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Dieses Buch zeigt Menschen auf, die Verantwortung tragen und sich unmoralisch oder kriminell verhalten. Es beschreibt fassettenreich die Schicksale von Protagonisten, die nicht als Schurken geboren wurden, aber mit ihrer Gier und Gewinnsucht anderen Schaden zufügen und trotz des vielen Geldes kein Glück finden können. Silke mutiert von einer skrupellosen, konsumbesessenen Kokotte zu einer einfach lebenden, glücklichen Mutter. Ihr Beispiel weckt die Hoffnung, dass eine Abkehr von der Morallosigkeit und vom glückshemmenden Wachstumsdiktat möglich ist.
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Seitenzahl: 237
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Vorwort des Autors
Buchrückentext, Kurzfassung
Der Autor
Geleitwort
Kapitel 1. Ein mittelständisches Unternehmen
Kapitel 2. Eine Produktidee entsteht
Kapitel 3. Die Eroberung
Kapitel 4. Firmenübernahme
Kapitel 5. Die Drilltec GmbH entsteht
Kapitel 6. Liebe ermöglicht Wandel
Kapitel 7. Der gigantische Betrug
Kapitel 8. Eine glückliche Familie
Kapitel 9. Das Konsortium tagt
Kapitel 10. Erpresstes Gutachten
Kapitel 11. Der Patriarch tritt ab
Kapitel 12. Verlockungen des Nugget-Fonds
Kapitel 13. Hacker machen Kasse
Kapitel 14. Waffenhandel
Kapitel 15. Währungsspekulation
Kapitel 16. Die Nachfolge
Immer neue Skandale und Krisen in der Wirtschaft, im Bankensektor, im Profisport oder bei öffentlichen Bauvorhaben verärgern uns. Es drängt sich die Frage auf, lässt sich unsere Wirtschaft ohne Moral führen? Dieses Buch handelt von Menschen, die Verantwortung tragen und sich unmoralisch oder kriminell verhalten. Es beschreibt fassettenreich die Handlungsweise und die Schicksale von Personen, die nicht als Schurken geboren wurden, aber mit ihrer Gier und Gewinnsucht anderen Schaden zufügen und trotz des vielen Geldes kein Glück finden können.
In schillernd beschriebenen Episoden werden verschiedene Formen von Wirtschaftskriminalität aufgezeigt. Einige der Ereignisse haben sich in Deutschland in ähnlicher Form zugetragen. Es kommt dem Autor nicht darauf an diese Ereignisse zu dokumentieren, sondern sie dienen lediglich als Hintergrund für die Handlungsweise seiner frei erfundenen Personen.
Der Fabrikant Wilhelm hat ein Gespür für Produkte mit Marktchancen und führt erfolgreich ein mittelständisches Unternehmen bis er durch seinen korrupten Prokuristen in eine Krise gestürzt wird. Sein Sohn Boris, der das Unternehmen übernimmt, fühlt sich vom Vater nicht anerkannt und ist besessen darauf ihn zu überflügeln. Kann ihm das mit einem Streben nach kurzfristigen Gewinnen gelingen? Die konsumbesessene Tochter Silke heiratet diesen korrupten Prokuristen Günter und stellt ihre Familie auf eine harte Probe.
Kann der Zwang zu einem beruflichen Neuanfang bei einem gescheiterten Manager den Einsatz von unredlichen Methoden rechtfertigen, und kann Gier die Antriebskraft für Erfolge sein? Wer ist der Verlierer bei den Transaktionen des erfolgreichen Finanzmaklers Joachim, der für einen Fonds Firmen aufkauft, sie umorganisiert oder abwickelt und mit Devisen spekuliert?
Durch die Liebe zu dem einfach lebenden Hugo gelingt Silke die Wandelung von einer skrupellosen und konsumbesessenen Kokotte zu einer bescheiden und glücklichen Mutter. Ihr Beispiel weckt Hoffnungen, dass es möglich ist die Morallosigkeit zu überwinden und dem glückshemmenden Wachstumsdiktat, immer mehr, immer schneller, immer höher, zu entkommen.
Wenn ein Mensch tagelang durch die Wüste irrt und endlich eine Wasserquelle findet aus der er gierig trinkt, haben wir Verständnis für seine Gier. Verfügt ein Mitmensch über ein stattliches Vermögen und versucht es gierig mit unredlichen Methoden zu vervielfachen, fehlt uns jedes Verständnis, und wir verachten ihn.
