Perry Rhodan 172: Kurier nach Tarkan (Silberband) - Perry Rhodan - E-Book

Perry Rhodan 172: Kurier nach Tarkan (Silberband) E-Book

Perry Rhodan

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Beschreibung

In der Milchstraße spitzt sich der Konflikt mit den feindlichen Hauri zu, die aus dem Universum Tarkan heraus angreifen. Während der Kämpfe stoßen Raumfahrer auf den gut versteckten Stützpunkt der Hauri: Mit dieser Anlage können anscheinend Sonne und Planeten in einem nie gekannten Ausmaß »geraubt« werden. Nach dieser Entdeckung weiß Reginald Bull, dass er unbedingt nach Tarkan vorstoßen muss. Dort ist seit einiger Zeit bekanntlich Perry Rhodan verschollen. Eine erste Expedition unter Leitung des Arkoniden Atlan konnte Rhodan nicht zurückholen. Mit seinem neuen Raumschiff, der CIMARRON, macht sich Bull nun auf. Er will den Wall zwischen den Universen überwinden und in das Gebiet der Hauri eindringen …

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Seitenzahl: 536

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Nr. 172

 

Kurier nach Tarkan

 

 

 

Heinrich Bauer Verlag KG, Hamburg

 

Cover

Klappentext

1. Einsickerung

2. Auf Erkundung

3. In Feindesland

4. Die Materiewippe

5. Raumstation Urian

6. Yillipapp

7. Der Hexenmeister

8. Ooghs Vision

9. Signale der Vollendung

10. Der Geheimnisvolle

11. Eirenes Sorgen

12. Katz und Maus

13. Sprung nach Tarkan

14. Treffpunkt Y-Gate

15. Das verborgene System

16. Kommandosache Alapa

17. Träger des Schlüssels

18. Gefährliche Experimente

19. Botschaft aus der Heimat

Nachwort

Zeittafel

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

In der Milchstraße spitzt sich der Konflikt mit den feindlichen Hauri zu, die aus dem Universum Tarkan heraus angreifen. Wäh-rend der Kämpfe stoßen Raumfahrer auf den gut versteckten Stütz-punkt der Hauri: Mit dieser Anlage können anscheinend Sonne und Planeten in einem nie gekannten Ausmaß »geraubt« werden.

 

Nach dieser Entdeckung weiß Reginald Bull, dass er unbedingt nach Tarkan vorstoßen muss. Dort ist seit einiger Zeit bekanntlich Perry Rhodan verschollen. Eine erste Expedition unter Leitung des Arkoniden Atlan konnte Rhodan nicht zurückholen.

 

Mit seinem neuen Raumschiff, der CIMARRON, macht sich Bull nun auf. Er will den Wall zwischen den Universen überwinden und in das Gebiet der Hauri eindringen ...

1. Einsickerung

 

In einem Gestell, das einer Wiege glich, lag ein metallenes Ei. Das Ei war der Körperkern eines Roboters vom Typ Vario-500. Dieser besondere Vario ließ sich, wenn er die entsprechende Körpermaske trug, mit »kaiserliche Majestät« anreden und gab zu verstehen, dass er seine Ansprüche auf den Thron von Olymp keineswegs aufgegeben habe. Sein Name war, wenn er diese Maske trug, Anson Argyris.

Im Augenblick ging es jedoch nicht um den olympischen Kaiserthron, sondern darum, dass das Ei die richtige Position im Gestell einnahm, damit dessen Dutzende von Sensorpunkten genau unter den Emissionskontakten des Körperkerns zu liegen kamen. Die Wiege war ein robotisches Gerät. Aus der Außenwand wuchsen zahlreiche tentakelgleiche Greif- und Manipuliereinheiten. Mit diesen rückte die Wiege den metallenen Robotkörper hin und her, bis schließlich aus einem Audioservo, der dicht unter der Decke des arg sachlich ausgestatteten Raumes schwebte, die Meldung kam: »Kontakt einhundert Prozent. Körper in dieser Haltung bewahren.«

Die bisher so beweglichen Tentakel schienen einzufrieren. Von den Sensorpunkten über die Emissionskontakte flossen Computerbefehle ins Innere des Vario-500. Die Befehle veranlassten ihn, den Inhalt seiner Speicher bloßzulegen. Der Syntron, mit dem die Sensorpunkte in Verbindung standen, fertigte binnen weniger Sekunden eine Kopie sämtlicher Inhalte an.

Zwei Menschen waren dem an sich wenig aufregenden Vorgang mit wacher Aufmerksamkeit gefolgt. In den vergangenen Minuten war kein Wort gesprochen worden. Nun sagte Nikki Frickel: »Er wird uns übel nehmen, dass wir ihn seine Daten nicht selbst haben auswerten lassen.«

»Er hat zweifellos die Fähigkeit, uns etwas übel zu nehmen«, kommentierte Reginald Bull. »Aber er wird einsehen, dass wir mit einem eigens auf solche Dinge getrimmten Syntron schneller zurechtkommen, als wenn wir ihn die Analyse selbst hätten anfertigen lassen.«

Nikki Frickel bedachte ihren Nachbarn mit einem merkwürdigen Blick. Sie war eine hochgewachsene, schlanke Frau, 73 Jahre alt – »eine Frau in den allerbesten Jahren«, pflegte sie von sich zu sagen; und das war keine Selbstschmeichelei, wenn man bedachte, dass die durchschnittliche Lebenserwartung des Menschen bei rund 200 Jahren lag. Sie besaß eine subtile Attraktivität. »Du machst mir einen etwas zu sachlichen Eindruck«, sagte sie. »Die Sache bereitet dir Sorgen.«

Reginald Bulls äußere Erscheinung hatte sich, seitdem der Alterungsprozess im Jahr 1976 alter Zeitrechnung durch die erste Zelldusche angehalten worden war, nicht nennenswert verändert. Er wirkte nach wie vor wie ein sorgenfreier 38-jähriger Mann. Wer indes dem Blick der hellblauen Augen begegnete, erkannte, dass er einen Weisen vor sich hatte. Reginald Bull war 2096 Jahre alt. Mehr als zwei Jahrtausende Lebenserfahrung hatten ihre untilgbaren Spuren hinterlassen.

»Natürlich macht sie mir Sorgen«, gab er zurück, ohne den Blick von dem metallenen Ei zu wenden. »Irgendwo gibt es eine Materiewippe, mit der die Hauri am 30. November die gesamte Galaxis Pinwheel nach Tarkan zu verfrachten gedenken. Was geschieht, wenn wir sie nicht rechtzeitig finden?«

»Heute haben wir den 7. Oktober«, antwortete Nikki Frickel. »Es bleiben uns fast zwei Monate bis zum kritischen Tag. In der Zwischenzeit ...«

Sie wurde unterbrochen. Der Syntron meldete sich zu Wort. »Es gibt einen Speicherbereich, der, nach der Struktur der Daten zu urteilen, einen Wust von Koordinaten enthält«, sagte die synthetische, aber wohlmodulierte Stimme. »Die Entschlüsselung wird allerdings einige Zeit dauern.«

Bull stand auf. »Melde dich bei mir, wenn du die ersten Ergebnisse hast!«

 

Es dauerte über fünf Stunden, und als der Syntron sich endlich meldete, lag Reginald Bull in tiefem Schlaf. Mit ein paar deftigen Flüchen schwang er sich aus dem aeroelastischen Bett, brachte die Funktionen des müden Körpers durch eine kalte Dusche in Schwung und war wenige Minuten später auf dem Weg zum Computerlabor. Unter dem Eingang traf er mit Nikki Frickel zusammen.

Gemeinsam betraten sie den kahlen, hell erleuchteten Raum des Computerlabors. Die Wiege stand nicht mehr da. Der metallene Körper des Vario-500 war entfernt worden.

»Ich habe versucht«, erklärte die Stimme des Syntrons, »die gefundenen Koordinatengruppen in der Reihenfolge der Wahrscheinlichkeit zu sortieren, mit der sie den gesuchten Ort bezeichnen: den Standort der haurischen Materiewippe. Eine der Koordinatengruppen bezieht sich mit einer Wahrscheinlichkeit von knapp achtzig Prozent darauf.«

Reginald Bull nickte. »Welchen Punkt bezeichnet die Koordinatengruppe?«, wollte er wissen.

»Hier beginnt das Problem«, antwortete der Computer. »Sie bezeichnet nicht einen Punkt, sondern einen Raumsektor. Innerhalb dieses Raumsektors befindet sich der Kugelsternhaufen Marty-5, im Halo der Galaxis Pinwheel.«

Bull pfiff zwischen den Zähnen hindurch. »Ein Kugelsternhaufen, wie?«, sagte er und machte dazu ein Gesicht, als hätte er in einen faulen Apfel gebissen. »Groß?«

»Von durchschnittlicher Größe«, lautete die Antwort. »Der Sternhaufen besteht aus ungefähr zweihunderttausend bis zweihundertfünfzigtausend Sonnen.«

Reginald Bull stieß prustend die Luft aus. »Genauer lässt sich die Lage der Wippe nicht definieren?«, fragte er.

»Nicht anhand der Daten, die der Vario mitgebracht hat«, antwortete der Syntron. »Es gibt nur einen Namen, der sich wahrscheinlich auf einen Planeten bezieht, auf dem die Materiewippe stationiert ist: Ashkalu.«

Der Terraner fuhr sich mit der Hand über das kurz geschorene Haar. »Ashkalu«, murmelte er, »ein Planet unter zweihunderttausend Sonnen.«

 

Der kleine Besprechungsraum lag abseits der weitläufigen Kommandozentrale der BASIS. Der Vario-500 trug die Körpermaske des Kaisers von Olymp. Waylon Javier hatte seine modischen Neigungen nicht geändert und sah in Rollkragenpullover und schmuddeligem Arbeitskittel aus wie ein Automechaniker längst vergangener Zeiten. Galbraith Deighton war ganz Geschäftsmann: dunkelgraue, gestreifte Weste, weit geschnittene Hose aus dem gleichen Material, unter der Weste ein am Hals offenes, fliederfarbenes Hemd mit großem Schalkragen. Nikki Frickel präsentierte sich in einem kostümähnlichen Gewand, das eng am Körper anlag. Reginald Bull hatte die lindgrüne Flottenkombination angelegt, wie man es von ihm gewohnt war.

