Parasiten der Hölle - Hans-Jürgen Raben - E-Book

Parasiten der Hölle E-Book

Raben Hans-Jürgen

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Beschreibung

Eine wilde Busfahrt, die in einem entsetzlichen Unfall gipfelt; die Rettung einer jungen Frau, die sich zunächst an nichts erinnern kann; Halluzinationen und Albträume, die das reale Leben überdecken – all das widerfährt Lee und Sigrid, ohne dass sie einen Sinn darin erkennen können. Es dauert lange, bis sie dahinterkommen, wer aus dem Hintergrund die Fäden zieht.
Schaurige Romangestalten, Pantagruel und Gargantua, auf geheimnisvolle Weise zum Leben erweckt, betrachten die Erde als ihren Spielplatz.
Gibt es eine Möglichkeit, die nicht fassbaren, unheimlichen Wesen zu besiegen? Oder müssen die beiden Menschen ihr Leben opfern, wie schon viele andere vor ihnen?

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Ähnliche


 

 

 

 

Hans-Jürgen Raben

 

 

Parasiten der Hölle

 

 

 

Ein unheimlicher Roman

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Steve Mayer nach Motiven, 2022

Korrektorat: Kerstin Peschel

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

14. Kapitel 

15. Kapitel 

16. Kapitel 

17. Kapitel 

18. Kapitel 

19. Kapitel 

20. Kapitel 

21. Kapitel 

22. Kapitel 

Der Autor Hans-Jürgen Raben 

Weitere Werke des Autors 

 

Das Buch

 

 

Eine wilde Busfahrt, die in einem entsetzlichen Unfall gipfelt; die Rettung einer jungen Frau, die sich zunächst an nichts erinnern kann; Halluzinationen und Albträume, die das reale Leben überdecken – all das widerfährt Lee und Sigrid, ohne dass sie einen Sinn darin erkennen können. Es dauert lange, bis sie dahinterkommen, wer aus dem Hintergrund die Fäden zieht. Schaurige Romangestalten, Pantagruel und Gargantua, auf geheimnisvolle Weise zum Leben erweckt, betrachten die Erde als ihren Spielplatz. Gibt es eine Möglichkeit, die nicht fassbaren, unheimlichen Wesen zu besiegen? Oder müssen die beiden Menschen ihr Leben opfern, wie schon viele andere vor ihnen?

 

 

***

 

 

 

1. Kapitel

 

Wie in der »Brücke am Tay« begann auch hier alles mit einer Brücke. Genauer gesagt, mit einer Brücke, die zusammenstürzte. Sie durfte nicht weiterbestehen, weil ein paar Menschen all ihre teuflische Energie aufwandten und Schicksal spielten. Wie sie es fertigbrachten, aus kilometerweiter Entfernung ein gewaltiges Gebilde aus Stahl und Stein so zu manipulieren, dass es im entscheidenden Moment seinen Widerstand aufgab, kann ich – auch heute – nur ahnen.

Ich will mir nichts vormachen. Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass es mit einer Beschwörung zusammenhing – ein Umstand, den ich noch vor Kurzem leichtfertig abgetan hätte. Haare, Speichel, Blutstropfen und andere mit der Person oder Sache verhaftete Gegenstände galten im Mittelalter und noch lange danach als Dinge, durch deren Besitz man Macht über den Mitmenschen gewinnen konnte. Man behauptete, Menschen und Dinge beeinflussen zu können, wenn man nur richtige Gegenstände in der Hand hielt und die übrigen Zutaten wusste. Für den Teufel …

Das ist heute anders.

Blutstropfen, Haare, Speichel, ja, sogar der Schweißabdruck eines Fingers können die Identität eines Menschen verraten und Aufschluss über die Person und die Persönlichkeit geben. Die Voraussetzungen für die Manipulation sind damit schon wieder gegeben, und gleichzeitig, beinahe zwangsläufig, klären sich dadurch auf wunderbare Weise die Machtverhältnisse. Im Namen des Gesetzes …

Wie töricht anzunehmen, dass man in der heutigen Zeit, in der man alles säkularisiert und verweltlicht, diese Zusammenhänge vom Tisch wischen kann, indem man sie einfach auf den Kopf stellt. Die Geschichte hat uns doch genügend Beispiele dafür gegeben, dass der Besitz des Zepters noch lange keine Gewähr für die guten Absichten desjenigen ist, der es in der Hand hält.

