Passion. Leidenschaftlich verliebt - S. Quinn - E-Book

Passion. Leidenschaftlich verliebt E-Book

S. Quinn

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Beschreibung

Seraphina hat noch nie so sehr geliebt. Sie gehört Patrick. Durch ihn ist sie die Herrin von Mansfield Castle geworden und lebt ein Leben, das ihre kühnsten Träume übertrifft. Es scheint, dass nichts und niemand ihr Glück trüben kann. Doch dann erhält sie einen bösen Brief, und ihre Vergangenheit scheint sie wieder einzuholen. Seraphinas Leben ist bedroht. Um sie zu schützen, will Patrick sie an einen ganz besonderen Ort bringen. Einen Ort, der für Seraphina bisher absolut verboten war ... (Band 3)

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Seitenzahl: 352

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Buch

Seraphina Harper hat noch nie so sehr geliebt. Erst vor kurzem kam sie als Kindermädchen nach Mansfield Castle. Nie hätte sie zu träumen gewagt, dass der jung verwitwete Lord Patrick Mansfield sich für sie interessieren könnte. Doch schon bald begannen sie eine verbotene leidenschaftliche Beziehung gegen alle Regeln. Und jetzt will Patrick sie zur Herrin von Mansfield Castle machen. Doch Seraphina weiß nichts über Ballkleider, Zeremonien und königlichen Besuch. Um eine perfekte Braut zu sein, muss sie zunächst eine perfekte Lady werden. Während Seraphina eine völlig neue Welt betritt, reist ihre besorgte Familie an. Und Seraphina beginnt plötzlich alles infrage zu stellen. Ist sie wirklich die richtige Ehefrau für Lord Mansfield?

Informationen zu S. Quinn

sowie zu weiteren Titeln der Autorin

finden Sie am Ende des Buches.

S. QUINN

PASSION

Leidenschaftlich verliebt

Band 3

Roman

Aus dem Englischen

von Andrea Brandl

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel »Heart of Ice«.

Deutsche Erstveröffentlichung Oktober 2015

Copyright © der Originalausgabe 2015 by S. Quinn

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015 by

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur München

Umschlagfoto: © FinePic®, München

Redaktion: Kerstin von Dobschütz

BH · Herstellung: Str.

Satz: omnisatz GmbH, Berlin

ISBN: 978-3-641-15404-2V003

www.goldmann-verlag.de

1

So einen schönen Ring habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.

Der Saphir funkelt in leuchtendem Blau.

Ich drehe ihn im Licht hin und her, kann mich nicht daran sattsehen.

Mein Verlobungsring. Mein Verlobungsring.

Ich habe nie zu den Mädchen gehört, die pausenlos von ihrer Hochzeit träumen. Ich wusste noch nicht einmal, ob ich überhaupt heiraten wollte. Ich hatte sogar gedacht, dass ich mich vielleicht nie verlieben würde. Dass ich viel zu dickköpfig sei, um mit jemandem verheiratet zu sein.

Tja, aber hier bin ich. Ich stehe in Patricks langem Schatten und kichere wie ein Schulmädchen, während ich den Riesenbrillanten an meinem Finger wieder und wieder betrachte.

Patrick ergreift meine Hand und mustert lächelnd den Ring. »Er steht dir prima.« Sein Lächeln wird noch breiter. »Und das Hochzeitskleid erst …«

»Was du nicht sagst.«

»Und zwar perfekt.« Er blickt immer noch auf meine Finger, strahlt über das ganze Gesicht. »Und dann bist du meine Frau.« Er lacht auf. »Meine Frau.«

»Schön, dass es dich so glücklich macht.«

»Glücklich ist nicht das richtige Wort. Ich bin entzückt. Außer mir vor Freude. Endlich bin ich ein … ein … ein ganzer Mensch.«

»Wie? Du ringst nach Worten? Das ist ja mal etwas ganz Neues.«

»Nach einem Heiratsantrag kann so was schon mal passieren.«

»Machst du das etwa öfter?«, necke ich ihn.

»Nein.« Seine Miene wird ernst. »Nur ein einziges Mal. Und wenn du Nein gesagt hättest …«

»Hätte ich aber nicht.«

»Nur mal angenommen.« Stirnrunzelnd blickt er zu Boden.

»Ich dachte, du wüsstest alles über mich, Patrick. Und dann war dir ja wohl auch klar, dass ich Ja sagen würde.«

Ein Lächeln breitet sich auf Patricks Gesicht aus. »Na ja, ich hatte schon so eine Ahnung.«

»Aber du warst dir nicht sicher?«

»Ich war … ziemlich sicher. Aber so stur, wie du manchmal bist, hätte es mich nicht gewundert, wenn du …«

»Nein, Patrick. Diesmal habe ich auf mein Herz gehört.«

»Und es hat dir die richtige Antwort gegeben.«

Unwillkürlich fange ich wieder an zu kichern.

»Ich hoffe, das ist ein freudiges Lachen, Miss Harper.«

»Aber ja.«

»Und was findet die Dame so lustig?«

»Keine Ahnung. Es ist bloß alles so total verrückt.«

Patrick zieht eine Augenbraue hoch. »Dass wir heiraten, ist total verrückt?«

»Ein bisschen.«

»Aber dir ist klar, dass ich es ernst gemeint habe.«

Ich höre auf zu kichern und ziehe die Stirn in Falten. »Ja. Aber … Patrick, du kennst meine Familie doch gar nicht richtig. Vielleicht überlegst du es dir im letzten Moment noch anders, wenn …«

Patrick legt mir einen Finger auf die Lippen. »Ich überlege mir gar nichts anders. Du wirst meine Lady Mansfield sein. Und ich der beste Ehemann, den du dir vorstellen kannst.«

Urplötzlich wird mir heiß und kalt. »Lady Mansfield?«

»Ich bin ein Lord. Also wirst du Lady Mansfield sein.«

»Meinst du das ernst?« Mein Mund ist staubtrocken.

