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Gut 4000 Jahre in der Zukunft: Auf der Erde und auf Tausenden von Welten leben die Menschen in Frieden und Freiheit. Zu den anderen Sternenreichen der Milchstraße besteht ein freundschaftlicher Austausch. Mit dem Projekt von San will Perry Rhodan die Verbindungen zu anderen Galaxien verstärken. Mit dem PHOENIX steht ein neuartiges Raumschiff zur Verfügung, das als Kurierschiff dienen soll. Doch da taucht eine Fremde namens Shrell auf. Sie fordert von Rhodan, in die Agolei zu reisen. In diesem weit entfernten Sternenband soll er Reginald Bull töten, seinen ältesten Freund. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, erschafft sie das Brennende Nichts – diese Anomalie wird die Erde und den Mond vernichten, falls Rhodan ihr nicht gehorcht. Perry Rhodan fliegt mit dem PHOENIX in die Agolei. Dort findet er Verbündete und neue Freunde, aber auch wankelmütige Helfer und solche mit weitgehend unbekannten Motiven. Er bekommt eine sogenannte Schattenhand, mit deren Hilfe er die Barriere durchdringt, die ihn von Bull trennt. Rhodan erkennt: Sein alter Freund ist für seine Gegner DER USURPATOR …
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Seitenzahl: 197
Veröffentlichungsjahr: 2025
Nr. 3338
Der Usurpator
Konflikte vor dem Zyklonwall – ein Kampfgefährte wird zum Feind
Oliver Fröhlich
Heinrich Bauer Verlag KG, Hamburg
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Vorspiel
1. Der Anfang vom Ende I
2. Ein unwillkommenes Wiedersehen
3. Der Anfang vom Ende II
4. Mittendrin statt außen vor
5. Der Mittler
6. Der Usurpator
Nachspiel
Stellaris 105
Vorwort
»Der Zellaktivator« von Robert Schweizer
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Gut 4000 Jahre in der Zukunft: Auf der Erde und auf Tausenden von Welten leben die Menschen in Frieden und Freiheit. Zu den anderen Sternenreichen der Milchstraße besteht ein freundschaftlicher Austausch.
Mit dem Projekt von San will Perry Rhodan die Verbindungen zu anderen Galaxien verstärken. Mit dem PHOENIX steht ein neuartiges Raumschiff zur Verfügung, das als Kurierschiff dienen soll.
Doch da taucht eine Fremde namens Shrell auf. Sie fordert von Rhodan, in die Agolei zu reisen. In diesem weit entfernten Sternenband soll er Reginald Bull töten, seinen ältesten Freund. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, erschafft sie das Brennende Nichts – diese Anomalie wird die Erde und den Mond vernichten, falls Rhodan ihr nicht gehorcht.
Perry Rhodan fliegt mit dem PHOENIX in die Agolei. Dort findet er Verbündete und neue Freunde, aber auch wankelmütige Helfer und solche mit weitgehend unbekannten Motiven. Er bekommt eine sogenannte Schattenhand, mit deren Hilfe er die Barriere durchdringt, die ihn von Bull trennt. Rhodan erkennt: Sein alter Freund ist für seine Gegner DER USURPATOR ...
Anzu Gotjian – Die Junior-Quintarchin geht ihren eigenen Weg.
Reginald Bull – Der Quintarch sagt FENERIK Lebewohl.
Shrell – Die Anführerin der Restauraten verändert sich.
Perry Rhodan – Der Terraner sucht seinen ältesten Freund – und Antworten.
Vorspiel
Drei Stunden.
Drei lange, unergiebige Stunden, in denen Perry Rhodan und Anzu Gotjian bereits durch die Station im Zentrum von System 5-5-5 des Sternwürfels zogen und nach Reginald Bull suchten. Doch das Einzige, was sie fanden, waren Chaos und Zerstörung. Eingestürzte Decken, in sich verdrillte Antigravschächte, klaffende Risse in Böden.
An vielen Stellen wiesen die eigentlich milchig weißen Wände Kampfspuren auf: rußige Wulste aus dem geschmolzenen und wieder erstarrten Kunststoff der Verkleidung, scharfkantige Löcher in Metall, Dellen.