 

 

 

2. Kapitel

 

 

Unter Sigrids Rock brannte der Schweiß. Sie rutschte unruhig auf dem billigen Plastikmaterial des Sitzüberzuges hin und her und ließ ihre Blicke nach links aus dem Fenster und über die triste, graue Einöde der Landschaft wandern. Aber Norddeutschland hatte im März nichts zu bieten. Es lag kein Schnee mehr, und in den Furchen der endlosen Äcker zeugte noch kein grüner Halm davon, dass der Frühling im Anmarsch war.

Grenzwiel. Nie gehört, dachte die junge Frau. 

Sigrid Friedrich war im siebenundzwanzigsten Lebensjahr und hatte drei Monate zuvor ihr Staatsexamen absolviert. Als frischgebackene Pädagogin sollte sie in Grenzwiel ihre erste Stellung antreten. Das Wort Dorfschullehrerin hatte Sigrid in den hintersten Winkel ihres Bewusstseins verdrängt. Ihre einstigen Kommilitoninnen fristeten ihr Dasein teilweise als Schreibkräfte – nein, dann schon lieber Dorfschullehrerin.

Sigrid seufzte und lehnte ihre Wange gegen die kühle Scheibe. Die mehrstündige Bahnfahrt hatte sie ja noch ganz gut ertragen können, aber die Distanz, die mit dem Bus zu bewältigen war, nahm und nahm kein Ende. Der Blick der jungen Frau wanderte zurück und verweilte unbewusst auf den Mitreisenden. Vor ihr saß jemand, der ihr auch unter anderen Umständen aufgefallen wäre.

Vor Sigrids Blicken türmte sich ein feister, mehrfach gefalteter Specknacken, auf dem zwischen grauen Stoppeln helle Schweißtropfen auf rosaroter Haut glitzerten. Gleichzeitig wurde sich Sigrid bewusst, dass auch sie schwitzte. Wie zur Bestätigung löste sich in ihrem Nacken ein Tropfen und rollte aufreizend langsam zwischen ihren Schulterblättern hinunter. Hier vereinigte er sich mit anderen, um anschließend als dünnes Rinnsal seinen Weg unter unerträglichem Kitzeln abwärts zu nehmen.

Die junge Frau lehnte sich zurück und scheuerte unauffällig ihren Rücken an der Lehne. Als Großstädterin aus Hannover war sie eine derart mittelalterliche Personenbeförderung nicht gewohnt. Wahrscheinlich heißt es gleich: Alles umsteigen in die Postkutsche, dachte Sigrid verbittert. Entschlossen stand sie auf und versuchte, eines der schmalen Schiebefenster zu öffnen. Sie rüttelte einmal, zweimal und schließlich mit aller Kraft. Zwecklos, bei ihren Bemühungen geriet sie nur noch mehr in Hitze. 

»Ist vielleicht jemand so freundlich und hilft mir?«

Der Specknacken vor ihr reagierte wie auf einen Startschuss. Erstaunlich rasch wühlte sich der dazugehörige Mann aus den Tiefen seines Sitzes und offenbarte ihr seine rosarote Frontpartie.

»Selbstverständlich, junge Dame. Einen Moment …« Der Dicke kam mit geradezu beängstigendem Tempo zu ihr herum.

Er streckte die Hand nach dem Fenster aus. Gleichzeitig schlug Sigrid eine Wolke entgegen, in der sich die Gerüche eines körperfreundlichen Deosprays, sowie Schweiß und Eau de Cologne in inniger Weise ergänzten. Der Mann rüttelte wie ein Berserker, aber Erfolg war auch ihm nicht beschieden. Sigrid wurde die Sache allmählich peinlich.

»Danke, es muss ja nicht unbedingt sein«, murmelte sie.

»Nein, Albert! Das meine ich auch!«, meldete sich eine schrille Stimme von der rückwärtigen Sitzbank. Sigrid drehte sich erstaunt um.

