Ozon - Evi Zemanek - E-Book

Ozon E-Book

Evi Zemanek

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Beschreibung

Ozon ist ein gasförmiger Stoff, der, je nachdem, ob er hoch oben in der Atmosphäre oder in Bodennähe angetroffen wird, ganz unterschiedlich wirkt und bewertet wird. Dort schützt Ozon vor gefährlicher UV-Strahlung, hier wird es als Schadstoff eingestuft. Als »riechender« Sauerstoff beschäftigt Ozon seit fast 200 Jahren verschiedene Disziplinen. Der neue Band der Stoffgeschichten rekonstruiert diesen wechselvollen Diskurs, zeichnet den Gang der chemischen Forschung nach und wirft einen Blick auf die ökologische Bedeutung des Ozons sowie die umweltpolitischen Debatten, die sich daraus ergaben.

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Evi Zemanek (Hrsg.)
Ozon
Natur- und Kulturgeschichte eines flüchtigen Stoffes
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2023 oekom verlag, Münchenoekom – Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbHGoethestraße 28, 80336 München
Lektorat: Boris HezckoKorrektorat: Elena BrunsSatz: Ines Swoboda, oekom verlag
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-98726-260-9
Wir danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Universität Freiburg und der Universität Augsburg für die Unterstützung dieser Publikation.
Stoffgeschichten – Band 16
Eine Buchreihe des Wissenschaftszentrums Umwelt der Universität Augsburg in Kooperation mit dem oekom e.V.
Herausgegeben von Dr. Jens Soentgen mit Prof. Dr. Armin Reller
Stoffe überschreiten Grenzen: von Körpern, von Ökosystemen, von Staaten, aber auch Grenzwerte der Behörden – Öl aus havarierten Ölplattformen breitet sich auf dem Meer aus; Stickstoffdünger und Pestizide diffundieren ins Grundwasser; Smog bildet sich aus Emissionen und legt sich wie eine Glocke über Städte; Kohlendioxid aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe und von brennenden Wäldern reichert sich in der Atmosphäre an; Mikroplastik verteilt sich im Meer. Wie nie zuvor wird in unserer Gesellschaft über Substanzen und ihre Nebenwirkungen diskutiert.
Deshalb stellen die Bände der Reihe Stoffgeschichten einzelne Stoffe in den Mittelpunkt. Sie sind die oft widerspenstigen Helden, die eigensinnigen Protagonisten unserer Bücher. Stoffgeschichten erzählen von Stoffen, von ihren faszinierenden Eigenschaften und Neigungen, aber auch von Abenteuern, von Zufällen, von Unfällen, vom Handeln und Unterlassen von Menschen, durch die diese Geschichten geprägt werden. Sie berichten von den globalen Wegen, die viele Stoffe hinter sich haben, und gewinnen so neue Perspektiven für die Gestaltung der Zukunft.
Ozon – Natur- und Kulturgeschichte eines flüchtigen Stoffes ist der 16. Band der Reihe. Ozon ist ein Stoff, den nur wenige Menschen aus eigener Erfahrung kennen. Als Gas ist Ozon nicht sichtbar; es lässt sich zudem nur schwer isolieren. Wo es in größeren Konzentrationen auftritt, da kann man es allerdings riechen – und genau auf diese Eigenschaft spielt auch sein Name an, denn Ozon bedeutet ›riechend‹.
Was unsichtbar und ungreifbar ist, das regt die Fantasie gewaltig an, umso mehr, wenn es Fakten gibt, die nahelegen, große Geschichten zu erzählen. Die Ozongeschichte greift deshalb über die Wissenschafts- und Umweltgeschichte hinaus, sie ist auch eine Geschichte der medialen Kommunikation, der Imaginationen und der Bilder. Diese Bilder und Fantasien, diese Geschichten werden hier erstmals im Zusammenhang erzählt und untersucht. Forscherinnen und Forscher aus der Medienkulturwissenschaft, der Literaturwissenschaft, der Klimaforschung, der Wissenschaftsgeschichte und -soziologie sowie aus der Philosophie haben in enger Zusammenarbeit dieses Buch erarbeitet.
Dabei entsteht ein äußerst spannender Beitrag zur Geschichte des Unsichtbaren. Zunächst hielt man das Ozon für einen gesteigerten Sauerstoff, dem man, wie schon dem normalen Sauerstoff, alle möglichen positiven Effekte zuschrieb. Als das Ozon dann auch in der höheren Atmosphäre nachgewiesen wurde und man erkannte, dass es dort UV-Strahlen abschirmt, die Erde also schützt, erhielt diese Geschichte vom ›guten Ozon‹ eine zusätzliche Dimension. Diese Schutzschicht geriet durch die FCKW in Gefahr. Eine Gefahr, die durch entschlossenes Handeln abgewendet wurde: So steht das Ozon für einen der ganz wenigen Erfolge globaler Umweltpolitik.
Heute wird ein neues Kapitel der Ozongeschichte aufgeschlagen, denn so positiv das Ozon in der oberen Stratosphäre ist, so problematisch erweist es sich in unserer nächsten Umgebung. Anders als man im 19. Jahrhundert glaubte, ist viel Ozon keineswegs gesund. Es führt zu Kopfschmerzen, Husten und tränenden Augen. Ozon kann die Lunge schädigen und zu Herz- und Kreislauferkrankungen führen. Heiße Tage, wie sie der Klimawandel bringt, bedeuten mehr Ozon in den Städten. Der ungreifbare Stoff rückt uns damit erneut nahe …
Im Juni 2023,
Jens Soentgen

Inhalt

JENS SOENTGEN
Vorwort
EVI ZEMANEK
Einleitung
JENS SOENTGEN
KAPITEL 1  O! Eine Entdeckungsgeschichte des Sauerstoffs und des Ozons
EVI ZEMANEK
KAPITEL 2Allheilmittel oder Gift? Imaginationen des Ozons in Literatur und Laiendiskurs (19. Jahrhundert)
STEFAN EMEIS
KAPITEL 3Ozon – unten und oben, früher und heute
SEBASTIAN GREVSMÜHL
KAPITEL 4Das Ozonloch: Eine Bild- und Metapherngeschichte
EVI ZEMANEK UND ANNALENA ERHARDT
KAPITEL 5Die Medienkarriere des Ozons in der Presse (20. Jahrhundert)
STEFAN BÖSCHEN
KAPITEL 6Schutz in Gefahr – Die Gefährdung der stratosphärischen Ozonschicht durch FCKW
ELKE HERTIG
KAPITEL 7Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und Veränderungen durch den Klimawandel
EVI ZEMANEK
KAPITEL 8Satirische Reaktionen auf den öffentlichen Ozon-Diskurs: Das Faszinosum O3 in der Karikatur (19. bis 21. Jahrhundert)
Abbildungsverzeichnis
Über die Autorinnen und Autoren
Über die Herausgeberin
Einleitung
Evi Zemanek
Diese interdisziplinäre Stoffgeschichte des Ozons hat ihren Ausgangspunkt in einem Fund: einer Postkarte, auf der eine »Pension Ozon« zu sehen ist, in der man einst im südholländischen Noordwijk logieren konnte. Auf dieser Karte versandten Kurgäste, die wegen der angeblich besonders ›ozonreichen‹ Luft für mehrere Wochen an die Küste gereist waren, ihre Urlaubsgrüße aus dem schon vor 150 Jahren international bekannten Seebad – ohne viel über den Grund ihres Aufenthalts erklären zu müssen. Es war zu einer Zeit, als sich der Massentourismus entwickelte und in Zeitungen vielfach für Aufenthalte in ›ozonreichen‹ Luftkur-orten geworben wurde.
Als ›Entdecker‹ des Ozons gilt heute Friedrich Christian Schönbein. Im Jahr 1839, als die Chemie gerade erst dabei war, sich zu einer Disziplin zu formieren, verlieh er dem O3 gemeinsam mit dem Philologen Wilhelm Vischer-Bilfinger seinen aus dem Altgriechischen abgeleiteten Namen (ὄζειν: riechen, ὄζον: das Riechende). Insbesondere die frühe Forschungs- und Wissensgeschichte ist nicht leicht zu rekonstruieren: Je nachdem, welche Quellen man verwendet und wie man sie gewichtet, entstehen verschiedene Geschichten. Für diese interdisziplinäre Natur- und Kulturgeschichte des Ozons sind jedoch nicht nur die Erkenntnisfortschritte in Chemie, Physik und Meteorologie relevant, sondern auch eine über Jahrhunderte in verschiedenen Medien dokumentierte, von diesem Gas ausgehende Faszination sowie eine davon ausgelöste Furcht, die verschiedene kulturelle Reaktionen hervorrufen.
Das Ozon ist aus heutiger Sicht ein so reizvolles Phänomen, weil es zum einen, hoch oben in der Stratosphäre, ein natürliches Gas ist, zum anderen aber auch anthropogenen Ursprungs sein kann, wenn es durch Abgase unter Einwirkung von Sonnenlicht kann. Je nachdem, ob man das Ozon in der Stratosphäre oder in Bodennähe antrifft, wird es ganz unterschiedlich bewertet. Oben schützt es die Lebewesen der Erde vor gefährlicher UV-Strahlung, unten wird es als Schadstoff eingestuft, der die Gesundheit des Menschen beeinträchtigen kann. Von Anfang an waren diese Ambivalenz, aber auch die Unsichtbarkeit und Flüchtigkeit für die Faszinationskraft des Stoffes mitverantwortlich – dies wird im vorliegenden Buch deutlich werden.
Abbildung 1  Postkarte der Pension »Ozon« in Noordwijk aan Zee. Man beachte den Schriftzug »Pension Ozon« am Gebäude, das laut dem Bauhistoriker Michel van Dam von dem Architekten Herman Liefferink im Jahr 1911 erbaut wurde. Der Name der Pension reagiert auf den Ozon-Tourismus jener Zeit, zugleich aber ist es ein Wortspiel, denn das niederländische »zon« meint – »Sonne«, sodass hierin der Ausruf »O zon!« / »O Sonne!« mitanklingt.
Solange noch wenig über das Wesen des Gases und seine Wirkung auf Lebewesen bekannt war, kam es immer wieder zu wissensgeschichtlich spannenden Kontroversen. Friedrich Schönbein schrieb im Jahr 1849 selbst in seiner Denkschrift über das Ozon, dass ihm der Stoff zehn Jahre nach seiner Entdeckung sogar »noch um Vieles räthselhafter« vorkomme (Schönbein 1849, S. 2). Damit macht er das O3 freilich noch interessanter. Ihn trieb die Frage um, warum die »Sauerstoffdrillinge […], in beinahe unwiegbar kleinen Mengen eingeathmet, auf den thierischen Organismus schädlich wirken, während der gewöhnliche Sauerstoff zur Unterhaltung des Lebens unumgänglich nothwendig ist« (ebd., S. 8).
Nach der ›Entdeckung‹ des Ozons verging nicht viel Zeit, bis es den bildungsbürgerlichen Leser*innen von populären Zeitschriften, Enzyklopädien und Konversationslexika vorgestellt wurde. Bereits im Revolutionsjahr 1848 finden wir einen einspaltigen Eintrag in MeyersConversations-Lexikon. Dieser Artikel spiegelt die Uneinigkeit unter Chemikern angesichts der vielen noch ungeklärten Fragen wider. Spätestens im Jahr 1860 konnten Nutzer*innen von Meyers Neuem Conversations-Lexikon das Lemma »Ozon« kaum mehr übersehen, war es doch sichtbar auf der Titelseite des 11. Bandes (»Marengo – Ozon«) notiert. Bereits im selben Jahr hatte das Ozon auch im beliebten, vielgelesenen Familienblatt Die Gartenlaube seinen ersten großen Auftritt. Wie eine neue Autorität wird es unter dem Titel »Der neue Gesundheits-Polizei-Präsident in der Natur (Ozon)« eingeführt. Die metaphorische, respekteinflößende Amtsbezeichnung verrät dem heutigen Leser nicht sofort, ob das Gas, das stellenweise personifiziert wird, hier positiv oder negativ bewertet wird. Dass seine Beurteilung nicht einfach ist, artikulieren schon die ersten Zeilen, in denen das Ozon paradoxerweise als »unermüdlich zerstörender Allbeleber«, »Gott aller Lebenswärme« und zugleich »Einheizer in dem langsamen Verbrennungstode alles Athmenden« charakterisiert wird (Anonym 1860, S. 670). In dieser hyperbolischen Widersprüchlichkeit findet Schönbeins Faszination von der mysteriösen Ambivalenz des Gases, dessen Wirkungsweise Rätsel aufgibt, ein Echo. »Alles todt machen oder Alles beleben? Was ist richtig? Beides, Beides!« (Ebd.) Mit derart dramatischem Gestus weckt der Artikel das Interesse der damaligen Leserschaft.
Letztlich formuliert der Artikel den bescheidenen Anspruch, »bloß eine neuerkannte Wahrheit« zu popularisieren, die der Militärarzt M. Scoutteten entdeckt habe: die desinfizierende Wirkung des Ozons, der es die Bezeichnung als »erste Großmacht in der Gesundheits-Polizei der Natur« verdankt:
Ozon, ein farbloses, stechend-stinkend riechendes Gas […] zerstört mit der größten Schnelligkeit organische Materien in der Luft, die so oft als Miasmen, Fieber und Peststoffe wirken. Nach Dr. Letheby wäre halb London vorigen Sommer an der Themse gestorben, wenn nicht eine ungewöhnliche Quantität von Ozon in der atmosphärischen Luft die organischen Gifte derselben zerstört hätte. (Ebd., S. 670)
Zwar kann der Artikel diese Behauptungen nicht wirklich belegen, vermutet jedoch, dass es einen Zusammenhang zwischen einem zeitweise niedrigen Ozongehalt in der Luft und dem Ausbruch verschiedener Epidemien wie der Cholera geben könne. Entsprechend werde, so prophezeit es der anonyme Verfasser, das Ozon auch in der Medizin künftig eine wichtige Rolle spielen, sei es doch »das beste Mittel, in Krankenstuben und Hospitälern die Luft rein zu halten«. Ziel sei es, »Ozon in Stuben künstlich zu erzeugen und so die Nachtheile der Stubenluft zu verringern« (ebd.). Jedoch sei bei der medizinischen Gabe von Ozon Vorsicht geboten, denn es sei eine Frage des Maßes, ob das Ozon positiv oder negativ auf Organisches wirke: kleinste Mengen zu viel können die gegenteilige Wirkung hervorrufen »und die lebensrettende Medicin in Gift verwandeln« (ebd.):
Ein homöopathisches Nichts mehr oder weniger, und Tod wird Leben oder Leben Tod. Ein tausendstel Theil Ozon in der Luft ist wohlthätig, ein anderes Tausendstel mehr – und schon sterben eine Menge kleine Thiere in dieser Luft. In noch größerer Menge erstickt es die stärkste Lunge. (Ebd.)
Daher betont der Verfasser die Wichtigkeit schneller Fortschritte in der Ozon-Messung – Schönbein arbeitete zu dieser Zeit bereits mit Ozonometer und Ozonoskop. Letztlich gewichtet dieser Artikel aus dem Jahr 1860 die positive Wirkung des Ozons stärker als die potenzielle Gesundheitsgefahr. In einem dreißig Jahre später im selben Familienblatt erschienenen Beitrag wird das Ozon deutlich vorsichtiger und ausgewogener beurteilt:
Man hat dem Ozon auch viele gute Eigenschaften in hygienischem Sinne nachgerühmt; […] Die physiologische Wirkung des Ozons ist jedoch noch nicht genügend erforscht. Wird es künstlich dargestellt [d. h. hergestellt] und in größeren Mengen eingeathmet, so reizt es die Schleimhäute. Man hat auch dem Ozon bakterientödtende Eigenschaften zugeschrieben. Versuche, die von russischen Aerzten angestellt wurden, haben jedoch ergeben, daß diese Eigenschaft eine recht schwache ist und die meisten Bakterien dem Ozon trotzen. Die Zimmerluft kann man mit Ozon von diesen Feinden vollends gar nicht reinigen, denn die auch dann noch schwache Wirkung tritt erst ein, wenn der Prozentgehalt der Luft an Ozon so stark wird, daß in den betreffenden Räumen die Menschen nicht athmen könnten. (Anonym 1891, S. 99)
Jener kurze Beitrag wurde in der Gartenlaube platziert, um der im Bürgertum beliebten Verwendung von sogenanntem »Ozonwasser« als Raumspray ebenso wie als Bestandteil diverser Kosmetikprodukte entgegenzuwirken und dies als unsinnige Modeerscheinung zu demaskieren. Außerdem wurde nun davor gewarnt, die omnipräsente touristische Werbung für ›ozonreiche‹ Kurorte allzu wörtlich zu nehmen. All dies ist ausführlicher in den Kapiteln dieses Buches nachzulesen.
Die intensive Beschäftigung mit dem bodennahen Ozon, sei es einerseits bei Fragen seiner künstlichen Erzeugung für Haushalt und medizinische Therapie oder andererseits im Rahmen von Wetter- und Klimadiskursen, wich im Verlauf des 20. Jahrhunderts mehr und mehr dem Interesse am stratosphärischen Ozon. Letzteres rief ebenso ambivalente Reaktionen hervor, denn schon bald nach der Erkenntnis, dass dieser Stoff vor schädlicher UV-Strahlung schützt, wurde eine Ausdünnung der Ozonschicht – zunächst über der Antarktis, später auch über Europa und andernorts – beobachtet, die berechtigte Sorge und eine massenmediale Furcht vor dem Verlust dieser Schutzhülle auslöste. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert schließlich wurden die komplexen Wechselwirkungen zwischen anthropogenem, durch Emissionen erzeugtem bodennahen Ozon, stratosphärischem Ozon, Treibhauseffekt und globaler Erwärmung stetig greifbarer.
Das vorliegende Buch zeichnet die diesbezügliche Wissens- und Deutungsgeschichte sowie damit einhergehende gesellschaftliche Reaktionen nach. Auf diese Weise erhellt es den Zusammenhang von Natur- und Kulturgeschichte dieses flüchtigen Stoffes.

Zu den Kapiteln dieses Buches

Will man die wechselvolle Deutungsgeschichte des Ozons im Verlauf des 19. Jahrhunderts verstehen, so muss man sich mit der Geschichte des Sauerstoffs befassen, denn dessen Bewertungen strahlen aus auf das Ozon als »potenziertem Sauerstoff«. Jens Soentgen rekonstruiert frühe, noch stark naturphilosophisch geprägte Perspektiven auf den Sauerstoff sowie das Ozon und verbindet dabei, dank seiner doppelten Expertise als Chemiker und Philosoph, die Wissenschaftsgeschichte der Chemie mit Philosophie- und Ideengeschichte. Er ist überzeugt davon, dass man den sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts langsam in den Medien ausbreitenden Ozon-Diskurs besser versteht, wenn man seine ›Vorgeschichte‹ kennt. Daher beleuchtet er zunächst auch wissenschaftlich überwundene Annahmen über das Wesen der Luft und ihre Bestandteile, weil selbst der Streit um ihre Bezeichnungen viel über die Beziehung des Menschen zu den Stoffen und sein Verständnis vom ›Haushalt der Natur‹ verrät. Soentgen schlägt den Bogen von der Prägung des Gasbegriffs durch van Helmont über Stahls Phlogistontheorie und Priestleys Versuche, ›verdorbene Luft‹ mithilfe von Pflanzen zu reinigen und ›atembare Luft‹ herzustellen, Scheeles Entdeckung des Sauerstoffs als ›Feuerluft‹, Lavoisiers Erkenntnis der Funktion des Sauerstoffs bei der Verbrennung, Schellings naturphilosophischer Deutung des Sauerstoffs als ›Lebensluft‹ und Okens naturphilosophischem Beitrag über die Atmosphäre bis zu Vernadskys geochemischer Theorie der Biosphäre. Auf dem Weg durch die Chemie- und Philosophiegeschichte gelangt er schließlich zu Friedrich Christian Schönbeins Entdeckung des Ozons und seine Spekulationen über dessen Wesen und Eigenschaften, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von verschiedenen Chemikern (Clausius, Avogadro, Cannizzaro, u. a.) revidiert und präzisiert wurden.
Die ambivalente Wahrnehmung des Ozons manifestiert sich bemerkenswerterweise auch in Werken der fiktionalen Literatur des 19. Jahrhunderts, und zwar in so unterschiedlichen Genres wie der Science-Fiction eines Jules Verne und den Gesellschaftsromanen eines Theodor Fontane. Letzterer beschäftigte sich geradezu obsessiv mit der Qualität der Luft – nicht zuletzt deshalb, weil er von einem kausalen Zusammenhang zwischen der Luftqualität und seiner literarischen Kreativität überzeugt war. Es lohnt sich, mit Evi Zemanek einen literaturwissenschaftlich geschulten Blick in seine Werke – Erzählungen, autobiografische Schriften und Briefe – zu werfen, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts das rätselhafte Ozon auf originelle Weise thematisieren und zu widersprüchlichen Einschätzungen gelangen: Sowohl die Charaktere seiner fiktionalen Werke als auch der Briefautor selbst suchen den Stoff einmal als ein Allheilmittel für verschiedenste Krankheiten, ein andermal fürchten sie ihn als gefährliches Gift. Die in Fontanes Werken zu findenden Imaginationen des Ozons und des Sauerstoffs sind heute so wertvoll, weil sie den Laiendiskurs und damit das Nicht- oder Halbwissen seiner Zeit abbilden, das von Zemanek mit dem popularisierten Wissen in Zeitschriften, Lexika und Forschung korreliert und kontrastiert wird.
Der Ambivalenz des Ozons geht der Meteorologe Stefan Emeis näher auf den Grund, indem er nacheinander ›vier Regimes‹ in den Blick nimmt: zum einen das bodennahe Ozon (›unten‹) und zum anderen das stratosphärische Ozon (›oben‹), und zwar jeweils vor dem Beginn des Anthropozäns (›früher‹) und im Anthropozän (›heute‹). Zunächst erinnert das Kapitel daran, dass die Entdeckung und frühe Erforschung des Ozons im Zeitalter der Aufklärung eng mit physikalischen und chemischen Forschungen zu Wesen und Wirkung von Blitzen und Elektrizität verbunden war. Sodann erfährt man von der Entwicklung von Nachweisverfahren für das Ozon. Während in vorindustrieller Zeit, als noch wenig anthropogen erzeugte Stickoxide emittiert wurden, kaum bodennahes Ozon vorhanden war, enthielt die Stratosphäre immer schon Ozon. Seine Messung stellte im 19. Jahrhundert eine noch größere Herausforderung dar und machte waghalsige Ballonfahrten nötig. Einen Umschwung von einer unsicheren, ambivalenten zu einer negativen Bewertung des bodennahen Ozons stellt Emeis spätestens um Mitte des 20. Jahrhunderts fest, als man Photosmog beziehungsweise Ozonsmog als gesundheitsschädliche Umweltprobleme wahrnahm. Damit kontrastiert wiederum die mit Entdeckung des Ozonlochs wachsende Wertschätzung des stratosphärischen Ozons. Die Betrachtung der ›vier Regimes‹ lässt schließlich die Kausalzusammenhänge über Raum und Zeit hinweg ebenso wie die erst in der Perspektive der Erdsystemwissenschaft erfassbaren Korrelationen mit dem Klimawandel erkennbar werden.
Im darauffolgenden Kapitel wird das Mitte der 1980er-Jahre viel thematisierte Ozonloch als effektive Umweltmetapher untersucht, welche mitsamt den dazugehörigen Visualisierungen und Grafiken die Signatur ihrer Zeit trägt. Jedoch gibt es diese Metapher eines ›Lochs‹ im Himmel nicht erst, seitdem wir die Erdatmosphäre mit Satelliten überwachen. Der Wissenschaftshistoriker Sebastian Grevsmühl rekonstruiert die Geschichte der Metapher beginnend mit der Idee eines intentional durch Zerstörung des Ozonschilds zu erzeugenden ›Beobachtungsfensters‹ (Sidney Chapman). Er berichtet von der militärischen Ozonforschung, die in dem Einfall gipfelte, das ›Ozonloch‹ – im Sinne eines »Atmoterrorismus« (Sloterdijk) – als geophysikalische Waffe einzusetzen, bevor die globalen Risiken einer intentionalen Ozonzerstörung erkannt wurden und ein UN-Verbot von umweltverändernden Militärtechniken zustande kam. In den 1980er-Jahren vollzog sich ein ›Reframing‹ der Ozonloch-Metapher durch die NASA im Kontext von Satellitenbildern: Das ›Loch‹ wurde zur Bedrohung für die Menschen auf der Erde. In der zweiten Hälfte des Kapitels beleuchtet Grevsmühl die visuelle Konstruktion der Ozonloch-Metapher: Er betrachtet Ozon-Visualisierungen und ihre Implikationen, so etwa die Konturkarten, deren Kontur- oder Isolinien die Dialektik zwischen dem Lokalen und dem Globalen veranschaulichen. Synoptische Visualisierungen und eine griffige Metapher, so resümiert Grevsmühl, machten das ›Ozonloch‹ zu einer »globalen Umweltikone« und einem »Emblem für einen zerbrechlichen und gefährdeten Planeten«.
Erst die griffige Metapher des Ozonlochs verhalf dem Phänomen auf die Titelseiten von Zeitungen und Zeitschriften, weil ihr der nötige Sensationalismus bereits inhärent war. Zwar wurde das Ozon schon ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Massenmedien jenseits von Fachzeitschriften erwähnt, doch lässt sich in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre mit dem Bekanntwerden der Zerstörung der stratosphärischen Ozonschicht und der Verabschiedung des Montreal-Abkommens zu ihrem Schutz eine beachtliche Medien-karriere des Ozons nachzeichnen. Die von Evi Zemanek und Annalena Erhardt vergleichend untersuchten Titelseiten und Leitartikel aus dem SPIEGEL und dem TIME Magazine verraten viel über die gesellschaftliche Wahrnehmung und Verarbeitung des Ozonproblems und diesbezüglicher politischer Maßnahmen. Das Kapitel gibt Aufschluss über die Besonderheit der Ozon-Problematik im Vergleich zu anderen Umweltthemen und zeigt aus medienkulturwissenschaftlicher Sicht die Herausforderungen ihrer journalistischen Popularisierung und Kommentierung sowie ihrer Visualisierung auf. Mit Blick auf den heutigen Klimawandel-Journalismus wird deutlich, dass sowohl die Berichterstattung über den Wissensfortschritt in der Ozon-Forschung als auch die Kritik an ungenügender Umweltpolitik in der Geschichte des damals noch jungen Umweltjournalismus eine wegweisende Rolle einnahmen.
Die Frage, ob man nicht schon früher hätte erkennen können, dass Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (FCKW) die Ozonschicht zerstören, erörtert Stefan Böschen als Experte für Risikoforschung in Kapitel 6. Er rekonstruiert die einzelnen Etappen in der Technik- und Wissensgeschichte: von der Entwicklung der nützlichen, aber verhängnisvollen Kühlmittel über die Formulierung der zunächst umstrittenen Risikohypothese (durch Paul J. Crutzen, Mario J. Molina und Frank S. Rowland) und ihre Bekämpfung durch die mächtige FCKW-Industrie bis zu den schwierigen, aber letztlich erfolgreichen internationalen Verhandlungen zur Reduzierung der Emissionen im Rahmen des Montreal-Protokolls. Auf diese Weise beschreibt das Kapitel das Spannungsverhältnis von technischem und gesellschaftlichem Fortschritt, Umweltzerstörung und politischer Kompromissfindung. Während etwa von der einen Seite der »Smog der Stratosphäre« als menschengemachtes, globales Problem erkannt wurde, verharmloste seinerzeit die FCKW-Industrie den Zusammenhang von FCKW und der Zerstörung der stratosphärischen Ozonschicht. Das Kapitel trägt die Wissensbausteine zusammen, die für die Risikoerkenntnis und Problemlösung nötig waren, untersucht den seinerzeit erst beginnenden Austausch zwischen industrieller Entwicklung und akademischer Forschung in ihren zeitgeschichtlichen Kontexten und es dokumentiert vermeintliche Erfolge und Rückschläge. Böschen plädiert dafür, die FCKW-Ozon-Geschichte, die eine neue Form von problemorientierter Forschung einforderte, als eine Geschichte interdisziplinären gesellschaftlichen Lernens anzusehen.
An die seit der Entdeckung des Ozons vieldiskutierte Frage, inwiefern bodennahes Ozon gesundheitsschädlich sei oder aber zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden könne, schließt Elke Hertig, Geographin und Expertin für Regionalen Klimawandel und Gesundheit, in Kapitel 7 an. Der Beitrag interessiert sich speziell für die Veränderungen der bodennahen Ozonkonzentration unter dem aktuell fortschreitenden Klimawandel und die Folgen für den Menschen. Als Treibhausgas trägt Ozon zum anthropogen verstärkten Treibhauseffekt bei. Zugleich beeinflusst die Globale Erwärmung die Ozonkonzentration, denn bei höheren Temperaturen und intensiver Sonneneinstrahlung wird bekanntlich durch Vorläufersubstanzen (Stickstoffoxide und flüchtige organische Verbindungen) mehr Ozon gebildet. Anhaltend sommerliche Schönwetterlagen stellen nicht nur aufgrund der Hitze, sondern ebenso durch die erhöhte Ozonkonzentration eine größere gesundheitliche Belastung dar. Letztere schlägt sich, wie Hertig in Studien zu Temperatur-Ozon-Ereignissen in Bayern, Zentraleuropa und Südeuropa zeigen konnte, u. a. in einem erhöhten Herzinfarktrisiko nieder. Mit Blick auf den projizierten globalen Temperaturanstieg ist also auch für die Zukunft noch mit einer Zunahme der Gesundheitsrisiken zu rechnen, zumal die durch die WHO-Luftqualitätsrichtlinien vorgegebenen Grenzwerte in Europa schon häufig überschritten werden. Als Anpassungsmaßnahmen empfiehlt Hertig eine ›Durchmischung der Luft‹ durch Frischluft und Grünflächen im urbanen Raum, den Schutz von besonders gefährdeten Menschen, die Etablierung von Frühwarnsystemen analog zu Hitzewarnungen sowie präventive gesundheitliche Schulungen.
Das letzte Kapitel dieses Buches beschäftigt sich mit satirischen Reaktionen auf den öffentlichen Ozon-Diskurs aus drei Jahrhunderten, denn sie verraten uns gleichermaßen viel über den jeweiligen Wissensstand und bestehende Unsicherheiten sowie damit verbundene Ängste und Hoffnungen. Die hier betrachteten Karikaturen spiegeln Risiko-Diskurse in Bezug auf das Ozon wider, reflektieren aber auch humorvoll-kritisch Diskursentwicklungen und bilden damit selbst einen Meta- und Gegendiskurs. Der von Evi Zemanek zusammengestellte Parcours zeigt zu welchen historischen Zeitpunkten das Ozon intensiv thematisiert wurde, bezeugt die Karriere des Begriffs, die Entstehung der populären Topoi und Metaphern sowie ihren Bedeutungswandel. Es zeigt sich, dass die Ozon-Satiren dank ihres scharfsinnigen Witzes und ihrer einprägsamen Kombination von Text und Bild auf singuläre Art die über Jahrhunderte hinweg schwankende, ambivalente Bewertung des Stoffes herauszustellen vermögen.
LITERATUR
Anonym (1860): Der neue Gesundheits-Polizei-Präsident in der Natur (Ozon), in: Die Gartenlaube 42, S. 670–671.
Anonym (1891): Das Ozon, in: Die Gartenlaube 6, S. 99.
Meyer, J. (Hrsg.), Das große Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände, 0. Aufl., 2. Abt., Bd. 2., Hildburghausen: Bibliographisches Institut 1848.
Meyer, J. (Hrsg.), Neues Konversations-Lexikon für alle Stände, 1. Aufl., Bd. 11 (Marengo–Ozon), Hildburghausen/New York: Bibliographisches Institut 1860.
Schönbein, C. F. (1849): Denkschrift über das Ozon. Basel.