Ein allgegenwärtiger kalter, brandiger Geruch legte Zeugnis von Scharmützeln ab, von deren Teilnehmern allerdings bislang jede Spur fehlte.
Die Station trug schwere Wunden, die ihr jedoch nicht nur die unbekannten Kontrahenten zugefügt haben konnten. Denn was immer an diesem Ort vor sich gegangen war, hielt noch an. In Wellen zitterten Wände und bebten Böden. Überall knarrte und ächzte es, als würde sich der Stützpunkt unter Schmerzen winden. Das Licht flackerte, in manchen Korridoren war es ganz erloschen. Leitungen baumelten aus Decken, die meisten energetisch tot, doch aus vereinzelten regneten knisternde Funken und verwandelten den Boden darunter in eine Kraterlandschaft.
Nein, die Station trug nicht nur Wunden, sie lag im Sterben. Und weder Rhodan noch Anzu wusste, woran das lag.
Gerade hatten sie die Mannschaftsquartiere im zwanzigsten von 78 Decks durchsucht, doch nur das inzwischen altvertraute Bild vorgefunden. Kabinen mit verwüsteter Einrichtung, teils zerstörte Schlafgelegenheiten für unterschiedlichste Völker, Chaos. Kein Anzeichen von Leben, insbesondere nicht das von Reginald Bull.
Welchen Anteil trug Bull selbst an den Schäden? War er einer der Kontrahenten gewesen? Wie Rhodan von Anzu wusste, trug sein ältester Freund eine Schattenhand – und zwischen die vermutlich von Strahlenwaffen stammenden Spuren der Zerstörung mischten sich immer wieder welche, die eindeutig von Dunkelfunken stammten. Gegen wen also hatte Bully gekämpft? Und wie waren diese Jemande in die Station gekommen? Vor allem aber: Wo steckte er?
»Unsere Suche erscheint mir ein wenig planlos«, gab Rhodan zu, während sie einen Korridor entlanggingen und in jeden Multimedienraum, jede Freizeitanlage, jedes Labor spähten, an denen sie vorbeikamen.
»Was erwartest du von mir? Ich habe beinahe zweihundert Jahre in einem Chaoporter verbracht.«
»Einem neutralisierten Chaoporter«, erinnerte Rhodan.
»Von mir aus. Das ändert nichts an FENERIKS Serendipitätsprinzip. Umherkreuzen, ohne zu suchen, und dennoch – oder gerade deshalb – Erstaunliches finden. Das färbt ab, weißt du?«
Abfärben. Rhodan dachte daran, was Anzu über ihr Leben im Chaoporter erzählt hatte – wie sie im Zuge ihrer Ausbildung zur Sextadim-Kanonierin am gesamten Körper einen azurblauen Überzug erhalten hatte und dieser schließlich abgefärbt hatte, ehe er verschwunden war. Eines von ungefähr einer Million absonderlicher Ereignisse in FENERIK. »Und du glaubst, das funktioniert in dieser Geisterstation genauso?«
»Welche Wahl bleibt uns? Ich habe die Station nie vollständig kennengelernt und war seit fast sechzig Jahren nicht mehr hier. An manche Dinge erinnere ich mich, an viele nicht. Hoffe also nicht darauf, dass ich plötzlich sage: Oh, lass uns auf Deck 75 in Raum 34b nachsehen. Dort lag früher Reginalds Lieblingsversteck. Tut mir leid.«
»Schade.«
Trotz der angespannten Situation konnte sich Rhodan ein Schmunzeln nicht verkneifen. Anzu hatte viel erlebt, seit sie sich zuletzt begegnet waren. Die forsche Art, die er stets an ihr geschätzt hatte, war ihr dennoch erhalten geblieben.
Zugleich wusste er, dass sie in diesem Augenblick mit dem losen Mundwerk überspielen wollte, wie es ihr tief in ihrem Inneren ging. Etwas beschäftigte sie, bedrückte sie. Etwas, das über das Offensichtliche hinausreichte. Sie machte sich Sorgen, nicht nur um ihren langjährigen Begleiter und Freund Reginald Bull. Rhodan ahnte, was sie angesichts der sie umgebenden Zerstörung beschäftigte, hatte sie aber bisher nicht damit konfrontiert. Er hoffte, dass sie von selbst darauf zu sprechen käme, sobald sie so weit war.
