Perry Rhodan Neo 239: Merkosh - Rüdiger Schäfer - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan Neo 239: Merkosh E-Book und Hörbuch

Rüdiger Schäfer

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Beschreibung

Gut fünfzig Jahre nachdem die Menschheit ins All aufgebrochen ist, bildet die Solare Union die Basis eines friedlich wachsenden Sternenreichs. Aber die Sicherheit der Menschen ist immer wieder in großer Gefahr. Eine unheimliche Bedrohung sucht die Galaxis heim – das Dunkelleben. Es scheint seinen Ursprung im Zentrum der Milchstraße zu haben. Deshalb bricht Perry Rhodan mit der CREST II in den Sagittarius-Sektor auf. Die Terraner durchqueren das Herrschaftsgebiet der Omniten und erreichen schließlich deren Zentrum. Dort aktiviert Rhodan eine uralte Anlage der Loower, die dem Dunkelleben Einhalt gebieten soll. Aber man hat ihn offenbar getäuscht – sind die neun Türme in Betrieb, werden sie zugleich große Teile der Milchstraße verheeren und Milliarden von Lebewesen töten. Der einzige Hoffnungsschimmer, um diese Katastrophe noch abzuwenden, könnten Informationen sein, die ihm seine Tochter Nathalie und ein Weggefährte enthüllen. Es beginnt mit der Lebensgeschichte von MERKOSH ...

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Zeit:5 Std. 42 min

Sprecher:Hanno Dinger

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Band 239

Merkosh

Rüdiger Schäfer

Cover

Vorspann

1.

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19.

20.

Impressum

Gut fünfzig Jahre nachdem die Menschheit ins All aufgebrochen ist, bildet die Solare Union die Basis eines friedlich wachsenden Sternenreichs. Aber die Sicherheit der Menschen ist immer wieder in großer Gefahr. Eine unheimliche Bedrohung sucht die Galaxis heim – das Dunkelleben. Es scheint seinen Ursprung im Zentrum der Milchstraße zu haben.

Deshalb bricht Perry Rhodan mit der CREST II in den Sagittarius-Sektor auf. Die Terraner durchqueren das Herrschaftsgebiet der Omniten und erreichen schließlich deren Zentrum. Dort aktiviert Rhodan eine uralte Anlage der Loower, die dem Dunkelleben Einhalt gebieten soll. Aber man hat ihn offenbar getäuscht – sind die neun Türme in Betrieb, werden sie zugleich große Teile der Milchstraße verheeren und Milliarden von Lebewesen töten.

Der einzige Hoffnungsschimmer, um diese Katastrophe noch abzuwenden, könnten Informationen sein, die ihm seine Tochter Nathalie und ein Weggefährte enthüllen. Es beginnt mit der Lebensgeschichte von MERKOSH ...

1.

Merkosh rannte, so schnell er konnte. Dabei zwang er sich, nur nach vorn zu schauen. Er wusste aus Erfahrung, dass er ins Stolpern geraten und stürzen würde, wenn er sich nach seinen Verfolgern umsah.

Der junge Oproner hetzte auf eins der kleinen Glaswäldchen zu, die sich wie Inseln über die hügelige Graslandschaft der Lehranstalt verteilten – die einzigen Orte in erreichbarer Distanz, die sich zumindest halbwegs als Verstecke eigneten.

Hinter ihm erklangen laute Rufe. Hatten sie ihn entdeckt? Dann war er verloren. Er spürte, wie die Halme der Traklyten gegen seine Unterschenkel schlugen; so fest, dass ihre Nährflüssigkeit austrat, die in den jungen Trieben gespeichert war und von seiner Haut absorbiert wurde. Der ekelhaft süßliche Geschmack störte einen Moment lang seine Konzentration. Er strauchelte, fing sich jedoch sofort wieder.

Sie werden mich kriegen, durchzuckte es ihn. Und je länger sie dafür brauchen, desto größer wird ihre Wut sein, die sie dann an mir abreagieren.

Er wusste das. Aber was sollte er tun? Einfach stehen bleiben und das scheinbar Unvermeidliche geschehen lassen? Oder – ein geradezu lächerlicher Gedanke – sich zur Wehr setzen? Der Gewalt mit Gegengewalt begegnen?