»Ja, natürlich.«

»O nein, nein, nein. Das funktioniert nie im Leben, Patrick. Ich bin nicht zur Schlossherrin geboren. Können wir das mit dem Titel nicht einfach sein lassen?«

»Das wird leider nicht gehen«, erwidert er. »Wenn du einen Lord heiratest, wirst du automatisch zur Lady.«

Ich schlucke. »O Mann.«

»Keine Sorge.« Patrick küsst mich auf die Stirn. »Du kriegst jede Menge Unterstützung. Auch beim Anziehen.«

»Beim Anziehen? Das habe ich schon vor langer Zeit gelernt.«

»Glaub mir. So einfach ist das nicht. Als Lady Mansfield wirst du jedes Jahr zu Dutzenden von Veranstaltungen eingeladen. Zum Robert-Burns-Gedenktag zum Beispiel, zum Royal Edinburgh Military Tattoo, nach Ascot … Und überall musst du dem Anlass entsprechend gekleidet sein. All die Dresscodes zu kennen ist eine Wissenschaft für sich.«

»Patrick, ich denke nicht, dass ich …«

»Genau.« Er schließt mich in die Arme. »Gar nicht erst nachdenken.«

Ich lache an seiner Brust. »Ich soll nicht nachdenken?«

»Jedenfalls nicht über deine Verpflichtungen als Adelige. Das können andere für dich übernehmen.«

Ich beiße mir auf die Unterlippe. »Wahrscheinlich werde ich dich trotzdem enttäuschen. Was, wenn ich mich einfach nicht zur Lady eigne?«

»Vielleicht hast du es noch nicht bemerkt, aber ich bin auch nicht gerade ein Lord aus dem Bilderbuch. Der ganze königliche Schnickschnack kann mir gestohlen bleiben, wenn ich dafür ein paar Stunden im Wald verbringen kann.«

»Königlich? Bist du etwa mit der Queen befreundet oder so?«

»Selbstverständlich«, gibt Patrick zurück. »Sie ist eine wunderbare Frau.«

Erst jetzt geht mir auf, dass er es ernst meint. »Du bist der Queen schon mal persönlich begegnet?«

»Mehrmals. Bei königlichen Hochzeiten bin ich ja immer eingeladen.«

»Und das heißt, dass ich in Zukunft auch hingehen muss?«, presse ich hervor.

»Natürlich.«

»Und du hast die Queen wirklich schon mal …« Mir ist leicht schwindlig, und ich hole tief Luft.

»Ich stelle sie dir bei Gelegenheit vor«, sagt Patrick. »Wart’s ab.«

»O nein, nein, nein.« Vor Nervosität fehlen mir die Worte. »Ich … ich wüsste doch gar nicht, was ich sagen sollte. Patrick, ich … Glaubst du wirklich, das ist eine gute Idee?«

»Die beste, die ich je hatte«, erwidert Patrick. »Komm, lass uns reingehen. Schließlich musst du deine Hochzeit vorbereiten.«

»Wie? Etwa jetzt gleich?«

»Seraphina.« Patrick senkt die Stimme. »Meine Großmutter wird nicht mehr lange leben.«

»Das darfst du nicht sagen. Sie könnte noch ewig …«

Patrick schüttelt den Kopf. »Nein. Sie hat nur noch ein paar Wochen. Ich weiß es, und sie weiß es auch.«

»Oh, Patrick.« Ich spüre, wie mir Tränen in die Augen steigen. »Ich liebe May. Ich kann die Vorstellung nicht ertragen.«

»Sie ist bereit. Aber zuerst will sie noch bei unserer Hochzeit dabei sein. Also sollten wir uns vielleicht lieber beeilen.«

»Du hast recht. Dann sollten wir wirklich so schnell wie möglich heiraten.«

»Wenn es möglich wäre, würde ich noch heute mit dir vor den Traualtar treten«, erklärt Patrick.

»Wirklich?«

»Ja. Ich möchte, dass du so bald wie möglich meine Frau wirst.«

Bei dem Wörtchen »Frau« überläuft mich ein sanfter Schauder.

»Und jetzt folgen Sie mir bitte, Miss Harper«, sagt Patrick. »Wie gesagt, du musst dich um die Hochzeitsvorbereitungen kümmern.«

»Ich? Du meintest wohl eher wir.«

»Auf die Gefahr hin, dass du einen deiner Wutanfälle kriegst, aber ich fand schon immer, dass Hochzeiten eigentlich eher Frauensache sind. Was verstehe ich schon von Brautjungfern und Blumenschmuck?«

»Wahrscheinlich genauso viel wie ich«, gebe ich zurück. »Vielleicht lernen wir beide etwas dabei.«

»Abgemacht.« Patrick ergreift meine Hand. »Hm. Und jetzt könnten wir schon mal für die Hochzeitsnacht üben.«

»Oh.« Ich verpasse ihm einen Klaps auf den Arm.

Er lacht.

Wir schlendern über den Rasen zum Schloss zurück.

»Ich muss erst mal ein paar Anrufe erledigen«, sagt Patrick. Mit den Leuten reden, die sich um unsere offiziellen Verpflichtungen kümmern. Eine standesgemäße Hochzeit will schließlich gut geplant sein.«

»Und damit willst du jetzt schon anfangen?«

»Wir Mansfields leben seit Generationen in Schottland. Unsere Hochzeiten sind Riesenereignisse hier, deshalb gibt es einiges dabei zu beachten.«

»Was meinst du damit?«

»Dass wir nicht auf dem Standesamt heiraten. Die Leute erwarten eine unvergessliche Feier – eine denkwürdige Hochzeit, wie sie einer neuen Lady Mansfield gebührt. Und wir werden sie nicht enttäuschen.«

Du lieber Gott. Meine Knie werden weich. Was habe ich mir da bloß eingebrockt?

2

Patrick.« Ich hole tief Luft. »Dir ist aber klar, wen du heiratest, oder?«

Er lächelt mich an. »Nichts könnte mir klarer sein.«

Ich werfe einen Blick auf meinen wunderschönen Verlobungsring. »Das ist alles völlig neu für mich. Eine denkwürdige Hochzeit – allein bei der Formulierung kriege ich schon Angst. Na ja, wenn ich ehrlich bin, wäre es mir lieber, wir könnten auf dem Standesamt heiraten. Einfach in Jeans und T-Shirt oder so.«

Patrick lacht. »In Jeans und T-Shirt? Nette Vorstellung, aber damit würdest du in der St. Mary’s Kathedrale wohl ziemlich fehl am Platz wirken.«

»Kathedrale?«

»Die größte Kathedrale von Edinburgh, um genau zu sein. Dort heiraten wir Mansfields seit ehedem.«

»Warum können wir nicht einfach im Pub über den Besen springen?« Klar, das soll bloß ein Witz sein, aber irgendwie meine ich es auch ernst. Ich würde lieber ganz schlicht und zwanglos heiraten.

»Die Mansfields sind eine mächtige Familie«, sagt Patrick. »Und wer Macht hat, der trägt auch Verantwortung. Wer Macht besitzt, ist zum Geben verpflichtet. Und dazu gehört eben auch eine Hochzeit, von der die Leute noch ihren Enkeln erzählen werden.« Er legt mir den Arm um die Schultern. »Aber du musst dir nicht die geringsten Sorgen machen, okay? Ich habe für alles Profis, die so etwas mit links erledigen. Hugo war auch schon für das Styling der königlichen Familie zuständig. Er weiß genau, was er tut.«

»Hugo? Wer ist das denn?«

»Unser Experte für offizielle Feierlichkeiten. Er wird dich auch bei der Wahl deines Hochzeitskleids beraten.«

O Gott. Wenn das so weitergeht, werde ich gleich ohnmächtig.