Allerdings war ihr Erzählfluss in den vergangenen Minuten ins Stocken geraten, obwohl längst nicht alle von Rhodans Fragen beantwortet waren. Andererseits war er dankbar dafür, gab ihm das doch die Zeit, die Flut an Informationen zumindest einigermaßen zu sortieren.
Beispielsweise, dass LEUN eine negative Superintelligenz gewesen war, die über einen Zeitraum von etwas mehr als 520 Jahren zerfallen und vor 110 Jahren endgültig erloschen war. Schuld daran trug die Korrumpierung, was auch immer das gewesen sein mochte.
Besonders zu knabbern hatte Rhodan jedoch an der Tatsache, dass es Bullys Ziel gewesen war, LEUN aus Gründen des kosmischen Gleichgewichts wiedererstehen zu lassen. Dass er und Shrell also auf derselben Seite gestanden hatten. Vereint durch das gemeinsame Vorhaben, den Gleichklang wiederherzustellen, ihn zu restaurieren. Wären da nicht die Hiesigen gewesen, die genau das verhindern wollten.
Offenbar war es im Lauf der Zeit zwischen Bull und Shrell zu einem Zerwürfnis gekommen, doch so weit war Anzus Erzählung noch nicht vorgedrungen.
Sie näherten sich einer Abzweigung. Erneut würden sie sich nach dem Zufallsprinzip entscheiden müssen, ob sie dem Korridorverlauf folgen oder nach rechts abbiegen sollten. Ohne Kenntnis über den genauen Aufbau der Station gab es hierbei kein Richtig oder Falsch.
Gerade, geometrische Strukturen mit Neunzig-Grad-Winkeln wechselten sich ab mit gebogenen Gängen, Spitzkehren, Hallen mit zahlreichen Ausgängen oder unmerklichen Steigungen oder Gefällen. Außerdem stießen Anzu und Rhodan immer wieder auf von Deckentrümmern blockierte Korridore oder unüberwindliche breite Bodenstürze, die sie zum Umkehren zwangen. Dadurch war es nahezu unmöglich, die Station systematisch von unten nach oben Raum für Raum zu durchsuchen. Bei jeder Richtungsentscheidung liefen sie Gefahr, an weiten Arealen einfach vorbeizuspazieren, ohne es auch nur zu bemerken.
Aber es nützte nichts, darüber zu jammern. Ändern konnten sie es schließlich nicht.
»Wir gehen nach rechts«, beschloss Anzu spontan.
Eine Entscheidung, die ihnen immerhin die Frage nach dem Verursacher der Schäden zum Teil beantwortete. Denn kaum hatten sie einen Schritt in den abzweigenden Gang getan, fauchte ein dünner Thermostrahl zwei Meter neben Rhodans Kopf in die Wand.
*
Die Kunststoffverkleidung schmolz und tropfte in schwarz verschmorten, stinkenden Klumpen zu Boden.
Instinktiv packte Rhodan seine Begleiterin am Arm und zog sie um die Ecke zurück in den Korridor, aus dem sie gekommen waren.
»Bist du in Ordnung?«, fragte er.
»Ich bin nur erschrocken, und meine Frisur ist etwas durcheinandergeraten. Ansonsten ist alles fein.«
Für Rhodan sah Anzus Pferdeschwanz aus wie in den vergangenen drei Stunden. Er widersprach ihr trotzdem nicht.
Alles war so schnell gegangen, dass er nur einen kurzen Blick auf das hatte werfen können, was jenseits der Ecke lauerte: ein spinnenbeiniger Roboter mit echsenhaft erhobenem Oberkörper, im Design offenbar dem Körperbau eines Zha-Leun nachempfunden, den eine aus der Decke gestürzte Metallstrebe am Boden festgenagelt hatte.
Die missliche Lage hatte das Kunstwesen offenbar dazu veranlasst, sich vorläufig abzuschalten. Das Auftauchen der beiden Menschen hatte es jedoch aus seinem Verharrungszustand geweckt und sofort das Feuer eröffnen lassen.
