Paperthin Touch - Tarah Keys - E-Book

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Tarah Keys

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Beschreibung

Buchstäblich Liebe: der unbekannte Autor und ich. Stell dir vor, du bist eine junge Lektorin und darfst das neue Buch des gefeierten Autors Bryn Spurling betreuen. So ergeht es Clio. Das ist zwar eine Riesenchance für sie, aber auch eine echte Herausforderung. Spurling gilt als extrem schwierig. Außerdem weiß niemand, wer hinter dem mutmaßlichen Pseudonym steckt. Doch was kompliziert angefangen hat, wird in den Kommentaren am Manuskriptrand professioneller, wird … flirty? Der zunehmend intensive Austausch bringt Clios Herz ganz schön aus dem Takt. Kann es sein, dass die Protagonistin immer mehr Ähnlichkeit mit ihr selbst bekommt? Schneller als gedacht, bekommt sie Gelegenheit, es herauszufinden – ihre Programmleitung ruft sie mit einer überraschenden Nachricht zu sich: Bryn will sie treffen!  Wer verbirgt sich hinter dem mysteriösen Starautor? - Aufregende Romance: Wer ist der unbekannte Love Interest? - Spannende Insights in die Welt der Verlage – gemacht für Buchliebhaber*innen wie dich. - Geniales Setting: England und das Literaturmilieu. - Zwei deiner beliebtesten New-Adult-Tropes: One Bed und From Enemies to Lovers. Als Book Lover wirst du diesen spicy Roman-im-Roman verschlingen, der dir neben prickelnden Momenten auch einen spannenden Blick hinter die Kulissen der Verlagswelt gewährt!  

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Über dieses Buch

ER IST STAR-AUTOR, DOCH NIEMAND DARF SEINE IDENTITÄT KENNEN. SIE IST SEINE LEKTORIN.

 

Wow! Ausgerechnet das neue Buch des gefeierten Autors Bryn Spurling soll Clio betreuen. Das ist zwar eine Riesenchance, aber auch eine echte Herausforderung. Spurling gilt als extrem schwierig.

Und tatsächlich macht er seinem Ruf als mürrischer Sturkopf alle Ehre: Als Clio ihm zurückmeldet, dass er dringend seine Lovestory im Text ausbauen muss, wehrt er sich vehement. Zunächst. Doch dann lässt er sich langsam auf ihre Vorschläge ein. Was kompliziert angefangen hat, wird in den Kommentaren am Manuskriptrand professioneller, wird … flirty?

Der zunehmend intensive Austausch bringt Clios Herz ganz schön aus dem Takt. Kann es sein, dass die Protagonistin immer mehr Ähnlichkeit mit ihr selbst bekommt? Schneller als gedacht, bekommt sie Gelegenheit, es herauszufinden – ihre Programmleitung ruft sie mit einer überraschenden Nachricht zu sich: Bryn will sie treffen!

 

 

 

 

Für Lena,

denn wie könnte dieses Buch

nicht meiner Lektorin gewidmet sein?

Du gehörst zu den Menschen,

die meinen Weg in der Branche am meisten geprägt haben.

Streichst du es mir als Wortwiederholung an,

wenn ich an dieser Stelle tausendmal Danke sage?

Playlist

Natasha Bedingfield – Unwritten (The 2019 Remix)

Felix Jaehn, POLINA – Book of Love

Astrid S – Paper Thin

Rasmus Hagen, iamsimon – No Tomorrow

Ameryh – Superpowers

Becoming Young – Trippin’

B-OK, Michela – Say It First

Ross Harris – SAY IT BACK

Gabby Barrett – Write It on My Heart

Amanda Frances – book smart

Taylor Swift – The Story Of Us (Taylor’s Version)

Alaina Castillo – parallel universe

Taylor Swift – Sweeter Than Fiction

Alex Clare – The Story

NIKI – Plot Twist

Francesca Battistelli – Write Your Story

Kapitel 1

Lesen garantiert Erfolgserlebnisse.

Niemand sollte seine Haare am frühen Morgen im Küchenspülbecken waschen müssen. Wahrscheinlich kann ich froh sein, dass ich noch einen Rest Shampoo in meinem Reisekulturbeutel gefunden habe und nicht unser Spüli nehmen musste. Wobei das vermutlich sogar ganz gut ginge? Ich meine, es ist definitiv entfettend und riecht nach Limone und Basilikum. Wäre so eine typische Recherchefrage, wie sie sich mir auf der Arbeit fast jeden Tag stellt.

Mit bedenklich gesunkenem Gute-Laune-Level versuche ich es zum vierten Mal innerhalb der letzten anderthalb Stunden an der Badezimmertür. Bislang wurde ich knallhart ignoriert.

Ich hebe die Faust und klopfe höflicher, als es angesichts der Situation eigentlich angebracht wäre.

»Hau ab!«, brüllt Keira auf der anderen Seite, und dann schmeißt sie, um ihrem Befehl noch mehr Nachdruck zu verleihen, irgendwas gegen die Tür. Womöglich Lukes elektrische Zahnbürste. Hauptsache, sie hat sie nicht mit meiner verwechselt, so wie mein Klopfen gerade mit seinem.

Man sollte nie – niemals! – mit einem Pärchen in eine WG ziehen, das derart viele Probleme hat wie diese beiden.

»Keira, ich bin’s«, sage ich und hoffe, über dieses aggressive Schnaub-Atmen, das ich bis hier draußen hören kann, versteht sie mich überhaupt. »Kannst du endlich rauskommen? Ich hab gleich ein superwichtiges Meeting. Mein Outfit dafür hängt da drin bei dir.«

Weil ich so dumm war zu denken, ich könnte nach dem Aufstehen in Ruhe unter die Dusche und es – was für eine absurde Idee – danach direkt anziehen.

Keira dreht den Schlüssel brutal hart im Schloss herum und reißt die Tür auf. Mit Leidensmiene hält sie mir am ausgestreckten Arm den Bügel mit meinem tannengrünen Plisseekleid hin. »Wo ist Luke?«, faucht sie.

Ich beschließe, das als originelle Entschuldigung zu interpretieren. Sonst schlage ich am Ende noch völlig entnervt bei meiner Chefin auf.

»Ich glaub, er raucht eine auf dem Balkon«, rate ich, in erster Linie, damit sie dorthin stürzt und die Badbesetzung endet.

»Mistkerl!«, presst sie hervor und knallt mir die Tür vor der Nase zu.

Schade, Plan gescheitert.

Ich atme durch. Tief. Immer schön positiv denken: Wenigstens habe ich jetzt mein Kleid.

In meinem Zimmer finde ich nach einigen geschickten Sprüngen über Bücherstapel den einen freien Quadratmeter, den ich brauche, um es anzuziehen. Der Föhn ist auch im Bad, daher rubble ich meine Haare einfach noch mal ausgiebig mit dem Handtuch und eile dann zu meinem Auto. Eigentlich nehme ich zum Verlag das Rad, aber dafür bin ich diesmal viel zu knapp dran. Minzkaugummi statt Zähneputzen, schiefer klammer Dutt mit einem vergessenen Gummiband aus dem Handschuhfach – die Abrundung meines perfekten Starts in den Tag.

Ich starte den Motor, denn welche Wahl habe ich? Bereit oder nicht, um halb neun erwartet Chelsea mich, und was immer sie mir zu sagen hat, sind Big News – so hat sie es selbst in der Termineinladung formuliert, die übers E-Mail-Programm kam.

Ich fahre auf die Straße und werfe mir selbst im Rückspiegel einen Blick zu. Sieht so vielleicht eine Lektorin aus, die sich auf eine neue Herausforderung freut? Himmel, Chelsea wird denken, dass ich total verkatert bin.

Um die acht Minuten dauert meine Fahrt quer durch Oxford, dann erwische ich den letzten Parkplatz am Verlagsgebäude, einem großen, hellen Ziegelhaus mit romantischen Efeuranken und zwei Dachgauben, das sich nicht groß von den Wohnhäusern der Nachbarschaft unterscheidet. Vielleicht sollte ich direkt hier einziehen.

