Palela - Sabrina Klein - E-Book

Palela E-Book

Sabrina Klein

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Beschreibung

Nachdem Tahira gemeinsam mit Jannik und Darihn ihre Eltern aus den östlichen Lagern von Mahrla befreit hat, steht schon die nächste Mission bevor: Es gibt Hinweise darauf, dass sich ihre Schwester in Palela, im Land des Wassers, aufhalten könnte. Falls Lesaja noch am Leben ist. Gemeinsam mit den beiden Jungs begibt sich Tahira erneut auf eine Reise, deren Gefahr nicht nur in feindlichen Soldaten besteht. Ihre eigenen Gefühle stellen sie vor eine schwere Entscheidung, die nur sie allein treffen kann. Je weiter sich Tahira von Darihn entfernt, desto näher kommt sie Jannik. Ist er doch mehr als nur ein guter Freund? Oder gibt es noch eine Chance für sie und den Prinzen?

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Seitenzahl: 332

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Für meine beiden lieben Omis. Danke, dass ihr immer an mich geglaubt habt.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 1

Mein Blick hängt immer noch in Jans Gesicht fest, das mich einerseits besorgt und andererseits verletzt anschaut. Die Menschenmenge um mich herum habe ich für einen Augenblick komplett vergessen, genauso wie den Strick, der noch locker um meinen Hals gewunden ist und mich in wenigen Sekunden ins Jenseits befördern soll. Vorsichtig drehe ich mich zur Seite, um einen Blick auf Darihn zu erhaschen. Darihn, der rechtmäßige Prinz von Mahrla, der genau wie ich hingerichtet werden soll, weil der Gewaltherrscher Karop die Macht an sich gerissen hat. Ich erinnere mich daran, wie der junge Mann mit den goldenen Augen mich noch vor wenigen Momenten liebevoll zum Abschied geküsst hat, weil wir nicht mehr mit Rettung gerechnet haben. Ich liebe dich, hat er zu mir gesagt, bevor wir auseinandergerissen wurden. Erst danach habe ich meinen besten Freund Jannik zwischen all den grölenden Bürgern entdeckt, der gemeinsam mit meinen Eltern gekommen ist, um uns aus den Händen der Karoper zu befreien. Diese öffentliche Zuneigung zwischen mir und dem schwarzhaarigen Jungen muss ihn ziemlich getroffen haben.

Ob Darihn ihn noch nicht bemerkt hat? In diesem Moment ertönt Karops aggressive Stimme hinter mir: „Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Fangt mit dem Jungen an, der sich für den Prinzen hält.“

Es ertönt ein spöttisches Lachen, bevor er den gleichen Befehl für die Soldaten auf Mahrlaisch wiederholt. Ein kalter Schrecken fährt durch meine Blutbahn, als die Krieger Darihn zu acht festhalten, damit ihr Anführer Tasos den Strick festziehen kann. Besorgt versuche ich in der Menge wieder Jans Blick aufzufangen, doch ich kann ihn nirgends entdecken. Wenn sie sich nicht beeilen, ist es zu spät! Panik macht sich in mir breit und in dem Moment, da Tasos mit einem schaurigen Grinsen unter seiner Maske einen Hebel im Boden aktiviert, bleibt kurz mein Herz stehen. Ich schreie auf, doch das kann Darihn natürlich nicht davon abhalten, in die Tiefe zu stürzen. Heiße Tränen laufen über meine Wangen. Ich spüre kaum die groben Hände der Karoper, die mich gewalttätig festhalten – ich sehe nur Darihn, wie er zappelnd am Strick hängt und versucht, nicht zu sterben. Ich will ihm helfen, irgendwas tun, aber ich komme nicht los.

„Oh, sein Genick ist nicht gebrochen. Dann muss er wohl langsam ersticken.“

Karops hämische Stimme lässt das Blut in meinen Adern gefrieren und ich spüre kurz nichts als unbändige Wut. Käme ich gerade irgendwie los, würde ich ihn vermutlich umbringen.

Als ein Surren erklingt und Darihn neben mir dumpf auf dem Boden aufschlägt, sehe ich erschrocken auf. Erst jetzt erkenne ich zwischen den Bürgern bewaffnete Männer – es müssen die ehemaligen musanischen Soldaten sein, die mein Vater für uns zurückgewinnen wollte. Ich kann ein Lächeln nicht unterdrücken, als ich schließlich auch seine strahlend grünen Augen in dem ganzen Wirrwarr aus Gesichtern ausmache. Jannik und meine Mutter stehen direkt neben ihm.

Obwohl Darihns Gesicht noch nicht wieder die gewöhnliche Farbe erreicht hat, steht der junge Krieger neben mir blitzschnell auf und greift sich ein Soldatenmesser, noch bevor ein Karoper reagieren kann. In einer einzigen Bewegung entwindet er sich den feindlichen Kriegern und sticht dabei einige von ihnen nieder. Es geht alles so schnell, dass ich kaum mitbekomme, wie ein weiterer Pfeil abgeschossen wird, um auch mich vom Strick zu befreien.

Mittlerweile ist die ganze Menge in Bewegung gekommen, manche Bürger laufen weg, einige wenige wehren sich gegen die musanischen Soldaten und andere stellen sich auf unsere Seite. Obwohl ich nicht zu früh jubeln sollte, erkenne ich mit Genugtuung, dass die Überzahl der Laokheni für die Musaner kämpft.

Ich will mir schnell eine Waffe greifen, doch ich bin zu langsam: Gleich drei feindliche Soldaten kommen mit erhobenen Messern auf mich zu. Geleitet von einem Geistesblitz betätige ich den Hebel im Boden, dessen Zwilling noch vor wenigen Momenten Darihn in die Tiefe stürzen ließ. Glücklicherweise reißt das Öffnen der Klappe im Holz tatsächlich gleich zwei Soldaten nach unten, doch der Dritte scheint nun noch wütender zu sein. Mist, ich kann keine Waffe zu meiner Verteidigung entdecken. Mit jedem Schritt, den der vor Wut schnaubende Mann näherkommt, gehe ich einen zurück, bis ich schließlich an die Kante des Podestes stoße. Oh nein. Hinter mir geht es ein gutes Stück nach unten. Ich bin so auf meinen Angreifer fokussiert, dass ich den braungelockten Jungen in seinem Rücken erst bemerke, als er ihm ein Messer in die Rippen rammt. Das Gesicht des Mannes vor mir wird bleich, bevor er reglos nach vorne in seine eigene Blutlache kippt. Ich schlucke schwer, bevor ich auf Jannik zu renne und ihn kurz in den Arm nehme.