Nein. Dann schon lieber weglaufen und sich zwischen den Glasbäumen und den Wassersträuchern verstecken. Er war bereits ziemlich gut darin, seine Körpertransparenz zu erhöhen, besser als die meisten anderen Schüler. Wenn er Glück hatte, gaben sie die Suche irgendwann auf und zogen ab.

Der Traklytenbewuchs wurde dichter. Das war in Waldnähe immer so. Die Glasbäume boten den dünnen Halmen einen guten Schutz gegen die Herbstwinde, die in dieser Gegend des Planeten ziemlich kräftig wehten. Gleich hatte er es geschafft.

»Da ist er!«, schrie jemand.

Das klang viel zu laut und viel zu nah – der Schreck fuhr Merkosh so heftig in die Glieder, dass sich die Muskeln in seinen Beinen versteiften. Diesmal gelang es ihm nicht mehr, das Gleichgewicht zurückzugewinnen. Er schaffte noch ein paar verzweifelte, staksende Schritte; dann schlug er unbeholfen auf den Boden.

Das weiche Gras bremste seinen Sturz. Trotzdem fuhr ihm ein scharfer Stich durch das rechte Handgelenk. Er hatte instinktiv versucht, sich mit den Armen abzufangen.

Hastig rappelte er sich hoch, rutschte aus, fiel erneut hin. Eine weitere Gelegenheit, seine Flucht fortzusetzen, bekam er nicht mehr. Er spürte, wie ihn jemand kräftig am Gürtel seiner Hose packte und nach oben zog.

»Na, wen haben wir denn da?«, hörte er die Stimme von Breknesh. »Wenn das mal nicht unser Alleswisser aus dem Land der Klugscheißer ist ...«

Gelächter ertönte. Wie immer war Breknesh nicht allein unterwegs. Merkosh wurde unsanft herumgedreht. Zwei weitere Oproner griffen sich seine Arme, bogen sie auf den Rücken und hielten sie fest. Er ignorierte das schmerzende Handgelenk, so gut er konnte, und versuchte sich zu befreien. Natürlich ohne Erfolg.

»Lasst mich in Ruhe!«, stieß Merkosh hervor, während die Tränen in seine Augen traten. Es waren Tränen des Zorns und der Scham. Seine Peiniger waren nicht nur in der Überzahl, sie waren zudem ausnahmslos stärker als er. »Ich habe euch nichts getan!«

»Wie solltest du auch?« Breknesh lachte spöttisch. Seine Kumpane stimmten sofort mit ein.

Merkosh kannte sie alle, die ganze Bande. Da war Enoshall, der seinen mangelnden Intellekt durch einen bemerkenswerten Einfallsreichtum kompensierte, wenn es um das Quälen und Demütigen anderer ging. Growaan und Kestebiik waren für Oproner überdurchschnittlich kräftig gebaut. Ihre akademischen Leistungen waren ähnlich bescheiden wie die ihrer Kameraden; das galt allerdings nicht, was das Verprügeln ihrer Mitschüler betraf. Wenn Raufen und Schikanieren Prüfungsfächer gewesen wären, hätten sie mit Auszeichnung bestanden.

Somanash hingegen war so still und zurückhaltend, dass sich Merkosh nicht zum ersten Mal fragte, wie er zu einem Teil dieser üblen Gruppe geworden war. Er passte so gar nicht zu Breknesh und seinen tumben Schlägern.

»Du kannst es aber gern mal versuchen, Alleswisser!«, rief der Anführer der Truppe. Er sah Merkosh mit breitem Grinsen an. In seinen Adern bewegte sich das Blut in schnellen, ruckartigen Schüben. Unter der milchig weißen Haut war das bereits gut zu sehen, zumal Brekneshs Haut keinerlei Zeichen oder Symbole aufwies. Das schnell schlagende Herz mit seinen sechs Kammern jedoch blieb nur ein diffuser Schatten im hinteren Brustbereich. Die für Oproner typische Körpertransparenz stellte sich erst um das elfte Lebensjahr herum ein.

»Na los!«, provozierte Breknesh weiter. »Du hast den ersten Schlag. Ich werde mich nicht wehren ...« Demonstrativ ließ er die langen Arme baumeln.

»Ich will mich nicht prügeln«, erwiderte Merkosh. »Nicht mit dir und auch mit keinem anderen. Warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?«

Breknesh wiegte den Kopf, als denke er intensiv nach. Dann zuckte seine Faust blitzartig nach vorn. Merkosh spürte, wie seine Unterlippe aufplatzte. Sein Kiefer knackte; helles, fast transparentes Blut lief in seinen Mund. Hätten ihn Growaan und Kestebiik nicht festgehalten, wäre er auf der Stelle zusammengesackt.