Hinter ihr war eine nahezu pechschwarze Gestalt emporgewachsen. Beim Anblick der Frau musste Sigrid unwillkürlich ein Grinsen unterdrücken. Schwarzgrauer Loden, Strümpfe von demselben Ton und andere, nicht minder triste Farben umschlotterten die Gestalt der Frau, mischten sich in friedvollem Miteinander mit Falten und kalt glitzernden Augen. Die jäh hervorgestoßenen Worte der Frau wurden durch einige heftige Bewegungen mit einem Gegenstand unterstrichen, der sich unschwer als Regenschirm ausmachen ließ.

»Nur das Fenster, Martha …« Der Mann hatte blitzschnell den Kopf zwischen die Schultern gezogen. Sigrid bemerkte, dass sich in seinem Nacken noch mehr Schweiß gebildet hatte. Sein Blick wieselte verstohlen zu der Frau, die noch immer wie ein Racheengel mit zornlodernden Augen dastand.

In diesem Moment schlug der Fahrer des Busses jäh das Lenkrad ein, und das Fahrzeug brach leicht aus. Es bedurfte einiger weiterer Lenkmanöver, um den Bus wieder abzufangen. Sigrid hielt sich mühsam an dem Metallbügel der vorderen Lehne fest. Der Frau erging es weniger gut.

Für kurze Zeit wurden ihre Arme zu rotierenden Windmühlenflügeln, und der Regenschirm durchschnitt wie ein Taktstock die Luft. Darauf erfolgte ein weicher Aufprall, dem das gellende Protestgeschrei von zwei Kindern folgte. Sekundenlang sah man nur ein Gewirr aus vier Kinderbeinen, zwischen denen grau bestrumpfte Damenbeine verzweifelt die Oberhand zu gewinnen versuchten.

Sigrid konnte nicht mehr an sich halten. Laut lachte sie los. Nach und nach fielen auch andere Fahrgäste in das Gelächter ein. Der Dicke hatte das Schiebefenster vergessen. Er war neben der jungen Frau auf den Sitz gesunken, und sein Körper zuckte in Lachkrämpfen. Verrückt, der Vergleich, dachte Sigrid, aber beim Anblick des wogenden Doppelkinns wurden unwillkürlich Kindheitserinnerungen an Pudding und rote Grütze in ihr wach. 

»Albert, komm bitte sofort her und kümmere dich um deine Frau und deine Kinder!« Die Frau hatte sich offensichtlich erholt und gefiel sich wieder in der Rolle des Racheengels.

»Ja, Martha, nur einen Moment …« Der Dicke huschte emsig zwischen den Sitzreihen hindurch und näherte sich seiner Frau, die, die Arme in die Seiten gestemmt, gekränkten Blickes auf ihn wartete.

Die beiden kleinen Kinder stellten unter dem behutsamen Zureden des Ehepaars ihr Geschrei ein. Das Gelächter und Gezischel der Reisenden wurde leiser, und die Menschen begannen wieder, sich um ihre eigenen Dinge zu kümmern. Auch Sigrid döste weiter vor sich hin. Langsam fielen ihr die Augen zu.

Der schrille Laut einer Zweiklanghupe riss sie jäh aus den Träumen. Sie fuhr hoch und erkannte beim Hinausschauen ein kleines grünes Auto, das in waghalsigen Manövern versuchte, das größere Fahrzeug zu überholen. Sigrid schüttelte den Kopf. Durch die reflektierende Frontscheibe des anderen Wagens versuchte sie, den Fahrer zu erkennen.

Sigrid erkannte dunkelblonde wirre Haare und einen grinsenden Mund, in dem eine Zigarette hing. Gleich darauf war der Wagen wieder hinter dem Heck des Busses verschwunden. Neugierig äugte Sigrid nach hinten und versuchte festzustellen, ob der Fahrer einen erneuten Versuch unternehmen würde. Wie auf ein Kommando tauchte der kleine Wagen an der linken Seite auf und beschleunigte mächtig. Er schafft es, dachte Sigrid. 

Das Trompeten des Zweiklanghorns gellte erneut in ihren Ohren. Unwillkürlich fuhr Sigrid mit der rechten Hand zur Stirn, um mit dem Zeigefinger an die bewusste Stelle zu tippen. Da erstarrte sie jäh in der Bewegung. Der junge Mann in dem kleinen grünen Wagen machte verzweifelte Handbewegungen und deutete mit flehenden Gesten auf ein imaginäres Ziel, das sich irgendwo auf der Route des Busses befinden musste.

