Perry Rhodan 135: Einer gegen Terra (Silberband) - Kurt Mahr - E-Book

Perry Rhodan 135: Einer gegen Terra (Silberband) E-Book

Kurt Mahr

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Beschreibung

Die Erde im Jahr 426 Neuer Galaktischer Zeitrechnung: Eine uralte kosmische Macht, die sich Vishna nennt, belagert die Heimat der Menschheit. Gegen ihre überlegenen Waffen haben die Terraner keine Chance – der Untergang droht. In ihrer Verzweiflung greifen die Verantwortlichen auf der Erde zu einem riskanten Bluff. Sie errichten einen Zeitdamm und lassen eine "Zweiterde" entstehen – damit wollen sie ihre Heimat verbergen und retten. In dieser Situation verschlägt es einen Außerirdischen auf die Erde. Grek-336 kommt aus ferner Zukunft und will die Menschen vor einer schrecklichen Entwicklung beschützen. Sein verwirrter Geist macht ihn jedoch zum tödlichen Gegner für alle – denn er verbündet sich ausgerechnet mit Vishna ... Die in diesem E-Book enthaltenen Originalromane sind: Der befehlende Kode (1129) von Kurt Mahr; Die letzten Maahks (1136) von William Voltz; Einer gegen Terra (1137) und Triumph der Psioniker (1138), beide von Kurt Mahr; Unheimliches Erwachen (1139) von Ernst Vlcek; Der Eindringling (1140) von Marianne Sydow sowie Die Zeit bleibt Sieger (1141) von William Voltz.

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Nr. 135

Einer gegen Terra

Die Erde im Jahr 426 Neuer Galaktischer Zeitrechnung: Eine uralte kosmische Macht, die sich Vishna nennt, belagert die Heimat der Menschheit. Gegen ihre überlegenen Waffen haben die Terraner keine Chance – der Untergang droht.

In ihrer Verzweiflung greifen die Verantwortlichen auf der Erde zu einem riskanten Bluff. Sie errichten einen Zeitdamm und lassen eine »Zweiterde« entstehen – damit wollen sie ihre Heimat verbergen und retten.

1.

Ein schmetternder, klirrender Schlag hallte aus dem Überwachungsholo und ließ Geoffry Waringer erschreckt auffahren. Entsetzt musterte der Chefwissenschaftler der Kosmischen Hanse die Übertragung. Die in der ausbruchssicheren Halle isolierten gegnerischen Roboter gingen aufeinander los.

Waringer löste Alarm aus. In dem geräumigen Mess- und Beobachtungslabor standen ihm Werkzeuge zur Verfügung, mit denen er die wild gewordenen Roboter daran hindern konnte, sich gegenseitig zu zerlegen. Die eiförmigen Klong und die kugelförmigen Parsf stellten vorerst die einzige Hoffnung dar, Informationen über die Gefahr zu erhalten, die der Erde drohte. Ihren gigantischen Fahrzeugen, in der Größe nach Lichtmonaten zu messen, hatte Terra wenig entgegenzusetzen.

Waringer aktivierte die Impulsgeber. Ein Hagel positronischer Signale brach über die kämpfenden Roboter herein und stürzte sie vorübergehend in Verwirrung. Sie ließen voneinander ab, weil die harten energiereichen Impulse die Mikrofeldstrukturen ihrer künstlichen Gehirne blockierten. Einige Klong taumelten durch die Luft, andere verharrten unschlüssig auf ihren Standbeinen. Die Klong hatten keine nutzbaren Gehwerkzeuge, sie bewegten sich ausschließlich schwebend. Im Gegensatz zu ihnen verfügte jeder Parsf über sechs dürre Spinnenbeine und stakste unsicher umher.

Eine Zeit lang sah es so aus, als hätte Geoffry Waringer sein Ziel erreicht. Aber dann geschah, was er letztlich befürchtet hatte. Fahles grünes Leuchten erfüllte die Bildwiedergabe. Die Roboter hüllten sich in ihre Kaltmäntel – Energieschirme, die den Eindruck erweckten, sie bestünden aus grünem Eis. Diese Schirme waren für irdische Waffen fast undurchdringbar, nur konzentrierter Punktbeschuss konnte sie aufbrechen.

Die Klong und die Parsf hatten die Beeinflussung erkannt und sie unwirksam gemacht. Ihr Kampf begann erneut. Hatten die Roboter sich zuvor darauf beschränkt, einander zu rammen und mit den Greifwerkzeugen zu bearbeiten, so setzten sie nun einen Teil ihrer eigentlichen Waffensysteme ein.

Angespannt beobachtete Waringer das Geschehen. In einigen Bereichen des Solsystems kämpften Klong und Parsf gemeinsam gegen Terraner. Wurden sie gefangen genommen und eingesperrt, gingen sie aufeinander los. Gab es einen Sinn in diesem Verhalten? Den Verstand verloren hatten die feindlichen Maschinen wohl nicht.

Mehrere Sicherheitsleute der Kosmischen Hanse betraten das Labor. »Kampfroboter werden bei den Gefangenen eingeschleust!«, meldete einer von ihnen.

Waringer beobachtete das große Schleusentor in der Wiedergabe. Drei kegelförmige Kampfroboter des modernsten Typs schwebten in die Tresorhalle. In ihre Schutzschirme gehüllt, hielten sie sofort auf die Kämpfenden zu. »Die Roboter sind instruiert, nur ein Minimum an Gewalt anzuwenden«, erläuterte der Sicherheitsmann.

Waringer nickte stumm. Weder Klong noch Parsf durften stark beschädigt, geschweige denn zerstört werden; die wenigen gefangenen Exemplare waren einfach zu wertvoll. Mit ihren starken Tentakelarmen versuchten die terranischen Roboter, die Kämpfenden voneinander zu trennen.

Es kam anders als erwartet. Das Erscheinen eines gemeinsamen Gegners vereinte die Parsf und die Klong offenbar wieder. Spontan machten sie Front gegen die drei Kampfroboter.

»Ich denke, wir wären besser beraten, wenn wir ...« Weiter kam Geoffry Waringer nicht. Ein greller Blitz zuckte durch die Halle. Aus den Lautsprecherfeldern im Labor peitschte ein trockener Knall – einer der terranischen Roboter war danach verschwunden. Nicht zerstört, aufgelöst oder abgeschossen, was die Wirkung einer konventionellen Waffe gezeigt hätte, sondern einfach entmaterialisiert.

»Roboter zurück!«, gellte ein Befehl.

Die beiden verbliebenen Kampfmaschinen reagierten sofort und verließen die Halle. Klong und Parsf, vom gemeinsamen Gegner befreit, gingen daraufhin erneut aufeinander los. Geoffry Waringer setzte das einzige Mittel ein, das noch eine Wirkung erzielen konnte: Er intensivierte das künstliche Schwerefeld in der Halle.

Ihre Kaltmäntel schützten die Roboter nicht vor dem jähen Effekt der extrem erhöhten Schwerkraft. Die schwebenden Klong sackten zu Boden. Ihre Antigravs kollabierten, sobald das künstliche Gravitationsfeld dreißig Gravos überschritt. Den Parsf knickten die dürren Spinnenbeine ein. Ihre Kriechbewegungen wirkten hilflos und hörten schon Sekunden später ganz auf.

Einzelne Klong schlugen mit lautem Knall zu Boden. Waringer achtete sorgfältig darauf, dass er sie nicht ernsthaft beschädigte. Während er die Intensität des Schwerefelds bis auf vierzig Gravos steigerte, huschte ihm ein bitteres Lächeln übers Gesicht.

»Schickt Schwerlast-Räumroboter hinein!«, verlangte er von einem der Sicherheitsleute. »Sie sollen die Parsf in eine andere Halle transportieren. Und das sofort! Ich weiß nicht, wie lange die Gefangenen dieser Belastung standhalten.«

Wie sehr die Kosmische Hanse, von der Struktur her ein Privatunternehmen, und die Liga Freier Terraner, der offizielle Staat der Menschheit, ineinander verwoben waren, wurde in diesen Tagen der Krise besonders deutlich. Das Hauptquartier der Hanse und das Regierungszentrum der Liga verschmolzen zu einer Einheit: zwar räumlich getrennt, jedoch über Dutzende von Kurzstreckentransmittern miteinander verbunden. Die Transmitter vermittelten den Eindruck, der Tagungsraum von Julian Tifflors Krisenstab liege von Reginald Bulls Kommandozentrale nur eine Tür weit entfernt.

Die feindlichen Roboter waren in den Tresorhallen des HQ Hanse untergebracht. Die Brisanz dieser Stunden spielte sich daher auf dem Gelände der Kosmischen Hanse ab. Geoffry Waringer war nicht überrascht, den Ersten Terraner Julian Tifflor anzutreffen, kaum dass er Bulls Refugium betrat.

»Die Brüder sind verrückt.« Waringer seufzte. »Im Weltraum schlagen sie gemeinsam auf uns Menschen los, als hätten sie den Leibhaftigen vor sich. Wenn wir sie zusammen einsperren, gehen sie sich gegenseitig an die Schaltkreise. Doch sobald unsere Kampfroboter erscheinen, benehmen sie sich wieder völlig normal.«

Bull und Tifflor hatten Waringers Vorabbericht erhalten und kannten die Vorfälle im gesicherten Bereich. »Normal nennst du das?« Reginald Bull schüttelte den Kopf. »Handelt es sich um ein Täuschungsmanöver?«

»Was wollten sie damit erreichen?«, fragte Waringer zurück. »Wenn ich wenigstens einen Sinn darin erkennen könnte ...«

»Ich nehme an, ihr Verhalten ist authentisch«, sagte Tifflor. »Vielleicht ein Konkurrenzverhalten, das während des Kampfs gegen uns in den Hintergrund gedrängt wird, jedoch bei der nächsten Gelegenheit sofort wieder ausbricht. Hoffentlich finden wir die Antwort während der ersten Verhöre – und wenn wir einen von jedem Typ vollständig auseinandernehmen müssten. Was hast du außerdem auf dem Herzen, Geoffry?«

»Gute und schlechte Nachrichten«, antwortete der Waringer. »Die gute ist, dass ein gepulster starker Schwerkraftprojektor sich vorzüglich als Waffe gegen diese Roboter eignet. Ich konnte sie mit einem Gravitationsfeld stoppen, kaum dass sie wieder aufeinander losgehen wollten.«

»Was ist die schlechte Nachricht?«, fragte Bull.