Erneut kamen ihm die Tränen, diesmal vor Schmerz und Angst. Ihr salziger Geschmack breitete sich über Wangen, Kinn und Halsansatz aus. Das Blut in seinem Mund dagegen fühlte sich warm und zähflüssig an. Instinktiv spuckte er aus – und begriff im gleichen Moment, dass er damit sein Todesurteil unterzeichnet hatte.

Die nächsten Sekunden liefen wie in Zeitlupe ab. Die glasige Flüssigkeit flog als feine Tropfenwolke durch die Luft, so langsam, dass er einen Moment lang glaubte, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um sie wieder einzufangen und die Katastrophe dadurch noch abwenden zu können. Aber er war wie gelähmt. Er konnte nichts tun, außer dazustehen und zu beobachten, wie sein Blut eine sanfte Parabel beschrieb, die kurze Reise auf Brekneshs Oberkörper beendete und dort ein Muster aus kleinen und größeren Punkten auf die Haut zeichnete.

Der Oproner machte einen Schritt rückwärts, als hätte ihn die Wucht des Treffers dazu gezwungen. In Wahrheit war es nur die Fassungslosigkeit, die Breknesh weichen ließ. Mit weit aufgerissenen Augen senkte er den Kopf und starrte auf seine fleckige Brust. Als er wieder aufsah und Merkosh fixierte, spiegelte sich abgrundtiefer Ekel in seinen Zügen, der sich einen Lidschlag später in maßlose Wut verwandelte.

»Dafür wirst du bezahlen, Alleswisser«, flüsterte Breknesh.

Merkosh wollte trotz des pulsierenden Schmerzes in seinem Kiefer etwas sagen, doch dazu kam er nicht mehr. Der nächste Schlag seines Gegenübers krachte so heftig gegen die rechte Kopfseite, dass sogar Growaan und Kestebiik ihre eisernen Griffe lockern mussten. Merkosh hob schützend beide Arme – und kassierte einen mörderischen Tritt in den Bauch. Mit einem Aufschrei ging er zu Boden.

»Los!«, forderte Breknesh seine Mitstreiter auf. »Macht ihn fertig!«

Als Merkosh wieder zu sich kam, wusste er zunächst nicht, wo er war. Eine Weile lag er einfach nur da und wünschte sich, tot zu sein. Sein Körper war ein Ozean aus Schmerzen, und jede noch so kleine Bewegung löste einen Orkan aus, der dessen Oberfläche zum Schäumen brachte. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er sich halbwegs aufrichten konnte. Sofort erfasste ihn heftiger Schwindel, und er musste sich übergeben.

Dann kehrte die Erinnerung zurück. Der Geschmack nach Gras und Erde auf dem Rücken verriet ihm, dass er im weitläufigen Garten der Anlage lag. Breknesh und die anderen waren nach getaner Arbeit abgezogen und hatten ihn einfach zurückgelassen.

Merkosh bemühte sich, gleichmäßig zu atmen. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn verprügelt hatten, aber es war noch nie so schlimm gewesen. Vielleicht hatten sie ihn diesmal sogar wahrhaftig umbringen wollen. Es fühlte sich zumindest so an. Unter Opronern galt das Anspucken als die schlimmste aller Beleidigungen, und dabei war es gleichgültig, ob es mit Absicht oder ungewollt passierte.

Er brauchte vier Versuche, bis er sich einigermaßen auf den Beinen halten konnte. Die Gebäude der Anstalt schienen auf einmal Lichtjahre entfernt zu sein. Seine Augen tränten nach wie vor, sodass er sie in der Ferne kaum erkennen konnte.

Ahaiku stand bereits hoch am Himmel, also musste er mehrere Stunden bewusstlos gewesen sein. Das bedeutete, dass er mindestens zwei Lektionen verpasst hatte. Warum hatte man nicht nach ihm gesucht? Seine Abwesenheit musste doch bemerkt worden sein. Die Tutoren entschuldigten das Fehlen eines Schülers nur in Ausnahmefällen.

Langsam, ermahnte sich Merkosh in Gedanken. Schritt für Schritt. Atme mit dem Schmerz. Atme ihn aus dir hinaus.

