Perry Rhodan 3341: Die Paria - Oliver Fröhlich - E-Book

Perry Rhodan 3341: Die Paria E-Book

Oliver Fröhlich

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Beschreibung

Gut 4000 Jahre in der Zukunft, in der Mitte des 23. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung: Auf der Erde und auf Tausenden von Welten leben die Menschen in Frieden und Freiheit. Zu den anderen Sternenreichen der Milchstraße besteht ein freundschaftlicher Austausch. Mit dem Projekt von San will Perry Rhodan die Verbindungen zu anderen Galaxien verstärken. Mit dem PHOENIX steht ein Raumschiff zur Verfügung, das als Kurierschiff dienen soll. Doch da taucht eine Fremde namens Shrell auf. Sie fordert von Rhodan, in die Agolei zu reisen. In diesem weit entfernten Sternenband soll er Reginald Bull töten, seinen ältesten Freund. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, erschafft sie das Brennende Nichts – diese Anomalie wird die Erde und den Mond vernichten, falls Rhodan ihr nicht gehorcht. Eine entscheidende Rolle in dem Intrigenspiel, das sich zwischen den Sternen der Galaxis entspinnt, fällt Cameron Rioz zu – der junge Mann scheint zu einem Spielball der Mächte zu werden. Celina Bogarde, die ehemalige Sicherheitschefin von Wylon Hypertech, war eine dieser Machtpersonen. Aber derzeit ist sie DIE PARIA …

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Seitenzahl: 158

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Nr. 3341

 

Die Paria

 

In Ungnade gefallen – eine Killerin sucht einen Ausweg

 

Oliver Fröhlich

 

 

 

Heinrich Bauer Verlag KG, Hamburg

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Der Preis der Sicherheit

2. Reine Schikane

3. Nicht mehr in Kansas

4. Nur eine technische Störung

5. Unsafe House

6. Die Sache mit dem Vertrauen

Fanszene

Leserkontaktseite

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

 

Gut 4000 Jahre in der Zukunft, in der Mitte des 23. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung: Auf der Erde und auf Tausenden von Welten leben die Menschen in Frieden und Freiheit. Zu den anderen Sternenreichen der Milchstraße besteht ein freundschaftlicher Austausch.

Mit dem Projekt von San will Perry Rhodan die Verbindungen zu anderen Galaxien verstärken. Mit dem PHOENIX steht ein Raumschiff zur Verfügung, das als Kurierschiff dienen soll.

Doch da taucht eine Fremde namens Shrell auf. Sie fordert von Rhodan, in die Agolei zu reisen. In diesem weit entfernten Sternenband soll er Reginald Bull töten, seinen ältesten Freund. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, erschafft sie das Brennende Nichts – diese Anomalie wird die Erde und den Mond vernichten, falls Rhodan ihr nicht gehorcht.

Eine entscheidende Rolle in dem Intrigenspiel, das sich zwischen den Sternen der Galaxis entspinnt, fällt Cameron Rioz zu – der junge Mann scheint zu einem Spielball der Mächte zu werden. Celina Bogarde, die ehemalige Sicherheitschefin von Wylon Hypertech, war eine dieser Machtpersonen. Aber derzeit ist sie DIE PARIA ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Celina Bogarde – Eine Paria sorgt sich um ihre Zukunft.

Hector Amadi – Ein Techniker wurde von seinem Seelenflattern noch nie getäuscht.

Akira McNamara – Ein Wartungstechniker Zweiter Klasse muss einen überflüssigen Auftrag annehmen.

Nina Labeau – Eine Anfängerin im Wartungsteam von Wylon Hypertech.

*Routinemäßiger Statusbericht vom Technischen Korps des Galaktikums, erstellt am 17. November 2250 NGZ*

Berichtsobjekt: Relais nGAL-R 63252-B.