Dies Buch zeigt Menschen auf, die Verantwortung tragen und sich unmoralisch oder kriminell verhalten. Es beschreibt fassettenreich die Schicksale von Personen, die nicht als Schurken geboren wurden, aber mit ihrer Gier und Gewinnsucht anderen Schaden zufügen und trotz des vielen Geldes kein Glück finden können. Silke mutiert von einer skrupellosen, konsumbesessenen Kokotte zu einer einfach lebenden, glücklichen Mutter. Ihr Beispiel weckt Hoffnungen, dass eine Abkehr von der Morallosigkeit und vom glückshemmenden Wachstumsdiktat möglich ist.
Ekkehard Meyer wuchs in einer fünfköpfigen Familie im Nachkriegsberlin auf. Als Schüler begeisterte er sich für den Zusammenschluss Europas und hatte die Gelegenheit in Gastfamilien in Frankreich und England zu leben. Er gründete zusammen mit Freunden die ERG, eine Arbeitsgemeinschaft, die eine Vereinigung Europas unterstützte, und für die er Manifeste und Liedertexte verfasste. Der Autor studierte Wirtschaftswissenschaften und Maschinenbau und erlebte intensiv die 1968er Protestbewegung der Studenten.
Die berufliche Tätigkeit führte ihn in mehrere Städte des süddeutschen Raums, er gestaltete für mittelständische Unternehmen und für Industriebetriebe die ausländischen Vertriebswege und konnte die Machenschaften der am Markt wirkenden Kräfte beobachten.
Als der Broterwerb nicht mehr im Mittelpunkt stand, widmete sich der Autor zunächst der Musik und später der Literatur. Er ist Mitglied der Literarischen Gesellschaft Karlsruhe. Einige seiner Kommentare und Bücher wurden veröffentlicht.
Ekkehard Meyer ist Vater von zwei erwachsenen Söhnen. Ihm wurden bisher vier muntere Enkelkinder beschert. Jan.2017
Eure Kinder gehören nicht euch,
sie sind Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich
selbst.
Sie kommen durch euch und wenn sie auch bei euch sind,
gehören sie euch nicht.
Versucht sie nicht euch anzugleichen, das Leben geht nicht
rückwärts.
Ihr seid die Bogen von denen eure Kinder als lebendige Pfeile
abgeschossen werden.
Khalil Gibran (1883 bis 1931) „Der Prophet“
Ein neuer Frühlingstag erwachte und die Sonne verkündete einen strahlenden Tag. Dr. Wilhelm Schlegel, Eigentümer der Schlegel-Hydraulik GmbH, saß gut gelaunt in seinem Büro und bereitete sich auf das Geburtstagsfest vor, das am Nachmittag gefeiert werden sollte. Seine Sekretärin hatte einen großen Blumenstrauß auf seinen Schreibtisch gestellt und servierte ihm frischen Kaffee, den er um diese Zeit zu trinken pflegte. Sie nestelte verlegen an den Blumen herum, ordnete lieblos einige Schriftstücke und machte auf ihn einen bedrückten Eindruck. Er erkundigte sich in seiner väterlichen Art:
„Na, Schillerchen ist Ihnen heute eine Laus über die Leber gelaufen?“
„Ich möchte keinen Kollegen anschwärzen, aber ich fühle mich verpflichtet Ihnen meine Beobachtung mitzuteilen.“
„Nur zu, Sie haben mich nie mit Geschwätz belästigt.“
Frau Schiller setzte sich ihrem Chef gegenüber an den Schreibtisch, faltete die Hände im Schoß, blickte ihn an und begann zaghaft zu berichten: „Schon seit Tagen sehe ich Herrn Hintze auffallend oft selbst am Kopierer stehen, obwohl er eine Sekretärin hat, die für seine Kopien zuständig ist. Heute habe ich, vorbei an dem herabgelassenen Rollo, beobachtet, dass er die Konstruktionszeichnung des neuen V17-Ventils auf seinem Schreibtisch ausgebreitet hatte und mit einer Kleinbildkamera fotografierte. Das V17 findet beim Bau von Handels- und Kriegsschiffen Verwendung und fällt gar nicht in seinen Aufgabenbereich, da stimmt etwas nicht!“
Wilhelm strich mit der flachen Hand über sein Kinn und dachte einen Moment nach: „Ich teile Ihre Bedenken, hier stimmt etwas nicht, und ich danke Ihnen für diese vertrauliche Mitteilung.“
Er drückte zwei Tasten an seiner Fernsprechanlage und nach kurzer Zeit klopfte es an der Bürotür und die Herren: Schneider vom Betriebsrat, und Baselmann der Sicherheitsbeauftragte, traten ein und grüßten kurz.
