Perry Rhodan Neo 240: Das neue Plophos - Oliver Plaschka - E-Book

Perry Rhodan Neo 240: Das neue Plophos E-Book

Oliver Plaschka

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Beschreibung

Das Jahr 2090: Ein halbes Jahrhundert nachdem die Menschheit ins All aufgebrochen ist, bildet die Solare Union die Basis eines friedlich wachsenden Sternenreichs. Aber die Sicherheit der Menschen ist immer wieder gefährdet: durch interne Konflikte und externe Gegner. Beispielsweise sucht eine unheimliche Macht die Galaxis heim – das Dunkelleben. Im Zentrum der Milchstraße spürt Perry Rhodan dem Ursprung dieser Bedrohung nach. Es gelingt ihm, das Dunkelleben in ein gigantisches Schwarzes Loch zu verbannen. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat müssen Rhodan und seine Gefährten jedoch erkennen, dass der Feind längst nicht überwunden ist. Zudem eskalieren Konflikte zwischen der Erde und den menschlichen Kolonien auf fremden Welten. Insbesondere der machtgierige Iratio Hondro, der sich zum Herrscher des Planeten Plophos aufgeschwungen hat, erweist sich als ein unberechenbarer Gegner. Nachrichten von einem beginnenden Bürgerkrieg auf Plophos erreichen die Erde – und Perry Rhodan beschließt, sofort einzugreifen. Er trifft auf DAS NEUE PLOPHOS ...

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Band 240

Das neue Plophos

Oliver Plaschka

Cover

Vorspann

Prolog: Odysseus kehrt heim

1. Government Garden

2. Capra

3. Tosoma Islands

4. Bildersturm

5. Troja

6. Memento mori

7. Revolte

8. Mauerschau

9. Quinto-Bar

10. Titanenkampf

11. Oubliette

12. Refugium

13. Capella

14. Jagdgesellschaft

15. Hades

16. Rostmatten

17. Katabasis

18. Agenten

19. Vernunftmenschen

20. Familienbande

Epilog: Das neue, wirklich neue Taylor

Impressum

Das Jahr 2090: Ein halbes Jahrhundert nachdem die Menschheit ins All aufgebrochen ist, bildet die Solare Union die Basis eines friedlich wachsenden Sternenreichs. Aber die Sicherheit der Menschen ist immer wieder gefährdet: durch interne Konflikte und externe Gegner. Beispielsweise sucht eine unheimliche Macht die Galaxis heim – das Dunkelleben.

Im Zentrum der Milchstraße spürt Perry Rhodan dem Ursprung dieser Bedrohung nach. Es gelingt ihm, das Dunkelleben in ein gigantisches Schwarzes Loch zu verbannen. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat müssen Rhodan und seine Gefährten jedoch erkennen, dass der Feind längst nicht überwunden ist.

Zudem eskalieren Konflikte zwischen der Erde und den menschlichen Kolonien auf fremden Welten. Insbesondere der machtgierige Iratio Hondro, der sich zum Herrscher des Planeten Plophos aufgeschwungen hat, erweist sich als ein unberechenbarer Gegner. Nachrichten von einem beginnenden Bürgerkrieg auf Plophos erreichen die Erde – und Perry Rhodan beschließt, sofort einzugreifen. Er trifft auf DAS NEUE PLOPHOS ...

Prolog

Odysseus kehrt heim

Stewart Princess war müde. Müder als jemals zuvor in seinem Leben. Würde er den Tag im Fitnessstudio verbringen und abends einen Pitcher Bier vorm Schlafengehen trinken, er wäre nicht so müde wie derzeit. Vielleicht war er ja depressiv. Das wäre keine Überraschung – die zurückliegenden anderthalb Jahre hatten sein abenteuerliches Leben als Unternehmer, Lebemann und Geheimagent, das Princess solchen Spaß bereitet hatte, jeder Freude beraubt. Mittlerweile war er nur noch ein wohlhabender Single jenseits seiner besten Jahre, der Angst hatte, das bisschen, was er erreicht hatte, wieder zu verlieren.

Vielleicht bin ich ja tatsächlich krank, überlegte er, während er sich aus dem Fahrstuhl in die Geschäftsräume von Princess Interstellar Logistics im zwölften Stock des verspiegelten Bürogebäudes im Stadtzentrum von New Taylor schleppte. Das würde zumindest erklären, weshalb es allen anderen Kolonisten mindestens genauso schlecht zu gehen schien. Hatte sich eine Seuche auf Plophos ausgebreitet?