„Hier“, flüstert mein Freund, als er mir seinen Bogen reicht. „Du kannst damit besser umgehen als ich.“

Kurz darauf ist er schon im Getümmel verschwunden und ich stehe wieder allein da. Der Kampf hat sich inzwischen größtenteils vom Podest nach unten verlagert, sodass ich mit meiner neuen Waffe einen ziemlich guten Standpunkt habe. Ich lasse meinen Blick über die Menge schweifen und stelle voller Grauen fest, dass schon ziemlich viele Laokheni – nicht nur Karoper – blutend oder tot am Boden liegen. Nachdem ich Jan, Darihn und meine Eltern in der Schlacht unverletzt ausgemacht habe, fokussiere ich mich auf die Bürger, die Hilfe benötigen. Pfeil um Pfeil lasse ich auf Karops Soldaten fliegen. Obwohl es natürlich keine schöne Sache ist, Menschen zu verletzen oder sogar umzubringen, egal wie grausam sie sind, bin ich doch froh, dass ich einigen unserer Leute helfen kann. Plötzlich bleibt mein Blick an zwei etwas älteren Kämpfern hängen und für einen Moment stockt mir der Atem: Perkoll und Susanna. Darihns Onkel lebt. Ich bin erleichtert, dass es dem freundlichen Mann gut geht. Aber noch erstaunter bin ich darüber, meine Tante hier zu sehen. Die Jahre, in denen meine Eltern hier in Mahrla gefangen gewesen waren, hatte sie sich um mich gekümmert – früher natürlich auch um meine Schwester, bevor diese vor ungefähr einem Jahr verschwunden ist und nun vermutlich irgendwo auf Adra festsitzt. Ich kann verstehen, dass Sanna mich davon abhalten wollte, auf diesen gefährlichen Planeten zu kommen und doch ist sie jetzt hier, kämpft für die Musaner, nun da wir jede Hilfe so gut gebrauchen können. Ich lächle, fasse mich aber schnell wieder, als ein gegnerischer Soldat mit einem Messer bewaffnet von hinten auf Susanna zustürmt. So schnell ich kann ziehe ich den letzten Pfeil aus meinem Köcher und lasse ihn fliegen. Er landet mitten in der schwarz-silbernen Maske des Angreifers. Der Mann fällt und kurz trifft mich Sannas dankbarer, vielleicht sogar stolzer Blick. Ich schenke ihr ein Lächeln - sie ist wie eine zweite Mutter für mich. Voller Entsetzen stelle ich kurz darauf fest, wie einer der übrigen Karoper mich fixiert – er muss danach Ausschau gehalten haben, woher die feindlichen Pfeile kommen. Der Mann steuert, ohne zu zögern, auf das Podest zu. Seine Augen sind wild und sein silbernes Schwert glänzt in der Nachmittagssonne. Um meine Pfeile wiederzubekommen, müsste ich vom Podest klettern, aber damit würde ich es dem Soldaten noch einfacher machen. Während ich noch mit klopfendem Herzen überlege, was ich tun soll, sehe ich wie meine Stiefmutter auf den Krieger, der kurz davor steht mich zu töten, losrennt. Ich bezweifle, dass das eine gute Idee ist, da ihr Messer um einiges kürzer ist als das des Feindes, aber ich kann nichts tun. Susanna, die mittlerweile schon auf die sechzig zugeht, greift den Soldaten von hinten an. Ich nutze die Zeit, in der er abgelenkt ist, um von der Holzerhöhung zu klettern und mir eine Waffe zu suchen. Als ich mich umschaue, bemerke ich jedoch, dass bereits Perkoll zu Sanna geeilt ist, um ihr zu helfen. Obwohl Darihns Onkel schon alt ist, sind seine Bewegungen doch von enormer Kraft gezeichnet – er muss früher auch mal Soldat gewesen sein. Bewundernd sehe ich zu, wie der Mann den Karoper niedersticht, doch im letzten Schlag des fallenden Soldaten, trifft dieser Susanna in die Schulter.

Wieder stehen Tränen in meinen Augen als ich auf meine Tante zu renne, die langsam auf die Knie sinkt und sich den Oberkörper hält. Als ich bei ihr ankomme, wird sie von Perkoll aufgestützt.

„Sanna!“ Mein halb ersticktes Flüstern wird von einem Seufzer begleitet, denn ich sehe erst jetzt, wie viel Blut meine Stiefmutter verloren hat.

„Ich bringe sie zu mir nach Hause“, meint Perkoll beruhigend, während Susanna kurz meine Hand drückt und mich anlächelt. Wie schafft sie das in diesem Zustand? Ich sehe den beiden noch kurz nach, als sie den Kampfplatz verlassen, bevor ich meine Pfeile wieder einsammle. Glücklicherweise sind nur noch wenige Karoper in die Kämpfe verstrickt und werden von unseren Kriegern beschäftigt. Die meisten sind wohl mittlerweile abgehauen oder wurden getötet. Ich kann auch Karop selbst nirgends mehr entdecken. Wo der große Möchtegernkönig wohl hin verschwunden ist? Als jemand an meine Schulter tippt, zucke ich erschrocken zusammen.

„Sorry, ich bin es nur.“

Jans Stimme lässt mich erleichtert ausatmen.

„Hast du Darihn gesehen?“, will ich von meinem Freund wissen. Meine Eltern habe ich schon heil in der Nähe ausgemacht, die übrigen karopischen Soldaten sind dabei, sich zu ergeben und werden von den Musanern abgeführt. Schon komisch, wie schnell sich die Seiten tauschen können.

„Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er in einen wilden Kampf mit Tasos verstrickt.“

„Wie lange ist das her? Wir müssen ihn suchen!“ Ich bin sicher, dass Jannik die Angst in meiner gerade viel zu hohen Stimme bemerkt.

„Vielleicht sind sie im Palast“, meint mein Freund, als wir beide nach einem kurzen Ausschauhalten nirgends einen verletzten Darihn ausmachen können. Ich nicke und nachdem wir noch einige weitere Musaner darüber informiert haben, dass sie nach ihrem Prinzen suchen sollen, laufen wir beide auf den Palast zu. Leider sind die Brücke und das Tor ziemlich versperrt, da die überlebenden Karoper in den Kerkertrakt geführt werden. Doch es ist mir gerade egal, wie viele Leute ich anrempeln muss, um schnell nach drinnen zu gelangen – es geht um Darihns Leben. Jan und ich durchqueren die große weißsilberne Eingangshalle mit den bunten Teppichen und dem lebenden Baum im Zentrum, um in die nächsten Gänge abzubiegen. Ich kann mich überhaupt nicht auf die Pracht des Tempels konzentrieren, meine volle Aufmerksamkeit gilt Hinweisen auf Darihn – und da höre ich es: Kampfgeräusche aus einem oberen Stockwerk. Jannik scheint nichts zu bemerken und schnell ziehe ich ihn hinter mir her die weiß schimmernde Wendeltreppe hinauf. Vor einem riesigen, wunderschönen Saal bleibe ich abrupt stehen. Der Thronsaal, in der Mitte zwei kämpfende Laokheni. Die beiden bewegen sich so schnell und elegant, dass ich im ersten Augenblick einfach nur fasziniert zusehen kann – es wirkt wie ein Film. Zumal die Umgebung einfach nur faszinierend ist: Kleine Springbrunnen, glitzernde Bänke, wunderschöne Pflanzen, bunte Teppiche, silbern verzierte Möbel und eine Art königliches Sofa. Erst jetzt bemerke ich Darihns blutenden Arm. Ich würde gerne etwas unternehmen, aber ich weiß nicht, was. Jan scheint es ähnlich zu gehen. Dieser Kampf ist einfach zu schnell für uns. Selbst mit dem Bogen wäre das Risiko viel zu hoch, Darihn anstelle von Tasos zu treffen. Der böse Krieger muss auch irgendeine Kampffähigkeit haben, sonst hätte er sich niemals so lange gegen den hübschen Jungen schlagen können, den durch seine mahrlaischen Fähigkeiten gewöhnlich niemand an Stärke und Schnelligkeit übertreffen kann. Vorsichtshalber halte ich meinen Bogen parat und wir nähern uns dem Kampfgeschehen. Tasos scheint sich überhaupt nicht für unsere Anwesenheit zu interessieren, doch Darihns Blick bleibt leider eine Sekunde zu lang an meinem Gesicht hängen.

„Nein!“, mein Keuchen, als ihm sein Messer aus der Hand geschlagen wird, lenkt dieses Mal immerhin Tasos für einen Moment ab. Was habe ich bloß angerichtet? Bevor es passiert, sehe ich schon vor meinem geistigen Auge, wie der böse Karoper mit seinem Schwert ausholt. Und ich handle. Jans Rufen nehme ich gar nicht richtig wahr. Ich verstehe selbst nicht genau, was ich tue, aber ich renne so schnell ich kann auf Tasos zu, um ihn wegzustoßen. Der Krieger ist so überrascht, dass er im ersten Moment tatsächlich ein wenig stolpert, aber leider hat er sein Schwert fest in der Hand und nachdem er sich vom ersten Schrecken erholt hat, funkelt er mich wütend an. Nur im Augenwinkel erkenne ich, wie Jannik mit gehobener Waffe auf uns zu rennt, doch er scheint noch zu weit weg zu sein. Immer noch unbewaffnet und verletzt wirft sich Darihn plötzlich vor mich und in der allerletzten Sekunde, bevor Tasos Schwert ihn trifft, bohrt sich Jans Messer durch den Rücken des Karopers. Als ich nun endlich meine angehaltene Luft ausatme, spüre ich erst, wie kräfte-zehrend dieser Tag war. Alles an meinem Körper zittert, während eine riesige Anspannung von mir abfällt.

Jan hat uns gerettet. Und Darihn hat sein Leben für mich riskiert. Ich spüre, wie mir langsam Tränen über die Wangen laufen – das war alles zu viel in letzter Zeit.

„Hey, Tara, alles ist gut.“ Die Stimme meines Freundes ist voller Trost, während er mich in den Arm nimmt und immer wieder über meinen Rücken streichelt. Darihn bleibt stumm neben uns stehen. Aber da fällt mir seine Wunde wieder ein. Ich löse mich aus Jans Wärme.

„Wir müssen schnell zu Perkoll, Darihn ist verletzt.“

„Halb so wild“, winkt der Laokheni seine blutige Fleischwunde ab, setzt sich aber trotzdem mit uns in Bewegung. Wir verlassen die Tempelanlage, die immer noch von Toten und eifrigen Soldaten übersäht ist, steigen die weißen Gassen von Belasado nach unten, die gewöhnlich nicht so leer sind, und nach einem guten Stück durch den Wald stehen wir vor Perkolls gemütlichem Häuschen gleich neben dem prächtigen Wasserfall. Den ganzen Weg über ist Darihn seltsam still. Jan legt sich direkt nach Ankunft hin, Sanna ruht bereits auf der Couch. Meine Eltern müssten auch bald hier sein. Die Wohnung sieht noch genauso aus wie beim letzten Mal. Ich habe diesen Ort vermisst, hier hat alles begonnen. Ich sehe dabei zu, wie Perkoll in der Küche Darihns Wunde reinigt und verbindet, bevor er uns allein lässt.

„Ist alles okay mit dir?“, frage ich verlegen, als Darihn weiterhin schweigt. Kurz denke ich, er wolle mir einfach nicht antworten, doch dann schüttelt der hübsche Junge leicht den Kopf. Seine Miene ist angespannt.