Immer noch schoss es wild um sich. Thermostrahlen trafen in die Decke, die Wand an der Stirnseite und in den Boden der Abzweigung, verwandelten die Verkleidung in einen kochenden See aus Plastik. Die Temperatur stieg rapide an. Der beißende Gestank wurde nahezu unerträglich.
»Lass uns umkehren«, schlug Anzu vor. »Ehe sich der Kamerad befreien kann.«
Gerade das war es, was Rhodan Sorgen bereitete. Aktuell feuerte der Roboter unkontrolliert um sich und stellte keine direkte Gefahr dar, sofern sie nicht um die Ecke traten. Vielleicht beruhigte er sich und fiel in seinen Dämmerzustand zurück. Oder er riss sich los und nahm die Verfolgung auf.
Aus dem abzweigenden Gang erklangen wütendes Sirren und Schaben und Klackern, als kratzten die Spinnenbeine über den Boden, aber immerhin verloren die Schüsse allmählich etwas von ihrer Wildheit.
»Es wäre mir lieber«, sagte Rhodan, »wir könnten ihn irgendwie ausschalten.«
Anzu sah an sich hinab und musterte dann Rhodan. Er wusste, was dieser Blick bedeuten sollte. Da er nach dem Durchqueren des Zyklonwalls nackt in der Station angekommen war und auch Anzu nach einem Sturz in das Brennende Nichts sämtliche Ausrüstung und Kleidung verloren hatte, trugen sie aktuell Bordanzüge aus dem Fundus der zerstörten Kontaktkammer. Die hatten sich zwar aus unförmigen Textilien passgenau an ihre Körper geschmiegt, diese Formvariabilität war aber auch das Einzige, was sie zu bieten hatten. Sie verfügten weder über integrierte Schutzschirmgeneratoren, Antigravmodule noch sonstigen technischen Schnickschnack, der ihnen das Vorankommen erleichtern oder ihre Chancen in einer Begegnung mit einem durchgedrehten Kampfroboter erhöhen würde. Fehlanzeige.
»Jetzt wäre der geeignete Moment, mir zu sagen, dass du weißt, wo die nächste Waffenkammer liegt.«
Anzu verzog das Gesicht. »Ich war nie so der Geeigneter-Moment-Typ. Wenn ich mich nicht irre, existiert eine in der Nähe der Fabriken. Aber darauf verlassen würde ich mich nicht.«
»Fabriken?«
Sie strich sich über die Taille. »Meinst du, diese modischen Schmuckstücke fallen vom Himmel?« Mit dem Daumen deutete sie zur Abzweigung, hinter der mittlerweile einigermaßen Ruhe eingekehrt war. »Oder technische Meisterwerke wie unser spinnenbeiniger Freund?«
»Wo liegen die Fabriken?«
Anzu zeigte zur Decke.
»Über uns?«, fragte Rhodan.
»Sehr weit über uns. In den obersten Decks des Hauptbereichs. Und wieder gilt die Einschränkung: falls ich mich richtig erinnere.«
Völlig waffenlos waren sie allerdings nicht. Rhodan betrachtete das fünffingrige, schwarze Loch, das am Handgelenk seines rechten Arms saß. Die Schattenhand, in deren Gebrauch ihm ausgerechnet Shrell einen Crashkurs verpasst hatte.
Illustration: Dominic Beyeler
Vielleicht war es Zeit für eine weitere Trainingseinheit. Doch wie sollte er die dunklen, zerstörerischen Funken, die die Hand produzieren konnte, nach dem Roboter werfen und auch noch treffen, ohne sich ihm zu zeigen?
Womöglich wäre es besser, umzukehren und nach dem Serendipitätsprinzip eine andere Route durch die Station zu wählen. Wo sie allerdings auf weitere Roboter treffen mochten. Denn dass die überall sichtbaren Kampfspuren nicht nur von dieser einen Maschine stammen konnten, war Rhodan klar.