Mein Versuch, den dunkelblonden Knuddel auf meinem Kopf in einen stylischen Messy High Bun zu verwandeln, misslingt. Egal, wird schon gehen.

Ich wühle mein Glücksparfum aus meiner Handtasche und gönne mir einen Spritzer. Der fruchtig-frische Duft regelt meinen Puls ein bisschen runter. Den ersten Flakon hat mir damals mein Vater geschenkt, und obwohl das ein ziemlich guter Grund wäre, es nicht mehr nachzukaufen, kann ich irgendwie nicht ohne. Es ist albern, aber wenn ich es in der Nase habe, fühle ich mich unerschütterlich.

Meine Füße tragen mich durch den kleinen Vorgarten und unter dem Schriftzug über dem Eingang hindurch. Ich bin schon seit fast einem Jahr bei Eastmore Publishing, aber durch diese Tür zu gehen, ist für mich immer noch magisch.

Die Stempeluhr quittiert meine Ankunft, schon bin ich in der Teeküche, und die Kaffeemaschine füllt meine Tasse bis zum Rand.

»Clio, hey.« Lorne schlurft an mir vorbei zum Kühlschrank und schenkt sich sein allmorgendliches Glas Orangensaft ein.

»Hi, Lieblingskollege. Sei ehrlich – wie sehe ich aus?«

Wie er selbst aussieht, kommentiere ich gar nicht erst. Lorne hat sich ein Paar Flügel epischen Ausmaßes auf den Rücken geschnallt, schwarzblau mit silbernem Glitzerrand, und in seinem braunen Haar steckt eine ebenfalls silberne Kunstblüte. Müsste ich raten, würde ich darauf tippen, dass unsere Followerschaft bald ein Reel zu Dark or Darker erwartet.

Er wendet sich mir zu und trinkt einen ersten Schluck. Dass er sich mit seiner Antwort Zeit lässt, bedeutet vermutlich nichts Gutes.

»Geht als Look von jemandem durch, der die Nacht durchgelesen hat«, fällt er schließlich sein Urteil.

»Ha! Perfekt.«

An meinem ersten Tag war er es, der mich durchs Haus geführt hat, und gerade grinst er genau dieses Grinsen, das bei mir damals einen kurzzeitigen kleinen Crush auf ihn ausgelöst hat – der sofort endete, als er mir erzählte, dass er zur Fraktion Eselsohren-sind-die-besten-Lesezeichen gehört. Absolut abturnend. Außerdem hält er sein Gesicht viel zu oft in die Handykamera, um ziemlich brillante Werbung für unsere Bücher zu machen – gut für den Verlag, aber wäre ich seine Freundin, würden mich die vielen Herzchenemojis und flirty Kommentare, die er dabei selbst absahnt, wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben. Und ich könnte als Printverfechterin womöglich trotz aller Vorzüge niemanden daten, der sich seine Brötchen daueronline verdient. Last but not least wäre da noch mein Verdacht, dass er auf meine beste Freundin steht. Aber Hauptargument, wie gesagt: Eselsohren.

»Ich hab gestern beim Jour fixe womöglich was Interessantes über dein Meeting gleich erfahren«, sagt Lorne im Gehen.

»Hallo?« Ich renne ihm hinterher. »Und damit rückst du jetzt erst raus? Los, ich will’s wissen!«

Er lacht bloß und flieht in sein Büro, wobei er fast mit den Flügeln in der Tür stecken bleibt. »Ich wünschte, ich könnte dein Gesicht sehen, wenn Chelsea es dir erzählt«, sagt er durch den Spalt, den er noch offen hält. »Aber ich hab mir seit Throne of Glass geschworen, dich nie wieder zu spoilern, weißt du noch?«

Ich überlege kurz, ihn weiter zu drängen, entscheide mich dann aber, mich überraschen zu lassen. Ich liebe Überraschungen – solange es gute sind, und davon gehe ich in diesem Fall aus. Das bestätigt mir auch Lornes Heimlichtuerei. Ginge es um was Schlimmes, würde er mich vorwarnen.

»Na gut. Wir sehen uns in der Pause.«

Ich steige ins Dachgeschoss hoch, dem Quartier von Plots&Pieces. Wenn man genau hinsieht, findet man in den sympathisch knarrenden Bodendielen immer noch Konfettireste von der dritten Geburtstagsparty unseres Imprints vor ein paar Wochen. Seit Beginn meiner Buchmarktobsession in meinen späten Teenagerjahren habe ich schon viele Verlagslabels kommen und gehen sehen – aber dafür, dass dieses ganz besondere Bestand hat, gebe ich jeden Tag einhundert Prozent, manchmal auch mehr.

Schnell stelle ich meine Tasche an meinem Platz ab und begebe mich dann wieder ein Stockwerk tiefer. Chelseas Bürotür ist nur angelehnt, und als ich den Kopf in den kleinen Raum stecke, bemerkt sie mich sofort und winkt mich herein.

»Guten Morgen, Clio, setzen Sie sich.«

Ich grüße zurück und bewundere die hübschen kleinen Sonnenblumen in der Vase auf der Fensterbank, neben der ihr Lesesessel steht. Chelsea hat immer frische Blumen im Büro – sie sagt, dass sie nichts anderes so inspiriere.

Mit Mitte zwanzig ist sie eine ungewöhnlich junge Chefin, die immer eine gewisse Distanz zu ihren Mitarbeitenden wahrt, aber eine unglaublich warmherzige Art hat. Beides spiegelt sich auch in ihrem Stil wider: streng-elegante Businesskleider zu auffälligen bunten Ketten und hennagefärbten Haaren.

Sie stützt die Ellbogen auf den Tisch, und alles an ihrer Haltung signalisiert, dass sie vorhat, eine große Sache anzugehen. »Ich möchte Sie gern persönlich von einem Projekt in Kenntnis setzen, das aus meiner Sicht Sie betreuen sollten.«

Obwohl ich nicht mal weiß, um was für ein Buch es geht, beginnen sofort meine Fingerspitzen zu kribbeln. Sie sehnen sich nach meiner Tastatur und dem Manuskriptdokument, in dem sie sich austoben dürfen.

Dass Chelsea einen Extratermin anberaumt hat, um mir ein Projekt zuzuteilen, ist ungewöhnlich. Ungewöhnlich genug für ein richtig, richtig vielversprechendes Buch.

»Bryn Spurling«, sagt sie.

Peinlicherweise zucke ich zusammen, als hätte sie ihren Kuli mit der Namensgravur auf mich geworfen, den sie soeben aus dem Stiftebecher gezogen hat.

»Was?«, hauche ich.

Sie hebt einen Mundwinkel. »Sie haben richtig gehört.«

Spurling hat mit seinem Debüt Last Summer’s Scars einen dieser One-in-a-Million-Bestseller gelandet, mit denen niemand rechnet und die sich dann umso mehr … rechnen. Und es wäre möglich, dass ich – trotz meiner eigentlichen Abneigung gegen Titel, die plötzlich alle Beachtung der Welt finden, während genauso gute sang- und klanglos floppen – besagtes Buch ziemlich gehypt habe.

»Aber … er ist kein Plots&Pieces-Autor.« Ich schüttle mich gedanklich selbst für diese überflüssige Feststellung. Denn alles deutet darauf hin, dass Chelsea einen aus ihm machen will.

»Er sollte es werden«, bestätigt sie da auch schon. »Das Buch passt perfekt ins Programm. Es ist anders als sein erstes. Eigenwilliger. Eher ein Entwicklungsroman als ein Psychothriller. Ich kenne nur das Exposé, aber das Manuskript liegt seit gestern vor, und dass er schreiben kann, wissen wir ja.«

Klar, es ist ein neuer Spurling – das Buch wird laufen. Als Autor hat er den Jackpot geknackt: Er muss sich im Moment keine Gedanken machen, ob sein nächstes Werk eine Zusage bekommt. Ein gigantisches Werbebudget, das ihm hohe Sichtbarkeit auf dem Markt garantiert, gibt es sogar noch dazu.