»Sie haben einen unserer Kampfroboter einfach verschwinden lassen. Ich sah einen Blitz, dann war er weg. Die Messgeräte haben einen Teil des Vorgangs aufgezeichnet. Ich fürchte, unsere Gegner verfügen über ein Gerät, mit dem sie die Grenze zwischen zwei Kontinua aufreißen und ein unerwünschtes Objekt in einem fremden Universum verschwinden lassen können.«

»Ähnlich dem Selphyr-Fataro-Gerät an Bord der BASIS?«

»Nur haben wir es hier mit einem sehr kleinen Aggregat zu tun, das in einem der Roboter verbaut wurde. Ich bin Wissenschaftler und sollte keine halb gare Spekulation äußern, aber diese Waffe scheint jener zu entsprechen, die gegen den Zeitdamm eingesetzt wurde. Ich bezeichne sie wegen der optischen Begleiterscheinungen als Vakuumblitzer. Der Befehl für den Angriff kam zweifellos von Vishna. Wir tun gut daran, die Wirkungsweise schnellstens zu erforschen. Andernfalls wird unser bester Schutz bald nichts mehr wert sein.«

Galbraith Deighton, der Sicherheitschef der Kosmischen Hanse, sah nachdenklich auf die Projektion an der kahlen Wand seines Arbeitszimmers. Sie zeigte das Solare System mit den Bahnen der äußeren Planeten und zwei gigantische unregelmäßig geformte Gebilde, die scheinbar im Begriff standen, das gesamte Sonnensystem zu verschlingen. Eine der beiden Formen wirkte wie eine mit langen Stacheln bewehrte Kugel. Morgenstern hatte jemand sie wegen ihrer Ähnlichkeit mit der altertümlichen Waffe genannt. Die andere war annähernd rhomboid. Das Bild zeigte, dass sie nicht, wie die Stachelkugel, eine solide Hülle besaß, sondern aus weitmaschigem Gitterwerk bestand.

Atemberaubend im Vergleich mit den Dimensionen des Sonnensystems waren die Ausmaße beider Giganten. Die Kugel – ohne ihre Stacheln – durchmaß zwei Lichtmonate. Die größte Länge des Rhomboids betrug sogar sieben Lichtmonate. Das Solsystem hingegen, begrenzt durch die Bahn des Planeten Neptun, durchmaß lediglich zehn Lichtstunden.

Die Riesengebilde waren Fahrzeuge, kosmische Festungen, die Heimat der beiden Robotervölker, die im Dienst der abtrünnigen Kosmokratin Vishna standen und im Begriff waren, die Erde anzugreifen. Das Rhomboid gehörte den Klong; im Innern der Stachelkugel existierten die Parsf. Vor wenigen Tagen hatten beide Giganten winzige Bruchteile ihrer Substanz ausgespien und ins Solsystem gesandt. Jedes dieser Bruchstücke entpuppte sich aus der Nähe als eigenständiges, mit Robotern bemanntes Fahrzeug und hatte selbst noch Abmessungen von mehreren Tausend Kilometern. Diese gespenstischen Gebilde waren im Bereich der äußeren Planeten erschienen, hatten Stützpunkte, Raumstationen und Flottenverbände angegriffen, sich ansonsten jedoch auf vage Manöver beschränkt – das alles wohl nur, um Informationen zu sammeln.

Galbraith Deighton beschäftigte aber nicht nur das in diesen Minuten. Als Gefühlsmechaniker war er unmittelbar mit dem Unternehmen Psi-Trust verbunden. Er hatte ständig Kontakt mit dem Mutanten Ernst Ellert, der sich in Shisha Rorvic im tibetischen Hochland aufhielt, dem Sitz des Psi-Trusts. Außerdem mit Stronker Keen, der den Zusammenschluss der mit intensiven Mentalkräften begabten Menschen leitete. Keen zählte selbst zu den Psionikern. Ihnen oblag es, den Zeitdamm stabil zu halten, hinter dem Erde und Mond Schutz gefunden hatten.

»Klong«, gab der eiförmige Roboter mit einem bellenden Laut von sich. Er war in den blassgrünen Kaltmantel gehüllt.

Der Klong war eineinhalb Meter groß und ruhte auf einem Kranz von sechs speerähnlichen Standbeinen. Etwas oberhalb der Mitte umgab den Rumpf eine horizontale Reihe kleiner kuppelförmiger Erhebungen. Weiter zur Körperspitze hin schimmerte eine ebenfalls waagerechte Anordnung schlitzförmiger Fenster. Ansonsten waren über die Oberfläche der silbergrauen Körperhülle Linsen verteilt, als sei die Maschine von ihren Erbauern dazu konstruiert worden, das Bild ihrer Umgebung aus Dutzenden verschiedener Perspektiven aufzunehmen.

Am auffälligsten war – abgesehen von zwei kurzen antennenähnlichen Stäben, die aus dem Bereich unmittelbar um die obere Spitze des Klong-Körpers ragten – eine Art Heiligenschein. Er schwebte schwerelos zwischen den Antennenstäben und den Schlitzfenstern und leuchtete abwechselnd blau, gelb und rot. Aus diesem Ring drangen die wenigen Lautäußerungen des Klong hervor.

»Ich glaube nicht, dass er sich mit uns unterhalten will«, sagte Reginald Bull grimmig.

Der gefangene Roboter war von einem Lastentransporter mithilfe eines starken Gravitationsfelds aus einer der Tresorhallen in den Verhörraum gebracht worden.

»Ich bin nicht sicher, ob er unsere Sprache versteht«, meinte Julian Tifflor.

Bull bedachte den Ersten Terraner mit einem verwunderten Blick. »Diese Maschinen haben über eine Woche jeden Mucks unseres Funkverkehrs abgehört«, erinnerte er. »Selbstverständlich verstehen sie uns.« Er betrachtete wieder den Gefangenen. »Ich will wissen, wer du bist, woher du kommst und was du beabsichtigst.«

»Klong«, bellte es aus dem leuchtenden Ring.

»Verdammt und zugenäht.« Bully wurde ärgerlich. »Zu meiner Zeit wurde von einem Kriegsgefangenen erwartet, dass er Name, Rang und Dienstnummer nennt. Aber alles, was dieser Kerl kann, ist ›Klong‹.«

»Galbraith Deighton wünscht Zutritt«, meldete eine positronische Stimme.

»Soll reinkommen!«, rief Bull.

Deighton war nicht allein. Neben ihm betrat eine junge Frau den gesicherten Verhörraum. Reginald Bull kannte sie nicht. Er warf Tifflor einen fragenden Blick zu, aber der Erste Terraner schüttelte den Kopf. Er wusste ebenso wenig Bescheid.

Die Frau war ausnehmend hübsch. Im Gegensatz dazu stand ihr verwirrter Gesichtsausdruck. »Das ist Ruda Northrup«, sagte Galbraith Deighton. »Ruda ist eines der Opfer von Shisha Rorvic während des Angriffs auf den Zeitdamm.«

Die junge Frau sah sich um, als müsse sie sich in einer völlig fremdartigen Welt zurechtfinden. Ihre Unsicherheit wich einem schüchternen Lächeln, das sich verheißungsvoll über ihr Gesicht ausbreitete. Allerdings war nicht zu erkennen, worüber sie sich freute. Ihr Kopf ruckte ständig hin und her.

Bull machte eine knappe Geste in Richtung des Roboters. Ein wenig ungeduldig sagte er: »Gal, was immer du beabsichtigst, deine Vorstellung wird einige Minuten warten müssen. Wie du siehst, sind wir eben im Begriff ...«

Deighton unterbrach ihn mit einer beschwichtigenden Geste. »Ich bin nicht ohne triftigen Grund gekommen. Es ist etwas an den Dingen, die Ruda sagt ...«

»Klong!«

Bull und Julian Tifflor fuhren herum. Das Wort hatten sie nun schon ein Dutzend Mal gehört, doch diesmal war es nicht von dem Roboter selbst gekommen. Ruda Northrup hatte den Namen ausgesprochen, kaum dass sie den Gefangenen bemerkte. Eine freudige Anspannung ergriff sie, als begegnete sie unerwartet einem alten Bekannten. Sie breitete die Arme aus und schickte sich an, auf den Klong zuzueilen. Der Eindruck entstand, dass sie ihn umarmen wolle.

»Haltet sie fest!«, befahl Bull scharf. »Ich weiß nicht, was der ...« Er verstummte und atmete heftig ein. Der grüne Kaltmantel des Roboters flackerte plötzlich, wurde dünner und heller und verschwand innerhalb weniger Sekunden. Der Klong streckte seine flexiblen Arme der geistig verwirrten Psionikerin entgegen.

»Ich höre dich«, bellte seine raue Stimme in reinem Interkosmo. »Du sprichst den Befehlenden Kode.«

Galbraith Deighton wollte die junge Frau festhalten, verzichtete aber im letzten Moment darauf. Ruda Northrup blieb ohnehin von sich aus stehen, bevor sie den Roboter erreichte. Sie hielt die Arme unverändert ausgestreckt und betrachtete den silbergrauen eiförmigen Körper, als sei ihr soeben ein kostbares Geschenk gemacht worden.

»Klong – du, wie nennst du dich?«, fragte sie bebend.

Der Roboter antwortete in einer fremden Sprache, die keiner verstand – keiner außer Ruda Northrup. »Ich wusste, sie würden dich schicken!«, rief sie aus. »Alle erkannten, dass ich hier auf dich warte.«

»Sie wussten es nicht«, antwortete der Klong wieder in Interkosmo. »Außerdem wurde ich gegen meinen Willen hierher gebracht. Aber nun, da ich dich gefunden habe, ist alles gut. Gehörst du zu diesen ...?«

2.

Vishna war mit der Entwicklung zufrieden. In ihrem Raumschiff, weit entfernt von den Raumgiganten Klongheim und Parsfon, wertete sie alle Daten aus, die während des Angriffs der Robotervölker auf die Erde aufgezeichnet worden waren. Über ihr Steuerelement hatte sie Kontrolle über die Parsf und Klong. Sie war damit die Herrin beider Völker und ihrer gewaltigen Fahrzeuge, die Besitzerin des Befehlenden Kodes.