Betriebsablauf weitgehend ungestört; festgestellte Unregelmäßigkeiten: 27 Auszeiten mit Reaktionsverzögerungen von weniger als 0,1 Sekunden, 4 Auszeiten mit Reaktionsverzögerungen zwischen 0,11 und 0,25 Sekunden. Einzelaufstellung siehe Anlage 1, dort Textziffer 2.1.

Mögliche Ursachen: temporäre Überlastung des Netzwerks, lokale Hyperphänomene mit Überlagerung des Hyperfrequenzbands.

Beurteilung: Zahl und Dauer der Fehler innerhalb des vorgeschriebenen Toleranzbereichs.

Erforderliche Maßnahmen: keine.

*Statusbericht Ende*

 

 

1.

Der Preis der Sicherheit

 

Cassandra war tot. Und mit ihr war ein Teil von mir gestorben.

Ich saß auf dem nackten Boden in meinem Safe House, den Rücken gegen die Wand gelehnt, in den Händen einen isolierten Flexiplastbecher. Der Nahrungszubereiter behauptete, dass es sich bei der dampfenden Flüssigkeit um Lavendelblütentee handelte. Ich teilte diese Ansicht nicht. Heißes, kaum wahrnehmbar aromatisiertes Wasser schmeckte nicht besser, nur weil man ihm einen wohlklingenden Namen gab.

Das hinderte mich nicht daran, das Experiment Tag für Tag mit anderen Sorten zu wiederholen. Ich war für alles dankbar, was mir half, die Zeit totzuschlagen, und sei es der sinnlose Versuch, dem Gerät ein Getränk zu entlocken, das so schmeckte, wie sein Name hoffen ließ. An Oxtornischer Weidenrinde und Malvenfreude war es bereits gescheitert.

Normalerweise neigte ich nicht zum Selbstmitleid. Während der vergangenen beinahe zwei Wochen, in denen ich dieses Versteck benutzte, genehmigte ich mir jedoch hin und wieder eine Ausnahme. Obwohl ich weniger mich selbst als die Tatsache bedauerte, dass mich die Umstände zum Verkriechen und zur Tatenlosigkeit zwangen.

Ich starrte zum bodentiefen Fenster in der mir gegenüberliegenden Wand. Würde ich die Beine und Füße ein wenig mehr strecken, hätte ich es mit den Zehenspitzen berühren können. So beengt ging es in dem Unterschlupf zu.

Mein Blick ruhte auf dichtem Dschungel, auf Büschen mit riesigen Blüten, auf knorrigen Bäumen mit fleischigen Blättern, von denen der Morgentau perlte. Im Geäst saßen farbenfrohe, exotische Vögel und wetzten ihre Schnäbel aneinander. Ein idyllisches Bild. Seine beruhigende Wirkung erreichte mich längst nicht mehr.

Wenn ich etwas brauchte, war es weniger Ruhe. Und vor allem weniger Langeweile. Aber das war nun einmal der Preis, den ich für meine Sicherheit bezahlen musste, bis sich die Wogen geglättet hatten. Oder bis sich John Wylon dazu herabließ, mit mir zu sprechen.

Bisher war ich stets an automatisierten Warteansagen gescheitert oder rangniedere Mitarbeiter hatten mich mit fadenscheinigen Begründungen abgeblockt. Der Chef sei gerade zu Tisch. Der Chef stecke in einer Besprechung. Der Chef befände sich auf Dienstreise.

Ich erkannte Ausflüchte, wenn ich welche hörte. Die Wahrheit war, dass sich John verleugnen ließ, dass er den Kontakt mit mir verweigerte.

Als hätte mir dieser eigentlich ernüchternde Gedanke neue Energie verliehen, trank ich einen weiteren Schluck des angeblichen Lavendelblütentees, verbrühte mir daran Oberlippe und Zunge und stand auf. Durch den Gang mit dem Fenster zum Dschungel kehrte ich in den winzigen Raum zurück, der aktuell meinen Lebensmittelpunkt darstellte.