»Komm.« Patrick ergreift meine Hand. »Das ganze Schloss brennt garantiert schon darauf, die freudige Nachricht zu erfahren. Du wirst die schönste Braut Schottlands. Und nach der Hochzeit werden wir das glücklichste Paar sein, das die Welt je gesehen hat. Einverstanden?«

Die Wärme seiner Hand beruhigt mich ein wenig. Aber nur ein ganz klein wenig.

»Okay.« Ich schlucke. »Aber dann lass mich nicht mehr los. Von jetzt an bis zu unserer Hochzeit.«

Doch Patrick lässt mich wieder los. Als wir das Schloss betreten, erklärt er mir, dass er kurz bei Rab im Büro vorbeischauen muss, und verschwindet.

Ich mache mich auf die Suche nach Bertie. Und finde ihn im großen Saal, wo er mit einem Becher warmer Milch auf der Bank sitzt.

»Hey, Bertie«, sage ich, während ich neben ihm Platz nehme.

Bertie gibt keinen Ton von sich.

Ein kalter Schauder läuft mir über den Rücken. Weil ich ihn so noch nie erlebt habe. Als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, war Bertie voll aufgestauter Aggression. Aber das war wenigstens etwas. Nun wirkt er, als wäre er … einfach nur leer.

Sein Blick ist so trüb und glasig, als hätte ihm jemand seine Seele geraubt.

Mit jeder Faser meines Körpers sehne ich mich danach, ihn in die Arme zu schließen. Aber ich tue es nicht. Stattdessen starre ich zusammen mit ihm die gegenüberliegende Wand an.

Vicky bringt mir einen großen Becher mit heißer Schokolade und Schlagsahne, und wir lächeln uns traurig an.

Als Bertie seine Milch ausgetrunken hat, fängt er an, rhythmisch mit den Füßen gegen den Tisch zu schlagen.

Unter normalen Umständen würde ich so etwas unterbinden.

Aber heute nicht. Bertie hat so viel Schreckliches durchgemacht. So unendlich viel Schreckliches. Genau wie Anise.

O Gott, was für ein Schlamassel.

Und im Augenblick habe ich nicht die geringste Ahnung, wie ich ihm helfen soll. Also werde ich erst einmal einfach für ihn da sein. Und darauf hoffen, dass mir irgendwann eine zündende Idee kommt.

3

Den Rest des Tages verbringe ich damit, Bertie im Auge zu behalten; ich folge ihm in sein Zimmer und später in den Garten hinunter.

Als er zwischendurch in den nahe gelegenen Wald geht, schöpfe ich doch ein wenig Hoffnung. Aber er scheint die Schönheit der Bäume und der Berge gar nicht zu bemerken – es ist, als würde er geradewegs durch alles hindurchsehen.

Schließlich wird es dunkel, und Bertie macht sich auf in den großen Saal.

Er marschiert zu Vicky, die gerade Teig ausrollt, und sagt: »Eine Milch, bitte.«

Mein Herz macht einen kleinen Satz. Er redet also doch noch.

»Bertie«, sage ich. »Magst du Lakritze dazu?«

Er würdigt mich keines Blickes, sondern schüttelt nur den Kopf.

Okay. Er spricht also wieder, bloß nicht mit mir.

Ich sehe zu, wie er langsam seine Milch schlürft.

Als er fertig ist, bringe ich ihn auf sein Zimmer. Er geht ins Bad, zieht seinen Schlafanzug an und kriecht unter die Decke.

»Willst du wirklich schon ins Bett?«, frage ich. »Es ist doch noch gar nicht so spät. Du kannst gern noch aufbleiben, wenn du magst.«

Er wendet sich ab und knipst die Nachttischlampe aus.

»Hast du vielleicht Lust auf eine Geschichte?«, frage ich. »Wie wär’s mit Just William?«

Bertie starrt wortlos an die Zimmerdecke.

Ich nehme Just William zur Hand und beginne zu lesen.

Ich lese ihm das ganze Buch vor.

Bertie schweigt die ganze Zeit. Er bewegt sich nicht mal. Er liegt einfach nur da und starrt an die Decke.

Schließlich schlage ich das Buch zu und sage gute Nacht.

Bertie antwortet nicht.

Seine Augen sind kälter denn je.

Ich habe Kopfschmerzen, als ich Berties Zimmer verlasse.

Du liebe Güte. Wie mich das alles belastet.

Bitte, bitte, lieber Gott. Mach, dass ich ihn nicht verliere.

Während ich den Korridor entlanggehe, kommt mir plötzlich May in den Sinn. Heute Morgen hat sie gesagt, sie würde sich nicht wohlfühlen. Vielleicht sollte ich lieber nach ihr sehen.

Ich eile die Treppe zum Turmzimmer hinauf und klopfe an ihre Tür.

»Sera, meine Liebe«, antwortet May. »Komm herein.«

Lächelnd öffne ich die Tür. »Woher hast du gewusst, dass ich es bin?«

»Ach, ich sperre einfach die Ohren auf.« May rückt das Kissen in ihrem Rücken zurecht. »Du wärst erstaunt, was man so alles mitbekommt, wenn man nur ein bisschen aufmerksam ist.«

»Macht Patrick das auch so?«, frage ich. »Er scheint ja auch immer alles zu wissen.«

»Nun ja.« Ein leises Lächeln umspielt Mays Lippen. »Patrick ist ein Instinktmensch. Er hört auf sein Herz. Und wenn man das tut, liegt man meistens richtig.« Ihr Lächeln wird breiter, als sie den funkelnden Ring an meinem Finger sieht. »Ich bin froh, dass du Ja gesagt hast. Du wirst eine wunderschöne Braut sein.«

Ich betrachte den Ring. »Ich liebe Patrick. Ich hätte gar keine andere Antwort geben können.«

»Aber?«

Ich lache und setze mich auf die Bettkante. »Du kannst wirklich Gedanken lesen, nicht wahr? Wie ähnlich ihr euch seid, Patrick und du.« Ich stoße einen leisen Seufzer aus. »Na ja, ich habe nicht bedacht, was es bedeutet, Lady Mansfield zu sein. Schlimm genug, dass ich plötzlich mitten in einer Welt bin, die ich nicht verstehe. Aber jetzt soll ich auch noch eine offizielle Rolle darin spielen. Ehrlich, ich weiß nicht, ob ich all dem gewachsen bin. Und dazu diese Riesenhochzeit – was, wenn ich nicht die Braut bin, die sich die Leute erwarten?«

»Nebensächlichkeiten.« May winkt müde ab. »Die keine Rolle spielen, wenn man sich wirklich liebt.«