„Ich wollte Tasos töten. Ich wollte meinen Vater um jeden Preis rächen. Ich hätte es getan, selbst wenn er sich ergeben hätte. Aber jetzt, da er tot ist, wird mir erst klar, dass es gar nicht darum ging.“

„Es ist normal solche Gedanken zu haben“, versuche ich, Darihns schlechtes Gewissen zu vertreiben. Er ist einer der besten Menschen oder besser gesagt Laokheni, die ich kenne.

„Weißt du, ich glaube, ich war eifersüchtig auf dich.“ „Was? Wieso auf mich?“ Verlegen sehe ich Darihn an.

„Naja, wir haben beide unsere Eltern verloren. Du hast deine zurückbekommen. Und du hast Jannik. Und Susanna. Ich habe niemanden außer Perkoll.“

„Das stimmt doch nicht!“ Empört sehe ich Darihn an. „Mein Vater kennt dich besser als mich und Jannik ist genauso dein Freund, auch wenn er es nicht so direkt sagt. Und außerdem hast du – mich.“

Darihn lächelt mich leicht an. „Tatsächlich? Also, als ich gesagt habe, dass ich dich liebe, da hast du nicht geantwortet.“ Bei seinen letzten Worten senkt sich sein Blick und ich bin erstaunt, so etwas wie Unsicherheit in den Augen des normalerweise so selbstsicheren jungen Mannes erkennen zu können. Meint er das ernst?

„Man hat mir sicher ganz offensichtlich angemerkt, welche Gefühle ich für dich habe.“ Verlegen spiele ich mit meinen Haaren, während Darihn mich erwartungsvoll ansieht. „Ich-.“ Das ‚- liebe dich‘ bleibt mir im Hals stecken, weil plötzlich meine Eltern den Raum betreten.

„Hallo, ihr beiden.“ Schnell stehen wir auf, um ihnen einen Sitzplatz anzubieten.

„Nicht nötig.“ Meine Mutter will gerade lächelnd abwinken, doch als sie mich umarmt, spüre ich, wie sehr sie zittert. Meinem Vater scheint es ähnlich zu gehen. Es ist nicht nur der Kampf mit den Karopern, der seine Spuren hinterlassen hat. Meine Eltern wurden jahrelang von Karop festgehalten und sogar gefoltert, um an meinen und Lesajas Aufenthaltsort heranzukommen. Da man dachte, Darihn wäre nicht mehr am Leben, hielt man mich und meine Schwester für die nächsten Thronerben, weil mein Vater gemeinsam mit dem kinderlosen Perkoll der oberste Makari, also Krieger und Helfer, von König Musas war. Ich hatte meinen Vater nicht mehr gesehen, seit ich ein Baby war, meine Mutter nicht mehr, seit ich neun war – das sind nun acht Jahre. Erst vor ungefähr zwei Wochen konnte ich die beiden gemeinsam mit Jan und Darihn aus den östlichen Lagern befreien, wo der wahre Prinz und ich dann leider gefasst wurden.

„Kommt, Perkoll hat im Wohnzimmer ein Lager vorbereitet, dort könnt ihr euch ausruhen.“ Darihn stützt meinen Vater, der ihn dankbar anlächelt und ich tue es ihm mit meiner Mutter gleich. Susanna scheint eingeschlafen zu sein und nachdem auch Silas und Lora in ihren Betten liegen, schleichen Darihn und ich uns leise wieder aus dem Raum.

„Es ist bereits Abend, du solltest dich auch hinlegen. Mein Zimmer ist frei“, meint Darihn, bevor er oben in Perkolls Gemach verschwindet. Leicht enttäuscht darüber, allein gelassen zu werden, schlurfe ich den Flur im oberen Stockwerk entlang bis zum Zimmer des Laokheni. Hier habe ich meine ersten Nächte in Mahrla verbracht, damals, als Darihn Jannik und mich aus Karops Kerker befreit hat, um anschließend mit uns die Reise zu den östlichen Lagern anzutreten. Eigentlich ist das alles erst einen Monat her, aber dennoch ist so viel passiert, wie vermutlich in meinem ganzen vorherigen Leben zusammen.

Der Raum wird von den letzten roten Lichtstrahlen erhellt, die die Abendsonne durch das geschwungene Fenster über dem Bett fallen lässt. Es wird nur noch wenige Stunden dauern bis Darihn sich in eine Katze verwandelt – wie Perkoll und mein Vater. Das ist bei allen Laokheni so: Sobald der Lao, also der zweite und kleinere, sichelförmige Mond am Himmel steht, verändern die Einwohner Mahrlas ihre Gestalt.

Ich seufze, als ich die Müdigkeit in meinen Knochen wahrnehme und lasse mich schlaff in die weichen Daunen fallen. Als ich meinen Kopf in dem zarten Kissen vergrabe, nehme ich den wohlbekannten Duft von süß-herbem Honig wahr. Obwohl Darihn so lange nicht in diesem Bett geschlafen hat, ist sein Geruch immer noch intensiv. Ich hätte ihm sagen sollen, dass ich ihn auch liebe. Wer weiß schon, wann sich wieder die Möglichkeit dazu bietet. Aber vielleicht habe ich mich auch einfach nicht getraut, es zu sagen, weil ich weiß, dass er nicht der Einzige ist, der so für mich empfindet. Ist es richtig, dass ich Jan, meinen besten und treuesten Freund seit Kindertagen, so verletze?

Kapitel 2

Ich werde von durcheinanderredenden Stimmen und dem leichten Kitzeln der Sonnenstrahlen an meiner Nasenspitze geweckt. Gut erholt schäle ich mich aus den Decken und nachdem ich mir ein neues, grünes Gewand übergestreift habe – Perkoll ist wirklich aufmerksam und hat sogar meine Lieblingsfarbe erwischt – geselle ich mich zu den anderen ins Wohnzimmer. Alle sind dort versammelt, nur Jan scheint noch zu schlafen. Ich frage mich, wann das Haus zum letzten Mal so viele Gäste beherbergt hat.

