbaugenehmigung kümmern musste. Aber die Tatsache, dass Nan von mir enttäuscht war, tat trotzdem verdammt weh.
Ich legte die Stirn in Falten und knirschte mit den Zähnen. Mutlosigkeit und Zorn brachen über mir zusammen. Wie hatte Pete mich nur in diese Situation bringen können?
»Es tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe«, murmelte ich und blickte zu Boden, damit sie nicht sehen konnte, wie sehr ihre Worte mich verletzt hatten.
Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie sie die Stufen hinaufkam und sich dabei am Treppengeländer festhielt. Nan wirkte so zerbrechlich. Sie wurde älter wie wir alle, doch in meinem derzeitigen Zustand hatte ich Probleme, diese Tatsache anzunehmen. »Scottie, ich bin doch nicht von dir enttäuscht.« Ihre Finger waren kalt, als sie sie auf meine Hand legte. Ich musterte ihre wettergegerbte, fleckige Haut. Als sie meine Finger drückte, sah ich auf. In ihren Augen schimmerten Tränen. »Ich bin enttäuscht von mir. Wir waren nicht genug für dich da. Eigentlich dachte ich, du weißt, dass du immer mit uns reden kannst. Doch Ally meint, dass wir dir das vielleicht nicht genug gezeigt haben. Sie macht sich Sorgen um dich. Wir alle machen uns Sorgen.«
»Wovon redest du, Nan?«, fragte ich zögerlich. Was meinte sie?
Nicht genug für mich da? Hä?
»Ich dachte, du weißt, dass du mit allem zu mir kommen kannst. Ich dachte, du weißt, wie sehr ich dich liebe.«
»Das weiß ich, Nan. Aber ich verstehe trotzdem nicht, was du …«
»Du hast das Gefühl, verstecken zu müssen, wen du liebst …«
»Was?«, würgte ich erstickt hervor.
»Scottie, wir sind nicht blind. Deine Mutter, Ally und ich, wir merken, dass es dir nicht gut geht. Wir sehen ja, wie verletzt du bist … Wie nahe dir das geht. Und wir wissen, dass es nicht nur um die Ranch geht. Das Risiko für uns hält sich in Grenzen. Es hätte jederzeit passieren können, dass irgendwer eine Abbaugenehmigung anfordert. Und es kann auch wieder passieren. Aber hier geht es um mehr, nicht wahr? Pete hat dir das Herz gebrochen.«
Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf, versuchte es zu leugnen. Doch ich scheiterte. Die Tränen begannen zu fließen und egal wie sehr ich es versuchte, diesmal konnte ich sie nicht zurückhalten. Nan zog mich in ihre Arme. Ich ließ es geschehen, lehnte mich an ihre Schulter und weinte, bis meine Tränen trockneten und ich völlig erschöpft war.
»Oh Scottie«, sagte sie. »Ich wünschte, wir hätten dich nicht im Stich gelassen. Ich wünschte, du hättest nicht das Gefühl gehabt, dich vor uns verstecken zu müssen.«
»Es tut mir leid«, flüsterte ich, wischte mir durch die Augen und versuchte mich aufzusetzen. Nan hinderte mich daran, indem sie mich am Oberarm festhielt und mich sanft schüttelte.
»Entschuldige dich niemals dafür, jemanden zu lieben, Scottie.«
Ich schüttelte den Kopf. »Aber, Nan, ich liebe ihn doch n…«
Sie hob nur eine Augenbraue und ich senkte den Blick. Sie wusste es. Obwohl ich es nicht geschafft hatte, es auszusprechen.
»Zuerst habe ich nicht verstanden, warum du dich spätnachts nach draußen schleichst. Oder warum du ihn so ansiehst, wenn du dich unbeobachtet fühlst. Aber jetzt verstehe ich es. Du hast dich in diesen Jungen verliebt … Und er hat dir das Herz gebrochen.«
»Hast du uns gehört?«, fragte ich entsetzt. Meine Stimme, die normalerweise relativ tief war, klang hoch und schrill. Ich spürte, wie meine Wangen vor Scham heiß wurden.