Die Wesenheit Vishna bezweifelte nicht, dass hinter der Raumfalte, die sie mit ihren Helfern aufzureißen versucht hatte, Terra verborgen lag. Soweit es ihr Hass zuließ, bewunderte sie die Menschen sogar wegen dieses nahezu genialen Täuschungsmanövers. Sie hatten Kopien ihrer Heimatwelt und des Mondes erschaffen und die Originale durch Schließung der vierdimensionalen Raumkrümmung jedem Zugriff entzogen. Nur die Duplikate umkreisten die Sonne sichtbar auf der angestammten Umlaufbahn.

Nach den ersten Bildübertragungen war Vishna überzeugt gewesen, ihr Ziel gefunden zu haben. Dass sich auf Terra und Luna keine Menschen aufhielten, war ihr zunächst nicht verwunderlich vorgekommen – es lag nahe, dass die Terraner vor der ihnen drohenden Gefahr geflohen waren. Mittlerweile wusste sie es besser, denn kleine Diskrepanzen hatten sie den Betrug erkennen lassen. Unter anderem waren eindeutig von Terra stammende ultrakurze Funksprüche aufgefangen worden, deren Ausgangspunkt aber keineswegs auf dem sichtbaren Planeten lag, sondern weit davon entfernt im leeren Raum.

Vishna hatte ihren Angriff auf den schützenden Wall abgebrochen, weil die Fortführung zur Vernichtung des richtigen Planeten und seines Mondes sowie aller Bewohner geführt hätte. Eine solche endgültige Zerstörung lag nicht in ihrer Absicht. Sie wollte Terra – und sie wollte die Menschen als ihre Sklaven.

Mit Genuss machte Vishna sich an die Ausarbeitung eines modifizierten Plans.

An die ersten Tage nach der Katastrophe in Shisha Rorvic erinnerte sich Ruda Northrup überhaupt nicht. In ihrem Gedächtnis war nur eine Szene gespeichert: Beim gemeinsamen Abendessen hatte sie sich mit Velia Davis unterhalten. Danach beherrschte Schwärze ihre Erinnerung, bis sie in Terrania zu sich kam – in einem Medozentrum im Regierungsviertel.

Sie begriff aufgrund dessen, was die Mediziner ihr vorsichtig erzählten, dass sie im Psi-Trust gearbeitet hatte und dass während des Angriffs auf den Zeitdamm ihr Verstand in Mitleidenschaft gezogen worden war. Verrückt? Übergeschnappt? Oh, wie könne sie solche Worte in den Mund nehmen! Lediglich ihr Denkvermögen sei ein wenig angeschlagen. Für immer? Das auf keinen Fall. Mit der Zeit und der entsprechenden Therapie werde sich das wieder geben. Und bis dahin? Bis dahin sei sie Gast der Liga Freier Terraner.

Sie, Ruda Northrup. Außerdem Sidne Laventhol, Paoli Yveress und Tschak Dimitr. Die drei waren weitere Opfer, die sie während der letzten Tage kennengelernt hatte. Insgesamt mochte es einige Hundert Geschädigte gegeben haben. Aber die anderen waren nicht in ihrer Nähe untergebracht; es gehörte zur Therapie, dass die Patienten höchstens Vierergruppen bildeten.

Nachts fand Ruda schwer Schlaf, dann dachte sie über ihre Situation nach. Mittlerweile war sie mit Sidne, Paoli und Tschak aus dem Medozentrum in ein Gebäude überführt worden, das zum Hauptquartier der Kosmischen Hanse gehörte. Ruda ahnte, dass die maßgeblichen Leute etwas von ihr wollten; nur eröffnete sich ihr nicht, was es sein konnte.

Bin ich wirklich verrückt?, fragte sie sich. Sie spürte, dass die Katastrophe etwas Fremdes in ihrem Bewusstsein zurückgelassen hatte, das ihr Unbehagen bereitete. Wenn sie sich anstrengte, erinnerte sie sich an die frühere Ruda: immer besorgt, anfällig für jede Art von Stress, nervös, hübsch, attraktiv. Fast machte ihr es Spaß, darüber nachzudenken; denn jene Ruda war so weit von ihr entfernt, als sei sie eine gänzlich fremde Person gewesen. Die neue Ruda empfand keine Sorgen, der Stress ließ sie unbehelligt, und von Nervosität war keine Spur. Allerdings hörte sie Stimmen, die sich in einer unbekannten Sprache unterhielten, vielleicht auch zu ihr redeten. Und sie sah so exotische Dinge, dass diese Bilder unmöglich ihrer Erinnerung entstammen konnten. Sie gehörten zu dem Fremden, das sich in ihrem Bewusstsein angesiedelt hatte.

Die Begegnung am gestrigen Nachmittag hatte sie mehr in Erregung versetzt, als sie sich anmerken lassen wollte. Das fremde Wesen – einen Roboter nannten es Reginald Bull und der Erste Terraner Julian Tifflor –, welch ästhetisch vollkommene Gestalt. Die Zuneigung war spontan und gegenseitig entstanden. Unsinn! Wie konnte ein Roboter Zuneigung empfinden? Aber wessen Unsinn war es? Gewiss nicht der ihre. Jene hatten ihn sich ausgedacht, die das fremde Geschöpf als Roboter bezeichneten.

Wachfunktion-11 war sein Name. Ruda hatte das ungewisse Empfinden, er habe sich in seiner eigenen Sprache vorgestellt, deren Worte sie mitunter in ihrem Schädel hörte. Doch warum verstand sie ihn? Fragen über Fragen. Wenn sie Antworten haben wollte, musste sie mit Wachfunktion-11 reden – viel länger, als es ihr am Nachmittag zugestanden worden war.

Ruda lachte lautlos in sich hinein. Sie war keine Gefangene und konnte sich frei bewegen. Also würde sie herausfinden, wo Wachfunktion-11 seine Unterkunft hatte, und ihn aufsuchen. Gute Idee? Ausgezeichnet – nur war da ein kleiner Haken. Erinnerst du dich, wie schnell du die Orientierung verlierst, sobald die exotischen Bilder in deinem Bewusstsein auftauchen? Es wäre besser, wenn sie nicht allein ging. Paoli! Sie hatte Paoli von ihrer Begegnung erzählt, und Paoli war begeistert gewesen.

Ruda kleidete sich an. Minuten später stand sie vor Paoli Yveress' Tür.

Paoli war eine kleine, schwarzhaarige, temperamentvolle Frau, die auf ihre eigene mollige Art hübsch und anziehend wirkte. Sie hatte große, dunkle Augen und ein mitunter überschäumendes Temperament. »Phantastische Idee, Ruda«, sprudelte sie hervor, nachdem sie sich den Plan angehört hatte. »Selbstverständlich komme ich mit dir!«

»Willst du mir einreden, dass Ruda Northrup die neueste Geheimwaffe gegen Klong und Parsf sein soll, weil sie einen Klaps hat?«, fragte Reginald Bull grimmig.

»Für alle, die im Licht der Öffentlichkeit stehen, ziemt es sich, von ihren Mitmenschen mit mehr Mitgefühl zu sprechen.« In Gruderkons Stimme lag eisige Missbilligung. Er war wie Bull Hanse-Sprecher, ein Mann mittlerer Größe und 181 Jahre alt. Seine Haut hatte eine eigenartig graue Tönung, die blauen Augen in dem faltenreichen Gesicht blickten hellwach und intelligent. Er gab sich gewöhnlich schweigsam, und außerhalb des Stalhofs ging das Gerücht, weder seine Herkunft noch sein Beruf seien bekannt. Gruderkon selbst nannte sich Privatwissenschaftler. Sein ausgezeichnetes Fachwissen auf unterschiedlichen Gebieten hatte er seit seiner Berufung zum Hanse-Sprecher oft unter Beweis gestellt. Das war der Grund, weshalb Bull ihn zu dieser Besprechung hinzugezogen hatte.

»Mitgefühl?«, fragte Reginald Bull. »Hab das lieber mit mir. Ich weiß nämlich nicht, worauf du hinauswillst.«

»Es steht außer Zweifel, dass sich zwischen Ruda Northrup und dem Klong ein spontaner Rapport ergab«, sagte Gruderkon. »Aufgrund der Begegnung war der Klong bereit, unsere Fragen zu beantworten und Informationen über die Hintergründe des Angriffs zu geben.«

»Und das nur, weil Ruda in Shisha Rorvic ... einen Unfall hatte?«

»Ihre geistige Verfassung ist das Einzige, was Ruda von anderen unterscheidet«, wandte Galbraith Deighton ein, der mit Gruderkon in Bulls Büro gekommen war. »Wir müssen herausfinden, ob weitere Klong und vielleicht auch Parsf auf sie ebenso reagieren wie dieser Wachfunktion-11. Und ob andere Opfer aus dem Psionic Training Center dieselbe Wirkung ausüben.«

»Schon der Umstand, dass wir den Namen des Klong kennen, beschäftigt mich«, sagte Tifflor. »Ich denke an den Moment, als Ruda ihn fragte, wie er sich nenne. Die Antwort kam in einer fremden Sprache, doch Ruda verstand jedes Wort.«

»Also gut, ich lasse mich überzeugen.« Bull winkte ab. »Eine plausible Erklärung für diese seltsame Geschichte hat keiner von euch, oder?«

»Höchstens eine Ahnung, in welcher Richtung wir suchen sollten«, bemerkte Gruderkon. »Der Unfall wurde durch den Vakuumblitzer hervorgerufen, womöglich besteht deshalb die unerklärliche Affinität zu dem Klong. Wir müssen die Waffe auf eine psionische Komponente hin analysieren.«

Bull verzog das Gesicht. »Ruda darf nicht erfahren, dass wir vorhaben, einen Klong und einen Parsf auseinanderzunehmen. Es bräche ihr das Herz.«

Er hatte noch mehr sagen wollen, aber der Interkom leuchtete auf. Das Abbild eines jungen Mannes entstand. »Peripherie Tresorhalle«, meldete er sich. »Der Schutzzone nähern sich zwei Frauen. Ihr Verhalten erscheint zumindest merkwürdig.«

Die Darstellung wechselte und zeigte die beiden Personen.