»Ich habe nicht die Absicht, unter mehr als zweihunderttausend Sonnen nach einem bestimmten Planeten zu suchen«, erklärte er. »Das wäre ein nutzloses Unterfangen, denn es bleiben uns nur siebeneinhalb Wochen.«

»Ich halte es für möglich«, bemerkte Anson Argyris, »dass die Station, von der die Rede ist, eine charakteristische Art von Strahlung von sich gibt, die leicht registriert werden kann. Damit böte sich uns vielleicht eine Möglichkeit, die Materiewippe schneller zu finden.«

»Zu riskant«, wies Reginald Bull den Vorschlag zurück. »Wenn die Hauri ihrer Sache sicher sind, aktivieren sie die Wippe erst wenige Stunden vor dem kritischen Ereignis. Dann ist es für uns zu spät.«

»Der Pinwheel Information Group sind mehr als ein Dutzend Hauri-Stützpunkte in M 33 bekannt«, sagte Galbraith Deighton mit einem Seitenblick auf Nikki Frickel. »Man könnte sich einen dieser Stützpunkte vornehmen und die Hauri zur Herausgabe der Detailkoordinaten des Planeten Ashkalu zwingen.«

»Zwingen? Wie?«, fragte Bull irritiert. »Die Burschen sind geborene Märtyrer. Der Tod im Dienst der Sache befördert sie geradewegs in Heptamers Paradies.«

Waylon Javier hatte sich nach vorne gebeugt und den Kopf in die Hand gestützt. In dieser Haltung sah er zu Reginald Bull auf. »Bevor auch ich einen Vorschlag mache, den du mit kühner Handbewegung in den Papierkorb relegierst«, sagte er, »lass mich dich fragen, ob du vielleicht eine Idee hast.«

»Man muss die Hauri aus der Reserve locken«, antwortete Bull. »Man muss dafür sorgen, dass sie den Standort der Wippe von sich aus verraten.«

»Aha!«, machte Waylon Javier. »So einfach hätte ich mir die Sache gar nicht vorgestellt.«

»Mach keine Witze«, warnte Nikki Frickel. »Seine Idee ist wirklich gut.«

»Er hat also tatsächlich eine?«, staunte Javier. »Ich wollte, er ließe uns endlich an seinen Geistesblitzen teilhaben.«

Bull war unerschütterlich. »Wir empfinden die haurische Technik als hoch entwickelt«, sagte er. »Aber wir wissen, dass die Hauri uns in zumindest einem Aspekt unterlegen sind. Sie beziehen wie wir Energie aus Kontinua, die mit niedrigerer Entropie ausgestattet sind als das unsere. Ihre Zapftechnik reicht nicht an das Hypertrop-Prinzip heran. Deswegen sind die Hauri hinter unseren Anlagen her wie der Teufel hinter der armen Seele. Das ist des Öfteren beobachtet worden, zuerst auf der Pinwheel-Außenwelt Finisterre.«

»Was hast du vor?«, fragte Waylon Javier. »Willst du den Hauri einen Hypertrop zum Kauf anbieten?«

»Nein. Ich will ihnen einen so dicht an der Nase vorbeiführen, dass sie gar keine andere Wahl haben, als zuzugreifen.«

»Das wirst du uns erklären«, vermutete Galbraith Deighton.

»Natürlich!«, feixte Reginald Bull. »Deswegen habe ich diese Besprechung einberufen.«

 

Am 9. Oktober 447 ging auf der am Rand der Milchstraße im Sektor Rho-15 Trianguli stationierten Hyperfunkstation Pinwheel-Beta die folgende Nachricht über Relaiskette ein:

»Die Verwaltung des Planeten Melanche, Bereich Ardustaar Nord, spricht zu den Freunden der Kartanin in der Galaxis Sayaaron. Diese Sendung erfolgt im Auftrag und mit Billigung der Hohen Frauen von Kartan.

Die Energieversorgung der Siedlerwelt ist aufgrund einer Serie von Naturkatastrophen zusammengebrochen. Sie auf konventionelle Weise wiederaufzubauen, erfordert Zeit, und die Siedler müssten Monate hindurch unvorstellbare Not leiden.

Wir wissen, dass unsere Freunde in Sayaaron wesentlich fortschrittlichere Mittel der Energiebeschaffung besitzen als das Volk der Kartanin. Wir bitten um Hilfe. Wenn nicht binnen fünfzehn Kartan-Tagen Abhilfe geschaffen werden kann, werden die, die bis dahin überleben, keine andere Wahl haben, als Melanche zu räumen.«

Die Hyperfunkstation Pinwheel-Beta war ein Werkzeug der intergalaktischen Kommunikation. Man empfing dort Nachrichten und leitete sie weiter. Da die Botschaft generell an »die Freunde in der Galaxis Sayaaron« gerichtet war, schickte man sie an den Sitz des Galaktikums. Einer der Kommunikationsspezialisten besaß allerdings einen weiteren Denkhorizont als seine Kollegen. Vielleicht lag es gar daran, dass er von dritter Seite Instruktionen erhalten hatte. Auf jeden Fall fertigte er eine Kopie der Nachricht von Melanche an und expedierte diese über Prioritätskanal nach Terrania.

Es vergingen keine zwei Stunden, da hatte besagter Kommunikationsspezialist die Freude, zu erleben, wie aus Terrania ein Hyperfunkspruch eintraf, der zur Weiterleitung nach Pinwheel, Bereich Ardustaar Nord, Planet Melanche codifiziert war und folgenden Inhalt hatte: »An die Verwaltung der Siedlerwelt Melanche. Hier sprechen die Freunde aus Sayaaron. Hilfe ist unterwegs.«

Diesem Spruch folgte im Abstand von wenigen Minuten ein zweiter. »HQ-Hanse an Kosmischen Basar ROSTOCK. Kopie Hilferuf von Siedlerwelt Melanche in Pinwheel anbei. Aus den Beständen des Basars ist sofort eine Hypertrop-Zapfstation mit einer Minimalleistung von zweihundert Terawatt auf den Weg zu bringen. Der Transport ist von geeignetem Personal zu begleiten. Die Installierung der Station muss unverzüglich vorgenommen werden.«

Daran schloss sich an, was die Kartanin von Melanche gefunkt hatten. Es würde die Verantwortlichen an Bord der ROSTOCK in der gewünschten Weise beeindrucken. Der Kosmische Basar stand etliche Lichtjahre von der BASIS entfernt, in unmittelbarer Nähe des Strangeness-Walls der Fremdgalaxis Hangay. Für die Verbindung mit BASIS und ROSTOCK war eine gesonderte Relaiskette eingerichtet worden.

Der Kommunikationsspezialist sorgte dafür, dass die Nachrichten auf dem schnellsten Weg weiterbefördert wurden.

 

Reginald Bull wirkte müde, als er durch die Schleusenöffnung des Einmannjets glitt. Das Fahrzeug war vor anderthalb Minuten durch die Hangarschleuse hereingekommen. Der Helm an Bulls SERUN löste sich selbsttätig, faltete sich zusammen und wurde zu einem unauffälligen Bestandteil der Halskrause. Tiefe Linien hatten sich in Bulls Gesicht gegraben. Die Augen waren gerötet. Unsicheren Schritts bewegte er sich auf die einsam in der Weite des Hangars stehende Gestalt zu, die die Ankunft des Jets abgewartet zu haben schien.

»So etwas sollte man einem Menschen nicht zumuten dürfen.«

»Wir haben es alle durchmachen müssen«, sagte die Gestalt. »Wir haben es alle überlebt. Es war dein zweiter Flug. Ging es dir nicht schon besser als beim ersten?«

Reginald Bull starrte den Frager aus wasserblauen Augen an. »Besser?«, krächzte er. »Wenn sich einem der Magen umkrempelt, die Augen aus den Höhlen treten und die Zunge wie ein heißer Backstein im Mund liegt, zerbricht man sich nicht den Kopf darüber, ob es beim vorherigen Mal womöglich noch schlimmer war. Ich sage dir, Galbraith, ich beweise extreme Hingabe an das Wohl und die Interessen der Menschheit, indem ich mich solchen Qualen unterziehe.«

Der Sicherheitschef im Bereich von X-DOOR lächelte. »Man wird dir demnächst einen Orden verleihen. Wie weit kamst du?«

»Bis zum Zielstern«, antwortete Bull. »Proxima Hangay. Als ich den Strangeness-Wall durchbrach, wurde ich ohnmächtig wie beim ersten Mal. Diesmal kam ich schon nach knapp einer Stunde wieder zu mir. Inzwischen lief der Jet auf Autopilot. Mir war hundeelend; aber ich brachte es fertig, den Kurs manuell auf Proxima Hangay zu setzen, und ich habe bewusst miterlebt, wie wir eine weite Schleife um den Stern flogen. Auf dem Rückweg ging ich wieder auf Autopilot. Beim zweiten Durchfliegen des Strangeness-Walls blieb ich bei Bewusstsein. Ich brachte den Jet nach Hause und steuerte ihn per Hand in den Hangar.« Er seufzte und ließ die Schultern hängen. »Und jetzt brauche ich ungefähr zehn Stunden Schlaf.«

Galbraith Deighton legte dem Freund die Hand auf die Schulter. »Zwei weitere Flüge, und du bist Strangeness-immun. Danke deinem Schöpfer, dass du den Versuch erst heute unternimmst, über sechs Monate, nachdem das zweite Hangay-Viertel im Standarduniversum materialisiert ist. Erinnere dich an Nikki Frickel. Sie war fünf Monate lang bewusstlos, als sie damals ins frisch materialisierte erste Viertel von Hangay einflog. Die Strangeness klingt ab. Bald werden wir uns keine Sorgen mehr darüber machen müssen. Im Augenblick jedoch ist es wichtig, dass jeder, der mit Hangay zu tun hat, Immunität entwickelt.«

»Aber warum ich?«, protestierte Bull. »Mein Ziel liegt am Rand von Pinwheel. Warum muss ich meinen Körper diesen Strapazen unterwerfen, wo ich doch gar nicht nach Hangay will?«

»Du weißt nicht, was auf Ashkalu geschehen wird«, belehrte ihn Deighton. »Gesetzt den Fall, du jagst die Hauri in die Flucht. Wohin werden sie fliehen? Nach Hangay natürlich. Willst du sie entkommen lassen, nur weil du zu wehleidig warst, die Immunisierungsroutine mitzumachen?«

Mit müder Handbewegung winkte Reginald Bull ab. »Ist ja gut. Wenn man sich fühlt wie ein ausgelutschter Kaugummi, fällt es einem schwer, den Nutzen einer solchen Tortur zu erkennen.«

Sie schritten nebeneinander auf den Ausgang zu.