Von dem, was man im Verlag so über ihn hört, hat er das menschlich gesehen nicht unbedingt verdient. Ich gebe nicht viel auf Gerede über Leute, die ich nicht kenne, aber da ihm sein Verhalten bei uns den Spitznamen »King Bryn« eingebracht hat, muss er gegenüber seiner Lektorin schon sehr gebieterisch und abschätzig gewesen sein. Ich glaube, bisher hat ihn Erin aus dem Eastmore-Team betreut. Abgesehen von ein bisschen Small Talk auf der Weihnachtsfeier hatte ich noch nie näher mit ihr zu tun.

»Ich will nicht lügen, es könnte eine komplizierte Kiste werden«, kommt nun auch Chelsea auf das Thema zu sprechen. »Die Zusammenarbeit mit ihm verlief in der Vergangenheit wohl … nicht so harmonisch. Bisher war Erin Powell für ihn zuständig, und sie ist wohl sehr erleichtert, dass er nun zu uns wechselt.« Sie seufzt dieses Seufzen, das ich von mir selbst kenne; es sagt so viel aus wie: »Mit Kunstschaffenden hat man es nicht immer leicht – aber die meisten sind cool, und mein Job ist der beste.«

»Ich mag komplizierte Kisten«, behaupte ich.

Sie schmunzelt. »Deswegen meine Entscheidung. Sie sind gut darin, die Balance zwischen Feinfühligkeit und Durchsetzungsvermögen zu finden.«

Ich spüre, dass ich rot werde. Das ist eins der schönsten Komplimente, die mir je gemacht wurden!

»Danke. Ich übernehme das liebend gern.«

»Wunderbar! Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg. Melden Sie sich, wenn es Probleme geben sollte.«

Ihr Vertrauen in mich macht mich ein bisschen übermütig – um nicht zu sagen größenwahnsinnig, und das ist der Grund, warum ich mit einem lässigen Schulterzucken erwidere: »Es wird keine Probleme geben!«

Kapitel 2

Lesen ist eine Leidenschaft.

»Können wir jetzt endlich mal aufhören, so zu tun, als hätten wir nicht längst Feierabend?« Melly streicht sich das pechschwarze Haar hinters Ohr, nimmt einen Schluck von ihrem Coconut Kiss, klappt ihren Laptop zu und erwartet offenbar, dass ich ebenfalls Schluss mache.

Unser Platz auf der Außenterrasse am Ufer des Castle Mill Streams lädt in der Tat mehr zum Entspannen ein als zu einer Überstunde nach der anderen. Gesprächsgemurmel wabert durch die laue Abendluft, hier und da ist leises Gläserklirren zu hören; die Lampen an den Balken über uns werfen warmweißes Licht auf die rustikalen dunklen Holztische und bringen unsere Cocktails zum Funkeln.

»Erinnert mich an Unizeiten«, sage ich. »Du musstest mich so oft davon abhalten, die Abende mit Lernkram zu verbringen!« Wobei mir witzigerweise die Fachliteratur damals deutlich mehr wie Arbeit vorkam als die Werke, die ich heute zu lesen und aufzupolieren habe.

Melly lächelt. »Stimmt. Hätte mir damals jemand erzählt, dass wir beide mal zusammen bei Eastmore landen würden, hätte ich es für Spinnerei gehalten.«

Sie hat vor gut drei Monaten als Chelseas Assistentin angefangen, und an dem Tag, als sie mich angerufen hat, um es mir zu sagen, habe ich so laut gejubelt, dass meine Nachbarin sich vom Balkon über mir beschwert hat.

»Fehlt wirklich nur, dass wir doch noch zusammenziehen«, sage ich.

Zum Glück für sie und Pech für mich hat Melly eine Tante in Oxford, die ihr für ihre kleine, aber feine Einliegerwohnung praktisch nur ein Taschengeld abnimmt.

»Ich würde dich echt gern vor Keira und Luke retten, das weißt du!« Sie deutet auf meinen Laptop, der immer noch zwischen uns steht. »Und jetzt weg damit!«

»Nur noch einen Moment«, verspreche ich und markiere mir die Stelle im Prüfmanuskript, wo ich morgen weitermachen muss. Dank Spurling, der mir meinen ganzen Arbeitstag geraubt hat, habe ich voll verpeilt, dass ich, falls wir diesen Titel – das Debüt einer jungen Autorin aus Sheffield – einkaufen wollen, morgen unser Best Offer abgeben muss. Zuerst war ich begeistert, dann bin ich skeptisch geworden, ob die Konkurrenz sich nicht doch verschätzt hat. Etwa ab der Manuskriptmitte wird die Story deutlich schwächer, und die Frage ist jetzt, ob das Finale es noch rausreißen kann. Falls nicht, müsste noch zu viel Grundlegendes geändert werden, als dass es sich lohnen würde mitzubieten.

Ich fahre den Laptop runter, checke kurz mein Handy auf neue Nachrichten und halte inne.

Mum schreibt, dass mein Vater am Wochenende zu ihr kommt und auch mich gern sehen würde.

Ich tippe ein paar sehr emotional geladene Zeilen. Es tut gut, der Wut Ausdruck zu verleihen, und es hilft, mich abzureagieren. Es sind ungefilterte, gemeine Dinge, die ich ihr in meiner Antwort an den Kopf knalle – solche, die ich nie aussprechen und, wenn doch, später bereuen würde. Ich beende meine Tirade damit, dass ich diesen Mann nie wiedersehen will und sie das respektieren muss. Dann lösche ich den ganzen Entwurf, lasse ihre Nachricht unbeantwortet und lege das Handy wieder beiseite.

Melly fragt nicht nach. Wahrscheinlich habe ich einen speziellen Gesichtsausdruck, wenn es um Josh Hildyard geht – einen nicht gerade freundlichen. Nachdem er über ein Jahrzehnt nicht mehr Teil unseres Lebens war, kann ich nicht fassen, dass meine Mutter seit einer Weile wieder Kontakt zu ihm hat. Und jetzt kommt er auch noch an meinem Wochenende zu uns nach Hause? Ich habe mich auf die Zeit mit ihr gefreut, verdammt! Seit mein Bruder von seinem Selbstfindungstrip durch die halbe Welt zurück ist, lässt der sich praktisch von ihr durchfüttern, und da Caden gerade ein paar Tage unterwegs ist, wären es seit Langem mal wieder nur sie und ich gewesen.

»Hey«, sagt Melly. »Verrätst du mir jetzt endlich, worum es in Spurlings Buch geht? So, wie du es heute durchgesuchtet hast, muss es ja krass gut sein.«

Ich danke ihr mit einem Lächeln für den Themenwechsel. »Ja und nein.«

Zehn Seiten für einen allerersten Eindruck, das war mein Plan. Es musste sein, ich war so neugierig. Aber dann habe ich weiter und weiter und weiter gelesen. Nicht, weil der Roman schon perfekt wäre – er ist sogar weit davon entfernt. Trotzdem hat er mich gepackt. Es ist das, was ich am allermeisten schätze: ein ungeschliffener Diamant. Einer, der mich aufwühlt, weil er so viel Potenzial verschenkt. Und ich kann spüren, was getan werden muss, um das zu ändern.

Melly lehnt sich zurück. »Erzähl!«

»Hat Chelsea dir gar nichts gesagt?«

»Nope. Sie hat ja sogar ein Staatsgeheimnis draus gemacht, dass es das war, was sie mit dir zu besprechen hatte. Glaub mir, ich hab alles getan, um es für dich rauszufinden. Aber jetzt spann mich nicht noch länger auf die Folter!«

Am Tisch hinter ihr bricht die kleine Gruppe von Studierenden in Gelächter aus, und ich warte, bis sie wieder ruhiger werden. Einer der Jungs war vorhin, als er noch allein auf die anderen gewartet hat, so mutig, Melly nach einem Date zu fragen, und obwohl sie abgelehnt hat, sieht er auch jetzt gerade wieder zu ihr herüber. Ich weise sie lieber nicht darauf hin. Sie scheint sich deswegen schon die ganze Zeit ein wenig unwohl zu fühlen, denn ich sehe sie dauernd an ihrem oversized Shirt herumzupfen.