„Bitte nehmen Sie Platz meine Herren. Es gibt den begründeten Verdacht, dass in unserem Haus Industriespionage durch Herrn Hintze betrieben wird“, kam der Chef mit markanter Stimme sofort zur Sache, „ich bitte Sie zusammen mit Frau Schiller diesen Verdacht zu überprüfen. Sollte er sich bestätigen, führen Sie Herrn Hintze direkt in mein Büro.“
Die Überprüfung des Schreibtisches von Herrn Hintze förderte eine Reihe von Stücklisten und Kopien zutage, mit dem Vermerk: Streng vertraulich, die nicht im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit standen und in einer Mappe gesammelt waren. Die Kleinbildkamera wurde in seinem Jackett gefunden. Der Beschuldigte wurde in das Chefbüro geführt und nahm in zusammengekauerter Haltung am Besprechungstisch Platz. Wilhelm betrachtete ihn mit Verachtung und ließ ihn eine Weile warten, dann fragte er mit donnernder Stimme: „Bei Ihnen wurden vertrauliche Unterlagen gefunden und Sie fotografieren Konstruktionszeichnungen, was können Sie mir dazu zu sagen?“
„Ich hätte das nicht tun dürfen“, kam die kleinlaute Antwort.
„Sie arbeiten seit acht Jahren in unserem Haus, wie lange betreiben Sie Industriespionage, und wer ist Ihr Auftraggeber?“ „Vor einigen Tagen wurde ich dazu gezwungen. Über dem Auftraggeber kann ich keine Angaben machen.“
Wilhelm war enttäuscht und verärgert über seinen Mitarbeiter, den er selbst eingestellt hatte. Seine gute Laune war verpufft, wie ein Feuerwerk, von dem nur die Rauchschwaden übrigblieben. Er griff zu Telefon und meldete der Polizei den Vorfall. Nach kurzer Zeit gesellte sich der Kriminalkommissar Krüger zu dem Verhör. Dieser verfügte über eine subtilere Fragetechnik als der befangene Wilhelm. Sie basierte auf der Kombination von festgestellten Fakten, serviert mit einer Mischung aus Drohung und kumpelhafter Vertrautheit. In kleinen Schritten fand Herr Krüger heraus: Ein Mitarbeiter der Imex hatte Herrn Hintze zu Partys eingeladen und ins Spielkasino gelockt. Dort hatte der Verführte zunächst Geld gewonnen und fühlte sich erfolgreich, wie ein Sportler, der eine olympische Goldmedaille gewonnen hatte. Dann kam der Absturz, er hat sehr viel Geld verloren und musste eine hohe Hypothek auf sein Haus aufnehmen. Um die Raten zurückzahlen zu können, war er auf das Honorar der Imex zwingend angewiesen, die dafür eine Gegenleistung einforderte.
Der Kommissar versuchte möglichst viele Details über diese ominöse Firma Imex herauszufinden, daher rief er sein Büro an und bat um Mithilfe. Es wurde ermittelt, dass die unterschlagenen und kopierten Unterlagen an einen Boten auf dem Bahnhofsplatz übergeben wurden, der sich Jan nannte.
Das Arbeitsverhältnis des ungetreuen Mitarbeiters wurde fristlos gekündigt. Der Kommissar ließ ihn abführen, vorbei an den herbeigeeilten, neugierigen Kollegen, denen das ungeplante Verhör nicht verborgen geblieben war.
Die weiteren Untersuchungen, die Auswertung der Telefonverbindungen, und die Hausdurchsuchung bestätigten die Angaben von Herrn Hintze zum Ablauf bei der Übergabe, eine Spur führte in den Ostblock.
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass durch diese Industriespionage in einigen Monaten eine Kopie des V17 in einem Billiglohnland produziert wird und auf dem Markt zu einem niedrigen Preis angeboten wird, weil keine Entwicklungskosten einkalkuliert werden müssen. Schmerzliche Umsatzeinbußen bei der Schlegel-Hydraulik GmbH würden die Folge sein.
Wilhelm kehrte in seine Villa zurück, jedoch sein Zorn klang erst ab, als er von seiner Ehefrau Erika getröstet und mit einem vorzüglichen Essen verwöhnt wurde. Hier, in dem vertrauten Ambiente, gelang es ihm seine geschäftlichen Probleme abzuschütteln, wie ein Hund, der nach einem Bad schüttelnd sein Fell von Wasser befreit. Auch wollte er sich seine Festtagslaune für die Geburtstagsfeier am Nachmittag nicht nehmen lassen und sein Fest zelebrieren.