»Für mich schon. Ich will Patrick heiraten, nicht die gesamte schottische Nation. O Gott – so hatte ich das nicht gemeint. Na ja, ich habe einfach Angst, am Ende nichts als eine Riesenenttäuschung zu sein. Die Leute wollen eine Lady sehen. Und ich bin bloß irgendein Mädchen in selbst genähten Klamotten, das dauernd flucht und keine Ahnung hat, in welcher Reihenfolge man Messer und Gabeln benutzt.«

»Du bist eine Lady«, erwidert May. »Und zwar durch und durch. Außerdem bist du ein guter Mensch. Das habe ich gleich gesehen. Und in Sachen Garderobe und Stil … keine Sorge, das lässt sich alles lernen.«

»Lernen?«

»Patrick wird dich sicher nicht den Wölfen zum Fraß vorwerfen. Glaub mir, die Hochzeitsvorbereitungen sind ein Klacks – Patrick hat reichlich Leute an seiner Seite, die dir dabei helfen werden.«

»Wahrscheinlich brauche ich eine ganze Armee.«

May lacht. »Unfug. Du brauchst nur einen. Hugo Paul. Und ich gehe jede Wette ein, dass Patrick ihn noch heute Abend anrufen wird. Wenn er es nicht längst getan hat.«

»Stimmt, er hat einen Hugo erwähnt. Der mir bei der Suche des Brautkleids helfen soll.«

»Ja, genau. Er ist ein hervorragender Stylist. Königliche Hochzeiten, Benefiz-Bälle … für die Ehrengäste ist er so gut wie immer zuständig. Wir sind schon seit Ewigkeiten mit ihm befreundet. Und vertrauen ihm blind.« Sie legt ihre Hand auf die meine; wie dünnes Pergament fühlt sie sich an. »Er hat mir bei den Vorbereitungen für meine Rubinhochzeit geholfen. Was für ein Fest! Sogar Prinzessin Geraldine war da.«

Ich nicke mit einem leicht flauen Gefühl im Magen.

»Ach was.« May drückt meine Hand. »Kein Grund, nervös zu sein. Du bist zur Lady geboren, ganz im Ernst.«

»Aber genau darum geht es doch. Ich war noch nie eine Lady.«

»Und ob«, beharrt May. »Du wirst schon sehen. Alles wird gut.«

»Was, wenn ich etwas Falsches sage und Patrick vor irgendjemandem in Verlegenheit bringe? Oder die falschen Sachen anziehe?«

»Und genau dafür ist Hugo da«, erwidert May. »Er wird dich für jeden Anlass perfekt ausstaffieren.«

»Ich bin einfach nur so nervös. Patrick meinte, die Hochzeit würde in einer großen Kathedrale stattfinden …«

»Ja, natürlich«, sagt May. »In St. Mary’s. Etwas anderes kommt gar nicht infrage. Alle Mansfields heiraten dort. Das erwarten die Leute von uns, und wir sollten sie nicht enttäuschen.«

»Aber genau deshalb mache ich mir ja Sorgen.«

»Du liebst Patrick. Und das ist die beste Voraussetzung, um vor den Traualtar zu treten. Zu meiner Zeit war das alles andere als eine Selbstverständlichkeit.«

»Wirklich?«

»Aber ja. Als mein Mann und ich heirateten, war ich ihm zuvor nur ein paarmal begegnet. Er wirkte ziemlich steif auf mich. Sehr akkurat und ernst. Er trug immer einen makellosen braunen Anzug und einen dazu passenden Hut. Und wenn er uns alberne Hühner schwatzen sah, hat er bloß den Kopf geschüttelt.«

Ich lächle. »Und wieso hast du ihn dann geheiratet?«

»Unsere Eltern haben die Ehe arrangiert«, antwortet May. »Das war damals gang und gäbe. Außerdem waren wir lange nicht so romantisch wie ihr Mädchen heute. Wenn ein Mann einen guten Namen hatte und man einigermaßen mit ihm auskommen konnte, reichte das schon. Zugegeben, ich hatte keine Ahnung, ob Duncan und ich es miteinander aushalten würden. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich sogar ein bisschen Angst vor ihm. Aber er hatte auch einen weichen Kern. Ich konnte ihn jederzeit um den kleinen Finger wickeln. Und er liebte mich über alles. Und ich habe ihn ebenfalls geliebt, wenn auch nicht sofort. Das hat gedauert.«

»Dann musst du vor deiner Hochzeit aber auch ziemlich nervös gewesen sein«, sage ich.

»Ich war halb verrückt vor Angst.« May lacht. »Ich habe so gezittert, dass sie die Knöpfe meines Hochzeitskleids kaum zumachen konnten. Und hinterher hat Duncan sie um ein Haar nicht aufgekriegt, weil er so aufgeregt war. Für ihn war es ebenfalls das erste Mal. Wir waren ja beide gerade mal achtzehn.« Versonnen blickt sie aus dem Fenster. »Die Leute sagen immer, man müsste noch mal achtzehn sein. Ich verzichte gern darauf. Ich bin froh, dass mein Leben hinter mir liegt. Nur eines möchte ich noch erleben. Die Hochzeit meines Lieblingsenkels. Dann bin ich bereit zu gehen.«

Ich schüttle den Kopf. »Bitte sag das nicht. Du hast vielleicht noch viele Jahre vor dir.«

»Nein«, erwidert May mit fester Stimme. »Das habe ich nicht. Und ich mag auch nicht mehr. Mein Leben liegt hinter mir.« Sie klatscht in die Hände. »Eine Hochzeit. Eine Hochzeit. Endlich kommt mal wieder ein bisschen Leben in die Bude!«

»Hm.«

»Du kannst unbesorgt sein, meine Liebe«, fährt May fort. »Als ich damals geheiratet habe, sind die Deutschen mit ihren Bombern über unser Land geflogen. Solange du dir bloß Sorgen um die richtigen Kleider und deine Manieren machen musst, ist das alles ein Kinderspiel.«

Ich muss lachen. »Ja, du hast recht. Aber ich muss auch an Bertie denken. Er braucht mich, und bei all dem, was jetzt auf mich zukommt …«

»Alles halb so wild«, wiegelt May ab. »Du kriegst von allen Seiten Unterstützung. Und was Bertie angeht … Nun ja, vielleicht wäre es am besten, wenn wir professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Damit er über all diese schrecklichen Erlebnisse hinwegkommt.«

»Nein.« Nachdrücklich schüttle ich den Kopf. »Glaub mir, damit würden wir ihn nur überfordern. Er braucht jetzt vor allem Patrick und mich. Menschen, denen er vertrauen kann. Wir können ihm helfen. Jedenfalls besser als irgendein Fremder mit einem Abschluss in Kinderpsychologie. Wir kennen ihn. Wir lieben ihn. Mit unserer Hilfe kommt er schon wieder auf die Beine.« Ich gebe einen tiefen Seufzer von mir. »Ich fürchte bloß, dass es lange dauern wird.«

4

Ich finde Patrick im Salon im Westflügel. Mit dem Rücken zu mir steht er vor dem Kamin, die Hände in die Hüften gestemmt.