Irgendjemand spricht sie eigentlich immer an. Mit ihren feinen Gesichtszügen, den großen dunklen Augen, der Stupsnase, dem langen seidigen Haar und den vollen Lippen fällt sie einfach auf.

»Also«, beginne ich mit meiner Kurzzusammenfassung zum Buch, »der Arbeitstitel ist Sort of High Treason. Ein enger Freund des Protagonisten Noah hetzt hinter seinem Rücken strategisch sein ganzes Umfeld gegen ihn auf. Der kommt erst dahinter, als seine Freundin ihn vor die Tür setzt, weil er angeblich eine Affäre mit einer Nachbarin haben soll. Dann häufen sich die Vorwürfe gegen ihn. Er soll einen Unfall mit dem Firmenwagen vertuscht, sich vom Konto seiner Eltern bedient und heimlich ein Drogenproblem haben. Sogar die Klatschpresse wird auf ihn aufmerksam, weil behauptet wird, er habe ein Model ziemlich übergriffig angebaggert. Kurz darauf wird er verdächtigt, mit dem Verschwinden einer Jugendlichen zu tun zu haben, die er gar nicht kennt, um von deren Familie Lösegeld für seine Pillen zu erpressen. Nur wegen seines angeblichen Freundes steht er als Krimineller da, und selbst seine Angehörigen zweifeln an seiner Vertrauenswürdigkeit.«

Melly lässt den Strohhalm in ihrem Glas kreisen und saugt nachdenklich die Unterlippe ein. »Klingt ja beklemmend. Ist dieser Freund ein Psychopath?«

»Kann man so sagen. Noah hatte immer ein ziemlich gutes Leben, und Damon hat sich wohl über die Jahre – sie kennen sich seit der Schulzeit – in seinen Neid reingesteigert. Stück für Stück versucht er, die Menschen in Noahs nahem Umfeld für sich zu gewinnen. Schließlich kommt raus, dass er die verschwundene Siebzehnjährige im Keller eines verlassenen Hauses eingesperrt und Hinweise auf Noah gestreut hat, um endgültig seinen Platz einzunehmen, wenn er in den Knast kommt.«

Melly schüttelt lachend den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Story mag.«

»Du hast auch den ersten Spurling nicht gelesen, oder?«

»Erwischt.«

Melly steht am meisten auf Familiensagas, wie es sie bei Plots&Pieces gar nicht gibt. Wir haben ein breites Spektrum an Unterhaltungsliteratur im Angebot und wagen ab und zu sogar Projekte, die eher in eine Nische gehen und mit großer Wahrscheinlichkeit von Erfolgsprodukten mitgetragen, also querfinanziert werden müssen, aber einige Genres – wie Horror, Dark Romance und eben Generationenromane und Historisches – finden sich bei uns nicht. Da kommt Melly beim Eastmore-Romanprogramm schon eher auf ihre Kosten.

»Du solltest ihm ’ne Chance geben«, sage ich trotzdem.

Sie hebt die Augenbrauen. »Gibt’s ja nicht – du empfiehlst ihn, obwohl er nach allem, was wir wissen, ein erfolgsverwöhnter, unkooperativer Arrogantling ist?«

Ich habe beschlossen, seine bisherige Lektorin nicht auf die Gerüchte über ihn anzusprechen. Für mich darf er der Fairness halber genau wie alle anderen, mit denen ich erstmals arbeite, zunächst ein unbeschriebenes Blatt sein.

»Man muss ein Buch eben von der Person trennen können, die’s verfasst hat.« Auch wenn die Gefühls- und Erfahrungswelt dieser Person natürlich die Grundlage ist, auf der all ihre Werke entstehen.

»Das heißt, Noah ist ein sympathischer Charakter?«

»Äh … nein, nicht wirklich.« Ich verziehe das Gesicht.

»Aber das wird er sein, wenn du mit ihm fertig bist«, mutmaßt Melly.

»Und wie! Außerdem wird er sich unsterblich in Violet verlieben – das ist die jüngere Schwester von dem Psychofreund. Sie stellt sich auf Noahs Seite, und die zwei sind quasi ein Dreamteam, aber obwohl es offensichtlich ist, dass sie zusammenkommen müssen, gibt es bisher null Lovestory.«

Diesmal schießen Mellys Brauen gleich noch ein bisschen höher. »Kann es sein, dass du noch von Sweetest geschädigt bist? Gut, da war die Liebesgeschichte in jedem Buch nicht nur Option, sondern Voraussetzung – bei Plots&Pieces sieht das aber ja zum Glück anders aus, oder?«

»Hey, nichts gegen Sweetest!« Es hat schon fast Tradition, dass sie mich mit meinem Berufseinstieg als Lektoratsassistenz bei einem Romance-Imprint aufzieht. »Ihre Genrevorbehalte sind äußerst bedenklich, Ms Jacobson.«

»Mich nervt einfach häufig die Umsetzung.« Sie zuckt grinsend mit den Schultern. »Jedenfalls wette ich mit dir, dass dein lieber Bryn nicht begeistert sein wird, wenn du ihm vorschlägst, er soll seine Protas verkuppeln.«

»Er hat die Charakterkonstellation doch selbst so angelegt!«, verteidige ich mich.

»Und wahrscheinlich mag er es, wenn alles dezent und subtil bleibt«, schätzt sie.

»Kann schon sein. Aber dann hat er die Rechnung ohne mich gemacht.«

Melly angelt sich die Karte mit den Drinks. In ihrem Glas sind mittlerweile nur noch zwei Eiswürfel und ein paar Minzblätter. »Nimm’s mir nicht übel, aber ich glaube, der Typ wird es dir nicht leicht machen.«

»Warten wir’s ab!« Ich bin da ganz optimistisch. Bislang habe ich es noch immer geschafft, die Menschen, mit denen ich Bücher mache, für meine Ideen zu gewinnen. Und Noah und Violet – das ist sogar eine richtig gute Idee. Ein bisschen Feuer und ein paar Soulmate-Vibes werden ja wohl auch Bryn Spurling nicht umbringen …

Kapitel 3

Lesen fördert die Konfliktfähigkeit?!

Heute ist es nicht nur ein Vorwand, ich habe tatsächlich den Look einer Nächtedurchleserin. Gestern Abend lag ich so lange wach, dass ich dann doch noch zum Reader gegriffen und dieses Debüt zu Ende geprüft habe. Mit dem Knall am Ende hat die Autorin meine Zweifel zerschlagen, und das Erste, was ich tue, nachdem ich im Büro angekommen bin und meine Kollegin Shannon begrüßt habe, ist, unser Angebot abzugeben.

Bevor ich mich ans letzte Fünftel meines aktuellen Lektoratsprojekts setze, formuliere ich eine erste Nachricht an Spurling. Ich möchte schon mal klären, wie wir am besten vorgehen und ob er meine Kritik nachvollziehen kann.

Ich feile noch ein paarmal nach, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden bin.

An: Spurling, Bryn

Von: Hildyard, Clio

Betreff: Unsere Zusammenarbeit an »Sort of High Treason«

 

Guten Morgen Bryn,

 

sicher haben Sie durch Ihre Agentin schon erfahren, dass ich Ihr neues Buch als Lektorin betreuen werde, und ich freue mich sehr auf unseren Austausch! Ich habe es fast am Stück durchgelesen, und vieles hat mich bereits überzeugt. Das wird wieder ein großer Wurf! 😊

Allerdings sehe ich, insbesondere, was die Figurenentwicklung angeht, noch Überarbeitungsbedarf.