Die Sonne stand schon schräg am Himmel an diesem lauen Maientag, und die Schatten der in Gruppen stehenden Gäste wurden länger. Die Vögel zwitscherten, als sei ihr Konzert ein Teil des Festprogramms, und die Luft war mit dem süßen Duft der blühenden Büsche angefüllt. Im Park vor der prächtigen Villa war ein großes Büfett aufgebaut, und blumengeschmückte Tische und Stühle wurden von drei Partyzelten beschattet. Kellner mit weißem Hemd und schwarzer Hose schenkten eifrig Champagner nach, und der Kies auf den Wegen knirschte bei jedem ihrer Schritte. Die Musikkapelle im Hintergrund spielte bekannte Melodien aus Musicals. Wilhelm zog seine goldene Uhr aus der Westentasche seines weißen Smokings, der mit einer roten Nelke im Knopfloch geschmückt war, strich zufrieden über seinen runden Bauch, nickte mit dem Kopf und lief auf die Bühne zu. Er überwand mit wohlgesetzten Schritten die vier Stufen, die ihm wie Karrierestufen erschienen und griff nach dem Mikrofon. Nachdem er es zwei Mal beklopft hatte, begann er gutgelaunt mit seiner Ansprache:
„Wie schön, dass sie alle herbeigeeilt sind und wir gemeinsam meinen fünfundfünfzigsten Geburtstag feiern können. Ich möchte bei so viel prominenten Namen unter meinen Gästen gar nicht erst damit beginnen jeden einzelnen vorzustellen, denn dabei besteht immer die Gefahr einen lieben Menschen zu übergehen, oder ihn ungeschickt in der Reihenfolge zu nennen. Die meisten kennen sich ohnehin, daher von dieser Stelle nur ein herzliches Willkommen an alle, die gekommen sind.“
Er ließ seinen wohlwollenden Blick über die versammelten Gäste schweifen, die seinen Ausführungen mit Aufmerksamkeit folgten, dann nahm er einen Schluck aus dem bereitstehenden Wasserglas und fuhr fort:
„Die Schlegel-Hydraulik GmbH kann auf ein erfolgreiches Geschäftsjahr 1970 zurückblicken und ich möchte allen danken, die an diesem schönen Erfolg mitgewirkt haben, der ohne den unermüdlichen Einsatz unserer Mitarbeiter nicht möglich gewesen wäre. Den ungetreuen Mitarbeiter Hintze erwähnte er nicht.“
Dabei erhob er beide Hände, wie ein Messias, und forderte den Applaus der Zuhörer ein. „Wir konnten den Umsatz um fünfzehn Prozent steigern und beschäftigen jetzt dreihundertfünfzig Mitarbeiter. Auch im laufenden Jahr entwickelt sich der Auftragseingang bisher gut. Wir haben Grund zum Feiern.“
Eine junge Frau mit blondem Haar und einem hellblauen, figurbetonten Kostüm, gesellte sich jetzt zu ihm, sie strahlte die Anwesenden an und wirkte wie ein zierlicher Schmetterling neben dem drohnenhaften Wilhelm. Sie überreichte dem Jubilar einen Glaskasten, der mit einer roten Schleife drapiert war und das hydraulische Ventil mit der Seriennummer: Eins, enthielt. Wilhelm war sichtbar überrascht und gerührt über dieses unerwartete Geschenk, das wohl der Prokurist Rossmann durch Zufall entdeckt und erworben hatte, und er fuhr in seiner Rede fort: „Frau van Veen hier an meiner Seite kennt sich bei der Gestaltung von Festen hervorragend aus.“ Er legte seine Hand auf ihre Schulter und sah ihr dankbar in die Augen, „sie hat einige Überraschungen angekündigt. Die erste Überraschung ist gelungen, und ich danke für dieses Ventil, das ich im Firmengründungsjahr 1950 selbst angefertigt habe. Es ist ein überzeugender Beweis für die Langlebigkeit unserer Produkte. Für alle, die hungrig sind oder auch nur naschen wollen, weil sie auf ihre Linie achten müssen, steht unser Büfett jetzt zur Verfügung. Guten Appetit!“
Als er die Bühne zusammen mit Frau van Veen verließ, setzte die Musik wieder ein und aus dem Schwimmbecken schossen Fontänen, die im Takt der Musik auf und ab tanzten. Bei diesem Spektakel applaudierten die Gäste brav und bewegten sich in Richtung Büfett. Wilhelm genoss diesen Applaus, wie ein Clown seine gelungene Pointe. Er liebte technische Spielereien, insbesondere, wenn diese imagefördernd waren, und er wollte auch demonstrieren, dass die eignen Ventile für ungewöhnliche Einsätze tauglich sind. Sein suchender Blick erkannte unter den Gästen Erika und seine Tochter Silke zusammen mit dem jüngsten Sohn Volker, aber trotz intensiver Suche konnte er seinen ältesten Sohn Boris nicht entdecken. Das löste bei ihm einen leichten Groll aus trotz seiner gutgelaunten Grundstimmung. Der Gastgeber gesellte sich zu der Gruppe, die bei Herrn Rossmann versammelt war und versuchte heraus zu finden, wie es zu der Entdeckung des Urventils gekommen war.