»Vielleicht gereicht es dir zum Trost, dass die Mannschaft der CIMARRON in diesen Tagen die gleiche Qual über sich ergehen lässt«, sagte Deighton.

»CIMARRON?«, horchte Bull auf. »Was ist das?«

»Dein neues Schiff«, kam die beiläufige Antwort.

»Oh, habt ihr euch endlich dazu durchgerungen, mir altem Knacker ein Raumschiff zur Verfügung zu stellen?«, spottete Bull. »Was ist es für ein Ding? Ein Walzenschiff mit Transitionstriebwerk?«

»Nein«, lachte Deighton. »Für unseren ehemaligen Staatsmarschall und Virenschiffer mussten wir uns etwas Besseres einfallen lassen. Die CIMARRON ist ein neuer Raumschiffstyp mit eintausendzweihundertfünfzig Mann Besatzung, Hochleistungstriebwerk nach dem Metagrav-Prinzip, Überlichtfaktor fünfundsechzig Millionen. Hervorragende Bewaffnung. Zentrale Steuerung durch einen Verbund von acht Großsyntrons.«

»Vektorierbarer Grigoroff?«, fragte Bull.

»Jetzt wirst du unverschämt«, sagte Galbraith Deighton. »Nein, den hat sie noch nicht.«

»Dann lass ihn einbauen«, knurrte Bull. »Wann kriege ich das Schiff zu sehen?«

»Die Testphase ist in zehn Tagen abgeschlossen. Während dieser Zeit werden die vier Einflüge nach Hangay zur partiellen Immunisierung der Besatzung absolviert.«

»Zehn Tage«, sagte Bull nachdenklich. Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Verdammt! Da bin ich doch schon ... Was hört man denn von ROSTOCK?«

»Es läuft alles nach Plan«, sagte Deighton. »Ihr brecht in vier Tagen auf.«

»Ist die Sache publik gemacht worden?«

»Mit größter Lautstärke. ROSTOCK hat sich planetografische Unterlagen über die Siedlerwelt schicken lassen, damit die Technik bestimmen kann, an welchem Ort der Hypertrop installiert wird. Die Melancher fragen jeden Tag dreimal an, ob der Transport endlich unterwegs ist, weil es ihnen angeblich immer dreckiger geht ...«

»Moment mal!«, fiel Reginald Bull dem Freund ins Wort. »Sie leiden doch nicht wirklich Not?«

»Nicht ganz so schlimm, wie man ihren Funksprüchen entnimmt«, antwortete Deighton. »Es gab wirklich eine Reihe von Naturkatastrophen auf Melanche. Die durften wir nicht erfinden, weil wir damit rechnen mussten, dass die Hauri der Sache auf den Grund gehen würden. Allerdings wurde die Energieversorgung der Siedler nicht von der Natur lahmgelegt, sondern von den Siedlern selbst. Dazu erklärten sie sich bereit, nachdem wir ihnen versprochen hatten, dass wir ihnen einen Hypertrop liefern würden. Es gibt derzeit keinen elektrischen Strom auf Melanche, keine Klimatisierung, keine Kühlung – nichts. Der Hypersender wird mit einem Notaggregat betrieben. Melanche ist eine ziemlich warme Welt, ohnehin ungemütlich für die an Kälte gewöhnten Kartanin.«

»Der Transport eines Ersatz-Hypertrops ist vorbereitet?«, erkundigte sich Bull.

»Selbstverständlich.« Deighton lächelte. »Nachdem die Melancher so bereitwillig mit uns zusammenarbeiteten, werden wir sie nicht im Stich lassen. Wenn dein Plan wirklich Erfolg hat, erhalten die Siedler auf Melanche binnen vierundzwanzig Stunden Ersatz für den verloren gegangenen Hypertrop.«

Reginald Bull nickte zufrieden.

 

»Bequem ist das nicht«, murrte Narktor. Wer ihn sah: die breitschultrige Gestalt, das feuerrote, gekrauste Haupthaar und den ebenso feuerroten Rauschebart – und mehr noch, wer ihn hörte: die raue, stets ein wenig poltrig klingende Stimme –, wer das alles in sich aufnahm, wusste, dass er einen Springer vor sich hatte.

»Der Krieger hat kein Recht, sich zu beklagen, sagt Spartakus«, kam eine helle Stimme vom anderen Ende des merkwürdig geformten Raumes. »Denn er hat sich seinen Beruf selbst gewählt und nimmt hohen Sold dafür, dass er sich der Unannehmlichkeit unterwirft.«

»Hör zu, Pferdegesicht!«, grollte Narktor. »Ich kenne mich in terranischer Geschichte ziemlich gut aus. Spartakus, ein entlaufener Sklave, war viel zu ungebildet, als dass er einen so langen Spruch hätte loslassen können.«

»Halts Maul!«, sagte Nikki Frickel laut. »Ihr geht mir mit eurem pseudointellektuellen Gefasel allmählich auf die Nerven.«

»Jawohl, Kommandantin!«, antwortete Wido Helfrich trocken.

Nikki ging nicht darauf ein. Reginald Bull grinste indessen vor sich hin. Der alles andere als ernst gemeinte Streit unter den drei PIG-Spezialisten bewies, dass sie guten Mutes waren, und das konnte – unter den herrschenden Umständen – keineswegs als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Denn Narktor hatte recht: Es war nicht bequem. Der Raum hatte die Form eines Zylinders von acht Metern Länge und zwölf Metern Durchmesser. Wände, Boden und Decke bestanden aus nacktem, unbearbeitetem Polymermetall. Die Polster, auf denen die fünf Mitglieder des Einsatzkommandos die Ruheperioden verbringen sollten, waren mit Klebmasse auf dem gerundeten Boden befestigt. Sonstiges Mobiliar für den alltäglichen Gebrauch gab es nicht. Wer nicht schlief, stand entweder aufrecht oder kauerte auf seiner Liege. Für das körperliche Wohl war in zweierlei Weise gesorgt. In der rückwärtigen Trennwand gab es zwei Türen. Eine davon führte in einen winzigen Hygieneraum, die zweite Tür ging in eine Kammer, für die die Bezeichnung »Küche« einen Euphemismus darstellte.

Vier Mitglieder des Einsatzkommandos hatten das eigenartige Quartier vor rund einer Stunde bezogen. Die VENLO, ein Großraumtransporter der GALAXTAR-Klasse, bewegte sich in kritischem Gebiet. Wenn sie das nächste Mal zu einem Orientierungsmanöver aus dem Hyperraum auftauchte, würde sie 250 Lichtjahre von der Grenze des Kugelsternhaufens Marty-5 und circa 700 Lichtjahre von Melanche entfernt sein. Die Hauri kannten die galaktische Raumfahrttechnik. Sie konnten sich ausrechnen, dass die VENLO die verbleibende Distanz in einem einzigen Überlichtmanöver zurücklegen würde.

Über die Zusammensetzung des Einsatzkommandos hatte es keine langen Diskussionen gegeben. Reginald Bull war der Leiter des Unternehmens, denn von ihm stammte der Plan. Nikki Frickel musste teilnehmen, weil der Einsatzort im Bereich der Galaxis Pinwheel lag, und Pinwheel war die Domäne der PIG. Nikki hatte vorgeschlagen, Wido Helfrich und Narktor ebenfalls mitzunehmen. Sie hatten ihre Strangeness-Immunisierung hinter sich und besaßen einschlägige Erfahrung im Umgang mit Hauri. Der fünfte Teilnehmer schließlich hatte sich regelrecht aufgedrängt. Er könne seinen besten Freund bei einer solch gefährlichen Sache nicht im Stich lassen, war eines seiner Argumente gewesen. Selbst durch den Hinweis, dass es auf Ashkalu wahrscheinlich keine Möhren gäbe, hatte er sich nicht abschrecken lassen. Vor so viel Opfermut hatte Reginald Bull schließlich kapituliert. Die Entscheidung fiel ihm umso leichter, als das fünfte Mitglied der Gruppe Fähigkeiten mitbrachte, die man in der kritischen Phase des Unternehmens vorteilhaft würde einsetzen können.

Der zylindrische Raum, in dem das Einsatzkommando untergebracht war, befand sich im Innern eines Segments der Hypertrop-Zapfantenne und lag unmittelbar vor der Wandlerkammer, in der die aus einem fremden Kontinuum abgesaugte Energie in eine speicherbare Energieform umgewandelt wurde. Die Wandlerkammer war das empfindlichste Element des Zapfsystems. Solang die Hauri sich nicht für Experten auf dem Gebiet der Hypertrop-Zapfung hielten, würden sie der Kammer fernbleiben. Wer dort Schaden anrichtete, ruinierte das gesamte System. Die Hauri waren schlau und misstrauisch. Sie würden auf die Idee kommen, dass ihnen mit der Zapfanlage womöglich eine Art Trojanischen Pferdes zugespielt werden sollte. Sie würden den Hypertrop sorgfältig prüfen. Ob die Unterbringung des Einsatzkommandos in der Nähe der Wandlerkammer Reginald Bull und seine Begleiter vor Entdeckung schützte, war beileibe nicht sicher.

Die technische Ausstattung der zylindrischen Unterkunft ließ keine Wünsche übrig. Es gab Mess- und Kommunikationsgeräte in Hülle und Fülle. Die Umgebung der VENLO und die wichtigsten Räume an Bord konnten jederzeit eingesehen werden. Unter Reginald Bulls Lager befand sich ein Gelass, in dem ein transportabler Transmitter untergebracht war. Er würde gegen Ende des Unternehmens eine wichtige Rolle spielen. Es gab einen Hauptschalter, mit dem sich alle Geräte durch eine einzige Handbewegung desaktivieren ließen, sodass sie keinerlei verräterische Streuemission mehr von sich gaben.

Reginald Bull suchte mit der Zunge nach der kleinen Erhebung an einem Backenzahn der rechten Oberkieferhälfte. Wenn sein Plan erfolgreich war, würde mehr desaktiviert werden müssen als nur die Technik.