Nein, entschied Princess mit Blick auf seine Mitarbeiter, die apathisch in ihren Stühlen hingen. Viele Plätze waren unbesetzt, die Männer und Frauen offenbar zu Hause geblieben. Ein neuer Erreger wäre selbst im Staate Hondro bemerkt worden. Iratio Hondro, der Obmann der terranischen Kolonie Plophos, war ein größenwahnsinniger oder einfach nur regulär irrsinniger Despot, aber sein System funktionierte. Das Dunkelleben verlieh ihm die nötige Macht, und die Mischung aus mentaler und militärischer Kontrolle war hocheffektiv. Wo möglich, ließ er die Bevölkerung an der langen Leine – aber wenn jemand seinen Zielen im Weg stand oder Hondro eine private Rechnung offen hatte, musste die betreffende Person verschwinden. Wie die Ratsmitglieder Rourke und Lopez. Polizeipräsidentin Mancini. Oder Asgard Theben, der vorige Obmann ...

Die einzige Krankheit auf Plophos war Hondro. Und er duldete keine andere Krankheit neben sich.

Mit schwerem Seufzen stieß Princess die Tür zu seinem privaten Büro auf, schlurfte hinter den Tisch und ließ sich in den Polstersessel unter dem enormen Geweih an der Wand plumpsen. Er musste sich konzentrieren, sonst würde er der Nächste sein, der verschwand. Etwas war faul im Staate Plophos ... und er musste herausfinden, was. Immerhin war das sein Job, mehr oder weniger.

Stewart Princess war Mitarbeiter des terranischen Nachrichtendienstes GHOST, genauer, der streng geheimen Abteilung III. Kein Superagent – er wusste nicht mal genau, wer seine Spesen bezahlte –, aber kompetent und erfreulich langlebig. Schon seine Körpergröße und seine kräftige Statur brachen die Erwartung, die die meisten Leute hatten, wenn sie seinen Nachnamen hörten; ein bisschen Versteckspiel war immer Teil seines Lebens gewesen. Und Princess war stolz darauf, die vergangenen anderthalb Jahre unentdeckt über die Runden gekommen zu sein. Als Thomas und Farouq Rhodan da Zoltral Plophos im November 2088 verlassen hatten – in Begleitung der bezaubernden Jessica Tekener, die auf der Suche nach ihrem Bruder gewesen war –, hätte Princess sie begleiten können. Doch er hatte sich dagegen entschieden.

Iratio Hondro hatte nach der Macht gegriffen, und aus einer Mischung aus Pflichtgefühl und Galgenhumor heraus hatte Princess beschlossen, die Stellung zu halten und die Lage für den irdischen Geheimdienst zu beobachten. Er hatte Kontakte auf Plophos, er hatte Erfahrung, und wie sich in den Wochen nach Hondros Putsch erwies: Er hatte auch verdammt viel Glück. Obwohl sie zum Höhepunkt des Staatsstreichs einen offenen Straßenkampf gegen Hondros Truppen geführt hatten, war es ihm und seinem kleinen Stab von Mitarbeitern gelungen abzutauchen, nachdem sie die vorhersehbare Niederlage erlitten hatten. In den Wochen danach hatte Princess bei jedem Klopfen an der Tür damit gerechnet, dass ein Erschießungskommando davorstand ... Doch es war nie gekommen.

Ein Teil von ihm wartete noch immer darauf.

Mit zitternden Händen öffnete Princess die unterste Schublade seines Schreibtischs. Sie enthielt die kleinen Wunderdinge, die ihm in der langen Zeit seither über die Runden geholfen hatten: undeklarierte Aradrogen jeder erdenklichen Legalität; der Neurostreamdimmer, dessen Leistung Princess inzwischen so weit hochgesetzt hatte, dass er nach einer halben Stunde Migräne davon bekam; einen Musikchip mit Walgesängen und anderen Naturklängen für seine tägliche Meditation sowie die Flasche plophosischer Bourbon, die er immer häufiger erneuern musste. Fahrig angelte er nach ein paar Pillen und einem altmodischen Gummiband in einer Ecke der Schublade, goss sich einen Bourbon ein, spülte die Pillen damit hinunter und band sich das Gummi um sein linkes Handgelenk. Er brauchte einen klaren Verstand, um dieses Problem zu lösen.