»Ruda Northrup!«, staunte Bull. »Und die andere ist Paoli Yveress. Sieh einer an, die beiden machen sich also selbstständig. Ich hab so etwas erwartet.« Er fuhr sich mit der Hand übers bürstenkurze Haar. »Hör zu!«, forderte er den Wachmann auf. »Ich habe Anweisungen für dich, die genau befolgt werden müssen ...«

Den Weg zu Wachfunktion-11 zu finden, war leichter, als Ruda Northrup es sich vorgestellt hatte. Das Hauptquartier der Kosmischen Hanse war ein gewaltiger Komplex. Nicht einmal von denen, die hier arbeiteten, wurde erwartet, dass sie sich überall zurechtfanden. Folglich gab es zahlreiche Auskunftsstellen. Diese Positroniken gingen von der Annahme aus, dass jeder, der sich im HQ Hanse aufhielt, frageberechtigt sei und sich nicht zu identifizieren brauchte.

»Wo hält sich Wachfunktion-11 auf?«, wollte Ruda von der erstbesten Infosäule wissen.

»Eine Funktion dieses Namens ist nicht bekannt. Möchtest du eine Auflistung aller in diesem Gebäude möglichen Funktionen sehen?«

»Nein, danke.« Ruda Northrup formulierte ihre Frage neu: »Wo wohnen die Klong?«

»Sie befinden sich im Strahltresorbereich, fünfunddreißigste Unteretage, Sektor Cäsar. Aber der Zutritt ist dort verboten.«

»Wir wollen gar nicht hin«, sagte Paoli Yveress hastig. »Wir wollen nur wissen, wo sie wohnen.«

»Die Roboter wohnen nicht – sie werden festgehalten.«

»Festgehalten?«, wiederholte Ruda Northrup ungläubig. »Warum?«

»Sie sind Gefangene.«

Bevor Ruda darauf reagieren konnte, fasste ihre Begleiterin sie am Arm und zog sie weiter. Paoli Yveress hatte einige Mühe, die Verwirrte zu besänftigen. Ruda Northrup war nach der erhaltenen Auskunft fest entschlossen, Wachfunktion-11 zu finden und den Klong entweder zu befreien oder ihm Trost zu spenden.

Die Frauen gingen kreuz und quer durch das HQ Hanse, ohne aufgehalten zu werden. Immerhin steckte System in ihrem Vorhaben. Nach zwei Stunden erreichten sie die 35. Unteretage im Sektor Dora. Leuchtmarkierungen wiesen ihnen den Weg Richtung Cäsar.

Erst an der Grenze des Sektors trat ihnen ein uniformierter Mann in den Weg. »Seid ihr befugt, euch in diesem Abschnitt aufzuhalten?«, erkundigte er sich freundlich.

»Oh, ich weiß es nicht«, antwortete Yveress. »Wir haben niemanden gefragt, wenn du das meinst.«

»Dann muss ich euch zurückschicken«, erklärte der Wachmann. »Hier haben nur Personen mit ausdrücklicher Autorisierung Zutritt.«

»Jaja, so etwas sagte der Automat schon«, bemerkte Ruda Northrup verstört. »Wir wollten nur sehen, wo die Klong untergebracht sind.«

Der junge Mann lachte. »Mehr nicht? Da kann ich euch helfen. Kommt mit.« Er drehte sich um und schritt den Gang entlang. Northrup und Yveress folgten ihm bis zu einem schweren Schott. Er deutete darauf. »Auf der anderen Seite der Schleuse ist die Halle, in der die Klong arrestiert sind.«

»Wir möchten hinein«, drängte Paoli Yveress.

»Ausgeschlossen«, widersprach der Wachmann. »Bis hier und nicht weiter. Geht bitte zurück und ...« Yveress wollte an ihm vorbei. Mit beiden Händen ergriff er sie an den Oberarmen und hinderte sie daran, weiterzugehen. Für einen Moment achtete er deshalb nicht auf Ruda Northrup.

Mit unglaublicher Fingerfertigkeit griff Ruda nach der Waffe, die der Uniformierte offen am Magnethalfter trug, packte sie am Lauf und schlug mit aller Kraft mit dem Griffstück zu. Der junge Mann wollte hastig ausweichen, aber der Schlag traf seine Schläfe. Lautlos sackte er in sich zusammen.

»He, so haben wir nicht gewettet!« Reginald Bull fuhr von seinem Sessel auf. »Was soll das?« Er sah Ruda Northrup und Paoli Yveress die Schleuse betreten. Yveress redete heftig auf ihre Begleiterin ein; wahrscheinlich machte sie Northrup Vorwürfe. Es war jedoch kein Wort mehr zu hören. Der Wachmann trug den kleinen Akustiksensor unter dem Kragen seiner Montur. Zweifellos verdeckte er im Liegen das winzige Gerät.

»Noch haben wir die Situation unter Kontrolle«, bemerkte Tifflor.

Bull schlug mit der flachen Hand auf die Schaltflächen vor ihm. Weitere Holos bauten sich auf. Sie zeigten, dass die Sicherheitstruppe des Hauptquartiers bereitstand. »Planänderung!«, sagte er heftig. »Die beiden Frauen haben den Posten vor dem Klong-Gefängnis überwältigt. Wir müssen darauf gefasst sein, dass sie die Roboter befreien werden – oder wenigstens den einen, der sich Wachfunktion-11 nennt.«

»Die Schwerkraftgeneratoren sind einsatzbereit!«, meldete einer der Sicherheitsleute. »Wir können die Klong jederzeit am Ausbruch hindern.«

»Gut gedacht«, sagte Bull sarkastisch. »Und die Frauen zerquetscht ihr am Boden – oder wie?«

»Selbstverständlich werden wir sie vorher rausholen!«, konterte der Sicherheitsmann geistesgegenwärtig.

»Ich erwarte, dass ihnen nicht ein Haar gekrümmt wird«, schnaubte Bull. »Und die Klong dürfen die Halle nicht verlassen, sonst ist der Teufel los! Ich bin auf dem Weg.« Mit einer knappen Handbewegung unterbrach er die Verbindung.

»Ich komme mit!«, rief Julian Tifflor. »Du bist mir zu temperamentvoll. Vielleicht ist die Situation noch zu retten.«

Bull schüttelte den Kopf und brummte etwas Unverständliches. Er lief bereits zur Tür. Tifflor folgte ihm dichtauf. Zurück blieben Galbraith Deighton und Gruderkon, die beide leicht verwirrt wirkten.

»Wozu war das gut?«, fragte Paoli Yveress entsetzt.

Ruda Northrup musterte den Bewusstlosen mit sanftem Lächeln. »Glaubst du, er hätte einfach mit angesehen, wie wir Wachfunktion-11 befreien?«

»Befreien? Hör zu, Ruda, du bist verrückt ...«

»Ich weiß, das wurde mir schon bestätigt.« Ohne auf Yveress' Proteste zu achten, öffnete Ruda das Schott und betrat die Schleusenkammer. Der Mechanismus war vergleichsweise einfach, sie konnte ihn mühelos bedienen. Das Innenschott glitt ebenfalls zur Seite. Vor den beiden Frauen lag eine hell erleuchtete Halle, in der sich achtzehn Klong aufhielten.

Den Robotern war nicht entgangen, dass jemand an der Verriegelung hantierte. Sie hatten sich in den rückwärtigen Bereich der Halle zurückgezogen und bildeten, in verschiedenen Höhen schwebend, einen Halbkreis. Ihre Kaltmäntel waren nicht aktiviert.

Northrup und Yveress blieben in der Schottöffnung stehen. Ruda Northrup sah sich um. Unvermittelt streckte sie einen Arm aus und deutete auf einen Klong, der am linken Flügel der Formation schwebte. »Dort ist er!«, rief sie begeistert. »Ist er nicht wundervoll, Paoli?«

Yveress blickte in die angegebene Richtung. »Wie kannst du die Roboter voneinander unterscheiden? Alle sehen gleich ...« Sie brachte den Satz nicht zu Ende, aber ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Freilich, das ist er: Wachfunktion-11! Und dort sind Nebenmann und Posten-8, Rechnerchen, Reparierfunktion ...« Yveress klatschte in die Hände. »Sie sind alle hier!«

Die Klong setzten sich in Bewegung. Wachfunktion-11 übernahm die Führung. Wenige Meter vor den Frauen hielt er an. »Beide sprechen den Befehlenden Kode!«, bellte es aus dem Lichtring, der berührungslos um seinen Körper schwebte. »Wie viele von euch Beherrschenden gibt es?«

»Wir sind etliche!«, rief Ruda Northrup strahlend. »Aber es bedarf nur uns beider, euch die Freiheit wiederzugeben.«

»Freiheit?«, wiederholte Wachfunktion-11. »Du meinst, die Herren dieser Welt wollen uns nach Klongheim zurückkehren lassen?«

Ruda machte eine wegwerfende Geste. »Wen kümmern schon die Herren dieser Welt?«, rief sie verächtlich. »Wir setzen euch frei: Paoli und ich.«

Paoli Yveress hatte keine Bedenken; sie nickte eifrig. Für Wachfunktion-11 schien das Gesagte jedoch verwirrend zu sein. »Wir sind den Beherrschenden dankbar«, erklärte er, setzte aber umgehend eine Einschränkung hinzu: »Im Interesse unserer reibungslosen Rückkehr wäre dennoch wünschenswert, dass wir ebenso das Einverständnis der Herren dieser Welt besäßen.«

»Ihr wollt nicht mit uns kommen?«

»Nichts wäre für uns erstrebenswerter, als mit euch nach Klongheim zu fliegen«, versicherte Wachfunktion-11. »Zuvor müssen jedoch die Voraussetzungen geschaffen werden.«

Ruda Northrup war enttäuscht. Ihr instabiler Gemütszustand ließ jedoch eine längere Phase der Niedergeschlagenheit nicht zu, binnen Sekunden lächelte sie wieder. »Ich habe gehört, dass sich auch Mitglieder einer anderen Familie der Schatt-Armarong hier befinden. Wo sind sie?«

»Du meinst die Parsf«, antwortete Wachfunktion-11. »Sie wurden, nehme ich an, in einem Raum ähnlich diesem untergebracht. Ich weiß nicht, wo.«

»Das sollte kein großes Problem sein«, sagte Ruda optimistisch. »Bedauerlich nur, dass ihr mein Angebot nicht annehmen wollt. Das bedeutet aber keineswegs, dass wir euch im Stich lassen. Wir werden uns bei der Regierung für euch einsetzen.«

Ruda Northrup zog Yveress in die Schleuse zurück, schloss das Innenschott und trat auf den Korridor hinaus. Der Wachmann kam langsam wieder zu sich. Hastig hob Ruda seine am Boden liegende Waffe auf und steckte sie ein.