Tatsächlich wurde es mit der Zeit ein wenig besser. Zu seiner Erleichterung war nichts gebrochen – zumindest soweit er das selbst feststellen konnte. Er war kein Mediziner und musste auf sein Gefühl vertrauen. Es tat höllisch weh, aber nicht so sehr, dass er fürchten musste, schwerere Verletzungen erlitten zu haben.

Zwanzig Minuten später erreichte er die Unterkünfte. Er hatte Glück. Die Lektionen des Vormittags liefen noch, sodass er keine anderen Schüler traf. Die kleine Zelle, die er sich mit Resotum teilte, war gleichfalls verlassen. Er ließ sich von der integrierten Medoeinheit verarzten und betrachtete sich in einem projizierten Spiegelfeld. Breknesh und seine Kumpane waren auf ihre ganz eigene Art und Weise schlau. Sie verursachten keine sichtbaren Spuren. Selbst die Schwellung von Merkoshs Unterlippe war kaum noch zu erkennen.

Eine schnelle Überprüfung seines Lehrplans zeigte ihm, dass die Lektion in Oktatometrie in zehn Minuten zu Ende gehen würde. Es brachte also nichts, noch dort aufzukreuzen. Danach hatte er Quantentektonik bei Hochlehrer Sinilton. Das würde er schaffen. Er würde ganz einfach sein Maitron aufsuchen und so tun, als wäre nichts gewesen. Vielleicht hatte er ausnahmsweise einmal Glück, und sein unentschuldigtes Fehlen war nicht bemerkt worden. Das war zwar höchst unwahrscheinlich, aber hoffen durfte man immerhin.

Die Kugel des Omnitrons strahlte im Licht Ahaikus. Die schmalen, schwarzen Sinneslinien liefen an seiner gläsernen Fassade nach oben und vereinten sich in einer Höhe von über vierhundert Metern zu einem Bündel, das wie der Kopf einer riesigen Doinumfrucht aussah. Merkosh betrat den großzügig dimensionierten Innenhof und steuerte zielstrebig die Gleitrampen an, die in die oberen Bereiche des Gebäudes führten. Dort lagen die Räume der naturwissenschaftlichen Fachgebiete.

Im Orientierungsareal traf er auf Resotum. Als sein Freund ihn erblickte, stürmte er mit wedelnden Armen auf Merkosh zu.

»Wo, bei allen Schwarzen Löchern des Zentrums, warst du?«, fragte Resotum ohne Begrüßung. »Ich habe mir ernsthafte Sorgen gemacht!«

»Hat jemand nach mir gefragt?«

»Mich nicht«, antwortete Resotum. »Aber das will nicht viel heißen.«

Da hatte er recht. Verstohlen sah sich Merkosh nach Breknesh und seinen Gefolgsleuten um, konnte jedoch keinen von ihnen entdecken. Da sie ein Jahr weiter waren als er selbst, war das keine Überraschung. Trotzdem ließ sich die Angst vor einer weiteren Begegnung nicht unterdrücken, selbst wenn diese in der Öffentlichkeit und unter Zeugen stattfinden würde.

Drei Jahre noch, dachte er resigniert. Drei Jahre, dann ist meine Grundausbildung abgeschlossen und ich kann die Anstalt verlassen.

Eine endlos lange Zeit, das wusste er natürlich. Und vor allem eine Zeit, in der sich Breknesh noch viele Gelegenheiten bieten würden, Merkosh das Leben zur Hölle zu machen. Allerdings würden in den nächsten Wochen die Neuen eintreffen. Vielleicht fand sich unter ihnen ein dankbareres Opfer; jemand, der noch besser ins Beuteschema der Bande passte als Merkosh.

Ja, er schämte sich für solche Gedanken. Verhindern konnte er sie freilich nicht. Manchmal träumte er davon, nicht so schmächtig und schwach zu sein, wie er es nun mal war. Vor ein paar Jahren hatte er sogar versucht, sich von einem anderen Schüler die Grundlagen des Haik-Orr beibringen zu lassen – des Sonnenfeuers. Doch er hatte schnell erkennen müssen, dass er für die uralte opronische Kampfkunst weder das Talent noch die körperlichen Voraussetzungen mitbrachte. Die Erfahrung hatte ihn zudem gelehrt, dass die Tracht Prügel nur umso heftiger ausfiel, je mehr er sich dagegen zur Wehr setzte. Am besten machte man sich so klein wie möglich und wartete, bis alles vorbei war.