Princess aktivierte das in den Arbeitstisch integrierte Positronikpult und überflog die Nachrichten. Viel gab es nicht – manche Sender waren einfach tot. Anscheinend war ganz Plophos in einen Dornröschenschlaf gefallen. Princess fragte sich, wer Schuld daran trug. Während er nach Antworten suchte und auf die Wirkung der Pillen wartete, spannte er wieder und wieder das Gummiband und ließ es gegen sein Handgelenk schnellen. Der Schmerz half ihm, sich zu konzentrieren.

In der Zeit vor Hondros Machtergreifung war Princess Interstellar Logistics eins der wichtigsten plophosischen Speditionsunternehmen gewesen. Zu den besten Zeiten hatte Princess sogar Schmiergelder dafür genommen, seinen Kunden privilegierten Zugang zum Sonnentransmitter des Capellasystems zu verschaffen. Natürlich mit Wissen seiner heimlichen Partner – für den Geheimdienst war es durchaus nützlich, auch über die Schattenseiten des plophosischen Markts im Bilde zu sein ...

Das Gummiband schnalzte, und Princess überprüfte den Status der für diesen Tag avisierten Lieferungen. Keine einzige war termingerecht eingetroffen.

Vor anderthalb Jahren hatte Hondro auf Trom die Hauptschaltzentrale des Sonnentransmitters sabotiert, um seine Macht zu beweisen. Eine Weile hatte Princess damit gerechnet, dass die Terranische Union eine Eingreifflotte schicken würde, aber die Opfer einer militärischen Intervention wären wahrscheinlich zu hoch gewesen. Außerdem war Hondro schlau genug, nach diesem Knall erst mal die Füße stillzuhalten. Er richtete kein Massaker an und führte auch keinen Angriffskrieg. Also ließ die Union ihn zähneknirschend gewähren und konzentrierte sich stattdessen darauf, seinen schleichenden Einfluss auf den übrigen Kolonien zurückzudrängen.

Das Gummiband schnalzte. Princess registrierte es kaum, war versunken in seine Erinnerung.

Sobald sich die Lage stabilisiert hatte, waren die meisten Plophoser wieder aus Hondros mentalem Würgegriff entlassen worden. Nur die wichtigsten Funktionäre von Militär, Polizei und Verwaltung unterstanden weiterhin Hondros Zwang oder wurden nach und nach gegen Loyalisten ausgetauscht, die sich auf Plophos ebenso rasch fanden wie überall. Auch den Transmitter öffnete Hondro erneut für den Warenverkehr. Die Kolonie war auf Importe angewiesen: Nahrungsmittel, Medikamente, technische Güter – das wusste ihr Obmann ebenso gut wie die TU, die das Leid der Bevölkerung nicht noch mehren wollte und deshalb lieferte.

Das Gummiband schnalzte, ein heller Laut wie aus sehr weiter Ferne.

Plophos, die ewige Nummer zwei der terranischen Kolonien nach dem Vorzeigebruder Olymp, wandelte sich trotzdem schnell zum schwarzen Schaf in der Unionsfamilie. Die meisten Angehörigen anderer Welten kehrten Plophos den Rücken, solange sie konnten; selbst Mehandor schlugen lieber einen Bogen um das Capellasystem. Es war ein ähnliches Verhältnis wie das der isolierten Ostblockstaaten des zwanzigsten Jahrhunderts zu den westlichen Nationen. Princess saß mit einem großen Fadenkreuz auf der Stirn seither auf der falschen Seite des Eisernen Vorhangs und versuchte, nicht aufzufallen.

Ein Schnalzen ... ein Schnalzen ...

Längst gab es mehr Transportkapazitäten als Kunden. Der Güterverkehr zwischen Capella und den anderen Kolonien war auf das nötige Minimum beschränkt. Ohne Hondros Segen ging gar nichts, und auch ein Schmiergeld öffnete nicht mehr so viele Türen wie einst. Princess' legale Kontakte in der Politik, der Wirtschaft oder bei der GCC hielten gleichfalls den Kopf unten, seine weniger legalen Kontakte hatten schon vor langer Zeit das Weite gesucht. Manchmal musste er sich kritisch fragen, was er noch auf Plophos verloren hatte. Er hatte schon lange nichts Lukratives mehr an Land gezogen – keine Geschäfte, keine Informationen von Wert ... Die Umsätze reichten gerade so zum Überleben, aber was für ein Leben war es, das er da führte? Ein dunkles Leben ...