Der junge Mann öffnete soeben die Augen. Ärger zeichnete sich in seinem Gesicht ab.

»Hör zu, ich hab keine Zeit für Diskussionen!«, kam Ruda seinem Protest zuvor. »Wo sind die Parsf eingesperrt?«

Der Uniformierte stützte sich auf einen Ellbogen. Ächzend betastete er mit der freien Hand seine Schläfe. »Du meinst, ich würde dir das wirklich noch auf die Nase binden?«

Ruda griff wieder nach der Waffe – und entsicherte sie. Die Drohung war deutlich. »Vier Schotte weiter«, erhielt sie zur Antwort. »Auf der rechten Seite.«

»Steh auf und geh vor uns her!«

Der junge Mann kam schwerfällig hoch und torkelte voraus, immer noch eine Hand auf der blutverkrusteten Beule. Ohne sich zu sträuben, öffnete er das Schott des Parsf-Tresors.

Ruda Northrup fiel auf, dass er sich mehrmals umblickte. »Du wartest auf Hilfe?«, fragte sie. »Die brauchst du nicht, wir planen nichts Böses. Ich wollte dir auch nicht wehtun, nur ging es leider nicht anders.«

»Lass die beiden gewähren!«, sagte Julian Tifflor. »Die Sache macht sich besser, als wir gehofft haben.«

Sie befanden sich mittlerweile in dem Labor, das Geoffry Waringer für seine Studien der feindlichen Roboter benutzte. In der Nähe des Ausgangs stand das Einsatzkommando – drei Männer und zwei Frauen –, das der Sicherheitsleiter in aller Eile zusammengestellt hatte.

Die Holoüberwachung zeigte, dass Ruda Northrup den Wachmann mit dessen eigener Waffe bedrohte. Er führte die Frauen zum Gefängnis der Parsf und öffnete das Schott. Das Bild sprang um auf die Innenüberwachung.

Was immer zwischen beiden Frauen und den Klong entstanden war, grenzte ans Wunderbare. Eine psionische Affinität verband womöglich die gestörten Bewusstseine der Psionikerinnen mit den kybernetischen Elementen der Roboter. In diese Überlegung ging als Voraussetzung ein, dass die Kybernetik der Klong psionische Komponenten enthielt.

Die kugelförmigen Roboter mit den Spinnenbeinen ordneten sich zur dichten Front, während das Innenschott aufglitt. Die Parsf waren mit denselben technischen Details ausgestattet wie die Klong, nur hatte alles eine andere Anordnung. Ihre Farbe war mattbraun; der leuchtende Heiligenschein umgab das untere Körperdrittel.

Ruda Northrup und Paoli Yveress zögerten, kaum dass sie den Raum betreten hatten. Einer der Parsf setzte sich in Bewegung und ging mit stelzenden Schritten auf sie zu. »Sprecht zu uns!«, bellte der Roboter auf Interkosmo. Wie bei den Klong hallte seine Stimme aus dem leuchtenden Ring. »Ich bin Yorl und habe den höchsten Rang in unserer Gruppe.«

»Yorl, mir ist, als würde ich dich seit Langem kennen«, sagte Ruda laut und kräftig. »Wir sind Freunde, nicht wahr?«

»Es ist so!«, antwortete Yorl. »Wir haben uns nicht getäuscht. Du sprichst den Befehlenden Kode.«

Auch Yveress schüttelte nun ihre Starre ab. »Ja, wir sprechen den Befehlenden Kode«, pflichtete sie bei. »Wir gehören zu den Beherrschenden.«

Wie schon die Klong hatten sich auch die Parsf von Ruda Northrup und Paoli Yveress nicht ohne Zustimmung der örtlichen Machthaber befreien lassen wollen. Beide Frauen waren, nachdem sie die Halle der Parsf verlassen hatten, in ihre Unterkünfte zurückgebracht worden. Reginald Bull sorgte dafür, dass sie lückenlos bewacht wurden. Er gönnte ihnen einige Stunden Schlaf, dann bat er sie zu einer Aussprache.

Als Hanse-Sprecher und Perry Rhodans Stellvertreter hatte Bull wichtigere Aufgaben zu erfüllen, als die zwei Frauen zu überwachen. Eigentlich hätte sich der interne Sicherheitsdienst mit allen positronischen Mitteln um Northrup und Yveress kümmern müssen. Aber manchmal – so sagte Bully allzu gern – musste ein Mann wie er einfach an der Basis arbeiten. Das half, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen. Und diese Perspektive hatte es diesmal in sich. Vom ersten Moment an, als Wachfunktion-11 und Ruda Northrup miteinander geredet hatten, nahm in seiner Vorstellung ein verwegener Plan Gestalt an.

Reginald Bull schlug seinen verbindlichsten und väterlichsten Tonfall an, als er Ruda und Paoli die bedrohlichen Aspekte ihres Verhaltens erklärte. Die Zerknirschung war beiden danach anzusehen. Ob ihre Emotionen echt waren, blieb dahingestellt. Ebenso, ob sie ein zweites Mal versuchen würden, die Roboter zu befreien. Ihr Verhalten, vermutete Bull, wurde durch einen psionischen Einfluss bestimmt, der sich während der Katastrophe von Shisha Rorvic in ihnen festgesetzt hatte.

Zu der Aussprache hatte er auch die beiden Psioniker der Vierergruppe hinzugezogen: Sidne Laventhol und Tschak Dimitr. Reginald Bull wollte ihnen ebenfalls ins Gewissen reden, bevor sie auf ähnlich verschrobene Gedanken kamen wie die Frauen. Laventhol war ein kleiner, schmächtiger Mann mit wieselflinken schwarzen Augen, die seinem Gesicht pfiffige Schläue verliehen. Dimitr war größer und hager. Er hatte das dunkelblonde Haar so kurz geschnitten, dass es seine abstehenden Ohren nicht verbarg. Zudem begegnete er der Welt mit permanent misstrauischem Gesichtsausdruck.

3.

Die Verhöre der Robot-Gefangenen verliefen überaus zufriedenstellend. Klong und Parsf reagierten auf die Anwesenheit der Psioniker von Shisha Rorvic, als hätten sie Majestäten vor sich. Soweit erkennbar, verschwiegen sie nichts, und ihre Aussagen entsprachen der Wahrheit, wie sich aus zahlreichen Kreuzkorrelationen zweifelsfrei ergab.

Das Schicksal einer uralten Zivilisation entfaltete sich vor den Zuhörern. Klong und Parsf gehörten zur Zehn-Völker-Familie der Schatt-Armarong, einer Roboterzivilisation, die in ferner Vergangenheit von einer hochentwickelten Kultur erschaffen worden war. Jene Herren waren eines Tags spurlos verschwunden, und seitdem betrachteten es die Schatt-Armarong als heilige Aufgabe, auf die Rückkehr ihrer Erschaffer zu warten.

Wegen Unruhen und Streitigkeiten waren Klong und Parsf irgendwann von den anderen ausgestoßen worden. Aus den Tiefen des Alls war schließlich ein Wesen zu ihnen gekommen, das den Befehlenden Kode besaß und sie in seine Dienste nahm. Der erste Auftrag lautete, einen von organischen Wesen bewohnten Planeten namens Terra zu zerschneiden, die Fragmente abzutransportieren und andernorts wieder zusammenzusetzen. Dieses Wesen – die Roboter sprachen von ihm als von der »Vollendeten Form« – konnte nur Vishna sein.

Sie berichteten darüber hinaus über Aufbau und Struktur ihrer fliegenden Gigantfestungen und über ihre Zivilisation. Sie machten kein Hehl daraus, dass Klong und Parsf einander weiterhin als Widersacher sahen und dass nur der Befehl der Vollendeten Form sie vorübergehend gemeinsam agieren ließ.

Die Verhöre zogen sich über Tage hin. Zum Abschluss fiel den Psionikern die Aufgabe zu, den Robotern klarzumachen, dass jeweils eines ihrer Völker Parsfon oder Klongheim nicht wiedersehen werde. Diese beiden mussten ihre Existenz opfern. Die Beherrschenden verlangten zu wissen, wie es in den Schatt-Armarong-Typen aussah. Paoli Yveress und Ruda Northrup sträubten sich. Tschak Dimitr äußerte ebenfalls Bedenken, deshalb blieb als Einziger Sidne Laventhol übrig. Er erklärte sich nach kurzem Zögern einverstanden.

Die Klong ebenso wie die Parsf nahmen die Forderung gelassen entgegen. »Wenn es der Wille dessen ist, der den Befehlenden Kode spricht, dann soll es so geschehen«, antworteten sie in nahezu identischem Wortlaut.

»Was hat er vor?«, wollte Julian Tifflor wissen.

Verwundert musterte Geoffry Abel Waringer den Ersten Terraner. »Bin ich ein Wahrsager?«, gab er zurück.

»Da braut sich einiges zusammen«, argwöhnte Tifflor. »Bully sieht Zusammenhänge, wo wir nur ein Durcheinander erkennen. Woher hat er seine Informationen?«

»Jedenfalls nicht von mir«, brummte Waringer. »Ich weiß selbst herzlich wenig. Die Psychophysiker arbeiten an dem Problem – vielleicht haben sie ihm etwas gesagt.«

Tifflor lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. Er hatte wichtigere Dinge mit dem Chefwissenschaftler der Hanse diskutieren wollen, das Thema Reginald Bull war zufällig auf die Tagesordnung geraten. »Der Fall enthält einige merkwürdige Aspekte«, sagte er nachdenklich.