Aus einem Impuls heraus verfolgte Sigrid die Richtung, in welche die ausgestreckte Hand des jungen Mannes deutete. Gegen den dämmrigen Horizont gewahrte sie die bizarren Umrisse einer Brücke. Die mächtigen schwarzen Stahlpfeiler und Streben hoben sich gegen den grauen Abendhimmel als abstraktes Spinnentier ab. Kopfschüttelnd blickte Sigrid zurück zu dem kleinen grünen Wagen. Aber das Fahrzeug war fort.

Die junge Frau verfolgte ungläubig die Route des Busses. Im Augenblick war die Brücke verschwunden. Der Bus quälte sich um einige steil ansteigende Biegungen, die immer wieder den Blick nach vorn versperrten. Jetzt kam das Fahrzeug um die Kurve, und eine längere Gerade tat sich vor ihnen auf. Sigrid riss entsetzt die Augen auf.

Die Brücke war fort!

Das schwerfällige Fahrzeug jagte jetzt offensichtlich ohne jegliche Kontrolle in Höchstgeschwindigkeit dahin. Kurven, Engpässe – der Fahrer schien sie einfach zu ignorieren. Immer wieder brach der schwere Bus aus und schleuderte in die nächste Biegung. Die Maschine raste. Allmählich breitete sich Hitze in dem Fahrgastraum aus. Die Menschen gerieten in Panik und begannen, sich wild gestikulierend zu verständigen.

Sigrid zog ihre Strickjacke aus und legte sie über die Lehne des Vordersitzes. Entschlossen stand sie auf und bahnte sich ihren Weg durch die gestikulierenden Menschen. Das plumpe Fahrzeug wurde immer noch schneller. Obendrein bewegten sie sich nun auf abschüssiger Fahrbahn, sodass Sigrid links und rechts die Chausseebäume wie Schemen auftauchen und verschwinden sah. Wieder erfolgte ein jähes Ausbrechen.

Die Ecke eines Haltebügels bohrte sich schmerzhaft in Sigrids Magen. Kurze Zeit verhielt sie schmerzgekrümmt in der Bewegung und bekämpfte die aufsteigende Atemlähmung. Auf unsicheren Beinen taumelte Sigrid weiter und erreichte die Plattform, auf der sich der Fahrersitz befand. Mit heftiger Bewegung riss sie den dicken Vorhang zur Seite und erstarrte. Der Fahrersitz war leer!

Sigrid starrte mit aufgerissenen Augen auf das Lenkrad, das sich ruckartig nach links und rechts bewegte, ohne dass eine Hand in der Nähe war, die die Bewegungen auslöste. Im selben Moment erkannte sie auch, dass das Gaspedal bis zum Anschlag runter getreten war, als würde ein unsichtbarer Fuß darauf lasten. Ein entsetzter Aufschrei kam über Sigrids Lippen, und dann handelte sie. Ihre Hände griffen in panischer Angst in die Speichen des Lenkrades. Zischend und knisternd entstand ein greller, bläulicher Lichtbogen.

Die junge Frau wurde wie von einer gewaltigen Faust zurückgeschleudert und landete zwischen zwei unbesetzten Sitzbänken. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rappelte sie sich auf und betastete die wunden Rippen. Entschlossen stürzte sich die junge Frau erneut auf das Lenkrad. Aber bevor sie die Sperre vor dem Fahrersitz passiert hatte, blieb sie entsetzt stehen. Auf dem Sitz materialisierte sich ein Wesen.

Zwischen unförmigen Fettwülsten glitzerten tückische Augen. Das Wesen war nackt, aber zwischen den wuchernden Fettmassen ließ sich kein Geschlecht ausmachen. Quallenartige Wurstfinger mit widerlich langen Nägeln umschlossen das Lenkrad, und ein massiges Säulenbein hatte sich auf dem Gaspedal niedergelassen. Jetzt lösten sich die Krallen von dem Lenkrad, und die Gestalt drehte sich ruckartig zu Sigrid herum, doch die Bedienungselemente des Fahrzeugs arbeiteten selbsttätig weiter. Dann wurde sie von den bösen Augen unwiderstehlich in Bann geschlagen und war wehrlos.