Als er dann seinen Blick über den Park und die Villa schweifen ließ, seine Familie in der Nähe wusste, und die plaudernden Gäste beobachtete, lehnte er sich leicht zurück und war recht zufrieden mit seinem Lebenswerk. Wilhelm ließ sich von dem lauen Wind umschmeicheln, der durch den Park strich. Plötzlich kam Erika mit entschlossenem Schritt auf ihn zu, und ihr finsterer Blick verhieß nichts Gutes. Sie zog ihn aufgeregt zur Seite und flüsterte ihm keuchend ins Ohr: „Boris hatte einen Unfall, er hat das Auto des Nachbarn geklaut und ist damit gegen einen Baum geknallt. Er liegt jetzt im Krankenhaus.“ Bei dem letzten Wort kullerte ihr eine Träne über die Wange, und sie drückte sich instinktiv an ihren Ehemann, als könnte er das Schicksal herumreißen.
Wilhelms zufriedenes Lächeln erstarrte augenblicklich, er legte seinen Arm um ihre Hüfte und zog sie in Richtung Villa: „Ist er ernsthaft verletzt, ist er ansprechbar?“
„So genau weiß ich das nicht, er hat wohl einige Schnittverletzungen und ein Arm könnte gebrochen sein.“
Wilhelm zog die Augenbrauen hoch und dachte einen Moment nach, während beide dem Haus zustrebten. Er schenkte sich einen Cognac ein und ließ sich in einen Sessel fallen: „Fritz soll dich ins Krankenhaus fahren, nimm Volker mit! Ich spreche mit unserem Nachbarn und der Polizei und halte hier die Stellung. Rufe mich sofort an, wenn etwas Ernstes vorliegt.“
Der Chauffeur Fritz war unverheiratet und etwas jünger als Wilhelm. Sein Wesen war angenehm und erzeugte ein biederes Erscheinungsbild. Seine gute Allgemeinbildung und Menschenkenntnis gepaart mit seiner Diskretion bewirkten, dass er wie ein Freund des Hauses betrachtet wurde. Er diente langjährig, hielt sich meistens in diskretem Abstand zum Chef auf und war stets einsatzbereit. Auf ein Zeichen von Wilhelm hin fuhr Fritz den S-Klasse Mercedes vor. Erika packte schnell eine kleine Tasche für Boris zusammen, griff sich ihren jüngsten Sohn und gemeinsam fuhren sie in großer Eile ins Krankenhaus. Fritz trug die gepackte Tasche noch bis an das Krankenzimmer, dann zog er sich diskret zurück.
Der Stationsarzt Dr. Mertens blickte über seine Lesebrille und informierte noch auf dem Flur wohlwollend: „Da hat Ihr Sohn noch einmal Glück gehabt. Trotz des schweren Unfalls hat Boris nur einen glatt gebrochenen Arm und einige Prellungen im Schulterbereich, insgesamt macht er einen recht gefassten Eindruck. Die Polizei hat angeordnet, dass er das Krankenhaus nicht verlassen darf und sich zur Vernehmung bereithalten soll.“
Erika atmete zwei Mal tief durch, schnäuzte sich die Nase, um etwas Zeit zu gewinnen, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, dann antwortete sie: „Vielen Dank Herr Doktor Mertens, ihr Bericht beruhigt mich. Zur Vernehmung möchten wir lieber einen Anwalt hinzuziehen, der Junge ist in solchen Dingen unerfahren. Ich werde einen möglichen Termin mit der Polizei abstimmen“, dann stürzte sie sich zusammen mit Volker in das Krankenzimmer.
Boris saß aufrecht im Bett, der Arm war geschient und lag in einer Schlinge auf der Bettdecke, im Gesicht waren Beulen und Flecke erkennbar, sein Blick war zur Zimmerdecke gerichtet. Er war siebzehn Jahre alt, von athletischem Körperbau, mit dunklem, langen Haar, braunen, lebhaften Augen und einem markanten, energisch wirkenden Kinn. Das gestohlene und zu Schrott gefahrene Auto beunruhigte ihn wenig, das wird der allmächtige Papi schon irgendwie regeln, aber sein eigenes, dummes Verhalten und sein Misserfolg ärgerten ihn.