Der laute Dauerton einer Hupe riss Stewart Princess aus seinen Gedanken. Einen Augenblick lang saß er irritiert da, den Kopf auf die Hände gestützt, und massierte sich stöhnend die Schläfen. War er eingenickt? Sein Blick fiel auf das linke Handgelenk und die blutigen Striemen, die das Gummiband geschlagen hatte. Er spürte fast keinen Schmerz. Die Medikamente schienen zu wirken.

Er kämpfte sich auf die Beine und wankte zum Fenster, um den Grund für den Lärm zu erfahren. Unten auf der Straße standen mehrere Bodenfahrzeuge kreuz und quer auf der verstopften Fahrbahn. Princess konnte aus dieser Höhe nicht erkennen, ob die Fahrer ihre Wagen aufgegeben hatten oder am Steuer eingeschlafen waren. Auch das Hupen führte lediglich zu einer kurzen, wütenden Erwiderung da und dort – am Gesamtbild aber änderte es nichts.

Princess konnte sich nicht länger etwas vormachen: Das Problem war real, es betraf die ganze Stadt, die ganze Kolonie wahrscheinlich, aber kaum jemand außer ihm schien es wahrzunehmen. Er begann, sich ernsthaft Sorgen zu machen.

Er rief Freya Nikulina an.

Das lange Schweigen des Komgeräts ließ ihn schon fürchten, dass es ihr noch schlechter ging als ihm, dann endlich nahm sie den Ruf entgegen. Das Kommunikationshologramm zeigte ihr strenges Gesicht, ihre Lockenpracht, die ihr in Princess' Augen etwas aufregend Nordisches verlieh. Tatsächlich musste er sich eingestehen, dass er sehr wenig über ihre Herkunft wusste, nicht mal, ob sie eine gebürtige Plophoserin oder von der Erde eingewandert war wie er selbst.

»Wie geht es dir?«, fragte er.

»Müde«, antwortete sie. »Was passiert mit uns? Ich kann mich kaum bewegen.«

»Ich weiß nicht. Ich weiß«, murmelte er verwirrt. »Mir geht's auch so. Hondro?«

Wie meistens verstand sie ihn auch ohne viele Worte. »Wieso sollte er das tun? Der ganze Planet steht still.«

So schlimm? Doch es war klar, dass sie recht hatte. Niemand hatte mehr die Energie, zu arbeiten, Güter zu verladen oder gar ein Raumschiff zu fliegen. Ohne die Aradrogen hätte auch er kaum genug Kraft für dieses Gespräch.

»Freya, ich weiß nicht mehr, wo oben und unten ist.«

»Meine Arme und Beine fühlen sich an, als wären sie aus Blei«, murmelte sie. »Am liebsten würde ich eine Woche lang nur schlafen.«

»Ich will dich sehen.«

Nikulina nickte. Die Ringe unter ihren Augen waren dunkel und tief, aber so leicht machte sie nicht schlapp. »Ich komme zu dir. Heute Abend«, versprach sie und beendete die Verbindung.

Na also – ein Hoffnungsschimmer. Allein die Aussicht auf ein Treffen beflügelte Princess. Es gelang ihm, noch ein paar wichtige Aufträge zu stornieren, die ihn andernfalls ein kleines Vermögen an Schadenersatz gekostet hätten, dann war es schon Zeit für den Heimweg. Er musste sehr lange für alles gebraucht haben, oder die Aradrogen hatten sein Zeitgefühl durcheinandergebracht. Bevor er ging, entließ er noch seine Mitarbeiter in den Feierabend, doch sie beachteten ihn kaum.

Unten auf der Straße war der Verkehr vollends zum Erliegen gekommen. Auch ein paar Unfälle hatten sich ereignet. Vereinzelt staksten Polizisten und Sanitäter müden Schritts durch das Chaos, die meisten Leute jedoch saßen mit leeren Gesichtern in ihren Sitzen, bei offener Tür oder gleich auf der Straße.

Stewart Princess rief sich ein Robottaxi – die teure Gleitervariante, die normalerweise immer überbucht war. Derzeit schien die Nachfrage jedoch sehr niedrig zu sein, denn bereits fünf Minuten später landete der Gleiter vor ihm auf dem breiten Gehweg. Er nannte der Fahrzeugpositronik seine Adresse und ließ sich in den Passagiersitz sinken.