Noah als Protagonist scheint seinen Kernkonflikt – sein ewiges Misstrauen jedem gegenüber, nur weil eine ihm nahestehende Person ihn hintergangen hat – bis zum Ende nicht wirklich aufzuarbeiten. Außerdem knistert es zwischen den Zeilen eindeutig zwischen ihm und Violet, aber Sie haben diese Lovestory, die emotional und handlungstragend sein könnte, ohne sich zu sehr in den Vordergrund zu drängen, komplett außen vor gelassen. Wie wäre es, wenn Sie den beiden mehr gemeinsame Szenen und einen richtigen Romance-Strang gönnen würden? Das könnte dem Ganzen noch deutlich mehr Tiefe verleihen. Zugleich wäre es, nun, wo Sie bei Plots&Pieces veröffentlichen, eine neue Nuance, die bestimmt bei vielen gut ankäme.

 

Ich denke, dass wir zunächst an diesen Baustellen arbeiten sollten, bevor ich mich ans Detaillektorat begebe.

Was sagen Sie?

 

Herzliche Grüße

Clio

---

Clio Hildyard

Editorial Department

Eastmore Publishing

Der Vormittag läuft gut, ich komme schnell voran, weil ich fast nur sprachliche Kleinigkeiten anzumerken habe. Hin und wieder teilt Shannon ein paar Zitate aus dem Manuskript mit mir, an dem sie gerade sitzt und halb verzweifelt. Ich tue mein Bestes, ihr zu helfen.

Zusammen mit ihr und Lorne gehe ich mittags in das Take-away zwei Straßen weiter. Melly macht leider selten mit uns Pause, weil sie mittags ihrer Tante Gesellschaft leistet. Ich sollte demnächst mal wieder mitgehen.

Als ich gegen halb zwei ins Büro zurückkomme – ohne Shannon, die noch schnell einen Einkauf machen wollte –, habe ich eine Antwort von Bryn Spurling im Mailpostfach. Gerade mal zwei Sätze bin ich ihm wert, auf eine Anrede hat er gleich ganz verzichtet:

An: Hildyard, Clio

Von: Spurling, Bryn

Betreff: Re: Unsere Zusammenarbeit an »Sort of High Treason«

 

Wer hat dich denn eingestellt? 😯 Von jemandem, der nach einer Muse benannt ist, hätte ich mehr erwartet.

Bryn

Es dauert lange Sekunden, bis ich wieder atmen kann.

Das ist ja wohl hoffentlich ein Scherz.

Ich versuche, irgendeine Erklärung dafür zu finden, wer hinter dieser Mail stecken könnte: ein Hacker, ein Streiche spielendes Mitglied seiner Familie, ein Freund, der ihn insgeheim hasst, so wie der Typ in seinem Roman Noah?

Aber nein. Die Zusammenarbeit mit ihm verlief in der Vergangenheit wohl … nicht so harmonisch, echot es in meinem Kopf.

Diese Mail ist O-Ton Bryn Spurling. Ich spüre es.

Das war’s mit meinem Vorsatz, ihm unvoreingenommen zu begegnen. Meine Wut hat den Schockmoment überwunden und kocht hoch. Ich mache es ähnlich wie gestern bei meiner Mutter, klicke den Beantworten-Pfeil an und hacke meine Reaktion in das Mail-Feld. In richtige Tasten zu hämmern, fühlt sich sogar noch um einiges befriedigender an als mit dem Zeigefinger auf einen Touchscreen.

An: Spurling, Bryn

Von: Hildyard, Clio

Betreff: Re: Re: Unsere Zusammenarbeit an »Sort of High Treason«

 

Okay, Bryn, was war DAS denn jetzt? Du hältst dich wohl für den Geilsten, hm?

Sorry, aber nur weil du ein erfolgreiches Buch geschrieben hast, gehört dir nicht die Welt. Die Chance ist hoch, dass es ein One-Hit-Wonder bleibt. So gut isses nämlich auch wieder nicht. Ein mieser Charakter führt eben selten zu guter Kunst.

Wärst du höflich gewesen, hätte ich dir zumindest einen Pluspunkt dafür angerechnet, dass du meinen Namen zuordnen konntest. Aber so … Im Ernst, du kannst mich mal.

Und du wirst schreiben, was ich dir sage, Arschloch.

----

Clio Hildyard

Editorial Department

Eastmore Publishing

Ich höre Schritte hinter mir, fahre heftig zusammen, will die Mail schnell wegklicken, bevor die Person mitbekommt, wie ich hier gerade eskaliere, und … »Hilfe! Nein! Shit!!!«

Das kann nicht wahr sein. Das war’s. Ich bin abgerutscht und habe die Mail gesendet.

GESENDET.

»Normalerweise ruft mein Auftauchen mehr Begeisterung hervor«, sagt Lorne hinter mir, aber als ich zu ihm herumwirble und er mein Gesicht sieht, vergeht ihm das Grinsen.

»Man kann Mails doch zurückholen, oder?«, frage ich und wende mich panisch wieder dem Bildschirm zu, um sofort zu googeln. Da! Voraussetzungen für die Rückruf-Funktion … innerhalb derselben Organisation versendet …

»Ich bin tot. Möchtest du noch ein paar letzte Worte an mich loswerden? Ich habe mich gerade einem richtigen Biest von Autor ans Messer geliefert. Nur weil ich dachte, du bist vielleicht Chelsea …«

Lorne legt mir beide Hände auf die Schultern und beugt sich an mir vorbei, um auf den Laptop schauen zu können. »Lass mal sehen – bestimmt war es nicht so dramatisch.«

Ich lache trocken und öffne den Verlauf meines Gesprächs mit Bryn.

Lorne liest und wird sehr still.

»Er hat angefangen – jeder könnte dir nachfühlen, warum du die Nerven verloren hast«, sagt er schließlich. »Keiner ist 24/7 hochprofessionell.«

Aber er weiß genauso gut wie ich, dass ich hierfür bezahlen werde. Alles, was ich als Lektorin von mir gebe, äußere ich gewissermaßen stellvertretend für die ganze Verlagsgruppe. Und gerade habe ich einem der wichtigsten Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, quasi im Namen von Eastmore den Mittelfinger gezeigt.

»Ich … ich schicke noch eine Mail hinterher, in der ich es erkläre?« Schon formen sich die ersten Worte in meinem Kopf.

»Da gibt’s nicht viel zu erklären«, stoppt Lorne mich. »Sorry, dass ich dir die Hoffnung nehmen muss, aber … Die Wahrheit ist: Du bist seinetwegen ausgerastet. Wie willst du dich dafür entschuldigen?«

Aber ich muss mich entschuldigen. Schleunigst.

Ich versuche, die Fantasie heraufzubeschwören, mit der ich Geschichten retten kann, bevor sie mit vollem Tempo in ein Plot Hole krachen.

»Und wenn ich einfach ›Ha, war nur Spaß!‹ hinterherschicke?«

Ich schaue über die Schulter zu Lorne auf, dessen Miene nur noch mitleidiger wird.

»Okay, hast recht«, gebe ich zu, bevor er überhaupt etwas sagt. »Schlechter Plan.«

Immer mehr mögliche Ansätze fluten mein Hirn.

Hallo Bryn, es tut mir so leid, das war gerade der größte Fehltritt meiner Karriere …

Bryn, wir haben eine KI im Verlag, die manchmal Mails beantwortet, wenn viel los ist, aber die im Moment einen Schaden hat …

Bryn, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn das eben unter uns bleibt? Vergessen Sie bitte einfach alles, was ich geschrieben habe …

Also Bryn … Ich denke, wenn Sie in sich gehen, werden Sie verstehen, dass meine Reaktion zwar vollkommen unangebracht, aber begründet war …

Ein Laut der Verzweiflung verlässt meinen Mund. »Soll ich seine Agentin anrufen?«

Lorne schüttelt den Kopf. »Würd ich nicht machen. Sie vermittelt bei Konflikten für ihn, nicht für dich. Besonders nicht nach dieser Mail.«

Ich finde es toll, dass er so ein ehrlicher Mensch ist, aber gerade könnte er mir gern mal ein paar beruhigende Lügen erzählen.