„Guten Morgen“, meint meine Mutter fröhlich, während sie mich in den Arm nimmt, als wäre sie nie fort gewesen, um sich jedoch im nächsten Moment wieder auf ihre Matratze sinken zu lassen. Auch Susanna und mein Vater sind noch etwas angeschlagen und ruhen in dem Bettenlager. Perkoll sitzt neben meiner Tante und hält ihre Hand – der Anblick der beiden lässt mich reflexartig zu Darihn schauen, der in der Ecke des Raumes an einem kleinen Holztisch sitzt und nur ganz kurz meinen Blick erwidert. Es versetzt mir einen leichten Stich, dass er wieder abweisend ist, doch ich werde sogleich abgelenkt, da Jannik den Raum betritt. Nun erhebt sich auch Perkoll und lässt Sannas Hand los. Ich frage mich, was es mit der Beziehung der beiden auf sich hat, aber es ist auf jeden Fall niedlich.

„Kommt ihr drei“, brummt der alte Mann freundlich. „Wir gehen in die Küche frühstücken und können dann ein wenig unser weiteres Vorgehen planen. Lasst die Erwachsenen noch etwas ausruhen.“

Im Vorbeigehen zwinkert er mir und Jan zu, Darihn folgt uns in den kleinen Raum. Während mir der süßliche Duft von warmem Beerenbrot in die Nase steigt und mir schon das Wasser im Mund zusammenläuft, räuspert sich Perkoll. „Darihn hat mir erzählt, dass ihr euch auf die Suche nach Lesaja machen wollt.“

Die Stimme des alten Mannes klingt nervös. Dann hat er uns also tatsächlich Informationen vorenthalten.

„Was weißt du über das Verschwinden meiner Schwester?“

Bevor Perkoll antworten kann, betritt Sanna, zwar noch leicht angeschlagen, aber trotzdem bestimmt, den Raum. „Lesaja hat damals genau wie du das Geheimfach hinter dem alten Bücherregal entdeckt. Zu diesem Zeitpunkt war es noch nicht leer.“

Meine Stiefmutter lässt sich neben mich auf die Küchenbank sinken, bevor sie fortfährt: „Es waren vier Karten darin versteckt: Eine, die zu der Höhle führt, durch die ihr nach Adra geschwommen seid. Die drei weiteren waren Landkarten von Mahrla, Palela und Kavala. Genau wie du hat sich Lesaja natürlich auf die Suche nach der Grotte gemacht, und fatalerweise den falschen Unterwassertunnel genommen. Es war verantwortungslos, sie in die Höhle zu locken. Ohne die Blume und den Hinweis wäre das niemals passiert.“

Beim letzten Satz sieht Susanna Perkoll wütend an.

„Ich musste die beiden herlocken. Sonst säßen Lora und Silas noch immer in der Folterkammer oder wären mittlerweile tot.“ Der Versuch des alten Laokheni, sich zu rechtfertigen, wird von Susanna nur mit einem kühlen Blick quittiert.

„Von welchem Hinweis hast du eben gesprochen?“, will ich von meiner Tante wissen. Ich war bisher davon ausgegangen, dass ich als einzige vor acht Jahren den Abdruck der Katzenpfote und die rosafarbene Blume vor der Haustür entdeckt hatte. Es war der Morgen des Tages gewesen, an dem meine Mutter nicht nach Hause zurückkehrte, weil sie nach Adra gereist war, um meinen Vater zu befreien. Was ich zu diesem Zeitpunkt genauso wenig wusste wie die Tatsache, dass mein Vater ein Laokheni und Anhänger von König Musas ist und er durch dessen Sturz in Gefahr geriet.

„Neben der Blume hatte noch ein Zettel gelegen“, meint Perkoll schließlich mit gesenktem Blick.

„Dann warst du tatsächlich die Katze mit den gelben Augen, die ich am Abend zuvor an meinem Fenster gesehen hatte?“

Der Mann nickt langsam, bevor er sich wieder Sanna zuwendet. „Es tut mir leid, dass ich die Mädchen in Gefahr gebracht habe.“

Meine Tante nickt zwar nur als Antwort, aber ich bin sicher, dass sie Perkoll längst verziehen hat. Ich persönlich bin ihm sogar dankbar. Immerhin habe ich nur wegen ihm meine Eltern zurückbekommen. Und ich werde alles dafür tun, um auch meine Schwester zu retten.

„Ich hatte den Schlüssel zum Geheimfach danach ins Höhlenwasser geworfen, nachdem Lesaja weg war“, fährt meine Tante fort. „Ich wollte nicht, dass dir dasselbe passiert und außerdem hatte ich Lora versprochen, auf euch aufzupassen. Eigentlich ist es kein Wunder, dass ihr beiden nicht aufzuhalten wart – deine Mutter hatte sich ja auch gleich in eine abenteuerliche Rettungsmission gestürzt, nachdem Perkoll ihr damals erzählt hatte, dass Silas im Kerker sei. Im Vergleich zu deinen Verwandten ist es bei dir, Tahira, also immerhin noch gut ausgegangen.“

Dann hat Perkoll den Schlüssel gefunden und zu mir zurückgebracht. Er war hartnäckig. Aber er wusste auch nicht, dass Lesaja bereits aufgebrochen war, vermutlich irgendwo in Gefahr schwebte und es womöglich immer noch tut. Er wollte einfach, dass wenigstens eine von uns beiden nach Mahrla kommt und zusammen mit Darihn in die östlichen Lager reist. Zu dritt war es schon schwierig genug, allein sollte man dorthin wohl eher nicht aufbrechen.

„Auf jeden Fall sollten wir uns dann überlegen, wo Lesaja ist und wie wir sie retten können“, meldet sich nun zum ersten Mal Jannik zu Wort. Obwohl er das Ganze so knapp und direkt zusammenfasst, hat er recht.

„Beim ‚Wo‘ kann ich euch vermutlich behilflich sein.“ Ich habe gar nicht mitbekommen, wie auch mein Vater den Raum betreten hat. Meine Mutter steht neben ihm. Das war es dann wohl mit Ausruhen.