Kurz darauf erklang das Lautzeichen für den Lektionsbeginn. Merkosh suchte sein Maitron auf und legte sich hinein. Die volltransparente Kapsel ähnelte den Vitrons, mit denen sich die Angehörigen der Raumfahrergilde durch das Compariat bewegten, und für einen kurzen Moment gab er sich der wunderschönen Illusion hin, zu einer großen Reise aufzubrechen. Vielleicht in die Zentralsektoren oder in die Kernzone der Sonnenbarriere. Oder gar zum Omnitischen Herzen. Dann erinnerte ihn ein leiser Summton daran, dass sich das Maitron aktiviert und die Lektion begonnen hatte.

Quantentektonik war für die meisten Schüler – und vor allem für Resotum – eine Qual. Das lag zum einen am komplexen Lehrstoff selbst, zum anderen an Hochlehrer Sinilton, der jedes Mal Anforderungen stellte, die weit über dem allgemeingültigen Standard lagen. Merkosh störte das nicht, im Gegenteil. Denn in den meisten Fächern wurde er kaum gefordert. Bei Sinilton indes musste er sich anstrengen – und er hatte das angenehme Gefühl, wirklich etwas zu lernen.

Wie üblich schaltete er eine abgeschirmte Privatverbindung zu Resotums Maitron. Es war fast schon eine Tradition, dass Merkosh seinen Wohnzellengenossen in den intellektuell anspruchsvolleren Fächern behutsam unter die Arme griff. Resotum war nicht dumm, aber auch kein strahlender Stern am akademischen Firmament. Er war eher praktisch veranlagt und würde seinen Beitrag für die opronische Gesellschaft vermutlich irgendwann in den Basisgewerken oder als Steuerer in den technischen Ringen der Systemverwaltung leisten.

Erwartungsgemäß kontrollierte Sinilton zunächst die Heimlektionen der Vorwoche – und wie immer tat er das offen und ohne Abschirmung. Er hatte die Aufgabe gestellt, einen quantenmechanischen Zustand mit mindestens vier diskret konjugierten Variablen zu beschreiben, der außerhalb eines n-dimensionalen Phasenübergangs mindestens zehn Zeptosekunden stabil blieb. Es hatte ungewöhnlich lange gedauert, bis Merkosh dahintergekommen war, dass der Hochlehrer absichtlich ein praktisch unlösbares Problem konstruiert hatte. Phasenübergänge im Quantenraum gehörten zu den gestörten Algorithmen, waren also per definitionem instabil. Dieses Hindernis ließ sich jedoch mit einer Rückwärtsanalyse umgehen. Merkosh hatte einfach drei der vier Variablen auf null gesetzt. Das reduzierte die Komplexität des betrachteten Zustands auf eine endliche Anzahl Dimensionen, was für eine extrem kurze Zeitspanne der Stabilität ausreichte.

Während ein Schüler nach dem anderen zugeben musste, an der Aufgabe gescheitert zu sein, wurde Merkosh mit jeder verstreichenden Sekunde unruhiger. Er hatte damit gerechnet, dass wenigstens drei oder vier seiner Kommilitonen auf die gleiche Lösung wie er selbst gekommen waren. Wenn man einmal in die richtige Richtung dachte, war das gar nicht mehr so schwer. Aber er hatte sich geirrt. Offenbar war er der Einzige, der Siniltons Trick durchschaut und seinerseits mit einer Finte geschickt umgangen hatte. Sein Ruf als Alleswisser aus dem Land der Klugscheißer, ein rhetorischer Geistesblitz von Breknesh, der sich bedauerlicherweise schnell herumgesprochen und durchgesetzt hatte, würde sich weiter festigen.

Als Merkosh an der Reihe war, erschien das faltige Gesicht des Hochlehrers als übergroßes Holo auf der Spiegelfläche des Maitrons. Sinilton musterte ihn streng, während Merkosh die gespeicherten Körperzeichen über seine Haut abgab. Die Molekülketten entwichen aus den Poren als mit bloßem Augen nicht erkennbare Fibrillen. Die Recheneinheit des Maitrons fing sie auf und wandelte sie um.

Nach einer Weile verzog sich Siniltons rechter Mundwinkel für einen Moment zur Andeutung eines Lächelns. Vielleicht irrte sich Merkosh da aber auch. Er hatte Sinilton noch nie lächeln sehen und war sogar der Meinung, dass der Hochlehrer zu einer derartigen emotionalen Eruption gar nicht fähig war.