Eine durchgelegene Nanoschaummatratze, ein Tischchen samt Hocker, ein winziges Regal mit ein paar Blumen, daneben eine unscheinbare Schachtel, mehr war in dieser besseren Abstellkammer nicht zu finden. Ich liebte Blumen. Die kümmerlichen Exemplare in meinem Wohn-/Schlaf-/Ess- und Lesezimmer ließen jedoch mittlerweile die Köpfe hängen und verströmten eher Tristesse als behagliches Flair.

Symbolisierten sie auf gewisse Weise meine eigene Niedergeschlagenheit?

Keinesfalls. Ich ließ den Kopf schließlich nicht hängen, sondern beugte mich klaglos der Notwendigkeit des Untertauchens. Nun ja, fast klaglos.

Ich akzeptierte die Tatsachen: Meine Tarnidentität war aufgeflogen. Und somit war mein Alter Ego Cassandra tot. Ich war wieder nur noch Celina Bogarde. Das konnte ich zwar bedauern, ändern würde das allerdings nichts.

Den Tee stellte ich auf den Tisch. Sobald er abgekühlt war, würde ich ihn zum Blumengießen verwenden.

Es war an der Zeit, die nächste Etappe meiner täglichen Routine anzugehen. Den improvisierten Fitnessparcours hatte ich – mit neuer Bestzeit – durchlaufen, die Nahkampfübungen mit dem Trainingsservo absolviert. Das anschließende Vorhaben, dem Nahrungszubereiter ein erkennbar anders als Wasser schmeckendes Getränk zu entlocken und es mir beim Blick aus dem Fenster einzuverleiben, betrachtete ich wie an den Tagen zuvor als gescheitert. Nun stand Lesen auf dem Programm.

Die Mediathek meines mobilen Holoprojektors war das Einzige, was man in dem Safe House guten Gewissens als umfangreich bezeichnen konnte. Sie erlaubte mir den Zugriff auf Hunderttausende gespeicherte Trivid-Filme und noch mehr Literatur.

Dostojewskis Schuld und Sühne hatte ich vor zwei Tagen beendet. Und auch Tring'So-Thals Epos Der graue Mann von Gol hatte ich bereits zu einem Viertel durch.

Ich öffnete das Holo und nahm mir vor, bis zum Ende des nächsten Kapitels zu schmökern. Anschließend würde ich erneut versuchen, John Wylon zu erreichen.

»Pyt war ein Ignorant«, las ich. »Er wusste nicht, welchen unermesslichen Schatz er sein eigen nannte. Anstatt dem Schicksal täglich auf Knien zu danken, dass es ...«

Bereits nach diesen wenigen Worten tastete ich mit den Augen zwar weiterhin die Zeilen ab, doch der Text konnte meine Gedanken nicht einfangen. Stattdessen glitten sie in die ...

 

*

 

... Vergangenheit

Dash Brannigan aufzusuchen, war definitiv eine schlechte Idee. Dummerweise hatte ich keine bessere.

Brannigans Haus lag am westlichen Stadtrand von London in einer beschaulichen Wohnsiedlung. Nicht gerade die mondänste Gegend, dazu waren die Gebäude zu gleichförmig errichtet und die Vorgärten zu sehr wie am Holoreißbrett von einer einfallslosen Positronik geplant. Rosenbeet, Wiese, Tulpenbeet, Wiese, zwei Apfelbäume – je einer links und rechts des Schotterwegs zwischen Garten- und Haustür –, noch ein bisschen Wiese, ein abschließendes Rosenbeet und dann das Wohnhaus, ein schlichter, einstöckiger Quader mit golden verspiegelter Fassade und einer Tür in Holzoptik mit verschnörkelten Ornamenten. Und dieses Bild bot sich Grundstück für Grundstück für Grundstück an einer zwei Kilometer langen, kerzengeraden Straße.