»Das ist es, weshalb du dir Sorgen machst?« Nan lachte. »Hör mal, ich habe Kinder großgezogen. Ich kenne alle Tricks. Und ich habe mich selbst oft heimlich rausgeschlichen, als ich jung war. Gut, ich habe mich zwar nicht mit den Arbeitern zum Sex getroffen, aber ich habe heimlich geraucht und getrunken.« Sie lächelte wieder und tätschelte meine Wange. »Hätte aber nicht gedacht, dass ich dich mal dabei erwische, wie du dich rausschleichst.«
Mein Lächeln verblasste. »Und jetzt bin ich anscheinend geoutet …«, flüsterte ich.
»Du kannst jetzt du selbst sein, Scottie.«
Ich lachte freudlos. »Toll, Nan. Ich kann ich selbst sein. Es ist schlimm genug, dass ihr drei es wisst. Kannst du dir vorstellen, was passiert, wenn das jemand anderes herausfindet? Ich wäre in der Stadt die Lachnummer schlechthin … Niemand würde mit uns Geschäfte machen wollen. Wir würden unsere Lieferanten verlieren, unsere Kunden … Und unsere Mitarbeiter. Alles nur, damit ich ich selbst sein kann? Nein! Ich kann genauso wenig ich selbst sein wie vor einem Monat.«
»Aber was willst du machen? Es einfach hinnehmen? Einsam und traurig sein, weil du dir Sorgen machst, du könntest Kunden oder Mitarbeiter verlieren? Wozu, wenn du nicht glücklich sein kannst? So haben wir dich nicht erzogen, Scottie.«
»Nein«, sagte ich und zeigte auf sie. »Ihr habt mir beigebracht, dass ich zuerst an die Menschen denken soll, die mir wichtig sind. Dass ich sie beschützen muss. Ich will doch nur das Beste für euch.« Ich fuhr mir durchs Haar und zerrte an den Strähnen. Die Verzweiflung fraß mich förmlich auf. »So viele Menschen verlassen sich darauf, dass ich diese Ranch am Laufen halte. Es ist mehr als nur ein Job und eine Einkommensquelle. Die Ranch ist unser Zuhause, Nan. Wenn wir das nicht haben, was haben wir dann noch?«
»Du kannst dein Leben nicht als Märtyrer leben. Das lasse ich nicht zu.« Nan sprach leise, aber eine gewisse Härte lag in ihrer Stimme. »Wir sind alle gesund. Und du könntest glücklich sein, Scottie … Du musst nur mutig genug sein. Wenn dieser Junge die Liebe deines Lebens ist, dann lass ihn nicht gehen. Finde ihn und bring ihn nach Hause.«
»Mutig sein?«, knurrte ich, sprang auf und begann auf und ab zu laufen. Wie konnte sie mir nur vorwerfen, ich wäre schwach? Ich hatte mein wahres Ich versteckt, um sie zu beschützen. Warum verstand sie das nicht? »Denkst du nicht, dass ich das war? Ich habe mich aufgeopfert, nur um der Mann zu sein, den jeder in mir sieht!« Nun schrie ich fast und ich hasste mich dafür.