Es hilft alles nichts. Ich atme tief durch und tippe die diplomatischste Nachricht, die ich in Anbetracht der Tatsachen hinbekomme:

An: Spurling, Bryn

Von: Hildyard, Clio

Betreff: Entschuldigung

 

Hallo Bryn,

 

das eben war ein Ausrutscher, für den ich mich aufrichtig entschuldigen möchte. Ich kann verstehen, wenn Sie nun nicht mehr bereit sind, mit mir zusammenzuarbeiten, und kläre gern, ob jemand anders das Lektorat übernehmen kann. Aber bitte lasten Sie meinen Fehler nicht dem Verlag an.

 

Clio

»Okay?«, frage ich Lorne.

»Na ja … Ausrutscher trifft es jedenfalls exakt. Streng genommen war er auch vorher schon nicht bereit, mit dir zusammenzuarbeiten, aber ja. Ich würde sagen, es ist das Beste, was du schreiben kannst.«

Also sende ich es so ab. Mein Magen ist dabei, üble Bauchschmerzen auf den Plan zu rufen. Hätte ich den Typen nicht einfach in Gedanken beschimpfen können?

Lorne drückt mir noch einmal die Schulter, und ich kann nur mit einem schwachen Nicken antworten, als er mich bittet, ihn sofort anzurufen, wenn Spurling sich meldet.

In der Tür stößt er fast mit Shannon zusammen. Netterweise verrät er ihr nicht brühwarm, was los ist. Wobei ich es, wie ich mich kenne, sowieso keine fünf Minuten werde für mich behalten können.

Ich starre auf meine untereinander gelisteten Mails, als könnte sich jede Sekunde eine neue mit dem Betreff »Alles gut :D« dazugesellen.

Wie konnte ich mich derart provozieren lassen? Wieso habe ich mich nicht einfach später bei Lorne oder Melly über Bryns Unverfrorenheit aufgeregt und nach einer kurzen Atempause erwachsen und sachlich geschrieben, dass ich mir eine respektvolle Zusammenarbeit wünsche und gern wissen würde, warum er mein Feedback so daneben fand?

Nein, stattdessen habe ich mein Schicksal einem ignoranten Monster in die Hände gelegt. Und ich sehe gerade nicht, wie die Sache ein Happy End bekommen soll.

Kapitel 4

Lesen bereitet einen auf reale Tiefpunkte vor.

»Möchtest du noch ein bisschen Eistee?«, fragt meine Mutter und greift nach der Glaskaraffe auf dem Gartentisch.

»Gern, danke.« Ich habe mich ziemlich heiser geredet, und Trinken könnte helfen.

Seit ich vor einer guten Stunde bei uns zu Hause in Newbury angekommen bin, weil Mum mir versichert hatte, dass Josh zu der Zeit nicht mehr da sein würde, will sie mir etwas sagen. Und da ich kein gutes Gefühl bei der Sache habe, versuche ich, sie davon abzuhalten, indem ich erzähle und erzähle und erzähle. Wahrscheinlich hat sie das längst durchschaut. Normalerweise lasse ich sie nicht wissen, was ich in der Woche so zu Mittag gegessen habe. Nach den ganzen auffällig banalen Themen habe ich gerade, als sie langsam ungeduldig wurde, die Spurling-Geschichte platzen lassen. Jetzt hat sie keine andere Wahl, als darauf einzugehen, und von da aus dürfte es schwer werden, inhaltlich eine Überleitung zu Josh zu finden.

Die Vorstellung, dass er heute war, wo ich jetzt bin, ist schwer zu ertragen. Womöglich hat er sogar auf genau diesem alten grünen Gartenstuhl mit dem vintage-geblümten Kissen gesessen und über Mums Hochbeete zu den Bäumen am Ende des Gartens geschaut, hinter denen eins der Felder beginnt, die unser Heimatstädtchen umgeben.

Er gehört einfach nicht mehr hierher.

Ob sie extra seinetwegen beim Friseur war, um sich die Haare nachfärben zu lassen, diesmal in fast genau dem Blondton, der vor dem Grau ihre Naturfarbe war? Dann der ungewohnte dunkelrote Lippenstift und die neue Bluse unter dem waldgrünen Longcardigan, der etwas von einem Zaubermantel hat und beim Gehen hinter ihr her weht – überhaupt ist ihr Outfit viel farbenfroher als sonst … Sind das Indizien, oder sehe ich Gespenster?

»Puh. Ich wünsche dir sehr, dass dieser Autor sich zusammenreißt und der Sache noch eine Chance gibt.« Sie streckt den Arm aus, um meine Schulter anzustupsen. »Das ist wahrscheinlich nicht der Rat, den du hören willst, aber vielleicht tippst du deine Aggressionen das nächste Mal in ein Word-Dokument? Erscheint mir sicherer.«

Ich ziehe eine Grimasse.

»Du weißt schon, dass du diese Impulsivität von deinem Vater hast, oder?«

Da hat sie es also doch geschafft mit dem Themenschwenk – und das auch noch echt elegant.

»Ich möchte nicht über ihn sprechen«, stelle ich klar, denn wahrscheinlich ist Ehrlichkeit das Einzige, womit ich sie jetzt noch stoppen kann. »Es tut mir leid, wenn dich das verletzt, aber ich … Ich will nicht mal an ihn denken.«

Sie schweigt bedrohlich lange. Was bedeutet, sie wird mir gar keine Wahl lassen. Für sie spielt er wieder eine Rolle, und dadurch kann ich es nicht handhaben wie bisher und seine Existenz einfach leugnen.

»Ohne ihn würdest du gar nicht hier sitzen, oder?«, fragt sie leise.

»Im Ernst?«, brause ich auf. »Du willst, dass ich ihm verzeihe – aus Dankbarkeit, weil er so nett war, mich zu zeugen?« So viel zu meiner Impulsivität. Ich werde immer viel zu schnell laut, und das ist nicht gut, wenn man eine Diskussion zu verlieren hat.

»Menschen ändern sich, Clio.«

Ja, genau das tun sie, und als Josh sich zum letzten Mal verändert hat, hatte das verheerende Folgen für sie, meinen Bruder und mich. Er hatte damals nicht mal eine Neue oder sonst eine Begründung, die man ihm zwar übel nehmen könnte, aber die zumindest erklären würde, warum er uns abserviert hat. Nein, er ist aus purem Egoismus gegangen. Weil er dachte, das Leben hätte ihm noch was Besseres zu bieten als diese Familie.

»Wenn er jetzt ein guter Mensch ist, freut mich das für ihn. Nur kann er das gern ohne mich sein. Ohne uns. Was will er denn überhaupt? Plötzlich wissen, wie es uns so ergangen ist? Wie meine restliche Schulzeit so war, Cadens erster Liebeskummer und deine Hüft-OP?«

Mum spielt nervös mit den Fransen der Decke, die schon auf diesem Tisch gelegen hat, als ich noch klein war, aber in ihren Augen sehe ich absolute Entschlossenheit. »Unter anderem. Es ist ja jetzt schon eine Weile her, dass er sich gemeldet hat, wir uns zum ersten Mal wiedergesehen haben und … Wenn wir jetzt auf die letzten Monate zurückblicken, dann müsste man die Treffen, die darauf gefolgt sind, eigentlich Dates nennen.«

Mein Lektorinnensinn löst den »Schwammig formuliert!«-Alarm aus, während mein Herz »Wir?« kreischt, daher dauert es ein paar Momente, bis ich das Schlüsselwort verstanden habe: Dates. Sie datet meinen Vater. Please wake me up!

»Ich hätte mir das hier anders gewünscht«, sagt meine Mutter.

Und ich erst.

»Es war nie meine Absicht, dir das so lange zu verheimlichen, aber immer, wenn ich versucht habe, dich einzubeziehen, hat es schon gereicht, ihn überhaupt nur zu erwähnen, damit du dichtmachst. Wir wollten dir eigentlich gestern gern gemeinsam sagen, dass wir … wieder zusammen sind.«

Ihren Worten folgt Leere. Sie höhlt meinen Brustkorb aus und frisst meine Gedanken.

Sort of High Treason, schießt es mir durch den Kopf, und mir entwischt ein schrilles Lachen. Obwohl ich eigentlich gar nichts trinken will, führt meine Hand wieder das Glas an meine Lippen, und ich ersticke fast am Eistee. Ich huste, bis mir die Augen tränen, und wünschte, sie würden es nur deswegen tun.