»Wie geht es uns heute?«, plauderte der fest verbaute Roboter im Pilotensessel drauflos, doch Princess ignorierte ihn. Seine Gedanken weilten bei Nikulina.

Sie hatten sich kurz nach dem Umsturz kennengelernt und trafen sich seither regelmäßig. Freya Nikulina arbeitete in der städtischen Verwaltung und fürchtete genau wie er eine Enttarnung durch Hondro, für den sie wenig Sympathie hegte. Manchmal tauschten sie Informationen aus, doch der berufliche Teil ihrer Partnerschaft bedeutete Princess nicht halb so viel wie der private.

In seinem Job war er immerzu isoliert. Alles, was er tat, war Maske, Tarnung, schöner Schein. Nikulina gab ihm Halt. Sie gab ihm das Gefühl, nicht allein zu sein. Ohne sie wäre er wahrscheinlich längst nicht mehr da, in mehrerlei Hinsicht.

Vor seinem Grundstück am Stadtrand warf ihn der fröhlich plappernde Roboter hinaus und ließ sich seiner Programmierung gemäß in plophosischen Dollars bezahlen, obwohl diese fast nichts mehr wert waren. Inoffiziell zahlte jeder in terranischen Dollars oder Euros – aber Hondro mochte das nicht.

Princess öffnete sein mehrfach gesichertes Gartentor und schleppte sich zum Hauseingang. Es war früher Abend. Die rote Sonne Eugaul schien tief durch die dunklen Bäume; die übrigen drei Gestirne des Mehrfachsystems waren bereits untergegangen oder hinter Wolken verborgen. Die Stille lastete so tief auf dem Wohnviertel, dass Princess sogar das Surren des ein Stück entfernten, gewaltigen, elektrisch gesicherten Stahlzauns hörte, der New Taylor vor Panzerbären und anderen Überraschungen der plophosischen Fauna schützte. Es kam ihm laut wie ein Alarm vor, eine Warnung, auf die niemand mehr reagierte. Erst als er die Tür hinter sich zuschlug, fiel die Angst von ihm ab.

Gerade war es ihm gelungen, sich in der Küche ein belebendes Getränk einzugießen, als es klopfte. Draußen war es inzwischen dunkel geworden.

Er öffnete. Freya Nikulina fiel ihm um den Hals, halb Sturz, halb Liebkosung, und hüllte ihn in eine Wolke ihrer nordisch-blonden Locken. Freya, die Liebesgöttin. Irgendwie gelang es ihr, ihrer Erschöpfung zum Trotz einen Hauch von Anmut zu bewahren.

»Danke, dass du gekommen bist«, flüsterte er.

»Danke, dass du angerufen hast«, gab sie zurück.

Da sie beide kaum die Kraft für ein Gespräch oder ein gemeinsames Essen hatten, fanden sie den Weg in sein Schlafzimmer und gaben sich dem Trost ihrer Nähe hin. Die Welt bäumte sich auf wie ein stürmisches Meer, und er fühlte sich wie ein führerloses Schiff auf den Wogen. Nikulina war sein Anker, sein sicherer Hafen, den er zu lange gemisst hatte ...

Am nächsten Tag war sie verschwunden; Stewart Princess wusste nicht, wohin. Eine Stunde lag er kraftlos im Bett und starrte die Decke an, dann zwang er sich, aufzustehen und zu duschen.

Die Aradrogen hatten einen gewaltigen Kater hinterlassen. Er brauchte erst ein paar Schmerzmedikamente, ehe er die nächsten Aufputschmittel nehmen konnte. Wieder rief er sich ein Robottaxi und machte sich auf den Weg in die Stadt. Die vier Sonnen standen hoch am Himmel über den Wolkenkratzern von New Taylor, müde Sterne über einer schlafenden Stadt.

»Was passiert mit uns?«, fragte er den Roboter im Pilotensitz, als wäre die Maschine sein Beichtvater, die alle Antworten kannte. »Was haben wir falsch gemacht?«

»Ach, wir machen alle mal Fehler«, beruhigte ihn der Roboter altklug, obwohl er nicht mal ansatzweise über die Kapazitäten einer KI verfügte. Gesteuert wurden die Gleiter von einer automatisierten Zentrale am Raumhafen. »Aber einer Sache können Sie sich gewiss sein: Bei uns sind Sie in Sicherheit.« Der Roboter gackerte, ohne die harten Lippen zu bewegen. »New Taylor Sky Cabs, zu Ihren Diensten.«

Unbestimmte Zeit später fand sich Princess auf dem Dach seines Bürogebäudes wieder. Wie lange stand er schon dort? Er wusste es nicht. Der kalte Wind fuhr ihm durchs Haar. Unter ihm, in den düsterroten Straßenschluchten, lagen Fahrzeuge und Menschen, als hätte man sie mit einem Würfelbecher ausgeschüttet.

