Ozempic Viel Segen und wie viel Fluch? - Imre Kusztrich - E-Book

Ozempic Viel Segen und wie viel Fluch? E-Book

Imre Kusztrich

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Beschreibung

Fast alle Betroffene eint ein Gedanke: Wäre ich doch bloß nicht so dick! Übergewicht ist in der modernen Gesellschaft fast garantiert. Die schweren Erkrankungen Diabetes und Adipositas sind weltweit so stark verbreitet, dass sie nicht auf individuelles Versagen zurückzuführen sind. Das zu ändern, war bisher fast aussichtslos. Erfolge durch ein nachgeahmtes Verdauungshormon im Fertig-Pen Ozempic zwingen schon seit 2017 eigentlich zum Umdenken. Schwierig könnte es weiterhin bleiben. Zum Beispiel bieten sich nicht alle Mitarbeitenden im Gesundheitswesen als neutrale Gesprächspartner an. Traditionell sind es Ärztinnen und Ärzte, Krankenschwestern und Krankenpfleger, die übergewichtige oder fettleibige Menschen oft beschämen. Schon jetzt spaltet der Siegeszug der Abnehmspritzen die Gesellschaft.

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Ozempic

Viel Segen und wie viel Fluch?

 

Wie die Abnehmspritze die Gesellschaft spaltet

Impressum:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (insbesondere durch elektronisches oder mechanisches Verfahren, Fotokopie, Mikroverfilmung oder Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages vervielfältigt oder verbreitet werden. Ausgenommen davon sind kurze Text-Zitate in Rezensionen.

 

Haftungsausschluss.

Die folgende Veröffentlichung dient ausschließlich Informations- und Lehrzwecken. Sie ist nicht als Ersatz für ärztlichen Rat oder medizinische Behandlung gedacht. Vor jeder gesundheitlichen Maßnahme sollte ein medizinischer Experte konsultiert werden. Die kombinierte Einnahme von Nahrungs-Ergänzung oder pflanzlichen Substanzen und verschriebenen Medikamenten ohne Zustimmung Ihrer Ärztin oder Ihres Arztes wird nicht empfohlen. Die Autoren, der Verlag, der Vertrieb und alle jene, die in dieser Veröffentlichung namentlich genannt werden, übernehmen keinerlei Haftung oder Verantwortung für Verluste oder Schäden, die durch die Informationen, die in dieser Veröffentlichung vermittelt werden, entstanden oder angeblich entstanden sind.

 

IGK-Verlag

22393 Hamburg

Volksdorfer Weg 81c

Autoren: Dr. med. Jan-Dirk Fauteck, Imre Kusztrich

Copyright © IGK-Verlag 2024

ISBN: 9783989953178

Fotos: © Engel-Fotolia.com

INHALT

Einleitung

Das Gesundheitswesen stigmatisiert das Gewicht

Stumme Epidemie in der Ärzteschaft

Die Bevölkerung altert und die Zahlen steigen an

Piksen ist für manche eine neue Art Betrug

Fertig-Pens widerlegen einen Glaubenssatz

Körperfett stört die innere Kommunikation

Inkretine, die unbekannten Supersubstanzen

GIP, GLP-1 und Insulin

Eine medizinische Sensation hält 168 Stunden an

Anonym abnehmen

Erleichtert zwischen Hoffnung und Missbrauch

Ozempic und Wegovy sind besser als alle Therapien davor. Jetzt werden sie selbst von Mounjaro sogar übertroffen