»Gut gemacht«, lobte Sinilton. »Komm nach der Lektion in meine Dienstzelle. Ich möchte mit dir reden.«

2.

Die Dienstzellen der Tutoren lagen ein paar Ebenen höher als die Lehrsäle mit den Maitrons. Während die anderen Schüler in Scharen in die entgegengesetzte Richtung strömten, um sich in die Speiseschalen im Gemeinschaftsbereich zu legen, schob sich Merkosh die Gleitrampe hinauf und den breiten, hell erleuchteten Korridor entlang, von dem die Zellentüren der Lehrkräfte abzweigten. Siniltons Zelle war eine der letzten, und je näher Merkosh ihr kam, desto stärker krampften sich seine Sinnesknoten zusammen. Er rieb sich die taub gewordenen Dohnen an den Handgelenken, doch die Muskeln waren so verhärtet, dass die Massage mehr wehtat als Linderung verschaffte.

Warum bist du so nervös?, fragte sich Merkosh. Wahrscheinlich will dir der Hochlehrer nur zu deiner unkonventionellen Strategie beim Lösen seiner Aufgabe gratulieren. Vielleicht bekommst du sogar eine offizielle Belobigung und ein paar Zusatzpunkte auf dein Schülerkonto. Mach dich nicht verrückt ...

Auf dem Gang traf Merkosh niemanden. Ebenso wie die Schüler waren auch die meisten Tutoren bei der Nahrungsaufnahme. Letztere indes nicht im Gemeinschaftsbereich, sondern in jenen beiden Etagen des Omnitrons, die speziell für sie reserviert waren. Ein direkter Kontakt zwischen den Lernenden und Lehrenden war nicht gern gesehen. Seine Tutoren bekam man deshalb üblicherweise nur in den Körperfächern und bei der alle drei Septen stattfindenden Leistungsbeurteilung persönlich zu Gesicht.

Dann stand Merkosh vor der Zellentür, auf der Siniltons Name in großen Zeichen in Augenhöhe prangte. Die gelbe Meldetaste direkt darunter schien ihn höhnisch anzugrinsen und zu flüstern: »Drück mich ... Drück mich und besiegele dein Schicksal.«

Eigentlich konnte es nur um Merkoshs Abwesenheit bei den Lektionen am Vormittag gehen. Allerdings war es ungewöhnlich, dass sich wegen einer solchen Lappalie der Hochlehrer persönlich einschaltete. Derartige Dinge erledigten üblicherweise die niederen Tutoren oder die Elementare der Anstaltsleitung.

»Der Schüler möge eintreten!« Die laute Stimme Siniltons brachte das Pavengespinst in Merkoshs Oberhirn zum Vibrieren. Das resultierende Schwindelgefühl wurde für einen Atemzug so heftig, dass er sich am Türrahmen festhalten musste. Hatte er die Meldetaste überhaupt berührt? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Auf jeden Fall hatte sich die Tür aufgelöst und den Weg in die Zelle freigegeben.

Sinilton war nicht allein. Er saß zwar wie gewohnt hinter seinem geschwungenen Holotisch, wurde jedoch von zwei weiteren Opronern flankiert, die sich wie Ehrenwachen rechts und links neben ihm aufgestellt hatten. Einen der beiden erkannte Merkosh sofort, den anderen hatte er noch nie zuvor gesehen.

»Setz dich!« Der Hochlehrer zeigte auf einen schlichten Schemel, der vor dem Tisch stand und sich genauso unbequem anfühlte, wie er aussah. Aus dem neutralen Klang der Stimme ließ sich nicht erkennen, was Merkosh erwartete. »Den weisen Teklash kennst du ja sicher«, fuhr Sinilton fort.

Gewiss, Merkosh kannte den Mentar seiner Lehranstalt. Teklash hatte ihn vor fünf Jahren begrüßt, als er von der Richtungsschule ins reguläre Ausbildungssystem gewechselt war – zusammen mit einigen Hundert anderen Frischlingen. Seitdem hatte Merkosh den für einen Oproner erstaunlich großen Mann nur noch aus der Ferne gesehen.

Als Teklash seinen Kopf kaum merklich in Merkoshs Richtung neigte, wäre der beinahe auf die Knie gesunken. Seine Beine fühlten sich plötzlich an, als bestünden sie aus Timasirup.