Er gab sich einen Ruck und setzte sich in Bewegung, schleppte sich zum Fahrstuhl und fuhr hinab in den zwölften Stock. Jeder Schritt bereitete ihm Schmerzen, als hätte er einen Dauerlauf hinter sich. Aber er durfte, wollte nicht aufgeben. Sein Büro war der einzige Ort, an dem er die Dinge leidlich unter Kontrolle hatte.

Seine Mitarbeiter waren immer noch da. Alle, die es nicht rechtzeitig nach Hause geschafft hatten, hingen in ihren Sesseln oder lagen unter ihren Tischen, in derselben Kleidung wie am Vortag. Es roch nach alten Fertiggerichten, und es war viel zu kalt.

Fluchend regulierte Princess die Klimaanlage nach und brachte den Männern und Frauen Wasser und Decken. Sie waren nicht krank, aber geschwächt und unruhig. Viele klagten über Schmerzen, aber niemand konnte ihm sagen, wo genau, und mehr als ein leises »Danke« brachte keiner über die Lippen. Fast schien es ihnen egal zu sein, was aus ihnen wurde. Entkräftet, wie auf Drogen, starrten sie ins Leere, zu schwach, um sich zu regen, aber zu verwirrt, um Ruhe zu finden.

Schließlich gab er es auf und betrat sein Büro. Seine Hände zitterten, bei jedem Schritt stieg in ihm die Übelkeit hoch. Es war, wie durch Wasser zu waten, ein trübes, schmutziges Meer.

An seinem Schreibtisch spielte er den Musikchip mit Naturklängen ab, setzte den Neurostreamdimmer auf und konzentrierte sich auf seinen Atem. Die Übungen, die man ihm vor langer Zeit bei seiner Ausbildung vermittelt hatte, um unter Stress oder Folter bei klarem Verstand zu bleiben, halfen ein wenig. Hieß das, dass doch Hondro hinter allem steckte? Spürten die Siedler die Geisteskräfte des Wahnsinnigen? Versuchte Hondro, die Kolonie mit sich in den Abgrund zu reißen?

Als Princess wieder aufsah, stand Freya Nikulina vor ihm. In seinem Zustand kam sie ihm umso mehr vor wie eine Göttin, ihr blondes Haar war von einem Strahlenkranz umgeben.

»Wo kommst du auf einmal her?«, fragte er verwirrt und nahm den Schläfenbügel des Neurostreamdimmers ab, als hätte sie ihn mit Lockenwicklern im Haar erwischt. »Und wo warst du?«

»Wir müssen verschwinden«, sagte sie nur. »Es wird immer schlimmer.«

»Was meinst du mit verschwinden?«, fragte er.

»Weg«, sagte sie. »Weg von Plophos.«

»Und alles aufgeben, was ich ... was wir ...«

»Glaubst du denn ernsthaft, alles wird wieder wie vorher?« Sie deutete erschöpft zum Fenster, vor dem die matte Stadt im roten Dämmer lag. »Etwas ist passiert und passiert immer noch – und entweder ist Hondro schuld daran oder er hat die Kontrolle verloren. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.«

Er schaute sie an. Wie die meisten Menschen auf Plophos sprachen sie nur selten offen über Iratio Hondro und das, was er ihnen antat. Niemand wollte so genau darüber nachdenken, außerdem hatte der Obmann seine Augen und Ohren überall.