Nach dem Absetzen: Mehr Fett, weniger Muskeln

Auch Medien spalten die Ozempic-Gesellschaft

Kohlenhydrate, die größte Herausforderung für den Stoffwechsel

Wie Boris Johnson Semaglutid erlebte

Was dem Oprah Winfrey-Geständnis so viel Gewicht gibt

Von 237 Pfund runter auf 167

Selbst eine Oprah Winfrey schafft es nicht ohne Medikament

Oprah Winfreys Erlösung bedeutet Erleichterung für Millionen

Abnehm-Pens sind Gamechanger

Schande und Scham wegen einer schweren Krankheit

Bis zu sieben Kilos Übergewicht sind genetisch erklärbar

Das Belohnungszentrum registriert jeden Bissen

Insulinresistenz verfestigt Fettleibigkeit

Übergewicht durch Umweltgifte

Das Gehirn kontrolliert – nicht wir

Ultraverarbeitete Nahrung verleitet zum Mehressen

Dickmacher Darmmikrobiom

Lebensmittelskandale als Unterhaltungsbeitrag

Agonist und Rezeptor – Millionen lernen neue Fremdwörter kennen

Alkohol, Rauchen, Appetit – das Gehirn verliert den Zwang zur Sucht

Sichere Produkte von drei Jahrzehnten Forschung, sogar mit Anti-Krebs-Effekt

Mit Ozempic auch anderen Organen Gutes tun

Mit der Beliebtheit kommen Gerüchte und Befürchtungen

Wann ist ein Wegovy-Info-Abend ein strafbares Vergehen?

Semaglutid ist länger erforscht, Tirzepatid ist teurer

Nach 60 Wochen Abnehmen bremst der Körper

Piksen gegen den „Essenslärm“

Professioneller Ärger über Milliardäre

Angst vor der Kehrtwende zurück in die Schlankheitskultur

Weniger Kilos, weniger Stress

Verstärkt Piksen wieder die Diskriminierung?

Was diese Medikamente enorm verbessern können - und was überhaupt nicht

Die Medizin muss sich noch einig werden

„Sind wir jetzt alle Adipositas-Ärzte?“

„Der größte wissenschaftliche Durchbruch in der Medizin der letzten fünf Jahre“

Auf den Punkt gebracht

Für welches Gewicht kommt ein Abnehm-Fertig-Pen in Frage?

Einleitung

Bis jetzt drehten sich Fragen zu Ozempic und zu den anderen Abnehm-Fertig-Pens im Wesentlichen um Medizin. Welchen Betroffenen helfen sie? Wie sind die Nebenwirkungen? Muss ein Leben lang gepikst werden?

Aber die wahre Diskussion steht noch bevor. Wir werden sie haben, wenn das wöchentliche Piksen mit den neuen Substanzen Semaglutid und Tirzepatid die Routinebehandlung gegen Übergewicht oder zu viel Blutzucker sein wird.

Nach Selbstangaben leben in Deutschland 46,6 Prozent der Frauen und 60,5 Prozent der Männer mit einem zu hohen Body Mass-Index. Knapp ein Fünftel von ihnen, 19 von 100 Personen, sprechen von Fettsucht.

Besonders die schwere Form von Körpergewicht, Fettleibigkeit, ist eine missverstandene und hartnäckig erfolglos zu behandelnde Situation. Ärzte bezeichnen sie erst seit Kurzem als Krankheit. Die Ursachen werden seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Lösungen zielen seit Längerem auf Willensstärke und Selbstdisziplin und damit auf eine einfach anmutende Strategie ab: weniger essen, mehr bewegen. Die Resultate sind bemerkenswert düster. Zahllose Studien der jüngeren Zeit favorisieren eine breite Palette von Ursachen des Dickwerdens, von Genen bis zum Lebensstil. Viele sehen als Teil der Situation einen wachsenden Verzehr von Nahrungsmitteln mit Kohlenhydraten und von ultraverarbeiteter Fertignahrung.

Das Robert Koch Institut befragt in regelmäßigen Abständen für die Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“, GEDA, Teilnehmende telefonisch, schriftlich oder online zu ihrem Gesundheitsverhalten und zum Gesundheitszustand. Da Umfragen zum Körpergewicht nicht wissenschaftlich seriös ablaufen, bedeutet das: Es könnten sogar mehr Menschen betroffen sein.

Häufig wird das Körpergewicht unterschätzt, die Körpergröße dagegen eher überschätzt. Auf dieser Basis ist der berechnete Body-Mass-Index geringer. Dementsprechend liegen die Zahlen aus der GEDA-Zeitreihe niedriger als jene, die individuell mit Messdaten berechnet werden. Dennoch waren nach eigenen Angaben bereits zehn Prozent der Mädchen und jungen Frauen bis zu 18 Jahren in der Robert Koch-Erhebung fettleibig. Für männliche Jugendliche war das entsprechende Ergebnis neun Prozent. Schweres Übergewicht wurde für 57 Prozent der Frauen und für 68 Prozent der Männer ab 65 ermittelt.

Ärztinnen und Ärzte verwenden inzwischen die Formulierung „leben mit Übergewicht“. Aber es führt kein Weg daran vorbei: Die Rede ist von Fettgeweben und prallen Fettzellen.