Unwillkürlich denke ich daran, wie ich damals hier angekommen bin. Er wusste, dass ich es war, noch bevor er sich umdrehte, und bei der Erinnerung daran muss ich lächeln.

»Seraphina?«

Mein Lächeln wird breiter. Der Zauber wirkt immer noch.

»Woher du jetzt wieder wusstest, dass ich es bin, brauche ich wohl nicht zu fragen.« Ich schließe die Tür hinter mir.

Der Anflug eines Lächelns umspielt seine Lippen. »Haben Sie sich wieder mal verlaufen, Miss Harper?«

»Nein, Mr Mansfield. Inzwischen kenne ich mich hier ja aus. Ich weiß genau, wo ich bin.«

»Setzen Sie sich doch.«

»Hierher, Mr Mansfield?«, frage ich unschuldig, während ich auf dem reich bestickten Sofa Platz nehme.

»Sehr schön. Vielleicht sollten Sie doch wieder für mich tätig werden. Mittlerweile scheinen Sie ja alles im Griff zu haben.«

»Na ja, nicht immer«, murmle ich, während ich ihm tief in die Augen blicke.

»Schauen wir doch mal, welche Fortschritte Sie gemacht haben«, sagt Patrick.

Er beugt sich zu mir herunter und streicht mit fester Hand über meinen Oberschenkel.

»Ja, Sir«, hauche ich.

»Da würde ich aber gern noch ein bisschen mehr sehen.« Er packt meinen Knöchel und zieht mir den Cowboystiefel aus.

»War das noch nicht genug?« Ich sinke in die Sofakissen zurück.

»Keineswegs.« Er zieht mir den anderen Stiefel aus und legt meinen linken Fuß an seine Schulter, sodass mein Hinterteil in der Luft hängt.

»Und jetzt?«, frage ich.

»Jetzt wollen wir mal sehen, ob Sie auch besonderen Aufgaben gewachsen sind.« Patrick öffnet meine Jeans und zieht sie mir zusammen mit dem Slip herunter.

Das Kaminfeuer wärmt meinen nackten Po.

»Was für besondere Aufgaben?«

»Ich stelle hier die Fragen, Miss Harper.« Patrick drückt meine Knie gegen meine Schultern. »Und ab jetzt wird gehorcht, verstanden? Halt den Mund und mach die Beine breit.«

»Und das gehört neuerdings zu meinen Pflichten, Mr Mansfield?«

»Definitiv.« Seine kräftigen Finger graben sich in meine Hinterbacken.

Ich stöhne leise auf. »Ich bin mir da nicht so sicher.«

»Halt die Klappe, oder ich kürze dir das Gehalt.« Patrick spreizt meine Schenkel.

»Ich wusste gar nicht, dass ich noch auf deiner Gehaltsliste stehe.«

»Kommt drauf an, wie du dich jetzt anstellst.«

Lachend lasse ich mich zurücksinken. Dann aber stöhne ich unwillkürlich laut auf, als Patrick in mich eindringt.

Er hält mich an den Schultern fest.

Wir sehen einander in die Augen, während er sich rhythmisch bewegt.

Seine Hände streichen über meine Schenkel, nähern sich meinen Hüften.

Sein Rhythmus wird schneller, so schnell, dass er mich mit jedem Stoß in die Polster drückt.

Ein spitzer Schrei dringt aus meiner Kehle, während ich mich an ihn klammere, kaum atmen kann vor Lust.

Seine Hände gleiten unter meinen Pulli, über meine Rippen. Ich keuche, als er meine Brüste knetet; seine Daumen kreisen um meine Warzen, elektrisieren mich am ganzen Körper.

»Du wirst eine wunderschöne Braut sein«, flüstert er mir rau ins Ohr. »O Gott, so wunderschön.« Wieder knetet er meine Brüste, ehe seine Hände zärtlich meinen Rücken liebkosen.

Sanft hält er mich, während er sich in mir bewegt. Ich werfe den Kopf in den Nacken und genieße stöhnend seine Männlichkeit.

»Ich komme«, stoße ich hervor. »O Gott, Patrick, ich komme.«

Patrick zieht mich auf seinen Schoß.

Er ist immer noch in mir, und als ich auf ihn sinke, spüre ich ihn so tief wie nie zuvor.

»Oh!« Ich kann nicht mehr an mich halten. Eine Woge der Lust spült über mich hinweg, als der Orgasmus mich mit sich reißt. Eine wunderbare Wärme ergreift Besitz von meinem Körper; ich schließe die Augen und höre, wie ich Patricks Namen seufze.

Patrick schlingt die Arme um mich, zieht mich fest an seine Brust.

Wir sind uns ganz nahe, blicken uns tief in die Augen.

»Ich liebe dich«, sagt er. Fest umschließen seine Hände meine Pobacken. »Ich habe dich vom ersten Moment an geliebt.«

»Ich liebe dich auch.«

Ekstase spiegelt sich in seinen Zügen, und ich sehe, dass er ebenfalls kommen muss. Ich spüre, wie er in mir pulsiert.

»O Gott«, murmelt er und vergräbt sein Gesicht an meinem Hals.

Eine Weile sitzen wir eng umschlungen vor dem Kaminfeuer.

Dann beginnt er, mich sanft zwischen den Beinen zu streicheln.

Es braucht nicht viel. Ein paar zarte Berührungen an den richtigen Punkten, und schon komme ich ein zweites Mal; es ist, als würde ich komplett mit ihm verschmelzen.

Unglaublich schön fühlt es sich an, und ich höre ihn selbst heiser aufstöhnen, sehe, wie er die Augen schließt, während ich in seinen Armen bebe.

Der Schein des Kaminfeuers fällt über unsere nackten Beine, während wir uns aneinander festhalten, als wollten wir uns nie wieder loslassen.

Schließlich trägt mich Patrick durch die Korridore zu seinem Schlafzimmer.

»Was, wenn uns jetzt jemand sieht?«, flüstere ich.

»Keine Angst. Hier wird uns niemand begegnen.«

»Woher willst du das wissen?«

»Ich weiß es einfach.«

5

In seinem Schlafzimmer legt Patrick mich auf sein Bett.

»Du hast ja gar kein Kondom benutzt«, sage ich.

»Warum auch?«, gibt er zurück.