»Tatsächlich?«, spottete Waringer.

»Als Ruda und Paoli die Halle der Klong betraten, kannten sie die Namen mehrerer Roboter schon, bevor sie ihnen genannt wurden.«

»Akustisch genannt«, verbesserte der Wissenschaftler den Ersten Terraner. »Es ist durchaus denkbar, dass zwischen den Robotern und den Psionikern ein mentaler Kontakt besteht.«

»Das setzt voraus, dass die Maschinenwesen über eine organische Komponente verfügen.«

»Organisch oder pseudo-organisch. Wir werden Einzelheiten erfahren, sobald die beiden Roboter ›seziert‹ wurden. Darüber und über andere Dinge.«

Die letzten beiden Worte betonte Waringer eigenartig. Tifflor horchte auf. »Andere?«, fasste er nach.

»Hast du dich noch nicht gefragt, wie verwirrt die Roboter sein müssen? Sie glauben, von einer intelligenten Spezies erschaffen worden zu sein, deren Mitglieder sie als Herren bezeichnen. Seit Jahrmillionen warten sie auf deren Rückkehr. Mit der Zeit erkennen sie, dass sie schon zufrieden sein müssen, wenn sie auch nur einen einzigen Herrn wiedersehen werden. Weitere Jahrhunderttausende vergehen. Die Klong und die Parsf werden aus der Familie der Schatt-Armarong ausgestoßen – auch das ist übrigens ein Name, den Ruda kannte, ehe sie ihn akustisch hörte. Klong und Parsf fliegen ziellos durchs All – und plötzlich ist da jemand, der den Befehlenden Kode besitzt. Der erwartete Herr, die Vollendete Form. Der Traum ist erfüllt. So scheint es zunächst. Aber einige der Roboter gelangen nach Terra, und hier laufen Inhaber des Befehlenden Kodes offenbar in größerer Zahl herum. Die Roboter sind scharfe Denker: zehn Millionen Jahre lang gar nichts, und plötzlich ein Stall voller Herren?«

»Wie reagieren sie darauf?«, fragte Tifflor.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Waringer. »Ich nehme allerdings zur Kenntnis, dass sie sich der Schwierigkeit bewusst sind. Ihre Semantik verrät es. Vishna ist die Vollendete Form, sie besitzt den Befehlenden Kode. Unsere Psioniker sind die Beherrschenden, sie sprechen den Befehlenden Kode. Weißt du, wie mir das vorkommt?«

»Wie?«

»Das Wort ›Herr‹ fällt nicht mehr. Die Roboter helfen sich mit Ersatzausdrücken; sie sind ihrer Sache nicht sicher. Sie erfinden ›Vollendete Form‹ und ›Beherrschende‹, ›besitzen‹ und ›sprechen‹ und schieben die Entscheidung vor sich her, bis sie sich Klarheit verschafft haben.«

»Wir haben also keineswegs schon gewonnen?«

»Gewonnen?« Geoffry Waringer schüttelte den Kopf. »Deinen Optimismus möchte ich haben, Tiff. Wir haben Vishna gegen uns, eine abtrünnige Kosmokratin! Also sollten wir beten, dass der momentane Zustand möglichst lang anhält.«

»Sag mir nicht, dass du die Lage wirklich für aussichtslos hältst.«

»Da ist noch etwas, Tiff. Denk an die zum Glück nur vorübergehenden Brüche des Zeitdamms während des Angriffs ...«

Julian Tifflor biss die Zähne zusammen: Vishnas Angriff, das Chaos auf der Erde und die über Shisha Rorvic hereingebrochene Katastrophe ... Waringer hatte ihn angerufen und von einem »Ding« berichtet, das den Zeitdamm durchstieß und die Erde erreichte. »Das Objekt, von dem du nicht erkennen konntest, woher es kam?«, fragte er. »Auch nicht, woraus es bestand und wo genau es niederging?«

»Genau das. Ich habe versucht, das Phänomen der Vakuumblitzentladungen zu analysieren. Viel war es nicht, was mir an Daten zur Verfügung stand, trotzdem konnte ich einige Rückschlüsse auf die Waffe ziehen, die beim Durchbruch gegen den Damm eingesetzt wurde. Erspar mir bitte lange technische Erklärungen. Ich rechnete den Vorgang durch, in dessen Verlauf das ›Ding‹ auf der Erde gelandet sein muss. Der Prozess selbst ist mir so unklar wie zuvor. Aber das Objekt wies ein gewisses Charakteristikum auf, das zu denken gibt. Alles unter der Voraussetzung, dass mein Modell richtig ist.«

»Soll ich raten?«, fragte Tifflor.

»Nicht nötig. Das Ding stammte womöglich aus der Zukunft. Gewisse Aspekte des Vorgangs lassen sich nur so erklären. Es gab eine klare Verletzung der Kausalität.«

»Schön und gut – nur: Was soll ich damit anfangen?«

»Dass etwas aus der Zukunft kam, ist ein Aspekt, der nur die Wissenschaft interessiert. Dass es überhaupt kam, müsste einen Strategen wie dich aber förmlich aufpeitschen.«

Julian Tifflor starrte vor sich hin. Sekunden später schüttelte er ratlos den Kopf. »Der Anlass zu ekstatischer Freude entgeht mir«, sagte er.

»Nehmen wir an, das Ding kam von Vishna!«, rief Waringer. »Warum schickt sie es auf die Erde? Damit sie uns vernichten kann! Dabei hat sie uns mit Klongheim, Parsfon und dem Vakuumblitzer ohnehin schon am Haken.«

»Warum ...?«, wiederholte Tifflor. »Entweder hat Vishna entgegen deiner Annahme nichts damit zu tun – oder sie traf Vorsorge für den Fall eines Fehlschlags mit den Robotern.«

Kurz nach dem Mittag zog Reginald Bull sich in sein Privatquartier zurück. Er brauchte noch einmal Zeit, um ungestört nachdenken zu können, machte es sich bequem und dämpfte die Beleuchtung. Erst nach einer Weile erreichte er die innere Ausgeglichenheit, die für das vor ihm liegende Problem nötig war.

Ich werde also den Verstand verlieren, sagte er zu sich selbst. Mir bleibt nichts anderes übrig. Die Lage ist so verfahren wie nie, und drastische Situationen erfordern ebenso drastische Reaktionen.

Es schien, als habe sich die Menschheit in einem Netz kosmischer Geschehnisse verfangen und die letzte Gelegenheit, sich daraus zu lösen, vor etlicher Zeit versäumt. Die jüngste Reihe erstaunlicher Entwicklungen hatte mit dem Erscheinen der unermesslich großen Raumflotte im Sektor des Frostrubins ihren Anfang genommen. Perry Rhodan war mit seiner 20.000 Einheiten zählenden Galaktischen Flotte zu jenem fernen Ziel aufgebrochen. Es gab keine Nachrichten mehr; womöglich war weitaus Schlimmeres als nur ein Ausfall der Funkstrecke eingetreten.

Die Hypothese, dass Seth-Apophis die Hand im Spiel gehabt haben müsse, hielt sich hartnäckig. Doch die feindliche Superintelligenz war nach Ernst Ellerts Angaben bewusstlos. Deshalb verhielt sie sich seit geraumer Zeit ruhig: Ihre Agenten wurden nicht aktiv, ihre gefährlichen Waffen schwiegen.

Hing das eine mit dem anderen zusammen? Es war müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Bully blieb nur eine vage Hoffnung, dass sich alles bald aufklären würde. Ohnehin ging die Bedrohung der Menschheit nicht nur von Seth-Apophis aus, sondern intensiver von Vishna. Bis vor wenigen Tagen hatte es so ausgesehen, als würde Terra untergehen. Dann war das Wunder geschehen. Jene, die bei der Katastrophe von Shisha Rorvic geistige Schäden erlitten hatten, bedeuteten nun womöglich die letzte Chance für die Menschheit, die tödliche Gefahr abzuwenden.

Sollte er diese Gelegenheit verstreichen lassen? Konnte er es überhaupt verantworten, seine Zeit mit Nachdenken zu vergeuden, obwohl jede Sekunde zählte?

Reginald Bull setzte sich auf. »Ich will Nam Daar sprechen!«, sagte er in den Raum hinein. »Sofort!«

»Mein Entschluss steht fest«, erklärte Bull. »Trotzdem kann ich ihn nicht ausführen, solange deine Analyse mir kein positives Signal gibt.«

Erek Nam Daar, ein hochgewachsener Ara, musterte ihn schweigend. Zweifellos gab es vieles, was der Psychophysiker hätte sagen können: »Welch ein Unsinn! Warum willst du dieses Risiko eingehen? Lass das jemand anderen übernehmen.« Aber Daar schwieg. Er sprach auch sonst nur, wenn es etwas von Belang zu sagen gab. Das war nur einer der Wesenszüge, die Reginald Bull an dem hageren Galaktischen Mediziner schätzte.

»Die Analyse ist positiv«, sagte Daar schließlich. »Trotzdem bestehen Einschränkungen.«

»Welcher Art?«

»Der Effekt lässt sich nur für begrenzte Zeit aufrechterhalten. Maximal dreißig Stunden.«

»Was geschieht danach?«

»Der Effekt erlischt. Ich werde es so einrichten.«

»Was, falls das nicht möglich wäre?«

»Das ist eine akademische Frage ...«

»Ich bin nicht auf den Kopf gefallen!«, brauste Bull auf. »Also ...?«

Daars dünnlippiger Mund verzog sich zu einem nachsichtigen Lächeln. »Nach dreißig Stunden würde der Effekt irreversibel. Es gäbe kein Zurück mehr.«

»Gut. Das müsste ich in Kauf nehmen.«

Erek Nam Daar schüttelte den Kopf. »Wenn du dich mit diesem Gedanken trägst, lass mich aus dem Spiel.«

Bull ging nicht darauf ein. Eine Weile blickte er vor sich hin, dann hob er den Kopf. »Lass alles vorbereiten, Erek! Du wirst zwei Personen präparieren müssen.«

Erst nachdem der Psychophysiker den Arbeitsraum verlassen hatte, setzte Bull sich mit dem Chef der Hanse-Sicherheit in Verbindung. Deighton schien seinen Anruf erwartet zu haben, die Anspannung war ihm jedenfalls anzusehen.