Die VENLO war im Grunde genommen ein Robotschiff. Es gab nur ein reguläres, organisches Besatzungsmitglied, einen 162 Jahre alten Mann namens Spence Harbaugh. Er hatte sich freiwillig gemeldet. Er wusste, dass der Einsatz gefährlich war, selbst wenn er über die wahren Ziele und Umstände nicht unterrichtet war. Was mit ihm geschehen würde, falls er den Hauri in die Hände fiel, war ungewiss. Aber er musste damit rechnen, dass er den Einsatz nicht überlebte.

Die Unterlichtphase, in die die VENLO in Kürze eintreten würde, war auf 38 Stunden anberaumt. Die Orientierung als solche nahm nur wenige Minuten in Anspruch. Der Transporter hatte indes eine weitere Aufgabe zu versehen. Pinwheel, alias M 33, war für die Galaktiker noch immer Neuland. Jedes galaktische Schiff, das M 33 anflog, hatte daher den Auftrag, so viel Vermessung vorzunehmen, wie sich ermöglichen ließ. Die Hauri mussten inzwischen bemerkt haben, dass diese Praxis von allen aus der Milchstraße kommenden Fahrzeugen geübt wurde. Der 38-stündige Aufenthalt der VENLO im Vier-D-Kontinuum konnte daher nicht als ungewöhnlich erscheinen.

Reginald Bull streckte sich auf seinem Liegepolster aus. Er betätigte den Aktivator des Kopfteils, sodass dieser sich aufblies und ein wohlgeformtes Polster bildete. Im Liegen hatte Bull bequemen Zugriff zu der Konsole, von der aus er die Komponenten der technischen Ausstattung bedienen konnte. Er schaltete die Außenbeobachtung ein und erwischte zufällig den Augenblick, in dem die VENLO den Hyperraum verließ und ins Vier-D-Kontinuum zurücktauchte.

Graue Schlieren flackerten über die Videofläche. Dann stabilisierte sich das Bild. Der Blick war hinaus in den Halo der Galaxis M 33 gerichtet. Es gab dort nur wenige Sterne. Ein heller Lichtfleck jedoch zog das Auge an. Das war Marty-5, der Kugelsternhaufen, in dem sich die Materiewippe der Hauri befand. An Umfang und Leuchtkraft stand er dem berühmten Sternhaufen M 13 der Milchstraße, dem Zentrum des ehemaligen Großen Reiches der Arkoniden, in nichts nach.

Bull spähte hinaus in die Finsternis des Alls, als erwartete er, jeden Augenblick die glitzernden Reflexe der Hauri-Schiffe zu sehen. Natürlich wusste er, dass es dafür zu früh war. Wenn die Hauri seinen Köder überhaupt geschluckt hatten, war die VENLO gerade erst auf ihren Orterbildern erschienen. Nun würde Alarm gegeben werden. Hauri-Schiffe besaßen leistungsfähige Triebwerke, die nach einem dem Metagrav verwandten Prinzip arbeiteten. Trotzdem würden ein paar Stunden vergehen, bis die Jünger des Hexameron eintrafen.

Reginald Bull spürte die Müdigkeit an sich emporkriechen. Der Cybermed hatte ihm ein mildes Sedativ verabreicht, weil er der Ansicht war, vor Beginn der kritischen Phase des Unternehmens seien noch ein paar Stunden Ruhe vonnöten. Bull sah auf die Uhr. Sie zeigte 11.18 Uhr Terrania-Zeit am 30. Oktober 447. Er hörte, wie die Debatte zwischen Wido Helfrich und dem Springer wieder aufflackerte. Dann schlief er ein.

 

Ein Zischen weckte ihn. Er kannte das Geräusch. Es entstand, wenn ein plötzlich materialisierender Körper die Luft ruckartig vom Ort der Materialisierung verdrängte. Er öffnete die Augen und erblickte den Ilt, der am Fußende seines Lagers kauerte.

»Es geht los, Dicker«, sagte Gucky.

Reginald Bull war sofort hellwach. Das optische Bild zeigte die gleichen Einzelheiten wie zuvor. Die VENLO bewegte sich mit geringer Fahrt. Das Orterbild zeigte eine große Zahl von Einzelreflexen, die in einem weiten Kreis um die Bildmitte verteilt erschienen.

»Insgesamt achtundfünfzig«, erläuterte Gucky. »Was du siehst, sind die Ergebnisse der Fernortung. Die Hauri-Schiffe sind im Mittel zwei Lichtjahre von unserer Position entfernt.«

Er beugte sich über Bull, der sich auf den Ellbogen in die Höhe gestemmt hatte, und berührte einen Sensorpunkt der Konsole. »Jetzt wollen wir hören«, sagte er, »was Spence Harbaugh dazu zu sagen hat.«

Ein Audioempfänger erwachte zum Leben. Es knisterte eine Zeit lang, dann war Harbaughs Stimme zu hören. »Transporter VENLO an alle galaktischen Stützpunkte, Relaisketten Alpha-Alpha bis Alpha-Echo. Standort gemäß beigefügten Koordinaten, am Innenrand des Halos von M 33. Achtundfünfzig fremde Einheiten sind während der vergangenen Minuten im Umkreis von zwei Lichtjahren um unsere Position aufgetaucht. Analyse der hyperenergetischen Streuemission weist aus, dass es sich wahrscheinlich um haurische Fahrzeuge handelt. Ich befürchte Schwierigkeiten und beginne zu beschleunigen. Kurs Melanche. Ich bitte um Hilfe, falls jemand sich in der Nähe befindet. Spence Harbaugh, Ende!«

»Er zwingt sie zum Handeln«, sagte Bull. »Wenn sie sehen, dass die VENLO beschleunigt, müssen sie zuschlagen.«

Er horchte. Das Innere des mächtigen Transportschiffs war voller Geräusche. Nun hatte sich ein neues hinzugemischt, ein fernes, dumpfes Röhren. Die VENLO beschleunigte. Es würde eine Zeit lang dauern, bis der Transporter die Geschwindigkeit erreicht hatte, bei der sich ein stabiler Metagrav-Vortex aufbauen ließ.

»Sie haben's begriffen«, sagte der Ilt. »Da, sieh doch!«

Die Reflexe der Hauri-Schiffe waren vom Orterbild verschwunden. Seit Spence Harbaugh seine Botschaft gesprochen hatte, waren zweieinhalb Minuten vergangen. Der haurischen Triebwerktechnik war Anerkennung zu zollen, stellte Reginald Bull widerwillig fest. Die Anhänger der Sechs Tage hatten das Beste geschickt, was ihnen zur Verfügung stand.

Weitere Minuten verstrichen. Nikki Frickel, Wido Helfrich und Narktor saßen auf ihren Liegepolstern und ließen die Bildfläche des Orters nicht aus den Augen. Da erschien der erste Reflex, in unmittelbarer Nähe des Bildzentrums. Das Gerät schaltete automatisch auf größeren Maßstab. Weitere Hauri-Schiffe erschienen, ein Leuchtpunkt nach dem anderen, alle maximal vier Lichtsekunden von der VENLO entfernt.

Es prasselte im Empfänger. Eine tiefe sonore Stimme, die Interkosmo mit hartem Akzent sprach, sagte: »Raumpatrouille Sechster Tag an galaktisches Transportschiff. Du befindest dich in haurischem Gebiet. Heb deine Beschleunigung auf und mach dich zur Übernahme eines Enterkommandos bereit.«

Spence Harbaugh entfaltete sein schauspielerisches Talent. »Haurisches Gebiet, was für ein Quatsch!«, schrie er wutentbrannt. »Ich befinde mich im freien Weltraum und denke nicht daran, meine Beschleunigung aufzuheben. Schert euch fort, ihr Landstreicher!«

»Ich warne dich«, sagte der Hauri. »Du verletzt haurisches Hoheitsgebiet. Wenn du die Beschleunigung nicht sofort aufhebst, eröffne ich das Feuer.«

»Feldschirme«, hörte man Spence Harbaugh auf Terranisch rufen.

Einer der Reflexe auf dem Orterbild schien sich für den Bruchteil einer Sekunde aufzublähen. Der Hauri hatte seine Drohung ohne Zögern wahr gemacht. Ein leises Zittern lief durch den Leib der VENLO. Der Transporter hatte den ersten Treffer erhalten.

»Transporter VENLO an alle galaktischen Stützpunkte«, war Harbaughs aufgeregte Stimme zu hören. »Mayday! Mayday! Ich werde von haurischen Einheiten angegriffen. Man wirft mir vor, ich verletze haurisches Hoheitsgebiet. Mayday! Mayday!«

Irgendwo draußen gellten die Alarmpfeifen. Die VENLO erhielt zwei weitere Treffer. Die Hauri feuerten mit schwerstem Kaliber, dem die schwachen Feldschirme des Transporters nicht standzuhalten vermochten. Ein paar Minuten vergingen. Im Kontrollraum brüllte Spence Harbaugh Befehle auf Terranisch. Er nahm Schadensmeldungen entgegen und gelangte schließlich zu der Erkenntnis, dass er den Hauri nicht gewachsen war.

»Also gut, ihr Piraten«, grollte er auf Interkosmo. »Eure hinterhältige Brutalität lässt mir keine andere Wahl. Beschleunigung ist auf null gesetzt. Meinetwegen – schickt mir euer gottverdammtes Enterkommando.«

Gucky hatte die Oberlippe in die Höhe gezogen. Der Schneidezahn glänzte angriffslustig. »Gut hat er das gemacht«, sagte er. »Sehr gut!«

 

Das haurische Schiff erschien auf dem Video der optischen Beobachtung. Es hatte die übliche, dreiteilige Form. Der plump wirkende Bug war durch einen röhrenförmigen, schräg zur Längsachse des Schiffes verlaufenden Mittelrumpf mit dem voluminösen Heck verbunden. Das Fahrzeug mochte eine Gesamtlänge von 200 Metern haben. Es gehörte zu jener Klasse von Kampfschiffen, die von galaktischen Militärexperten die Bezeichnung LIBELLE erhalten hatte.

Das Schiff ging längsseits. Die in der Außenwandung der VENLO installierten Geräte der optischen Beobachtung wechselten sich untereinander ab, sodass den fünf Mitgliedern des Einsatzkommandos im Innern der Hypertrop-Antenne stets die wirksamste Perspektive geboten wurde.