»Aus den üblichen Gründen. Hauptsächlich, um keine Kinder zu bekommen.«

»Wieso sollte ich das wollen? Wir sind verlobt. Es wäre doch legitim, wenn du einen kleinen Patrick Mansfield erwarten würdest.«

Ich lache. »Wir müssen es ja nicht gleich überstürzen. Es reicht, dass Wila schwanger ist …«

»Entspann dich, Seraphina. Du bist nicht schwanger.«

»Woher willst du das wissen?«

»Glaub mir, Süße. In ungefähr einer Woche kriegst du deine Periode. Hundertprozentig. Kennst du deinen eigenen Zyklus nicht?«

»Na ja, schon, aber … Woher kennst du ihn so genau?«

»Weil ich im Einklang mit der Natur lebe. Den Mond beobachte. So kriegt man eine Menge mit.«

Ich überlege kurz, wann ich zuletzt meine Tage hatte.

Ja, Patrick hat recht.

Wahrscheinlich jedenfalls.

»Und es würde dir nichts ausmachen, wenn ich schwanger wäre?«, frage ich.

»Selbstverständlich nicht. Ich habe nur verhütet, weil ich dich nicht in Verruf bringen wollte.«

Ich lache. »Auch unverheiratete Paare haben heutzutage Kinder, Patrick. Das ist die normalste Sache von der Welt.«

»Mag sein, dass ich ein wenig altmodisch bin. Aber ich möchte deinem guten Ruf nicht schaden, ob du’s glaubst oder nicht.«

»Danke. Aber kaum sind wir verlobt, hast du kein Problem mehr damit, mich zu schwängern?«

»Nicht das geringste.«

»Aber Kondome dienen ja nicht nur der Empfängnisverhütung.«

»Das weiß ich. Außerdem lasse ich mich regelmäßig testen.«

»Wirklich?«

»Ja, klar. Bei der Armee war das ohnehin Routine. Und ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht. Schon aus Achtung vor dem anderen Geschlecht. Ich möchte dich auf keinen Fall mit irgendeiner Krankheit anstecken.«

»Oh, gut.«

»Dem letzten Test habe ich mich einen Monat vor unserer ersten Begegnung unterzogen.«

»Freut mich zu hören.«

Ich ziehe meine restlichen Sachen aus und kuschle mich unter die Decke.

»Patrick?«

»Ja, Seraphina?«

»Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch.« Er lässt sich aufs Bett fallen und dreht sich zu mir. »Was ich dir noch sagen wollte … Das Schloss gehört jetzt dir.«

»Patrick, wir sind doch noch nicht mal verheiratet.«

»Das spielt keine Rolle. Das Schloss hat dir bereits gehört, als du zum ersten Mal deinen Fuß hineingesetzt hast.«

»Wieso hast du gerade die Stirn gerunzelt?«

»Ich musste an meinen Vater denken.«

»Was ist mit ihm?«

»Er hat immer noch Macht über diesen Ort. Und ich wünschte, das wäre endlich vorbei.«

»Macht? Wohl kaum, solange er im Gefängnis sitzt.«

»Nein. Aber wer weiß, wie schnell er wieder draußen ist.«

Ich versuche, seine Stimmung ein wenig aufzuhellen. »Dann gehört mir jetzt also auch dein Schlafzimmer?«

»Ganz und gar.«

»Seltsam. Die ganzen Armeeklamotten und das Waffenarsenal im Schrank sagen mir nämlich irgendwie, dass es definitiv dein Zimmer ist.«

»Dann richte es einfach neu ein«, erwidert Patrick. »Und wenn du schon dabei bist, kannst du dir eigentlich auch gleich den Rest des Schlosses vornehmen. Ich möchte, dass du dich in diesen alten Mauern wohlfühlst.«

»Meinst du das ernst?«, frage ich. »Das würdest du mich wirklich machen lassen?«

»Liebend gern«, sagt Patrick. »Der Westflügel ist gar nicht so übel. Aber der Rest des Schlosses erinnert mich jeden Tag aufs Neue an meinen Vater. Es wird Zeit, dass wir Mansfields uns hier wieder zu Hause fühlen. Wir und unsere potenziellen Nachkommen.«

»In seinem momentanen Zustand wird sich Bertie mit Veränderungen wohl ziemlich schwertun«, sage ich.

»Keine Sorge, wir bringen Bertie schon wieder auf die Beine.« Patrick nimmt mich in die Arme. »Das verspreche ich dir.«

»May glaubt nicht, dass es so einfach sein wird.«

»May weiß ja auch nicht, dass du Zauberkräfte besitzt.«

»Mag sein, dass du das denkst, aber da muss ich dich leider enttäuschen.«

Ich warte auf eine Antwort.

Aber Patrick ist eingeschlafen.

6

Am nächsten Tag beschließe ich, mit Bertie einen kleinen Waldspaziergang zu machen.

Nur wir beide.

Ich bitte Vicky, uns ein Picknickkörbchen zu packen – mit Croissants, Marmelade, einer Thermoskanne Kakao und natürlich Milch und Lakritze für Bertie.

Dann wecke ich Bertie und suche ihm warme Sachen heraus.

Er zieht sich an und folgt mir nach draußen. Mit leerem, traurigem Blick starrt er vor sich hin – wie ein Welpe, der sich verlaufen hat.

Ich will den alten Bertie zurück. Den Bertie, der vor Wut fast geplatzt wäre. Den Bertie, der seine Xbox zertrümmert hat. Den Bertie, dem ich helfen konnte.

Aber ich habe einen Plan.

Die Luft ist mild und frisch, und die Sonne scheint, als Bertie und ich losmarschieren.

Und schließlich erreichen wir eine kleine Lichtung. Genau hier wollte ich hin.

»Jetzt haben wir uns aber ein schönes Frühstück verdient, Bertie«, sage ich.

Ich breite die karierte Picknickdecke über Laub und Zweigen aus.

Zögernd hockt er sich auf die Decke.

Gütiger Gott, wie sehr ich den alten Bertie vermisse. Den widerspenstigen kleinen Jungen, der mir nicht gehorchen wollte. Ich mochte ihn tausendmal lieber als den willenlosen Zombie, in den er sich verwandelt hat.

Aber ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben. Ich bin fest davon überzeugt, dass der alte Bertie immer noch da ist.

Nachdem ich unser Körbchen ausgepackt habe, reiche ich ihm einen Becher Milch.

Er trinkt ein wenig davon, rührt aber sonst nichts an.

»Bist du sicher, dass du kein Croissant willst?«, versuche ich, ihn zu beschwatzen. »Vicky hat sie selbst gebacken. Das hat sie in Paris gelernt. Hast du überhaupt schon mal eins probiert?«

Er wendet den Kopf ab.

»Also, ich esse jetzt jedenfalls eins«, erkläre ich und beiße herzhaft in ein Croissant. »Wow! Das ist ja superlecker.«

Bertie trinkt seine Milch aus, verschmäht aber weiterhin alles andere – sogar das Lakritz.