Wir müssen auf der Bank eng zusammenrutschen, damit die beiden noch Platz haben, wodurch ich ziemlich fest an Jan gedrückt werde. Normalerweise wäre mir das nicht unangenehm – immerhin ist er mein bester Freund – aber nicht nur Darihn, sondern auch er schaut mich kurz seltsam an. Verschieden seltsam, aber es ist definitiv eine merkwürdige Situation. Noch vor wenigen Wochen hatte ich mir nicht vorstellen können, mich jemals zu verlieben. Jannik war der einzige Junge gewesen, den ich in meinem Leben zugelassen hatte und ich hatte mir auch keine wirklichen Gedanken über die Richtung unserer Freundschaft gemacht. Wir waren immer „nur“ Freunde gewesen. Glaube ich zumindest. Doch als wir dann in Mahrla gelandet waren, gestand Jan mir, dass er sich in mich verliebt hätte. Das hat mich verunsichert und es hat vieles kompliziert gemacht. Genauso wie Darihn. Und mein Herzklopfen, das mich bei seinem Anblick jedes Mal überkam und es immer noch tut. Ohne ihn wäre vermutlich auch die Sache mit Jannik nicht so kompliziert. Denn es ist ja nicht gerade so, dass Jan viel unfreundlicher, hässlicher oder einfach unattraktiver als der Laokheni wäre. Ganz im Gegenteil: Sehr viele Mädchen an meiner Schule hatten ein Auge auf ihn geworfen. Er ist intelligent, hat strahlend blaue Augen, einen trainierten Körper, ist super hilfsbereit und seine zerzausten braunen Locken finden alle süß. Ich war ab und an sogar ein wenig eifersüchtig wegen ihm gewesen. Vielleicht wäre ich ohne Darihn also tatsächlich nie in diese Lage gekommen und hätte gespürt, dass Jan mehr als ein Freund für mich sein kann.

Ich werde rot, als ich bemerke, dass Darihn mich mit intensivem Blick mustert. Glücklicherweise kann er keine Gedanken lesen wie einige andere Laokheni. Schnell wende ich den Blick meinem Vater zu, der zu erzählen beginnt. Silas hat die Fähigkeit des Sehens – wie genau das funktioniert, kann ich mir immer noch nicht vorstellen – aber anscheinend ist sie mit meiner Fähigkeit, dem Träumen, verwandt. Ein wenig laokhenisches Blut kann also schon erhebliche Vorteile mit sich bringen.

„Vor vielen Monaten hatte ich eine Vision von Lesaja.“

Gespannt sehe ich meinen Vater an. Weiß er etwa, wo meine Schwester ist und ob sie noch lebt?

„Ich sah meine ältere Tochter umgeben von Unmengen an Wasser, knieend vor einem Dreizack. Und Darihn, der die Waffe gemeinsam mit einem Mädchen aufhob und wegwarf.“

„Was hat das zu bedeuten?“ Verwirrt sehe ich von meinem Vater zu Darihn.

„Palela.“ Perkolls brummende Stimme klingt sicher.

Sollte Lesaja also tatsächlich im Land des Wassers festsitzen, bleibt nur noch die Frage offen, was der Prinz mit der Sache zu tun hat.

„Wer war das Mädchen?“

Ich zucke kurz zusammen, so überrascht bin ich, Darihns tiefe, melodische Stimme zu hören. Er war lange still.

Mein Vater schüttelt den Kopf. „Ich weiß es nicht. Sie war bloß ein Schatten im Wasser.“

Wer ist das Mädchen? Wäre ich es, hätte mein Vater mich doch sicher erkannt. Ich weiß nicht genau wieso, aber ich habe ein unsicheres Gefühl im Bauch.

„Zumindest haben wir jetzt einen Anhaltspunkt, wo wir nach Lesaja suchen können. Gibt es noch irgendwelche Hinweise?“ Jannik scheint wieder komplett im Abenteuerfieber zu sein, so konzentriert wirkt er, dabei hatten wir gerade erst so viel Aufregung. Ich muss grinsen. Er ist schon süß. Nicht nur wegen seiner Abenteuerlust. Er steht immer zu den Menschen, die er liebt, mich eingeschlossen, versucht zu helfen, egal welche Opfer er dafür bringen muss. Ich erinnere mich noch so gut an die Zeit damals, als Jan und meine Schwester sich entweder gestritten oder angeschwiegen haben. Sie konnten sich aus irgendeinem Grund nie ausstehen, obwohl sie sich beide eigentlich so ähnlich sind. Ich fand es immer schade, dass sie sich nicht vertragen haben, und trotzdem liegt meinem Freund jetzt so viel an ihrer Rettung. Das freut mich wirklich.

„Der Dreizack steht für Palons Haus“, erklärt Perkoll auf diese typische Art, die viele Großväter an sich haben, wenn sie alte Märchen zum Besten geben. Nur dass es in diesem Fall eben kein Märchen ist. „Palon ist der Herrscher über Palela, der König unter Wasser. Ihr solltet eure Suche also in seinem Palast beginnen.“

„Das ist schon etwas genauer.“ Jan scheint kurz nachzudenken. „Während wir weg sind, um Lesaja zurückzuholen, was passiert in dieser Zeit mit Mahrla? Ich meine, der Kampf um den Thron wird wohl kaum schon zu Ende sein. Karop ist frei und er hat noch Anhänger.“

Darüber habe ich auch schon kurz nachgedacht. Ich habe zwar in Geschichte nie besonders viel mitbekommen, aber trotzdem bin ich sicher, dass es zu einem Bürgerkrieg kommen wird. Und irgendjemand muss den Thron besetzen. Abwartend sehe ich Darihn an. Da er der rechtmäßige Thronerbe ist, muss die Entscheidung wohl bei ihm liegen. Ich habe den jungen Mann so selbstbewusst kennengelernt, dass mir erst in letzter Zeit klar geworden ist, dass auch er nervös sein kann – man sieht es ihm als Fremder bloß nicht direkt an. Ich beobachte wie sich der Junge langsam sein schwarzes Haar aus der Stirn streicht, dass in den letzten Wochen ein wenig länger geworden ist. Alle fünf Augenpaare sind auf ihn gerichtet und ich staune über diese äußerliche Gelassenheit, die Entspanntheit in seinen männlichen Gesichtszügen. Es ist nicht leicht, die Gefühle hinter dieser harten, schönen Fassade zum Vorschein zu bringen. Aber es lohnt sich. Sein Verhalten zeigt eigentlich nur, dass er das Weiche und Gute in sich verschließt, um sich vor Verletzungen zu schützen. Das ist mir auch in der letzten Zeit bewusst geworden. Muskeln und Mut können daran nichts ändern.