Es ist kompliziert. Konzerne und Interessensgruppen haben sich zum Ziel gesetzt, aus Menschen mit einem schweren Körper Milliardengewinne herauszupressen. Damit werden Dicke zum zweiten Mal Opfer. Denn Gewicht haben sie zugelegt, weil sie das verzehrten, was ihnen die Nahrungsindustrie als Essen verkaufte. Anschließend wurden sie verachtet, durch Fettscham unter Druck gesetzt und unter falschen Versprechungen zum Abnehmen gedrängt.

Und jedes Mal wurden sie abkassiert. Genau genommen passiert Schlanken Ähnliches, weil sie aus allen Richtungen davor gewarnt werden, ihr Dünnsein zu verlieren.

Die Soziologin Dianne Rubinstein kreierte 2014 an der City University of New York den Begriff Obesity Industry Complex, Kartell der Übergewichtsindustrie, und nannte die Nahrungsindustrie, Pharmakonzerne, Werbeagenturen, Medien und die Wellnessbranche als Partner und Nutznießer.

Jahrzehntelang waren als Diätwunder angepriesene Medikamente praktisch wirkungslos. Ausgerechnet ein Arzneistoff gegen die Krankheit Diabetes löste 2023 weltweit einen Hype aus. Das Wissenschaftsmagazin „Science“ bezeichnete die Abnehmspritze Ozempic als Breakthrough-Medikation des Jahres. 1,3 Prozent der amerikanischen Bevölkerung piksen sich damit regelmäßig einmal wöchentlich. Sie verlieren deutlich Gewicht und verbessern zahlreiche Gesundheitsparameter.

Mit der berechtigten Hoffnung kommen große Sorgen.

Das Gesundheitswesen stigmatisiert das Gewicht

Fast alle Betroffene eint ein Gedanke: Wäre ich doch bloß nicht so dick! Übergewicht ist in der modernen Gesellschaft fast garantiert. Die schweren Erkrankungen Diabetes und Adipositas sind weltweit so stark verbreitet, dass sie nicht auf individuelles Versagen zurückzuführen sind. Das zu ändern, war bisher fast aussichtslos. Erfolge durch ein nachgeahmtes Verdauungshormon im Fertig-Pen Ozempic zwingen schon seit 2017 eigentlich zum Umdenken.

Schwierig könnte es weiterhin bleiben. Zum Beispiel bieten sich nicht alle Mitarbeitenden im Gesundheitswesen als neutrale Gesprächspartner an. Traditionell sind es Ärztinnen und Ärzte, Krankenschwestern und Krankenpfleger, die übergewichtige oder fettleibige Menschen oft beschämen.

Noch im August 2022 stellte fünf Jahre nach Zulassung des ersten wöchentlichen Piksers gegen die Zuckerkrankheit und ihren Folgen ein Artikel in der britischen Tageszeitung „The Guardian“ den Medizinbetrieb in einem schlechten Licht dar. Darin analysierte Professorin Dr. Anastasia Kalea vom University College London 25 Studien über "Gewichtsstigmatisierung", auf Basis der Meinungen von 3 554 Angehörigen der Gesundheitsberufe in verschiedenen Ländern, darunter auch sieben europäischen, sowie in asiatischen Nationen und in den Vereinigten Staaten. Sie fand "umfangreiche Belege für eine starke Voreingenommenheit gegenüber dem Gewicht" bei einer Vielzahl von Fachkräften, darunter Ärztinnen, Ärzte, Krankenschwestern, Diätassistentinnen, Psychologen und sogar Adipositas-Spezialisten.

Ihre Analyse ergab, dass viele "glauben, ihre Patienten seien faul, hätten keine Selbstbeherrschung, würden zu viel essen, seien feindselig, unehrlich, hätten eine schlechte Hygiene und befolgten die Anweisungen nicht."