Eine Gegend, in der ich nicht tot hätte über dem Zaun hängen oder im Tulpenbeet liegen, geschweige denn wohnen wollen. Letzteres war erfreulicherweise nicht der Fall. Und mit ein bisschen Glück konnte ich auch Ersteres vermeiden.

Immerhin war es ruhig. Gelegentlich spazierten Pärchen durch den weitläufigen Park gegenüber, sauste ein Jugendlicher auf einem schnittigen Antigravboard an den Häusern vorbei oder huschte ein Privatgleiter die Straße entlang.

Seit fünf Tagen kehrte ich regelmäßig an diesen Ort zurück, mal als sportbegeisterte Läuferin, die in quietschbunter Trainingskleidung im Park ihre Runden drehte, mal als ältere Dame, die auf einer der zahlreichen Bänke saß und die Vögel fütterte, einmal sogar in der Verkleidung eines Mannes, der am Teich angelte.

Am Vortag hatte ich Mikrosonden vor Brannigans Tür platziert, die unbemerkt ins Haus huschten, als er es verließ. Jedes Zimmer hatte ich bis in den kleinsten Winkel durchsucht und ergebnislos nach winzigsten Strahlungsemissionen von Überwachungsequipment Ausschau gehalten. Diesen Aufwand hatte ich betrieben, um Dash Brannigans Haus zu beobachten – und um sicherzustellen, dass ich die Einzige war, die das tat.

Doch damit sollte nun Schluss sein. Wenn ich fünf Tage in Folge keine Mikrosonden anmaß und keine Terraner oder Roboter bemerkte, die sich auffällig oder gar besonders unauffällig verhielten, würde sich das auch am sechsten Tag nicht ändern. Und das hieß: Der Augenblick der Kontaktaufnahme war gekommen.

Diesmal trug ich die Maske einer Frau um die dreißig mit ebenmäßigen Zügen, zierlicher Nase, strahlenden grünen Augen und schulterlangen roten Haaren. Bei aller Bescheidenheit: Ich sah phantastisch aus. Kein bisschen unscheinbar. Als hätte eine Positronik die Essenz aus zahlreichen Männerphantasien destilliert und ihr eine einzige Gestalt verliehen.

Und so war es auch. Die Matrix, nach der der Drucker in meinem vorübergehenden Versteck die Maske aus Biomolplast erschaffen hatte, vereinte die Züge der Frauen, die laut aktuellen Umfragen als die schönsten Terras galten. Nach menschlichen Maßstäben, versteht sich.

In der Hand hielt ich eine Flasche exklusiven Wein. Marsianischen Paradiesgarten, um genau zu sein. Unter dem Arm klemmte eine Schachtel feinster Marzipanpralinen.

Ich hatte keine Ahnung, ob Dash Brannigan Marsianischen Paradiesgarten und Marzipan mochte. Seine lukullischen Vorlieben umfasste das Dossier nicht, das ich vor Jahren über ihn angelegt hatte. Allerdings war es mir auch gleichgültig. Schließlich wollte ich für potenzielle Beobachter, die ich womöglich übersehen hatte, den Anschein erwecken, ihn zu einem freundschaftlichen, vielleicht sogar romantischen Besuch zu treffen.

Mit der freien Hand kontrollierte ich ein letztes Mal den Sitz des Strahlers unter meinem luftigen Blazer. Ein zierliches, flaches Modell aus der Waffenschmiede von Wylon Hypertech. Der Strahler, nicht der Blazer.

Dass sich das Unternehmen und sein Inhaber John Wylon öffentlich von mir distanzierten, mich mit anderen Worten vor die Tür gesetzt hatten, hieß nicht zugleich, dass mir der Zugriff auf Firmentechnologie versperrt war. Über Jahre hinweg hatte ich mir einen hübschen kleinen Vorrat angelegt. In etlichen Verstecken wartete so manches Schmuckstück auf seinen Einsatz. Und dort lagerte ich nicht allein Technik aus dem Hause Wylon.