Und so sitzen wir eine Weile unter den Bäumen. An den Ästen sind schon kleine grüne Triebe zu erkennen, und die Luft duftet nach feuchtem Laub und wilden Blumen.

Wunderschön ist es hier. Ich finde, dass Kinder so viel Zeit wie möglich in der freien Natur verbringen sollten. Die Natur besitzt heilende Kräfte – insbesondere hier, wo sie noch recht unberührt ist.

Ich erzähle einfach, was mir gerade so in den Sinn kommt – dass die Frühlingsblumen bereits ihre Köpfe aus der Erde stecken, wie kalt es hier in Schottland im Vergleich zu London ist.

Und dann sage ich plötzlich: »Oh, sieh mal, ein Vogelnest!«

Ich zeige auf einen Baum.

Natürlich wusste ich die ganze Zeit, dass sich dort ein Vogelnest befindet. Genau deshalb habe ich diese Stelle ja ausgesucht.

Fast unmerklich bewegt er den Kopf. Nur einen Millimeter oder so, aber jetzt weiß ich, dass er mir zugehört hat.

Auch wenn er nicht aufsieht.

»In dem Nest sind bestimmt ein paar hübsche Eier«, sage ich. »Ich würde echt gern mal nachschauen. Na ja, eigentlich soll man Vogelnester ja in Ruhe lassen, aber ein kleiner Blick kann doch nicht schaden, oder?«

Ich bemerke, dass sich seine Augen leicht weiten. Langsam dreht er den Kopf in Richtung des Vogelnests.

»Dann mal los«, sage ich fröhlich, gehe zu dem Baum und tue so, als würde ich hinaufklettern.

Ein zaghafter Laut ertönt hinter mir, ein ganz leises, kaum hörbares »Nein«.

»Hast du irgendwas gesagt, Bertie?«, frage ich.

Doch er presst wieder die Lippen aufeinander.

»Also, ich schaue mal nach.« Ich ziehe mich am untersten Ast hinauf.

Kurz darauf bin ich weit genug oben, um in das Vogelnest spähen zu können. Es ist natürlich leer – um diese Jahreszeit nisten die Vögel noch gar nicht.

Aber davon weiß Bertie ja nichts.

»He, da liegen zwei Eier drin!«, flüstere ich aufgeregt. »Kleine blaue Eier. Soll ich dir mal eins zeigen?«

Bertie reißt die Augen weit auf, und im nächsten Moment steht er auch schon neben dem Baum, greift nach einem Ast und klettert zu mir hinauf.

Sekunden später hat er mich erreicht, packt mich am Knöchel und zerrt an meinem Bein.

»Was ist denn los, Bertie?«, frage ich unschuldig. »Soll ich etwa wieder herunterkommen?«

Er nickt.

»Ich kann dich nicht hören, Bertie«, rufe ich. »Komm, lass uns ein bisschen mit den Eiern spielen.«

»Nein«, stößt Bertie hervor, während er noch heftiger an meinem Bein zerrt. »Nicht anfassen. Lass das, sonst sterben die Vogelbabys!«

Ich lächle ihn an. »Oh, das hatte ich ganz vergessen. Okay, Bertie. Komm, lass uns wieder runterklettern.«

Wir hocken uns wieder auf die Picknickdecke.

»Na also, da ist ja endlich wieder der Bertie, den ich kenne. Ich hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben.«

Bertie schweigt, aber dann nimmt er sich ein Lakritzstäbchen.

Leise lächle ich in mich hinein.

Ja, vor uns liegt eine Menge Arbeit. Aber ich glaube nicht, dass Bertie ein hoffnungsloser Fall ist. Ich werde ihn nicht im Stich lassen.

»Bertie, May meinte … Na ja, sie hatte eine Idee. Dass es vielleicht gut wäre, wenn wir einen Spezialisten zurate ziehen. Einen, mit dem du über all diese schrecklichen Dinge reden kannst.«

Bertie schüttelt den Kopf.

»Ja, ich verstehe dich. Und wir kriegen das auch so hin. Ich kann dir helfen. Und Patrick auch. Vielleicht sogar deine Mutter. Aber keine fremden Leute, okay?«

»Nur du, Sera«, erwidert Bertie. »Nur ich und du.«

7

Zum Mittagessen sind wir zurück. Als wir den großen Saal betreten, erblicke ich Wila.

Zusammen mit Grey.

Sie lachen ausgelassen, während Grey gerade mit seiner Gabel irgendetwas auf Wilas Teller aufspießt.

Ich stemme die Hände in die Hüften.

»Na, amüsiert ihr euch gut?« Ich werfe Grey einen finsteren Blick zu.

»Und wie!« Wila lächelt mich an. Sie ist so unschuldig, ganz große blaue Augen und Elfengesicht. Und sie hat nicht die geringste Ahnung, was Grey für ein Mistkerl ist.

»Und du?«, frage ich Grey. »Macht’s dir Spaß mit meiner kleinen, sechzehnjährigen Schwester?«

»Ah, da ist ja das große Schwesterlein.« Grey dreht sich um. »Dass du mir gleich die niedrigsten Motive unterstellen musst, Seraphina. Wila und ich haben uns bloß unterhalten. Rein freundschaftlich. Im Übrigen ist sie viel zu jung für mich, falls du dir in anderer Hinsicht Sorgen machen solltest.«

»Wir haben nur ein bisschen gequatscht«, sagt Wila.

»Kein Grund, gleich panisch zu werden«, fügt Grey hinzu.

»Bloß unterhalten?«, schnauze ich ihn an. »Das hast du damals auch zu Patrick gesagt. Nachdem du mir nachts bis zu meinem Zimmer gefolgt bist.«

»Na ja, aber ich habe nichts weiter versucht, oder?«

»Kommt drauf an, was man unter versuchen versteht.«

»Na schön, ich geb’s zu. Ich flirte eben gern.« Sein Blick schweift zur Durchreiche, hinter der Vicky gerade vorbeigeht. »Reg dich ab. Ich habe jemand ganz anderen im Blick.«

Anscheinend hat Vicky mitbekommen, dass Grey hier ist; sonst würde sie wohl nicht so auffallend die Hüften schwingen.

»Hey, Victoria«, ruft Grey.

Vicky strahlt ihn an. »Hallo, Grey.«

»Lass verdammt noch mal die Finger von meiner Schwester«, zische ich Grey an.