Dr. Anastasia Kalea fügte ein niederschmetterndes Urteil hinzu: "Leider ist das Gesundheitswesen einer der häufigsten Orte, an denen das Gewicht stigmatisiert wird.“

Das passiert schon unterschwellig. Patientinnen und Patienten kommen mit einem Gesundheitsanliegen in die Praxis und bekommen zu hören: Ich mache mir Gedanken über Ihr Gewicht. Viele sind verunsichert und fühlen sich deprimiert, was dazu führt, dass sie sich allein schuldig für ihren Zustand und gedemütigt fühlen, auch wenn die Wissenschaft etwas Anderes zeigt. Zahlreiche Studien ergeben: Unbewusste Vorurteile gegenüber Menschen in einem schweren Körper verschärfen das Problem. Arzttermine werden nicht wahrgenommen, was die Allgemeingesundheit nicht fördert, und mit größerer Wahrscheinlichkeit werden Betroffene zunehmen.

Quelle: „Obese patients ‘being weight-shamed by doctors and nurses’ Research shows some people skip medical appointments because they feel humiliated by staff”. The Guardian. 10. August 2022.

Vielleicht ist auch in Zukunft tatsächlich große Unterstützung aus Ärztekreisen nicht zu erwarten. Die vermutlich richtige Ernährung hat in der medizinischen Ausbildung immer noch eine zu geringe Bedeutung. Das wird für das Personal selbst zu einem größeren Problem.

In einer aktuellen Umfrage des Nachrichten- und Meinungsdienstes „Medscape“ 2024 gaben 19 Prozent der Ärztinnen und Ärzte ein ungesundes Essverhalten zu.

Warum haben Angehörige des Gesundheitswesens eine so hohe Wahrscheinlichkeit, selbst Opfer einer falschen Ernährung zu werden?

Wie bei anderen psychischen Problemen gibt es auch für Essstörungen keine einzelne Ursache. Sie resultieren aus einem komplexen Zusammenspiel von genetischen, biologischen, verhaltensbedingten, psychologischen und sozialen Umständen. Das Gesundheitswesen müsste jedoch längst zur Kenntnis nehmen, dass einige Belastungen auch bei erfolgreichen Ärztinnen und Ärzten zu finden sind.

Schon der Druck des Studiums macht sie anfällig für psychische Störungen. Häufig produzieren sie Magersucht oder schweres Übergewicht. Eine derartige Essstörung kann sich verewigen.

Fachliche Antworten lesen sich fast wie ein Lob.

"Ich denke, dass die Medizin im Allgemeinen Menschen anzieht, die oft ähnliche Eigenschaften aufweisen wie diejenigen, die mit Essstörungen zu kämpfen haben - ehrgeizige, fleißige Perfektionisten, die sich selbst stark unter Druck setzen." So erklärt die medizinische Leiterin des staatlich geförderten Zentrums „Family Mental Wealth“ für Jugendliche, Dr. Elizabeth McNaught, die Situation. Die Ärztin erlebte selbst mit 14 Jahren am eigenen Leib eine schwere Essstörung und beschrieb ihre Erlebnisse in den Memoiren mit dem übersetzten Titel „Leben verletzt: Die persönliche Reise einer Ärztin durch die Magersucht“ (Life Hurts: A Doctor's Personal Journey Through Anorexia).

"Ich sehe den hohen Anspruch an Antrieb, Zielorientierung und Selbstkritik. Diese Eigenschaften können einen sehr erfolgreichen Arzt ausmachen, aber sie können sich auch auf sein Körperbild auswirken und die Starrheit in Bezug auf das Essen entwickeln." So urteilt Dr. Lesley Williams von der Mayo Clinic in Phoenix, Arizona.

Bereits angehende Ärztinnen und Ärzte entwickeln während des Studiums ein größeres Risiko für schwere Essstörungen, nämlich 17 Prozent im Vergleich zur Normalbevölkerung von neun Prozent. Genannt wurden Erbrechen, das Pica-Syndrom mit ungewöhnlichen Essgelüsten, Magersucht, Fressattacken und Extremdiät. Die Auswirkungen ähneln anderen mentalen Gesundheitsproblemen wie Depression, Stressstörung und Angstzustände.

Bei der Arbeit an einer in 2022 veröffentlichen Studie wurde erwartet,

dass Studentinnen stärker gefährdet sind als männliche Kommilitonen. Die Häufigkeit bei Männern nimmt jedoch zu und erfordert mehr Aufmerksamkeit bei der Bekämpfung dieser biopsychologischen Erkrankungen. Der Irrglaube, dass Essstörungen in erster Linie Frauen betrifft, führt bei betroffenen Männern zu Schuldgefühlen und Isolation und sie verzichten auf Hilfe und Therapie.