„Perkoll und Silas, ihr werdet den Thron übernehmen, bis wir zurück sind. Ihr habt die gleichen Aufgaben, die ihr immer ausgefüllt habt. Lora und Susanna dürfen natürlich helfen. Wir brauchen so viele treue Musaner am Palast wie möglich. Es stimmt, dass Karop und seine Anhänger zurückkommen werden, so leicht geben sie den Thron nicht auf. Ich werde mit Jannik und Tahira nach Palela aufbrechen. Während wir fort sind, muss ganz Belasado überwacht werden. Am besten zieht ihr noch heute zurück in den Tempel. Die Soldaten sollen dauerhaft auf der Hut sein – ihr müsst Schichten einteilen. Ich glaube nicht, dass Karop ohne hinterlistigen Plan angreifen wird.“

Es herrscht vollkommene Stille, während Darihn spricht. Manchmal frage ich mich, ob ihm die Autorität in seiner Stimme eigentlich bewusst ist. Er hört sich schon jetzt an wie ein König. Keiner, dem man gehorcht, weil man ihn fürchtet, sondern einer, dem man aus Respekt und Anerkennung heraus folgen will, der nicht nur stark, sondern auch freundlich ist. Bewundernd betrachte ich den schönen Laokheni und frage mich, warum ihm das nicht klar ist. Darihn denkt, er wäre kein guter König für das Volk, er sei schlechter als sein Vater. Aber das stimmt nicht. Er ist dazu bestimmt, den Frieden nach Mahrla zurückzubringen und alle würden ihm folgen. Er muss das bloß noch einsehen.

Am Nachmittag bin ich allein mit Jan und Darihn in Perkolls Haus. Darihns Onkel, Susanna und meine Eltern haben sich im Palast eingerichtet und werden wohl vorerst dort bleiben. Um ganz Belasado herum sind Soldaten postiert und niemand weiß, wann die Karoper zurückkehren werden, wo sie sich aufhalten und ob sie eine List aushecken. Ich hoffe bloß, dass sie uns nicht in die Quere kommen, wenn wir uns auf den Weg nach Palela machen. Die Grenze dorthin verläuft ein gutes Stück östlich von hier und wir wollen uns gleich morgen früh auf den Weg machen.

Nicht nur wegen dem Krieg, der in der Luft liegt, noch aus einem anderen Grund ist unter uns Dreien die Stimmung gedrückt. Nachdem wir gemeinsam ein paar Sachen gepackt und uns auf den Aufbruch vorbereitet haben, verschwindet Darihn schweigend in Perkolls Zimmer. Ich habe den Drang, ihm nachzulaufen, um endlich mit ihm allein zu reden, aber Jan sieht mich schräg von der Seite an, so als wolle er sagen, ich solle hier bleiben. Seufzend lasse ich mich im Wohnzimmer neben meinen Freund aufs Sofa sinken. Eine Zeit lang sieht er mich nur an und es herrscht eine peinliche Stille, bis ich mich schließlich räuspere. „Ist alles okay bei dir?“

Ich weiß, dass die Frage in unserer momentanen Situation blöd klingt, aber mir ist einfach nichts Besseres eingefallen. Statt zu antworten, zuckt Jannik nur die Schultern.

„Was ist das mit dir und Darihn?“, stellt er plötzlich ganz direkt die Frage, die ihn wohl schon die ganze Zeit beschäftigt und die ich umgehen wollte. „Seid ihr jetzt zusammen? Ich meine, nun da Karop nicht mehr das Sagen hat, zumindest vorerst, steht euch ja eigentlich nichts mehr im Weg.“

Mein Freund presst seine Lippen aufeinander, sein ganzes Gesicht wirkt angespannt. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

„Ich weiß es nicht“, sage ich ehrlich und erst jetzt, da ich es ausspreche, wird mir klar, wie sehr mich das eigentlich belastet. Darihn hat gesagt, dass er mich liebt. Ich habe nicht geantwortet. Wieso nicht? Ich hatte noch nie solche Gefühle für jemanden, wie ich sie für den Laokheni verspüre. Ich glaube, ich hatte vor, ihm zu sagen, dass ich ihn auch liebe, aber dass er mich heute nur angeschwiegen hat, hat mich verunsichert. Vielleicht hatte er nur „Ich liebe dich“ gesagt, weil wir sterben sollten. Vielleicht war es nicht ernst gemeint. Aber das kann nicht sein. Ich erinnere mich daran, wie Darihn mich dabei angesehen hat, wie seine goldenen Augen diesen feuchten Glanz bekommen haben.

„Doch“, verbessere ich mich selbst und weiß im selben Moment, dass ich Jannik verletzen werde. Aber ich will ehrlich sein, das bin ich ihm schuldig. „Ich habe mich in Darihn verliebt.“

Kapitel 3

„Ja, ich weiß.“ Jan nickt, bevor er den Kopf wieder schräg legt und mich abwartend ansieht. „Ich wollte es aus deinem Mund hören.“

„Und das ist okay für dich?“ Unsicher betrachte ich meinen besten Freund.

„Ja. Also es tut weh, aber es ist okay. Verliebtsein ist bloß eine Phase, die jeder irgendwann einmal durchläuft.“

„Was willst du damit sagen?“ Empört sehe ich Jannik an. Er tut gerade so, als wäre ich eins von diesen Mädchen, die bei jedem kleinen Kribbeln im Bauch direkt denken, es sei die große Liebe.