Er hatte mit seinem Freund Ferdinand auf einem Autoübungsplatz einige Runden gedreht und hielt sich für einen begnadeten Autofahrer, auch ohne Führerschein. Mit einem Ausscheren des Wagens in einer Kurve und einem unaufhaltsamen Rutschen auf den Baum hatte er nicht gerechnet, und es ärgerte ihn, dass er die Situation so elementar falsch eingeschätzt hatte, sich selbst so hoffnungslos überschätzt hatte und sich hatte erwischen lassen. Seine verheulte Mutter war jetzt am Bett zwar willkommen, aber sie war auch ein wenig nervig mit ihren anklagenden und mitleidigen Blicken, daher begann er ungefragt zu erzählen: „Diese Geburtstagsshow, diese Lobeshymnen und die Selbstbeweihräucherung gehen mir tierisch auf den Sack, ich musste da weg. Meine Freundin Sylvia wollte unbedingt per Auto in die Disco und versprach mir den Himmel auf Erden, wenn ich das organisieren könnte. Da habe ich ihr erzählt, dass ich ein eigenes Auto habe. Ich habe schon vor einiger Zeit beobachtet, dass unser Nachbar jeden Freitag seinen Autoschlüssel in den Briefkasten legt, damit seine Tochter den Wagen am Samstag früh benutzen kann, ohne ihn zu wecken. Ich wollte Sylvia imponieren, und es war für mich auch eine Mutprobe. Ich habe einen Draht präpariert, um mir den Schlüssel zu angeln und wollte so schnell wie möglich, Sylvia in die Disco fahren und dann das Auto wieder zurückbringen.
Wie du ja erfahren hast, hat mich ein Baum daran gehindert“, fügte er mit verächtlichem Grinsen hinzu.
„Am Baum ist kein Schaden entstanden, das Auto war kaum noch zu erkennen, als ich da herausgekrabbelt bin. Es ging alles so wahnsinnig schnell, und ich konnte gar nichts dagegen machen, der Baum kam immer näher. Meine arme Sylvia muss nun vergeblich auf mich warten.“
Erika streichelte mechanisch seinen unverletzten Arm, sah ihm besorgt ins Gesicht und fragte: „Hast Du denn Schmerzen, können wir irgendetwas für Dich tun, wie lange musst Du noch im Krankenhaus bleiben? Ich habe Dir Deinen Schlafanzug, Deine Kulturtasche, ein Paar Zeitschriften und Schokolade mitgebracht.“
„Danke, das ist sehr lieb von Dir, ich brauche nichts weiter. Wie hat denn Vater auf die Nachricht reagiert?“, fragte Boris zaghaft nach, dabei griff er nach der Hand seines Bruders. Es klopfte kurz, dann wurde die Tür heftig aufgestoßen, und mit wehendem Mantel stürmte der Anwalt Dr. Gruber ins Zimmer. Er vertrat seit Jahren die Interessen der Schlegel-Hydraulik GmbH und war auch ein Freund der Familie. Der Anwalt war Anfang fünfzig, ergraut und etwas korpulent. Eine markante, dunkelrandige Brille verlieh seinem blassen Gesicht etwas Schulmeisterliches:
„Entschuldige Erika, wenn ich so abrupt in Euer Gespräch hineinplatze, aber wir sollten uns unbedingt vor der Vernehmung durch die Polizei abstimmen. Mein lieber Boris, da bist Du ja in eine sehr unangenehme Situation geschlittert. Fahren ohne Führerschein wird schon streng bestraft, wenn das Fahrzeug auch noch entwendet wurde, verschärft sich die Lage erheblich, neben der Strafe könnte Dir auch die Reife zum Abitur aberkannt werden. Erzähle nun einmal ganz genau den Hergang aus Deiner Sicht.“
Boris zögerte einen Augenblick, dann erzählte er die Geschichte wie er sie vorher schon seiner Mutter erzählt hatte, dabei ließ er die Hand seines Bruders wieder los und blickte verlegen auf den Boden. Der Anwalt hörte alles geduldig an, dachte einen Moment nach, dann stellte er vorsichtig seine Fragen, dabei nickte er nach jedem seiner Sätze bekräftigend mit dem Kopf, das wirkte wie der Zuschlag bei einer Versteigerung: „Die gute Sylvia wollen wir aus dem Spiel lassen, Protzen und Mutproben kommen bei Richtern nicht gut an. Du hattest also nach der Fahrt auf dem Übungsplatz große Lust aufs Autofahren bekommen, könnte das nicht eine Art Sucht gewesen sein? Du konntest an nichts Anderes mehr denken. Wurdest Du nicht durch das fahrlässige Zeigen des Schlüsselverstecks durch den Nachbarn überhaupt erst auf den Gedanken zu einer Spritztour gebracht? Hat Dir der Nachbar nicht durch seine schlüssige Handlung gezeigt, dass er mit der fremden Benutzung seines Autos einverstanden ist? Hast Du die späte Stunde nicht deshalb gewählt, weil Du sofort und unbemerkt das Auto an genau derselben Stelle wieder abstellen wolltest? Ist es nicht deshalb zu der Kollision mit dem Baum gekommen, weil Dich niemand darüber aufgeklärt hat, dass der Wagen des Nachbarn viel stärker motorisiert war als das Auto auf dem Übungsplatz?“
Boris schüttelte langsam den Kopf und wollte etwas sagen, dann nickte er und bekannte kleinlaut: „Das Märchen vom eigenen Auto habe ich Sylvia erst erzählt, nachdem ich wusste, dass mir ein Autoschlüssel zugänglich war, aber einverstanden war der Nachbar sicherlich nicht mit meiner Fahrt. Das Nachbarauto hat tatsächlich eine viel geilere Beschleunigung als mein Übungsauto.“
Der Anwalt holte mit gewichtiger Miene seinen Block hervor und machte sich einige Notizen, als sei dies die Wahrheit, die nun in Stein gemeißelt wurde, dann fasste er zusammen: “Du bist ein Opfer unglücklicher Umstände geworden. Du hattest den unwiderstehlichen Wunsch nach einer Autofahrt. Durch das fahrlässige Verhalten des Nachbarn wurdest Du zu deiner Tat verführt. Du wolltest nach einer kurzen Spritztour das Auto unbemerkt wieder an der gleichen Stelle abstellen und konntest nicht ahnen, welche Bärenkräfte in diesem Auto steckten. Ist das so gewesen?“, der Anwalt nickte erneut bekräftigend.