»Das hier ist Jolshatur.« Sinilton deutete auf den anderen Besucher. Er trug einen langen Eelat, das traditionelle Gewand der Hochmediker. Die blassgraue Oberfläche des dünnen Gewebes kräuselte sich, als wäre sie lebendig. Dabei glaubte Merkosh ein Flüstern zu hören.

Die Untersuchung, schoss es durch seine Gedanken. Sie haben etwas gefunden. Wenn der Mentar und ein Hochmediker persönlich erscheinen – und dann auch noch gleichzeitig –, kann das nichts Gutes bedeuten. Ich werde sterben!

Die jedes Halk fällige Gesundheitsprüfung war zwar bereits einige Zeit her, doch was hieß das schon? Wahrscheinlich war die Krankheit, die sie bei ihm festgestellt hatten, so selten und tödlich, dass sie die Diagnose mehrfach überprüft hatten, um sich sicher zu sein. War er womöglich sogar – mochten die Geister Omnirs ihm gnädig sein – mit Dunkelleben infiziert? Würde man ihn auf eine der Quarantänewelten bringen? Würde er dort über Jahre hinweg jämmerlich vor sich hin vegetieren, während ihn das Quasivirus langsam von innen verzehrte ...?

Reiß dich zusammen!, rief er sich zur Ordnung. Wenn die Große Geißel dich erwischt hätte, wärst du längst in einem Isolationstank und an Bord eines Transportschiffs auf dem Weg ins Contagiat.

»Jolshatur ist nicht nur Höchster Elementar der medizinischen Gilde auf Opronos«, riss ihn Sinilton aus der beginnenden Panik, »sondern auch Mentar des Eel-Instituts. Sind dir Funktion und Bedeutung dieser Lehranstalt ein Begriff?«

Merkosh verschränkte die Hände vor der Brust und signalisierte dadurch, dass er das renommierteste und berühmteste medizinische Ausbildungszentrum des Planeten selbstverständlich kannte.

»Gut.« Der Hochlehrer fixierte ihn mit verengten Augen.

Merkosh hätte unter Eid geschworen, dass er Siniltons Blick körperlich spürte. Es fühlte sich an, als vereinten sich zwei Laserstrahlen im exakten Zentrum seiner Stirn und bohrten sich geradewegs in sein Hirn. Nur mit maximaler Anstrengung gelang es ihm, still sitzen zu bleiben und sich nicht die brennende Haut zu reiben.

»In zwei Tagen wirst du diese Anstalt verlassen und deine Studien auf Trivos fortsetzen«, eröffnete ihm Sinilton. »Deine Evaluierungen haben ergeben, dass du für die Laufbahn als Mediker geeignet bist. Du solltest dich freuen, Schüler Merkosh. Wir öffnen dir eine Tür, die den meisten anderen Opronern deines Alters verschlossen bleibt. Die opronische Gesellschaft hat nicht unerhebliche Mittel in deine bisherige Ausbildung investiert. Du wirst es ihr danken, indem du dich nicht nur anstrengst, sondern über dich hinauswächst. Ich sehe großes Potenzial in dir – und ich würde es dir persönlich übelnehmen, wenn du mich diesbezüglich Lügen strafst.«

Merkosh saß einfach nur da und starrte die drei Männer vor ihm abwechselnd an. Seine trockene Haut und die pochenden Dohnen waren der Beweis dafür, dass das alles wahrhaftig geschah. Glauben wollte er es dennoch nicht.

Auf der Insel Trivos, rund fünfhundert Kilometer von der Hauptstadt Ataimaru entfernt, lagen die Eliteschulen. Die Kaderschmieden der Gilden. Dorthin kam man nur, wenn man hochrangige Fürsprecher oder viel Einfluss, sprich Geld besaß. Merkosh hatte beides nicht. Gab es eventuell noch ein drittes Kriterium?

Ich sehe großes Potenzial in dir. Dieser Satz aus Siniltons Mund war so ungewöhnlich, dass sich Merkosh fragte, ob man den Hochlehrer gegen einen Klon ausgetauscht hatte. Sinilton lobte niemals. Wenn er mit einem Schüler zufrieden war, tadelte er lediglich nicht ganz so unbarmherzig wie sonst.

»Möchtest du noch etwas sagen?« Diesmal klang der Hochlehrer nicht mehr neutral, sondern ungeduldig.