„Hey, ich wollte dich nicht beleidigen“, entschuldigt sich mein Freund, bevor er leise fortfährt: „Ich kann einfach nicht glauben, dass du gar keine Gefühle in diese Richtung für mich hast. Vielleicht brauchst du einfach ein wenig Zeit, bis du das erkennst.“

Da ich nicht weiß, was ich darauf antworten soll, starre ich ihn bloß kurz überrascht an. Gut, eventuell habe ich nicht nur ausschließlich freundschaftliche Gefühle für Jan, aber die für Darihn sind definitiv stärker. In dieser Richtung. Und darauf kommt es doch an, oder nicht?

Ich habe keine Lust, mir noch länger darüber den Kopf zu zerbrechen, weshalb ich noch kurz ein paar belanglose Themen anspreche, auf die Jannik jedoch nicht allzu viel erwidert, weshalb ich schließlich nach oben gehe. Als ich im oberen Stockwerk die Tür zu meinem oder besser gesagt Darihns Zimmer öffne, bin ich überrascht, den Laokheni auf dem Bett sitzen zu sehen. Was macht er hier?

„Ich habe auf dich gewartet.“ Unwillkürlich klopft mein Herz sofort ein paar Takte schneller. Ich räuspere mich, damit meine Stimme nicht zu hoch klingt beim Reden – es gelingt mir nur halb. „Ich dachte, du gehst mir aus dem Weg.“

„Nein, ich war nur in Gedanken.“ Kurz zögert Darihn, bevor er fortfährt. „Und ich wusste nicht, wie ich mich verhalten soll. Wegen dir und Jan. Ich dachte, du würdest dich vielleicht doch für ihn entscheiden.“

Erstaunt sehe ich den schönen Jungen an, wie er äußerlich so stark und gleichzeitig innerlich zweifelnd zwischen den weichen Kissen sitzt. Die Frage ist bloß, wie er herausgefunden hat, dass er mit seiner Vermutung nicht recht hat. „Hast du uns etwa belauscht?“

Obwohl ich mich eigentlich darüber ärgern müsste, muss ich bei dem Gedanken lächeln.

„Ich habe Katzenohren, Tahira, schon vergessen?“ Darihns bübisches Grinsen und sein unschuldiger Welpenblick lassen mich auflachen. Eigentlich ist es unfair, wie süß er sein kann. Erleichtert lasse ich mich neben ihm auf der Bettkante nieder.

„Und jetzt?“ Darihn sieht mich immer noch mit seinen großen, goldenen Augen an, die es mir schwer machen, meinen Blick abzuwenden. Ich kann nur die Schultern zucken, während ich mich in seinem Anblick verliere. Ich bemerke, dass ihm in den letzten Tagen ein paar Bartstoppeln gewachsen sind, die seine vollen Lippen betonen. Ich habe gehört, das soll beim Küssen kratzen, aber in diesem Moment kann ich es mir einfach nicht vorstellen. Und als Darihn sich dann noch näher zu mir beugt, vergesse ich die Bartstoppeln sowieso komplett. Ich spüre nur noch seine unendlich weichen Lippen auf meinen und frage mich, wie ich die ganze Zeit ohne dieses Gefühl leben konnte. Es ist zwar nicht unser erster Kuss, aber definitiv der Intensivste. Darihns Hände liegen an meiner Taille, während unsere Münder miteinander spielen und nicht mehr loszukommen scheinen. Erst nach einigen Minuten lösen wir uns wieder kurz voneinander und ich frage mich, ob die Hitze, die gerade meinen Körper durchströmt, noch im Normalbereich liegt. Als ich den Laokheni genauer betrachte, stelle ich fest, dass es ihm nicht viel anders zu ergehen scheint: Seine Wangen sind unter der gebräunten Haut leicht gerötet, seine gold-braunen Augen glitzern noch intensiver als gewöhnlich und seine Lippen sind zu einem schiefen Lächeln verzogen. Wie kann ein Mensch bloß so gut aussehen? Ich vergesse meine Frage, als der Junge sich wieder zu mir beugt, um mich erneut alle vernünftigen Gedanken vergessen zu lassen. Ich bekomme kaum mit, wie wir uns schließlich komplett ins Bett sinken lassen, während unsere Lippen nicht voneinander loskommen. Erst als Darihn seinen Kuss beendet, bemerke ich, dass ich halb auf ihm liege.

„Vielleicht sollte ich besser gehen?“ Er grinst mich zufrieden an, während ich nicht gerade den Anschein mache, jemals wieder von ihm loszukommen.

„Ja, vielleicht.“ Langsam lasse ich mich neben ihn auf die Matratze rutschen, auch wenn es einige Überwindung kostet. Vielleicht sollte er einfach bleiben. Ich versuche diesen Hundeblick aufzusetzen, mit dem er mich vorhin schwach gemacht hat. Ich sehe sein Lächeln im letzten Licht der untergehenden Sonne. „Na gut, Pala, ich bleibe hier, bis du eingeschlafen bist. Du musst morgen fit sein.“

„Was bedeutet ‚Pala‘?“

„Prinzessin.“

Zufrieden kuschle ich mich neben meinen Prinzen unter die Decke und fühle mich tatsächlich wie eine Prinzessin, als er mir einen Gute-Nacht-Kuss auf die Stirn gibt.

„Ich liebe dich auch.“ Es überrascht mich selbst, dass ich das sage, aber da ich gerade gar nicht darüber nachgedacht habe, muss es wohl die Wahrheit sein. Obwohl Darihn nicht antwortet, spüre ich sein Lächeln in meinem Rücken. Warum kann nicht immer alles so einfach und schön sein?

Nachdem ich eine Zeit lang geschlafen habe, fühlen sich die Decken um mich herum plötzlich sehr kalt und schwer an, als wären sie nass. Erschrocken öffne ich die Augen. Darihn ist verschwunden und um mich herum ist alles blau. Bin ich etwa unter Wasser? Ich schaue nach oben und kann hinter der schimmernd wogenden Oberfläche irgendwo ein Licht erkennen. Ja, ich bin definitiv unter Wasser, aber wieso kann ich dann atmen? Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, weil ich in der Ferne, verschwommen und bläulich, drei Gestalten ausmachen kann, die auf mich zukommen. Es sieht aus, als würden sie durch das Wasser laufen. Eine der drei Personen, ein Mädchen, bleibt in einiger Entfernung stehen und