Man sah, wie ein energetischer Schlauch entstand, der den Bug des Hauri-Schiffes mit der Schleuse an der Steuerbordflanke der VENLO verband. Durch diesen Schlauch schwebten Objekte, deren Identität wegen der halbtransparenten Beschaffenheit der Energiewand nicht eindeutig bestimmt werden konnte. Reginald Bull glaubte, acht Hauri zu erkennen. Es kam noch mehr: unförmige, seltsam geformte Gegenstände, die wahrscheinlich Roboter waren, und lose zusammenhängende Pulks von kleineren Objekten, bei denen es sich um technische Gerätschaften handeln musste.

Die Berührung einer Sensortaste auf der Konsole schuf eine weitere Bildfläche. Die Hauri und ihr Gefolge befanden sich mittlerweile in der großen Steuerbordschleuse. Reginald Bull sah seine vorherige Beobachtung bestätigt. Es waren acht Hauri, in technisch hervorragend ausgestattete Raumschutzkombinationen gekleidet, jede Kombination mit dem Symbol des Hexameron, der Halbsonne mit den sechs ungleich langen Strahlen, verziert. Sie hatten zehn Roboter unterschiedlicher Form und Größe mitgebracht. Unter dem Einfluss der künstlichen Gravitation an Bord der VENLO lösten sich die Gerätepulks auf. Die Roboter nahmen schnell und exakt die Gerätschaften an sich.

Am bordseitigen Ausgang der Schleuse trennten sich die Hauri von den Robotern. Letztere nahmen Kurs auf die Lagerräume der VENLO, in denen das Transportgut untergebracht war. Die Hauri hingegen wandten sich in Richtung des Kontrollraums. Spence Harbaugh wies ihnen über Interkom den Weg. Reginald Bull fragte sich, wie dem Mann zumute sein mochte. Im Augenblick hatte er um sein Leben wahrscheinlich nicht zu fürchten. Die Hauri hatten es eilig. Sie mussten die VENLO in Bewegung setzen und mit ihr im Hyperraum verschwinden, bevor die angeforderte Hilfe eintraf. Harbaugh war der einzige Sachverständige an Bord. Die Hauri würden ihn gut behandeln müssen.

Diese indes hatten ihre Rechnung ganz anders aufgemacht. Sie stellten sich wortlos im Halbkreis um Spence Harbaugh auf. Die finsteren Gestalten mit den tief in die Höhlen versenkten Augen schienen dem Terraner Furcht einzuflößen. Auf dem Videoschirm war zu sehen, wie er die Arme hob und die Hände ausbreitete, als wolle er seine Friedfertigkeit demonstrieren. Aus dem Empfänger drang seine Stimme, unsicher und zitternd: »Hört zu, ich habe keinen Streit mit euch. Ich wäre ein Narr, wenn ich mich gegen euch zur Wehr setzen wollte ...«

Mit ruhiger Bewegung hatte einer der Hauri derweil ein merkwürdig aussehendes Gerät aus dem Gürtel gezogen. Es hatte einen langen, dünnen Lauf, dessen Mündung sich zu einem trichterförmigen Gebilde aufstülpte. Harbaugh unterbrach sich mitten im Satz, als er sah, wie sich der Lauf auf ihn richtete. Sein Gesicht war eine Grimasse der Todesfurcht.

Ein helles Singen war zu hören. Spence Harbaugh stand plötzlich stocksteif. Die Angst war in seiner Miene festgefroren.

»Nimm die Arme herunter!«, befahl der Hauri mit der Trichterwaffe auf Interkosmo.

»Ja, Herr«, sagte Spence Harbaugh und ließ die Arme sinken.

»Schalte dein Schiff auf Höchstbeschleunigung«, verlangte der Hauri, »und setz es auf den Zielpunkt an, dessen Koordinaten ich dir gebe.«

»Ja, Herr«, sagte Spence Harbaugh.

Angewidert griff Reginald Bull zur Konsole hinüber und schaltete die Bildübertragung aus. Sein Blick suchte das Videofeld, auf dem die Bewegungen der Roboter dargestellt wurden. Die Maschinen hatten den am weitesten bugwärts gelegenen Lagerraum erreicht. Dort befand sich der Sockel des Hypertrop-Zapfers, in dem der Gravitraf-Speicher untergebracht war. Die Roboter gingen zügig zu Werke. Es war nicht zu erkennen, welche Funktionen die von ihnen mitgebrachten Geräte im Einzelnen ausübten. Aber es wurde deutlich, dass sie den Speicher durchleuchteten.

Der Raum, in dem die in Segmente unterteilte Antenne des Zapfers gelagert war, lag zwei Schotten weiter. Bei der Zielstrebigkeit, mit der die Roboter zu Werke gingen, konnte es nur ein paar Minuten dauern, bis sie dort waren. Reginald Bull betätigte den Hauptschalter. Die Bildschirme erloschen, die Digitalanzeigen der Messgeräte wurden dunkel.

Mit einem Seufzer wandte Bull sich an seine Begleiter. »Meine Dame und Herren, lieber Freund von Tramp: Es ist so weit. Ich hoffe, dass wir uns alle wohlbehalten wiedersehen.«

Die Reihenfolge hatten sie im Vorhinein festgelegt. Gucky war der Erste. Man sah, wie er die Kiefer fest zusammenpresste. Sekunden später trat ein eigenartiger, glasiger Glanz in seine Augen. Er sank zur Seite und rührte sich nicht mehr. Nikki Frickel war als Nächste an der Reihe. Es knirschte, als sie die Zähne aufeinanderbiss. Wido Helfrich und Narktor folgten, ohne zu zögern.

Es war mit einem Mal still in der zylindrischen Kammer. Die VENLO hatte zu beschleunigen begonnen; das dumpfe, ferne Geräusch drang nicht mehr ins Bewusstsein. Die Droge, die die Mitglieder des Einsatzkommandos zu nehmen sich bereit erklärt hatten, löschte auf die Dauer von mehreren Stunden jegliche Bewusstseinstätigkeit. Die Hauri waren Meister der Psionik. Doch selbst mit ihren empfindlichsten Messgeräten würden sie, solang die Wirkung der Droge anhielt, nicht feststellen können, dass sich im Innern des Antennensegments fünf organische Wesen aufhielten.

Reginald Bull betastete die kuppelförmige Erhöhung auf dem Backenzahn, wie er es in den vergangenen Stunden und Tagen so oft getan hatte. Dann biss er zu.

2. Auf Erkundung

 

Sein erster Gedanke war: Wir haben es geschafft!

Reginald Bull fuhr mit einem Ruck in die Höhe und sah, wie auf dem Polster vor ihm sich der Mausbiber aufrichtete. Nikki Frickel, Wido Helfrich und Narktor waren noch bewusstlos. Er warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass die Wirkung der Droge sieben Stunden und 40 Minuten angehalten hatte. Er fühlte sich frisch und munter.

Er horchte. Es war ruhig im Schiff. Die VENLO bewegte sich durch den Hyperraum. Gucky wandte sich um. Er hatte eine Zeit lang völlig bewegungslos gesessen, während er seine telepathischen Sensoren spielen ließ.

»Kein organisches Fremdbewusstsein in der Nähe«, vermeldete er. »Ich empfange ihre Gedanken aus der Richtung des Kontrollraums. Sie denken nichts Nützliches – nur daran, dass sie den Hypertrop so rasch wie möglich nach Ashkalu bringen müssen und dass das Hexameron ihnen diese Heldentat hoch anrechnen wird. Spence Harbaughs Gedanken sind eingleisig, nur auf seine Aufgabe konzentriert. Sie haben ihn hypnotisiert.«

Reginald Bull nickte. »Kein Gedanke an die Roboter?«

»Nein. Ich werde mich umsehen müssen.« Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit entfernte er sich nicht sofort, sondern wartete auf Bulls Entscheidung.

»Gut«, sagte der Terraner nach kurzem Nachdenken. »Zieh dich beim geringsten Anzeichen von Gefahr zurück. Es ist möglich, dass sie psionische Detektoren installiert haben.«

»Ich passe auf«, versprach Gucky.

Dann machte es »blaff«, und er war verschwunden. Nikki Frickel begann sich zu rühren, Sekunden später gaben auch Wido Helfrich und Narktor Anzeichen des Wiedererwachens zu erkennen. Es fiel ihnen schwerer, die Folgen der Ohnmacht zu überwinden. Bei Bull und dem Ilt hatten die Zellaktivatoren die Restwirkung der Droge absorbiert.

Nikki Frickel saß mit dem Rücken zu Reginald Bull. Sie schüttelte den Kopf und fuhr sich mit den Händen durchs Haar, um es einigermaßen in Ordnung zu bringen. Erst dann wandte sie sich um. »Ich hätte mir denken können, dass du schon wach bist«, sagte sie. »Wie sieht's aus?«

»Gut. Sie haben uns nicht gefunden«, antwortete er. »Damit ist die erste Hürde überwunden.«

»Wo sind wir?«

»Ich weiß es nicht. Die VENLO ist seit knapp acht Stunden unterwegs. Wir können nicht mehr weit vom Ziel entfernt sein.«

Nikki stand auf und ging vorsichtig ein paar Schritte, als müsse sie ihre Gehwerkzeuge erst testen. Es gab einen unterdrückten Knall, und Gucky war wieder da. Man sah ihm an, dass er mit dem Ergebnis seiner Erkundung überaus zufrieden war. »Die Roboter sind desaktiviert. Sie stehen vor dem Hauptschott des Lagerraum-Sektors und rühren sich nicht mehr. Ihre Geräte haben sie bei sich. Die Lagerräume sind absolut sauber. Es sieht so aus, als fühlten die Hauri sich sicher. Ich habe ein wenig geespert. Seit Kurzem tummeln sich neue Gedanken in den Bewusstseinen der Hexameron-Jünger. Diese Gedanken beziehen sich darauf, dass die VENLO die Überlichtphase bald abschließen und dass man dann Veenor aus geringer Entfernung zu sehen bekommen wird.«

»Veenor?«, fragten Reginald Bull und Nikki Frickel wie aus einem Mund.