»Es ist so weit, Galbraith«, sagte Bull. »Wir haben grünes Licht.«

Deighton schürzte die Lippen. »Alle anderen Vorbereitungen sind abgeschlossen. Wir haben Namen und Kontaktadressen aller Verwandten der vier Psioniker. Ich bin sicher, dass sie unsere Einladung annehmen werden.«

Geraume Zeit später kehrte Reginald Bull in die Zentrale zurück. Dort empfing er Sassja Yin, die Kommandantin des TSUNAMI-82, der vor Kurzem den Zeitdamm durchflogen hatte und in Terrania gelandet war. Yin war nicht sonderlich groß, mitunter aufsässig, immer unkonventionell in ihrer Ausdrucksweise. Aber sie war eine geniale Navigatorin, und trotz ihres eher abweisenden Wesens gab es viele, die sich darum rissen, sie zur Vorgesetzten zu haben.

Sassja Yin erstattete Bericht. Demnach blieb es ruhig im Solsystem. Die Fahrzeugfragmente beider Robotervölker kreuzten im Bereich der äußeren Planetenbahnen, doch immer mehr von ihnen kehrten zu den Festungen Klongheim und Parsfon zurück. Beide Giganten hatten nur noch eine sehr geringe Restfahrt und würden binnen Kurzem zum relativen Stillstand kommen, auf Sol bezogen. Zusammenstöße zwischen Angreifern und Verteidigern hatte es während der letzten siebzig Stunden nicht gegeben.

»Ich erwarte, dass du einen Tag lang ausspannst«, sagte Bull, nachdem Yin ihren Bericht beendet hatte.

»Warum? Sehe ich müde aus?«

»Du wirst anschließend Fracht mitnehmen. Die Roboter müssen wieder nach draußen.«

Yin reagierte mit einem Aufschrei. Sie ballte die Hände zu Fäusten, und sekundenlang sah es aus, als wolle sie sich auf den Hanse-Sprecher stürzen. Dann entspannte sie sich. »Erst war die Sache derart brisant, dass zweiundvierzig Menschen dafür in den Tod geschickt wurden, und nun werden die Roboter sang- und klanglos wieder abgeschoben.«

4.

»Ziel ist es, Vishnas Macht über die Roboter zu brechen«, erklärte Reginald Bull seinen Zuhörern.

»... mithilfe von vier Menschen, die nach Aussage unserer Medoexperten geistig verwirrt sind«, fiel ihm Waringer mit ungewohntem Sarkasmus ins Wort.

»Sie sind nach wie vor in der Lage, logisch zu handeln«, widersprach Bull. »Wenigstens überwiegend. Sie verstehen die Situation und wissen, was wir von ihnen erwarten.«

»Sind sie schon informiert?«, rief Julian Tifflor.

»Ich habe mit ihnen gesprochen, habe ihnen die Gefahren geschildert und ihnen klargemacht, dass sie unsere einzige Hoffnung sind. Alle vier sind bereit, mit den freigelassenen Robotern nach Klongheim und Parsfon zu fliegen.«

»Ihr Einverständnis wird vor keinem Gericht Bestand haben«, widersprach Waringer.

»Wir haben die Zustimmung des jeweiligen Vormunds.« Bull seufzte. »Die Zeit drängt. Mein Plan ist so sicher, wie es die Umstände erlauben. Keine Sorge, das ist nicht mein persönliches Urteil, sondern das von NATHAN. Ich habe nur die Vorbereitungen getroffen.«

Waringer schaute Galbraith Deighton eindringlich an. »Was sagst du dazu? Vier geistig behinderte Menschen sollen auf eine Selbstmordmission geschickt werden, und du äußerst dich nicht dazu?«

Deighton winkte ab. »Ich stecke bis zum Hals in den Vorbereitungen mit drin. Hast du nicht gehört, dass Bully sagte ›Wir haben ...‹?«

Der Wissenschaftler schüttelte entgeistert den Kopf. »Du also auch? Seid ihr beide verrückt geworden?«

»Lass Bully alles erklären«, bat Tifflor. »Ich ahne, da kommt noch einiges. Was tun unsere Leute, sobald sie die Gigantfahrzeuge erreichen und von den Robotern dort ebenso ehrfurchtsvoll behandelt werden wie von unseren Gefangenen?«

»Sie versuchen, die zentrale Steuereinheit zu finden«, antwortete Reginald Bull bereitwillig. »Aus den Informationen, die uns mittlerweile vorliegen, geht hervor, dass Vishna sich bei ihrem bisher einzigen Besuch an den Steuereinheiten zu schaffen machte. Ich vermute, dass sie eine Programmierung vornahm, die die Roboter zwingt, Vishnas Anweisungen zu befolgen.«

»Unsere Leute sollen die Manipulation rückgängig machen?«, fragte Waringer. »Das traust du ihnen zu?«

»Nicht ohne Weiteres. Ihre technische Erfahrung ist gering. Ruda Northrup zum Beispiel hat gar keine. Mitunter fällt es ihr sogar schwer, einem Servo das richtige Wort zuzurufen, nur damit er das Licht einschaltet.«

Geoffry Waringer wirkte verwirrt. »Du argumentierst gegen deinen eigenen Plan. Das ist dir schon klar, oder?«

»Ruda und Tschak, Paoli und Sidne werden das Unternehmen selbstverständlich nicht unbeaufsichtigt durchführen.«

»Es gibt demnach Aufseher? Wer sind sie?«

»Galbraith und ich!«

Sekundenlang herrschte Stille. Julian Tifflor und Geoffry Waringer brauchten Zeit, das Gehörte zu verdauen. »Wie wollt ihr nach Klongheim und Parsfon gelangen?«, fragte der Erste Terraner endlich. »In Koffern versteckt? Oder als Frachtgut verkleidet? Die Roboter drehen euch den Hals um, sobald sie euch erkennen.«

»Das ist nicht zu befürchten«, widersprach Bull. »Sie werden uns ebenso willkommen heißen wie die anderen.«

»Aber wie ...? Ich meine ...«

»Galbraith und ich reisen ebenfalls als geistig Behinderte. Oder sieht da jemand ein Problem?«

Erek Nam Daar ließ keinen Zweifel daran, dass er das Vorhaben für verrückt hielt. Er machte jedoch ebenso unzweideutig klar, dass die psychophysischen Voraussetzungen für die Durchführung des Unternehmens gegeben waren. »Ich kann jedes geeignete menschliche Gehirn so manipulieren, dass seine Mentalcharakteristika denen der vier beeinträchtigten Psioniker entsprechen. Die Klong und Parsf wären dann außerstande, einen präparierten von einem tatsächlich Kranken zu unterscheiden – es sei denn, ihre Nachweismethoden beruhten auf einem uns unbekannten Prinzip.«

»Worüber wir uns selbstverständlich vorher Gewissheit verschaffen«, ergänzte Reginald Bull. »Wir brechen erst auf, wenn feststeht, dass die Roboter auf Galbraith und mich ebenso reagieren wie auf die vier Psioniker.«

Tifflor rieb sich mit beiden Händen den Nacken. Die Zweifel waren ihm anzusehen. »Reginald Bull, ein Geistesgestörter«, sagte er zögernd. »Du wirst genauso hilflos sein wie die Psioniker.«

»Nein, das wird er nicht«, widersprach der Ara. »Er bekommt einen posthypnotischen Block, der ihm jede Einzelheit seiner Aufgabe verdeutlicht und ihn gewissermaßen auf dem richtigen Kurs hält. Dasselbe gilt selbstverständlich für Galbraith Deighton.«

Waringer schüttelte den Kopf. »Die Sache gefällt mir trotzdem nicht. Der Effekt der Behandlung ist zeitlich begrenzt, sagtest du?«

»Auf dreißig Stunden«, bestätigte Erek Nam Daar. »Darüber hinaus bestünde die Gefahr, dass die geistige Behinderung dauerhaft erhalten bliebe.«

»Was geschieht, falls die dreißig Stunden für die gestellte Aufgabe nicht ausreichen?«

»Ich bin Psychophysiker, kein Stratege«, meinte der Ara leichthin.

»Das ist einer der Gründe, weshalb wir die Psioniker mitnehmen«, erklärte Bull. »Galbraith und ich werden wieder normal, aber sie bleiben beeinträchtigt. Es ist ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Roboter nicht über uns herfallen.«

»Ihr wollt also die zentralen Steuereinheiten zerstören«, resümierte Tifflor. »Wird das die Roboter nicht davon überzeugen, dass ihr zwar den Befehlenden Kode sprecht, aber keineswegs erwünschte Beherrschende seid?«

Bull zuckte mit den Schultern. »Das müssen wir abwarten.«

»Und die Rückkehr?«, drängte Waringer. »Enthält dein schlaues Vorhaben einen Mechanismus, der dafür sorgt, dass ihr euch von Parsfon und Klongheim wieder absetzen könnt?«

»Das lass dir von Galbraith erklären. Der Fluchtplan war sein Metier.«

»Wir reisen mit Gepäck«, erläuterte Galbraith Deighton. »Das werden wir den Klong und den Parsf plausibel erklären können. Bully übernimmt Klongheim, mir fällt Parsfon zu. Zu unserem Gepäck gehören je ein Kleintransmitter und ein Hyperfunkgerät. Zwei TSUNAMIS haben den Auftrag, im Vorfeld der beiden Gigant-Festungen auf unser Signal zu warten. Sobald wir senden, kommen die Schiffe näher, notfalls im Schutz des Antitemporalen Gezeitenfelds. Sie haben ebenfalls Transmitter an Bord. Sobald die TSUNAMIS erscheinen, wechseln wir über.«

Waringer rieb sich den Nasenrücken. »Den Umständen entsprechend habt ihr einige Aussicht auf Erfolg. Nur eins verstehe ich bislang nicht: Unter welchem Vorwand wollt ihr euch den Robotern nähern?«

»Ich glaube nicht, dass wir einen Vorwand brauchen«, antwortete Bull. »Wenn die Mehrzahl der Klong und Parsf erwartungsgemäß auf uns reagiert, werden sie von sich aus wünschen, dass wir zu ihnen kommen. Wir tun das selbstverständlich in der hehren Absicht, ihnen die seit Langem ersehnte Erfüllung ihrer Existenz zu bringen. Wir sind die Herren ihrer Zivilisation.«

Es war ein seltsames Gefühl. Reginald Bull horchte in sich hinein und stellte fest, dass er frei von Problemen und Sorgen war. Ihm war so leicht zumute wie lange nicht. Die Welt war in Ordnung.