„Man kann das auch so sehen“, murmelte Boris zustimmend.
„Also, bei der Vernehmung, kein Verdruss über die Geburtstagsfeier, kein Protzen vor Sylvia, keine Mutprobe, nur die Opferversion, kurz und ohne jede Ausschmückung, ist das klar?“ Noch während der Täter zaghaft nickte, entfernte sich der Anwalt wieder, genauso schnell, wie er gekommen war.
Nachdem Erika ihn telefonisch über die Gespräche im Krankenhaus informiert hatte, verließ Wilhelm, ohne Aufsehen zu erregen, seine Geburtstagsfeier, um seinen Nachbarn Herrn Schmidt aufzusuchen. Er kannte ihn kaum, nur einmal hatte er ein unangenehmes Gespräch mit ihm, als sich der Nachbar über den Lärm der Kinder am Schwimmbecken beschwerte, daher hielt sich Wilhelms Freude, ihn wiederzusehen, in engen Grenzen. Schon beim Öffnen der Tür überschüttete dieser jähzornige Mensch ihn mit wilden und lautstark vorgetragenen Vorwürfen, so als sei Wilhelm der Täter und einzig und alleine für den unerwarteten Verlust seines, Ach, so geliebten Autos verantwortlich. Der Beschuldigte wollte sein Gespräch nicht an der Haustüre führen und schlug vor, ins Haus zu gehen. Während er Platz nahm, verstärkten sich die Vorwürfe des Nachbarn noch:
„Nur so verwöhnte und überhebliche Kinder, wie Ihre, sind fähig solche Schandtaten auszuführen und andere damit in Gefahr zu bringen, weil sich die Eltern nicht um ihre Kinder kümmern. Nur wem schon die kriminelle Energie im Blut steckt, ist zu einem so feigen Diebstahl fähig. Nur wem der Konsum vorne und hinten reingeschoben wird, kann sich über alle Regeln des Anstandes so arrogant hinwegsetzen!“
Als erfahrener Geschäftsmann verstand es Wilhelm mit erbosten Gesprächspartnern umzugehen. Er ließ seinen Nachbarn allen aufgestauten Zorn abladen und hörte sich geduldig die unverschämtesten Anschuldigungen an. Als der Redefluss langsamer wurde, und die Vorwürfe sich wiederholten, legte der fürsorgliche Vater seinen Finger genau in die Wunde und fragte mit besonderer Betonung:
„Herr Schmidt, glauben Sie, dass der Briefkasten ein guter Ort zum Aufbewahren von Autoschlüsseln ist, sind Sie nicht verpflichtet Ihr Auto vor dem unberechtigten Zugriff anderer zu sichern, um Verletzungen, auch bei den Verführten, zu vermeiden?“
Sein Kontrahent fühlte sich ertappt, denn er wusste sehr wohl, dass ihm wegen des Schlüssels der Vorwurf eines Mitverschuldens gemacht werden konnte. Um das zu übertönen, verkündete er umso lauter: „Jetzt wird es ja noch bunter, wollen Sie behaupten ich sei Schuld an dem Unfall Ihres lausigen Sohnes?“
„Das Verhalten meines Sohnes ist empörend und ich entschuldige mich in aller Form für das Unrecht, das Ihnen widerfahren ist. Nur wird die Polizei Ihnen auch diese Frage stellen, und ich wollte Sie darauf vorbereiten. Lassen Sie uns doch gemeinsam an einer Lösung arbeiten, um diesen dummen Jugendstreich aus der Welt zu schaffen.“
Nach diesem Friedensangebot verloren die Worte von Herrn Schmidt an Lautstärke und seine Wortwahl wurde moderater. Er dachte einen Moment nach und sagte: „Ja, ja, die lieben Kinder, meine Tochter hat sich auch dumme Jugendstreiche geleistet! Wie stellen Sie sich denn so eine Lösung vor? Ich hänge an meinem Auto, die Alufelgen hat mir meine Tochter zum fünfzigsten Geburtstag geschenkt, und ich bin mit diesem Wagen bis in die Türkei gefahren. Herrichten kann man ihn nicht mehr.“