»Selbst wenn du recht hast«, lenkte er ein, »wie stellst du dir das vor? Wie kommen wir an ein Raumschiff? Ich bin schon froh, wenn ich es noch einmal aus diesem Sessel schaffe. Und der Rest der Stadt liegt im wahrsten Sinne am Boden.«

Sie ließ sich auf seinem Tisch nieder, schloss kurz die Augen, als müsste sie gegen die Erschöpfung kämpfen. »Hast du nicht ... einen Ausweg? Die Leute, für die du arbeitest?«

Princess kniff die Lippen zusammen. Selbstverständlich hatte er Nikulina nicht erzählt, dass er für den terranischen Geheimdienst arbeitete. Das wäre Verrat gewesen. Sie wusste aber, dass er kein einfacher Spediteur war und Leute kannte, die nicht gerade glücklich mit Hondro und seinem Regime waren. Das hatte er wahrscheinlich mehr als einmal angedeutet, wenn sie ihn nach dem Grund für seine Nervosität gefragt hatte. Genau wie er im Gegenzug wusste, dass Nikulina nach dem Umsturz viele Freunde verloren hatte. Anders hätten sie einander nicht vertrauen können. Hin und wieder hatte sie ihn sogar mit Informationen aus der Verwaltung versorgt – nichts Gewichtiges, aber hilfreich.

»Es gäbe vielleicht eine Möglichkeit«, raunte er. »Für Notfälle ...«

Sie lachte hell auf. »Was ist das da draußen, wenn es kein Notfall ist? Von was für einer Möglichkeit redest du?«

»Ich könnte einen Dolphin rufen«, antwortete er leise.

»Einen ... Dolphin?«, wiederholte sie.

Dolphins waren kleine, leistungsfähige Raumboote, die die Abteilung III in Bedrängnis geratenen Agenten schickte. Sie waren weitgehend autonom und konnten von einer einzelnen Person oder zur Not auch vom Autopiloten gesteuert werden. Außerdem boten sie erstklassige medizinische Versorgung nach dem Vorbild von Technologien aus Andromeda, die sogar Reisen durch Sonnen- und Situationstransmitter erträglich machte. Pate für ihren Namen stand der Mythos, demzufolge Delfine Schiffbrüchige aus Seenot retteten.

Ein Dolphin verhieß Sicherheit, verhieß Schutz. Allein beim Gedanken daran, sich in die Umarmung eines solchen Rettungsboots sinken zu lassen, wurden Princess die Lider schwer. Er könnte es anfordern, sofort von seinem Schreibtischkom aus, mit dem er auch seine Berichte versendete, mittels eines kleinen, mehrfach gesicherten Programms im hintersten Winkel der Positronik. Dann brauchte er sich bloß noch zum Treffpunkt begeben ... und ihn erwartete eine schnelle Heimkehr.

Dennoch – oder gerade deswegen – schreckte Stewart Princess noch davor zurück. Das Notsignal abzusetzen, hieße aufzugeben. Diesmal für immer. Er konnte nicht einfach fliehen und später zurückkehren, als ob nichts gewesen wäre. Hondro würde ihn bemerken.

Andererseits ... hatte er das nicht längst?

»Einen Dolphin zu rufen, ist eine endgültige Entscheidung«, äußerte er seine Bedenken. »Wenn wir das tun, gibt es kein Zurück mehr.«

Sie sah ihn an mit ihren Augen einer Göttin. So stolz, so fordernd. Und voller Leid. »Tu es, Stewart!«

Er nickte. »Also schön. Ich werde es tun. Halt dich bereit.«

»Gut.« Sie glitt von seinem Tisch. »Ruf mich, wenn du so weit bist.« Sie gab ihm einen Kuss und verließ sein Büro. Sie schwankte wie eine Betrunkene, aber verglichen damit, wie er sich fühlte, kam sie ihm beinahe schwerelos vor. Ihre Stärke war bewundernswert. Oder vielleicht nahm sie die besseren Drogen? Er musste sie unbedingt danach fragen ...

Stunden später schrak Stewart Princess auf. Sein Kopf war auf den Tisch gesunken, draußen vor dem Fenster war es dunkel. Verdammt, er musste wieder eingeschlafen sein! Hastig durchsuchte er seine Schublade nach den restlichen Pillen, nahm die doppelte Dosis und hielt sich mit dem Gummiband an seinem Handgelenk wach, bis er die Kraft fand, sich auf die Positronikkonsole zu konzentrieren.

Freya Nikulina hatte recht – in diesem Zustand war er zu nichts mehr nütze. Falls Hondro wirklich hinter alldem steckte, wäre es dem Diktator ein Leichtes, Princess und alle, auf die er es abgesehen hatte, zu beseitigen. Mehr noch als diese Aussicht machte Princess die Ungewissheit zu schaffen, wie lange der aktuelle Zustand auf Plophos noch andauern könnte – und was dann aus ihm und den Menschen dieser Welt wurde.