»Das ist für dich schwer zu verstehen, ich weiß.« Meine Mutter hebt hilflos die Hände und lässt sie dann in den Schoß fallen.

»Na, gut, dass es für dich so leicht ist. Sorry, ich muss kurz aufs Klo.« Denn sonst werde ich ausrasten, und ich will sie nicht anschreien.

Ich springe auf und renne mir fast an der Terrassentür den Kopf ein, weil ich gar nicht schnell genug ins Haus kommen kann.

Die vertrauten gerahmten Fotos auf der Kommode im Flur vor dem Bad geben mir den Rest. Überall sind nur Mum, Caden und ich zu sehen. Nie er. Er hat kein Recht zurückzukommen. Nicht nach all der Zeit.

Ich gehe ins Bad, setze mich auf den WC-Deckel und schließe die Augen.

Es ist so unfair. Wäre Josh nicht gewesen, hätten Mum und ich ein ganz normales Mutter-Tochter-Wochenende miteinander verbracht. Keine von uns wäre angespannt gewesen, es hätte kein Geheimnis zwischen uns gestanden, ich würde mich nicht aufführen wie eine verletzte Wildkatze. Egal, was ich gleich auch zu Mum sagen werde und sie zu mir, es wird wehtun. Und das ist alles seine Schuld.

Ich denke an die vielen Male, die ich Mum seinetwegen habe weinen sehen. Daran, wie sie sich Schritt für Schritt freigekämpft hat: weg von den Erinnerungen, hinein in das Leben ohne ihn. Wir alle drei haben das. Uns blieb gar nichts anderes übrig.

Als Jugendliche hatte ich Angst davor, dass Mum wieder jemanden kennenlernt, später habe ich es ihr von Herzen gewünscht. Zwei Männer haben es bis zu der Stufe geschafft, dass sie Caden und mir vorgestellt wurden, mit beiden ging es aber nach ein paar Monaten auseinander. Und jetzt also ein neuer Versuch mit Josh.

»Sie sind wieder ein Paar«, sage ich mir laut vor, aber die Erkenntnis will nicht so recht zu mir durchsickern. Vielleicht ein Schutzmechanismus.

Es fühlt sich an, als hätte mein Vater mir eine Kampfansage gemacht.

Ich erhebe mich langsam wie eine alte Frau und verlasse das Bad wieder, um auf die Terrasse zurückzukehren.

»Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich jetzt fahre«, sage ich.

Mum steht auf. »Könntest du nicht einfach mal mit ihm reden?«

»Nein.«

»Ich habe ihm deine Nummer gegeben.«

»Das hättest du nicht tun dürfen. Dann gib mir seine, damit ich sie blockieren kann.«

Sie schüttelt den Kopf. »Wenn du wütend auf ihn bist, dann sag ihm das – aber sprich mit ihm. Bitte.«

Wenn ich wütend auf ihn bin? Ja, bin ich, und sie war es auch lange, lange Zeit. Ist sie vielleicht auch so ein Mensch, dessen Gefühle sich fröhlich ändern, so wie angeblich seine?

Ich hole meine Handtasche vom Stuhl, krame den Autoschlüssel heraus und trete auf den Weg, der zur Gartenpforte führt. Dort bleibe ich noch einmal stehen und erwidere ihren Blick, auch wenn es unfassbar schwer ist. »Ich hab dich wirklich lieb, Mum, und ich respektiere deine Entscheidungen. Aber ich werde Josh niemals wieder als Mitglied meiner Familie betrachten, und wenn für dich etwas anderes gilt, dann weiß ich nicht, wie wir in dieser Sache zueinanderfinden sollen.«

Jetzt tropft die erste Träne von ihren Wimpern, und ich hasse meinen Vater gleich noch ein bisschen mehr. Er ist der Grund, warum wir zum ersten Mal seit einer Ewigkeit streiten, der Grund, warum ich sie gerade zum Weinen gebracht habe, der Grund für die Gefühle in mir, die nirgends hinkönnen.

»Bis bald«, presse ich hervor und eile zu meinem Wagen.

Es wäre schlimm für mich gewesen, wenn sie einfach ins Haus gegangen wäre. Doch die Art, wie sie mit einer Hand am Zaun Halt sucht, während sie die andere zu einem zaghaften, matten Winken hebt, als ich wegfahre, trifft mich noch viel mehr.

Kapitel 5

Lesen lehrt einen, Menschen zu durchschauen.

Shannon ist noch nicht da, als ich ins Büro komme. Kein Wunder, es ist noch nicht mal halb acht. Ich bin von allein so früh wach geworden, dass ich doch tatsächlich mal unser Bad benutzen konnte. Trotz der Tatsache, dass Montag ist, habe ich mich wie verrückt aufs Arbeiten gefreut – hallo, Ablenkung! –, bis mir Spurling wieder eingefallen ist. Neben meinem neuen, leider sehr realen Schreckgespenst Josh war er doch glatt ein bisschen in den Hintergrund gerückt.

Ich zögere das Öffnen meiner Mails ins Unendliche hinaus. Zuerst mal die Fenster zum Stoßlüften aufreißen. Die Pflanzen gießen, ich meine, hat das dieses Jahr überhaupt schon jemand gemacht? Da liegen Ausdrucke auf meinem Tisch rum, die schon längst nicht mehr aktuell sind. Ein paar wollen abgeheftet werden, andere wandern in den Papierkorb. Wahnsinn, so aufgeräumt war es hier ja noch nie! Ob Shannon sich freuen würde, wenn ich unsere Regale mal umsortiere? Wäre es nicht sinnvoller, wenn wir die Neuheiten genau auf Greifhöhe stehen hätten als einfach da, wo gerade Platz war?

Ich spähe zu meinem Bildschirm. Was sehe ich denn da? Ein Windows-Update? Neustart erforderlich? Wie man sich unter den richtigen Umständen über so was freuen kann!

Summend will ich mich an meine Umräumaktion machen, doch dann erinnert mein Gewissen mich daran, dass das Chaos in den Regalen ja nicht allein auf unsere Unordentlichkeit zurückzuführen ist, sondern vor allem darauf, wie viel wir zu tun haben. Nicht nur, dass ich noch für unsere Sitzung übermorgen titeln müsste, zwei Verträge durchgesehen werden wollen, bevor sie rausgehen, und ich geplant hatte, dem Team ebenfalls übermorgen eine Trilogie vorzustellen, zu der ich dafür Vergleichstitel und Alleinstellungsmerkmale herausarbeiten wollte – da ist ja auch noch der Zeitplan für Sort of High Treason. Je schneller sich klärt, ob Spurling mich fertigmachen will oder mit mir zusammenarbeiten wird, desto besser, Panik hin oder her.

Also wage ich mich, sobald alles upgedatet ist, in mein Postfach. Er hat sich tatsächlich dazu herabgelassen, mir zu antworten. Ich umklammere meine Bluetooth-Maus, als würden mir gleich wichtige Testergebnisse angezeigt und nicht bloß die Worte eines Autors, der eindeutig zu viel von sich selbst hält.

An: Hildyard, Clio

Von: Spurling, Bryn

Betreff: Lass uns verhandeln.

Clio,

wir wissen beide, dass ich es bin, der sich entschuldigen muss. Ich hatte einen extrem miesen Tag, aber das rechtfertigt nicht die Art, wie ich auf deine erste Nachricht reagiert habe. Also: Es tut mir leid, ehrlich.

Du hast dir große Mühe gegeben, und ich hätte das wertschätzen sollen, auch wenn ich nichts von deinen Vorschlägen halte. Sei bitte trotzdem weiterhin so offen, das bringt mir mehr als höfliches Herumdrucksen.

Deal: Dein Nervenzusammenbruch (oder was bitte war das?) bleibt unter uns. Aber dafür wirst du mich nicht drängen, auch nur eine Prise mehr Romantik in das Buch zu bringen. Ich hoffe, dein kleines, hollywoodverzuckertes Musenherz verkraftet das, aber in diesem Punkt werde ich nicht mit mir reden lassen.