Im rückwärtigen Teil des Busses war eine Panik ausgebrochen. Die Menschen stöhnten unter der Hitze, die sich wie eine wabernde Glocke über den Fahrgastraum gelegt hatte. Mit verzweifelten Faustschlägen versuchten sie, die Fensterscheiben zu zertrümmern. Aber das Glas gab nicht nach. Im Gegenteil es wölbte sich und beulte sich aus, als ob es sich durch die Hitze ausdehnen müsse und in den Rahmen keinen Platz mehr hätte.

Vor dem breiten Panorama der beiden Frontscheiben tauchten wieder die Träger und Verstrebungen der gewaltigen Stahlkonstruktion auf. Die Brücke war wieder da!

Im selben Moment dröhnten die Stahlgürtelreifen des Busses auf dem Asphaltbelag der Überführung. Aber die Schrecken hatten erst ihren Anfang genommen.

Das gegenüberliegende Ufer des Flusses, der in einer steil abfallenden Schlucht sein Bett gefunden hatte, rückte beängstigend schnell näher. Sigrid atmete schwer und starrte auf die näher kommende Böschung. Sie schoss so rasend heran, dass die junge Frau glaubte, der Bus stünde still. Und der Bus stand still. Das Getriebe krachte, und die Räder ruckten.

Die beiden steilen Abstürze rückten so schnell aufeinander zu, dass sich die stählerne Brückenkonstruktion unter dem Druck wölbte. Der Bus ächzte und schnaufte. Offensichtlich hatte die Maschine Schwierigkeiten, die immer steiler werdende Steigung zu bewältigen. Unter Keuchen quälte sich das Fahrzeug hinauf bis zum Scheitelpunkt der Brücke. Und genau hier setzte die Maschine aus.

Gleichzeitig setzte ein Singen und Klingen ein, das immer schriller wurde, bis es schließlich an die Ultraschallgrenze ging. Die Menschen im hinteren Teil des Fahrzeugs pressten die Hände auf ihre Ohren und zuckten in verzweifelten Krämpfen. Ihre in höchster Qual hervorgestoßenen Schreie drangen nicht bis zu Sigrid vor. Sie sah nur das wirre Knäuel von Menschen, die sich in entsetzlichem Schmerz auf dem geriffelten Gummi des Bodens wälzten. Ihre Hände griffen in Gebärden voll panischer Angst nach den Fenstern.

Auch Sigrid hatte die Fäuste auf die Ohren gepresst und schüttelte immer wieder den Kopf, um den lähmenden Bann loszuwerden. Aber die Macht lenkte ihren Blick zurück nach draußen. Das war – nein, das musste das Ende sein. Die Brücke veränderte sich.

Die Frequenzen des hellen Klingens versetzten die Konstruktion in Vibrationen, die langsam in ein Zittern und dann in wildes Schaukeln ausbrachen. Die Verstrebungen ächzten, und rostige Nieten lösten sich, um wie Maschinengewehrfeuer die Luft zu zerfetzen. Die Frontscheiben zeigten plötzlich ein perlschnurartiges Muster. Wind pfiff herein, und links und rechts von Sigrid schlugen metallene Gegenstände ein wie Geschosse. Auch die Hitze nahm zu.

Ein weiterer Blick zeigte Sigrid, dass sich der Asphaltbelag der Fahrbahn teigig auflöste und unter den Reifen des Busses zäh auseinanderfloss. Dicke, klebrige Tropfen lösten sich und tropften hinab in die Schlucht. Auf dem Scheitelpunkt zerbrach die Brücke.

Das Brechen des Stahls, dem ein endloses Überdehnen vorausgegangen war, klang in der Stille wie eine zerreißende Gitarrensaite. Der Bus stürzte lautlos in die Tiefe.

In den Armen des Wesens war es wunderbar. Die fetten Arme des riesigen Mannes schlossen sich beinahe zärtlich um Sigrids Taille. Auf einmal hatte sie auch keine Angst mehr. Die Konturen des Wesens verschoben sich und wuchsen, bis Sigrid glaubte, ein gewaltiger Buddha hätte sich vor ihr manifestiert.