Er hatte Angst. Er war in Seenot. Allein auf einem dunklen Meer ... und er fürchtete sich vor dem Ertrinken.

Princess rief das versteckte Programm auf und authentifizierte sich mehrfach. Der Vorgang dauerte so lange, dass er jedes Zeitgefühl verloren hatte, bis endlich die letzte Abfrage vor ihm blinkte. Der Augenblick der Entscheidung.

Er bestätigte.

Er hatte den Dolphin gerufen.

Mit klopfendem Herzen wartete er, bis er die Rückbestätigung erhielt, dass sein Hyperfunkruf vernommen worden war. Nike Quintos Mitarbeiter waren informiert. Und irgendwo im Solsystem machte sich nun ein kleines Raumschiff auf den Weg zu ihm.

Zeit, zu gehen – falls doch jemand das Signal zu ihm zurückverfolgte. Stewart musste nun untertauchen. Wenn alles gut ging, würde schon in wenigen Stunden die Rettung zur Stelle sein.

Nachdem er seinen Entschluss gefasst hatte, wünschte er, es würde schneller gehen – doch diese letzte Frist war nötig, um eine Entdeckung zu vermeiden. Eine Transition direkt in den Orbit von Plophos mit anschließendem Notmanöver würde eine ganze Kaskade diplomatischer und militärischer Probleme auslösen. Um dies zu vermeiden, würde der Dolphin sich stattdessen anschleichen und sich auf einer sicheren Frequenz melden, sobald er einen geeigneten Landeort lokalisiert hatte. Danach konnte Princess Nikulina Bescheid geben ...

Princess hatte schon fast die Tür erreicht, als er innehielt.

Eins blieb noch zu tun – so viel war er ihnen schuldig. Beinahe hätte er es vergessen.

Er ging zurück zu seinem Tisch, setzte abermals den Neurostreamdimmer auf und rief Vivian an.

Vivian war die einzige weitere Mitarbeiterin der Abteilung III auf Plophos, von der er Kenntnis hatte. Er hatte sie nie persönlich getroffen, ihm war weder ihr echter Name noch ihre Tarnidentität geläufig. Er kannte nur ihren internen Decknamen sowie ein altes Bild und wusste, dass sie zwar deutlich jünger war als er, aber nicht weniger fähig. Und dies war einer der drei im Handbuch vorgesehenen Fälle, in denen er sich bei ihr melden sollte. Die anderen beiden – unmittelbare Gefahr für sein oder ihr Leben – waren bislang nie eingetreten.

Es dauerte eine Weile, bis sie den Ruf entgegennahm. Dann baute sich ihr Bild vor ihm auf.

Vivian hatte sich verändert. Sie war eine Strigoidin – wie viele genetisch angepasste Plophoser litt sie an einer erhöhten Lichtempfindlichkeit. Nicht dramatisch in ihrem Fall, aber irgendwann im Laufe der vergangenen Jahre musste sie sich dazu entschlossen haben, die Patina aufzutragen, mit der sich viele der Betroffenen schützten: ein kupfergrüner Film aus Nanopartikeln, der den ganzen Körper einhüllte. Schimmernd. Anmutig. Fremd.

Für Princess sah sie dadurch aus wie eine Meerjungfrau im Schuppenkleid.

»Mein Gott – Arthur?«, hauchte sie schläfrig und nannte ihn bei seinem Decknamen. »Was gibt es?«

»Ich gehe«, informierte er sie ohne Umschweife. »Ich gehe heim.«

Sie warf sich eine Decke über die Schultern. »Sind schlechte Zeiten.«

»Kommst du zurecht?«, fragte er.

Sie gähnte, konnte kaum die Augen offen halten. Hinter ihr sah er undeutlich hingestreckte Gestalten vor einer Mauer. »Besser als die meisten anderen ...«

»Willst du nicht ebenfalls gehen?«

»Gehen?« Sie blinzelte, so langsam, dass er kurz fürchtete, sie würde vor seinen Augen einschlafen. »Wohin denn?«

»Zurück zur Erde natürlich.«

»Ich muss doch bleiben ... beobachten ...«

»Das habe ich auch versucht. Anderthalb Jahre lang. Jetzt ist es vorbei.«

Sie kommentierte seinen Entschluss nicht. »Auf Wiedersehen, Arthur. Und alles Gute.«

»Auf Wiedersehen, Vivian.«