»Ich verstehe das nicht«, sagte er. »Haben sich die Roboter gegen Bully gewendet? Falls ja, warum? Oder haben sie sich Seite an Seite mit ihm gegen einen anderen Feind gestemmt? Falls ja, gegen wen?«
Anzus Lippen glichen schmalen, blassen Strichen. »Du ahnst es schon. Die Antwort auf beide Falls lautet: Ich weiß es nicht.«
Ein Krachen ertönte jenseits der Ecke, gefolgt vom Klickern und Klackern metallischer Spinnenbeine auf dem Boden. Die Geräusche kamen rasch näher. Der Roboter musste es geschafft haben, sich zu befreien.
Hastig drehte sich Rhodan um. Die nächstgelegene Tür führte in einen Medienraum, ein Holokino mit wenigen und überwiegend zerstörten Schwebesesseln. Wenn er sich recht erinnerte, gab es darin keinen zweiten Ausgang und kaum Möglichkeiten, sich zu verstecken. Dort drinnen säßen sie in der Falle.
Und dennoch blieb ihnen keine andere Wahl, wenn sie sich dem Roboter nicht im freien Feld des Korridors stellen wollten.
»Schnell!«, raunte er Anzu in eindringlichem Tonfall zu. »Hier rein!«
Sie hasteten in das Kino, einen kreisförmigen, zur Mitte hin abfallenden Raum. Die Luft roch stickig. Vermutlich arbeitete die Klimatisierung nur unzureichend, falls überhaupt. Sessel und Sitzgelegenheiten für Wesen von eindeutig nichthumanoidem Körperbau lagen verstreut umher, manche waren in Bodenlöcher gesackt. Links an der Wand flackerte die Beleuchtung eines Nahrungszubereiters.
Rhodans Blick fiel auf den wuchtigen Hologenerator im Zentrum des Kinos. Er war von der Decke gestürzt und hatte von einer ringförmigen Bar nur Bruchstücke des Tresens übrig gelassen.
Ohne sich absprechen zu müssen, eilten sie die Schräge hinab und gingen hinter dem technischen Wrack in Deckung. Keinen Augenblick zu früh.
Durch einen Riss im Generator sah Rhodan, wie der Roboter im Türrahmen auftauchte und dort verharrte. Er stand schief, weil auf einer Seite drei seiner Beine oberhalb des Gelenks endeten. Eine der Schädeloptiken hing an einem Kabel aus der künstlichen Augenhöhle. Dieser Blechkamerad hatte eindeutig schon bessere Zeiten gesehen. Das machte ihn aber keinen Deut ungefährlicher, falls er sich dazu entschloss, das Kino in eine Flammenhölle zu verwandeln.
Er tapste zwei Schritte herein, verharrte erneut und suchte die Umgebung mit ruckartigen Kopfbewegungen ab. Wäre er voll funktionstüchtig, hätte er Anzu und Rhodan anhand der Körperwärme oder anderer biologischer Signale sicherlich längst geortet.
Aufreizend langsam bewegte sich die Maschine auf den Hologenerator zu. Wieso schoss sie nicht einfach auf Verdacht? Womöglich weil sie Stationsausrüstung nur beschädigen durfte, wenn es nicht anders ging – ungeachtet der Tatsache, dass der Technikblock bestenfalls Schrottwert hatte?
Anzu tippte Rhodan gegen den Arm. Als sie sich seiner Aufmerksamkeit gewiss sein konnte, zeigte sie auf einen Metallbecher zu ihren Füßen. Ein Überbleibsel der Bar. Sie hob ihn auf, deutete auf den Becher, dann in einen Kinobereich, der in Dunkelheit lag, und schließlich auf Rhodans Schattenhand.
Rhodan begriff und nickte.
Er konzentrierte sich auf die fünf Finger aus Finsternis und ließ zwischen ihnen einen Dunkelfunken entstehen. Wie er es trainiert hatte. Ein violetter Schimmer färbte die Hand.
Rhodan nickte erneut.
Anzu wartete einen Augenblick, bis der Roboter den Kopf und die verbliebene Optik zum Flackern des Essensautomaten richtete, dann warf sie den Becher in hohem Bogen in die Dunkelheit. Er schepperte auf den Boden.
Die Maschine ruckte herum. Aus einem der Vorderbeine schoss ein dünner Thermostrahl und verwandelte den Becher in einen formlosen Klumpen aus Metall. Ein weiterer Strahl hieb in einen defekten Schwebesessel. Die Polsterung barst, Flammen leckten daraus hervor.