Die Befragung von Studentinnen und Studenten erfolgte in Europa, Asien und in den USA. Es wurden höhere Zahlen bei Personen mit westlichem Hintergrund erwartet. In Wirklichkeit wurde ein stärkerer Anstieg in nichtwestlichen Gesellschaften beobachtet. Länder, die sich zu Industrienationen entwickeln, neigen dazu, westliche Schönheitsideale zu übernehmen, die das Risiko von Essstörungen vergrößern. Die Studienautoren äußerten eine Vermutung: „Essstörungen sind ein globales Problem, und sowohl Fettleibigkeit als auch Magersucht nehmen mit zunehmender Verwestlichung auch in nichtwestlichen Kulturen zu.“

In diese Richtung weist auch ein wissenschaftlicher Blick zurück in die 1990 aufgelöste Deutsche Demokratische Republik und in die Verhältnisse in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung. Die psychologische Psychotherapeutin Dr. rer. biol. hum. Angelika Weigel und ihr Team vom Universitätskrankenhaus Eppendorf, Hamburg, verglichen historische Aussagen aus der DDR mit den aktuellen Befindlichkeiten von 232 Medizinstudentinnen und 82 Medizinstudenten 20 Jahre später. Sie stellten bei den Frauen ein höheres Maß an Schlankheitswahn und Körperunzufriedenheit fest, mit Begriffen wie deutlich erhöhter Drang nach Dünnheit, erhöhte Psychopathie und Esspathologie. Männliche Medizinstudenten zeigten keine signifikanten Essstörungen, jedoch mehr Angst und Schlaflosigkeit als Studenten generell. Auf Fragen nach Panikattacken, Angst und Überforderung sammelten sie mehr Negativpunkte als der Durchschnitt.

Stumme Epidemie in der Ärzteschaft

Es ist wichtig, das Thema Essstörungen in der Ärzteschaft zu erörtern. Es betrifft jene Menschen, die andere mit schwerem Körpergewicht beraten und zu den neuen Abnehm-Fertig-Pens raten oder nicht. Zum Beispiel leiden sowohl Ärztinnen als auch Ärzte ähnlich wie Patientinnen und Patienten unter der Fettphobie, die in diesem Berufsumfeld häufig ist.

Im Blickpunkt stehen dauerhafte Störungen des essbezogenen Verhaltens, die ihnen selbst nicht fremd sind. Entweder die Nahrungsaufnahme ist nicht normal oder die Verwertung. Ausgangspunkt sind Sorgen um das Aussehen und um das Körpergewicht.

Extrem konzentriert sind solche Bedenken in einer Essstörung mit der Bezeichnung Orthorexia nervosa. Im Griechischen bedeutet ortho aufrecht, richtig, wahr. Menschen mit Orthorexia nervosa lehnen eine Vielfalt von Nahrungsmitteln als zu wenig rein ab, oder vermeiden jede Mahlzeit, die sie nicht selbst zubereiten.

Beschäftigte im Gesundheitswesen sind keine Übermenschen. Sie leiden an denselben körperlichen und psychischen Krankheiten wie ihre Patientinnen und Patienten. Viele von ihnen weisen jedoch Anzeichen von Essstörungen auf oder haben sogar eine ausgewachsene Essstörung. Andere haben mit psychischen Problemen wie Angstzuständen oder Depressionen zu kämpfen oder sind stark auf Sport oder Alkohol angewiesen, um ihren Stress zu bewältigen.

Es wird jedoch auch angemerkt, dass sie nicht nach Alkohol riechen oder offensichtlich high sein dürfen, es wird erwartet, dass sie nicht spielen, nicht rauchen oder sich nicht daneben benehmen, so dass Essen zur sanften Option wird.

Medizinisches Personal ist kompetent, freundlich, mitfühlend, selbstlos, engagiert, selbstdiszipliniert, fleißig, leidenschaftlich und konzentriert . Ärztinnen und Ärzte haben als Leistungsträger oft unrealistische Erwartungen an sich selbst. Sie neigen deshalb dazu, eigene Probleme zu verbergen, aus Angst, schwach oder unfähig zu erscheinen.

Gleichzeitig streben die Betreffenden besonders intensiv nach Spitzenleistungen. Daraus kann leicht Perfektionismus werden - der seit langem als Auslöser von Essstörungen anerkannt ist.