»Pheeny!« Wilas Augen weiten sich. »Er hat doch gar nichts getan. Außerdem kann ich sehr gut auf mich selbst aufpassen. Grey und ich sind bloß Freunde.«

»Wir sind ohnehin bald miteinander verschwägert.« Grey grinst mich an. »Schließlich heiratest du ja meinen Halbbruder. Und damit ist deine süße kleine Schwester meine angeheiratete Halbschwester.«

»Noch ein Grund mehr für dich, deine Finger bei dir zu behalten.«

»Das trifft mich jetzt aber hart. Traust du mir denn überhaupt nicht?«

»Kein bisschen. Aber Patrick ja offenbar schon. Also bleibt mir wohl keine große Wahl.«

»Du wirst dich sicher noch mit mir anfreunden«, erwidert Grey. »So wie deine süße Schwester auch. Na, was meinst du?« Er zwinkert Wila zu.

Wila kichert. »Du bist total witzig.«

»Grey!« Ich funkle ihn an.

»Er ist echt nett, Pheeny«, sagt Wila. »Na gut, große Menschenkenntnis habe ich in letzter Zeit nicht gerade bewiesen. Aber Grey ist in Ordnung, glaube ich.« Sie gähnt. »Ich glaube, ich lege mich eine Weile aufs Ohr. Ich bin hundemüde.«

So ist das eben, wenn neues Leben in einem heranwächst, würde ich ihr am liebsten antworten. Aber Grey braucht nicht zu wissen, dass Wila schwanger ist. Auch wenn er es über kurz oder lang ohnehin mitbekommen wird. Aber je später, desto besser.

»Ich muss auch los.« Grey legt sein Besteck beiseite. »Aber vorher bringe ich noch das Geschirr in die Küche. Man kann ja ruhig mal ein bisschen höflich sein.«

»Seit wann legst du denn Wert auf Höflichkeit, wenn’s um deine dreckigen Teller geht?«, fragte ich.

»Oh, lass mich überlegen. Na ja, seit …« Grey grinst. »Seit gestern Nacht, glaube ich.«

Ich schüttle den Kopf. »Komm, Bertie. Lass uns essen.«

8

Nach dem Mittagessen bringe ich Bertie in sein Zimmer, damit er sich ein bisschen hinlegt. Blass und erschöpft sieht er aus.

Anscheinend hat er bei den Thornburns kein Auge zugetan.

Er muss sich zu Tode geängstigt haben.

Als Bertie tief und fest schläft, verlasse ich auf Zehenspitzen das Zimmer und gehe wieder hinunter in den großen Saal, um einen Becher Kaffee zu trinken. May hat recht – Bertie ist völlig durcheinander. Aber seit heute Morgen habe ich das Gefühl, dass ich ihm helfen kann.

Nur, wie?

Klar, da ist auch noch Berties Mutter. Und es wäre sicher hilfreich, wenn Anise endlich wieder zu Sinnen kommen würde. Aber leider hat sich ihr Zustand nicht sonderlich gebessert. Sie quasselt nach wie vor unentwegt davon, dass Regan Thornburn ihre große Liebe und Dirk Mansfield unschuldig sei.

Momentan hält man sie am besten von Bertie fern. Bei all dem irren Zeug, das sie von sich gibt, würde sie ihn nur noch mehr verwirren. Aber irgendwann müssen wir sie und Bertie wieder zusammenbringen, daran führt kein Weg vorbei.

Zwei kräftige Hände legen sich von hinten auf meine Schultern.

»Patrick.«

»Ach – du wusstest also, dass ich es bin? Vielleicht wird eines Tages noch eine richtige Jägerin aus dir.«

»Ich habe dich an deinen Händen erkannt, das ist alles. Wo warst du beim Mittagessen? Ich habe dich vermisst.«

»Ich habe im Büro gegessen. Nur ein paar Sandwiches. Wir mussten einiges wegarbeiten.«

»Ein paar Sandwiches? So fünf, sechs Stück, meinst du?«

»Und woher weißt du das?«

»Deinen Appetit kenne ich mittlerweile.«

»Du denkst über Bertie nach.«

»Ja«, gebe ich zu.

»Wie war es denn heute Morgen mit ihm?«

»Ganz okay. Für ein paar Momente war er sogar fast wieder der Alte. Aber trotzdem ist er irgendwie … so leer. Als wäre irgendetwas verloren gegangen.«

»Versuch, nicht zu viel darüber nachzudenken«, sagt Patrick. »Damit hilfst du ihm auch nicht weiter.«

»Was würdest du denn vorschlagen?«

»Sei einfach für ihn da.«

»Du hast recht. Aber wir müssen uns auch um Anise kümmern. Ich glaube nicht, dass er sein Trauma ohne seine Mutter überwinden wird.«

»Hab Geduld. Bertie findet schon wieder zu sich selbst. Und Anise auch.«

»Ich weiß nicht. So wie sich Anise momentan benimmt, ist sie als Mutter doch völlig ungeeignet. Richtig oder nicht?«

»Ja, das sehe ich genauso.«

»Hm. Sollten wir vielleicht lieber das Jugendamt einschalten? Anise hat schließlich das Sorgerecht für Bertie – was machen wir, wenn sie plötzlich auf die Idee kommt, mit ihm abzuhauen?«

»Anise hat nicht das Sorgerecht für Bertie«, erwidert Patrick. »Sondern ich.«

»Du? Aber wieso das?«

»Als Anise unter der Fuchtel meines Vaters stand, habe ich nachgedacht. Ich habe meinem Vater nie über den Weg getraut. Deshalb habe ich die Vormundschaft für Bertie beantragt. Und auch bekommen. Anise war einverstanden. Ihr war klar, dass ich meine Gründe hatte.«

»Oh, das ist ja schon mal eine positive Neuigkeit.«

»Heute Nachmittag nehme ich Bertie mit runter zum Fluss. Zum Angeln. Gregory kommt auch mit. Mal sehen, ob wir Bertie ein bisschen aus seinem Schneckenhaus locken können.«

»Dann musst du mir aber zeigen, wie das geht. Ich habe noch nie geangelt.«

»Du kommst nicht mit. Du bleibst hier im Schloss.«

»Was? Warum?«

»Du hast heute Nachmittag einen Termin. Mit Hugo Paul. Deinem Hochzeitsplaner und Stylisten.«

9

Mir wird ganz elend. »Du meinst den Stylisten, der auch schon die Königsfamilie eingekleidet hat?«

»Genau. Glaub mir, du wirst dich bestens mit ihm verstehen. Er ist die Nummer eins. Komm, alles halb so schlimm.«

»Und wo soll das Treffen stattfinden?«

»Unten im Salon. Er wartet schon.«

Patrick bringt mich zum Salon – ein Zimmer, das ich bis jetzt nicht kannte.

Die weiß getünchten Wände sind mit wunderschönen Gobelins geschmückt; antike Tischchen und Stühle vervollständigen das edle Ambiente. Ich komme mir vor wie im Empfangszimmer einer Prinzessin.

Die Fenster gehen auf den Wald hinaus. Das Zimmer ist lichtdurchflutet und behaglich.