Ich berührte gerade den kühlen Griff der Waffe, da erklang hinter mir ein Schrei. Sofort fuhr ich herum, jederzeit bereit, den Strahler aus dem Achselholster zu ziehen. Wäre ich nur ein wenig nervöser gewesen, hätte ich womöglich das fünfjährige Mädchen erschossen, das jammernd und mit verweinten Augen mitten auf der Straße stand.

Wo war die Kleine so plötzlich hergekommen? Ich rügte mich für meine gefährliche Unaufmerksamkeit. Früher wäre mir so etwas nicht passiert. Allerdings hatte sich mein Leben in den vergangenen Wochen weit von früher entfernt.

Einige Meter hinter dem Kind, am Rand des Parks, tuschelten zwei Jungs miteinander, schnitten dem Mädchen Grimassen und stopften Süßigkeiten in sich hinein. Ich schätzte sie auf sieben und neun Jahre.

Illustration: Dominic Beyeler

Ich ging auf die Kleine zu, sank auf ein Knie, um mit ihr auf Augenhöhe zu kommen, und fragte: »Was ist denn passiert?«

Das Mädchen schniefte und zeigte auf die Jungs. »Brian und Rolland, sie ... sie ...« Die Stimme ging beinahe unter in einem Meer aus Tränen. »... sind so gemein!«

»Haben sie etwas Böses gesagt?«

»Sie haben mir meine Crunchy Crops weggenommen, und jetzt geben sie mir nicht mal was ab.«

»Brian und Rolland, hm?«, sagte ich. »Sind das deine Freunde?«

»Meine Brüder.«

Ich lächelte und hoffte, dass sich die sympathische Ausstrahlung einer jung gebliebenen Großmutter, die man mir zuweilen nachsagte, entfalten konnte. Gut, der Teil mit der Großmutter schied unter der Männerphantasiemaske aus. Aber was zählte, war nicht das Gesicht, sondern das Charisma.

Da es in meiner Profession darauf ankam, dass Menschen das in mir sahen, was ich sie sehen lassen wollte, umfasste mein Repertoire eine Reihe sorgfältig einstudierter und perfektionierter Mienen und Gesten. Ich entschied mich für das patentierte Lächeln Nummer neun: leicht angehobene Mundwinkel, geschlossene Lippen, mitfühlender Blick.

»O ja, das ist viel schlimmer. Wie heißt du?«, fragte ich.

»Nelly.«

»Schön, Nelly. Soll ich mal mit den beiden reden?«

Die Kleine nickte heftig. Eine Rotzglocke hing ihr bis zur Oberlippe.

»Dann mach ich das mal. Warte hier auf mich. Vielleicht magst du dir die Nase putzen, bis ich wiederkomme?«

Ich stand auf, ging zu den räuberischen Burschen, die mir mit großen Augen entgegensahen, baute mich vor ihnen auf, verwendete diesmal patentiertes Lächeln Nummer vier – mit einem Hauch von Zähnen und trotz aller Freundlichkeit mit einer unterschwelligen Bedrohung im Blick – und sagte: »Hört mir gut zu, denn ich werde mich nicht wiederholen. Ich kann Kerle wie euch nicht ausstehen. Die eigene Schwester beklauen? Wirklich? Ihr fühlt euch sicher, weil ihr größer und stärker seid als sie. Aber nun hat Nelly eine neue Freundin. Mich. Und wisst ihr was? Ich bin größer und stärker als ihr. Ich behalte euch künftig im Auge. Und wenn ihr so etwas noch einmal tut, werde ich mit euren Gesichtern so lange den Boden polieren, bis euch nicht mal eure eigenen Eltern erkennen.«

Brüderlich sanken ihre Unterkiefer herab. In Brians – oder Rollands? – Mund lag noch ein unzerkauter Crunchy Crop.