Ärztinnen und Ärzte haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein höheres Risiko für Angstzustände und Depressionen. Ihr Beruf setzt sie häufig einem hohen Stressniveau in einem Umfeld mit hohem Druck und Gefühlen der Unsicherheit aus. Sie setzen sich mit Krankheit und Tod auseinander. Die vielen Schichten einer Arzt-Patienten-Beziehung können positive wie negative Emotionen bedeuten. bringen eine Reihe positiver und negativer Emotionen mit sich. Lange Arbeitszeiten und Schlafmangel wirken sich nachteilig auf das körperliche und geistige Wohlbefinden aus.

Der Leistungsdruck ist möglicherweise nicht das größte Problem. Angehenden Ärztinnen und Ärzten wird im Medizinstudenten beigebracht, dass das Körpergewicht sehr viel über die allgemeine Gesundheit aussagt. Das negativ bewertete Gewicht kann schon für Studierende und Ärztinnen und Ärzte schädlich sein.

Dazu hat die Ärztin für Familienmedizin an der Mayo Clinic in Phoenix, Arizona, Lesley Williams, eine klare Meinung: „Seit Jahrzehnten gibt es diese Botschaften, dass Gesundheit innerhalb von Werten auf einer Body Mass-Tabelle darstellt. Und dass alles, was darüber hinausgeht, ungesund ist und korrigiert werden muss. Das ist ein Problem, wenn ich selbst nicht innerhalb dieser Grenzen liege. Es gibt mir das Gefühl, dass ich das sofort ändern muss, um das zu ändern, wenn ich mich weiterhin um Patienten kümmern will."

Die Erforschung von Essstörungen blickte bisher stark auf äußere Einflüsse: auf die Nahrung, auf den Schlankheitskult in Medien, auf Hänseleien und schlimme Erfahrungen mit dem Gewicht. Nach und nach wurde chronischer Stress in diese Aufzählung aufgenommen.

Essstörungen in der Ärzteschaft waren noch nie ein großes Thema in der Öffentlichkeit. Ein Bericht der britischen Wissenschaftlerin Dr. Karen Manias, University of Birmingham, in der Fachzeitschrift „Psychology Today“ in 2020 hätte daran etwas ändern können. Sie machte ihre eigene Magersucht publik und war überwältigt von den Reaktionen aus dem Gesundheitswesen. Darauf schrieb sie: „Essstörungen in der Ärzteschaft scheinen eine stumme Epidemie zu sein – und das Gefühl der Scham ist eine, mit der ich mich stark identifiziere.“

Danach erschien es ihr wichtig, diese Problematik aus dem Schatten zu holen und zu überlegen, welche Faktoren verbessert werden können.

So fasst sie die Situation zusammen:

„Das Leben im Gesundheitsdienst hat seine Herausforderungen, die sich auf der ganzen Welt widerspiegeln. In der Medizin geht es darum, lange Arbeitszeiten in einem sehr stressigen Umfeld zu bewältigen. Es kann schwierig sein, in einer 13-Stunden-Schicht eine Toilettenpause einzulegen – ganz zu schweigen von einer Mittagspause – und der Job beinhaltet regelmäßig, lange zu bleiben und zwischendurch bis in die Abendstunden Fortbildung zu studieren. Die emotionale Belastung ist enorm, und Ärzte sind täglich Tod und Leid ausgesetzt. Meine Kolleginnen und Kollegen in der Ärzteschaft sind kompetent, freundlich, mitfühlend, altruistisch, engagiert, selbstdiszipliniert, fleißig, leidenschaftlich, konzentriert und interessant. Aber viele zeigen Anzeichen von Essstörungen oder ausgewachsenen Essstörungen. Andere haben mit psychischen Problemen wie Angstzuständen oder Depressionen zu kämpfen oder sind stark auf Bewegung oder Alkohol angewiesen, um ihren Stress zu bewältigen.

Trotz dieser ernsten gesundheitlichen Bedenken stellen diese Ärzte weiterhin ihre eigenen Bedürfnisse hinten an und bieten ihren Patienten eine hervorragende Betreuung, oft zu erheblichen persönlichen Kosten. Ärzte sind oft leistungsstarke Menschen, die unrealistische Selbsterwartungen haben und sich an unmögliche Standards halten. Als solche neigen sie dazu, ihre eigenen Probleme zu verstecken, aus Angst, schwach oder unfähig zu erscheinen.“

Quellen: “Why Do MDs Have Such a High Rate of Eating Disorders?” Medscape. 04. Januar 2024. “An Introduction: When Doctors Develop Eating Disorders. The silent epidemic of eating disorders in the medical profession.” University of Birmingham, 21. Juli 2020.