»Diese Wüste, dieses Land … Alles wird noch hier sein, wenn wir schon lange weg sind, Scottie. Ganz egal, ob die Ranch erfolgreich ist oder nicht.« Nan stand auf, stellte sich neben mich ans Geländer und blickte in die nachtschwarze Landschaft um uns herum. Das schwache Licht über uns erleuchtete die Dunkelheit kaum, aber dafür konnte ich die Sterne und den Mond sehen. »Alles hier hat eine so lange Geschichte … Und ich wünsche mir, dass wir hier auch eine Zukunft haben. Aber nicht, wenn wir dafür die Gegenwart opfern. Und nicht, wenn wir dafür dein Glück opfern.« Nan hakte sich bei mir ein und sprach leise weiter. Ihre Stimme war sanft. »Eines Tages werde ich auf meinem Sterbebett liegen. Und weißt du, was ich dann sehen will? Ich will dich mit einem Partner sehen, oder mit einem Ehemann. Mit jemandem, der für dich da ist, der dich unterstützt.« Sie tätschelte meinen Arm mit ihrer freien Hand. Ich schloss die Augen. Die Wehmut in ihrer Stimme zerriss mir das Herz. »Eines will ich auf dieser Welt hinterlassen, nämlich glückliche Kinder und Enkelkinder. Bitte, Scottie. Ich bitte dich. Sei mutig. Für dich. Nicht für diese Ranch und nicht für jemand anderes. Kämpfe für dich und für dein Glück.«
»Ich wüsste nicht einmal, wo ich nach ihm suchen soll …«
»Das ist eine Ausrede und das weißt du auch.«
Unwillkürlich lächelte ich und schüttelte den Kopf. Nan nahm wirklich kein Blatt vor den Mund.
»Du hast seine Nummer, also ruf ihn an. Oder, noch besser, fahr zum Gateway Motel in Longreach. Neben dem Pub. Dort hat er ein Zimmer.«
»Woher weißt du das?« Ich lachte ungläubig, doch zum ersten Mal seit Tagen machte sich Hoffnung in mir breit. Vielleicht war es sogar länger her. Denn auch, wenn ich jeden Moment mit Pete genossen hatte, war mir das Versteckspiel an die Substanz gegangen.
»Ach, Klatsch und Tratsch. Du wärst überrascht, was man in der Kirche alles rausfindet. Ich habe nur beiläufig einen gewissen rothaarigen Jungen erwähnt und sofort alles erfahren.«
Ich seufzte und massierte meine Schläfen, wusste nicht, was ich fühlen sollte. »Die Damen aus der Kirche werden sich das Maul zerreißen, wenn sie die Wahrheit über mich erfahren. Sie werden dich bemitleiden, weil dein Enkelsohn eine Schwuchtel ist. Ein Schwuler kann doch keine Ranch führen.«
Nan musterte mich einen Moment lang. Obwohl ich ihren Blick nicht erwiderte, konnte ich spüren, wie sich ihre Augen förmlich in meine Seele bohrten. Ob sie meine Gedanken lesen konnte? Ich unterdrückte den Drang, mich unter ihrem Blick zu winden. »Glaubst du das? Wen du liebst, ändert doch nichts an deinen Fähigkeiten.«
»Nein, aber alle anderen denken das.« Ich hasste es, wie schwach meine Stimme klang, aber ich konnte es nicht verstecken. Meine größte Angst war es, dass ich die Ranch nicht mehr führen konnte, weil andere mich verurteilten. Man brauchte gute Kontakte zu vielen Leuten, wenn man mit einer Ranch erfolgreich sein wollte. Vor allem, wenn sie so groß war wie unsere. Und wenn die Leute nicht mehr mit uns zusammenarbeiten wollten, wären wir auf uns allein gestellt. Das würde ich nicht schaffen. Ich könnte meinen Job nicht machen, wenn ich mich gleichzeitig gegen alle behaupten müsste.
»Wer denkt das, Scottie?«
»Du musst dich doch nur mal in deiner Kirchengemeinde umhören. Oder die Nachrichten schauen, online gehen …«
»Dann ist es ja gut, dass wir uns noch nie großartig um die Meinung anderer gekümmert haben, oder? Wir haben schon gegen viele Widrigkeiten gekämpft. Als dein Dad gestorben ist, musste sich deine Mutter auch behaupten. Sie hat den Respekt eingefordert, der ihr als Geschäftsleiterin gebührte. Es gab viele Leute, die behauptet haben, sie würde das nicht schaffen. Deine Mutter hat einfach mit erhobenem Kopf weitergemacht. Hat ihnen das Gegenteil bewiesen. Du wirst dasselbe tun und wir werden hinter dir stehen, genauso wie du hinter deiner Mutter gestanden hast. Und auch Macca wird an deiner Seite sein.«