Ohne das Lächeln und die nun nicht mehr ganz so unterschwellige Bedrohlichkeit auch nur für einen Moment flackern zu lassen, fragte ich: »Habt ihr das verstanden?«

Sie nickten.

»Ausgezeichnet. Dann hätten wir das also geklärt. In eurem eigenen Interesse hoffe ich, dass sich Nelly nie mehr bei mir über euch beschwert. Falls doch, sehen wir uns wieder. Und glaubt mir, das wollt ihr nicht. Habt noch einen schönen Tag.«

Ich kehrte zu Nelly zurück und drückte ihr die Marzipanpralinen in die Hand. An Dash Brannigan wären sie ohnehin verschwendet gewesen. »Die sind ganz allein für dich. Brian und Rolland haben versprochen, dass sie nichts abhaben wollen.«

Ihre Tränen waren versiegt. Ungläubig blickte sie von der silbrig glänzenden Schachtel zu mir, dann wieder zu den Pralinen. Sie strahlte.

»Danke schön«, sagte sie artig. Was für ein süßes, wohlerzogenes Kind.

»Sehr gerne.« Ich strubbelte ihr durch die Haare und schenkte ihr ein letztes Lächeln.

Dann wandte ich mich Brannigans Haus zu. Am Straßenrand vor seinem Garten parkte ein kleiner Stadtgleiter, von dem keiner der Anwohner wusste, wem er gehörte. Falls sie sich überhaupt Gedanken darüber machten, nahmen sie vermutlich an, er gehörte irgendeinem Nachbarn oder einem Besucher irgendeines Nachbarn. Und damit hatten sie nicht ganz unrecht.

An Rosen-, Tulpen- und noch einmal Rosenbeet vorbei erreichte ich die Haustür und wandte mich um. Nelly schlenderte mit ihren Brüdern die Straße entlang. Die Jungs hatten sie in ihre Mitte genommen, als wäre nie etwas geschehen, und hielten ihr die Tüte mit Crunchy Crops hin. Sie schüttelte den Kopf und naschte stattdessen eine Marzipanpraline. Allmählich verschwanden sie aus meinem Blickfeld.

Gewiss, jeder Erziehungspsychologe hätte bei meiner pädagogisch eher zweifelhaften Ansprache an Nellys Brüder die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Dennoch hatte sie offenbar verfangen. Ich wünschte mir, dass es immer so einfach wäre, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Leider war es das nicht. Manchmal erforderte es mehr als leere Drohungen, sich dem hehren Ziel zumindest anzunähern. Und manchmal erforderte es deutlich mehr.

 

*

 

Ich berührte den Sensor neben der Eingangstür, und erneut ging mir durch den Kopf, was für eine schlechte Idee der Besuch war. Wie gefährlich, trotz aller Vorbereitungen. Ich wünschte, es gäbe eine bessere Möglichkeit, an die Informationen zu kommen, die ich mir von Brannigan erhoffte.

Normalerweise lief der Kontakt zu den Mitgliedern meines Netzwerks bei USO und TLD auf anderen Wegen. Textnachrichten, Funkbotschaften, Holokommunikation, und das stets über nicht zurückverfolgbare Kanäle. Und wenn ich doch einmal persönlich bei jemandem auftauchte, nahm es für ihn meistens kein gutes Ende.

Da brauchte ich nur an Josseph Hanlon zu denken, den USO-Mitarbeiter, der mir vor Wochen von Cameron Rioz' bevorstehender Verhaftung berichtet hatte. Eine Information, die ihn das Leben gekostet hatte.

Ich hatte ihn getötet, um auszuschließen, dass man mir über ihn auf die Schliche kam. Etwas, das ich nicht gerne getan hatte – und noch immer sah ich sein überraschtes, entsetztes Gesicht vor mir, als er den Grund für meinen persönlichen Besuch verstand. Nein, ich hatte es nicht gerne getan. Aber ich hatte es tun müssen.