Wilhelm sah ihn wohlwollend an, nickte zustimmend mit dem Kopf und fügte hinzu: „Irgendwann muss man sich von jedem Auto verabschieden, auch wenn das schmerzlich ist. Wie alt ist denn Ihr BMW, und wie viele Kilometer hat er schon auf dem Buckel?“
„Den BMW habe ich vor fünf Jahren gebraucht gekauft, und auf dem Tacho stehen jetzt hundertzwanzigtausend Kilometer.“ „Ich mache Ihnen einen Vorschlag. In unserem Fuhrpark haben wir das neue BMW Model in blau-metallic, mit Alufelgen und Lederausstattung, der Wagen ist erst drei Jahre alt, nur von unserem Prokuristen gefahren, und er hat nur achtzigtausend Kilometer, den könnten Sie in der nächsten Woche übernehmen.“
Als der Nachbar zögerte, verbesserte Wilhelm sein Angebot, verknüpfte es aber mit einer Zusatzforderung: „Sie sollen ja keinen Nachteil aus unseren Handel haben. Ich zahle Ihnen zusätzlich die Gebühren für ein Mietauto für zwei Wochen, und Sie nehmen Ihre Anzeige zurück und geben zu Protokoll, dass der Schaden inzwischen geregelt wurde.“
Dies Angebot nahm Herr Schmidt freudig an, und sein Zorn war verflogen, wie eine Regenwolke im Frühlingswind. Man verabschiedete sich mit einem Handschlag und einem entspannten Lächeln. Dieser Handel trug dazu bei die nachbarschaftlichen Beziehungen zu verbessern, die vorher eher trübe waren. So liegt auch im Unglück die Chance zum Glück.
Nach zwei Tagen konnte Boris das Krankenhaus verlassen. Ihm selbst kam die Idee nicht, aber auf Drängen seiner Eltern entschuldigte er sich bei Herrn Schmidt. Später war auch der Richter dem jugendlichen Täter mild gesonnen, der schon durch seine Verletzungen vom Schicksal abgestraft war. Da der materielle Schaden inzwischen geregelt war, stellte er das Verfahren ein, gegen Zahlung einer saftigen Geldbuße und Ableistung von fünfzig Stunden in einer sozialen Einrichtung.
Anders als sein Sohn, hatte Wilhelm eine Abneigung gegen das Fahrzeuglenken, daher hat er nie einen Führerschein erworben. Er zog es vor, im Wagenfond die Zeitung oder seine Akten zu studieren und sich vom Chauffeur fahren zu lassen. Fritz chauffierte auch im Urlaub die Familie Schlegel in diesem Jahr wieder nach Malcesine an den Gardasee. Sie logierten in der Suite eines villenartigen, an einem Hang gelegenen Hotels, das einen fantastischen Panoramablick über den See bot und für seine gute Küche berühmt war. Die beiden älteren Kinder Boris und Silke hatten eigene Urlaubspläne, nur Volker wollte den Urlaub noch zusammen mit seinen Eltern verbringen. Ganz im Gegensatz zu seinem Bruder, war Volker ein sensibles und schwächliches Kind, kleinwüchsig und hager, von blasser Hautfarbe, mit scheu in die Welt blickenden Augen und von zurückhaltender Lebensart. Erika schenkte ihm daher besondere Aufmerksamkeit und Zuwendung, ja, sie verwöhnte den Jungen und überschüttete ihn mit ihrer Fürsorge. Er musste immer eine Schirmmütze und Jacke tragen, egal ob Sonne schien oder Regen fiel, und er ging stets an der Hand seiner Mutter und wirkte etwas unselbständig und weltfremd. Volker war musikalisch und begann schon mit fünf Jahren Klarinette zu spielen, wie sein Großvater, der auch sein Lehrmeister war. Beim Musizieren zeigte er Entschlossenheit und entlockte dem Instrument, trotz seiner zarten Lungen, kräftige Töne.