»Keine Sorge«, winkte der Mausbiber ab. »Veenor ist die Sonne. Ashkalu ist einer der Planeten von Veenor. Es besteht vorläufig keine Gefahr der Entdeckung.« Gucky wies auf die Konsole. »Du kannst deine Apparatur getrost wieder in Betrieb nehmen.«

 

»Da sieht man nichts«, klagte Wido Helfrich. »Der Planet ist rundum von Wolken bedeckt. Was muss das für eine Welt sein! Trübe bei Tag, finster bei Nacht.«

»Nimm deinen Griffel und mach ein Gedicht draus«, brummte Reginald Bull ungeduldig und schob den hageren Mann, der ihm den Ausblick versperrte, unsanft zur Seite. Ashkalu schien in der Tat keine freundliche Welt zu sein. Die Sensoren der VENLO waren in Betrieb und lieferten Daten an die im Innern der Hypertrop-Antenne installierten Messgeräte. Es musste auf der Oberfläche des Planeten ziemlich warm sein, denn selbst die obersten Wolkenschichten wiesen Temperaturen um null Grad Celsius auf. Die Lotung zeigte großmaßstäbliche Unebenheiten kilometerweit unterhalb des Wolkenmantels, daneben ausgedehnte, völlig ebene Flächen. Letztere waren ohne Zweifel Meere. Ashkalus Landmassen schienen äußerst gebirgig zu sein. Der Planet hatte einen Durchmesser von 13.800 Kilometern. Seine Oberflächenschwerkraft wurde mit 1,12 Gravos bestimmt. Die Atmosphäre setzte sich in der Hauptsache aus Argon und Sauerstoff zusammen, Stickstoff und Kohlendioxyd waren in geringeren Anteilen vertreten. Die Luft war unbedenklich atembar.

Die VENLO befand sich in einem Orbit 440 Kilometer über der Planetenoberfläche. Das mächtige Transportschiff war nicht für Planetenlandungen gebaut. Die Hauri würden es im Raum entladen müssen. Eines der Messgeräte registrierte eine intensive, kurz dauernde energetische Entladung. Bull nickte befriedigt. Der Peilimpuls an die CIMARRON war abgegangen. Er war so strukturiert, dass die Hauri, wenn sie ihn überhaupt wahrnahmen, für einen internen Energieaustausch halten mussten.

Bull schaltete die Mess- und Bildsysteme aus. Die Gefahr, dass die Streuemission der Geräte das Versteck innerhalb der Hypertrop-Antenne verriete, schien ihm nicht vernachlässigbar. Die einzige Verbindung, die er aktiv beließ, war der Audiokontakt mit dem Kontrollraum. Dort hatten die Hauri inzwischen begonnen, sich mit der Bodenstation auf Ashkalu zu verständigen. Die Mitglieder des Einsatzkommandos beherrschten das Haurische aufgrund der Hypnoschulung, die sie an Bord der BASIS mitgemacht hatten.

»Hier spricht Vellom sav Aard«, sagte ein Hauri mit tiefer, bedächtiger Stimme. »Der Auftrag ist erledigt. Wir haben den Energiezapfer der Ungläubigen erbeutet. Das soll man dem Spiegel des Feuers melden.«

»Heil dir, Vellom sav Aard«, kam die Antwort von Ashkalu. »Der Segen des Herrn Heptamer begleitet dich; deswegen bist du erfolgreich in allem, was du unternimmst. Die Nachricht wird an den Spiegel des Feuers abgehen, sobald das nächste Schiff in Richtung Maghruu Maghaa aufbricht.«

Spiegel des Feuers war eine hohe Position innerhalb der haurischen Hierarchie. So viel wusste man inzwischen. Und mit dem Namen Maghruu Maghaa belegten die Hauri die Galaxis, die von den Kartanin Hangay genannt wurde.

»Sind unsere Schiffe unversehrt zurückgekehrt?«, erkundigte sich Vellom sav Aard.

»Alle. Von einer Verfolgung durch die Ungläubigen war nichts zu bemerken.«

»Ich danke dir, Pored nom Suun«, erwiderte Vellom sav Aard. »Ich werde die Worte, die du zu mir sprichst, nicht vergessen.«

»Das Heil der Sechs Tage sei mit dir«, entgegnete der Sprecher auf Ashkalu bescheiden. »Willst du mit dem fremden Schiff landen?«

»Das Schiff ist nicht für Landungen konstruiert.«

»Ich dachte es mir«, erklärte Pored nom Suun. »Deswegen habe ich die Fähren bereitgestellt. Es sind die größten, die uns auf Ashkalu zur Verfügung stehen. Sie werden die Fracht an Bord nehmen können.«

»Du bist umsichtig, Pored nom Suun«, lobte Vellom sav Aard. »Gib den Fähren sofort den Startbefehl. Wir haben einen Gefangenen, der unter dem Einfluss des Psi-Schockers steht. Er braucht ärztliche Behandlung ...«

Pored nom Suun war offenbar so überrascht, dass er seinem Vorgesetzten ins Wort fiel. »Du willst ihn behandeln lassen? Er ist ein Ungläubiger. Nach den Lehren des Hexameron kann ihn nur der Tod erlösen.«

»Der Tod oder die Erkenntnis der Wahren Lehre, so heißt es in den Büchern, Pored nom Suun«, sagte Vellom sav Aard nachsichtig. »Ich möchte ihm Gelegenheit geben, die Lehre des Hexameron in ihrer Schönheit und Unausweichlichkeit zu verstehen. Ich bin ein Soldat, ein Diener des Fürsten des Feuers. Aber auch das Amt des Missionars liegt mir. Ich könnte ebenso dem Fürsten der Reinheit oder des Dogmas dienen.«

»Deine Fähigkeiten sind vielgestaltig«, staunte Pored nom Suun voller Ehrfurcht.

»Lass die Fähren starten!«, befahl Vellom sav Aard. »Der Energiezapfer soll so rasch wie möglich aufgebaut und in Betrieb genommen werden.«

»Es geschieht, wie du verlangst«, antwortete Pored nom Suun.

Dann war die Verbindung unterbrochen. Nikki Frickel sagte: »Die Frage ist: Setzen wir uns sofort ab, oder warten wir, bis die Hauri uns unten abgeladen haben?«

»Das muss uns Gucky beantworten«, entgegnete Reginald Bull. »Wie sieht's aus, Kleiner? Du kennst das Gelände nicht. Kannst du uns trotzdem von hier aus hinunterbringen?«

»Warten willst du nicht?«, fragte der Ilt zurück.

»Es ist mehr eine Sache der Bequemlichkeit«, erklärte Bull. »Wenn die Bestandteile des Hypertrop-Zapfers umgeladen werden, wird man sie auf den Kopf stellen, rotieren und sonst wie bewegen. Das heißt: Es wird hier drinnen ziemlich ungemütlich.«

»Verstanden«, sagte Gucky. »Bevor ich deine Frage beantworten kann, muss ich mich umsehen. Klar?«

»Klar«, antwortete Bull, und im nächsten Augenblick war der Ilt verschwunden.

Mehr als eine halbe Stunde verging, bevor er zurückkehrte. Inzwischen hatte Reginald Bull die Außenbeobachtung aktiviert und gesehen, wie fünf dickbauchige Lastfähren auf die VENLO zuhielten. Bull schaltete die Geräte aus, als er hinter sich das Zischen hörte, das Guckys Rematerialisierung hervorrief.

»Ich habe mich umgesehen«, meldete der Mausbiber. »Die Station der Hauri befindet sich in einem weiten Talkessel. In den umliegenden Bergen gibt es mehr als genug Orte, die sich als Unterkunft und Versteck eignen. Einen davon halte ich für geradezu ideal, weil man von einer Stelle aus, die nur wenige Meter entfernt liegt, freien Einblick ins Tal hat. Dort kann ich euch gerne hinbringen.«

»Abgemacht!«, nickte Bull erleichtert. »Fang mit Nikki an.«

 

Einen nach dem anderen brachte Gucky per Teleportersprung aus dem Innern der Hypertrop-Antenne hinunter auf die düstere Oberfläche des feuchtwarmen Planeten. Reginald Bull machte den Abschluss. Er hielt Gucky schon bei der Hand, da spürte man, wie ein Ruck durch das Antennensegment fuhr. Die Fesselfelder der Hauri hatten zugefasst.

Die Teleportation verlief nahezu schmerzlos. Reginald Bull spürte ein leises Stechen in den Nackenmuskeln, mehr nicht.

Er sah sich um. An das düstere Licht würden sich die Augen erst gewöhnen müssen. Es roch muffig und modrig. Die Luft war warm und mit Feuchtigkeit beladen. Von irgendwoher kam das eintönige Plitsch-platsch fallender Tropfen. Eine Lampe flammte auf und blendete ihn. Die Lampe gehörte zur Ausstattung des SERUNS, den Nikki Frickel trug, und war im Brustteil installiert.

»Damit du sehen kannst, in welchem Palast wir die nächsten vier Wochen verbringen werden«, spottete die Kommandantin der PIG.

Die Höhle zog sich tief in den Fels hinein. Im Hintergrund war sie trocken. Das Tropfgeräusch kam vom Eingang her. Es regnete draußen. Lianen verdeckten die Höhlenmündung zur Hälfte. Der Tag war grau und trübe. Bull sah düstere, verfilzte Vegetation, die wenige Schritte jenseits des Eingangs wie eine undurchdringliche Mauer stand.

»Wo ist Gucky?«, fragte er.

»Sofort wieder gesprungen«, antwortete Nikki. »Er will möglichst viel von der Ausrüstung bergen, solang das Antennensegment sich noch im Orbit befindet.«

Wido Helfrich und Narktor hatten es sich im Hintergrund der Höhle bequem gemacht, so gut es ging. Sie knabberten an Konzentratriegeln. Bull wandte sich ab und schritt auf den Ausgang zu. Hinter dem Lianenvorhang blieb er eine Zeit lang stehen und sah dem Regen zu. Dann schob er die Schlingpflanzen beiseite und trat ins Freie.

Die Temperatur mochte bei 28 Grad liegen. An der Höhlenmündung begann eine Felsleiste, die sich nach rechts hin ins Gestein hinaufzog. Über der Höhle wölbte sich ein Felsmassiv mit senkrechter, vielfach zerklüfteter Wand. Die Leiste führte zu einer Kerbe hinauf. Wahrscheinlich war dort die Stelle, von der aus man ins Tal hinuntersehen konnte.

Jenseits der Leiste fiel der Fels in sanfter Neigung zum Untergrund hin ab. Graugrünes Gras wuchs in ansehnlichen Büscheln auf einem acht Meter breiten Streifen moorigen Erdreichs. Dahinter begann der Wald. Reginald Bull sah auf. Der Himmel war solides, ungegliedertes Grau. Eine Gruppe geflügelter Tiere bewegte sich mit trägen Schwingenschlägen durch den Regen. Ein heiserer Schrei drang zu Bull herab, dem Ruf einer terranischen Wildgans ähnlich.