Die Bevölkerung altert und die Zahlen steigen an

Es ist nicht das Ende der Fahnenstange. Menschen werden im Lauf des Lebens kleiner, Frauen stärker als Männer. Das verfälscht ebenfalls den aus Körpergröße und Gewicht errechneten Body Mass-Index. Er gilt exakt für das 40. Lebensjahr. Außerdem ist es ein Wert, in dem fette Masse und magere Masse gleich zählen. Im Alter schwinden leider notwendige Muskeln und stabilisierendes Bindegewebe, das erhöht Gesundheitsrisiken, senkt jedoch das Gewicht. Deshalb ist ein niedriger Body-Mass-Index im Alter nicht automatisch eine Verbesserung.

Wie unsere Zukunft aussehen kann, zeigt ein Blick auf die reichste Nation der Welt. Nahezu drei von vier Amerikanerinnen und Amerikanern wiegen deutlich zu viel.

In Europa gelten nach den Kriterien der World Health Organization 59 Prozent der Erwachsenen als übergewichtig oder fettsüchtig. In China haben sich diese Zahlen von 2004 bis 2018 verdreifacht.

Für manche grenzte das Befassen mit dem Körpergewicht immer schon an Besessenheit. Doch in den letzten beiden Jahren haben neue Medikamente unser Denken und Reden über Abnehmen und Fettsucht entschieden verändert – teils zum Guten und teils zum Schlechten. Plötzlich wecken Substanzen der Verdauung mit Effekten im Gehirn Hoffnungen in einem Maße, das nie vorstellbar war.

Wieder einmal haben Twitter, TikTok und Bekenntnisse von Prominenten auf Facebook Medikamenten über Nacht zu Weltruhm verholfen. Der Hype um starken Fettabbau durch Abspeckspritzen mit den Wirkstoffen Semaglutid und Tirzepatid - in der englischen Version wird jeweils ein e angehängt - lässt allerdings jeden Rummel um die bisher mehr als 30 Hollywooddiäten seit der „Grapefruit Diet“ in den 1930er Jahren verblassen.

In den Social Media generieren die Arzneimittel in Ozempic, Wegovy, Mounjaro und Zeobound Tag für Tag mehrere Millionen Aufrufe. Ihre Substanz wird mittels eines Pens per Pikserwahlweise in das Unterhautfett des Bauchs, der Oberarme oder der Oberschenkel injiziert.

Expertinnen und Experten sehen darin erst einen Anfang.

Das rege Interesse an diesen Medikamenten hat einen Forschungsboom mit überzeugenden Optionen für Menschen in einem schweren Körper, egal aus welchem Grund, ausgelöst.

Dass diese Medikamente in wöchentlichen Fertig-Pens mit kaum auszusprechenden Namen wie Ozempic, Wegovy, Mounjaro, Zepbound und als tägliche Pille Rybelsus sehr verlockend sind, liegt auf der Hand. Sie stellen für sehr viele Betroffene eine scheinbar schnelle und einfache Möglichkeit dar, Gewicht zu verlieren.

Ozempic und Mounjaro sind außerdem stark wirksam gegen Diabetes und Insulinresistenz und reduzieren damit ernstzunehmende Gesundheitsgefahren.

Unerwartet war, dass die Gruppe der Fertig-Pens mit den Arzneistoffen Semaglutid und Tirzepatid auch signifikante Vorteile für das Herz bedeutet. Nach wie vor sind Todesfälle durch Herzereignisse und Schlaganfall in fast allen westlichen Nationen die häufigste Sterbeursache. Deshalb wird ein offizieller Schritt viel zu wenig gewürdigt: Am 16. Januar 2020 hat die U.S. Food and Drug Administration, F.D.A, die bisherige Zulassung von Semaglutid gegen Diabetes auch zur Verringerung von Risiken für Schlaganfall und Herzzwischenfall ausgeweitet. Es ist die Behörde zur Überwachung der Lebensmittel und der Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneistoffen.