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Ekkehard Meyer gibt seinen Figuren durch markante Beschreibungen eine Kontur. Er erzählt von heiteren Begebenheiten auf einem Boot, von Erlebnissen während einer Safari und schildert aufkeimende Zärtlichkeit und Verzweiflung über unerfüllte Liebe. Seine Geschichten zeigen, dass aus Krisen auch Chancen erwachsen. Auf humorvolle Weise schildert der Autor Ereignisse mit überraschendem Ausgang.
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Seitenzahl: 304
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Ekkehard Meyer wuchs in einer fünfköpfigen Familie im Nachkriegsberlin auf. Als Schüler begeisterte er sich für den Zusammenschluss Europas und hatte die Gelegenheit in Gastfamilien in Frankreich und England zu leben. Er gründete zusammen mit Freunden die ERG, eine Arbeitsgemeinschaft, die eine Vereinigung Europas unterstützte, und für die er Manifeste und Liedertexte verfasste. Der Autor studierte Wirtschaftswissenschaften und Maschinenbau und erlebte intensiv die 1968-er Protestbewegung der Studenten.
Die berufliche Tätigkeit führte ihn in mehrere Städte des süddeutschen Raums, er gestaltete für mittelständische Unternehmen und für Industriebetriebe die ausländischen Vertriebswege und hatte dabei die Gelegenheit die Lebensweise und Mentalität anderer Kulturkreise schätzen zu lernen.
Als der Broterwerb nicht mehr im Mittelpunkt stand, widmete er sich zunächst der Musik und später der Literatur und wurde Mitglied der Literarischen Gesellschaft Karlsruhe. Einige seiner Kommentare und seine Bücher: Der Europäische Schatten, Der geliehene Partner, Wirtschaft ohne Moral, wurden veröffentlicht. Ekkehard Meyer ist Vater von zwei erwachsenen Söhnen. Ihm wurden bisher vier muntere Enkelkinder beschert.
Januar 2018
Ekkehard Meyer gibt seinen Figuren durch markante Beschreibungen eine Kontur. Er erzählt von heiteren Begebenheiten auf einem Boot, von Erlebnissen während einer Safari und schildert aufkeimende Zärtlichkeit beim ersten Rendezvous und Verzweiflung über unerfüllte Liebe. Seine Geschichten zeigen, dass aus Krisen auch Chancen entstehen.
Auf humorvolle Weise werden Ereignisse mit überraschendem Ausgang geschildert.
Der Autor
Buchrückentext
Der alte Mann und das Mädchen
Die heilsame Abfuhr
Eine Entführung
Eine Safari in Kenia
Die späte Begegnung
Eine Bootfahrt mit Hindernissen
Das erste Rendezvous
Die Rückkehr des Traumprinzen
Das eigene Haus
Der Autor und sein Dorf
Der Verräter
Der Freund im Bistro
Die ungleichen Brüder
Der verschollene Freund
Der philosophische Autowäscher
Der Vater auf Bali
Mein achtzigster Geburtstag wurde im großen Rahmen gefeiert. Eine Reihe von Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik nutzte diese Gelegenheit zur Auffrischung von Kontakten, für mich war es ein anstrengender Tag. In meinem Alter feiert man nicht mehr so gerne einen Geburtstag. Die Augen werden schlechter und die Umwelt wird nur in blassen Ausschnitten wahrgenommen, die nachlassende Hörfähigkeit behindert den Meinungsaustausch und schmerzende Gelenke bewirken einen unsicheren Gang. Der alternde Mensch verliert den Anschluss an die Gesellschaft, auch wenn ich mein tägliches Fitnessprogramm noch abspulen konnte.
Meine Familie hatte mir ein Wellness Wochenende in Baden-Baden geschenkt, und ich genoss den geschenkerzwungenen Müßiggang und machte bei strahlendem Sonnenschein einen Spaziergang durch den Kurpark. Nach einer halben Stunde setzte ich mich auf eine Parkbank. Die Vögel tirilierten in hundertjährigen Bäumen, Bienen umkreisten die blühenden Sträucher und die Sonnenstrahlen blinzelten durch die Blätter. Eine ältere Dame, bedeckt mit einem großkrempigen Sonnenhut und mit einem Hündchen auf dem Arm, stolzierte langsam vorbei. Ihr staksiger Gang erinnerte mich an den meines Steuerberaters Heinrich Redlich, und ich überlegte, ob ich ihn jetzt anrufen sollte. Einige Rückfragen des Finanzamts harrten noch einer Antwort.
Eine junge Frau setzte sich wortlos an das andere Ende der Parkbank und rauchte in Eile eine Zigarette, ohne mich anzublicken. Sie sah gut aus und machte einen unglücklichen Eindruck auf mich. Dieses Mädchen könnte meine Urenkelin sein und interessierte mich mehr als das Telefonat mit dem Steuerberater. In diesem Park trifft man überwiegend alte, gebrechliche Menschen, eine schöne Maid bildet hier einen erfrischenden Kontrast, und erinnerte mich an das Märchen von Schneewittchen und den sieben Zwergen.
Ihre blonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Eine markante, römische Nase, blaue Augen und volle, sinnliche Lippen verliehen ihrem Gesicht Anmut. Die engen Jeans umschlossen einen wohlgeformten Körper und waren, nach Art der Mode, auf den Schenkeln mit Löchern durchsetzt, die nackte Haut darunter wurde sichtbar. Sie wirkte gedankenverloren, ihr Blick schien einen imaginären Punkt irgendwo in den Bäumen zu fixieren, hastig wurde ihre Zigarette auf den Boden geworfen und mit einer drehenden Fußbewegung ausgetreten, dann erhob sie sich und eilte in die nahegelegene Gaststätte. Ich schaute ihr nach, dann setzte ich beschwingt meinen Spaziergang fort.
Dagmar, mit der ich seit vierzig Jahren verheiratet war, ist vor vier Jahren gestorben und seither sehe ich meine beiden Kinder selten. Sie hätte jetzt ihren Zeichenblock ausgepackt und den am Fluss stehenden Baum mit Bank gezeichnet, ich würde an den Steuerberater denken und hätte mich von keinem Mädchen ablenken lassen. Ich bin farbenblind, daher als Maler denkbar untauglich, und hatte ihren Hang zur Malerei als Möchtegernkunst abgestempelt. Heute vermisse ich ihre Anmerkungen zum Licht und zu den Farben. Unser Sohn Elmar hatte seine Neigung zur Malerei von ihr geerbt, und er hasste meine Zahlenspiele und strategischen Überlegungen, die er als männliches Protzen bei Sandkastenspielen bezeichnete. Ich hatte mich in all den Jahren mit vollem Einsatz um meine Firmen kümmern müssen, eine Aufgabe, die mir Spaß machte, daher habe ich die Erziehung der Kinder Dagmar überlassen. Meine sogenannten Sandkastenspiele ermöglichten der Familie ein sehr komfortables Leben. Heute vermisse ich einen innigen Kontakt zu meinen Kindern und weiß wenig von dem, was in ihnen vorgeht.
Mein Spaziergang am nächsten Tag führte mich wieder zu der Bank unter dem schattenspendenden Baum. War es meine Neugierde die Unbekannte wiederzusehen, die meinen Schritt lenkte? Schon nach kurzer Zeit tauchte sie auf und setzte sich wieder auf diese Bank um zu rauchen, ohne mich wahrzunehmen. In fast allen Gaststätten ist das Rauchen verboten, wahrscheinlich benutzt die Raucherin diese Bank nur zur Befriedigung ihrer Sucht. Ein leichter Windstoß wehte ihre Zigarettenasche in meine Richtung, sie drehte sich um: »Oh, entschuldigen Sie bitte, rauchen Sie?«, und sie hielt mir geistesabwesend ihre Schachtel hin.
»Ich rauche am Abend eine Pfeife und genieße dazu ein Glas Wein, die schnelle Zigarette, die Sie rauchen, würde mich süchtig machen.«
Das Mädchen drehte sich zu mir hin und schien mich zum ersten Mal wahrzunehmen: »Sie sind ein vernünftiger Mensch, mir gelingt es nicht meine Sucht nach Zigaretten unter Kontrolle zu bringen.«
»Sie haben noch viel Zeit das zu üben, bei mir ist die Zeit zum Üben fast abgelaufen. Was hindert Sie daran nach Ihren Vorstellungen zu leben?«
Sie stieß den inhalierten Rauch aus, schnippte den Zigarettenstummel mit dem Mittelfinger hoch in die Luft, als würde sie selbst gern davon fliegen: »Mein Vater, mein Job, meine Ausbildung und besonders meine Faulheit.«
Ich rutschte auf der Bank etwas in ihre Richtung: »Ihren Vater konnten Sie sich nicht aussuchen, die anderen genannten Hindernisse könnten Sie überwinden.«
»Das ist leichter gesagt als getan, ich habe das Gymnasium nicht geschafft, habe meine Lehre geschmissen und halte mich mit einem miesen Job als Aushilfskellnerin in der Wirtschaft meines schlecht gelaunten Vaters über Wasser. Begeisterung will sich dabei nicht einstellen.«
Die Offenheit dieser jungen Frau, ihr analytischer Verstand und ein gewisser ironischer Charme gefielen mir: »Sie haben einen gesunden Verstand, können sich treffend ausdrücken und verfügen über eine feminine Ausstrahlung, viele Menschen werden Sie um diese Eigenschaften beneiden«.
Sie schüttelte ungläubig den Kopf, rief: »Ich kenne keinen! Heute Abend soll ich den Tafelspitz kochen, kommen Sie in unsere Gaststätte Storchennest und machen sich selbst ein Bild von meinen lausigen Fähigkeiten, ich bin die Maggi«, und sie rannte zurück.
Ich wollte eigentlich heute im Restaurant meines Hotels zu Abend essen, aber eine Stimme in mir raunte: »Im Storchennest wartet ein Ei darauf ausgebrütet zu werden, überlasse das Hotelrestaurant den Senioren.« Ich schlüpfte in meinen sportlichen Sommeranzug und schlenderte, fröhlich pfeifend, dem Tafelspitz entgegen.
Vor dem Storchennest stand auf einer Tafel mit Kreide geschrieben: Wir empfehlen heute unseren Tafelspitz. In der Gaststube saßen an zwei Tischen verloren wirkende Gäste, der Stammtisch war mit lautstarken Biertrinkern besetzt. Von dort waren zotige Witze zu hören, und die Bestellungen wurden gebrüllt.
Ich suchte mir einen Platz, von dem ich die Küche beobachten konnte. Der Tisch war mit einer Plastikdecke gedeckt, das Besteck ragte, eingewickelt in eine Papierserviette, aus einem Bierglas heraus, und zwischen dem Salz- und Pfefferstreuer steckte ein künstliches Röslein. Der einzige Lichtblick in dieser tristen Kaschemme war ein angestrahltes Storchennest über der Theke, aus dem ein Jungstorch über den Nestrand neugierig in die Gaststube blinzelte. Am Tresen zapfte ein mürrischer Patron das bestellte Bier und rief Anweisungen durch eine Luke in die Küche. In einer Zapfpause schlürfte er an meinem Tisch und übergab mir die Speisekarte. Ich dachte, das Bier wird hier besser sein als der Wein und bestellte den Tafelspitz und ein Bier vom Fass. Schon nach kurzer Zeit wurde serviert, aber die Speise, die auf dem Teller dampfte, hatte mit einem Tafelspitz wenig gemeinsam. Das Fleisch war sehnig, die Karotten roh, die Soße fad, nur der Meerrettich und das Bier waren in Ordnung.
Durch die Küchenluke konnte ich Maggi sehen, unterstützt von einer korpulenten, älteren Helferin, hantierte sie an mehreren Töpfen, bestätigte die väterlichen Anweisungen und machte einen überforderten Eindruck. Als es in der Gaststube ruhiger wurde, nahm sie ihre Schürze ab und setzte sich an meinen Tisch: »Nun, heute konnten Sie sich ein eigenes Bild von meinen Fähigkeiten verschaffen. An ihrem noch fast vollen Teller, der zurückgegangen ist, konnte ich Ihre Begeisterung für meinen Tafelspitz ablesen.«
Ich wollte ihr meine Eindrücke mitteilen, fand aber in der umtriebigen Gaststube unter Aufsicht des Vaters nicht die passenden Worte und lud Maggi in das nahegelegene Bistro ein: »Der Tafelspitz war wenig gelungen. Auch eine Fünfsterneköchin wäre hier nicht erfolgreich, weil Ihrem Vater jedes Konzept fehlt. Entweder er will ein Speiselokal führen, dann stört der laute Stammtisch. Der Tafelspitz müsste schmackhaft in einem stimmigen Ambiente angeboten werden, mit Kerzen und Stoffservietten zu einem Preis, der deutlich über 9,95 € liegen müsste. Bei dem Preis, den Ihr berechnet, ist ein Finanzchaos schon vorprogrammiert. Oder er möchte seine Stammkundschaft ansprechen, dann kann das Plastikambiente erhalten bleiben, aber er sollte Würstchen mit Kraut anbieten und keinen Tafelspitz.«
»Sie meinen diese Pleite ist nicht durch mich entstanden, und eine Fünfsterneköchin wäre auch nicht erfolgreicher als ich? Hätte es Ihnen geschmeckt, dann wären Sie doch wieder zu uns zum Essen gekommen.« Sie lehnte sich nachdenklich auf ihrem Stuhl zurück und hielt sich an ihrer Zigarettenschachtel fest.
»Ich wäre nie in dieses Lokal gegangen, um einen Tafelspitz zu essen, ich hätte eine Fünfsterneköchin dort nicht erleben können. Ihrem Vater fehlt ein Konzept, er stolpert von Loch zu Loch und missbraucht dabei seine unerfahrene Tochter. Wie kann dieser Zauberwirt einer Aushilfskraft die Zubereitung eines Tafelspitzes zumuten? Er ist die Ursache für diesen Fehlschlag, nicht Sie.«
»Er wollte mich an die Kochkunst heranführen, weil er dringend eine Köchin braucht, und ich bin jetzt volljährig und brauche ein Dach über dem Kopf.« Maggi zog eine Zigarette aus der Schachtel, ließ sie durch die Hand gleiten und schob sie, wegen des Rauchverbots, wieder zurück.
»Jeder Mensch verfügt über irgendwelche Stärken. Wenn Kochen nicht Ihr Ding ist, wo sehen Sie Ihre Stärken?«
Die junge Frau schmunzelte und forschte mit ihren großen Augen, ob ich mich über sie lustig machen wollte: »Da gibt es nicht viel zu berichten. Man sagt, ich sei kreativ, das Storchennest in der Gaststube stammt von mir, und ich hätte eine gute Stimme. Ich kann etwas Zeichnen und ganz blöd bin ich auch nicht.« Ich legte meine alte, faltige Hand auf ihre junge Hand, die mit langen, in unterschiedlichen Farben lackierten Fingernägeln geschmückt war und entwendete ihr die Zigarettenschachtel.
»Das ist gemein!«, empörte sie sich.
»Wir schließen eine Wette ab. Wenn Sie es schaffen drei Wochen nicht zu rauchen, organisiere ich zur Belohnung eine Lehrstelle, die Ihren Neigungen gerecht wird. Beweisen Sie sich selbst, nicht Ihrem Vater, dass Sie fähig sind Ihre Sucht zu überwinden.«
Maggi nahm drei Finger ihrer Hand und hielt sie mir vor die Augen: »Drei Wochen, das könnte ich schaffen, meinen Sie das ernst?«
»Das Ziel ist es das Rauchen aufzugeben, nach den schweren ersten drei Wochen wird nur die Belohnung fällig.«
Sie grinste mir listig ins Gesicht: »Und wie wollen Sie das kontrollieren, durch anhauchen?«
»Sie sollen sich selbst den Beweis geben, nicht mir, und ich würde Ihrer Bestätigung vertrauen. Das Rauchen aufzugeben haben schon viele Raucher erfolglos versucht, nach drei Tagen schreit jede Faser Ihres Körpers nach Nikotin. Sie müssen standhaft bleiben, das schaffen nur die Willensstarken. Wenn die Krise kommt, gehen Sie zu Dr. Behringer hier in Baden-Baden, er beschäftigt sich mit Akupunktur, ist mein Freund und schuldet mir noch einen Gefallen. Sie grüßen ihn von Siegfried, und er setzt Ihnen kostenfrei die Nadeln an die richtigen Stellen, dass dämpft Ihr Nikotinverlangen.«
»Welche Lehrstelle hielten Sie für geeignet für eine Minderbegabte?«, forschte Maggi interessiert nach.
»Minderbegabte, die ihre Schwächen erkannt haben, werden dringend gesucht. Ich denke in der Werbebranche wird viel Geld verdient und ihre Fähigkeiten sind da gefragt. In Deutschland wird eine gewisse Ausbildung erwartet, wenn man sich nicht mit dem Mindestlohn zufrieden geben will. Welche Tätigkeit Sie später einmal ausfüllen werden, hängt von Ihrem Eifer, der beruflichen Entwicklung und Zufällen ab, egal welche Lehre Sie einmal abgeschlossen haben.«
»Lieber Siegfried, glauben Sie in der Werbung wird man eine Schulabbrecherin als einen Knaller betrachten?«, fragte sie ungläubig und bohrte mit dem Finger in einem der Jeanslöcher.
»Sie haben die zehnte Klasse abgeschlossen und sind für eine Lehre qualifiziert. Wenn Sie über Energie und Ausdauer verfügen, besteht die Option in der Abendschule das Abitur nachzuholen, ich traue Ihnen das zu.«
Ihr zweifelnder Gesichtsausdruck verwandelte sich in ein anmutiges, zufriedenes Lächeln, als hätte sie eine Erkenntnis gewonnen: »Niemand traut mir etwas zu, ich freue mich, dass Sie mir so viel zutrauen, ich kann es ja einmal versuchen.«
»Sie sollen es nicht nur versuchen, Sie müssen es wollen! Der erste Test dafür sind die drei Wochen ohne Zigaretten. Ich stecke jetzt Ihre Zigarettenschachtel ein und gebe sie Ihnen erst zurück, wenn Sie mir eingestehen, dass Sie nicht stark genug waren.«
Maggi sprang auf, drückte den alten Mann an ihren jungen Körper und gab mir spontan einen Wangenkuss: »Top, die Wette gilt«, jubelte sie und lief zurück in das Storchennest.
Einige Tage danach war ich wieder vom Alltag umfangen und mein Wellness-Urlaub rückte in die Ferne. Nach drei Wochen, ich war gerade mit der Steuererklärung beschäftigt, da lässt man sich gerne stören, klingelte das Telefon. Der Anrufer meldete sich zunächst nicht, ich hörte nur ein schnelles Atmen, dann schmetterte Maggis Stimme los: »Ich habe es geschafft, ich habe drei Wochen keine Zigarette angefasst! Ihr Vertrauen hat mich gestärkt, und ich fühle mich jetzt viel wohler ohne Qualm und Husten, ich bin glücklich!«
»Ich habe fest darauf vertraut und bin sehr stolz auf Sie. Die nächste Etappe wird sein, nicht rückfällig zu werden. Wenn Sie jetzt auch nur einen Zug von einer Zigarette inhalieren, dann rauchen Sie bald mehr als vorher. Erklären Sie jedem in Ihrem Freundeskreis, dass Sie das Rauchen aufgegeben haben und nur Schwächlinge rückfällig werden. Wer Ihnen dennoch eine Zigarette anbietet, dem kündigen Sie die Freundschaft, weil er kein Freund ist.«
»Ich vermisse Sie und unsere Bistro-Gespräche. Lieber Siegfried, kommen Sie wieder einmal nach Baden-Baden, Sie müssen diesmal auch keinen Tafelspitz essen.«
»Ich möchte gern mein Versprechen einlösen und freue mich die Frau wiederzusehen, die mich mit ihrer Willensstärke beeindruckt hat und mich mit ihrer Jugendlichkeit ansteckt. Ich werde am Freitag um achtzehn Uhr im Bistro sein, bringen Sie einige Ihrer Zeichnungen mit.«
Die Leitung und einen Teil der Anteile meiner Firma Sigi Bau GmbH hatte ich an meine beiden Kinder abgegeben, die Mehrheit der GmbH-Anteile verblieb in meiner Hand und ich behielt mein altes Büro, das ich gelegentlich für einige Stunden aufsuchte. Ich rief Frau Reuter, unsere Personalchefin, an: »Wir suchen Mitarbeiter für die neue Werbekampagne, benötigen Sie weibliche Lehrkräfte mit schwachem Realschulabschluss?«
Frau Reuter bestätigte meine Vermutung über einen Personalbedarf und ich avisierte ihr Maggis Bewerbung mit der Bitte diese wohlwollend zu überprüfen. Sie sagte eine wohlwollende Prüfung zu, konnte sich jedoch eine ironische Bemerkung nicht verkneifen: »Nun denn, wenn es dem Firmenwohl dienlich ist.«
Maggi wartete schon im Bistro als ich dort eintraf. Sie hatte sich die Haare dunkellila gefärbt und asymmetrisch nach einer Seite gekämmt, benutzte lange Wimpern in der gleichen Farbe und hatte eine speckige Mappe vor sich liegen. Als sie mich sah, lief sie mir entgegen, küsste mich auf die Wange und verkündete: »Na endlich beehrt mein rüstiger Beschützer wieder seine Schutzbefohlene. Ich finde wir sollten uns mit Vornamen ansprechen, Siegfried und Maggi. Eigentlich heiße ich Margarete, aber alle nennen mich Maggi.«
»Ich halte das für eine gute Idee, auch wenn ich mich an Deine veränderte Frisur erst gewöhnen muss. Wie geht es meiner Schutzbefohlenen im Punk Look ohne Qualm?«
»Die neue Haarfarbe soll meinen Neubeginn symbolisieren, denn manches hat sich seit unserem Treffen verändert. Mein Vater hat Deine Anregung aufgegriffen und bietet keine gekochten Speisen an, dafür habe ich einen Skat- und Bridge Wettkampf organisiert. Das war ein voller Erfolg, und mein Vater ist nicht mehr überfordert und seither besser gelaunt. Du siehst, die Welt braucht dringend Senioren, die segenspendend wirken.«
Während ich die speckige Mappe mit ihren Zeichnungen durchblätterte, begann Maggi eine Skizze anzufertigen. Aus ihrer Sammlung gefiel mir eine Karikatur besonders, auf der eine mittelalterliche Kanone auf Holzrädern abgebildet war. Der hintere Teil des Kanonenrohrs hatte die Gesichtsform des Präsidenten Trump, und von der Lafette hing schlaff die amerikanische Flagge herunter. Vor der Kanone zwitscherte ein winziger Spatz, darunter war zu lesen: Amerikanische Korea Politik. Sie bemerkte mein Schmunzeln und lachte auch: »Ja, die ist mir gut gelungen, diese hier nicht.«
Maggi griff nach einer ihrer Skizzen, faltete sie zu einer Papiertaube, ließ ihr Werk durch das Bistro fliegen und kuschelte sich kichernd an meinen Rücken, als der Papierflieger auf dem Kopf eines Gastes landete. Ihr angekuschelter Körper erweckte ein ungewohntes Gefühl, und ich lehnte mich leicht zurück, um es intensiver zu spüren. Der Kopf, auf dem die Papiertaube gelandet war, gehörte zu einem energischen, jungen Mann, der seinen forschenden Blick kreisen ließ um den Täter zu ermitteln. Ich fühlte mich wie ein Ritter, der die Ehre einer Hofdame verteidigen musste und rief ihm lächelnd zu: »Sie dürfen das Kunstwerk behalten, es stammt von einer begnadeten Künstlerin, die noch nicht so bekannt ist aber meine Bewunderung hat.« Ich merkte, dass sich ihr kindliches Kichern hinter meinem Rücken verstärkte, und es dauerte eine Weile, bis sie wieder hervorkam.
»Manche Deiner Zeichnungen gefallen mir und lassen ein Talent erahnen.« Während ich sprach, arbeitete sie weiter an ihrer Skizze und blickte mir immer wieder ins Gesicht und setzte sich so, dass ich ihr Werk nicht einsehen konnte. Nach einer Weile überreichte sie mir mit Augen, die durch die langen Wimpern strahlten, ihre Skizze, die mein Portrait zeigte: »Das schenke ich Dir, es soll Dich an unsere Bistrogespräche erinnern.« Sie knickste elegant, wie eine Primaballerina, die den Applaus entgegen nimmt.
Das mit wenigen Strichen angefertigte Portrait hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit mir, und ich freute mich darüber: »Vielen Dank, der Senior auf dem Bild blickt gütig drein. Du schickst eine Bewerbung als Werbekauffrau an die Sigi Bau GmbH zu Händen von Frau Reuter. Ich habe gehört, dass die Lehrlinge suchen, Du musst nur Frau Reuter von Deinen Qualitäten überzeugen. Da erlernst Du Marketing, computergestütztes Designen, Durchführung von Werbekampagnen, Formulierung von Werbebotschaften und kannst Deine Kreativität, Deine Redegewandtheit und Deine Zeichenkünste einbringen, würde Dich das interessieren?«
Das Schelmengesicht meiner Schutzbefohlenen nahm jetzt einen ernsten Ausdruck an, und sie gab zu bedenken: »Interessieren würde mich das schon, aber wie soll ich Lebensunterhalt und Wohnung von einem Lehrlingsgehalt bezahlen? Von meinem Vater kann ich keine Unterstützung erwarten.«
»Die Firma stellt ihren Lehrlingen Zimmer zur Verfügung, das ist kein Problem, das Gehalt ist reichlich und Du kannst ohne väterliche Unterstützung zu Recht kommen. Achte Deinen Vater, auch wenn er Deine Entwicklung vielleicht eher gehemmt als gefördert hat. Ich halte jetzt eine räumliche Trennung für sinnvoll, jeder Vogel muss irgendwann das Nest verlassen.«
Sie kippelte bedrohlich auf ihrem Stuhl als wollte sie durch die Kippgefahr das Schicksal herausfordern: »Wenn Du mir dazu rätst, werde ich mich bewerben. Was zieht man bei einem Bewerbungsgespräch an, ich will kein graues Kostüm tragen, weil ich das nicht zu mir passt, und ich mich verleugnen müsste?«
»Die durchlöcherten Jeans würde ich nicht anziehen, auch wenn die jetzt in Mode sind. Die Personalchefs sind oft konservativ eingestellt, und das Leben besteht aus Kompromissen. Sicherlich lässt sich ein Kleidungsstück zwischen Lochjeans und Kostüm finden, in dem Du Dich nicht verbiegen musst, und das keinen geputzten Pfau aus Dir macht.«
»Hilfst Du mir beim Bewerbungsschreiben?«
Sie beschaffte sich Block und Stift, ich diktierte ihr zügig die Bewerbung, und sie hatte Schwierigkeiten meinem Diktat zu folgen.
»Mann o Mann, nicht so schnell! Meine Finger glühen bei meinem Senior, der wie ein Turbomotor loslegt, ich nenne Dich jetzt Turboseni. Du beschreibst da eine Superfrau, ist das nicht zu starker Tobak, und die werden von mir enttäuscht sein?« Sie sah mich mit einem protestierenden, fraulichen Blick an, der Steine erweichen könnte.
»Du bist eine Superfrau, Du wirst Frau Reuter davon überzeugen. Deine Eigenschaften sollen sich mit dem Anforderungsprofil dieser Lehrstelle decken, da darf man schon ein wenig übertreiben. Du bist lernfähig und schwupp, hast Du das, was jetzt noch wenig ausgeprägt ist.« Wir spielten eine Stunde lang Chef und Bewerberin, sie legte einen originellen Vortrag hin, und ich machte sie auf die typischen Fehler bei Bewerbungsgesprächen aufmerksam.
Dieses unverfälschte, aufblühende Mädchen faszinierte mich, ich fühlte mich beschwingt in ihrer Gegenwart. Sie vermittelte mir das Gefühl: Du bist mir wichtig, Du förderst meine Entwicklung, ich brauche meinen Turboseni. Auf der Heimfahrt überlegte ich, was diese Faszination ausgelöst haben könnte, war es ihre frische, frauliche Erscheinung oder väterlicher Eifer, der nachholen wollte, was er bei den eigenen Kindern vernachlässigt hatte? Wollte ich mich als barmherziger Samariter aufspielen, suchte ich den Jungbrunnen für einen alternden Mann, heischte ich nach Bewunderung, oder war es mein heimlicher Wunsch mit ihr das Kopfkissen zu teilen? Ich fand keine passende Erklärung für meine spontane, etwas skurrile Zuneigung.
Am Tag ihrer Bewerbung war ich wahrscheinlich aufgeregter als die Bewerberin und rief bei Frau Reuter an, die ich seit über dreißig Jahren kannte und die mein Joker in meiner alten Firma war: »Nun, welchen Eindruck hatten Sie von Maggi?«
»Sie ist ein bunter, begabter Vogel, der von den drei Bewerberinnen am besten auf unsere Stelle passt. Unser Werbeleiter war begeistert von ihr, wir haben ihr die Lehrstelle gegeben.«
Noch am selben Abend rief Maggi an, natürlich musste ich den Überraschten spielen: »Mein schlauer Turboseni, stell Dir vor, die haben mich genommen! Ich kann es kaum glauben, dass ich überzeugender war als all die anderen. Ich kann schon im nächsten Monat anfangen und die Vergütung ist super, genau wie Du es gesagt hast. Ich habe für Freitag ein paar Freunde ins Storchennest eingeladen, ich würde mich freuen, wenn du kommen könntest, wir müssen unseren gemeinsamen Sieg feiern.«
»Ich bin stolz auf Dich und freue mich mit Dir über Deinen fleißig vorbereiteten Erfolg. Ich kann es kaum erwarten Dich wiederzusehen und komme gern am Freitag.«
Bisher hatte ich sie alleine getroffen, der Gedanke ihren Freunden und ihrem Vater zu begegnen verunsicherte mich. In welcher Eigenschaft sollte ich auftreten, als Ersatzvater, Sponsor oder heimlicher Verehrer? Im Storchennest erwartete mich eine Schar von jungen Menschen. Ihr Vater wirkte zufrieden hinter seinem Tresen, die eingeladenen Freunde saßen an drei Tischen, ich gesellte mich an einen dazu, Maggi hüpfte nach Art einer Moderatorin von einem zum anderen Tisch, und ich fühlte mich deplatziert in diesem Kreis. Zu den Themen der jungen Leute über Lehrer, Popsänger und Actionfilme konnte ich nicht viel sagen, und sie interessierten mich auch nicht. Irgendwann stellte mich Maggi als Ihren Turboseni vor, der ihr hilft und sie beschützt. Für mich war das Ganze eher peinlich als erfreulich, und ich entfernte mich bald aus dem feiernden Kreis der Jugendlichen.
Ich wollte meinen Schützling gerne wiedersehen, aber es gab keinen einleuchtenden Grund dafür, also beschränkte ich mich darauf ihre Ankunft in der Sigi Bau GmbH abzupassen. Dazu musste ich mich um acht Uhr in meinem Büro einfinden, das war davor keine zumutbare Uhrzeit für einen Ruheständler. Deine Vaterliebe hat bunte Flügel, musste ich mir eingestehen.
Nach einigen Wochen rief mich Maggi an: »Sigi, ich muss Dich sehen, und es gibt einen Grund zum Feiern, wir treffen uns im Bistro.« Sie schien überzeugt zu sein, dass ich immer verfügbar bin. Ich hatte für den nächsten Tag eine Verabredung zu einer Opernpremiere, die sagte ich kurzerhand ab und eilte, von wirren Sehnsüchten getrieben, zu meinem Rendezvous nach Baden-Baden. Sie hatte ein ausgeschnittenes, figurbetontes Sommerkleid an und rannte auf mich zu: »Überraschung, ich habe die Fahrprüfung bestanden«, sie zog mich an den Tisch, wo Sektgläser bereitstanden: »Fritz, bitte einen Bindfaden!«
Der Kellner brachte grinsend einen Bindfaden auf einem großen Teller und servierte ihn mit Messer und Gabel. Maggi lachte, nahm ihren frisch erworbenen, auf Kreditkartengröße geschrumpften Führerschein, umwickelte diesen mit dem Faden und tauchte ihn in das Sektglas: »Ich taufe dich, damit du mir sorgenfreie Fahrten bescherst, mein ehrwürdiger Turboseni ist der Taufpate«, ich musste den Faden halten und wieder aus der Sektschale herausziehen. Wir plauderten über die Fahrprüfung, ihre Tätigkeit und ihren Vater, danach lud ich sie zu einer Autofahrt ein.
»Au ja, mir fehlt Fahrpraxis, und ich will Dir meinen Paradiesbaum zeigen.«
In der Tiefgarage sah sie mein Auto an: »Mann o Mann, ist das ein Schlachtschiff, ich habe auf einem Golf fahren gelernt, kann ich ein solches Ungeheuer beherrschen?«
»Du kannst alles, wenn Du es willst. Aufgepasst! Du bist ein Schaltgetriebe gewohnt, mein Wagen hat eine Automatik, das linke Bein ist arbeitslos, weil keine Kupplung bedient werden muss.«
An der ersten roten Ampel wurde ich durch heftiges Bremsen nach vorne geschleudert, meine Fahranfängerin wollte gewohnheitsmäßig die Kupplung treten und traf das breite Bremspedal. Schon nach wenigen Kurven kam sie gut mit dem Wagen zurecht und schmiegte sich wohlig in die Ledersitze. Wir fuhren einige Kilometer durch ein Waldgebiet und gelangten an einen Baggersee, der etwas versteckt gelegen und von hohen Bäumen umrandet war. Wir stellten das Auto ab und liefen zu Fuß weiter: »Ich komme hierher mit dem Fahrrad, wir haben es gleich geschafft.« Maggi holte eine Decke und ein Handtuch aus ihrer Tasche und breitete es unter einer gewaltigen Eiche aus, die wohl einige hundert Jahre älter war als ich. Vor dem Baum streckte sich ein flacher Felsblock bis weit in den See. Die untergehende Sonne ließ die Schatten der am Ufer stehenden Bäume lang werden. Man hörte das leise Plätschern der Wellen, Dunst lag über dem See, der gab dem Ort etwas Mystisches. Die Vögel sangen ihr Abendlied, und ein lauer Wind liebkoste die Haut. Die letzten Sonnenstrahlen küssten uns durch die Blätter.
»Das ist mein Paradiesbaum, hier kam ich her, wenn ich niedergeschlagen war und mich aufbauen wollte. Seit Du meinen Lebensweg gekreuzt hast, war ich nicht mehr hier, mit Dir fühle ich mich stark, und mir gelingt einfach alles, ich bin glücklich, dass es Dich gibt.« Sie sprang auf, ließ Kleid und Unterwäsche fallen, rannte, so wie Gott sie geschaffen hatte, den Felsblock entlang und sprang mit einem Kopfsprung ins Wasser: »Komm auch rein, es ist herrlich!«
Ich wollte mich auch sportlich zeigen, aber es dauerte eine Weile bis ich Schuhe, Socken, Hose, Hemd und Unterhemd abgelegt hatte, die Unterhose behielt ich an und rief entschuldigend, als ich ins Wasser watete: »Mein Körper ist nicht mehr so schön wie Deiner!«
Maggi schwamm übermütig und bespritzte mich mit Wasserfontainen. Als wir aus dem Wasser kamen, legten wir uns auf die Decke, sie legte ihren Kopf auf meinen rundlichen Bauch und bedeckte sich keusch mit dem Handtuch. Ich dachte an etwas, woran ich vor zwanzig Jahren oft gedacht hatte und musste meine Lust sie zu berühren zügeln. Sie begann zu frieren, und wir traten die Rückfahrt an. Meine zitternde Nixe war gierig auf die Autofahrt und jonglierte die dicke Limousine mit Schwung über die Waldwege.
In den nächsten Wochen kreisten meine Gedanken immer wieder um den Abend unter dem Paradiesbaum und die flüchtig mit einem Handtuch bedeckte Eva, die ich bald wiedersehen wollte. Ich verkündete, dass ich für sie kochen könnte und lud sie zum Spargelessen in mein Haus ein, obgleich meine Kochkünste begrenzt waren. Frau Günter, die mir den Haushalt führt, schärfte mir noch ein: »Salz, Zitronensaft und eine Prise Zucker in das Spargelwasser geben und Estragon nicht vergessen.«
Wir schälten gemeinsam den Spargel und Maggi genoss die weißen Stangen und einen badischen Weißburgunder, und ich hörte mir geduldig ihre Lieblingsmusik an, die pausenlos und laut laufen musste. In einer Musikpause, für die ich sehr dankbar war, summte sie mir eine selbst komponierte Melodie vor, die mir gut gefiel. Dann erzählte sie begeistert von ihrer Tätigkeit und einer Werbeaktion, die sie zusammen mit unserem Werbeleiter konzipiert hatte, und wobei sie ein Tonstudio benutzen konnte. Von mir wollte sie wissen, auf welche Weise eine Werbeerfolgskontrolle durchgeführt werden könnte. Ich stellte ihr die gängigsten Methoden vor und fühlte mich wieder einmal gefragt und pudelwohl in ihrer Gegenwart.
Einige Zeit später berichtete mir Frau Reuter begeistert, als wir uns auf der Treppe begegneten, dass Maggis Werbeaktion ein großer Erfolg war, ihre Werbemelodie jetzt als Werbespot im Radio geschaltet war, und sie das Abitur an der Abendschule ablegen wollte. Dann flüsterte sie mir zu: »Ihr Sohn kann unsere beliebte Auszubildende nicht ausstehen und beobachtet sie mit Argwohn.«
Bei unserem nächsten Treffen im Bistro kam Maggi auf mich zu mit einem finstereren Blick, der nichts Gutes erwarten ließ: »Sage mir nur eins, hast Du meine Einstellung bei der Sigi Bau GmbH angeordnet?«
»Die Leitung und Anteile meiner Firma habe ich schon vor vielen Jahren auf meine Kinder übertragen. Ich habe auf die operativen Entscheidungen nicht den geringsten Einfluss. Ich konnte Deine Einstellung gar nicht anordnen!«
»Ich dachte, die hätten mich eingestellt, weil ich überzeugt habe, und nicht weil ich Beziehungen habe. Ich hasse Vetternwirtschaft und sehe darin das Hauptübel für die Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft, und nun habe ich selbst da mitgespielt, das finde ich zum Kotzen.«
Maggi hatte erfahren, dass ich noch Seniorchef war und fühlte sich hintergangen, ihr kindliches Vertrauen in mich hatte einen Riss bekommen. So sehr ich an diesem Abend auch argumentieren mochte, ihr Blick blieb finster, und sie machte sich fortan rar. Ich versuchte oft vergeblich sie zu erreichen und schickte ihr zum Geburtstag zwanzig rote Rosen. Nach einer längeren Zeit des Schweigens, lud sie mich zu einem Popkonzert ein, weil sie dort als Sängerin auftrat und überzeugt war, dass meine Anwesenheit ihr Glück bringen würde.
Das Konzert fand in einer Turnhalle statt, dauerte zwei Stunden und wurde von etwa tausend begeisterten Fans besucht. Ich war mit Abstand der älteste Zuhörer und war an diesem Tag froh, dass meine Ohren nicht mehr gut funktionierten, denn die Musik war unangenehm laut. Maggi trug drei Songs vor, einen selbst komponierten trug sie besonders ausdruckstark vor und erhielt dafür viel Beifall. Nach dem Konzert saßen wir bei einem Drink zusammen mit den Mitgliedern der Band, und sie stellte mir Manfred, ihren neuen Freund, vor, der mit seinem Schlagzeug für den nötigen Bums sorgte. Der junge Mann machte einen sympathischen und profilierten Eindruck auf mich, und ich müsste mich eigentlich freuen über ihren Partner. Allein es wollte keine Freude in mir aufkommen, es störte den alten Verehrer die Vorstellung, dass sie sich ihm hingab.
Ich sah Maggi jetzt selten, denn ihr Terminplan war mehr als voll. An den schulfreien Abenden übte sie mit der Band oder bereitete sich auf Prüfungen vor, tagsüber war sie im Büro oder in der Berufsschule. Im Herbst endlich besuchte sie mich wieder einmal, und wir saßen am Feuer vor dem offenen Kamin bei einem Glas Wein. Meine Schutzbefohlene sprach von ihrer Arbeit, der Musik und dem ersten Krach mit Manfred: »Er ist ein egoistischer Macho, hält sich für den Größten und meine Songs allenfalls für ganz nett, ich habe stets verfügbar zu sein, wenn er Lust hat, egal in welcher Stimmung ich gerade bin, und jetzt hat er meine Freundin gevögelt. Ich fühle mich verletzt und doppelt verraten!«
»Manfred ist Deine erste große Liebe, die hinterlässt besonders tiefe Spuren. Eine Frau, die von ihrem Mann absolute Treue erwartet, wird früher oder später enttäuscht sein. Menschen, die sexuell anziehend sind, trifft man oft im Leben, Menschen, die man liebt nur selten, daher solltest Du Deine Liebesbeziehung nicht leichtfertig aufgegeben. Wenn Du ihn liebst und Euch viele Gemeinsamkeiten verbinden, gib ihm eine zweite Chance. Sei nicht immer verfügbar, nimm Dir eine Auszeit und finde heraus, ob er Dir dann fehlt. Sag ihm deutlich, was Dich an ihm stört und finde heraus, ob er fähig ist diese Eigenschaften abzulegen.«
Maggi beugte sich vor zum Feuer und schwenkte nachdenklich ihr Weinglas: »Du bist ja cool, ich weiß nicht, ob ich das kann.«
»Versuche es, Du hast bewiesen, dass Du viel kannst, wenn Du es willst. Cool! Das will ich nicht sein und verachte die vielen Ausdrücke, die uns aus Amerika übergestülpt werden und unsere Sprache verhunzen und armselig machen. Cool bedeutet übersetzt kalt, und wer will schon kalt sein. In der Umgangssprache der Jugend steht es für viele konfuse Eigenschaften: Unerschrocken, überlegen, abgebrüht, krass, fantastisch und irre.«
»Ich habe cool im positiven Sinn gemeint, nicht krass oder irre. Ausdrücke aus dem angelsächsischen Sprachraum haben sich durchgesetzt, weil sie kurz sind und die internationale Verständigung fördern. Wie würdest Du denn ein Handy bezeichnen?«
»Ein Handy ist ein Gerät, das nichts mit der Hand gemeinsam hat, in der es oft liegt und seinen Namen geprägt hat. Ich nenne es Mobiltelefon oder Mote, das hat ebenfalls nur zwei Silben, auch wenn sich diese Bezeichnung in Deutschland nicht durchgesetzt hat. Ich meide Amerikanismen wie: Fake News, overkill, hedgefonds, burnout, sie haben der Welt keinen Segen beschert. Sie sind Ausfluss der amerikanischen Lebensweise, die ich vor sechzig Jahren als vorbildlich empfunden habe. Heute stößt sie mich ab, genau wie ihre chaosspendende Außenpolitik.«
Während wir uns unterhielten, wurden wir von Maggis Musik beschallt. Bei ihrem Lieblingssong sprang sie auf, zog mich mit beiden Händen aus dem Sessel und begann zu tanzen. Ich musste mich anstrengen um aufstehen zu können, und während die Tänzerin schwebte, hatte ich Schwierigkeiten bei Drehungen das Gleichgewicht zu halten: »Die Amerikaner sind nicht nur in der Musik tonangebend, sie sind auch bei technischen Entwicklungen weiter als wir und erfinden bei neuen Begriffen treffende und kurze Bezeichnungen, die wir übernehmen, weil es keine deutschen dafür gibt.«
»Weil deutsche Ausdrücke nicht so cool sind. Ich lebe unbeschwerter ohne Smartphone, Tablet und Co und will nicht immer erreichbar sein. Die Smartphone Benutzer entziehen sich einer direkten Kommunikation und wirken wie Geisterfahrer aus einer virtuellen Scheinwelt. Man sollte für diese Spezis die Ampeln an den Kreuzungen in die Zebrastreifen verlegen, weil sie ständig fummeln und nach unter sehen.«
Maggi schmunzelte und tanzte unbeirrt weiter ohne zu antworten, weil die Jugend manches anders sieht als wir Alten, und es dafür keiner Rechtfertigung bedarf.
Das Weihnachtsfest verbrachte ich im Haus meines Sohnes. Meine Schwiegertochter Paula werkelte emsig in der Küche, denn Gänsebraten, Rotkohl und Klöße wollte sie gleichzeitig auf vorgewärmten Tellern servieren. Elmar war nicht sonderlich erfahren im Tranchieren einer Gans und beim Anzünden der Weihnachtsbaumkerzen bekleckerte er sich mit Wachs. Meine Enkelkinder Julia und Gerd nestelten entrückt an ihren Smartphones, und Tante Eveline blätterte in einem alten Fotoalbum. Nach dem Essen rauchte ich auf der Terrasse meine Pfeife als Elmar sich zu mir setzte. Sein mürrischer Blick ließ ahnen, dass er keine frohe Botschaft verkünden würde: »Dein Verhältnis zu unserem Lehrmädchen finde ich nicht nur unpassend, ich finde es abstoßend! Wie kannst Du mit diesem Kind die Nächte in dem Haus verbringen, das einmal mein Elternhaus war. Früher nannte man das Unzucht mit Abhängigen, und es wurde bestraft. Wenn ein Achtzigjähriger einer Neunzehnjährigen rote Rosen schickt, macht er sich nicht nur lächerlich, man fragt sich auch, ob er noch alle Tassen im Schrank hat, und ob er noch als Gesellschafter tragbar ist.«
Bei seinem Auftritt lief mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter, als müsse ich in den Schlund eines feuerspeienden Drachens starren: »Mein lieber Elmar, Du darfst gerne Deine Meinung sagen, vielleicht war ich Dir kein guter Vater, aber das gibt Dir nicht das Recht in diesem Ton mit mir zu reden. Maggi ist keine Abhängige von mir, und ein Witwer kann, im Gegensatz zu Dir, seine Nächte verbringen mit wem er will. Wie die Anteile unserer Firma aufgeteilt werden, entscheide immer noch ich, Dein heutiges Weihnachtsgeschenk an mich war Dir dabei nicht sonderlich hilfreich.«
Es war mir klar, dass meine Familie die Beziehung zu Maggi, die mir viel bedeutete, missbilligen würde. Diese selbstsüchtigen und spießigen Anschuldigungen meines Sohnes hatten mich überrascht und verbittert, ich hatte den Wunsch diese Weihnachtsfeier schnell zu verlassen. Meine Tochter war auch wenig begeistert von meinem Interesse an Maggi, aber sie verzichtete auf diesen drohenden, moralischen Zeigefinger.