Es kümmerte sie nicht, dass rings um sie herum Chaos herrschte. Bäume, von Riesenhand entwurzelt, prasselten herab und bohrten sich in die Radkästen, um die Räder zu blockieren. Glitschige eklige Dinge legten sich wie ein Brei auf den Abhang und ließen den Bus, wie auf einer Eisscholle treibend, herumwirbeln. Dumpf verspürte das Mädchen ein saugendes Ziehen in den Beinen, dann gab sie sich wieder den lockenden Impulsen der bösen Augen hin.

Wie ein Fahrstuhlkorb raste der Bus die steile Böschung hinab, riss Büsche aus dem Erdreich und überschlug sich. Die Räder rissen sich los und polterten hinab bis zur Sohle. Der Bus verformte sich, die Fensterscheibe, eben noch heil, zerplatzte und löste sich in einem glitzernden Schneesturm aus durcheinander stiebenden Splittern. Etwas Scharfes bohrte sich in Sigrids rechte Wange und hinterließ eine breite, blutende Schramme. Es kümmerte sie nicht.

Aus ihrer erhabenen Perspektive sah sie, wie sich die Stahlstreben aus der abstürzenden Brücke lösten, wie Pfeile davon wirbelten und sich mit lautem Kreischen in die Flanken des todwunden Fahrzeugs bohrten. Wie zum Triumph erschien eine geisterhafte Szene über der Absturzstelle.

Nackte Leiber wiegten sich zu einer Melodie, die nur aus Disharmonien bestand. Sie fassten sich an den Händen und bewegten sich immer schneller im Kreis. Geisterhaftes Heulen erscholl, wurde lauter und lauter und endete in einem schrillen Schrei, der genauso jäh abbrach, wie er begonnen hatte. Gleichzeitig fauchte inmitten dieses geisterhaften Reigens eine blendende Stichflamme empor und beleuchtete einen altarähnlichen Tisch. Bevor die Schwärze von Sigrid Besitz ergreifen konnte, erkannte sie noch das primitive Holzmodell einer Brücke.

Es brannte lichterloh.

 

 

 

3. Kapitel

 

 

Eines Tages bot Amerika, insbesondere New York, keinen Reiz mehr für mich. Ich? Ich bin Leon Wexler, und dass das ein komischer Name ist, weiß ich selbst. Bis zu jenem Tag wohnte ich noch in der ehemaligen Wohnung meiner Eltern in Williamsburg – einem Stadtteil New Yorks, in dem die Menschen in langen, dunklen Gehröcken herumliefen und steife, schwarze Hüte trugen. Die Bärte hätte ich fast vergessen. Meine Eltern waren vor einigen Jahren nach Israel ausgewandert. Aber das wollte ich nicht. Eigentlich war mir überhaupt nicht klar, was ich wollte. Da entsann ich mich, dass mein Großvater immer von Hamburg gesprochen hatte, und ehe ich mich versah, startete auch schon die Maschine vom Kennedy Airport mit mir.

Hamburg-Fuhlsbüttel empfing den Besucher mit grauem Himmel, Nieselregen und Maschinenpistolen. Riesig, schwarz, mit gewaltigen Mündungen, die den Ankömmling mit unergründlichem Blick gleichermaßen argwöhnisch wie bedrohlich musterten. Es waren junge Hände, die sie hielten. Blass und zart lässig in der Armbeuge.

Ein Blick in die Gesichter sagte mir, dass ich dabei war, mir ein Vorurteil zu bilden. Mit ihrem jungen Leben schützten sie auch mich. Wahrscheinlich hatten sie genauso viel Angst wie diejenigen, zu deren Beschützern man sie auserwählt hatte. Als ich die Sperren passierte, hatte ich beinahe ein schlechtes Gewissen.