Bull schritt die Felsleiste entlang. Der Regen netzte ihm das Gesicht. Er spürte die höhere Schwerkraft des Planeten. Die Wärme trieb ihm den Schweiß aus den Poren, und der Schweiß mischte sich mit den Regentropfen zu einer salzigen Flüssigkeit, die ihm ätzend in die Augen drang. Die Leiste stieg auf den letzten 20 Metern steil an. Er machte eine Pause, um zu verschnaufen, und wischte sich das Gesicht trocken, so gut es ging.

Schließlich stand er oben am Ende der Leiste. Die Felswand vor ihm war nicht höher als eine Balkonbrüstung. Das Licht war nicht gut, und viele Einzelheiten verschwammen hinter den stetig fallenden Fäden des Regens. Die großen Dinge konnte er allerdings ohne Mühe wahrnehmen, und, bei Gott: Das Tal war voll von großen Dingen!

Der Talkessel war annähernd kreisförmig und hatte einen Durchmesser von gut 30 Kilometern. Ringsum ragten Berge auf, hier kahler, steiler Fels, dort dicht bewaldeter, sanfter Hang. Der Boden des Kessels war gewiss fruchtbares Land und früher wahrscheinlich mit dichtem Wald bewachsen. Die Hauri hatten alles gerodet. An Vegetation gab es nur noch das Büschelgras, das bis zu einer Höhe von zwei Metern wuchs.

Um den Mittelpunkt des Tales gruppierte sich ein System von sechs konzentrischen Gebäuderingen. Der innerste Ring hatte einen Durchmesser von mehr als einem Kilometer. Den Abstand zwischen je zwei Ringen schätzte Bull auf 300 Meter. Die Gebäude waren lückenlos aus grauem Material ausgeführt. In den Mauern befanden sich nur wenige, unregelmäßig verteilte Fensteröffnungen. Reginald Bull konnte von seinem Standort aus nicht erkennen, welchem Zweck die knapp 100 Meter hohen Bauwerke dienten. An anderen Orten im Tal herrschte reger Fahrzeug- und Fußgängerverkehr. In der Gegend der Gebäuderinge war hingegen alles still.

Im Zentrum des Ringsystems hatten die Hauri einen künstlichen Berg errichtet. Er war oben abgeplattet, und auf der Platte standen sechs trichterförmige Gebilde. Bull war nicht in der Lage, mit bloßem Auge Einzelheiten zu erkennen. Deswegen schloss er den Helm seiner Montur und trug dem Pikosyn auf, eine Vergrößerung zu produzieren. Da sah er, dass die Trichter sich auf zylindrischen Sockeln erhoben. Trichter und Sockel waren aus einem hellrot schimmernden Material gefertigt und an den Eckpunkten eines regelmäßigen Sechsecks angeordnet, dessen größter Durchmesser knapp 400 Meter betrug. Die Höhe der Trichter samt Sockel schätzte Bull auf etwas mehr als 150 Meter. Am oberen Rand besaßen die Trichter einen Durchmesser von circa 80 Metern.

Am gegenüberliegenden, nördlichen Rand des Talkessels erhob sich ein verschachtelt anmutender Gebäudekomplex, der eine Fläche von gut zwei Quadratkilometern beanspruchte. Er wirkte, ebenso wie die sechs Gebäuderinge, düster und abschreckend, und Bull gewann auf intuitive Weise den Eindruck, der Komplex müsse mit den Ringen und den sechs Trichtern in direktem Zusammenhang stehen.

Zur linken Hand, im Nordwesten, standen 20 lang gestreckte, barackenähnliche Bauwerke, vermutlich die Wohnquartiere der Hauri. Durch die Vergrößerung identifizierte Reginald Bull einige Parkplätze, auf denen Hunderte von kleinen Gleitfahrzeugen abgestellt waren. Südlich an die Barackensiedlung schloss sich ein kleinerer Gebäudekomplex an, in dem Labors, Rechenanlagen und Kommunikationszentren untergebracht sein mochten. Eine fremdartig konstruierte Hyperantenne war halb in die westwärts aufstrebende Felswand eingebaut.

Die südliche Hälfte des Talkessels diente den Jüngern der Sechs Tage als Raumhafen. Zwei Kampfschiffe vom Typ LIBELLE waren dort abgestellt. Zweifellos hatten auch die fünf Fähren dort ihren Standort. Es musste auf Ashkalu mindestens einen weiteren, größeren Raumhafen geben. Irgendwo mussten die 56 übrigen Kampfschiffe gelandet sein. Das Tal hatte keinen Platz für sie.

Nachdenklich ließ Reginald Bull den Blick über die weite Fläche wandern. Die sechs Trichter im Zentrum des Kessels hielt er für Abstrahlvorrichtungen. Sie projizierten die Energie, die die Materiewippe für ihre Tätigkeit benötigte. Die sechs Ringe der trüb-grauen Gebäude mit ihren wenigen Fenstern mochten für die Energiegewinnung zuständig sein und die für die Energiezapfung benötigten Maschinen und Gerätschaften beherbergen.

Also, wo ist dein Problem?, fragte er sich. Du bist hierhergekommen, um die Materiewippe außer Betrieb zu setzen. Nichts leichter als das, meinst du nicht? Gucky vermint die Gebäude und deponiert in jedem Trichter eine Bombe. Mehr ist nicht erforderlich. Sobald du weißt, dass die CIMARRON bereitsteht, lässt du die ganze Sache hochgehen.

Sein Selbstgespräch war von bitterer Ironie erfüllt. Er hatte das verräterische Schimmern und Glitzern längst bemerkt, das hier und da – je nachdem, wie die Lichtverhältnisse oder der Blickwinkel waren – über dem Komplex der sechs Gebäuderinge aufflackerte. Der Pikosyn hatte seinerseits eine Reihe von Messungen angestellt. Das Ergebnis projizierte er in Form einer perspektivischen Darstellung auf die Videofläche an der Innenseite des Helmes.

Das Zentrum des Tales lag unter einem energetischen Schutzschirm, der bis weit über den äußersten Gebäudering hinausreichte. Von den Hauri wusste man, dass sie Meister im Umgang mit psionischer Energie waren. Reginald Bull zweifelte nicht daran, dass der Schirm sich für Gucky als undurchdringlich erweisen würde.

Er sah auf, als die Empfänger des Audiosystems ein eigenartiges, brausendes Geräusch übertrugen. Die erste der fünf Raumfähren war soeben durch die niedrige Wolkendecke gebrochen und senkte sich auf das Landefeld im Süden des Tales hinab.

 

Der Ilt hatte zwei Drittel der Ausstattung des Verstecks im Innern des Antennensegments geborgen. Er war, nachdem er Reginald Bull in Sicherheit gebracht hatte, dreimal teleportiert und nach jedem Sprung voll beladen zurückgekehrt. Die Höhle machte infolgedessen einen halbwegs wohnlichen Eindruck. Wichtig für Reginald Bull war jedoch, dass Gucky beim letzten Sprung den Spezialsender mitgebracht hatte, der von den Hyperfunkexperten der BASIS für diesen Einsatz entwickelt worden war. Den Mausbiber hatte die anstrengende Tätigkeit des Teleportierens erschöpft. Er lag im Hintergrund ihres Stützpunkts und schlief.

Bull machte sich im Vordergrund der Höhle an dem Sender zu schaffen. Das Aggregat bezog seine Energie aus einer Gravitraf-Batterie, ebenfalls eine Neuentwicklung. Das Prinzip des Gravitraf-Speichers war seit Jahrhunderten bekannt, seitdem es Metagrav-Triebwerke gab. Erst vor Kurzem war es dem Wissenschaftlerteam an Bord der BASIS gelungen, den Speicher zu miniaturisieren. Die Batterie, die den Spezialsender versorgte, beanspruchte ein Volumen von nicht mehr als sechs Kubikzentimetern. In ihrem Innern bewahrte sie die Energie der zu stehenden Wellen erstarrten Verspannung des Raum-Zeit-Gefüges – genug, um dem kleinen Sender eine Reichweite von mehreren Lichtjahren zu verleihen.

Die Richtantenne war ein Gerät von höchster Präzision. Die Signale, die sie von sich gab, wurden in schärfster Bündelung abgestrahlt. Der Sender hatte bis zu dem Augenblick, als Gucky ihn demontierte, mit einem der Syntrons an Bord der VENLO in Verbindung gestanden. Aufgrund der Messungen, die dieser angestellt hatte, wusste das kleine Rechenelement des Senders genau, wo es sich befand und wie die Antenne ausgerichtet werden musste, damit die abgestrahlten Signale den im Voraus vereinbarten Standort der CIMARRON bestrichen.

Die CIMARRON hatte ursprünglich nicht gewusst, wohin die Hauri den Transporter verschleppen würden, und nachdem der Peilimpuls der VENLO empfangen worden war, hatte keine Möglichkeit mehr bestanden, sich mit dem Einsatzkommando in Verbindung zu setzen. Der Standort des Schiffes war also im Vorhinein relativ zu einem fiktiven Punkt in der Tiefe des Alls festgelegt worden, und zwar so eindeutig, dass der Sender keine Mühe hatte, seine Antenne auf der Basis der vereinbarten Daten zu justieren.

Zur Ausstattung des Spezialsenders gehörten zwei Schablonen, die Reginald Bull zur Formulierung von Nachrichten verwenden konnte. Die erste davon enthielt die Signalsequenz, die der CIMARRON mitteilte, dass das Einsatzkommando wohlbehalten am Zielort angekommen war. Die zweite Schablone würde den Sender dazu veranlassen, die Nachricht »Kommt uns abholen« abzustrahlen. Die Signalfolgen, die er dabei von sich gab, waren komprimiert und gerafft, aber nicht eigens verschlüsselt. Die Sicherheit des Einsatzkommandos beruhte darauf, dass die Hauri die Tätigkeit des Senders nicht wahrnehmen würden. Der scharf gebündelte Richtstrahl machte es unwahrscheinlich, dass die Sendungen zufällig von einem Unbefugten abgehört würden.