Vorsicht, mahnte eine innere Stimme. Lass dir nichts weismachen.

Später würde er die Stimme sein synthetisches Gewissen nennen. Im Augenblick hörte er sie zum ersten Mal. Sie machte ihn ärgerlich, weil sie das Hochgefühl störte, das er empfunden hatte.

Das weiß ich, sagte die Stimme. Aber du bist nicht präpariert, damit du euphorisch wirst. Du hast eine Aufgabe zu erledigen. Setz dich hin und schreib deinen Namen!

Es ärgerte ihn zwar, doch er gehorchte. Er setzte sich an den Tisch, griff nach einem Stück Folie und einem Stift und schrieb: Reginald Bull.

Gut so, lobte die Stimme. Nur damit du weißt, dass ich dich jederzeit aus deinem Wahn reißen kann.

Er schleuderte den Stift von sich. Seine blendende Stimmung war verflogen, denn mit einem Mal erinnerte er sich: Die Behandlung war abgeschlossen; Erek Nam Daar hatte ihn zu einem Geistesgestörten gemacht. Er sah sich um. Es kostete ihn Mühe, den Raum zu erkennen, in dem er sich aufhielt. Erst nach einer Weile entsann er sich, dass er früher schon hier gewesen war. Der Raum gehörte zum Hauptquartier der Kosmischen Hanse. Es war einer der Besprechungsräume in der Nähe der Zentrale.

Worauf wartete er?

»Der Parsf Xal kann vorgeführt werden. Soll der Roboter eintreten?«, erklang es wie aus dem Nichts von dem kleinen Sichtschirm an der Wand. Das ist der Interkom, du erinnerst dich?

Bull nickte knapp. Der Parsf Xal! Ein Gefühl der Vertrautheit und des Wohlbehagens überkam ihn, kaum dass er den Namen hörte. War Xal nicht sein Freund? Vorsicht!, warnte die Stimme zum zweiten Mal.

»Xal soll eintreten!«, knurrte er.

Die Tür öffnete sich. Auf dürren Spinnenbeinen stakte der Parsf in den Raum. Der schwebende Leuchtring flackerte. »Ich spüre den Befehlenden Kode«, bellte die Stimme des Roboters. »Du bist einer der Beherrschenden.«

»Das bin ich«, bestätigte Reginald Bull. »Ich habe dich gerufen, damit wir über eure Rückkehr nach Parsfon sprechen können.«

An dieser Stelle hätte der Parsf einwenden müssen, dass es richtiger sei, derart wichtige Dinge mit Yorl zu klären, der den höchsten Rang einnahm. Dass Xal nicht protestierte, bewies die Wirksamkeit des Befehlenden Kodes. Xal hielt es nicht für möglich, dass ein Beherrschender sich irrte. »Die örtlichen Machthaber haben ihre Zustimmung erteilt?«, fragte er.

Das war die zweite Bestätigung. Xal erkannte sein Gegenüber nicht als einen der Machthaber, obwohl er ihm schon begegnet war. Der Befehlende Kode neutralisierte die Erinnerung.

»Ich habe sie dazu überredet«, antwortete Bull. »Wann ist eine günstige Zeit für euren Aufbruch?«

»Unseren Aufbruch?«, wiederholte Xal. »Alle Parsf gehen davon aus, dass die Beherrschenden uns begleiten werden.«

»Das haben wir vor. Drei von uns gehen mit den Parsf, drei mit den Klong.«

Xal widersprach auch diesmal nicht, obwohl er der Meinung sein musste, die Klong seien der Nähe eines Beherrschenden nicht würdig. »Es ist lange her, seit zuletzt Kontakt zwischen euch und den Besitzern des Befehlenden Kodes bestand«, fuhr Bull fort. »Wir können diesen Planeten nur an Bord eines terranischen Fahrzeugs verlassen. Wie wird sich die Annäherung an Parsfon gestalten?«

»Es befinden sich etliche unserer Fahrzeuge in diesem Sonnensystem«, antwortete der Roboter. »Wir fliegen eines von ihnen an. Wenn Yorl die Verständigung übernimmt, gibt es keine Schwierigkeiten. Die Terraner müssen sich sofort zurückziehen, nachdem wir an Bord des Fahrzeugs gegangen sind. Anschließend nehmen wir Verbindung mit Parsfon auf und verständigen den Rat der Familienoberhäupter. Das ist alles.«

»Gut. Du kannst gehen. Teile allen Parsf mit, dass der Aufbruch während der nächsten fünf Stunden erfolgen wird. Du weißt, was eine Stunde ist?«

»Als ich die Sprache der Terraner lernte, musste ich auch ihre Zeit- und Längenbegriffe verstehen. Darf ich dir eine Frage stellen, Beherrschender?«

»Du darfst.«

»Wir waren bei der Gefangennahme weitaus mehr, als wir jetzt sind. Über hundert Parsf werden auf dem Himmelskörper Titan festgehalten. Werden sie ebenfalls nach Parsfon zurückkehren?«

»Nicht mit uns«, antwortete Reginald Bull. »Aber sie werden uns in Kürze folgen. Das habe ich bei den Befehlshabern der Terraner bewirkt.«

Gut gemacht, lobte das synthetische Gewissen.

Der TS-82 raste durch den undefinierten Raum eine bis zwei Sekunden in der Zukunft, in den ihn das Mini-ATG versetzt hatte.

»ATG-Phase erfolgreich beendet!«, meldete der Pilot.

Eine Frauenstimme antwortete: »Ortung! Ein Fahrzeug der Parsf im Bereich der Uranusbahn.«

»Kurskorrektur eingeleitet«, bestätigte der Autopilot.

Aus dem Nebel undeutlicher, halb bewusster Gedanken schälte sich für Reginald Bull ein neues Bild. Zuerst glaubte er, dass er die Erscheinung nur im Geist wahrnahm, gleich darauf wurde ihm deutlich, dass es sich um etwas Reales handelte. Galbraith Deighton hatte den Parsf namens Yorl aus dem Laderaum geholt, in dem die Roboter untergebracht waren. Im Hintergrund warteten Ruda Northrup und Tschak Dimitr.

Die Holos zeigten den unregelmäßigen Umriss eines mehrere Hundert Kilometer langen Raumfahrzeugs: ein Schiff der Parsf, ein Fragment der Riesenstruktur Parsfon. Yorl trat vor das eigens für die Roboter konstruierte Kommunikationsgerät. Es reagierte auf die Ausstrahlung des Roboters und generierte eine Hyperfunksendung im Informationskode der Parsf. Das angeschlossene Holo zeigte Sende- und Empfangstext in Interkosmo.

»Yorl ruft Parsf-Einheit.«

»Parsf-Einheit, Terpo. Bist du einer der unseren, die von den Fremden gefangen wurden?«

Reginald Bull wurde aufmerksam. Der Kontakt war hergestellt. Terpo – ein Name ebenso wie eine Funktionsbezeichnung – war der erste Adjutant des Familienoberhaupts Amo.

»Ich war einer der Gefangenen«, bestätigte Yorl. »Nun bin ich frei und bringe gute Nachrichten.«

Augenblicklich kam die misstrauische Reaktion: »Du sprichst langsam. Stehst du unter fremdem Einfluss?«

Die Kommunikation zwischen den Robotern hätte sich millionenfach schneller abwickeln lassen. Galbraith Deighton hatte Yorl befohlen, das Tempo zu drosseln, damit der Text der Informationen in Realzeit mitgelesen werden konnte.

»Ich handle so aus Ehrerbietung den Beherrschenden gegenüber«, erklärte Yorl. »Sie sind organisch und brauchen Zeit, um das Gesagte zu verstehen.«

»Beherrschende? Du bist Sprechern des Befehlenden Kodes begegnet?«

»Sie sind hier bei mir und wollen uns nach Parsfon begleiten.«

»Das erfüllt das Schema des Plans – falls du deiner Sache sicher bist.«

»Wie könnte ich den Befehlenden Kode missverstehen?«, fragte Yorl.

»Bring die Beherrschenden zu uns, damit wir mit ihnen nach Parsfon fliegen.«

»Wir befinden uns an Bord eines Fahrzeugs der Fremden«, erwiderte Yorl. »Der Kommandant erwartet freies Geleit.«

»Er hat meine Zusicherung.«

»Es ist gut, Yorl«, bemerkte Galbraith Deighton. »Sag Terpo, dass wir kommen.«

Eine halbe Stunde später ging der TS-82 längsseits des Parsf-Raumschiffs. Wie eine gigantische Bergflanke ragte es vor dem winzigen TSUNAMI auf.

Reginald Bull überblickte die Situation. Zeitweise ließ ihn das Gefühl unerklärlicher Leichtigkeit euphorisch reagieren, und wahrscheinlich deshalb bedauerte er, dass er sich von den spinnenbeinigen Parsf trennen musste. Ihm war, als verabschiede er sich von einer Schar guter Freunde in der Gewissheit, dass er sie nie wiedersehen werde.

Er klopfte Deighton auf die Schulter. »Hals- und Beinbruch, alter Freund«, sagte er über Helmfunk. Sie hatten die SERUNS schon geschlossen.

Augenblicke später öffnete sich das äußere Schleusenschott. Die Parsf mit den drei Beherrschenden verließen den TSUNAMI.

Sassja Yin beschleunigte. Sie hielt es nicht für klug, länger als unbedingt nötig in der Nähe der Gegner zu bleiben. Acht Lichtminuten entfernt ging sie mit dem TSUNAMI auf Warteposition. Zwanzig Minuten später kam Galbraith Deightons Meldung über Hyperfunk: »Die Beherrschenden haben sich etabliert.«

Reginald Bull fühlte sich erleichtert. Entspann dich noch ein paar Sekunden, als Nächster bist du an der Reihe,