Es war faszinierend, wie schnell man in dieser Stadt heimisch werden kann. Sie hat alles von einer Großstadt und – auf der anderen Seite – auch wieder nicht. New York war vergessen. Ich fand einen Job und eine Wohnung in einem der Vororte. Zwar war da noch ein Erbteil meines Großvaters, dessen Zinsen mir eigentlich ein sicheres Auskommen gewährleisteten, aber das Herumsitzen lag mir nicht. Ich lernte einen jungen Mann kennen, der sich sein Brot als Redakteur verdiente. Dazu hatte ich keine Lust, aber er verschaffte mir regelmäßig Arbeit, indem er mich amerikanische Artikel übersetzen ließ. Mein Deutsch war perfekt – Großvaters Erbe. Und dass Jürgen David schamlos behauptete, er hätte die Texte übersetzt, störte mich auch nicht weiter. Hauptsache, er kümmerte sich regelmäßig um meine drei Kater. Kaminski, Kowalski und Koslowski vermissten mich ganz sicher.

Mit rascher Bewegung fuhr meine Hand in die Hemdtasche, um gleich darauf mit einer roten Zigarettenschachtel wieder hervorzukommen. Als ich sie auf den Ballen der Linken klopfte, war da nichts mehr, außer dem knisternden Geräusch zerknautschten Papiers. Leer.

Routinemäßig öffnete meine Hand das Handschuhfach, tastete blind darin umher. Moment mal – was war denn das? Kalt, offensichtlich metallen und mit rauem Griff. Ich schüttelte den Kopf. Dass Jürgen in Schusswaffen vernarrt war, hatte mich bisher eher belustigt. Aber nun lagen seine Symbole gebremster Manneskraft auch noch bei mir im Wagen.

Eine Waffe zu besitzen, das hieß, einen Präventivschlag vorzubereiten, bevor überhaupt eine konkrete Bedrohung bestand. So sah ich es jedenfalls.

Ich wühlte erneut in meinem Handschuhfach und atmete auf, als mir eine volle Zigarettenschachtel in die Finger geriet. Das war ein Laster, von dem ich nicht loskam. Ich stützte meine Unterarme in die Lenkradspeichen und steckte mir eine Zigarette zwischen die Lippen. Eine Schachtel mit Streichhölzern war schnell gefunden. Meine Augen tränten, als ich die Flamme vorsichtig meinem Gesicht näherte.

Die Flamme verzischte in meinen Fingern. Wütend schleuderte ich das Streichholz davon und riss die Zigarette aus dem Mund. Vor dem Kühler meiner Giulia war die klotzige Silhouette eines Reisebusses aufgetaucht.

Entschlossen trat ich das Gaspedal hinunter. Der Alfa beschleunigte. Grinsend stellte ich fest, dass die Beschleunigung meiner Giulia mich immer noch in die Polster presste. Ich schaltete zurück in den dritten Gang und erfreute mich an der Geschwindigkeit. Aber auch der Bus steigerte plötzlich das Tempo.

Na gut, wenn er es wollte, dann sollte er es bekommen. Mein Alfa schoss unter meinen Händen jäh links hinter dem anderen Fahrzeug hervor. Erneut trat ich das Gaspedal durch und tastete nervös nach meinen Zigaretten. Der Zigarettenanzünder lag in dem Aschenbecher, der wiederum unterhalb des Armaturenbretts angebracht war. Ein orangefarbener Ring leuchtete rings um den Knopf auf. Na also, er funktionierte, und ich drückte ihn hinunter.

Aber ich kam nicht dazu, meine Zigarette anzuzünden. Zum zweiten Mal schleuderte ich einen Glimmstängel in die Ecke. Der Bus vor mir brach auf einmal aus und geriet in jähe Schlingerbewegungen. Was mochte mit dem Busfahrer los sein? Ich schüttelte verständnislos den Kopf, denn die Straße lief geradeaus wie eine Schnur.

In letzter Sekunde gelang es mir, wieder hinter dem Bus einzuscheren. Der Ventilator beförderte stinkenden Dieselqualm in das Auto. Ich griff mit der rechten Hand zur Mittelkonsole und legte den mittleren der drei Schalter um. Das Sausen der Frischluftzufuhr verstummte, aber gleichzeitig wurde es kühl. Also stellte ich den Ventilator wieder an – und musste husten. Aber frieren wollte ich auch nicht.

Obwohl die Strecke jetzt immer kurvenreicher wurde, versuchte ich zum zweiten Mal mein Glück.

---ENDE DER LESEPROBE---