Ebenso wie ich auf der HELIOS den Techniker Norm Kennel hatte ausschalten müssen. Was für eine Verschwendung seines großen Talents. Warum hatte er es auch ausgerechnet dafür genutzt, Rioz die Flucht zu ermöglichen, nachdem wir ihn USO und TLD vor der Nase weggeschnappt hatten? Wieso hatte er seine Neugier nicht in den Griff bekommen und mir – ausgerechnet mir! – gesagt, dass er herausfinden würde, um wen es sich bei Cassandra handelte. Welche Wahl war mir geblieben, als ihn final daran zu hindern, wenn ich meine Tarnidentität schützen wollte?

Im Nachhinein erschienen Hanlons und Kennels Tode umso bedauerlicher und überflüssiger, als meine Verstrickung in Flint Coles und John Wylons Machenschaften trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ans Licht gekommen war.

Vorsichtsmaßnahmen. Ein hübsches, neutrales, weil nichtssagendes Wort. Viel schöner als Morde.

Dass jemand wie Dash Brannigan das genauso sah, erschien mir fraglich. Von Norm Kennels Schicksal wusste er mit Sicherheit nichts, von Hanlons Tod hingegen vermutlich schon. Schließlich hatte der genauso der USO angehört wie Brannigan.

Die Tür vor mir blieb verschlossen. Ich hatte Brannigan vor zwei Stunden nach Hause kommen sehen. War er trotzdem inzwischen wieder ausgeflogen? Durch eine Hintertür, einen Transmitter oder von mir unbemerkt auf normalem Weg, während ich Nellys Brüder zur Ordnung gerufen hatte? Unwahrscheinlich. Vermutlich beobachtete er mich über verborgene Optiken und fragte sich, was er mit der Fremden vor seinem Haus anfangen sollte.

Kurz war ich versucht, das als Wink des Schicksals zu verstehen, mich umzudrehen und aus dem Staub zu machen. Aber das ging nicht. Bevor ich Terra verließ, brauchte ich größtmögliche Sicherheit. Und die konnte mir nur Brannigan geben. Vielleicht. Hoffentlich. Den Gedanken, mit diesem Besuch ein Risiko gegen ein anderes einzutauschen, verdrängte ich.

Ich betätigte den Sensor erneut und reckte die Weinflasche in die Richtung, in der ich die Optiken vermutete.

Die Hartnäckigkeit zahlte sich aus. Vor der Tür baute sich das Holo von Dash Brannigan auf, einem stiernackigen Mann mit kurzem blondem Bart, eng stehenden Augen und einer gewaltigen Nase, die seinen Körperschwerpunkt gewiss um einige Zentimeter nach vorne verlegte.

»Wer bist du?«, formten seine Hololippen, während die Stimme aus Akustikfeldern links über mir erklang. »Hast du dich im Haus geirrt?«

»Keineswegs, Dash. Ich habe da etwas, das dich interessieren dürfte. Bevorzugst du einen Einundvierziger Jahrgang oder einen Zweiundvierziger?«

Für einen Augenblick verlor der Holo-Brannigan die Kontrolle über seine Gesichtszüge. Die Augen weiteten sich, schienen absurderweise sogar ein wenig auseinanderzurücken, der Mund formte den Beginn einer lautlosen Erwiderung und blieb dann offen stehen. Das bedeutete, der Mann hinter der Tür hatte in meinen letzten beiden Sätzen die Worte erkannt, mit denen Cassandra jede ihrer Nachrichten an ihn begonnen hatte. Lediglich die genannten Jahrgänge waren stets variabel gewesen und hatten ihm die beiden Schlüssel verraten, mit denen er den in der Nachricht folgenden, belanglos erscheinenden Text dechiffrieren konnte.