Rhodan nutzten den Moment der Ablenkung, trat hinter dem Generator hervor und schleuderte den schwarzen Funken auf den Roboter. Doch trotz seiner Schäden reagierte der erschreckend schnell.
Noch bevor der Ball aus Finsternis ihn erreichte, fuhr er herum und feuerte.
Später wusste Rhodan nicht mehr zu sagen, wie er es zustande gebracht hatte, geschweige denn, ob er ein weiteres Mal dazu fähig wäre, aber blitzartig breitete sich der Funke zu etwas aus, das wie eine halbtransparente, riesige Schale aussah. Nein, er spannte sich zu einem senkrechten Schirm auf. Der Schuss des Roboters hieb in die Barriere, die ihn schluckte und wirkungslos verpuffen ließ.
Rhodan schleuderte den nächsten Schwarzball. Und wieder geschah etwas ohne sein bewusstes Zutun: Der Funken splitterte in fünf kleinere auf. Sie durchdrangen den Finsterschirm, als existierte der nicht, prasselten in den Leib des Roboters und stanzten Löcher in den Schädel und den Echsenleib.
Die Kampfmaschine gab ein letztes empörtes Sirren von sich, bäumte sich auf – und kam in dieser durchaus imposanten Pose zur Ruhe.
Der Schutzschirm aus Nichts erlosch. Der Roboter bewegte sich nicht mehr.
Ungläubig betrachtete Rhodan die inzwischen wieder vollständig schwarze Schattenhand.
»Wie lange, sagst du, trägst du dieses Ding schon?«, fragte Anzu.
»Nicht lange.«
»Ein Naturtalent. Gut zu wissen.«
»Verlass dich nicht drauf. Ich habe keine Ahnung, ob ich das noch mal schaffen würde.«
»Tu einfach das Gleiche wie gerade, dann passt das schon.«
»Dazu müsste ich erst mal wissen, was ich gerade getan habe. Außerdem hat es mich fürchterlich angestrengt.«
Mit zittrigen Knien verließ Rhodan an Anzus Seite das Holokino. Dem Roboter schenkte er nur einen vorsichtigen Seitenblick, als sie an ihm vorbeikamen.
Sie näherten sich erneut der Abzweigung, wo der geschmolzene Boden zu einer narbigen Masse gehärtet war, da erklang hinter ihnen ein vielstimmiges Surren.
Rhodan zirkelte herum und formte instinktiv einen weiteren Funken. Durch den Gang flog ein Schwarm silberner faustgroßer Roboter, der allerdings nicht angriff, sondern gesammelt im Kino verschwand.
Rhodan ließ den Funken verpuffen.
»Bitte, warte kurz.« Er kehrte zur Kinotür zurück und betrachtete das Schauspiel, das sich ihm bot. Eine Aufführung wie diese hatten die Räumlichkeiten bisher wohl nicht erlebt.
Mit nadelfeinen Desintegratoren zerschnitten die Roboter ihren defekten Kollegen in winzige Teile und transportierten diese mit Traktorstrahlen ab.
»Ich würde tippen«, sagte Anzu hinter Rhodan, »sie bringen die Fragmente in eine Fabrik. Die Station ist ein geschlossenes System mit beschränkten Ressourcen. Da wird nichts verschwendet.«
»Kann es sein, dass wir deshalb bisher nur Kampfspuren, aber nicht deren Verursacher gefunden haben?«
»Weil sie zerlegt werden, sobald sie hinüber sind? Und Freund Spinnenbein ist dem bisher entkommen, weil er zwar zeitweilig außer Gefecht gesetzt, aber nicht zerstört war? Vorstellbar. Wir werden Reginald fragen, sobald wir ihn treffen.«
»Ich mag deine positive Sichtweise. Also suchen wir weiter.«
»Es lebe die Serendipität.«
»Sie – und deine Erzählung, die du hoffentlich fortsetzt.«
1.
Der Anfang vom Ende I
Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, bei dem Pakt, richtig?