Merkosh presste die Fäuste gegeneinander. Er hätte ohnehin kein Wort herausgebracht.

»Was tust du dann noch hier?«, fragte Sinilton. »Deine nächste Lektion beginnt in zwanzig Minuten.«

Merkosh sprang so hastig auf, dass der Schemel beinahe umgefallen wäre. Dann drehte er sich auf der Stelle um und verließ die Zelle. Nur mit Mühe widerstand er dem Drang, einfach loszurennen. Erst auf der Gleitrampe in die unteren Stockwerke fiel der Druck von ihm ab, der ihn bis dahin wie ein Panzer aus gegossenem Garotit umschlossen hatte.

Trivos! Das Eel-Institut! Das alles konnte nur ein Traum sein. Die Lektionen des Nachmittags rauschten wie Regen an ihm vorbei. Er hätte hinterher nicht mehr zu sagen vermocht, welchen Inhalt sie gehabt hatten.

Der Abschied von seiner bisherigen Lehranstalt fiel ihm nicht schwer – der Abschied von Resotum umso mehr.

Sein Freund hatte die sensationellen Nachrichten wesentlich gefasster aufgenommen als Merkosh selbst. Resotum war nicht gerade begeistert gewesen. Oproner wie er hatten nicht viele Freunde. Wie Merkosh auch war Resotum Vollwaise. Das war wohl unter anderem der Grund dafür gewesen, dass beide sich von Anfang an gut verstanden hatten. Und natürlich die Tatsache, dass Resotum ebenso wie Merkosh von Breknesh und seiner Horde drangsaliert wurde.

Während Merkosh die wenigen persönlichen Dinge zusammenklaubte, die er besaß, hockte Resotum auf seiner Ruheschale und sah ihm zu.

»Was hast du?«, fragte Merkosh, als ihm das anhaltende Schweigen zu viel wurde.

»Nichts«, lautete Resotums knappe Antwort.

»Das sieht aber nicht nach nichts aus ...« Merkosh deutete erst auf die Brust, dann auf den Kopf seines Freunds. »Dein Herz schlägt sichtlich schneller als sonst. Und die Rinde deines parophalen Kortex ist ganz weiß. Du bist wütend.«

»Nun mal langsam, Hochmediker Merkosh!«, stieß Resotum gereizt hervor. »Hast du deine Ausbildung am Institut etwa schon abgeschlossen? Nein? Dachte ich mir. Also behalte deine unqualifizierten Diagnosen für dich.«

»Tut mir leid. Ich wollte dich nicht ...«

»Ach, halt die Klappe!«, unterbrach ihn Resotum. Er zog die Beine an den Körper und umschlang sie so fest mit seinen langen Armen, dass sich die Hände beinahe im Rücken berührten.

Merkosh nahm den dünnen Armreif aus einem Fach seiner Ablage und streifte ihn sich über das Handgelenk. Als man ihn vor rund zehn Jahren als in eine Decke gewickeltes Neugeborenes in der Konversionskammer eines Recyclingzentrums gefunden hatte, war der Reif alles gewesen, was er bei sich getragen hatte. Er hatte gewaltiges Glück gehabt. Die Kammer war kurz vor einem Desintegrationszyklus gewesen. Wenige Minuten später hätte sie sich mit nicht mehr verwertbarem Abfall gefüllt, der zerstrahlt und in seine atomaren Bestandteile aufgelöst worden wäre. Der Techniker, dem Merkosh sein Leben verdankte, hatte aus purem Zufall noch einmal die Anzeigen im Steuerraum überprüft und festgestellt, dass eine der Kammern bereits teilbefüllt gewesen war – mit einem wenige Tage alten Oproner!

Merkosh hatte sich die alten Berichte angesehen, sobald er sechs Jahre alt gewesen war und den Status eines Memen erreicht hatte. Sein Fall war damals ziemlich spektakulär, weil hochgradig ungewöhnlich gewesen und hatte einiges an Aufsehen erregt. Man hatte herauszufinden versucht, wer seine Eltern waren und wie er in die Konversionskammer eines Recyclingzentrums geraten war, doch ohne Erfolg. Irgendwann waren die Ermittlungen eingestellt worden, und man hatte ihn der Fürsorge der Gemeinschaft überantwortet. Er war in einem der Obhutzentren aufgewachsen. Mit drei Jahren war er auf eine Richtungsschule gewechselt und schließlich einer weiterführenden Lehranstalt zugeteilt worden.