Es wird keine Liebesgeschichte geben.

Bryn

Genau wie seine erste Mail muss ich auch diese erst mal verarbeiten. Irgendwie hat er es geschafft, nicht weniger unverschämt zu sein und trotzdem reumütig rüberzukommen.

»Morgen. Hat es einen Grund, dass du leicht verstörend vor dich hin lachst?« Shannon wirft ihre Tasche neben ihrem Schreibtisch auf den Boden und grinst mich an, wobei der Ring in ihrer Unterlippe besonders gut zur Geltung kommt.

»Bryn Spurling«, knurre ich.

Sie atmet theatralisch aus. »Also hat er nicht vor, deine Kündigung zu verlangen? Sonst wärst du wohl kaum so belustigt.«

»Ich bin nicht belustigt. Im Gegenteil. Er soll sofort einen Verlagsbesuch machen, damit ich ihn erwürgen kann.«

Sie zuckt mit den Schultern und lässt sich auf ihren Stuhl fallen. Mit einem bunt gestreiften Haargummi bindet sie ihr dunkles Haar zum kleinsten Pferdeschwanz der Welt zusammen. »Autoren mit geschlossenem Pseudonym machen für gewöhnlich nirgendwo Autorenbesuche.«

Wo sie recht hat, hat sie recht. Also bleibt mir nur, ihm zurückzuschreiben.

Diesmal denke ich erst nach. Trotz meines mehr als schlimmen Patzers scheint ihn meine Direktheit fast beeindruckt zu haben. Ich muss also nicht pseudoverständnisvoll und übervorsichtig mit ihm umgehen. Es ist ein bisschen riskant, aber ich beschließe, seinen wenig förmlichen Ton zu übernehmen. Verbuchen wir das unter meiner Balance aus Feinfühligkeit und Durchsetzungsvermögen, die Chelsea so gelobt hat.

An: Spurling, Bryn

Von: Hildyard, Clio

Betreff: Re: Lass uns verhandeln.

Bryn,

Entschuldigung angenommen. Den Nervenzusammenbruch hatte ich übrigens eher nach dem versehentlichen Senden. Der Text war nur zum Abreagieren, und du hättest ihn nie zu lesen bekommen sollen. Es tut mir wirklich leid.

Ich bin mir sicher, wenn du demnächst mal einen richtig guten Tag hast, wirst du meine Vorschläge genial finden. Denn ich habe mir nicht bloß »große Mühe gegeben«, sondern die Grundprobleme deines Manuskripts erfasst und dir genannt. Darin bin ich nämlich echt gut.

Ich denke, dass ich jetzt verstanden habe, wieso du so allergisch auf die Idee reagiert hast, Noah und Violet einander sehr viel näherzubringen: Du kannst es einfach nicht. Kein Grund, sich zu schämen – über die Liebe zu schreiben, ist eine Kunst für sich, und du beherrschst sie eben nicht. Unter meine Lieblingsautor*innen wirst du es so nicht schaffen, aber darüber kommt dein kleines, verbittertes Autorenherz sicher hinweg.

Clio

Dieses Mal lässt er mich nicht mal zwanzig Minuten warten. Die aufpoppende Benachrichtigung am Bildschirmrand reißt mich aus meiner kleinen Recherche zu aktuellen Thrillern, die an außergewöhnlichen Orten spielen.

An: Hildyard, Clio

Von: Spurling, Bryn

Betreff: Re: Re: Lass uns verhandeln.

Du hast das versehentlich gesendet??? Das enttäuscht mich ja fast ein bisschen! Verdient hatte ich’s so oder so.

Zu deinem Pech habe ich zurzeit selten richtig gute Tage. 😉

Und nur zu deiner Info: Würde ich über die Liebe schreiben wollen, würde es dich daran zweifeln lassen, ob du bisher überhaupt gewusst hast, was das wirklich ist.

Darauf gibt es nur eine passende Antwort:

An: Spurling, Bryn

Von: Hildyard, Clio

Betreff: Re: Re: Re: Lass uns verhandeln.

Beweise es.

Zufrieden lehne ich mich zurück. Er mag clever sein, aber ich bin cleverer! Jetzt muss ich die Dinge nur noch ihren Lauf nehmen lassen, das sagt mir mein Gefühl. Ich habe erfolgreich an seinem Stolz gekratzt, und die Option, die er so vehement verweigert hat, steht nun wieder im Raum.

Oh, es wird eine Liebesgeschichte geben!

* * *

Das mit der Ablenkung hat super geklappt. Bis jetzt. Denn kaum habe ich das Büro verlassen, um Melly abzuholen – ihre Tante kocht heute Lasagne für uns –, da sehe ich, dass ich eine Nachricht auf der Mailbox habe. Da scheint es jemand wirklich eilig zu haben, mir einzureden, es sei okay, wenn er sich das Herz zurückholt, das er einst gebrochen hat. Oder Plural: die Herzen. Meins war auch dabei. Mit dem Unterschied, dass es sich im Gegensatz zu Mums auf keinen Fall zurückholen lassen wird.

Trotzdem bringe ich es nicht über mich, die Nachricht ungehört zu löschen.

»Spurling?«, fragt Melly, als sie mein Gesicht sieht. Sie schnappt sich ihre türkisfarbene Handtasche und streift sich die Riemen über die Schulter.

»Nein. Oder jein. Der auch irgendwie, die Lage hat sich allerdings zum Glück fürs Erste entspannt. Aber … Könntest du mir einen Gefallen tun und dir eine Nachricht von meinem Vater anhören, um zu beurteilen, ob ich sie auch hören muss?«

»Klar«, sagt sie, als hätte ich etwas völlig Alltägliches gefragt, und bleibt kurz stehen, um vorsichtig ihr rechtes Knie zu beugen. Es macht ihr schon länger Probleme. Letzte Woche hat sie nun den Termin für die nötige Gelenkspiegelung bekommen, der sie mit wachsender Panik entgegensieht. Ihr graut überdurchschnittlich heftig vor medizinischen Eingriffen, und ich werde mitkommen, damit sie es nicht allein durchstehen muss.

Während wir das Verlagsgebäude verlassen, spüre ich dann doch die Besorgnis in ihren Seitenblicken.

»Denkst du, es wäre schlimm für dich, seine Stimme wieder zu hören?«, fragt sie, als wir den gewohnten Weg Richtung Fyfield Road einschlagen.

»Ich weiß es nicht«, gebe ich zu. »Nicht so schlimm, wie ihn zu sehen. Oder mit ihm sprechen zu müssen.«

Ich drücke ihr mein Handy in die Hand und krame dann neben meinen AirPods gleich auch meinen Schirm hervor, denn gerade fallen die ersten Tropfen aus den dunklen Wolken, die schon den ganzen Tag über der Stadt gehangen haben. Ich spanne ihn auf und halte ihn über uns beide, während Melly die Mailboxnachricht abruft.

Es frustriert mich, wie frustriert ich bin. Weil er es überhaupt wagt, mich zu kontaktieren. Und weil es mir nicht egal ist.

Jetzt fängt es an zu schütten, und Melly verzieht konzentriert das Gesicht, um über das Pladdern zu verstehen, was Josh sagt.

Wenige Sekunden später hat sie eine Zusammenfassung für mich: »Er will dich treffen.«

Vier Worte, deren Inhalt nach der Enthüllung meiner Mutter wenig überraschend kommt, aber die umso heftiger in meinem Inneren einschlagen.

Sofort liegt mir etwas auf der Zunge, aber ich halte es zurück. Mum hat unrecht. Ich bin nicht impulsiv. Nicht so wie er.

»Ich denke, ich werde ihm einfach kurz schreiben«, sage ich diplomatisch und tausche mit Melly Schirmgriff gegen Handy.

Ganz erwachsen speichere ich die Nummer ab, von der aus er angerufen hat, um ihm dann eine schöne Nachricht zu senden:

Nein danke.