Wir Quintarchen und Junior-Quintarchen waren uns einig, mit FENERIK in den Kampf im Sternwürfel einzugreifen, um LEUNS Rückkehr sicherzustellen. Ein Pakt mit Shrell. Nicht die klügste aller Entscheidungen, wirst du vermutlich sagen. Und du hast recht. Aber die Situation war eine andere. Aus damaliger Sicht war es nicht nur der richtige Entschluss, sondern der einzige, den wir im Interesse des Chaoporters treffen konnten.
Das war im Jahr 2190 NGZ.
Verrückt, oder? Obwohl die Neue Galaktische Zeitrechnung in FENERIK eine bestenfalls untergeordnete Rolle spielt, habe ich sie nie aus den Augen gelassen. An jedem 31. Dezember habe ich auf den Jahreswechsel getrunken. Nur für mich selbst habe ich meine Geburtstage gefeiert oder Reginald ein Ständchen zu seinem gesungen. Sehr zu seinem Missfallen übrigens. Er behauptete, ich könne nicht singen. Ich träfe die Töne nicht, sagte er. Keine Ahnung, ob er ein Banause oder ein Lügner ist.
Ich glaube, in Wirklichkeit erinnerten ihn diese Minifeierlichkeiten an das Leben, das er zurückgelassen hatte. An Terra, an dich, an all seine Freunde, von denen er annahm, sie nie wiederzusehen.
Aber ich schweife ab. Was ich eigentlich damit sagen will, ist dies: Wegen meiner Verwurzelung in dieser unbedeutenden Zeitrechnung kann ich dir genau sagen, wann es zur Endschlacht in der Agolei kam.
Es war der 14. Februar 2192 NGZ. Valentinstag. Welches Datum wäre geeigneter, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen? Wobei ... das mit dem Gegenseitig stimmt nicht so ganz ...
*
Vor dem Zyklonwall brannte das All. Und Anzu Gotjian blieb nichts anderes übrig, als zuzusehen.
Sie fühlte sich fehl am Platz auf dem fabrikneuen Flaggschiff der Sternspitze. Ein hochmoderner Raumer der APPUNIA-Klasse, frisch vom Webstuhl, ein wirkliches Schmuckstück, klar. Dennoch hätte sich Anzu viel lieber an Bord von FENERIK aufgehalten. Nicht etwa, weil sie sich dort sicherer vor den wütenden Angriffen der Hiesigen gefühlt hätte, sondern weil sie glaubte, vom Chaoporter aus mehr bewirken zu können. Dort könnte sie aktiv ins Kampfgeschehen eingreifen, zwar nur als Junior-Quintarchin, dennoch würde ihre Stimme gehört werden.
Auf der ELDA-RON hingegen musste sie sich darauf beschränken, das Sterben zu beobachten und Shrell zuzuhören, wie sie Befehle erteilte.
Na gut, das traf nicht ganz die Wahrheit. Tatsächlich diente Anzu an den Bordgeschützen, während Reginald Bull in der Zentrale ein Stück rechts von Shrells Position die Zusammenarbeit zwischen FENERIK und der Sternspitze koordinierte. Anzu fiel der Symbolismus durchaus auf: Reginald Bull, Shrells rechte Hand. Nicht umgekehrt. Auch wenn sie ihm das niemals so ins Gesicht sagen würde. Da war der gute alte Bully doch ein bisschen empfindlich. Aber vielleicht war das sowieso viel zu terranisch gedacht. Was Anzu wiederum völlig egal war – es passte, und fertig!
Anzu jedenfalls fühlte sich auf einen Zuschauerplatz verwiesen. Sie hatte noch keinen einzigen Schuss abgeben müssen. Denn wie es sich für die Befehlshabende der Restauraten gehörte, stürzte sich Shrell nur ins Kampfgetümmel, wenn es unumgänglich war. Sie beobachtete aus dem Hintergrund und befahl den Tod. Den der Gegner, aber auch den der eigenen Leute. Beides allerdings nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ – und bisher hatte sich recht viel vermeiden lassen. Jeder tote Leun, egal ob Restaurat oder Hiesiger, war ein Bewusstsein weniger für den wiederherzustellenden Gleichklang.