Die CIMARRON hingegen konnte antworten, was sie wollte. Ihre Sendungen würden selbstverständlich verschlüsselt sein. Sie gingen nicht direkt nach Ashkalu; denn dadurch hätte das Schiff seinen Standort verraten und die Hauri misstrauisch gemacht. Die CIMARRON funkte vielmehr per Richtstrahl an ein weit außerhalb des Kugelsternhaufens Marty-5 stationiertes Relaisschiff, das mit einem Hochleistungssender ausgestattet war. Das Relaisschiff verbreitete die Nachricht isotrop und mit höchster Sendeleistung. Die Hauri auf Ashkalu würden die Sendungen des Relais wahrscheinlich mithören. Aber selbst wenn es ihnen gelang, sie zu entschlüsseln, erfuhren sie allenfalls Dinge, die keinen Hinweis darauf enthielten, dass sich auf dem Planeten der Materiewippe ein gegnerischer Stoßtrupp eingenistet hatte. Der Spezialsender dagegen würde die Meldungen mühelos entziffern.

Reginald Bull schaltete das Gerät ein. Er wartete, bis die Kontrolllichter volle Betriebsbereitschaft anzeigten. Dann legte er die Schablone ein und berührte den Sensorpunkt, der mit den Buchstaben EXC markiert war. Noch in derselben Sekunde schaltete der Sender sich selbsttätig aus. Die Nachricht war abgegangen.

Danach verstrichen ein paar Minuten. Es war vereinbart, dass die CIMARRON jede Nachricht von Ashkalu auf dem schnellsten Weg bestätigen würde. Reginald Bull hockte im Schneidersitz vor dem Gerät und schaute mit zunehmender Ungeduld in den Regen hinaus. Aus dem Augenwinkel gewahrte er schließlich, wie die Kontrolllampen aufleuchteten. Der Empfänger hatte sich automatisch aktiviert. Der kleine, primitive Drucker trat in Tätigkeit. Mit singenden und brummenden Geräuschen produzierte er ein Stück Folie, das Bull sogleich aus dem Ausgabeschlitz riss.

»CIMARRON hält Rendezvous«, las er. »Desgleichen SORONG und MAI-KI.«

Voller Verwunderung las Bull den Text gleich dreimal hintereinander. Er nahm das Folienstück und ging in den Hintergrund der Höhle. Er hielt Nikki Frickel die Folie entgegen und fragte: »Was, meinst du, soll das bedeuten?«

Nikki las. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Sie haben die SORONG mitgeschickt. Wie fürsorglich. Es wird guttun, den Fuß endlich wieder einmal auf den Bodenbelag meines eigenen Schiffes zu setzen.«

»In der ursprünglichen Planung war nur die CIMARRON vorgesehen«, erinnerte sie Bull. »Ich frage mich, welches der Anlass war, dass die SORONG ebenfalls losgeschickt wurde.«

»Wenn es für uns wichtig ist, wird uns die CIMARRON darüber berichten«, vermutete Nikki Frickel.

»Und was, zum Teufel, ist die MAI-KI?«

»Hört sich kartanisch an«, sinnierte Nikki. »Vielleicht haben die Kartanin eine wichtige Entdeckung gemacht, die mit unserer Aufgabe im Zusammenhang steht. Wahrscheinlich hat die SORONG die MAI-KI an Ort und Stelle gelotst.«

Bull nahm die Folie wieder an sich. Sein Gesicht war sorgenvoll. »Wenn sie vom Plan abweichen, sollten sie mir sagen, warum.«

 

In den nächsten Tagen richteten sie sich ein. Die fünf Fähren waren längst gelandet, und Gucky hatte ein halbes Dutzend Sprünge unternommen, um den Rest der Ausstattung zu bergen. Als Letztes brachte er die Bestandteile des transportablen Transmitters. Das Gerät wurde sofort zusammengebaut und im hintersten Winkel der Höhle aufgestellt. Als Energieversorgung diente ihm eine Batterie desselben Typs, wie der Hypersender sie benutzte.

Am oberen Ende der Felsleiste – dort, wo man ins Tal hinabblicken konnte – hatten sie einen Wachposten eingerichtet. Sie taten abwechselnd Dienst, jeder für die Dauer von drei Stunden. Zu tun gab es während der Wache fast nichts. In Wirklichkeit war es der Pikosyn, der den Talkessel beobachtete und Aufzeichnungen machte.

Ashkalu drehte sich in knapp 33 Stunden einmal um die eigene Achse. An den Lichtverhältnissen ließ sich der Unterschied zwischen Tag und Nacht nicht erkennen. Das Veenorsystem lag nur ein paar Dutzend Lichtjahre vom Zentrum des Kugelsternhaufens Marty-5 entfernt. Der mittlere Sternenabstand betrug in diesem Raumsektor wenige Lichtwochen. Das Sternenlicht, das Tag wie Nacht den Planeten überflutete, war an Leuchtkraft der Sonne Veenor überlegen. Die Nacht war ebenso hell wie der Tag.

Mittlerweile war der 8. November angebrochen. Die Daten, die die Pikosyns der SERUNS während der Wachperioden aufgezeichnet hatten, wurden zusammengespielt und ausgewertet. Die Darstellung der Resultate übernahm Reginald Bulls Pikosyn.

Mehrere Stunden lang sahen sich die fünf Mitglieder der Einsatzgruppe an, was die Pikosyns im Lauf etlicher Tage über die Hauri und ihren Stützpunkt im Talkessel erfahren hatten. Zum Schluss wusste jeder, welches Gebäude den stärksten und welches den schwächsten Publikumsverkehr aufwies, wann die Hauri sich in ihren Baracken einzufinden und wann sie sie wieder zu verlassen pflegten und wie viele Hauri es nach Schätzung des Pikosyns im Talkessel insgesamt gab. Die Zahl belief sich auf 8900.

Unmittelbar war beobachtet worden, dass die Bestandteile des Hypertrop-Zapfers inzwischen aus den fünf Raumfähren entladen und am Nordrand des Landefelds gelagert worden waren. Zu jeder Tages- und Nachtzeit waren wenigstens 200 Hauri in der Nähe des Lagerplatzes beschäftigt, und am Abend des 6. November war der Sockel des Zapfers aufgestellt und das erste Antennensegment darauf befestigt worden. Von Spence Harbaugh fehlte jede Spur.

Die Pikosyns hatten zudem die drahtlose Kommunikation der Hauri aufgezeichnet. Es handelte sich ausnahmslos um lokale Verständigung auf elektromagnetischer Basis. Der Hypersender war kein einziges Mal in Betrieb genommen worden. Die Radiokomnachrichten waren wenig aufschlussreich: Anweisungen und deren Empfangsbestätigungen. Auf den Einsatz der Materiewippe kam keine einzige Kommunikation zu sprechen. Es war, behauptete Gucky, genauso, wie wenn ein Telepath die Gedanken der Hauri zu lesen versuchte. Was sich im Vordergrund ihrer Bewusstseine abspielte, war ohne jegliche Bedeutung, und zum Hintergrund ihrer Gedanken hatte der Telepath keinen Zugriff.

Reginald Bull war mit dem Ergebnis der Auswertung höchst unzufrieden. Die Vorstellung, dass er sich seit einer Woche auf Ashkalu befand, ohne seinem Ziel näher gekommen zu sein, machte ihn zornig. Er kauerte an der Höhlenwand. Es war Zeit zu schlafen; aber er empfand keine Müdigkeit.

Nikki Frickel schlief in der Nähe des Transmitters. Wido Helfrich hatte sich ein paar Meter weiter vorne gebettet und schnarchte mit Hingabe. Narktor stand auf Wache. Der Mausbiber lag auf seinem Polster und rührte sich nicht. Es ließ sich nicht erkennen, ob er schlief.

Selbst Gucky war in Sachen Erkenntnisgewinn bisher eine Enttäuschung gewesen, dachte Bull bitter. Natürlich war es nicht seine Schuld. Die Jünger des Hexameron besaßen eine fremde Mentalität, und ihr Bewusstsein war von gänzlich anderer Struktur als das menschliche. Sie erfüllten den Mentaläther mit ihren vordergründigen, uninteressanten Denkimpulsen, und der Geräuschpegel war so hoch, dass der Ilt die mentale Emission Spence Harbaughs bisher nicht hatte wahrnehmen können. Das war die optimistischere der beiden Deutungsmöglichkeiten. Die andere war wesentlich grimmiger: Es gab Spence Harbaugh nicht mehr.

Zu einem Punkt kehrte Reginald Bull auf seiner geistigen Wanderung durch den von den Pikosyns gesammelten Datenwust immer wieder zurück: Ausgerechnet diejenigen Gebäude, die nach seiner Vorstellung die wichtigsten waren, wiesen die geringste Besucherfrequenz auf. Der große Gebäudekomplex am Nordrand des Tales war in sechs Tagen von insgesamt drei Hauri aufgesucht worden; dabei vermutete Bull dort die Schaltstation der Materiewippe. Die sechs Gebäuderinge, die sich um die Gruppe der Abstrahltrichter schlangen, hatten keinen einzigen Besucher aufzuweisen.

Von dieser Beobachtung ging eine faszinierende Logik aus, die Reginald Bull in ihren Bann schlug: Je wichtiger ein Gebäude war, desto seltener wurde es besucht.

Bull hatte seinen SERUN an der Höhlenwand aufgehängt. Die Koppelung mit dem Kontrollelement des Projektionsgeräts existierte noch. Er aktivierte den Pikosyn durch halblauten Zuruf. »Ich will mir ein paar Aufnahmen ansehen«, erklärte er. »Zeig mir die Orte, die am seltensten besucht werden. Die Gebäuderinge, die Trichter und den Komplex im Norden kannst du dabei auslassen.«

Der Pikosyn reagierte mit seiner üblichen Betriebsamkeit, die erste Videofläche entstand nach wenigen Sekunden. Das Bild zeigte ein schmuckloses Haus mit quadratischem Grundriss, das zu der Gebäudegruppe südlich des Barackenlagers gehörte.

»Sieben Besucher in sechs Tagen«, sagte der Pikosyn.

Das Bild wechselte. Eine Gruppe von kleinen Häusern war zu sehen. Eines davon wurde mit einem Zoom in die Bildmitte geholt. Reginald Bull sah ein schräges Dach mit weitem Überhang, zwei Fenster in einer der Längswände und eine ungewöhnlich massive Tür in der Stirnwand.

»Neun Besucher in sechs Tagen«, sagte der Pikosyn.