Im Holo des Kommandostands flammte die Meldung von der Zerstörung eines weiteren Gefechtssiegels der Sternspitze auf. Ein Schiff von 400 Metern Größe war aus dem All gefegt worden, die Leben wer weiß wie vieler Restauraten ausradiert, und das alles war dem Bordrechner nicht mehr wert als das Erlöschen eines winzigen Bildpunkts im taktischen Holo und eine lapidare Meldung.
Wenn Anzu doch nur auf FENERIK geblieben wäre! Okay, dort war Leben auch nicht sonderlich viel wert, und früher noch viel weniger, aber dann ...
Ja, dann würde der Chaoporter auch nichts anderes tun, als er ohne Anzu tat. Angriffe abblocken, Schiffe der Hiesigen gefechtsunfähig schießen, mit der Sextadim-Kanone auf die Bewusstseine der feindlichen Kommandanten zugreifen.
Und dennoch, wenigstens wäre sie sich nicht so verdammt nutzlos vorgekommen.
Sie beobachtete vom Geschützleitstand aus, wie Shrell nach der Zerstörung des Gefechtssiegels für einen Moment den Blick von der Anzeige abwandte. Kurz krallte sie sich an den Lehnen ihres Sessels fest, und es sah aus, als müsste sie sich zwingen, wieder loszulassen.
Die Schlacht verlief nicht in Shrells Sinn, das stand fest. Wobei Anzu nicht klar war, welcher Verlauf überhaupt im Sinn des oberstkommandierenden Seneschalls der Sternspitze, der Anwältin aller Leun hätte sein können.
»Du solltest nicht hier draußen sein«, sagte Bull.
Shrell wandte ihm kurz den Blick zu, dann sah sie zurück zum Taktikholo, wo in einem Bereich die unsichtbaren Energiebahnen der Geschütze als aufblitzende und erlöschende farbige Linien dargestellt wurden. Es war ein die menschlichen Sinne – zumindest die von Anzu – überforderndes und kaum interpretierbares Gewirr aus Rot und Blau.
»Wo würdest du mich denn lieber sehen?«, fragte Shrell, ohne das Holo aus den Augen zu lassen.
»Das weißt du ganz genau. Dort!« Bull deutete auf eine gigantische dunkelgelbe Kugel im Holo.
Ein weiterer Service des Bordrechners: die farbliche Veranschaulichung eines Objekts, das im All ansonsten kaum zu erkennen gewesen wäre. Schwarze Kugel vor schwarzem Hintergrund. Nichts, was ein ernst zu nehmender Künstler als Motiv für ein Gemälde gewählt hätte. Nur dadurch, dass das Brennende Nichts die Sterne dahinter verdeckte, wäre es bestenfalls zu erahnen gewesen.
Anzu wusste, was Bull meinte: System 5-5-5. Die Station hinter dem Zyklonwall. Weder Bull noch sie hatten sie jemals betreten. Lediglich Shrell war während der vergangenen zwei Jahre hin und wieder mithilfe ihrer Schattenhand ins Innere vorgedrungen und hatte mehrere Stunden, manchmal Tage dort verbracht. Zu welchem Zweck auch immer. Vielleicht hatte sie Pläne geschmiedet, die Einsamkeit genossen oder vor einem großen roten Knopf mit der Aufschrift Zur Wiedererrichtung von LEUN bitte hier drücken gegen die Versuchung angekämpft, die Hiesigen zu ihrem Glück und in den Gleichklang zu zwingen.
Während dieser – vielleicht alles entscheidenden – Schlacht jedoch weigerte sie sich, in der Station Schutz zu suchen.
»Ich werde mich nicht verstecken!« Shrell klang energisch, beinahe empört, als stellte Bulls Vorschlag eine unerhörte Beleidigung dar. »Was soll mein Volk von mir denken, wenn ich mich hinter dem Zyklonwall verkrieche, während es sich der Übermacht stellt? Ich werde es nicht allein lassen.«
»Es geht nicht um dich«, beharrte Bull. »Oder nicht nur. Wenn die Restauraten dich verlieren, verlieren sie nicht nur ihre Anführerin, sondern auch die einzige Schattenhand in ihren Reihen und damit den Zugang zu 5-5-5.«